Das Goldmacherdorf - Heinrich Zschokke - E-Book

Das Goldmacherdorf E-Book

Heinrich Zschokke

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Beschreibung

Es ist die Geschichte von Oswald, der sein Heimatdorf Goldental im Verlauf von sieben Jahren durch verschiedene Ordnungs-, Bildungs-, Modernisierungs- und Vergesellschaftungsmassnahmen aus seinem verarmten und verwahrlosten Zustand zurück zu Wohlstand und Ansehen führt. Oswald kehrt nach jahrelangem Kriegsdienst in sein Heimatdorf Goldental zurück und erkennt es kaum wieder: War es bei seinem Weggang noch wohlhabend, sind nun die meisten Bewohner arm, verwahrlost, verschuldet und machen auf ihn einen misstrauischen und streitsüchtigen Eindruck. Viele sind dem Alkohol verfallen. Die einzigen wohlhabenden Bewohner sind die Wirte, die die Gläubiger der vielen Verschuldeten und zugleich die Gemeindevorsteher sind. Die Bewohner gehen zwar «aus Gewohnheit» in die Kirche, doch der alte Pfarrer, der dort «aus Gewohnheit» predigt, hat weder Kraft noch Wille, an der Lage der Bewohner etwas zu ändern. Eine Ausnahme ist der Müller Siegfried, bei dem Oswald nun häufig zu Gast ist und dessen schöne Tochter Elsbeth sich für ihn zu interessieren scheint. Oswald nimmt den Hof seines verstorbenen Vaters in Besitz und arbeitet früh bis spät, um ihn wieder in Ordnung zu bringen. Er würde gern dem Dorf aus seiner Misere helfen, weiss aber noch nicht wie.

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Seitenzahl: 212

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Heinrich Zschokke

Das Goldmacherdorf

Impressum

Texte:             © Copyright by Heinrich Zschokke

Umschlag:      © Copyright by Walter Brendel

Verlag:

Das historische Buch, Dresden / Brokatbookverlag

Gunter Pirntke

Mühlsdorfer Weg 25

01257 Dresden

[email protected]

 

Inhalt

1. Wie Oswald aus dem Kriege kommt und was die Leute sagen

5. Wie Oswald von seinen Feinden verfolgt wird, und was er dagegen tut

10. Oswald kommt in schlechten Ruf

15. Die Schuldbücher werden aufgetan. Die Sparkasse und die Garküche

20. Was man von den Goldenthalern im Lande redet

25. Es geht immer besser

30. Wie es im Goldmacherdorf aussah

31. Die Kindtaufe

1. Wie Oswald aus dem Kriege kommt und was die Leute sagen

An einem Sonntagnachmittag saßen im Dorfe Goldenthal die jüngeren Knaben und Mädchen unter der alten Linde und sangen, oder lachten, wenn Einer aus dem Wirtshaus hervorstolperte, der zu tief ins Glas geschaut hatte. Die andern Bauern mit ihren Weibern saßen in drei Wirtshäusern, und tranken und spielten, und jauchzten oder balgten, wie es denn nun so geht, wenn Wein und Bier wohlfeil sind.

Da kam ein großer starker Mann ins Dorf. Er mochte in den Dreißigern sein, hatte einen grauen Rock an, einen langen Säbel an der Seite, auf dem Rücken einen Habersack. Er sah gar wild drein, denn er trug über der Stirne eine große Narbe, und unter der Nase einen schwarzen Schnurrbart, dass alle Kinder davonliefen.

Aber ein Paar alte Frauen, die er anredete, erkannten ihn sogleich, und schrien: »Ei das ist ja Schulmeisters Oswald, der vor siebenzehn Jahren unter die Soldaten ging. Nein, schaut auch, wie ist er gewachsen und groß geworden!« Und wie die Weiber so schrien, kam Alt und Jung aus den Wirtshäusern und von der Linde herbeigelaufen, und bald war das ganze Dorf um den Oswald versammelt.

Oswald gab allen seinen ehemaligen Bekannten die Hand, war sehr freundlich mit Allen und sagte, er wolle nun wieder bei ihnen in Goldenthal wohnen, habe des Soldatenlebens satt, und sei froh, mit dem Leben davongekommen zu sein. Nun wollte ihn Jeder in ein Wirtshaus ziehen, der Eine links, der Andere rechts: man müsse eins zum Willkommen trinken; er müsse von den Kriegsgeschichten erzählen. Oswald aber dankte ihnen und sprach: »Ich bin vom Wandern müde und will ausruhen. Wer wohnt in meines verstorbenen Vaters Haus, und wer besorgt die Äcker desselben?«

Alsbald trat der Müller hervor und sagte: »Ich habe den Weber Steffen hineingetan, und ihm Haus und Feld in Zins gegeben. Nun aber muss er ausziehen, da du wiedergekommen bist. Der Gemeinderat hat mich zum Vogt gesetzt über dein Gütlein. Kannst ein paar Tage bei mir herbergen, bis Webers ausziehen und andere Wohnung haben. Da will ich dir auch Rechnung ablegen.«

Also ging der Müller mit seinem Gast zur Mühle und ließ ihm ein gutes Nachtessen und ein gutes Bett bereiten. Oswald hatte aber viel zu fragen nach dem und diesem, wie es seitdem im Dorfe ergangen sei; und der Müller und seine Frau hatten viel zu antworten. So plauderten sie bis Mitternacht in der Mühle. Und Oswald sah immer über den Tisch hinüber nach des Müllers zarter Tochter, die hieß Elsbeth. Und es war wohl der Mühe wert, ihr in die schwarzen Augen zu sehen, denn Elsbeth war schön. Elsbeth aber sah ihrerseits auch gern über den Tisch hinüber, denn Oswald war ein hübscher Mann, wenn man sich einmal an seinen erschrecklichen Schnurrbart gewöhnt hatte, und in seinen Gebärden hatte er etwas Zierliches und Gefälliges, als wäre er ein Herr aus der Stadt gewesen. Darum scheute sie sich, mit ihm zu reden, und wenn er sie ansah, wusste sie nicht, wohin mit den Augen fliehen. Doch sagte sie ihm etwas vom Schnurrbart.

Und als er folgenden Morgens zum Frühstück kam, war unter seiner Nase der Schnurrbart schon verschwunden. Oswald hätte Zeitlebens in der Mühle wohnen mögen, denn der Müller und seine Frau waren gute Leute, und der Elsbeth sah die Güte hell und klar aus den Augen. Aber nach acht Tagen schon konnte Oswald in das kleine Haus seines Vaters einziehen und nach seinen Feldern sehen. Er hatte fünf Juchart Baumgarten mit Wiesen und fünf Juchart Ackerland; dazu kaufte er sich eine schöne Kuh aus den vom Vogt ersparten Zinsen.

Und weil das Haus alt und zerfallen war, erhielt er Holz und Steine von der Gemeinde. Da ließ er alles ausbessern, weißen und hobeln und waschen. Er selber mauerte, handlangte, fegte vom Morgen bis in die Nacht, damit es schön werde, und ihn doch nicht viel koste.

Im Herbst war sein kleines Haus das sauberste und schönste im ganzen Dorf, mitten in einem Garten am Bach. Und der Garten war schön, wie einer in der Stadt. Er hatte sogar in die Wege zwischen den Beeten Sand und Grien getragen. Er hatte es gern, wenn Müllers Elsbeth zuweilen über den grün angestrichenen Hag in den Garten sah; sie hatte ihm auch Blumen beigesteuert, und versprach ihm zum Frühjahr noch mehr.

Die Leute zu Goldenthal wussten lange nicht, was aus dem Oswald machen? Er war so arm aus dem Kriege gekommen, als er hineingezogen war, das sahen sie wohl. Er hatte eine Kiste aus der Stadt bekommen mit Kleidern und Wäsche; sogar Bücher hatten darin gelegen. Das war sein Reichthum. Aber des Geldes wegen mochte die Kiste nicht schwer gewogen haben.

»Laßt ihn laufen!« sagten die Einen: »Er ist ein armer Teufel, und ein dummer Teufel dazu, der im Kriege seine Sache nicht verstanden hat zu machen. Nicht einmal Sonntags kann er ins Wirtshaus gehen und sein Glas trinken, geschweige einen Tanz zahlen. Dabei muss er arbeiten wie ein Pferd, von Sonnenaufgang bis in die finstere Nacht. Ein Glück für ihn, dass er vom Vater noch etwas geerbt hat, sonst läge er der Gemeinde zur Last.«

»Lasst ihn laufen!« sagten die Andern: »Heldentaten hat er nicht viel verrichtet, denn er weiß nicht viel zu erzählen. Und wer weiß, wo der Narr den Hieb über die Stirn geholt hat. Der ist froh, dass er kein Pulver mehr riechen muss.«

»Lasst ihn laufen!« sagten wieder Andere: »Er gibt nur Keinem ein gutes Wort, und meint, weil er Soldat gewesen, müsse man Respekt vor ihm haben. Wir wollen's ihm aber zeigen. Er ist ein hochmütiger Bursch, der froh sein soll, wenn wir ihm keinen Tritt geben.«

»Lasst ihn laufen!« sagten noch Andere: »Der hat im Kriege nichts Gutes gelernt. Er hat Bücher, die kein Mensch lesen kann, vielleicht der Pfarrer selber nicht. Und Zeichen und Charaktere stehen darin, dass es ein Graus ist. Was gilt's, der geht mit dem Teufel um und kann ihn beschwören.«

»Gott sei bei uns!« riefen Andere: »Richtig ist es bei ihm nicht, das weiß man wohl. Er hat noch keinen Menschen in seine kleine Hinterstube gehen lassen, selbst Müllers nicht, die viel mit ihm zu tun haben. Da sieht der Wächter alle Nacht noch Licht brennen, was durch die Fensterladen schimmert. Die Stube hält er beständig verschlossen, und die Vorladen der Fenster sind auch bei hellem Tage nie auf.«

So sprachen die Leute, und machten ans Oswald nicht viel.

2. Was Oswald im Dorfe sieht

Wenn sich auch die Leute nicht viel aus dem Oswald machten, war er doch sehr zutulich und mit Allen freundlich. Anfangs ging er rechts und links zu Jedem ins Haus und besuchte Einen um den Andern, fragte nach den Kindern, nach den Gütern, nach der Art, die Felder zu bestellen und nach allen Umständen.

Vorzeiten war Goldenthal ein recht stattliches Dorf gewesen; zwar kein übergroßer Reichtum darin, doch Wohlhabenheit in allen Häusern. Nun aber, mit Ausnahme einiger reichen Bauern und Wirte, wie auch des Müllers, stand es überall schlecht. Das Elend schaute zu den Fenstern hinaus, und am Feuerherd kochte Schmalhans ungeschmalzte Suppen. Von hundert Haushaltungen schickten wohl zwanzig ihre Kinder zum Betteln aus; sechzig halfen sich kümmerlich im Druck von Schuldenlasten durch, und die andern waren zum Teil noch im Stande, die Gemeindesteuern ordentlich zu entrichten, und sich wohl aufrecht zu halten.

Man sah es den Häusern schon von außen an, wie übel es drinnen sein mochte; man sah es an den zerfallenen Dächern; an den Mauern, von welchen der Kalk abgefallen war; an den verschmierten Wänden und Türen; an den zerbrochenen und mit Papier verklebten Fenstern. Kam man hinein, war Kot und Gestank; Tisch und Bänke unsauber; der Spiegel, wenn noch einer war, seit Jahren von Fliegen blind; der Fußboden voller Löcher; die Dielen schwarz, wie Erde, vom verhärteten Unrat. In den Küchen befand sich wenig und schlechtes Geschirr, das nicht einmal rein gewaschen da stand. In den Gärten am Hause sah man keine Ordnung, keine Zierlichkeit, sondern etwas Gemüse ganz nachlässig hingepflanzt. Man schien froh zu sein, wenn man für Säue und Menschen nur Erdäpfel genug hatte. Vor den Häusern lagen Misthaufen. Ackergeräte, Holz und was man sonst nicht unter Dach bringen konnte, bunt durcheinander. Männer und Weiber gingen in zerrissenen oder grob geflickten, besudelten Kleidern; Stroh und Federn in den struppigen, ungekämmten Haaren; Hände und Gesicht oft Tage lang nicht gewaschen. Die kleinen Kinder blieben oft einen halben Tag in ihren Wiegen im Unflat liegen, oder waren sie größer, spielten sie halbnackt vor den Häusern im Kote.

Kein Wunder, dass bei solcher bettlerischen Unreinlichkeit häufig Krankheiten entstanden. Man ging aber lieber zu einem alten Weibe, zum Scharfrichter, zu einem Harnbeschauer und Quacksalber, wenn er es nur wohlfeil machte, als zu einem erfahrenen und gelehrten Doktor. Wenn nun Mann oder Frau bettlägerig waren und nicht arbeiten konnten, ging es in der Wirtschaft den Krebsgang. Da musste ein Stück Hausgerät oder Vieh oder gar Land in der Not verkauft, oder Geld gegen schweren Zins entliehen werden. Das dauerte dann, bis man mehr Schulden hatte, als man zahlen konnte; dann erfolgte Vergantung und der Bettelstab.

Wenn Oswald da und dort guten Rat geben wollte, oder wenn er die Unhäuslichkeit und Unordnung tadelte, so bekam er mürrische Gesichter zum Dank. Die Einen sagten: Arme Leute können nicht alles so schön haben, sondern müssen es nehmen, wie es ist! Andere sagten: Was geht es dich an? Steck' du die Nase in deinen eigenen Dreck!

Bei den reichen Bauern sah es nun im Hause wohl besser aus, und war mehr Hausgerät und Kleidung vorhanden. Aber doch fand man auch bei ihnen viel Unsauberkeit und Nachlässigkeit. Denn weil sie beständig und überall Bettelwirtschaften vor Augen hatten, so gewöhnten sie sich daran, und trieben es nicht viel anders. Die Woche durch waren sie schmierig und zerrissen; nur Sonntags prunkten sie hoffärtig einher. Daher hörte man auch bei ihnen nichts, als Klagen über die bösen Zeiten, über die Regierung und über die Leute im Dorf. Denn weil im Dorfe fast alle Haushaltungen in Schulden waren, so konnten die wenigsten zahlen. Und weil die Gemeinde selbst seit dem Kriege eine große Schuld von vielen tausend Gulden trug, fiel das Zahlen der Zinsen, der Gemeindesteuern und Landesabgaben nur auf die Vermöglichern. Das machte sie missvergnügt und zornig.

Überhaupt war in Goldenthal Einer wider den Andern und beständig Streit und Zank. Keiner traute dem Andern; Jeder wusste dem Andern etwas Böses nachzusagen. Da war kein Treu und Glauben, sondern eitel Lug und Trug. Die Armen beneideten die Reichen; die Reichen drückten und plagten die Armen. Die Reichen trieben, wenn sie Geld ausborgten, schändlichen Wucher, und nahmen von armen Leuten, die in der Not waren, ihre zwölf, zwanzig und mehr Prozent Zinsen, ohne dass sich darüber das christliche Gewissen schämen und grämen wollte. Die Armen hinwieder rächten sich, wie Schelmen es machen; sie beschädigten den Reichen Bäume und Pflanzungen heimlich, stahlen ihnen Gemüse und Obst, Trauben und Holz und Hühner, und was sonst zugänglich oder leicht nehmbar war. Man konnte sich auf kein Wort, auf keinen Eid mehr verlassen. Selbst zwischen Eheleuten war eitel Hass und Gezänk. Das sahen die Kinder alle Tage und lernten nichts Besseres.

Trotz der sichtbaren Verarmung der Gemeinde, und wiewohl jeder über Regierung, Obrigkeit und schlechte Zeiten klagte, und kein Geld hatte, wenn er das Notwendigste zahlen sollte, taten die Leute doch insgesamt groß. Das Arbeiten ließ man sich nicht allzu sauer werden. Die Vermögenden, wenn sie später aufs Feld gingen, oder früher Feierabend machten, sprachen bei sich: »Gottlob, wir können's wohl so haben!« Und die Armen und Taglöhner, wenn sie bei der Arbeit die Hände fallen ließen und umhergafften, sprachen sie: »Nun unsereins ist auch kein Vieh! Man muss auch geruht haben.«

Aber wenn der Samstagabend kam, oder der Sonntag, hatte Jeder Geld, um sich im Wirtshaus bei Wein, Bier und Branntwein gütlich zu tun. Da hieß es: »Herr Wirth, noch eine Halbe! Juchhei, Karten her!« – Da ward der Wochenverdienst durch die Gurgel gejagt, oft mehr noch. Man spielte. Der Eine verlor sein Geld, der Andere versoff oder vertanzte den Gewinn. Zwischenein in der Woche ward auch das Wirtshaus nicht ganz vergessen. Diese Leute litten die Kehle nicht ganz trocken. Unterdessen hatten die Weiber und Kinder kaum satt zu essen. War aber Geld im Haus, wenn auch nur wenig, da musste Kaffee her und musste geküchelt werden. Dann hieß es: »Lieber Gott, es kommt an unsereins selten. Man will doch auch einmal seinen guten Tag haben. Was hat man sonst vom Leben?«

An Feiertagen fehlte es nicht, und die wollte man doch gefeiert haben. War im benachbarten Städtlein Jahrmarkt, so musste man doch auch hin und sehen, wie es in den Wirtshäusern der Stadt sei, und hören, was es Neues in der Welt gebe? Dann fehlte es außerdem nicht an allerlei Gängen und Läufen, Prozesshanseln und Schritten und Tritten vor Richter und Obrigkeit. Das brachte viel Versäumnis und Ausgaben, wenig Gewinn und Vorteil. Folglich nahm in allen Häusern das Vermögen eher ab als zu. Und darum fluchte Einer wie der Andere über schlechte Zeiten, über Regierung und über die Leute im Dorf.

3. Was der verständige Müller erzählt

Als Oswald in seinem Dorfe so viel Lasten und Sünden sah, ist ihm vor Zorn das Herz geschwollen. Er ging in die Mühle, wie er allemal tat, wenn er voll Unmuts war. Und wenn ihn da die holdselige Elsbeth anlächelte, verschwand sein Verdruss, wie eine Nebelwolke an der Stirn des Berges vor dem Glanz der Sonne.

Oswald sprach zum Müller: »Nein, wie sind doch die Leute so gottlos und die Hütten so voll Jammers! Das ist vor Zeiten nicht so gewesen. Da war der Fleiß auf den Feldern, die Zierlichkeit im Dorfe, die Eintracht in den Häusern und der Reichtum in den Scheuern. Da wurden die Bauern hochgeehrt von den Städtern, und man nannte sie auch wohl die Herren Goldenthaler. Nun ist Alles umgekehrt, und die Armut sitzt neben der Bosheit unter den Dächern. Wie hat der Krieg so viel Übels angerichtet!«

Der Müller antwortete und sprach: »Unser Dorf hat vom Kriege viel gelitten, gleichwie andere Dörfer und Städte. Es lagerten sich fremde Völker bei uns ein und verzehrten unsere Vorräte; wir mussten den Kriegsleuten dienen und liefern, was sie wollten; wir mussten der Obrigkeit Zins und Steuern zahlen; wir hatten schlechten Verdienst, denn Handel und Wandel standen still, alles Gewerbe war Verderb, und schlechte Jahre und Witterungen kamen dazu, dass das Gras auf den Feldern, das Getreide auf den Aeckern, das Obst an den Bäumen und die Traube an den Reben umkam. Aber unser Unglück stammt nicht von Krieg und Teuerung her. Denn andere Städte und Dörfer haben gelitten, wie wir, und fangen doch wieder an, heiter aufzuschauen. Aber in unserm Dörflein wird es alle Tage schlimmer. Andere Städte waren in Trübsal und Armut untergesunken, wie wir; doch heben sie sich wieder daraus mit Gottes Hülfe hervor. Aber, dem Himmel sei's geklagt, wir gehen nun darin unter.«

»Das wolle Gott verhüten!« rief Oswald: »Woher kommt das?«

Der Müller antwortete: »Das kommt daher: die Andern strengen ihre Kräfte an und schwimmen an das Ufer; wir überlassen uns dem Spiel der Unglückswogen und unsere Rettung dem Zufall. Ja diejenigen, welche uns helfen können, ziehen uns noch tiefer in den Wasserstrudel hinein.«

»Wer sind die?«

»Ich will es dir wohl im Vertrauen unter vier Augen offenbaren!« sagte der Müller. »Wenn es mit einer Gemeinde den Krebsgang geht, so kannst du dich darauf verlassen, hat sie schlechte Obrigkeit. Und das ist bei uns der Fall. Unsere Ortsvorgesetzten sind entweder eigennützige Menschen, oder einfältige, schwache Leute. Zwei von ihnen haben eigene Wirtshäuser, und der Schwiegersohn des dritten hat auch ein Trinkhaus. Da ist es ihnen eben recht, wenn die Leute lieber bei ihnen hinterm Tisch, als bei der Arbeit sind. Wird die Gemeinde versammelt, so ist es bald in diesem, bald im andern Wirtshaus, und da muss am Ende eins getrunken werden. Haben die Durstigen kein Geld, so wird ihnen geborgt. Können sie nicht zahlen, so kauft man ihnen ein wohlgelegenes Stück Land um das andere ab, oder nimmt es für die Schuld an; oder, was die Leute haben, wird öffentlich versteigert. Dann sind die Bettler fertig. Daher kommt nach und nach alles liegende Gut in die Hand einzelner reichen Leute. Wer Geld leihen will, geht zu ihnen und bekommt um doppelten und dreifachen Zins. So werden die Bedürftigen durch unchristlichen Wucher desto schneller zu Grunde gerichtet.«

»Ei, warum borgen die, welche Geld brauchen, nicht lieber das Geld an andern Orten, oder in der Stadt bei rechtschaffenen Leuten?« rief Oswald.

»Weil man unserer Gemeinde an andern Orten keinen Kreuzer mehr anvertraut!« erwiderte der Müller. »Denn weil die Gemeindevorgesetzten bisher die Geldaufbruchscheine für Bedürftige auf die liederlichste und leichtsinnigste Weise ausgestellt haben, sind die, welche Geld darauf liehen, hintennach darum halb oder ganz betrogen worden. So haben wir durch die Nachlässigkeit der Vorsteher allen Kredit verloren und alle Hoffnung auf fremde Hülfe. Weil uns Niemand in der Stadt mehr borgen will, so schimpfen und fluchen unsere Leute tagtäglich auf die Städter und drohen mit Mord und Brand. Widerführe einmal der Stadt ein Unglück, so würde das die größte Freude unsers Lumpengesindels sein, obgleich wir von der Stadt noch viel Verdienst und Almosen haben.«

»Das ist abscheulich!« schrie Oswald: »Aber wir haben ja noch ein ordentliches Gemeingut.«

»Ja, das Gemeingut ist auch verschuldet und wird nur von den Reichen benutzt!« antwortete der Müller: »Denn wenn die Vorgesetzten ein Geschäft abtun, einen Umgang an den Marchen und Grenzen halten, eine Holzanweisung machen, oder sonst etwas extra verrichten: so wird auf Kosten der Gemeinde geschmauste und gezecht. Damit geht das Vermögen der Gemeinde durch die Gurgel der Vorsteher. Jeden Gang wollen sie bezahlt haben. Dazu kommt, dass, weil die Reichen Kühe halten können und die Armen keine, so benutzen sie den Weidegang im Wald und auf den Almenden allein für sich, und die Armen haben keinen Nutzen und Vortheil von den Gemeindegütern.«

»Wenn du das Alles weißt, Müller: warum sagst du das nicht der ganzen Gemeinde und öffnest ihr die Augen?« fragte Oswald zornig.

»Weil es nicht hilft!« erwiderte der Müller: »Denn da die Meisten im Dorfe bei den Reichen verschuldet sind, so tun die Reichen was sie wollen, und es darf ihnen Keiner widersprechen. Und wenn unsereins gegen Missbräuche den Mund auftun will, so toben und lärmen die Lumpenkerle alle, dass man seines Lebens kaum sicher ist. Das wissen die Vorgesetzten und die Reichen wohl. Die betrachten die verlumpten Leute wie ihre Hunde, welche sie nach Belieben auf jeden loslassen können, der ihnen in die Quer kommt.«

»Das ist entsetzlich!« schrie Oswald: »Wenn denn die Menschen keinen Verstand haben, so sollten sie doch ein Gewissen und Gottesfurcht haben.«

»Ja, sie sollten wohl,« sagte der Müller, »aber woher nehmen? Unser Herr Pfarrer ist ein alter Herr, der für seine Pfründe und Bequemlichkeit sorgt, immer vom Glauben predigt, von Himmel und Hölle, und seine Kirchengeschäfte verrichtet, wie ein Anderer sein Tagwerk, und hat er es getan, sich um Anderes nicht bekümmert. Was man thun müsse, worin die christlichen Tugenden bestehen, und wie man sie erlangen und ausüben müsse – das lehrt er nicht. Er geht Jahre lang in keines Bauern Haus, als im Notfall, wo er gerufen wird. Folglich ist er kein wahrer Rathgeber, kein wahrer Tröster, und kennt den Zustand der Familien lange nicht genau genug, um auch im häuslichen Leben auf ihre Frömmigkeit und Besserung hin zu arbeiten. Die Leute gehen aus Gewohnheit in die Kirche, der Pfarrer predigt aus Gewohnheit, und mit dem Schritt aus der Kirche bleibt es bei den gewohnten Lastern und Liederlichkeit. Und weil die Menschen von innen in ihrem Herzen nicht besser werden, wird es auch von außen nicht besser. Und wie die Alten, so die Jungen.«

»Was? Taugt der Schulmeister auch nichts?« fragte der Oswald.

Der Müller sagte: »Seit dein Vater gestorben ist, der ein gottesfürchtiger, verständiger Mann war, geht es mit der Schule schlecht. Die Knaben und Mädchen lernen zur Not lesen, Schreiben und Rechnen, auch wohl ein Gebet. Aber von ihren Eltern daheim lernen sie, was sie sehen, nämlich Lug und Trug, Schwören und Fluchen, Unzucht und Heuchelei, Raufen und Balgen, Betteln und Stehlen, Spielen und Saufen, Müßiggang und Mutwillen, Hader und Neid, Verleumden und Lästern.«

Als Oswald diese Dinge hörte, schüttelte er den Kopf und ging in seiner Seele betrübt von dannen.

4. Wie der Oswald erschrecklich hut, und es ihm nicht hilft

An einem Sonntage nach der Predigt wurde die ganze Gemeinde versammelt; denn es war guter Rat teuer, woher Geld nehmen, weil im Lande eine außerordentliche Steuer ausgeschrieben, und noch dazu der Gemeinde eine Schuld aufgekündet war, die bisher nicht gehörig verzinset worden. Und das ganze Dorf kam nach alter Übung unter der großen Linde auf dem Platz zusammen. Die Vorsteher waren im Kreise der Bürgerschaft, und außer dem Kreise standen die Weiber, Töchter und Kinder, zu hören, was vorgehe.

Oswald war auch dahin gegangen, und hatte sich vorgenommen, seinen Mitbürgern über ihren traurigen Zustand die Augen zu öffnen. Daher, als die Vorgesetzten ihre Anträge gemacht und ihre Reden geendet hatten, stieg Oswald auf einen Stein, der mitten auf dem Wege lag. Da ward er von Jedermann gesehen. Also hub er an zu reden:

»Liebe Mitbürger! Ich bin vorzeiten als ein Knabe von euch gegangen in den Krieg, und bin als Mann wieder zurückgekommen. Aber wie ich in unser Dorf kam, habe ich es kaum wieder gekannt, und mir ist in Wehmut das Herz gebrochen, als ich sah, wie alles verändert worden ist. Denn vorzeiten hieß unser Dorf mit Recht Goldenthal, weil es ein goldenes Thal war, worin Gottes reicher Segen wohnte, mehr denn anderswo. Es waren bei uns die meisten Leute wohlhabend, nur wenige arm, und Bettler gar keine. Damals pflegte man uns, wegen unsers Wohlstandes, auch noch im ganzen Lande die Herren Goldenthaler zubeißen. Denn wir gingen nicht in zerrissenen Kleidern, wie Bettler, sondern stattlich einher, in sauberem doch einfachem Gewande; und hatten nicht nur im Hause zur Notdurft, sondern auch einen Gulden darüber hinaus. Damals hatte die Gemeinde keine Schulden zu verzinsen, sondern sie bezog sogar von andern Orten Zinsen für ausgeliehene Kapitalien, die wir erspart hatten. Damals war alles Land wohlgedüngt und angebaut, denn Jeder hatte seine Kuh und sein Ross im Stall, und auch wohl Geißlein und Schafe oder ein Paar Schweine daneben. Damals glich unser Dorf schon von außen einem zierlichen Marktflecken. Die Häuser standen schön und nett, von innen wie von außen, dass sich kein Herr aus der Stadt hätte schämen dürfen, darin zu wohnen. Haus- und Küchengeräte verkündeten, man sei wohl versorgt, und die Fenster glänzten wie Spiegel. Wenige Leute hatten Schulden, und wer sie hatte, dem war nicht bange, wie er sie zahlen müsse. Damals bekam ein Goldenthaler ohne Handschrift und Unterpfand aus der Stadt auf sein ehrliches Wort hundert und mehr Gulden geborgt. Damals war für Goldenthal noch eine goldene Zeit.«

Wie Oswald so redete, nickten ihm Alle freundlichen Beifall, und Einige sagten: »Der Oswald hat wohl Recht!«

Er aber redete weiter und sprach: »Nun ist es nicht mehr so. Man sollte unser Dorf nicht mehr Goldenthal nennen, sondern Kot- und Dreck-, Dornen- und Distel Thal. Von unsern Äckern ist meistens der Segen verschwunden; denn die Einen von uns haben zu viel Land, die Andern gar keines; die Übrigen können es nicht in Ordnung anbauen und benutzen. Die Bettelei ist von Vielen nicht mehr für Schmach gehalten, sondern für einen ordentlichen Beruf und Erwerb angesehen. Die meisten Haushaltungen sind verschuldet, und eine um die andere sieht den Tag vor, da ihr Alles versteigert und sie ausgetrieben werden muss. Die Schuldboten verlassen unser Dorf nie. Mit den benachbarten Orten haben wir Zank und Prozess, und unter uns selber Feindschaft und Parteien. Wir haben noch den alten Hochmuth, aber nicht mehr das alte Geld; auf den Straßen Kot und in den Häusern Unflat und Gestank, den meisten Unflat aber im Herzen. Denn hier versteht sich fast Jedermann besser aufs Saufen, als aufs Arbeiten; besser aufs Borgen, als aufs Bezahlen; besser aufs Prellen und Stehlen, als aufs Geben; besser auf Hinterlist, als auf Wahrheit. Wenn das so fortgeht, müssen wir in Elend und Schande Alle untergehen. Schon haben wir zu Stadt und Land keinen Kredit mehr, und wenn man Jemand einen Lump heißen will, so sagt man: er ist ein Goldenthaler!«

Bei diesen Worten des Oswald erhob sich ein großes Gemurmel und Dräuen im Volk, und jeder sah den Oswald mit finstern Blicken an; also, dass des Müllers Elsbeth in große Furcht geriet. Denn sie stand auf einer Bank am Hause und verwandte kein Auge vom Oswald, der ihr von Herzen lieb war.

Oswald ließ sich jedoch von dem Gemurre und Gesurre nicht schrecken, sondern fuhr also fort: