Das graue Haus - Herman Bang - E-Book
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Das graue Haus E-Book

Herman Bang

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Beschreibung

Dieses eBook: "Das graue Haus" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Herman Joachim Bang (1857/1912) war ein dänischer Schriftsteller und Journalist. Bang war anfangs noch dem Naturalismus verhaftet und wurde von Émile Zola, Henrik Ibsen und Charles Darwin beeinflusst. Auch Iwan Sergejewitsch Turgenew und Jonas Lie sind als literarische Vorbilder zu nennen. In seiner weiteren künstlerischen Entwicklung wurde Bang zum Schöpfer des dänischen Impressionismus und der Repräsentant der dänischen Dekadenz. Bang schilderte meisterhaft das Leben "unbedeutender" Menschen sowie einsamer und isolierter Frauengestalten. Aus dem Buch: "Seine Exzellenz richtete sich in dem Föhrenholzbette empor und zündete sein Licht an. Dann stand er auf. Er übergoß sich mit Wasser während er sich im Spiegel betrachtete: der Körper war knorrig und stark wie ein alter Balken; an der weißen Wand zeichnete er sich ab wie der Schatten eines Riesen. Seine Exzellenz kleidete sich an und ging hinein. Er ging mit dem Licht in der Hand durch die vielen Zimmer. Bronzen, Piedestale und Ehrengeschenke standen in Laken gehüllt. Sie ragten so seltsam aus dem Dunkel hervor, als ginge die Exzellenz unter lauter Gespenstern durch die Räume..."

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Herman Bang

Das graue Haus

Übersetzer: Therese Krüger

e-artnow, 2014
ISBN 978-80-268-1277-7

Inhaltsverzeichnis

Erster Teil
Zweiter Teil
Dritter Teil

»Die Erde erkaltet einmal – so gut wie der Mensch.« Tel! me the talee, that to me were so dear, long long ago,

Erster Teil

Inhaltsverzeichnis

Seine Exzellenz richtete sich in dem Föhrenholzbette empor und zündete sein Licht an. Dann stand er auf. Er übergoß sich mit Wasser während er sich im Spiegel betrachtete: der Körper war knorrig und stark wie ein alter Balken; an der weißen Wand zeichnete er sich ab wie der Schatten eines Riesen.

Seine Exzellenz kleidete sich an und ging hinein. Er ging mit dem Licht in der Hand durch die vielen Zimmer. Bronzen, Piedestale und Ehrengeschenke standen in Laken gehüllt. Sie ragten so seltsam aus dem Dunkel hervor, als ginge die Exzellenz unter lauter Gespenstern durch die Räume.

An der letzten Tür blieb er einen Augenblick stehen und lauschte. Drinnen wurde gesprochen. Es war Ihre Gnaden, die im Schlaf sprach. Im Schlaf glaubte Ihre Gnaden sich immer auf alten Bällen und tanzte mit Durchlauchten, die tot waren.

Seine Exzellenz blieb stehen, während seine erhobene Hand wie mit geballter Kralle die Portiere umfaßte: es war eine Schwäche von ihm, den Reden Ihrer Gnaden zu lauschen, wenn sie schlief.

Plötzlich stellte er das Licht fort und öffnete die Tür. Im Dunkeln ging er auf das Bett Ihrer Gnaden zu.

Ihre Gnaden sprach weiter – und noch lauter, während Seine Exzellenz lauschte:

»Weimar, Weimar,« wiederholte Ihre Gnaden.

Seine Exzellenz stand noch immer da wie eine Säule.

»Ja, Hoheit,« sagte Ihre Gnaden.

Seine Exzellenz wandte sich und schloß die Tür und ging weiter.

Seine Hände zitterten, während er die eiskalte Lampe umfaßte und anzündete, ehe er sich an seinen Tisch setzte. Er zog Schubladen aus und ein, und er nahm die großen, blauen Bogen hervor, bog einen Rand und fing an zu schreiben.

Er schrieb, den Kopf vorgebeugt und mit zusammengekniffenen Augen, als wolle er die Sehkraft erzwingen, während die linke Hand auf dem Papier lag, blauweiß und schwer, wie aus Blei; und er schrieb und schrieb ohne Pause, mit heftiger oder erbitterter Feder, Seite auf Seite, Blatt auf Blatt und schleuderte die Bogen dann zur Seite.

Kein Laut war zu hören, nur das Sieden der Öllampe.

In dem matten Licht sahen die Örsteds und Mynsters und Hvides so seltsam halbverwischt aus, wie sie rund herum in der Stube an den Wänden hingen, auf den blassen Lithographien, in ihren goldenen Rahmen, ordengeschmückt, im Ornat, offiziell – verstorben und still.

Die Exzellenz hatte sich im Stuhl zurückgelehnt.

»Ach ja, ach ja.

Ach ja, ach ja,« klang es durchs Zimmer.

Und wieder schrieb er.

Der Tag begann durchzudringen, und sein kaltes Licht mischte sich mit dem der spärlichen Lampe. Der mächtige Schädel Seiner Exzellenz ragte immer noch über seinen Tisch empor.

Der Diener kam herein, beugte seine mürben Knie vor dem Kachelofen und brachte die großen Scheite zum Brennen. Das Feuer beleuchtete die bräunliche Perücke – sie hatte so merkwürdig hochstehende Ränder – und das Gesicht, dessen Mund inmitten der hundert Runzeln an ein zusammengeklapptes Messer erinnerte.

Die Exzellenz hörte ihn nicht. Der Diener brachte den Tee zusammen mit der Morgenzeitung, und plötzlich drehte die Exzellenz sich um.

»Laß sie das zusammenheften,« sagte er und reichte dem Diener die blauen Blätter.

Der Diener Georg ging, während die Exzellenz den kochend-heißen Tee in einem Zuge schluckte – Kälte oder Wärme schien der uralte Leib nicht mehr zu spüren.

Draußen in der Küche nähte Sophie. Sie saß bei der Lampe und heftete mit einem langen schwarzen Faden die beschriebenen Blätter zusammen, mit einer Hand, die wie lauter rote Knochen aussah.

»Schreibt er?« fragte sie.

Der Diener nickte.

»Ja so.«

Die Bornholmer Uhr neben dem Küchentisch tickte langsam und schwerfällig. Es war, als hole sie jede zögernde Sekunde mühsam und stöhnend aus einem unendlichen Brunnen herauf. Die Bornholmer war die einzige Uhr im Hause, die ging. Die andern waren stehen geblieben.

Georg brachte die zusammengehefteten Blätter zurück, und die Exzellenz zog Schubladen aus und Schubladen ein. Sie waren alle voll von Heften derselben Art. Die Morgenzeitung ließ er liegen. Er las keine Zeitungen mehr:

»Passiert etwas?« sagte er.

»Was passiert?« sagte Seine Exzellenz, »sie bauen ein paar Häuser mehr, in denen sie gegen sich selber sündigen können.«

»Nimm sie fort,« sagte er.

Der Diener nahm sie fort, um sie für Ihre Gnaden zu verwahren. Ihre Gnaden ließ sich täglich von ihrer Gesellschaftsdame die Rubrik: Leerstehende Wohnungen vorlesen.

Punkt neun Uhr klingelte es, und die eiserne Glocke klang so seltsam weit ins Haus hinein; es war der Enkel.

»Exzellenz zu Hause?« sagte er.

»Ja,« antwortete Georg, und er hängte die Sachen des jungen Mannes auf denselben Haken wie gestern.

»Du hast geschrieben,« sagte der junge Mann und neigte den Kopf.

Der Alte drehte sich um.

»Ja,« und die Stimme klang heftig.

»Wie gewöhnlich. Man schreibt und verschwendet Tinte, wenn man nicht mehr leben kann. Mit Schwarz auf Weiß kann man sich die Menschen zurechtstutzen, wie man will. Da machen sie nicht mehr Dummheiten, als man ihnen erlaubt.«

»Hast du gefochten?« fragte er plötzlich.

»Ja.«

Mit einem Blick, der eine eigentümliche und plötzliche Kraft annahm, sagte Seine Exzellenz:

»Du bist ein Spätgeborener. Du mußt dich in acht nehmen.«

Während er fortfuhr, das Gesicht des Enkels zu betrachten, worin die Lippen in all der Blässe wie Blut so rot waren, sagte er mit derselben Stimme wie vorher:

»Ich weiß auch nicht, wie wir die Rasse in die Familie bekommen haben.«

Der Enkel, der den sehr schlanken Körper sehr gerade hielt, hob die dunkeln Augenlider ein wenig.

»Hast du an der Komödie geschrieben, Großpapa?« fragte er.

»Ja. Lies es vor.«

Der Enkel setzte sich in den großen Stuhl am Fenster und fing an zu lesen – sehr laut, damit Seine Exzellenz ihn hören konnte.

»Was, sagst du, steht da?« rief Seine Exzellenz.

Der Enkel las lauter und bemühte sich, die unleserliche Schrift zu ergänzen, wo Buchstaben vergessen und Sätze ausgefallen waren.

»Was steht da?«

Der Enkel las weiter.

»Nein,« rief Seine Exzellenz, »laß mich selbst.«

Er ergriff die Bogen. Und zornig und zum Licht vorgebeugt, versuchte er selbst, alle die Sätze zu lesen, die er schon vergessen hatte.

»Nein,« sagte er plötzlich, »ich kann nicht. Die Augen sind schuld. Die Augen wollen nicht.«

Er legte das Manuskript aus der Hand.

»Die Augen wollen nicht mehr.

Leg es fort.«

Der junge Mann nahm die blauen Bogen und legte sie in eine Schublade neben die andern.

Die Exzellenz folgte seinen Händen mit den Augen.

»Es sind viele,« sagte er.

»Ja, Großpapa.«

Die Exzellenz hatte die Augen geschlossen. Die Zeit war vorbei, wo Seine Exzellenz zu den Verlegern fuhr. Jahrelang war er von Tür zu Tür gefahren, hatte Manuskripte verschickt und hatte sie wiederbekommen. Nun hatte er es aufgegeben.

»Das Papier ist zu teuer geworden, mein Junge,« sagte er.

Seine Dichtungen wurden nicht mehr gedruckt. Es mußten denn schon ein paar Grabverse sein, auf ein Enkelkind oder einen Freund, der einmal berühmt gewesen und nun vergessen war. Das Regierungsblatt druckte zuweilen solch ein Gedicht hinten in der Zeitung ab, mit sehr kleinen Buchstaben.

»Du solltest deine Erinnerungen schreiben, Großpapa,« sagte der Enkel – seine Stimme war, wenn er nicht auf sie achtete, fast beängstigend weich, und er schloß die Schublade.

Seine Exzellenz lachte.

»Erinnerungen,« sagte er, »Erinnerungen – wir haben Gewäsch genug. Erinnerungen – hm, es gibt niemanden, der seine Erinnerungen geschrieben hat. Über die andern lügen sie, und von sich selber reden sie nicht ... Sie schreiben von dem Quark, den sie erlebt haben, und was sie gelebt haben, nehmen sie mit sich ins Grab.«

Seine Exzellenz lachte wieder, und seine Stimme bekam einen seltsamen, rohen Klang:

»Und sie tun recht daran, mein Bester,« sagte er; »schriebe ein einziger Mensch sich selber nieder und gäbe sich selbst nach seinem Tode zum Druck, sie würden ihn noch im Grabe zu Zuchthaus verurteilen – denn es gibt doch Gerechtigkeit im Himmel und auf Erden ... –

Nein, es lohnt sich nicht, eine Auskunft zu geben.«

Seine Exzellenz schwieg eine Weile. Dann sagte er: »Laßt mich die Zeit totschlagen, so gut ich kann. Das letzte Stück Weges ist das schwerste, und Denken ist dumm. Ein Loch in der Erde ist so viele Gedanken nicht wert.« Der Enkel saß eine Weile da.

»Du hast doch uns,« sagte er.

»Ja,« sagte die Exzellenz, »ihr müßt ja Brot und Kleider haben.«

Der Mund des jungen Menschen zitterte fast unmerklich. Doch der Alte fuhr fort:

»Hast – hast?« sagte er. »Die Menschen, Fritz, haben einander nicht. Sie brauchen einander und sind allein. Wenn man alt geworden ist, weiß man das und mag nicht mehr die vielen Worte reden, die keiner hört. Wer hört? Das Gras redet, ohne es selbst zu hören. –

Die Tiere, mein Junge, werden ohne Worte fertig, und es glückt ihnen doch, ihre Bestimmung zu erfüllen.«

Der Enkel saß zusammengesunken da mit merklich gesenkten Schultern.

»Gerade sitzen,« sagte der Alte.

»Ja;« der junge Mann fuhr so hastig in die Höhe, daß er sich den Kopf am Wappenschild der Stuhllehne stieß.

»Nein,« fuhr die Exzellenz in dem Gedankengange fort, »der Fortpflanzung soll gedient werden. Mögen sie zeugen und sterben. Das haben sie jahrtausendelang getan. Dabei sollen sie bleiben und sich nichts weismachen. Sie erfinden und verfallen auf allerhand und bauen Städte und schaffen sich einen berühmten Namen ... Der Natur ist das ganz egal. Die Erde erkaltet einmal so gut wie der Mensch.

Oder was haben sie davon?« sagte er und sah plötzlich zu den vielen Bildern an den Wänden auf: »Da hängen sie mit ihren Ketten, in ihren Mänteln, als die Schauspieler, die sie waren, und« – die Exzellenz machte eine Bewegung mit den Füßen, als reinige er seine Sohlen – »was sie wollten, wurde zum Entgegengesetzten, und ihre Taten find so tot wie sie selbst.«

»Was ist das Ganze?« fuhr er fort, »es macht nicht satt ... Hm, ich erinnere mich an einen Tag mit Thorwaldsen ... er war wohl der größte, auch als Komödiant, denn das hängt damit zusammen ... er ging einher, als sei er selber im Festgewand und wolle Weihrauch anzünden vor dem eigenen Marmor. Aber dann kam ein Tag, wo er wach war, sonst schlief er viel, Fritz, ruhte auf seinem weltberühmten Namen. Aber an dem Tag war er wach – es war in seiner Werkstatt: da machte er eine kleine Handbewegung nach all den weißen Figuren und all dem Ton hin, und dann sagte er:

›Ja, das ist ja recht schön.‹

So ist alles, wenn man es kennt.«

Die Exzellenz lachte kurz, als genösse er die eigene Erinnerung:

»Und Ohlenschläger starb, über seinen eigenen Sokrates brüllend, den keiner lesen mochte, und Heiberg sah nach den Sternen – wenn es einer glaubt. Mögen die Sterne gehen, wie sie wollen. Ich weiß nichts davon, daß wir je eine Botschaft von ihnen bekommen hätten.«

Er fuhr sich über die Augen, und in anderm Ton sagte er:

»Doch alte Leute sollten kein starkes Hirn haben, denn dann wissen sie zuviel ... Sie sollten stumpf werden. Die es nicht werden, haben Zeit zu sehen, und das sollte den Menschen erspart bleiben. – – Man sollte nie sehen, weder sich noch andere ... Es gibt ein dummes Wort, daß, wer Jehova sieht,« – und die Exzellenz lachte bei diesem Wort – »stirbt. Aber ich sage dir, sähe ein einziger Mensch einem andern ganz bis auf den Grund der Seele, er würde sterben. Und wäre es denkbar – doch das ist es nicht, denn sich selber belügt man allzu verstockt – daß man sich selber auf den Grund seiner Seele sähe, mein Junge, man würde es als eine geringe, aber notwendige Strafe betrachten, ohne einen Laut sein Haupt selbst auf den Block zu legen. – – Na,« – und auf einmal brach Seine Exzellenz ab – »ich schwatze ... Aber« (plötzlich sah er den Enkel an, und weniger als eine Sekunde lang war in seinem Auge fast etwas wie in dem Blick des Schützen, wenn er zusieht, ob ein Pfeilschuß getroffen hat) »es macht wohl nichts, denn du hörst nicht zu. Eine andere Weisheit braust vor deinen Ohren.«

Der junge Mensch stand auf.

»Adieu, Großpapa,« sagte er nur.

»Hast du sonst nichts auf dem Herzen?«

Seine Exzellenz erhob sich, ging an seine Schatulle und schloß sie auf. Er schob einen Briefbeschwerer zur Seite und nahm ein paar Banknoten, die er nicht zählte.

»Die Jugend muß Geld haben,« sagte er.

»Adieu.«

»Adieu, Großpapa.«

Der junge Mann ging.

Georg wartete auf dem Flur, nahm den Überzieher herunter und half ihm hinein.

»Adieu,« sagte der junge Mann und neigte den Kopf.

Georg hängte den »Zettel« draußen an die Tür. Auf einem Stück Pappe stand mit halbverlöschten Buchstaben das Wort: Konsultation.

Dann öffnete er den Briefkasten und nahm die Post heraus. Die Briefe legte er auf die Konsole. Doch als er es getan hatte, nahm er sie plötzlich wieder in die Hand und las die Aufschrift auf dem einen Kuvert, während er eine Grimasse schnitt – ehe er die Briefe wieder hinlegte, diesmal aber weiter ins Dunkel hinein.

»Ist Ihre Gnaden wach?« fragte die Exzellenz, als Georg eintrat.

»Ihre Gnaden haben geklingelt.«

»Und mein Sohn?«

»Herr Fritz Hvide ist ausgegangen.«

»Hm. Bringen Sie mir das Journal.« Georg brachte das schwere Buch und schlug es auf.

»Der wievielte ist heute?«

»Der achtundzwanzigste, Exzellenz.«

»Der Fasching geht zu Ende,« sagte die Exzellenz.

Seine Exzellenz schrieb das Datum vor eine große Rubrik unter die andern Rubriken, die leer waren.

»Danke,« sagte er, »du kannst gehen.«

Georg ging. Draußen im Flur setzte er sich auf den Stuhl dicht bei der Tür. Seine Haltung war sehr aufrecht. Er wartete darauf, den Patienten Seiner Exzellenz zu öffnen. Allmählich fiel ihm der Kopf auf den hohen Kragen der Livree, und die Schultern sanken ein. Es war, als säße am Paneel ein bekleidetes, lebloses Stativ.

»Ach ja, ach ja,« klang es durch die Tür Seiner Exzellenz heraus.

Georg rührte sich nicht.

Es klingelte. Es war ein Diener, alt wie Georg, sehr groß, in einem sehr langen Rock. Oben saß ein Kopf, der gewissermaßen nicht richtig fest saß. Er sollte einen Brief abliefern. Er trat zur Exzellenz hinein, der den Brief las. Es war eine Einladung zum Diner von der Baronin Brahe.

»Bestellen Sie der Baronin meinen Dank,« sagte er. »Aber ich laß mich nicht mehr zur Tierschau präsentieren ... Wie geht es ihr?«

»Danke, gut, Exzellenz.«

»Und Ihm selbst?«

Der Diener stand steif an der Tür. Nur Kopf und Schultern bewegten sich. Die übrige Statur erinnerte an ein Gebäude, das man gestützt hat.

»Danke, Exzellenz ... wenn nur das Zittern nicht wäre ... aber ich nehme das ›Stärkende‹, Exzellenz.«

»Ja, stärk' Er sich,« sagte Seine Exzellenz und drehte ihm plötzlich das Gesicht zu, mit einem Ausdruck, als sehe er einen alten Hund an.

Der alte Mensch stand einen Augenblick stumm da, und dann sprach er ihn aus – seinen ewigen oder einzigen Gedanken –:

»Und mit dem Servieren geht es so schlecht.«

»So sollte Er's lassen,« sagte die Exzellenz.

»Es dankt Ihm keiner dafür, wenn Er ihm Soße über die Kleider schüttet.

Adieu.«

Seine Exzellenz drehte sich um, und die Tür glitt zu.

»Was hat er gesagt?« flüsterte Georg draußen auf dem Flur.

»Es gibt wohl nichts, was helfen könnte,« sagte der andere.

Georg nickte. Doch plötzlich zeigte er mit ganz verändertem Gesichtsausdruck nach der Tür hin und flüsterte:

»Mit ihm steht's auch dreckig genug.«

Es war, als spiegele sich der Ausdruck im Gesicht Georgs plötzlich in dem des Fremden:

»Wirklich?« sagte er, und seine Stimme bekam förmlich Klang.

»Unserer Baronesse geht's auch gottsjämmerlich,« flüsterte er.

»Also Emmely ist krank?« sagte Georg.

»Ja, Gichtfieber, wie sie es nennen.«

»Ja,« nickte Georg.

»Und das ist nun wohl aufs Herz geschlagen,« flüsterte der Brahesche Diener.

Und indem er nach der Tür Seiner Exzellenz hinzeigte, sagte er.

»Aber ihn ruft man ja nicht.«

Das Neugierige in Georgs Gesicht wich plötzlich einer gewissen Strammheit.

»Nein,« sagte er, »noch nicht.«

Doch plötzlich richteten sie sich beide auf, da ein Schlüssel sich in der Flurtür drehte. Es war der Vater. Er zog den Überzieher aus und fragte:

»Ist jemand krank beim Baron?«

»Ja, das heißt, die Baronin, sie wollte gern Seine Exzellenz zu Tisch bei sich sehen.«

Der Alte hatte es glücklich zurecht gestottert.

»So, so,« es war fast wie Blässe über des Vaters Gesicht gegangen: »Guten Morgen.«

Der Vater ging zu Seiner Exzellenz hinein.

»Bist du es?« sagte die Exzellenz, und ein plötzlicher Lichtschein kam in seine Augen beim Anblick des Sohnes, der ihm mit einem seltsam zärtlichen Lächeln, dem Lächeln eines Weibes fast, zulächelte.

»Wie geht es dir, Papa?«

»Danke. Alte Leute, Junge, dürfen nicht klagen, wenn sie nur einigermaßen Luft kriegen können.«

»Es ist rauh draußen,« sagte der Vater, immer noch über Seine Exzellenz gebeugt.

»Das ist unser Klima, lieber Junge, wir müssen es ertragen.«

Der Vater wandte sich dem Fenster zu.

»Ist Stella auf?« fragte die Exzellenz.