Das gestresste Herz - Gustav, Prof. Dr. med. Dobos - E-Book

Das gestresste Herz E-Book

Gustav, Prof. Dr. med. Dobos

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Beschreibung

Was tun, wenn einem bang um das Herz ist? Das Herz reagiert nicht nur besonders sensibel auf Gefühle, Stress und Anstrengungen, es ist auch der Taktgeber unseres Lebens: Drei Milliarden Mal schlägt es im Laufe eines Lebens – mal schnell, mal langsam, mal stolpernd und dann wieder rhythmisch ausdauernd. Was können wir tun, um diesen Motor zu pflegen und zu stärken? Kardiologen sind darauf spezialisiert, im Akutfall Leben zu retten und Krankheiten mithilfe hochmoderner Technik zu behandeln. Aber was kommt vor dem Infarkt? 90 Prozent aller Herzinfarkte sind lebensstilbedingt: Sie könnten also verhindert werden – von uns selbst. Dass das gar nicht so schwer ist, zeigen Forschungsergebnisse aus der modernen Naturheilkunde. Es gibt wirkungsvolle Verfahren zur Reduktion von Stress, einem großen Belastungsfaktor für das Herz. Diese Ergebnisse der modernen Naturheilkunde lassen sich ohne große Probleme in den Alltag einbauen – damit es gar nicht erst zu Herzproblemen kommt. Wie man das am besten macht und was das alles Positives bewirken kann, das zeigt der Internist und Professor für Naturheilkunde Gustav Dobos in diesem Buch.

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Prof. Dr. med. Gustav Dobos

DasgestressteHerz

Mit Naturheilkunde für ein längeres Leben

Neueste Forschung zu Lebensstilund Herzgesundheit

Das 8-Wochen-Programm

Fachmedizinische Beratung:Dr. med. Ernst Girth

Unter Mitarbeit von Dr. Petra Thorbrietz

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1. eBook-Ausgabe 2019

© 2019 Scorpio Verlag GmbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung und Umschlagmotiv: FAVORITBUERO, München

Autorenfoto: Claudia Kempf

Lektorat: Angela Kuepper

Illustrationen auf S. 32, 59, 61, 68, 71, 75, 104, 137: Wolfgang Pfau, Baldham;

S. 86, 196: Danai Afrati, München

Layout & Satz: Robert Gigler, München

Konvertierung: Bookwire

ePub-ISBN: 978-3-95803-255-2

Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Alle Rechte vorbehalten.

www.scorpio-verlag.de

Inhalt

Statt eines Vorworts: Hand aufs Herz …

Impulsgeber des Lebens•Die Schattenseiten des Wohlstands•Auf das Herz hören•Hand in Hand mit der Kardiologie•Wie durch ein Wunder•Mythen und Fakten

Kardiologen haben keine Zeit zu sprechen

Zuwendung und Erwartung•Schein-OPs am Herzen•Das Drama der Behandlung•Ein Enzym als Placebo-Erklärung•Der Eingriff als Heilritual•Hintergrund: Was kann ein Katheter genau?•Zweifelhafte Stent-Erfolge•Verhindern Stents die Selbstheilung?

Naturheilkundliche Herzmedizin: Was kann sie?

Der Lebensstil als größter Risikofaktor•Das Ornish-Programm•Das Versagen der Medizin•Wieso tun wir nichts?•Selbstfürsorge ist wichtig!

Medikamente: So viel wie nötig, so wenig wie möglich

Zu Risiken und Nebenwirkungen …•Medikamente für Millionen

Risiko Bluthochdruck

Pro und Contra von Blutdrucksenkern•Entwicklung der wichtigsten Bluthochdruck-Mittel•Die Wiedergeburt des Aderlasses•Akupunktur – wirkt, aber nur wenig•Was Sie selbst gegen Bluthochdruck tun können

Risiko Blutfette und »Arterienverkalkung«

Was ist »böse« am Cholesterin?•Besonderes Risiko: Lipoprotein(a)•Das Rätsel der Verkalkungen•Schleichende Bedrohung: Entzündungen•Aspirin – kein Allheilmittel•Die Anti-Entzündungs-Diät•Die Rolle der Darmbakterien•Genetik – einer von 500•Das Pro und Contra von Cholesterinsenkern•Die Lyoner Herz-Studie•Machen Statine Sinn?•Essen macht krank – oder gesund•Pflanzen statt Tiere•Gute Fette – böse Fette•Bauchfett als besonderer Risikofaktor•Es geht (nicht nur) um die Wurst!•Immunreaktionen auf Fleisch•Es beginnt in der Kindheit•Der Pionier Dean Ornish•Lifestyle als Lebensretter•Fallbeispiel: Wenn die Familie bremst …•Wer weniger isst, lebt länger•Einen Versuch wert: alkoholfrei•Was Sie selbst gegen Blutfette tun können

Risiko Bewegungsmangel

Der Fluch des Sitzens•Jeder Schritt zählt•Gesund im Beruf•Walzer und Work-outs•Wohldosierte Anstrengung•Bewegung als Therapie•Fallbeispiel: Herzinsuffizienz und Begleiterkrankungen•Auf dem Vormarsch: chronische Herzschwäche•Das Herz wächst mit seinen Aufgaben•Sprengstoff im Herzen•Ist Marathon schlecht fürs Herz?•Fit auch mit Fett•10 000 Schritte und andere Gimmicks•Was Sie selbst gegen Bewegungsmangel tun können

Risiko Stress

Der Kampf-oder-Flucht-Reflex•Die Löwin unter dem Schreibtisch•Was das Gehirn mit dem Herzen zu tun hat•Wut bringt uns aus dem Takt•Herzrhythmusstörungen•Risiko Vorhofflimmern•Hochfrequenz im Herzen•Ruhe bewahren!

Risiko Psyche

Das gebrochene Herz•Hinterbliebene leben gefährlich•Partnerprobleme verkürzen das Leben•Fallbeispiel: Ehe-Unglück und Herz•Drama Fußball•Das Tintenfisch-Syndrom•Das gequälte Herz•Problematische Persönlichkeit•Psychosoziale Risikofaktoren•Depression: Ein Herz aus Stein•Schlag auf Schlag•Herzneurosen und Todesfurcht•Fallbeispiel: Herzangst•Medizin für Körper und Psyche•Die eigenen Ressourcen•Anti-Stress-Medizin•Mit Gefühlen umgehen•Was Sie selbst gegen Stress und Depression tun können•Selbsttest: Bin ich depressiv?

Der kleine Unterschied: Frauenherzen schlagen anders

Sind Frauen die besseren Kardiologen?•Das weibliche Herz•Geschlechtsspezifische Unterschiede•Frauen benötigen eine andere Diagnostik•Anderes Geschlecht, andere Risiken•Die Rolle der Hormone•Medikamente wirken bei Frauen anders•Gleichberechtigung im Leben und Sterben?•Frauen – lebt gesünder!•Eine geschlechtsbewusste Medizin

Herzgesundheit: Das 8-Wochen-Programm zum Ausprobieren

Selbsttest: Wie herzgesund lebe ich?•Woche 1•Woche 2•Woche 3•Woche 4•Woche 5•Woche 6•Woche 7•Woche 8•Nachlese•Übungstagebuch•Das 8-Wochen-Programm im Überblick

Danksagung

Quellenverzeichnis

Statt eines Vorworts: Hand aufs Herz …

Es ist über 20 Jahre her, aber diesen Tag werde ich nie vergessen. Ich war Arzt auf der Intensivstation an der Universitätsklinik Freiburg und saß mit einer Frau am Bett ihres Ehemannes, der damals nur wenig älter war, als ich es heute bin. Der Patient hatte auf einem Abschiedsessen anlässlich seiner Pensionierung einen so schweren Asthmaanfall erlitten, dass sein Herz stehen geblieben war. Er konnte reanimiert werden, aber es war leider zu spät – das Gehirn hatte zu sehr gelitten. Er lag im Sterben. Ich tat das, was man als Arzt professionell tut – man erklärt, versucht zu trösten, hält das Leid anderer aus, ohne es allzu nah an sich heranzulassen, weil man sonst nicht mehr funktionieren könnte. Für alle Mitarbeiter einer Intensivstation ist der Tod letztlich Routine.

Doch an diesem Tag war das anders. Ich musste mein Gespräch mit der Frau unterbrechen, weil ich ans Telefon gerufen wurde. Mein herzkranker Vater hatte an diesem Tag eine Bypass-Operation in Lahr im Schwarzwald, und ohne große Umschweife erklärte mir der Chirurg am anderen Ende der Leitung, dass es »eine Komplikation« gegeben habe. Beim Annähen der Gefäße hatte sich eine Arterienwand unerwartet gespalten. Die Blutung war so groß gewesen, dass sie sich nicht hatte stillen lassen. Mein Vater lag im Sterben. Als ich auf der Intensivstation in Lahr ankam, war er bereits tot. Meine professionelle Distanz zu dem Organbefund löste sich mit einem Schlag in Luft auf. Mein eigenes Herz raste und stolperte unruhig – der Schmerz hatte es völlig aus dem Takt gebracht. Meine Mutter war bereits mit 50 Jahren an einem Schlaganfall verstorben, nun also mein Vater. Bei all der Trauer fragte ich mich auch, ob ich einmal dasselbe Schicksal erleiden würde. Meine eigene Sterblichkeit wurde mir in diesem Moment zum ersten Mal so richtig bewusst.

Da ein Herz-Kreislauf-Leiden mit Abstand die häufigste Todesursache hierzulande ist, haben sicher viele unter Ihnen einen ähnlichen Moment erlebt, oder Sie kennen zumindest Menschen, denen es so ergangen ist. Und – Hand aufs Herz – haben Sie sich angesichts dieser Erfahrung nicht vorgenommen, besser auf Ihr eigenes Herz zu achten? Weniger Alkohol zu trinken, keinen fetten Speck mehr zu essen, regelmäßig Sport zu treiben? Was ist aus Ihren Vorsätzen geworden? Plötzlich sind Sie dann 50 oder 60, und die Warnsignale, die sich bereits seit Längerem abzeichnen, verdichten sich zu einer unbestimmten Angst. Müssen Sie wirklich schon regelmäßig Tabletten nehmen, um den Blutdruck zu senken? Können die Rhythmusstörungen, die Sie seit Neuestem abends vor dem Einschlafen wahrnehmen, eine Folge von Stress sein? Sind Ihre Gefäße wohl schon so steif, wie Sie sich selbst manchmal fühlen?

Medizin und Hygiene haben unsere Lebenserwartung deutlich gesteigert. Wir werden also immer älter, unser Lebensende schiebt sich, wenn wir Glück haben, weiter nach hinten. Aber leider gilt das nicht für das Einsetzen altersbedingter Erkrankungen – die Arthrose macht sich immer noch mit 50 bemerkbar, auch wenn wir danach vielleicht noch 40 Jahre leben. Und Herzkrankheiten? Frauen haben bereits ab 45, also nach ihrer Hormonumstellung, ein deutlich erhöhtes Risiko dafür, und bei Männern beginnt es bereits mit 35 Jahren. Wir sollten uns also nicht nur darum bemühen, einem tödlichen Infarkt oder Schlaganfall aus dem Weg zu gehen, sondern auch verhindern, dass wir Jahrzehnte unseres Daseins auf diesem Planeten mit Krankheiten ringen, die unsere Lebensqualität erheblich einschränken.

Ich jedenfalls tue mein Bestes, das Schicksal meiner Herz-Kreislauf-kranken Eltern nicht zu meinem eigenen zu machen. Und ich muss zugeben, ich war erleichtert, als ich lernte, dass nur ein Bruchteil der Herztode mehr oder weniger unabwendbare Ursachen haben, also zum Beispiel genetisch bedingt sind.

FAZIT

Die gute Nachricht: 80 Prozent aller Schlaganfälle und sogar 90 Prozent aller Herzinfarkte haben ihre Ursachen in unseren Lebensgewohnheiten!1

Das heißt: Wir müssen etwas ändern!

Es heißt aber auch: Wir können etwas tun!

Impulsgeber des Lebens

Jeder von uns hat ihn, diesen Respekt vor dem eigenen Herzen, dem Klopfen in uns, das uns ein Leben lang und bei jeder Gefühlsregung begleitet. Wenn Sie das Glück haben, Eltern zu sein, dann erinnern Sie sich vielleicht an den Moment, in dem Sie das winzige Zucken zum ersten Mal in verwirrenden Grautönen auf dem Ultraschallbild gesehen haben. Ab der fünften Woche, der Embryo ist noch nicht mal einen halben Zentimeter groß, wird der winzige Nervenknoten zum Impulsgeber des Lebens, wenige Tage später ist das Herz zu erkennen. Mehr und mehr wird sich das winzige Nervenbündel zu einem Hohlmuskel formen, der von nun an treulich seine Aufgabe erfüllt. Rhythmisch wird er sich 60- bis 85-mal in der Minute zusammenziehen und dann wieder erschlaffen, hunderttausend Mal am Tag und drei Milliarden Mal in einem durchschnittlichen Leben.

Weil das Herz so wichtig für unser Leben ist, ist es zum Sinnbild unserer Gefühle geworden. Wir sprechen vom brennenden Herzen, vom gebrochenen Herzen, vom glühenden Herzen. Manchmal spüren wir auch, wie unser Herz schmerzt oder stolpert oder auch bis zum Hals klopft. Manche von uns entwickeln Herzangst, unkontrollierte Panikattacken, die das Herz fast zum Zerspringen bringen. Andere, die vielleicht meditieren, können Kontakt mit ihrem Herzen aufnehmen und es durch langsames, konzentriertes Atmen beruhigen und verlangsamen.

Die Schattenseiten des Wohlstands

Die Entwicklung der Kardiologie ist eines der Glanzstücke der modernen Hochleistungsmedizin. Was soll da noch die Naturheilkunde, wenn man doch verstopfte Herzkranzgefäße weiten, Herzklappen austauschen und sogar ganze Herzen transplantieren kann? An der Universität Aachen zum Beispiel wird sogar an einem Herzen aus Kunststoff geforscht, auch wenn dessen Entwicklung »so schwierig wie eine Reise zum Mond« ist, so der Forschungsleiter Ulrich Steinseifer.2

Herztod im europäischen Vergleich: Deutschland könnte besser dastehen

Tod durch koronare Herzerkrankung (standardisierte Todesrate pro 100 000 Einwohner, 2018)

Quelle: Eurostat, 2018

In 25 Jahren (1990–2015) ist die Zahl der an einer Herzkrankheit verstorbenen Menschen in Deutschland um 46 Prozent gesunken. Statistiken sind eine seltsame Sache, denn auch wenn diese Aussage so positiv klingen mag, zeigt gleichzeitig ein aktueller internationaler Vergleich der Krankheitshäufigkeiten (im renommierten Fachjournal The Lancet)3, dass wir Deutschen im Verhältnis zu unseren westeuropäischen Nachbarn eine auffallend geringe Lebenserwartung haben, und das, obwohl wir – nach den USA und der Schweiz – in der OECD das meiste Geld für unser Gesundheitssystem ausgeben.4 Demnach leben deutsche Männer im Schnitt 78,2 Jahre und deutsche Frauen 83 Jahre. Der westeuropäische Durchschnitt liegt hingegen bei 79,5 Jahren für neugeborene Jungen und bei 84,2 Jahren für Mädchen. Damit lan-den die deutschen Männer auf dem letzten Platz der Liste, aber auch die deutschen Frauen schneiden vergleichsweise schlecht ab. Nur Osteuropa lebt kürzer – volle 13 Jahre die Männer und sieben Jahre die Frauen. Im Vergleich zu den fitten Spaniern (Frauen 85,7 und Männer 80,1 Jahre) sind die Deutschen dicker, sie trinken mehr Alkohol, essen mehr Fleisch, Käse und Butter und bewegen sich weniger.

FAZIT

Auch wenn die Lebenserwartung, global betrachtet, zwischen 1950 und 2017 um knapp 50 Prozent gestiegen ist, so stagniert sie in Deutschland – obwohl wir das teuerste Gesundheitssystem der Europäischen Union haben.

Ursache für das schlechte Abschneiden ist unser Lebensstil: Übergewicht, hoher Blutdruck und Blutzucker, Tabak- und Alkoholkonsum.

Die Zahl der Herztode ist zwar geringer geworden – aber das ist eine Folge der Hochleistungs-Intensivmedizin und eines international herausragenden Notarztsystems und kein Zeichen besserer Gesundheit. Denn noch immer führen Herzkrankheiten mit insgesamt 18,6 Prozent die Liste der fünf häufigsten Todesursachen an, und da sind die 7,8 Prozent für Bluthochdruck, Vorhofflimmern und -flattern noch gar nicht eingerechnet.5 Rund 400 000 Menschen müssen hierzulande jährlich allein wegen Herzschwäche in ein Krankenhaus, und immer noch sterben jedes Jahr über 220 000 Menschen an einer Herzerkrankung.6

Dabei zeigt sich auch, so die Deutsche Herzstiftung, dass das Risiko, den Herztod zu sterben, in manchen Bundesländern höher ist, weil sie über weniger medizinische Infrastruktur verfügen. Und es schält sich eine neue Risikogruppe heraus: Frauen. Sie haben vermutlich ohnehin eine schlechtere Prognose, aber die bedrohlichen Symptome werden bei ihnen auch noch häufiger übersehen – eine geschlechtsspezifische Diskriminierung (siehe Seite 172 ff.).

Herztod immer noch auf Platz 1

Häufigste Todesursachen in Deutschland 2016 (in Tsd.)

Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis), 2019

Auf das Herz hören

Es geht also darum, das Herz zu schützen, bevor es krank wird, oder aber es zu unterstützen, wenn es schon geschädigt ist. Dies ist die Domäne der Naturheilkunde. Ihre Rolle ist nicht die des Lebensretters im Akutfall – dafür hat die Intensivmedizin potentere Mittel. Die Naturheilkunde aber kann Einfluss auf die Selbstregulation des Körpers nehmen, der ein erstaunliches Potenzial zur Selbstheilung hat. Sie bringt uns dazu, den Körper wieder aufmerksamer wahrzunehmen und seine Signale besser zu verstehen, um rechtzeitig reagieren zu können und nicht erst dann, wenn es zu spät ist. Sie lehrt uns auch, gut zu uns selbst zu sein. Davon wiederum profitiert unser Herz und fühlt sich mit uns wohl.

An meiner Klinik für Naturheilkunde und Integrative Medizin in Essen-Mitte betreuen mein Team und ich seit 1999 chronisch kranke Patienten, darunter auch solche mit Herz-Kreislauf-Krankheiten, Bluthochdruck, Diabetes und Metabolischem Syndrom. Unsere Klinik ist in Deutschland einzigartig: Vom damaligen nordrhein-west-fälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau angeregt, waren wir zunächst eine Modellklinik »auf Probe«, die fünf Jahre lang streng auf ihren Erfolg hin überprüft wurde. Wenn dieses Buch erscheint, haben wir bereits 40 000 Patienten behandelt und feiern unser 20-jähriges Jubiläum. Unsere Arbeitsweise ist fachlich interdisziplinär, wir alle sind zwar Experten für Naturheilkunde und andere traditionelle Heilverfahren, aber wir haben unterschiedliche fachliche Schwerpunkte. Ich selbst bin Internist, Nephrologe und Intensivmediziner, kenne also auch die Seite der Notfallmedizin, bei der das Herz eine wichtige Rolle spielt. Die kardiologischen Inhalte dieses Buches wurden außerdem noch von einem Facharzt, Dr. med. Ernst Girth aus Frankfurt, der viele Jahre ein Katheterlabor geleitet hat, kritisch gegengelesen, wofür ich mich an dieser Stelle ausdrücklich bedanken möchte.

Hand in Hand mit der Kardiologie

Diese Form der Zusammenarbeit ist kennzeichnend für die »Integrative Medizin«, wie sie seit rund 25 Jahren vor allem in den USA praktiziert wird. Sie bezeichnet die Zusammenführung von sogenannter Schulmedizin und traditionellem Heilwissen, das zunehmend wissenschaftlich erforscht wird – denn beide Seiten haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Gemeinsam aber, Schulter an Schulter sozusagen oder auch Hand in Hand, können sie ihre Potenziale zum Wohle des Patienten entfalten.

Dies ist also kein »alternativmedizinisches« Buch, keine Aufforderung an Sie, die Medizin hinter sich zu lassen und nur auf »die Natur« zu vertrauen. Angesichts der Kampagnen, die sogenannte Skeptiker und andere Gegner der Naturheilkunde in der Öffentlichkeit fahren, kann man das nicht oft genug betonen. Die moderne, wissenschaftlich geprüfte Naturheilkunde ist nicht gegen die Medizin, sie gehört selbst zur Medizin, seit Tausenden von Jahren. Sie nutzt nur häufig andere Wege, um Wirkung zu erzielen, und sie stellt nicht einzelne Organe wie das Herz in den Mittelpunkt, sondern den gesamten Menschen. Denn seine Biografie und seine Art zu leben haben, wie wir sehen werden, großen Einfluss auf das Wohlbefinden, auf Gesundheit und Krankheit. Sie haben ein ähnliches oder in vielen Fällen sogar mehr Gewicht als Medikamente, die verschrieben werden, zumindest langfristig.

Wie durch ein Wunder

Wäre es nicht wunderbar, wenn wir lernen könnten, den »inneren Arzt«, von dem schon Hippokrates sprach, wieder in uns zu wecken? Dean Ornish, einem Star in der Riege der US-amerikanischen Kardiologen, ist das gelungen. Der Arzt, von dem der herzkranke Ex-Präsident Bill Clinton sagt, er verdanke diesem sein Leben, hat es durch eine strikte Kombination von veganer Ernährung, Bewegung und Entspannung geschafft, dass sich verengte Herzkranzgefäße wieder geweitet haben – ohne weiteren Kathetereingriff und Bypass.

Es war schon ein strenges Regime, das Ornish Bill Clinton wie vielen anderen Patienten über Monate auferlegte: vegane Ernährung, so gut wie ohne jedes Fett, täglich mindestens eine halbe Stunde meditieren und eine Stunde lang einen Spaziergang oder eine andere Form moderater Bewegung, außerdem psychosoziale Gruppenunterstützung und anfangs auch Rückzug vom Alltagsstress. Dieser Aufwand mag vielen von Ihnen als nicht leistbar erscheinen, oder Sie trauen sich vielleicht nicht zu, so ein Programm durchzuhalten. Aber Ornish zeigte bereits 19907 – und zum ersten Mal wurde damit auch der wissenschaftliche Nachweis erbracht –, was wir mit unseren eigenen Kräften erreichen können, wenn wir die Motivation dazu haben: Bei 82 Prozent seiner Probanden hatte sich die Engstelle der Arterie nach einem Jahr geweitet – die »Verkalkung« bildete sich also durch einen anderen Lebensstil zurück (mehr dazu auf Seite 90 f.).

Interessant ist auch, dass Herbert Benson vom Massachusetts General Hospital in Boston – ein weiterer Pionier einer Disziplin der modernen Naturheilkunde, der Mind-Body-Medizin (siehe Seite 163 ff.) – ebenfalls Kardiologe ist. Aus der Motivation heraus, etwas gegen schädlichen Stress zu tun, entwickelte er Programme, die den Körper gezielt in einen Zustand der Entspannung versetzen können – durch Atmung und Konzentration (siehe auch Seite 170).

Mythen und Fakten

Stressreduktion, eine herzgesunde Ernährung und regelmäßige Bewegung sind Säulen der Naturheilkunde. Das klingt auf den ersten Blick banal, ist es aber nicht – denn sonst hätten wir nicht so viele Herzkranke in Deutschland. Was also hält uns nun davon ab, unser Herz zu schützen?

Zum einen sind es sicher verwirrende Informationen, denn jede Woche geistern eine neue Ernährungstheorie und ein anderes Wundermedikament durch die Medien. Aber wussten Sie, dass es gar nicht nur bestimmte Fette sind, die das Herz bedrohen, sondern auch tierisches Eiweiß? Dass seelische Belastungen viel mehr Einfluss auf das sensible Organ haben, als man es bisher für möglich hielt? Wussten Sie auch, welche Rolle der Placebo-Effekt für das Herz spielen kann? Und dass ein Waldspaziergang das vegetative Nervensystem mehr beruhigt als ein Cardio-Training im Fitnessstudio?

Gegen 90 Prozent der Herzrisiken können wir selbst etwas tun, indem wir unseren Lebensstil bewusst gestalten (mehr dazu später). Das bedeutet aber kein Leben bei Wasser und trocken Brot – im Gegenteil. Ich bin mir sicher: Wenn Sie den Empfehlungen in diesem Buch folgen, werden Sie feststellen, dass Sie mehr Lebensqualität gewinnen und Ihre Gesundheit auf vielen Ebenen davon profitiert. Denn die moderne Naturheilkunde bietet stets mehrere Ansatzpunkte für positive Veränderung, und das ermöglicht, dass Sie Ihren ganz eigenen Weg zu mehr Gesundheit finden und entwickeln können. Lassen Sie also Ihr Herz sprechen, und hören Sie auf seine Stimme!

Wichtiger Hinweis

Dieses Buch kann keine Therapieempfehlungen für individuelle Personen geben, sondern versucht zu beschreiben, was jeder von uns für sein Herz tun kann, um es zu stärken und gegen die Herausforderungen des Alltags zu wappnen. Menschen, die bereits wegen eines Herzleidens in kardiologischer oder hausärztlicher Betreuung sind, können natürlich auch von den Inhalten dieses Buches profitieren. Ich bitte Sie aber, Veränderungen Ihres Lebensstils oder Selbsthilfemaßnahmen mit Ihrem Arzt abzusprechen, da sie Auswirkungen zum Beispiel auf Ihre Medikamenteneinnahme haben können. Das Herz ist zu wichtig, um damit zu experimentieren. Am besten wäre es natürlich, wenn Sie einen naturheilkundlich orientierten Kardiologen zuziehen könnten. (Regionale Hinweise finden Sie auf https://www.naturheilkunde.de.)

Kardiologen haben keine Zeit zu sprechen

Es wäre sicher ein Vorurteil, zu behaupten, dass Kardiologen die Technikfanatiker unter den Medizinern sind und den Menschen nur als Maschine sehen, den man warten und optimieren kann. Aber innerhalb unseres Gesundheitssystems hat es sich irgendwie dahin entwickelt – sicher auch als Folge unserer international starken Medizintechnik-Industrie –, dass die Herzmedizin in hohem Maße technikdominiert ist, von der Diagnostik bis hin zur Therapie. Gegen exzellente Medizintechnik ist erst mal nichts zu sagen, wenn es nicht bedeuten würde, dass dabei andere Bereiche der Herzmedizin unterbelichtet blieben, die Psychosomatik zum Beispiel. Und das habe ich selbst erlebt. »Wenn bei mir ein Patient ein Gespräch braucht«, sagte mir ein kardiologischer Kollege, »dann mache ich einen Ultraschall, den kann ich wenigstens abrechnen. Und während der Untersuchung können wir dann reden.«

»Ah, jetzt kommt das wieder. Der Patient braucht mehr ›Zuwendung‹!«, höre ich schon den einen oder anderen Kollegen spotten, denn das ist ein Argument, mit dem die Erfolge der Naturheilkunde oft abgetan werden. Nur der erhöhte Zeitaufwand und auch das Interesse, das den individuellen Belangen der Patienten entgegengebracht wird, sorge für die Beliebtheit der Naturheilkunde bei den Patienten, heißt es dann oft. Wenn sie wirklich erkrankten, würden diese dankbar zur »richtigen« Medizin zurückkehren.

Zuwendung und Erwartung

Den herablassenden Unterton werden jedoch viele dieser Kollegen bald verlieren. Denn die Ergebnisse jüngster Forschung verdichten sich zu der Erkenntnis, dass von der Arzt-Patienten-Beziehung wirklich therapeutische Wirkung ausgeht und diese sich nicht nur in einem beruhigten Puls und kurzfristiger Entspannung erschöpft. Heilung sei nämlich weniger die Folge des Einsatzes irgendwelcher therapeutischer Instrumente, so Ted Kaptchuk, Professor für Globale Gesundheit und Sozialmedizin an der Harvard Medical School. Heilung sei vielmehr, zitiert ihn das New York Times Magazine, »eine Handlung, in der fürsorgliche Zuwendung verbunden mit Hoffnung zu einem klinischen Ergebnis«8 führe.

Was bedeutet das in der Praxis? Zum Beispiel, dass man sich viele der fast 900 000 jährlichen Linksherzkatheter-Untersuchungen und der über 350 000 Weitungen und Stützungen verengter Herzkranzgefäße9 allein in Deutschland sparen könnte.

Das Leben verlängern sie nur im Falle eines akuten Infarkts, wenn ein Gefäß und damit die Blutversorgung des Herzens blockiert ist, also ein Notfall vorliegt. Dann sind solche Eingriffe lebensrettend und ein Segen des Fortschritts. Das sind sie aber nur in etwa 20 Prozent der Fälle.10 Der internationale Vergleich scheint das zu bestätigen: Die Sterblichkeit an Herzkranzgefäß-Erkrankungen ist in Ländern, wo nur halb so viele Herzkathetereingriffe wie in Deutschland durchgeführt werden, in etwa gleich hoch.

Liegt kein akuter Infarkt vor, bringt der Eingriff nicht mehr als eine medikamentöse Therapie, lautet das aufsehenerregende Ergebnis des COURAGE Trial11, das bereits 2007 veröffentlicht wurde. Dieses Ergebnis wurde inzwischen auch durch eine große Metaanalyse – eine umfassende Auswertung vieler Studien zwischen 1970 und 2011 – bestätigt.12Herzkatheter als diagnostisches und präventives Mittel scheinen vor allem den Nutzen zu haben, dass sie die Vorstellung stärken, im Körper sei etwas freigeräumt worden. Eine Suggestion, die allerdings auch Komplikationen wie Blutungen und Thrombosen mit sich bringen kann.

Trotzdem wirkt die bildhafte Vorstellung: Wenn die Patienten von ihrem Arzt hören, dass ihre Gefäße geweitet wurden, und das zusätzlich noch auf dem Röntgenbild nachvollziehen können, dann berichten sie oft, dass ihre Symptome wie Enge in der Brust oder Atemnot verschwunden sind. Eine im renommierten Wissenschaftsjournal Lancet veröffentlichte Studie13 zeigte aber durch den Vergleich mit einer Gruppe, die nur eine Scheintherapie erhielt, dass sich die reale Leistungsfähigkeit des Herzens nicht verbessert hatte.

Schein-OPs am Herzen

Wie kann so eine Placebo-Therapie aussehen, werden Sie fragen. In diesem Fall wurden die Patienten natürlich darüber aufgeklärt, was in der Studie untersucht werden sollte. In welcher Gruppe sie dann aber waren, wurde ausgelost, und das Ergebnis blieb ihnen verborgen. Alle wurden in einen OP gefahren, erhielten in der Leistengegend einen kleinen Schnitt, und dann wurde eine Sonde in die Beinarterie eingeschoben. Bei 95 der 200 Probanden allerdings nur ein Stück weit und nicht bis zum Herzen. Nach dem Eingriff wurden jedoch alle mit der Mitteilung nach Hause entlassen, dass ihnen ein Stent – ein röhrenförmiges Implantat, das verengte Gefäße dehnen soll – gesetzt worden sei. Alle Patienten hatten Engstellen in ihren Herzkranzgefäßen, aber diejenigen mit dem eingebildeten Stent fühlten sich nach dem Eingriff genauso gut wie die mit dem echten. Auch die gemessene Leistung beim Belastungstest unterschied sich nicht.

Diese Studie wurde von verschiedenen Seiten kritisiert – wegen der kleinen Zahl an Probanden, aber auch, weil diese keine schweren Formen von Angina Pectoris hatten, und insgesamt keine Hochrisikopatienten zu der Gruppe zählten. Ohne Zweifel wäre es gut, die Befunde durch weitere Studien zu bestätigen. Rita Redberg, Professorin für Kardiologie an der University of California, dreht den Spieß der Argumentation allerdings um und verweist darauf, dass man solche Daten schon hätte erheben sollen, bevor man diese Techniken eingeführt hat. Denn die seien inzwischen millionenfach durchgeführt worden, mit hohen Kosten und ohne, wie sich nun herausstellt, Nachweis ihrer Wirksamkeit. In Deutschland gilt der Kathetereingrifflaut kardiologischen Experten bei einer stabilen Angina Pectoris als nicht angebracht. In der Praxis wird er dennoch häufig vorgenommen, was sicher auch daran liegt, dass inzwischen eine ganze Branche der Medizin ihr Geld damit verdient.

Das zeigt ein Vergleich zwischen den Therapiearten, gemessen auf Basis der Diagnosis Related Groups (DRGs), also der gesetzlichen Fallpauschalen: Ein zweitägiger stationärer Aufenthalt, um ein Medikament gut einzustellen, bringt einem Krankenhaus ungefähr 800 Euro, ein weiterer Tag plus einer bildgebenden Untersuchung durch einen Katheter (Koronarangiografie) 2100 Euro. Dasselbe Verfahren mit dem Legen eines Stents erwirtschaftet bereits 4700 Euro. Trotzdem zeigt eine Metaanalyse, die die Ergebnisse wissenschaftlich solider, ausgewählter Studien miteinander vergleicht, dass Stents bei einer sogenannten stabilen Angina Pectoris keinen Vorteil gegenüber einer Medikamententherapie bieten.14

In den USA, schreibt die Wissenschaftsautorin Gina Kolata in der New York Times, diskutieren Kardiologen bereits darüber, ob die Leitlinien, die Orientierung über die jeweils bestmögliche Therapieform geben sollen, nicht geändert werden müssten. Denn, so argumentieren die Stent-Kritiker: Atherosklerose ist ein diffuses Beschwerdebild. Heute kann man eine oder mehrere Engstellen weiten. Aber morgen blockieren die Arterien vielleicht an einer ganz anderen Stelle.15 Das belegt auch die erste deutsche Verlaufskontrolle, durchgeführt an rund 185 000 AOK-Patienten, die im Katheterlabor lagen: Bereits innerhalb eines Jahres hatte fast jeder Zehnte, dem ein Stent gesetzt worden war, eine neue und schwere Herzkomplikation. Fast doppelt so viele (17,9 Prozent) waren es bei denjenigen, die einen Stent aufgrund eines Herzinfarkts erhalten hatten.16

Das Drama der Behandlung

Das, worauf die Patienten so positiv reagieren, glaubt Kaptchuk, Chef des Placebo-Forschungsprogramms in Harvard, ist nicht das kleine Drahtgeflecht in dem Herzkranzgefäß, sondern das »Drama« des medizinischen Rituals – der weiße Mantel, der die Autorität des Arztes unterstreicht, das respekteinflößende Katheterlabor und nicht zuletzt der invasive Eingriff mit Schnitt und Sonde. Im Zentrum jedoch stehe eine Handlung zwischen zwei Menschen – die Behandlung. »Wie können wir unsere Forschungsbefunde den Ärzten klarmachen?«, fragt Kaptchuk und liefert die Antwort gleich mit: »Mit Molekülen. Daran glauben Mediziner.«

Die Molekularbiologin Kathryn Hall, die mit Kaptchuk zusammenarbeitet, hat jüngst im Zusammenhang mit einer riesigen Herz-Kreislauf-Studie eine sensationelle Entdeckung gemacht, die den Placebo-Effekt aus der psychologischen in die naturwissenschaftliche Wahrnehmung rückt. Und zwar handelt es sich um die Women’s Health Study, welche die Gesundheit von rund 40 000 Frauen seit mehr als 20 Jahren beobachtet. Unter anderem untersucht sie die Herzgesundheit von vier Gruppen von Frauen, die entweder zusätzlich zu ihrer Medikamentierung noch Vitamin E oder Aspirin, beides gemeinsam oder auch nur ein Scheinmedikament einnehmen. Hall und Kaptchuk nutzten die Gelegenheit dieser Riesenstudie, nach genetischen Mustern zu suchen, die dem Placebo-Effekt zugrunde liegen könnten. Denn aus der Hypnoseforschung weiß man zum Beispiel, dass bei einem Drittel der Menschen Suggestion sehr gut wirkt, während bei einem weiteren Drittel der Effekt stark von der Umgebung und der Tagesverfassung abhängt. Ein Drittel der Beteiligten lässt sich auch dann nicht hypnotisieren, wenn diese es gerne möchten. Würde man den Grad der Beeinflussbarkeit durch physische Besonderheiten erklären können?

Ein Enzym als Placebo-Erklärung

Die beiden Forscher nahmen das Enzym Catechol-O-Methyltransferase, kurz COMT, ins Visier, weil es anscheinend auf die Schmerzwahrnehmung Einfluss hat. Schmerzen sind ein subjektives Phänomen, wie ich in meinem Buch »Endlich schmerzfrei« beschrieben habe. Die Patienten reagieren häufig mehr auf die Vorstellung, sie hätten ein Schmerzmittel bekommen, als auf die chemischen Substanzen selbst, wie Studien des international renommierten Placebo-Forschers Fabrizio Benedetti von der Universität Turin für einige Analgetika belegen konnten.17

Und tatsächlich wurden Hall und Kaptchuk fündig: Das Enzym COMT scheint Einfluss auf den Placebo-Effekt zu nehmen, indem es in den Botenstoffwechsel im Gehirn eingreift. Es beeinflusst dort den Spiegel an Katecholaminen. Eines davon ist Dopamin, ein Botenstoff, der für Motivation und Belohnung wichtig ist. Wenig COMT, so die Ergebnisse der Messungen, führt zu mehr Dopamin und umgekehrt. Von den Placebo-Patienten reagierten vermutlich deshalb diejenigen am stärksten auf das Ritual der Behandlung, die geringe Mengen des Enzyms produzierten. Landeten sie per Los in einer Wartegruppe und wurden zunächst gar nicht behandelt, ging es ihnen folgerichtig auch am schlechtesten von allen.

Ein weiteres Indiz: Der Genabschnitt, der für die Produktion von COMT zuständig ist, heißt »rs4680«. Er variiert sehr stark von Person zu Person. Es könnte also sein, folgert Kathryn Hall, dass eine bestimmte genetische Prädisposition darüber bestimmt, wie einflussreich das Setting ist, der Rahmen also, in dem ein Medikament verabreicht oder eine Therapie durchgeführt wird. Jedoch ist »rs4680«, vermutet sie, nur einer von mehreren Faktoren in diesem »Placebom«, das grundlegenden Einfluss auf das für Gesundheit und Krankheit so zentrale Stressempfinden hat. Wir werden uns später noch genauer damit befassen (siehe Seite 132 ff.).18

Der Eingriff als Heilritual

Invasive Verfahren, bei denen also unmittelbar in den Körper eingegriffen wird, haben einen besonders hohen Placebo-Effekt. Das wird unter anderem immer wieder als Argument dafür angeführt, dass Akupunktur Wirkung hat, selbst wenn sie nicht an den traditionell überlieferten Punkten erfolgt. Das Prinzip gilt auch für eine Scheinspiegelung des Knies bei Arthrose. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) kam deshalb 2014 zu dem Urteil, dass eine wirklich durchgeführte Spiegelung nicht mehr nützt als eine Placebo-OP oder auch gar keine Behandlung.19

Von diesem Effekt eines Heilrituals profitiert auch der Herzkatheter. Allerdings nur kurzfristig, denn langfristig, zeigen die Studien, erhöht er die Lebenserwartung nicht.

Hintergrund: Was kann ein Katheter genau?

Für eine Koronarangiografie mithilfe eines Kontrastmittels wird über einen kleinen Schnitt in die Leisten- oder Unterarmarterie ein dünner Katheter eingeführt. Wird eine Engstelle (Stenose) gefunden, wird er gegen einen Ballonkatheter ausgetauscht. An dessen Ende befindet sich ein Ballon, über dem ein zusammengedrücktes Maschengitter (Stent) liegt. Beide werden bis zur Gefäßverengung vorgeschoben, dann wird der Ballon unter Druck gedehnt, um das Blutgefäß zu weiten. Dabei entfaltet sich das Maschengitter und wird zur Gefäßprothese. Der Druck liegt bei sechs bis zehn Bar, manchmal sind noch mehr nötig – ein Autoreifen hat, zum Vergleich, nur zwei Bar. Während des Eingriffs erhalten die Patienten gerinnungshemmendes Heparin, später Medikamente, welche die Verklumpung des Blutes hemmen (Thrombozyten- Aggregationshemmer).

Es besteht kein nachweisbarer Nutzen einer solchen Gefäßprothese (percutaneous coronary intervention, PCI) als präventive Maßnahme bei einer chronischen koronaren Herzkrankheit, also um einen Infarkt zu vermeiden. Bei einem akuten Herzinfarkt kann sie jedoch Leben retten. Liegt der Infarkt allerdings mehr als sechs bis zwölf Stunden zurück, gilt eine Gefäßöffnung nicht mehr als sinnvoll, weil das von diesem Kranzgefäß versorgte Gewebe zu stark geschädigt ist und sich das Blut andere Bahnen gesucht hat.20

Der Frankfurter Kardiologe Ernst Girth, der jahrzehntelang in einem Katheterlabor gearbeitet hat, bevor er sich zur Ruhe setzte und Zweitgutachter wurde, beschreibt die Eigendynamik, welche die Herztechnologie nahm: 1976, als die Ballonerweiterung minimalinvasiv möglich wurde, schienen nun auch einzelne Gefäßverengungen auf einfache Weise behandelbar. Bypässe – Überbrückungen von Gefäßengstellen – hatte man nur bei mehreren Stenosen gesetzt, weil sonst das Risiko den Nutzen überwog. Anfangs weitete man die Engstellen lediglich – mit dem Ergebnis, dass sich ein Teil der Gefäße innerhalb der ersten sechs Monate wieder verengte. Das konnte daran liegen, dass durch den hohen Druck eine Reizung des Gefäßes entstand, die das Immunsystem über zelluläre Prozesse zu reparieren suchte: Das Gefäß »wuchs« wieder zu. Diese Rate wurde zunächst mit zehn Prozent angegeben.

Zweifelhafte Stent-Erfolge

Zu Beginn der 1990er-Jahre wurden dann in den USA die ersten Stents zugelassen. Dies führte zu einer wundersamen Vermehrung der Wiederverengung, der Restenose. Für die gute alte Ballonerweiterung, kritisiert Girth, lag die Rate dieser Komplikation laut Studien plötzlich bei 21 Prozent: »Wer aber einen Stent setze, riskiere nur bei zehn Prozent der therapierten Gefäße einen Rückfall.«21 2002, als mit Medikamenten beschichtete Stents in Deutschland auf den Markt kamen, die durch ihre Wirkstoffe die Wiederverengung verhindern sollten, erhöhten sich laut Girth erneut die Versagerquoten der inzwischen als veraltet angesehenen Technologie auf über 20 Prozent, und die um ein Vierfaches teureren Drug-eluting Stents (DES) wiesen nur zwischen zehn und 14 Prozent Versagerquoten auf.22 Später zeigte sich dann, dass auch die beschichteten Stents ihre Probleme hatten, weil sie mit dem Zellwachstum an der behandelten Stelle die Wundheilung bremsten. Das offen liegende Metall der Gefäßprothese aber ist ein Thromboserisiko. Um das zu senken, müssen die betroffenen Patienten ein Jahr lang gerinnungshemmende Medikamente einnehmen, die insbesondere bei Operationen oder Unfällen wiederum neue Risiken mit sich bringen.

Während Wolfgang Dißmann, Initiator des Deutschen Herzzentrums Berlin, schon 2002 darauf hingewiesen hatte, dass Kathetereingriffe in Deutschland häufig keine therapeutische Relevanz hätten und weit häufiger vorgenommen würden als in anderen Ländern der Welt, hat sich das Bild nur wenig geändert, im Gegenteil.23 Und obwohl auch der Sachverständigenrat Gesundheit die Praxis der Katheterisierung kritisch hinterfragt hatte,24 stieg die Zahl der Eingriffe zwischen 2001 mit 3900 Koronarangiografien pro einer Million Einwohner in Deutschland auf 6240 im Jahr 2009 an. Deutschland führt im Vergleich mit anderen OECD-Staaten immer noch die meisten Katheteruntersuchungen durch.25

Der deutsche Kardiologe Frank A. Flachskampf, Professor an der Universität Uppsala, führt das unter anderem auf das deutsche Abrechnungssystem mit diagnoseabhängigen Fallpauschalen (DRG) zurück.26 Von der Idee her sollten sie teure Eingriffe nur ermöglichen, in der Praxis aber werden sie geradezu zum Treiber der Apparatemedizin – vor allem deshalb, weil diese viel besser honoriert wird als nicht-invasive Verfahren wie Stresstests oder bildgebende Verfahren (Cardio-CT). In den Jahren 2002 bis 2012, so Flachskampf und Kollegen, sei die Zahl der Katheterlabore von 234 auf 830 angestiegen, die Rate der Koronarangiografien habe sich vervierfacht und die Zahl der Stents sogar verzehnfacht.27

Deutschland macht die meisten Herzkranzgefäß-Eingriffe in der OECD – ohne bessere Ergebnisse

Quelle: European Society of Cardiology, 2013

Jetzt könnte man argumentieren, dass das Land der Dichter und Denker wie auch der Ingenieure eben besonders fortschrittlich sei. Irrtum. Im Vergleich zu den Niederlanden, die vergleichbar in Altersstruktur, Lebensstil, Bruttosozialprodukt und dem Gesundheitssystem sind, werden in Deutschland rund viermal mehr Katheterinterventionen durchgeführt, und trotzdem sterben im Verhältnis mehr als doppelt so viele Menschen an einer ischämischen Herzkrankheit (siehe Grafik links).

Die Flatrate für invasive Eingriffe sei also kontraproduktiv, so die kritischen Kardiologen, denn sie bestrafe letztlich konservatives medizinisches Vorgehen. Deshalb müsse die »Finanzlogik« dringend mit medizinischer Vernunft zur Deckung gebracht werden. Bis heute ist das noch nicht erfolgt.