Hans Dampf in allen Gassen - Heinrich Zschokke - E-Book

Hans Dampf in allen Gassen E-Book

Heinrich Zschokke

0,0

Beschreibung

Seine Jugend, sein Reichtum und die neuen Ehrenstellen machten ihn zu einer hochwichtigen Person im Staat. Alle Jungfrauen und Mütter von Lalenburg dachten mit stiller Erwartung an ihn, und Hans Dampf dachte natürlich auch an sie. Aber der Lalenburger Göttinnen waren so viel, daß die Wahl schwer ward, welcher er den Apfel zuwerfen sollte. Er flatterte prüfend von Blume zu Blume umher. In allen Gassen nährte er eine kleine Liebschaft. Bald waren in Lalenburg keine Bürgerstöchter mehr, die nicht Ansprüche auf das Herz dieses Alcibiades machen zu können meinten.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 98

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Heinrich Zschokke 

Hans Dampf in allen Gassen 

Erzählung 

erstmals erschienen 1814   

idb   

ISBN 9783961503551    

I   

Die Rückkehr des berühmten Hans Dampf von der hohen Schule des Auslandes in seine Vaterstadt wird mit Recht als ein Hauptabschnitt in der Geschichte des Lalenburgischen Freistaates und, wenn man will, der gesamten europäischen Welt betrachtet. Wenigstens hielt jeder Lalenburger die Angelegenheiten seines Städtchens für wichtig genug, die Aufmerksamkeit der entferntesten wie der nächsten Völker zu fesseln; und keiner zweifelte einen Augenblick daran, daß die leiseste Schmälerung der alten Rechtsame von Lalenburg oder von Lalenburgischen Patriziern das heilige Gleichgewicht der europäischen Staaten zerrissen und die Welt vom Ural bis zum Tajo in Feuer und Flammen setzen müsse. Es ist immer gut, wenn die Bürger eines auch noch so kleinen Freistaates groß von sich selber denken. Um so seltener werden sie kleinlich handeln. Denn großer Rat und kleine Tat mahnt nur an Don-Quixoterie und Gasconade. Auch liegt ja die wahre Größe eines Staates nicht im Umfang seiner Besitzungen, sondern in der Kraft und im lebendigen Geist seiner Bewohner oder zuletzt derer, die den Stab der Herrschaft führen. Völker sind an sich nichts als Nullen; nur die Obrigkeit die Zahl, welche voran steht und jenen erst Bedeutung gibt. 

Hans Dampf war der Sohn des verstorbenen Bürgermeisters Peter Dampf, eines der größten Staatsmänner seines Jahrhunderts. Peters hoher, menschenfreundlicher Geist hatte niemals die Ruhe von Europa unterbrochen. An Einsichten übertraf er alle Zeitgenossen, in Urteilen war er unfehlbar, in Entscheidungen vollkommen gerecht, in witzigen Einfällen kam ihm niemand gleich. Und dies alles aus dem einfachen Grunde, weil er die erste Magistratsperson im Staate war. Nicht was er wirklich getan hat, sondern was er noch alles hätte tun können, müßte, sollte es beschrieben werden, ganze Folianten füllen und ihn, wo nicht über, doch neben den herrlichsten Fürsten in der Weltgeschichte setzen. Er starb zu früh für Lalenburgs Glück; nur die Tugenden seines Nachfolgers, Herrn Bürgermeisters Tobias Krach, konnten den gerechten, doch verschwiegenen Schmerz des Staats um den Verlust des großen Peter Dampf mildern. 

Der junge Hans Dampf hatte sich auf den Schulen des Auslandes gebildet, um als Patrizier einst den ihm gebührenden Rang mit Würden einnehmen zu können. In Lalenburg selbst war zwar eine gute Schulanstalt, jedoch diese nur für die Bedürfnisse der geringeren Bürgerklasse und der ärmeren Patrizierfamilien berechnet. Denn die Lalenburgischen Großen hatten schon längst begriffen, was spät erst andere Staatsmänner zum Grundsatz ihrer Staatsklugheit machten: daß Aufklärung und Kenntnisse die tödlichsten Gifte sind, welche man einem Volke beibringen könne. Europa hat den größten Teil seiner Übel nur der Selbstdenkerei zu verdanken. Kann diese schon in Monarchien so nachteilig sein, daß der Sekretär oft mehr als sein Minister versteht und der Kapitän oder Leutnant die strategischen und taktischen Sünden seines Oberfeldherrn richtig einsieht, womit folglich das Oberste zu unterst gekehrt wird: um wie gefährlicher muß die Wirkung in Freistaaten sein! Die Herren von Lalenburg hatten daher frühzeitig schon die herrliche Einrichtung getroffen, daß jeder Volksklasse aus dem Quell der Weisheit nur eben so viel zugetröpfelt wurde, als zu Lebensnotdurft und Nahrung erforderlich war. In den paar untertänigen Dörfern der freien Republik überließ man aus angestammter landesväterlicher Milde den Bauern das Recht, eine Schule zu haben oder nicht und den Schulmeister zu besolden oder nicht. Natürlich fanden die Landleute mit ihrem gesunden Menschenverstande die ewig richtige Wahrheit von selbst: daß ein Bauer zum Pfluge keiner Gelehrsamkeit bedürfe. Sie erwuchsen demnach in Gottesfurcht und frommer Einfalt so gut wie andere und wurden dabei dick und fett zu jedermanns Verwunderung. Überhaupt tat sich, und mit Recht, die Regierung von Lalenburg auf den blühenden Wohlstand ihres Volkes viel zugut. Sie betrachtete das Volk wie eine ihr anvertraute Herde, die gemästet werden sollte, je fetter der Mann, je ansehnlicher er war. In der Stadt beobachtete man das gleiche Verhältnis. Und so kam, wie von selbst, zu Lalenburg wieder eine der preiswürdigsten Staatsordnungen in Flor, die nur in China, Indien, Egypten und den berühmtesten Ländern des Orients gekannt worden ist. Nämlich der Sohn des Bauers ward wieder Bauer und konnte in Ewigkeit nichts anderes werden; des Handwerkers Kind ward wieder Handwerker, des Predigers Sohn Prediger, des Kaufmanns Sohn Kaufmann, des Ratsherrn Sohn Ratsherr. Wer anders dachte, hieß ein unruhiger Kopf, ein Demagog, oder was man nachmals Metaphysiker, Jakobiner und dergleichen hieß. Diesen Geistesfrieden sicherer zu behaupten und alle Neuerungen zu verbannen, hatte man die vortrefflichsten Zensuranstalten eingerichtet, welche den Lalenburgern erst spät nachher in anderen Ländern nachgeahmt wurden. Schriften und Bücher von sogenannten unruhigen Köpfen wurden mit gehöriger Vorsicht verboten; nur Gesang- und Gebetbücher aus Katechismen zu drucken erlaubt. Die Lalenburger Zeitung enthielt nur ausländische Artikel; von Stadt und Republik Lalenburg durfte kein Wörtchen in der Welt ruchbar werden, damit nicht etwa ein wichtiges Staatsgeheimnis verraten werde. Nur bei Ratswahlen und wo etwas Löbliches ohne Gefahr von der Stadt gepriesen werden konnte, stieß die Lalenburgische Fama ins Horn, und billig ward das Rühmliche gepriesen, anderen Staaten zum Muster, oder künftigen Geschichtschreibern reichhaltigen Stoff zu geben. Dies erweckte dann unter den jungen Patriziern eine edle Nacheiferungssucht. 

Auch Hans Dampf war von derselben entflammt. Aber schon die Natur hatte für diesen liebenswürdigen Jüngling viel getan. Er schien zu großen Dingen geboren. Billig setzen wir an die Spitze seiner Vorzüge das seltene Verdienst, daß er nicht nur reich war, sondern auch reiche Vettern und Basen zu beerben hatte. Schon das stille Bewußtsein, Geld zu haben und zur Herrschaft geboren zu sein, erhebt über den großen Haufen; macht klug, gelehrt, verständig, rechtschaffen, geistvoll und liebenswürdig. Ohnehin von angenehmer Gestalt, sah man es ihm an, wohin er auch kommen mochte, daß er um seines Selbsts willen geschaffen sei; in seinen Worten, in seiner Haltung, in seinen Bewegungen herrschte eine gefällige Leichtigkeit, ein ungezwungenes Leben, welches man bei jedem anderen, der von geringerem Herkommen gewesen wäre, Ungezogenheit oder Dummdreistigkeit genannt haben würde. Er wußte mit edler Freimütigkeit über alles zu sprechen, was er verstand und nicht verstand; war kenntnisvoll ohne Schulfüchserei, denn er hatte seine Kenntnisse aus Romanen, Journalen und gelehrten Zeitungen geschöpft, die ihm das Lesen pedantischer Bücher ersparten und doch deren Fünftelsaft mitteilten. Zu sogenannter Gründlichkeit des Wissens fehlten ihm ohnehin Laune und Beruf. Er war rastlos tätig, man möchte sagen, ein quecksilberner Mensch; mischte sich in alles, wollte alles wissen, alles sagen, alles tun, — genug, er hatte jene Eigenschaften in vollem Maße, die an geringern Personen zwar für Naseweisheit gelten, aber in Lalenburg nicht ohne die wichtigsten Wirkungen bleiben konnten und als Universalgenialität bei großen Staatsmännern geachtet werden müssen. 

II   

Auf der hohen Schule hatte ihm dieselbe Lebhaftigkeit seines Geistes manche kleine Unannehmlichkeit verursacht und von rohen Menschen zuweilen sogar Schläge. Doch nur gemeine Seelen lassen sich von irdischen Unfällen schrecken. Er blieb sich gleich. Erhaben über jeden Sturm des Schicksals und über die Schmerzen seines Rückens verfolgte er die erwählte Laufbahn, welche ihm unter seinen Mitschülern den etwas dunkeln und seltsamen Namen eines Stänkers erwarb, der aber auf dem Thron eines Weltbeherrschers mit Recht in den Beinamen des Großen verwandelt worden sein würde. Denn bekanntlich ist nichts an sich groß oder klein, sondern wird es erst durch Ort, Zeit und Umstände. Alexander der Große so gut als sein schwedischer Affe Karl der Zwölfte, Karl der Große so gut als sein korsischer Nachahmer, jeder war zu seiner Zeit ein Hans Dampf in allen Gassen und spielte in den Leidensgeschichten der verschiedensten Nationen seine unvergeßliche Rolle, ohne dafür gesegnet zu werden. Eben diese rege Schmetterlingshaftigkeit des Gemüts, dies überall sein und nirgends, dies alles in allem sein, zeichnete den edlen Jüngling nicht minder unter seinen Mitbürgern aus als in der Fremde. Seine Mitbürger hatten ohnedem die Gewohnheit, etwas langsam zu denken und vorsichtig einherzuschreiten. Das Glück war ihm hold in allem. Kein Wunder, wenn die meisten Lalenburger ihn für eine außerordentliche Erscheinung in der Welt- und Menschengeschichte hielten und zuletzt alle Spiele des Zufalls für Werke seiner Kraft ansahen und Sachen auf die Rechnung seiner Vieltätigkeit schrieben, von denen er selbst gar nichts wußte. Sobald er in die Vaterstadt zurückgekommen war, bemerkte man allgemein, daß er an Jahren, Verstand und Körper zugenommen hatte. Er ragte in der Tat um eines Kopfes Länge über die meisten Seiner Mitbürger hervor, und daher gab man ihm, zur Unterscheidung von andern Gliedern des Dampfischen Geschlechts, den Beinamen des Großen. Daß es auch eine Größe des Geistes geben könne, welcher solch ein Beiname gebühre, kam keinem Lalenburger in Sinn; denn ein Geist hat weder Fleisch noch Bein. Nach einigen Jahren, da der große und souveräne Rat der Stadt und Republik erneuert oder vielmehr nur ergänzt wurde, gelangte er durch Recht der Geburt in die Würde derer, welche die höchste Gewalt übten, Gesetzgeber des Staates waren, und aus welchen diejenigen genommen zu werden pflegten, welchen man die höchsten Ehrenstellen erteilte. Natürlich mußte es einem jungen, aufstrebenden Jüngling kein geringes Vergnügen sein, zu den Vätern des Vaterlandes zu gehören. Diese Benennung, die höchste und ehrenvollste, welche das erhabene Rom einst seinen vortrefflichsten Regenten gab und in neueren Zeiten die Völker ihren Großen beilegten, erteilten sich die Herren Ratsherren von Lalenburg sowohl gegenseitig in feierlichen Reden, als in öffentlichen Verkündungen, selbst wenn sie etwa nur eine Fleisch- und Brottaxe bekannt machten. Bald nach dieser Standeserhöhung warf ihm das Glück noch die Würde eines Staatsbaumeisters der Republik zu. Ich sage, das Glück. Denn mit Ausnahme der Konsulwürde, welche vom geheimen Stimmenmehr in förmlicher Wahl abhing, wurden zu Lalenburg ohne Ausnahme alle übrigen Ämter durch das Los verteilt. Diese vortreffliche Einrichtung verdient mit Recht bewundert zu werden. Denn nicht nur ward dadurch allem Entstehen von Faktionen und Parteien vorgebeugt, die in Republiken durch den Ehrgeiz der Bürger gewöhnlich veranlaßt werden, sondern die Ernennung empfing damit ein geheiligteres Ansehen. Es waren nicht Menschen, es war der Himmel selbst, welcher durchs Los den Würdigsten bezeichnete. Nun geschah freilich nicht selten, daß dadurch ein Metzger Oberschulrat, ein Barbier Oberpostmeister, ein Garkoch Großschatzmeister der Republik ward. Aber dies beförderte eine Mannigfaltigkeit der Geistesbildung, welche sonst nirgends leicht gefunden wird. Auch bewährte sich immerdar das alte, sinnvolle Sprichwort: wem Gott ein Amt gibt, dem gibt er auch Verstand; ein Sprichwort, welches ursprünglich aus Lalenburg stammt, wie jedermann weiß. 

Hans Dampf war daher keineswegs verlegen, als er, der in seinem Leben kaum ein Kartenhäuschen gebaut hatte, Staatsbaumeister der Republik ward. Er übernahm die Aufsicht über die zwei öffentlichen Brunnen der Hauptstadt, über die Landstraßen der Republik, auf denen man ohne besondere Mühe am hellen Tage Hals und Bein brechen konnte, und über sämtliche Staatsgebäude, wozu vornehmlich das Rathaus, die Schule und das Spritzenhaus gehörten, nebst Kirche und Pfarrwohnung. 

Seine Jugend, sein Reichtum und die neuen Ehrenstellen machten ihn zu einer hochwichtigen Person im Staat. Alle Jungfrauen und Mütter von Lalenburg dachten mit stiller Erwartung an ihn, und Hans Dampf dachte natürlich auch an sie. Aber der Lalenburger Göttinnen waren so viel, daß die Wahl schwer ward, welcher er den Apfel zuwerfen sollte. 

Er flatterte prüfend von Blume zu Blume umher. In allen Gassen nährte er eine kleine Liebschaft. Bald waren in Lalenburg keine Bürgerstöchter mehr, die nicht Ansprüche auf das Herz dieses Alcibiades machen zu können meinten. 

 III 

Vettern und Basen, da sie seine Unentschlossenheit sahen, traten endlich zusammen, über die Wahl der künftigen Frau Staatsbaumeisterin Rat zu halten. Man erwog die zu einer Heirat unentbehrlichsten Erfordernisse der Töchter des Landes, als da sind Vermögen und Familie. Und nach langem Bedenken, Forschen und manchem beseitigten Aber und Wenn fiel die Wahl der Vettern und Basen einhellig auf Jungfrau Rosina Piphan, einzige Tochter des Herrn Seckelmeisters der Stadt und Republik, Enkelin des vor zwölf Jahren selig verstorbenen Bürgermeisters der Republik, Verwandtin der angesehensten und reichsten Häuser der Stadt und dabei selbst die reichste Erbin unter allen jetzt zu Lalenburg blühenden Schönen.