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In seiner Erzählung Sommerfreuden führt uns Herman Bang an einen Badeort an Jütlands nördlichem Ende, wo die Eheleute Brasen ein Hotel am Leben zu halten versuchen. Das fällt schwer, denn Badegäste sind weit und breit nicht zu sehen. Da verbreitet sich mit einem Mal das Gerücht, dass ein Dampfer mit Gästeneingetoffen ist. Ab jetzt überschlagen sich die Ereignisse, die nicht nur das Hotel der Brasens, sondern den ganzen Ort in Bewegung versetzen. Hermann Bang, dänischer Schriftsteller, geboren am 20.4.1857 auf Alsen, gestorben am 29.1.1912 in Ogden (Utah, USA) auf einer Vortragsreise. Schon früh war Herman Bang der bedeutendste dänische Journalist seiner Zeit, aber auch sehr kontrovers diskutiert. Er lebte das Leben eines Dandys, inszenierte sich als Gesamtkunstwerk nach dem Vorbild von Huysmans und Wilde; seine homosexuellen Neigungen zeigte er auch öffentlich, was ihm Anfeindungen und Isolation in Dänemark eintrug. Herman Bang war der bedeutendste dänische Vertreter des literarischen Impressionismus.
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Seitenzahl: 154
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Erzählung
Saga
Frau Brasen wollte auf alle Fälle noch einen Rundgang durch das Haus machen. Es konnten doch immerhin — man wusste es ja nicht — heute Sommergäste kommen, zu Mittag, mit dem Wagen. Und fertig wurde man wahrhaftig nie, und dies und jenes fehlte immer, wenn man sich auf die Mädchen und auf Brasen verlassen musste. Gestern die Zuggardinen, da hingen sie und waren an den Nähten bloss einfach zusammengeheftet.
Frau Brasen stand von ihrem Holzstuhl am Küchentisch auf — der Stuhl war etwas wackelig auf den Beinen — und besah all die belegten Butterbrote. Ja, was gebraucht wurde, das war eine bestimmte Ration, jeden lieben Tag. Das war mal so in diesem Geschäft, gleichviel was einkam, das sagte Brasen auch. Frau Brasen blieb vor den Butterbroten des Personals stehen: „Und man streicht sie doch, wie man kann.“ Frau Brasen seufzte — sie waren dünn gestrichen —: „Aber man hält ja aus, solange es geht,“ sagte sie. Frau Brasen ging durch die Küche und öffnete das Schiebefenster in der Tür zur Wirtsstube. „Bist du da, Brasen?“ fragte sie.
„Ja, Jansine,“ sagte Brasen.
„Gut,“ sagte die Frau und sah zu ihrem Mann hinein, der mutterseelenallein neben seinem eigenen Büfett sass und seine eigenen kurzen Beine besah. „Also gibst du auf die Kasse acht,“ sagte die Frau und schloss das Schiebefenster. „Die Kasse“ war Frau Brasens Gedanke bei Tag und bei Nacht, die „Kerls“ stibitzten, was sie konnten, einer wie der andere. „Die Kerls“ waren die Kellner, und die „Kasse“ war eine offene Lade im Büfett. — Aber sie hatten auch rechtes Pech mit ihnen, und bekam man einmal einen ordentlichen Menschen, dann blieb er doch nicht — da konnte es schon egal sein.
Frau Brasen ging über den Hof durch das Tor, wo Nielsen, der Hausknecht, kehrte. Nielsen war bei der Artillerie gewesen, hatte die Mütze im Nacken und rauchte Zigarren bei all seinen Beschäftigungen. Frau Brasen sagte guten Morgen, und Nielsen nickte zurück, während er eine Staubwolke hinter der Frau aufwirbelte, die auf die Strasse hinausging, mitten aufs Pflaster.
Die Schatten der Häuser zeichneten sich so bekannt und scharf ab; sie kamen und verlängerten sich und verschwanden, immer in derselben Form. Es war, als brauchte man hier in der Stadt überhaupt keine Uhren, so auf die Stunde genau verschoben sich die Schatten. Frau Brasen ging die Gasse hinunter. Die Ladentüren waren schon offen, und die Kommis warteten, an die Türpfosten gelehnt, mit übergeschlagenen Beinen. Frau Brasen — sie war einmal recht stattlich gewesen, mit einer Figur, wie sie sein soll, von der Art, an die die Männer ihre Augen hängen — nickte auf ihrem Wege jedem einen guten Morgen zu. Die Kommis rührten sich nicht. Frau Brasen hatte das Gefühl, als ob ihre Augen, die ihr folgten, sie in den Rücken stächen. Es war nicht das Richtige, wenn man überall etwas schuldig war. Aber ausser dem Kunstmaler wollte ja auch der Doktor es partout haben und hatte das Seine dazu getan; und Brasen, der war ja leicht rumzukriegen, und die Leute in der Stadt, die schoben natürlich nach, damit es zustandekommen sollte; und nun spielten sie sich auf, während Brasen, der arme Kerl, in der Tinte sass; und weiss Gott, was für Sommergäste in so ein kleines Nest kommen würden, wenn man auch annonciert hatte ... Sie hatte es ja immer gesagt, aber Brasen, der wollte ja durchaus, sie kannte Brasen ja, zuerst war er Feuer und Flamme, und hinterher sass er da ...
Frau Brasen kam zur Dependance und ging durch das Tor hinein. Die Steine im Torweg waren holperig. Sie hob die Beine, um in die Diele hineinzukommen, die alten Türschwellen waren hoch. Und sie sah hinein durch all die leeren Zimmer, wo die gleiche hellblaue Tapete von allen Wänden schimmerte; sie war auf der Auktion beim Glasermeister gekauft, als er im Februar Konkurs gemacht hatte. Frau Brasen ging von einem Zimmer ins andere. Ja, nun war alles in Ordnung. Und sie blickte über Tische und Betten hin — es waren die dünnsten Eisenbeine, die je eine Bettstelle getragen hatten —, und sie zählte die Handtücher, die an Nägeln je zwei und zwei an den Wänden hingen und wie Wischtücher aussahen. Frau Brasen hob sie in die Höhe und drehte sie um: sie waren auf der Rückseite ganz blau. Die Glasermeistertapete färbte ab. Aber da waren nun jedenfalls acht Betten mit Rosshaarmatratzen, jetzt, wo sie ihre eigenen noch dazugenommen hatte. Für Brasen würde es wohl schwer sein, auf der Seegrasmatratze zu liegen, wo er so wohlbeleibt war. Aber das half nichts. Ihre Bettdecken konnten sie auch nehmen. Es waren doch gestrickte, und es war gewissermassen, als füllten sie ein Bett mehr aus. Alles, was sie bei Rists gekauft hatten, hatte keine rechte Kraft. Frau Brasen kam in die Vorderzimmer, wo die Sonne auf dem breiten, unbetretenen Fussboden lag. Ihre Augen, die morgens immer tränten — das kam davon, dass sie jede Nacht in der Speisekammer sass und wartete, bis sie zumachten —, sahen über alles hin: da war das Papier wieder unter dem Tischbein herausgeglitten. Sie schob es auf seinen Platz, bevor sie sich einen Augenblick auf das Sofa setzte, das schmutzig blau war und nicht zu den Tapeten passte. Sie war so müde, und dann hatte sie immer einen Schmerz über den Hüften, seit damals, als sie Aage bekommen hatte: Und Gott weiss — sie dachte plötzlich an die Kinder —, wie es nun mit dem Lernen ging, wo sie nie hinter ihnen her war. Mit Signe ging es ja noch, aber Martin, der schlug mehr nach Brasen und konnte nicht recht lernen. Sie dachte plötzlich an Martins Hemdkragen. Nun hatte sie ihn nicht angenäht, und die Leute in der Stadt beklatschten sie immer, sie hielte die Kinder nicht ordentlich. Frau Brasen blieb sitzen: Es war doch ausgerechnet, sie würden hundertundachtzig Kronen täglich haben, wenn es voll wurde — ausser den Getränken. Aber es kam ja auch darauf an, ob Leute dabei waren, die etwas ausgaben, wie auch Brasen sagte. Aber nun würde es sich ja zeigen.
Frau Brasen stand auf, und sie ging wieder durch die Zimmer, hinaus über den Hof und in den Garten hinein. Langsam ging sie weiter zwischen den grossen Johannisbeerbüschen, die beinahe zu Bäumen geworden waren. Im mittleren Gang stand Grossmutter über ihre Harke gebeugt. Die Alte, die barhäuptig war, liess sich in ihrer Arbeit nicht stören. Ihre rechte Schulter hatte sich während des achtzigjährigen Abrackerns weiter vorgeschoben als die linke. Frau Brasen blieb stehen. „Ja, du bist flink, Grossmutter,“ sagte sie, und ihre Stimme klang anders als gewöhnlich.
„Man wird alt,“ sagte Grossmutter und hob den Kopf nicht. Frau Brasen blieb stehen und sah sie an.
„Aber du bist stark, Grossmutter,“ sagte sie. Ihre Augen tränten plötzlich noch etwas mehr. Sie dachte mit einem Male — sie wusste selbst nicht, was heute morgen mit ihr los war, ihre Gedanken machten so wunderliche Sprünge — an die Stuben daheim auf dem Bauernhof in Tönder, wo Grossmutter alles so blank und fein hielt, dass das alte Haus nur so glänzte. Abends sass sie vor ihrer Tür und blickte über ihre grünen Felder hin. Der Boden in Tönder war so fruchtbar, und es war weit bis zu Grossmutters Feldscheide.
Die Alte hob den Kopf. Ihr Gesicht war wie das von Leuten, die entweder taub geworden sind oder das Geschwätz der Menschen nicht mehr mit anhören mögen. „Aber hier ist es schön,“ sagte sie, und es war beinahe, als lächelte sie.
„Ja, Mutter,“ sagte Frau Brasen, die sich auch hier draussen unter all dem vielen Grün immer ein bisschen heimischer fühlte. Die Alte bückte sich wieder, und wieder hörte man das Knirschen der Harke auf der Erde, während Frau Brasen weiterging.
Sie hatte plötzlich einen Schreck bekommen: der Schlächter war gewiss da, und man musste vorsichtig sein, wenn man Schulden hatte. Man konnte ihn nicht warten lassen. Frau Brasen lief beinahe die Strasse entlang nach Hause.
Richtig, Andersen war da.
Er stand schon in der Küche, er selbst, vor all seinem vielen Kalbfleisch, das auf dem Küchentisch ausgebreitet lag. „Was soll’s denn sein?“ sagte er und gestikulierte mit den beiden Fäusten. „Sind jetzt Leute da?“ fragte er.
Frau Brasen, die ihm den Rücken zukehrte, sagte: „Sie sind angemeldet.“
„So,“ meinte der Schlächter.
„Ich suche mir also aus,“ sagte Frau Brasen.
„Na ja,“ sagte Andersen, der die beiden Hände auf sein Fleisch gelegt hatte, gleichsam als wollte er es beschützen. Andersen hatte viele dicke goldene Ringe an den Fingern. Er kam jetzt so viel mit all den Schlächtern aus Aalborg zusammen. Frau Brasen hatte hastig die Türluke geöffnet: „Bist du da, Brasen?“
„Ja, Jansine.“
„Andersen ist da,“ sagte die Frau.
„Andersen ist da!“ rief Brasen: „Kommen Sie herein, Mann.“ Und Andersen liess das Fleisch im Stich und ging in die Gaststube.
„Guten Tag, Meister,“ sagte Brasen und rührte sich nicht. Er lachte nur dem Metzger zu. „Setzen Sie sich.“ Brasen sprach, wenn er vergnügt war, so laut, als wollte er einen mitternächtlichen Spektakel in seinem eigenen Gastzimmer übertönen. „Setzen Sie sich. Ich sitze hier und besehe mir meine eigenen Schilder.“ Brasen hob die Hand ein wenig von seinem Knie und deutete auf den Marktplatz hinaus, wo „Brasens Hotel“ auf alle Hausgiebel gemalt war, schwarz auf weiss. „Aber was hilft das, Andersen? Und was soll das, — diese kleine Schrift, wie das gedruckt wird, was man schreibt?“ Brasen zeigte auf die „Jütlandspost“, seine Annonce war sehr klein gedruckt. Andersen blickte in die Zeitung.
„Ja,“ sagte er.
„Und die Reklame muss es doch machen, bei diesen Zeiten.“
„Aber Dreck ist es, Brasen.“
„Ja, das ist es,“ sagte Brasen und sah plötzlich über den Boden hin, als sähe er irgend etwas. Sie nahmen jeder eine Flasche bayrisch Bier. Brasen war eben aufgestanden, um sie holen zu lassen. „Sie spendieren es wohl, Andersen,“ sagte er, bevor er die Flaschen auf den Tisch stellte.
Als Andersen wieder in die Küche kam, hatte Frau Brasen das Fleisch ausgewählt. Das dauerte bei ihr immer lange. Denn man musste doch mit den Knochen rechnen, die nur schwer wogen, und konnte lieber für die Suppe bei Nielsen im Gässchen ein paar Kalbsfüsse kaufen. Andersen sah auf das Fleisch hinunter, warf seine Bratenstücke in die Mulde und sagte: „Ja, also dann fahren wir — vorläufig.“ Er ging mit der Mulde fort. Draussen auf dem Hof traf er den Hausknecht Nielsen. „Das ist ne flaue Sache hier!“ sagte er.
Nielsen lachte nur. „Ja,“ sagte er, „sehr lebhaft ist’s gerade nicht.“
„Sie können gut lachen, Sie haben Ihr ‚Buch‘,“ sagte Schlächter Andersen, der eine Weile stehenblieb und den braunroten Nielsen ansah. „Zum Donnerwetter, Nielsen,“ sagte er plötzlich, „wie kommen Sie immer zu Ihren Mädels?“
Nielsen hatte beide Hände in den Hosentaschen.
„Man kriegt sie auf sein Gesicht hin, Andersen, und dann mit der ganzen Haltung.“
Der Schlächter blieb noch eine Weile stehen. „Ja,“ sagte er. „Man macht sich doch so seine Gedanken drüber. Aber was einen selbst betrifft: man ist ja ein verheirateter Mann. Adieu, Nielsen.“
Schlächter Andersen war dreissig Jahre und seit kurzem zum drittenmal verheiratet. Seine Frauen, die zuerst recht hübsch gewesen waren, schienen förmlich hinzusiechen, als ob Andersen ihnen in dem ehelichen Zusammenleben Kraft und Atem benähme. Über diese Heiraterei machte Brasen sich beständig lustig.
„Ja,“ sagte dann Andersen, „es gibt eben Leute, die jedesmal zum Altar müssen ...“
Der Schlächter ging hinaus zu seinem Wagen, den das Pferd bedächtig bis vor Kaufmann Terkildsens gelbes Haus zog, das zwei Etagen hatte, mit weissgestrichenen Gesimsen und grünen Fensterrahmen. Zu der Ladentür führte eine Treppe hinauf, deren Geländer hundert Jahre alt war. Als Schlächter Andersen durch das Tor einfahren wollte, kam der Konsul — Herr Terkildsen war Vizekonsul für Schweden und Norwegen — über seine Schwelle. Er war bartlos, trug eine braune Perücke und hatte keine Lippen. Er nickte dem Schlächter einen guten Morgen zu, was bedeutete, dass Herr Andersen stehenbleiben sollte. „Guten Morgen,“ sagte er noch einmal und schwieg abermals eine Sekunde — es war die Gewohnheit des Herrn Konsuls, seine Mitwelt zwischen jedem seiner Aussprüche einen Augenblick warten zu lassen: „Das Wetter ist übrigens schön.“ Des Konsuls Lieblingswort war das Wort „übrigens“, das stets die geheimen Vorbehalte verbarg, die in drei Kirchspielen gefürchtet waren.
„Ja, das Wetter ist recht gut, Herr Konsul,“ sagte der Schlächter und wartete auf die Fortsetzung.
„Sie können hereinkommen, Andersen,“ sagte der Konsul, und er liess Andersen die Treppe hinauf in den Laden gehen, während er selbst einen Augenblick auf der Treppe stehenblieb, wie um Musterung vor der Schlacht zu halten.
Herr Schlächtermeister Andersen wartete im Laden, der eine ganze Front in Anspruch nahm und wie ein schwarzer Trichter aussah, aus dem alle Bedürfnisse der Menschheit von zwei pausbackigen Ladenjünglingen herausgeholt werden konnten, deren Augen vollständig in ihrem Gesicht verschwanden und deren Kleider aussahen, als seien sie vor einem Jahr in eine Tonne mit grüner Seife getaucht worden und als seien seitdem alle Ingredienzien des Kramladens an ihnen festgeklebt.
„Kommen Sie nur herein, Andersen,“ sagte der Konsul, und zu einem der Kommis: „Ein Glas Portwein.“
Der Konsul ging durch den Trichter hinein, an dessen Decke gleich gezogenen Schwertern und seltsamen Foltergeräten Sensen und Rechen hingen, und trat in das Kontor, das halbdunkel war, weil es auf einen Schuppen ging, und das mit einem Rosshaarsofa und einem Pult möbliert war. Das Pult war braun gestrichen und so hoch, dass es einem gutgewachsenen Mann bis zum Halse reichte. Es stand direkt am Fenster, wo es so hell war, dass man zum Schreiben gut sehen konnte, weniger gut aber, was man geschrieben hatte. Das Pult war festgeschraubt und sah aus, als bärge es die Schuldverschreibungen aller drei Kirchspiele. Darauf stand eine Petroleumlampe, die der Konsul immer anzündete, wenn er selbst zu arbeiten hatte.
„Setzen Sie sich nur, Andersen,“ sagte der Konsul, der bei seinem Arbeitsmöbel stehenblieb.
„Ja, danke, Herr Konsul.“
Der Konsul begann in langsamen Worten von der neuen Strasse nach Aalborg zu sprechen.
„Ja,“ sagte der Schlächter, „es ist eine schöne Strasse für ein paar Gäule, Herr Konsul.“
„Ja,“ sagte der Konsul, „das Amt hat sie Geld gekostet.“ Und er kam auf ein paar Leute zu sprechen, die an der neuen Strasse wohnten, bis er bei Anders Christiansen in Raa anlangte.
„Ja, da geht es schief,“ sagte der Schlächter.
Der Konsul sagte: „Ja, das scheint so, aber er ist doch übrigens ein strebsamer Mann.“
Der Schlächter, der den Portwein bekommen hatte, streckte die Beine weit von sich — er wusste jetzt, was der Konsul von ihm wollte: „Jawohl, Herr Konsul, aber schief geht es!“
„Ja,“ sagte der Konsul. „Es gibt zu viele, die in der Landwirtschaft experimentieren.“ Und nach einem Augenblick fragte er: „Haben Sie viel ausstehen?“
Der Schlächter erstattete Bericht, während der Konsul noch immer an seinem Pult stand. Schlächter Andersen kam viel herum, und er wusste Bescheid und hatte ein loses Mundwerk; aber er war im übrigen verlässlich. Endlich sagte der Konsul: „Jetzt ist meine Frau gewiss schon aufgestanden.“
„Ja, Herr Konsul.“ Der Schlächter stand auf, und der Konsul, der eine kleine Bewegung mit seiner sehr mageren Hand machte — seine Finger waren beim Schreiben eingeschrumpft, so dass der Ring, der ihn an die Konsulin band, nahe am Herunterrutschen zu sein schien, sooft er eine Handbewegung machte —, sagte noch: „Und drüben bleichen sie noch immer die Bettücher?“ Er deutete vage zum Brasenschen Hotel hinüber, und seine Stimme, die gewöhnlich sehr tonlos war, wurde plötzlich höhnisch, so, wie wenn er zu dem sozialdemokratischen Mitglied des Gemeinderats sprach.
„Ja,“ sagte Andersen. „Sie warten ja immer auf Vergnügungsreisende.“
„Ja,“ sagte der Konsul. Und nach wieder einer Minute: „Es ist übrigens ein Risiko, wenn man schon mit der Miete im Rückstand ist.“
Aber der Schlächter — denn Brasen war doch immerhin einer von seinen Leuten und ein Kamerad — sagte: „Na, man weiss schliesslich nicht. Brasen gehört doch zu denen, die immer wieder hochkommen.“
„Adieu, Andersen,“ sagte der Konsul, der sich über Brasen nicht weiter aussprach.
Die Konsulin, die aufgestanden war, zeigte sich selbst in der Küche, als Andersen hereinkam. Es war eine ausserordentlich grosse Küche, in der die Eltern des Konsuls seinerzeit selbst mit ihren Leuten zusammen an dem langen Mitteltisch gegessen hatten. Die Eltern des Konsuls waren auch aus Schleswig eingewandert, aus der Tönderschen Gegend, gerade wie Brasens, und sie hatten die halbdeutschen Gewohnheiten beibehalten. Die Konsulin benutzte nun den Tisch als Anrichttisch bei ihren grossen Gesellschaften.
Die Frau, die im Schlafrock war, der ihre üppige Fülle recht stramm umschloss, suchte selbst das Fleisch aus, ohne es mit den Fingern zu berühren, die reich mit Ringen besetzt waren. Sie fragte nach Herrn Andersens Frau und sagte, während sie das Fleisch besah: „Die arme Frau Brasen, sie kauft immer die Kalbsfüsse im Gässchen.“ Die Konsulin sprach stets in einem eigentümlich freundlichen Tonfall, der ihre Meinung angenehm verbarg. Ihre hervorstechendste äussere Eigenheit war eine verschwenderische Verwendung von Spitzen an ihrer Person. Nach zwei Uhr ging sie stets, wenn sie sich öffentlich zeigte, mit weissen Handschuhen. Sie nahm ohne Übertreibung an der Missionsarbeit für die Heiden teil. „Das Geld bekommen Sie ja aus der Lade, Andersen,“ sagte sie. Die Konsulin nahm alles aus der „Lade“, die für sie ein fünfundzwanzigjähriger und ganz unerschöpflicher Begriff war. „Und das nächste Mal liefern Sie ja den Proviant für den Kutter,“ fügte sie hinzu.
Der Konsul hielt sich einen Kutter — den Kutter „Augusta“, nach der Hausfrau genannt —, der jeden Juni eine Fahrt machte, mit den beiden Söhnen des Konsuls bemannt, die beide Volontäre an der Landwirtschaftlichen Bank waren, ihre Ausbildung in London erhalten hatten, in halbgestärkten Hemden zu Ball gingen und eine Wohnung im B-Viertel hatten, in die die Konsulin bei ihren Kopenhagener Aufenthalten einzog, nachdem sie ihren Söhnen sehr rechtzeitig Mitteilung von ihrer Ankunft gemacht hatte. In ihrer Vaterstadt zeigten sich die Söhne Terkildsen nie anders als im Sportanzug.
„Jawohl, gnädige Frau,“ sagte Andersen und ging.
Die Konsulin ging in ihren Wintergarten zurück, wo sie die Ränder der Palmen beschnitt.
Der Schlächter fuhr hinunter zu Tierarztens, die in einem Gässchen wohnten, mit sehr bunten Stores hinter den Fenstern. Aber die Frau des Tierarztes stand schon auf ihrer Treppe, im ausgeschnittenen Empirekleid und mit weissem Sonnenschirm. Sie sagte: „Wir brauchen nichts,“ und spannte den Sonnenschirm auf.
Tierarzt Jespersens brauchten selten etwas von Schlächter Andersen. Frau Jespersen, die zweiunddreissig Jahre alt war, aus Kopenhagen importiert und von etwas ungewisser Herkunft, hielt sich für die Einkäufe des Hauses, die ein wenig ruckweise erfolgten, meistens an die allernächsten Geschäfte. Als sie sich ein paar Schritte vom Wagen entfernt hatte, fragte sie: „Ist Lund gekommen?“