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Kurz bevor Lynn und Nick auf Falconettis Einladung nach Costa Rica fliegen, lernt Nicks Vater eine Frau kennen, die sich Emilia Galotti nennt. Bei Lynn schalten alle Warnlampen auf Dunkelrot, denn sie muss sofort an das gleichnamige Drama von Lessing denken. Ob der Name Zufall oder Absicht ist, weiß keiner, aber Vincenzo verspricht, vorsichtig zu sein, solange die beiden im Urlaub sind. Und er tut gut daran.
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Seitenzahl: 159
Flugzeuge und fliegende Augen
Marco, das Multitalent
Emilia Galotti
Vincenzo am Ball
Füreinander geschaffen
Große Pläne
Nägel mit Köpfen
Weihnachten in Familie
Es ist erst ein paar Tage her, dass Lynn direkt zu Nick in die Wohnung gezogen ist, wobei sie den durch Mario Bianchi, alias Medea Tozzi, geraubten Schmuck entdeckt hatte. Dass es ihr überdies gelungen war, den Verbrecher an die Behörden zu übergeben, feierten betrogene Männer in drei Ländern, denen der geniale Travestiekünstler als vermeintliche Ehefrau an Gut und Leben gegangen war. Der Reporter Marco Falconetti, von dem die Fotos stammten, nach denen Lynn den Heiratsschwindler entlarvt hatte, und dessen Namen sie ausdrücklich betonte, hat begonnen, das Buch über Lynn und Nick zu schreiben. Wobei er nicht vergisst, dass er ihnen als Dankeschön einen Trip zu den südamerikanischen Fledermaushöhlen versprochen hat.
Nick schwebt auf Wolke sieben, seit Lynn das Erste ist, was ihm jeden Morgen beim Aufwachen vor die Augen kommt. Die Ideen sprudeln, Stifte und Pinsel laufen fast von allein über den Malgrund. Lynn genießt den Zustand genau so sehr. Es macht ihr Spaß, für zwei zu sorgen, zumal ihr Nick jeden Wunsch von den Augen abliest. Lynns ehemalige Wohnung ist nun Handarbeitstreffpunkt, Schulungszentrum und Werkstatt in einem, wo auch Garne und Zubehör verkauft werden.
Ihre Schmuckkreationen werden mit Nicks Arbeiten zusammen ausgestellt und angeboten, was zu beiderseitigem Vorteil ist. Dafür besteht ein direkter Zugang von einem Teil des gemeinsamen Geschäfts zum anderen. Vater Vincenzo liefert Wein und Sekt für die Damenabende, Massimo springt oft mit kalten Platten ein, wenn es Lynn nicht schafft, die Häppchen selber zusammenzustellen.
Heute kam die ersehnte Mail von Falconetti, welche alle Details zur Fledermaus-Safari enthielt. Nick war bestens ausgestattet und drängte Lynn, mit ihm die Outdoor-Outlets aufzusuchen, ehe die Zeit knapp werde.
„Oh Mann! Wenn ich die Preise sehe, wird mir bange“, stöhnte Lynn.
Nick grinste. „Ignoriere sie. Das Beste ist wirklich gerade gut genug. Ich möchte nicht, dass dir irgendwas zustößt, nur weil wir am falschen Punkt gespart haben. Atmungsaktiv, wasserdicht und bequem muss alles sein, was du zum Anziehen brauchst. Vor allem die Schuhe müssen absolute Spitzenqualität haben.“
Das leuchtete Lynn ein und so befolgte sie seine Ratschläge, ohne, weiter zu murren. Nachdem sie einige Rucksäcke anprobiert hatte, merkte sie von allein, dass auch hier alles stimmen musste. „Ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen, wenn du alles bezahlst“, stöhnte sie, als er seine Kreditkarte zückte.
„Na aber! Du bist die einzige Person auf dieser Welt, die sich deswegen gar keinen Kopf machen sollte“, rief er. „Schon gar nicht, weil dieser Bianchi alle unberechtigten Unterhaltszahlungen zurückerstatten muss und genug gehortet hat, um das auch tun zu können. Jetzt bringen wir unsere Schätze ins Auto und gehen anschließend richtig schön essen.“
„Bei Massimo?“
Nick hielt irritiert inne. „Du hast recht! Da waren wir schon seit Tagen nicht mehr. Auf zu Massimo!“
Lynn schmunzelte. „Da ist es richtig schön und wird uns allen guttun. Ich rufe ihn an, dass wir ein bisschen die Mittagszeit verpassen werden.“
Den Jubelschrei am anderen Ende der Verbindung konnte sogar Nick hören und auch, wie Massimo erklärte, ihren Lieblingshäppchenteller vorzubereiten. „Ach wir freuen uns, wenn ihr kommt! Rosanna wird einen glatten Luftsprung machen! Bis dann!“
„Sie haben uns schon ganz sehr vermisst“, seufzte Lynn.
„Wir machen es wiedergut“, versprach Nick. „Nach unserer Reise werden wir jede Woche einmal ganz fest zu Massimo gehen und die Seele baumeln lassen. Das hat er sich verdient und wir uns auch.“
Als sie Sirmione erreichten, verdrehte sogar Nick mehrmals die Augen, bei dem Versuch, in ihre schmale Straße zu gelangen. Alle Touristen dieser Welt schienen am heutigen Tage zur gleichen Zeit in der Altstadt zu sein. Mehrere Gruppen blieben einfach mitten auf der Straße stehen und musterten den BMW, als käme er von einem anderen Stern. „Eine halbe Stunde für die paar Meter ist neuer Negativrekord!“ Nick hielt direkt vorm Haus, um den Kofferraum zu leeren, dann kam er minimal entspannter zur Tiefgarage durch. Lynn wartete schon an der Straßenecke, als er endlich das Auto sicher untergebracht hatte. „Bloß gut, dass du angerufen hast! Sonst würden wir vielleicht nicht einmal gleich Plätze bekommen!“
„Mamma mia! Was für ein Tag!“, stöhnte Massimo. „Wo haben sie bloß die vielen Verrückten raus gelassen?!“
Nick grinste. „So ähnlich dachte ich vorhin auch schon“, während Lynn fragend schaute.
Massimo hob die Hände. „Es steht in mehreren Sprachen auf und in der Speisekarte, dass wir ausschließlich mit Naturprodukten kochen. Fragen mich doch heute tatsächlich einige Gäste, ob sie veganen Käse bekommen könnten!“
„Und was hast du den Letzten geantwortet?“, schmunzelte Nick.
„Dass die Chemiefabrik ein paar Kilometer Richtung Verona ist und sie dort gern nachfragen können, ob man ihnen den gewünschten Chemikaliencocktail zusammenpanscht.“
„Oha. Dann müssen es aber sehr viele gefragt haben“, stellte Nick nüchtern fest.
Massimo war schon auf dem Weg zur Küche gewesen. Er drehte sich noch einmal um, spreizte die Finger beider Hände und hob dann den Zeigefinger, mit dem er sich an die Stirn tippte. „Elf! Bildung könnte denen vielleicht helfen.“
„Ich habe ihn nie so frustriert erlebt“, staunte Lynn und Nick gab zu: „Ich auch nicht.“
Da kam Massimo schon mit dem Essen, das er ihnen mit einem strahlenden Lächeln servierte. „Endlich wieder einmal normale Menschen, die essen, was auf den Tisch kommt! Lasst es euch gut schmecken, meine Lieben! Ihr habt meinen Tag gerettet.“
Ihre Anwesenheit schien ihn wirklich zu besänftigen, denn, als am Tisch neben ihrer Nische wieder jemand nach veganem Käse fragte, antwortete Massimo im Brustton der Überzeugung: „Leider nein. Unsere Sojakühe sind derzeit noch imWinterschlaf.“
Lynn gluckste hinter vorgehaltener Hand, während Nick stumm vor sich hin grinste. Er würde sich nicht wundern, wenn das die komplette Reisegruppe gewesen wäre, die seelenruhig mitten auf der Straße palavert hatte.
Die beiden jungen Leute aßen in Ruhe, tranken ein Glas Wein zu ihren Meeresfrüchten, gingen zu Massimos großer Freude zu Eis als Nachtisch über und schlossen sogar einen gemütlichen Espresso zum Nachmittagan.
Rosanna kam nicht einmal dazu, den Kopf auch nur ansatzweise aus der Küche zu stecken. Gästebetrieb wie in einem Taubenschlag. Massimo hatte sogar zwei Kellner als Aushilfen ordern müssen.
„Wisst ihr schon, wann ihr über den Großen Teich fliegt?“, fragte er, am Nebentisch das Geschirr abräumend, um Platz für die nächsten Hungrigen zu machen.
„Dienstag kommender Woche“, antwortete Nick. „Wir werden ganze fünf Wochen auf Safari sein.“
„Viel Spaß und passt bitte gut auf euch auf!“, rief Massimo.
„Versprochen!“, sagten Nick und Lynn völlig synchron, worauf Massimo lachend meinte: „Nun glaube ich es.“
Am Wochenende vor ihrer Abreise kam Vincenzo, um die beiden noch einmal zu sehen. Lynn schaute ihn mehrmals prüfen an. Für ihre Begriffe war er auffallend schweigsam. Besorgt sprach sie ihn an: „Etwas bedrückt dich doch. Willst du nicht lieber darüber reden?“
„Weiß nicht“, murmelte Nicks Vater. „Eigentlich nicht. Aber vielleicht ginge es mir dann besser ... ich will euch nicht gerade jetzt mit meinen Sorgen beladen.“
„Unfug! Raus mit der Sprache!“ Lynn setzte sich ihm gegenüber. „Wo drückt der Schuh?“
Vincenzo nickte, holte mehrmals Luft, zog die Augenbrauen zusammen und sagte endlich: „Ich habe jemanden kenngelernt.“
„Eine Frau, nehme ich an“, warf Lynn ein, weil er stockte. „Wo ist das Problem?“
„Ja, das weiß ich halt nicht.“ Er wirkte überaus ratlos. „Irgendetwas ist nicht so, wie ich es mir vielleicht erhofft hatte. Sie ist fast in meinem Alter, charmant, stilsicher, gebildet und sieht auch gut aus. Aber ...“
„Was aber?“
„Ich weiß es nicht“, wiederholte Vincenzo leise.
„Du hast doch Zeit“, tröstete Lynn.
„Ich schon. Sie scheint es eilig zu haben, was mich wohl abschreckt.“ Er schaute Lynn hilflos an. Weil sie nichts sagte, versuchte er, zu erklären, was ihn störte. „Sie drängt ständig darauf, mein Domizil sehen zu wollen, obwohl sie beim Tanzen eher auf Distanz geht. Ganz sicher auch nicht wegen der Zuschauer. Da ist irgendetwas anderes, das mich komplett davon abhält, auf diesen Wunsch in irgendeiner Weise einzugehen.“
„Wie hast du sie kennengelernt?“, wollte Nick wissen.
„Auf einer Weinverkostung während der letzten Verkaufsmesse. Sie war ganz plötzlich da. Einfach so. Sie wollte ständig mit mir anstoßen, worauf ich erklärte, im Dienst zu sein und nicht zu trinken, sie aber am Abend einladen zu wollen. Sie nahm das Angebot ohne Zögern an.“
„Merkwürdig“, überlegte Lynn laut. „Das erinnert mich ein bisschen an Nicks Amerika-Erlebnis. Ich kann aber nicht sagen, warum.“
„Mich wohl auch“, gab Vincenzo zu.
Lynn schüttelte kaum merklich den Kopf, während Nick tausend Gedanken wälzte. „Wie heißt sie?“, fragte Lynn aus einer Eingebung heraus.
„Emilia Galotti.“
Lynn zog die Augenbrauen nach oben, spitzte die Lippen. „Merkwürdige Zufälle gibt es. So heißt ein Trauerspiel von Lessing.“
Vincenzo zuckte zusammen. „Was???“
„Kein Witz.“ Lynn rief die Bibliografie des deutschen Dichters auf. „Er hat bevorzugt Dramen geschrieben und eines heißt Emilia Galotti. Siehst du? Hier.“
„Na, hoffentlich wird es kein Drama“, murmelte Nick.
„Hast du ein Bild von ihr?“, bohrte Lynn weiter, was Vincenzo fast flüsternd verneinte.
„Statt mich wohler zu fühlen, stehe ich nun endgültig im Wald“, stöhnte er. „Wenn Lynn merkwürdige Parallelen zieht, schrillen bei mir doch sofort die Alarmglocken!“
„Dann gehe Emilia ein bisschen aus dem Weg,bis wir wieder da sind und sie bei irgendeiner Gala unverfänglich und persönlich unter die Lupe nehmen können“, schlug Nick vor.
„Das wird leicht sein“, schmunzelte Vincenzo, „sie will ein paar Tage mit einer Freundin nach Costa Rica fliegen.“
Lynn hob wie in Zeitlupe den Kopf. „Doch nicht etwa am Dienstag und mit der gleichen Maschine wie wir?!“
Vincenzo riss sein Handy aus der Tasche, checkte die Mails und entfärbte sich jäh. „Es ist die gleiche Maschine am Dienstag.“
Nick warf ihm einen unbeschreiblichen Blick zu, den sein Vater, wild mit beiden Händen fuchtelnd, abwehrte: „Nein. Nein, nein, nein. Ich habe ihr gegenüber mit keiner Silbe eure Reise erwähnt!“
„Noch eine Merkwürdigkeit“, flüsterte Lynn. „Gut, dass wir darüber gesprochen haben. Schlecht, dass wir nicht wissen, wie sie aussieht.“
Nick wählte Marco Falconettis Nummer und gab mit wenigen Worten bekannt, was soeben das Familienthema gewesen war.
„Danke für den Hinweis“, erwiderte Marco. „Ich werde meine Beziehungen spielen lassen, damit wir in Ruhe den Urwald erkunden können. Bis dahin!“
„Und ich verwette meinen Hintern, dass er Emilia, falls sie wirklich so heißt, durchleuchten wird, bis man das Mark in ihren Knochen sieht“, schmunzelte Lynn. „Wir halten dich auf dem Laufenden.“
Vincenzo streichelte dankbar ihre Hand. „Nun ist mir doch um vieles wohler.“
Weniger wohl fühlten sich Lynn und Nick, als sie am Flughafen eincheckten. Jede mitreisende Frau mittleren Alters wurde mit den Augen buchstäblich seziert. „Wer sagt denn eigentlich, dass sie als Frau unterwegs ist?“, stellte Lynn am Ende fest. „Heutzutage, wo man weder Männlein noch Weiblein sein muss, kann sie jede Maske angenommen haben. Dieser Bianchi hat das doch auch in jeder Weise ausgenutzt.“
„Mach mir keine Angst!“, stöhnte Nick. „Bitte nicht das gleiche Drama um meinen Vater, wie damals um mich!“
„Womit wir wieder bei Emilia Galotti wären“, sagte Lynn trocken. „Es dreht sich alles im Kreis und dann auch noch konzentrisch.“
„Scheiße.“
„Sagt man das, als Gentleman?“, rümpfte Lynn grinsend die Nase.
„Püh! Ich bin kein Gentleman, ich bin ein besorgter Sohn. Ich darf das. Ich habe aber auch keine Lust, das in den nächsten 15 Stunden auszudiskutieren“, grinste Nick.
„Ich werde erst mal eine Runde schlafen“, gähnte Lynn. „Bis San José haben wir ja auch noch einen Zwischenstopp, auf dem wieder alles Mögliche passieren kann.“
„Solange es nicht auf dem Weg bis dahin ist, werde ich schon zufrieden sein“, erwiderte Nick, sich dem Filmprogramm der Airline widmend.
Nach zwei Stunden schaute Lynn einen Film und Nick schlief. Im Allgemeinen verlief der Flug ruhig. Nur eine betagte Dame wanderte beinahe stündlich zur Toilette, wobei sie jedes Mal einen anderen Weg zu ihrem Platz einschlug.
„Auch eine Methode, sich die Beine zu vertreten!“, gähnte Nick und schlief sofort wieder ein, als sie ihn versehentlich angerempelt hatte.
Bei Lynn richteten sich inzwischen die Nackenhaare auf und sie begann, die Seniorin unbemerkt zu beobachten. Verblüfft stellte sie fest, dass die Frau nach jedem Toilettengang auf einem anderen Platz saß und sich dabei kontinuierlich näher an sie und Nick heranschob. „Das bilde ich mit bestimmt nur ein“, flüsterte sie schließlich.
Nick war gerade am Erwachen. „Was bildest du dir ein?“
„Wo saß die alte Frau, die dich touchiert hat, als das Flugzeug startete?“, fragte Lynn und bekam, wie aus der Pistole geschossen, zur Antwort: „Ganz hinten rechts am Fenster, aus der jetzigen Perspektive.“
„Dann ist es keine Täuschung. Jetzt hockt sie, mit bestem Blick hierher, zwei Reihen hinter uns in der Mittelreihe links.“ Lynn hob das Handy, um ein Foto zu machen. Dabei stellte sie fest, dass sie schon mehrere Bilder von den unterschiedlichen Zwischenstationen aufgenommen hatte, weil sie zufällig, statt Spiegelfunktion, Selfiefunktion eingeschaltet hatte.
Bevor sie dazu kamen, sich weiter auszutauschen, gab die Cockpitcrew die Landeanweisungen durch und alle waren damit beschäftigt, die Lehnen senkrecht zu stellen und sich anzuschnallen. Nach der Landung war die alte Dame eine der Ersten, die die Maschine verließ. Nick und Lynn wechselten einen langen Blick.
Sie tauchte auch beim Weiterflug, wie einige andere Passagiere, deren Endziel hier lag, nicht wieder auf.
Im Warteraum taxierte Lynn fast jede Person, die durchschnittlich groß und von durchschnittlicher Statur war. Eine der neuen Mitreisenden passte in das Schema, war wasserstoffblondiert und so grell geschmickt, dass es schon fast in den Augen wehtat. Sie sprach perfekt Spanisch, sodass Lynn sie recht schnell aus dem Raster warf. Dafür fesselte einer der Männer ihre Aufmerksamkeit. Nick fragte sogar nach, warum sie ihn so belauere.
„Wenn der mich anschaut, stellen sich meine Nackenhaare auf“, wisperte Lynn. „Auf seltsame Weise kommt er mir auch noch bekannt vor.“
Nick brauchte nicht lange, um dasselbe aus seiner Warte zu behaupten. So nutzte Lynn die erste Gelegenheit, im Flugzeug in den Spiegelungen des geschlossenen Fensters ein Bild zu machen.
„Das muss wohl der jüngere Bruder der alten Frau sein“, sagte Nick sofort und Lynn fiel ein, wo sie die gleiche Augenpartie schon einmal gesehen hatte: „Bianchi.“
„Scheiße!“, raunte Nick erneut.
Lynn nickte sehr ernst. „Älterer Bruder, ältere Schwester oder sogar die Mutter? Die war ja nie im Gerichtssaal erschienen.“
„Prost Mahlzeit!“, zischte Nick. „Wenn die restliche Familie wie Mario geartet ist, hat mein Vater verdammtes Glück gehabt, dass es ihm noch gut geht. Es wird wohl auch kein Zufall sein, dass Emilia Galotti erklärt hat, nach Costa Rica zu fliegen. Sie hat sicher gehofft, dass er den Braten viel zu spät riecht, um ihm tausend Ängste einpflanzen zu können.“
„Die wird er jetzt trotzdem ausstehen“, wisperte Lynn. „Aus dem Dschungel können wir uns schließlich nicht melden. Wie will er nachprüfen, ob die Meldungen echt sind, falls er in dieser Zeit welche von irgendwem erhält?“
Sie versuchten, sich nicht anmerken zu lassen, dass sie unter Beobachtung standen, und so gingen die nächsten Stunden quälend langsam vorbei. Wenigstens gab es keine Probleme mit dem Gepäck, beide Koffer waren unversehrt und sie strebten dem Ausgang zu, vor dem sie Falconetti erwartete.
„Schön, Sie zu sehen! Ich bringe Sie gleich zum Hotel.“ Er legte das Gepäck ins Auto und fragte im selben Moment. „Sie schauen ein bisschen mental angegriffen aus. Was ist passiert?“
„Außer, dass wir mit irgendjemandem aus der Bianchi-Sippschaft im Flugzeug saßen, noch nichts“, ächzte Lynn, ihre dick gewordenen Knöchel massierend.
„Och, das ist jetzt aber unfair!“, rief der Reporter. „Das wäre heute im Hotel meine Topp-Information an Sie gewesen! Woher wissen Sie es?“
Nick zeigte auf Lynn. „Ihrem Adlerblick entgeht nichts, wenn sie jemanden auf dem Kieker hat. Dabei hat sich die Person solch eine Mühe gegeben, zuerst als betagte Frau und nach der Zwischenlandung als Mann mittleren Alters zu erscheinen.“
„Sie sollten wirklich ein Detektivbüro eröffnen“, lachte Falconetti. „Haben Sie Bilder gemacht?“
„Aber sicher doch!“, schmunzelte Lynn.
Falconetti schüttelte amüsiert den Kopf. „Warum frage ich überhaupt?!“ Er brachte sie zum besten Haus der ganzen Stadt und erklärte nach dem Einchecken blinzelnd. „Ich habe das Zimmer direkt neben Ihnen. Nicht, um trauter Zweisamkeit zu lauschen, sondern wegen der Sicherheit.“
Nick grinste harmlos, während Lynn und Falconetti in herzliches Lachen ausbrachen. „Das Wort ‚amore‘ stand soeben zwei mal vier Meter groß in Ihren Augen!“, feixte der Journalist.
„Ich vermute, im Urwald muss ich darben“, gab Nick grinsend zu wissen, worauf sich Falconetti lauthals lachend in sein Zimmer trollte.
„So, so“, schmunzelte Lynn. „Klingt ganz so, als wolltest du Vorräte anlegen.“
Er nickte begeistert. „Wir haben volle zwei Stunden bis zum Abendessen. Ab, unter die Dusche!“
Das musste er Lynn nicht zwei Mal sagen. Sie ließ ihr Gepäck mitten im Zimmer stehen und im Bruchteil eines Wimpernschlags rauschte das Wasser. Nick schaute völlig verblüfft.
„Nix wie hinterher!“, rief er, sich seiner Kleidung entledigend.
„Ich dachte schon, du kommst nie“, schnurrte sie, sich an ihn schmiegend.
Nick ließ seine Hände über ihre Haut gleiten. „Vielleicht können mir ja die Fledermäuse ein bisschen Nachhilfe in Ultraschallortung geben.“
„Passe lieber auf, dass keine dabei sind, die dein Blut trinken wollen.“ Sie biss ihn sanft in den Hals.
„Tu es noch mal“, flüsterte Nick, den Kopf ein wenig reckend.
Lynn ließ ihre Lippen über seinen Hals gleiten, um ihn diesmal etwas fester mit den Zähnen an der Haut zu zupfen.
„Ich glaube, ich kenne Stellen, an denen ich dich mit Knabbern auch begeistern kann“, raunte er ihr ins Ohr, drehte das Wasser ab und wickelte Lynn in das Sauna-Tuch, um sie ins Bett zu tragen.
Die Fenster mussten sie nicht zuziehen, weil die gegenüberliegenden Häuser alle niedriger waren. Im 17. Stock war schlimmstenfalls mit Vögeln und Insekten als Spanner zu rechnen.
Nick rieb seine Nasenspitze an Lynns Stirn, glitt langsam tiefer, wobei Nase und Zunge der anregenden Hügellandschaft im Norden einen Besuch abstatteten.
„Mehr!“, wisperte Lynn, worauf sich Nick sehr ausgiebig ihren ihren Brüsten widmete, wobei er immer wieder seinen Penis an ihre Schenkel drückte, um sie in Hochstimmung zu bringen.
Ein unerwartetes Geräusch vor dem Fenster ließ sie gleichzeitig aufhorchen. „Was ist das?“, flüsterte Nick, ohne sich umzudrehen, aber die Decke mit einer Hand über beide Körper streifend.
„Eine Drohne“, knirschte Lynn mit zusammengezogenen Augenbrauen. „Ziemlich klein und leicht. Ich habe sie nur gehört, weil sie ans Glas gestoßen war.“
„Ich auch. Liegenbleiben! Wir setzen Falconetti auf das Ding an.“ Nick griff nach seinem Handy auf dem Nachttisch und rief, ohne seine Position zu verändern, an, erklärte, dass ungebetener Besuch in Form eines fliegenden Auges vor ihrem Fenster lauere.
„Mal sehen, was ich machen kann“, antwortete der Reporter und legte auf. Es dauerte nur wenige Sekunden, dann klatschte etwas so heftig ans Fenster, dass die Scheiben zitterten. Lynn schrie erschreckt auf. Da meldete sich auch schon Falconetti: „Ich habe sie! Kommen Sie rüber, wir checken gleich das Material.“
„Oh je!“, stammelte Lynn. „Das könnte peinlich werden.“
„Da müssen wir jetzt durch“, meinte Nick resigniert. „Komm, Schatz, er ist der Einzige, der uns den Hintern retten könnte, falls man uns mit dem Filmmaterial erpressen will.“