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Als Benedetta plötzlich Angelo den Laufpass gibt, um ihn zu demütigen, schockiert sie beide Familien tief. Seine Lebenspläne erscheinen ihr offenbar nicht lukrativ genug. Sie begreift allerdings rasch, nun auf das falsche Pferd gesetzt zu haben. Da zerreißt ein Schuss die abendliche Stille ...
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Seitenzahl: 143
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Die Söhne ihrer Väter
Pech zu Gold machen
Sieg auf ganzer Linie
Echte Dankbarkeit
Eifersucht
Powerfrau Benedetta
Der Antrag
Herausforderungen
Freudenfeste
Paukenschläge
Es ist sieben Jahre her, dass Lea das Weingut der Bertinis übernommen und Schritt für Schritt auf Vordermann gebracht hat. Giovanni lässt ihr freie Hand und ist nur beratend tätig, wenn sie darum bittet. Die wachsenden schwarzen Zahlen sind eindeutige Gütesiegel für Leas hervorragende Arbeit.
Heute gönnen sich beide eine Auszeit, denn sie wollen mit den Familien der engsten Freunde den Schulbeginn ihres Sohnes Giordano und Manueles Sohn Angelo feiern. Oma Klara und Opa Leopold sind natürlich auch aus Deutschland angereist, denen der hochbetagte Mario Rosso, unentbehrlicher Helfer der Familie, als Übersetzer zur Seite steht.
Wie immer folgt Angelo, Dr. Manuele Riccis Sohn, Giordano wie ein Schatten, denn er meint es todernst, Fremdenführer, wie einst Mario, werden zu wollen. Und er spricht schon genau so gut deutsch wie sein Freund Giordano, der zweisprachig aufwächst. Klar, dass er sich erstklassig mit den Minnichs, Leas Eltern, unterhalten kann, die den aufgeweckten Knaben fest ins Herz geschlossen haben.
Einer der Gründe, aus denen ihn Dr. Ricci stets mit nach Deutschland fliegen lässt, zumal man Angelo und seinen Freund Giordano einfach nicht trennen kann.
„Außerdem müssen wir Großen dort auf Benedetta aufpassen“, erklärt Angelo stets im Brustton der völligen Überzeugung. Zudem steht für ihn felsenfest, Benedetta eines Tages zu heiraten, wie er es geschworen hatte, als sie noch ein Baby gewesen war.
Die Contis haben sich daran gewöhnt, seit ihre Tochter geboren ist, drei Kinder im Haus zu haben. Benedetta genießt es, zwei große Beschützer an ihrer Seite zu wissen, was die Eltern nicht nur mit Freude erfüllt. Denn ihre Tochter beginnt, sich zu einer kleinen Diva zu entwickeln, die, wenn Mama und Papa es nicht sehen können, all ihre Wünsche mit Hilfe der Knaben durchzusetzen versucht. Sie hat nur nicht mit dem Gerechtigkeitssinn der beiden Freunde gerechnet, die ihr unabhängig voneinander immer öfter Bitten abschlagen, besonders dann, wenn andere unverschuldet das Nachsehen hätten. Dass sie sich jegliche Versuche sparen kann, ihren Bruder und Angelo gegeneinander auszuspielen, begreift sie rasch. Die beiden klären, statt sich zu prügeln, alles in Gesprächen, wie sie es von ihren Eltern gelernt haben.
So, wie sich Angelo vorgenommen hat, der berühmteste Fremdenführer weit und breit zu werden, setzt Giordano alles daran, einmal die Weinberge seiner Eltern zu übernehmen. Wo es Wissen zu holen gibt, nehmen sie es mit, wie Giovanni es stets voller Zufriedenheit auszudrücken pflegt. Benedetta hingegen scheint an nichts besonderes Interesse zu haben, außer von ihrem Bruder und Angelo hofiert zu werden, wenn immer es geht. Schule betrachtet sie als notwendiges Übel, bemüht sich aber um gute Noten, um sich vor Giordano und Angelo nicht zu blamieren. Mit der Kreativität ihrer Mutter hat sie ebenfalls nichts am Hut. Basteln ist Arbeit. Wenn sie kreativ wird, dann nur beim Flunkern.
So auch an jenem Tag, als die inzwischen neunjährige Benedetta Giordano aufstacheln wollte, indem sie behauptete: „Angelo hat mich zur Hofpause eine dumme Ziege genannt!“
Giordano musste sich das Grinsen verkneifen, als er antwortete: „Dann hat er sicher mehrere Gründe gehabt.“
Benedetta blieb regelrecht der Mund offen stehen, weil sie ihr Bruder mit diesen Worten einfach sitzen ließ und sich zu Angelo aufmachte, um mit ihm und einigen Schulkameraden Fußball zu spielen.
„Hat die Prinzessin wieder mal nicht ihren Willen bekommen?“, schmunzelte Giovanni, als Benedetta mit finsterem Gesicht durchs Haus trabte.
Lea hob die Schultern. „Scheint so. Ich bewundere die Gelassenheit der Jungen. Sie kann wirklich keinen von beiden provozieren.“
„Worum ging es diesmal?“
„Habe ich nicht mitbekommen, werde aber auch ganz bestimmt nicht nachfragen“, gab Lea bekannt.
Giovanni nahm sie in den Arm. Lea schmiegte sich mit geschlossenen Augen an ihn. „Alles wird gut“, flüsterte er, sanft ihren Rücken streichelnd.
„Wenn du das sagst, glaube ich es“, wisperte sie.
Giovanni hob sie hoch und setzte sich mit ihr auf dem Schoß in die Sofaecke des kleinen Salons. „Wir haben immer alles gemeinsam irgendwie zum Guten gewendet. Das werden wir auch diesmal tun, egal ob privat oder im Job.“
Lea zog die Nase hoch und schmiegte sich noch fester an.
„Es hat alle hart getroffen, auch die Genossenschaften. Dass meine Weinberge so glimpflich davongekommen sind, grenzt an ein Wunder“, erklärte Giovanni leise. „Ich kann dich sehr gut verstehen, ich bin ja genau so frustriert.“
„Ja, ich weiß“, seufzte Lea. „Du kannst halt besser damit umgehen als ich.“
„Versuchen wir, dem verheerenden Hagelsturm etwas Positives abzugewinnen“, schlug Giovanni vor. „Dein Weinberg hat von Anfang an Gewinne eingefahren. Du hast Rücklagen. Dein Personal ist hochmotiviert. Das heißt, dein Weingut wird das eine Jahr Verlust wirtschaftlich überleben. Na siehst du, schon lächelst du“, freute er sich.
„Ich werde das Areal der Tafeltrauben für Selbstleser freigeben. Ein Obolus von fünf Euro und sie können einsammeln, was noch zu verwerten ist“, murmelte Lea. „Da können sich meine Leute über die Trauben zum Vergären hermachen und retten, was noch zu retten ist, ohne sich um das Aufräumen des restlichen Chaos‘ kümmern zu müssen.“
„Fantastische Idee!“, rief Giovanni erfreut. „Schlimmeren Schaden, als ihr jetzt schon habt, können die Sammler kaum anrichten.“
„Ganz meine Überlegung“, erwiderte Lea. „Ein paar kleine Hinweise auf einem Schild, die Reben nicht vorsätzlich zu beschädigen, dürften genügen. Das hat bisher ja auch funktioniert, wo Spaziergänger heimlich naschten. Ach, es ist schon ein Elend, wenn man zusehen muss, wie wenige Tage vor der Ernte alles vom Hagel kurz und klein geschlagen wird.“
Giovanni drückte sie noch einmal tröstend an sich, ehe sie ins Büro eilen wollte, um sich mit ihrem Kellermeister und den Winzern abzusprechen.
„Essig! Wir werden Essig aus den unreifen Trauben auf dem Areal genau daneben produzieren! Limitiert, wie alle meine Sonder-Editionen!“, rief Lea plötzlich. „Verpackt mit einem Olivenholz-Armband oder einer Tuchspange. Und ich werde Bergkristall-Kugeln zwischen die Holzperlen setzen – als Hagelsturm-Edition. Basta!“
„Das ist genial“, flüsterte Giovanni beeindruckt. „Ja, das ist echt genial.“
Lea eilte zufrieden lächelnd davon.
Giordano hatte, als das Unwetter niederging, mit geballten Fäusten am Fenster gestanden, immer wieder auf seiner Smartwatch das Regengebiet beobachtet und die Bilder der Livekameras auf Mutters Weinberg gecheckt. Was er vor sich hin murmelte, hatten die anderen nicht wirklich verstanden. Es klang aber wie eine Beschwörung des Wettergotts. Am Ende schlug er die Hände vor das Gesicht und streichelte beim Hinauslaufen Mutters Arm.
„Er ist wahrlich Vaters Sohn“, hatte Lea dankbar festgestellt, worauf Giovanni freudig nickte.
Vaters Sohn war Giordano nicht nur charakterlich – auch optisch schien er das glatte Ebenbild zu werden.
„Er ist ein Conti“, sagte Lea im Brustton der Überzeugung, denn die Ahnengalerie deutete auffallend darauf hin, dass sich die männlichen Mitglieder der Familie beinahe in jedem Detail glichen. Aus den Chroniken wusste sie, dass diese von Kindesbeinen an mit Herzblut an den Weinbergen gehangen hatten.
Giordano steckte bevorzugt zwischen Mutters Reben, weil das Weingut praktisch vor der Haustür lag. Der Kellermeister hatte sich schnell daran gewöhnt, hin und wieder einen kleinen Schatten zu haben, der meist nur stumm beobachtete, was mit den Trauben geschah. Er fühlte sich dadurch keineswegs überwacht, was er auch Lea auf ihre besorgte Nachfrage erklärte. „Früh krümmt sich, was ein ordentlicher Haken werden will“, schmunzelte er. „Wenn er Dinge anspricht, die ihm Kopfzerbrechen bereiten, schaue ich genau da lieber zwei Mal hin. So hat er auch als Erster die Rebläuse entdeckt, ehe sie sich auf mehrere Pflanzen ausbreiten konnten.“
„Darüber hat er gar nichts erzählt“, staunte Lea.
Der Kellermeister lachte. „Es ist ‚sein‘ Berg, da ist es für ihn offenbar ganz normal, Hand anzulegen und Schaden abzuwenden.“
Die Beobachtungen der Contis, wie er auf das Unwetter reagiert hatte, bestätigten das.
Auf dem Weg zum Fußballplatz fragte Giordano plötzlich Angelo: „Hast du meine Schwester wirklich eine dumme Ziege genannt?“
Der schaute ihn völlig verdattert an. „Ich hab was?!“
Giordano winkte ab. „War ja klar, dass es nicht stimmt.“
„Jetzt hätte sie es zumindest verdient, über sowas nachzudenken“, grollte Angelo.
Giordano lachte und wiederholte seine Antwort an Benedetta, worauf sich beide breit angrinsten und das Thema abhakten.
Am Fußballplatz blieben sie stehen, die wenig einladende Matschfläche mit zusammengezogenen Augenbrauen betrachtend.
„War wohl nix“, murmelte Angelo. „Und nun?“
„Wir könnten rüber zum Berg fahren und ein paar Trauben für zu Hause sammeln“, schlug Giordano vor.
Angelos Miene hellte sich auf. „Klingt gut.“
Giordano zückte sein Handy. „Ich frag mal nach.“
Augenblicke später hatte er die Genehmigung seiner Mutter, die auch den Winzern Bescheid gab, beide sammeln zu lassen, soviel sie mochten. Die Verhaltensregeln beherrschte Giordano im Schlaf, Angelo werde sich strikt daran halten, was ihm sein Freund erklärte.
Der schaute mit völligem Entsetzen schon aus dem Bus heraus den verwüsteten Weinberg an. „Ach du großer Gott! Das ist ja viel schlimmer, als ich es mir bei den Nachrichten im Fernsehen vorgestellt hatte! Ist hier überhaupt noch was zu retten?“
„Nicht viel“, erwiderte Giordano bedrückt, „obwohl ich sicher bin, dass meine Ma einen Weg findet, irgendwas aus dem Chaos machen zu können.“
Angelo nickte. „Ja, sie ist genial. Das sagt auch mein Vater. Er lauert in jedem Jahr, was sie sich für die Palio-Editionen einfallen lässt. Oder für Weihnachten.“
Beide nahmen jene Kunststoffbeutel aus den Rucksäcken, welche für die schmutzigen Fußballschuhe vorgesehen waren, und begannen vorsichtig, die einzelnen an den Rebstöcken hängenden Weinbeeren zu pflücken.
Eine halbe Stunde später kamen mehrere Winzer, begrüßten die Freunde und sammelten zwei Reihen neben ihnen ebenfalls ein, was noch verwertbar war. Aus den Unterhaltungen der Männer erfuhren die Jungen, dass Mutti Lea vorhatte, in kleinen Mengen Essig zu produzieren.
„Der hat keinen Alkohol“, überlegte Giordano laut, Angelo bedeutsam anschauend.
Dieser wusste sofort, was sein Freund meinte, nickte heftig und rieb sich die Hände. „Wieder was Ungewöhnliches, wo die anderen lange Gesichter bekommen werden.“
Als nichts mehr in die Rucksäcke passte, ohne zerquetscht zu werden, verabschiedeten sich die beiden von den Winzern und begaben sich nach Hause, wobei Giordano auf dem Weg von der Bushaltestelle zum Wohnhaus immer schneller wurde. Ihm brannte eine Idee auf den Nägeln, die er seinen Eltern rasch mitteilen, aber sicher sein wollte, dass niemand mithörte.
Er rannte die Treppe hinauf, zog Schuhe und Jacke aus, trug den vollen Traubenbeutel in die Küche und rief, so dass es in der ganzen Wohnung schallte: „Ich habe eine Idee!“
Mutter Lea nahte aus dem kleinen Salon, Vater Giovanni aus der Bibliothek.
„Ich habe eine Idee!“, wiederholte Giordano atemlos. „Ich habe auf dem Berg gehört, dass ihr Essig machen wollt. Und weil da kein Alkohol drin ist, könnte man den doch zu Weihnachten mit einem Kinderspielzeug verkaufen. Mit einem Perlenpüppchen oder so einer Blüte zum Anstecken, wie Mama für Angelos Schwestern gebastelt hat, zum Beispiel. Und Tiere als Handyanhänger für die Größeren, kann man sich ja auch um den Hals bammeln, weil sie wunderschön sind.“
„Das ist grandios! Winzige Herzchen mit Karabiner als Anhänger für Charmarmbänder, wären auch möglich.“, flüsterte Lea, nach einem schnellen Blickwechsel mit Giovanni, dem der Stolz auf Giordano aus dem Gesicht leuchtete.
„Ich habe nicht telefoniert, damit niemand die Idee klauen kann. Angelo petzt es ganz bestimmt nicht aus“, gab Giordano noch bekannt, einmal tief durchatmend, um nun endlich zur Ruhe zu kommen.
„Hast du gut gemacht“, lobte Giovanni.
Manuele rief an, um sich für die Weintrauben zu bedanken, wobei er gleich mit nachfragte, wie er ihnen in der momentanen Situation helfen könne.
„Wir haben die Schockstarre überwunden“, erklärte Giovanni. „Mutter und Sohn haben sich konspirativ zusammengetan, um das kleine Licht am Ende des Tunnels nicht aus den Augen zu verlieren.“
„Oh, dann gutes Gelingen. Angelo scheint schon überzeugt zu sein, dass ihr was Grandioses aus dem ganzen Schlamassel machen werdet.“
„Na, da wollen wir ihn auch nicht enttäuschen“, lachte Giovanni vergnügt.
Am dritten Tag der Katastrophen-Lese konnten die Winzer endlich eine Prognose wagen, wie viele Liter Essig es mindestens werden würden. Lea plante Flaschen, Etiketten und was noch in die Beutel kommen werde.
Kurz vor dem Mittag meldete sich Antonio bei ihr. „Du solltest vorsichtshalber eine neue Firma für den Essig anmelden. Sicher ist sicher.“
„Ich bin jetzt nicht wirklich überrascht“, seufzte sie. „Giovanni hatte mich vorgewarnt. Kannst du bitte ...“
Weiter kam sie nicht, da schmunzelte Antonio auch schon: „Bin in einer halben Stunde bei dir, um die nötigen Unterschriften einzuholen.“
Giovanni hob mit breitem Grinsen die Schultern. „Er ist einfach der Beste. Ich bestelle gleich mal Mittag für sechs Personen per Lieferservice.“
Lea küsste ihn zärtlich. „Du bist auch der Beste. Ich liebe dich.“
Giovanni lächelte stumm, sie fest an sich drückend. Sie war nach so vielen Jahren noch immer der eine Baustein, der sein Leben erst komplett machte.
Die Erwachsenen brüteten im Büro über den Formularen, als die Kinder aus der Schule kamen. Giovanni bemerkte in den Bildern der Überwachungskameras, dass Angelo fehlte, der normalerweise immer mit bei ihnen aß, zusammen mit den beiden anderen die Schulaufgaben löste, ehe er nach Hause ging. Benedetta trabte mit finsterem Gesicht einen Schritt hinter Giordano her. Antonio grinste, eine Hand schüttelnd, als habe er sich verbrannt.
„Das geht seit Tagen so“, seufzte Lea. „Und keiner der drei lässt irgendeine Bemerkung fallen. Mich irritiert allerdings, dass Angelo nicht bei ihnen ist.“
Giovanni war schon dabei, ein Gedeck beim Lieferservice abzubestellen. „Puh, gerade noch zur rechten Zeit“, rief er.
Antonio packte die Papiere zusammen, welche trotz der Onlineanmeldung der neuen Firma eingereicht werden mussten. Lea beeilte sich, die Tafel im kleinen Salon zu decken.
„Hallo, Onkel Antonio“, strahlte Giordano beim Anblick des Rechtsanwaltes, gern die feste Umarmung erwidernd.
Benedetta wirkte fast verschüchtert, als er ihr blinzelnd auf die Nase tupfte. Lea und Giovanni hoben für einen Wimpernschlag die Augen. Da klingelte es, Lea ließ die Servicemitarbeiter des Restaurants ein und schloss die Tür, als sie gegangen waren.
Jetzt erst sagte Giovanni: „Heute ohne Angelo? Was ist passiert?“
Benedetta schaute zu Boden, während ihr Bruder mit einer Kopfbewegung auf sie antwortete: „Fragt am besten die Märchenerzählerin.“
Antonio pfiff erstaunt durch die Zähne. Harte Worte.
„Vier Tage dürften ja wohl reichen, um auf eine Entschuldigung zu warten“, fügte Giordano hinzu, sich an den Tisch setzend.
Benedetta senkte den Kopf und schaute ihn an, als müsse sie gleich weinen.
„Das zieht nicht mehr“, erklärte Giordano. „Löffle die Suppe selber aus, die du dir eingebrockt hast. Ich bin dein Bruder, nicht dein Lakai.“
„Ohhhaaa“, rutschte es Antonio heraus. Wenn der ruhige Giordano so reagierte, musste sich Benedetta eine wirklich große Dummheit geleistet haben.
„Ich schätze, es ist eine Angelegenheit, die ihr selber klären könnt“, merkte Giovanni an, allen einen guten Appetit wünschend.
Giordano nickte einmal kurz, Antonio kaum merklich. Auch in solchen Dingen war der Sohn das ganze Abbild seines Vaters. Der hatte ebenfalls von klein auf, alles ruhig und besonnen selber geregelt. Lea tauschte einen langen Blick mit Giordano, der sie beruhigte und ihm zu verstehen gab, richtig zu handeln. Die Allüren der Prinzessin schrien hin und wieder regelrecht nach einem Dämpfer. Dass sich Angelo nicht auf der Nase herumtanzen ließ, und sie nun sogar durch Abwesenheit strafte, war ein neues Level.
Giordano ließ sich mit verklärtem Blick die Tagliatelle mit Steinpilz-Sahne-Soße schmecken. Er wusste, dass dies das absolute Lieblingsessen seiner Mutter war, das meist auf den Tisch kam, wenn sie etwas Besonderes zuwege gebracht hatte. Beim Pistazienpudding-Dessert wandte er sich an Antonio: „Du bist sicher wegen des Hagelschadens hier.“
„Richtig“, gab der freimütig bekannt. „Wegen einiger kleiner Feinheiten, damit deine Mama ganz beruhigt eure gemeinsamen Ideen umsetzen kann.“
„Ahhh, prima. Ja, das ist richtig gut“, murmelte Giordano zufrieden.
Benedetta riss die Augen auf. Sie hatte in den Gesprächen einiger Erwachsener aufgeschnappt, dass ihr Bruder bereits als junger Herr des Weinberges ihrer Mutter agierte, das aber als völlige Übertreibung abgetan. Wenn ein Rechtsanwalt dies hier soeben bestätigte, dann sollte sie das wohl sehr ernst nehmen. Genau so ernst wie die Worte Giordanos, der, so wusste sie als seine Schwester, noch nie gelogen hatte. Ganz im Gegensatz zu ihr.
„Du darfst es gern schon weitertragen, dass deine Ma eine limitierte Weihnachtsedition Essig mit Beipack auch für Kinder vorbereitet“, hörte sie Onkel Antonio zu Giordano sagen, worauf ihre Augen geradezu riesig wurden. Ihr Bruder war noch nicht mal ganz 13! „Du darfst es natürlich auch den anderen erzählen“, blinzelte ihr Antonio zu. Benedetta nickte stumm, aber mit einem erfreuten Lächeln.
Sie ahnte nicht, welche Privilegien sich ihr Bruder durch seine ruhige und besonnene Art noch erarbeitet hatte. Er war über den jahrhundertealten Geheimgang zwischen Wohnhaus und Garage in Kenntnis gesetzt worden, nutzte ihn rege, wenn er schnell in den unteren Bereich des Wohnviertels gelangen wollte, und schwieg wie ein Grab jedem gegenüber.
Selbst Angelo blieb außen vor, weil niemand Giordano ermächtigt hatte, Ausnahmen zu machen. Giovanni hatte am Anfang stichprobenartig die Überwachungsvideos gecheckt, festgestellt, dass sein Sohn peinlichst genau alle Absprachen einhielt und sich diese Mühe schließlich mit ruhigem Gewissen gespart. Giordano stand immer zu seinem Wort.
„Ich gehe zu Angelo wegen der Hausaufgaben“, erklärte Giordano, als die Tafel aufgehoben wurde.
„Nimmst du mich bitte mit?“, fragte Benedetta zaghaft und setzte auf seinen skeptischen Blick rasch hinzu: „Ich ... ich habe etwas zu erledigen.“
„Wenn ihr wollt, fahre ich euch rüber“, erbot sich Antonio. „Es liegt direkt auf meiner Strecke.“