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Der Kolonnenweg ist das Symbol der deutschen Teilung, er schlängelt sich wie ein langes, nicht enden wollendes grünes Band mitten durch die Republik. Deutschlands größter Biotop, ein unberührtes Monument mit über 150 Naturschutzgebieten. Joey Kelly läuft das Grüne Band komplett von Anfang bis Ende, allein und ohne Kompromisse. Vier Jahreszeiten und jeden Tag ein Marathon. Auf seinem Weg trifft er ehemalige Grenzsoldaten, Künstler und Politiker, Freunde und Zeitzeugen. Auch Flüchtlinge, die das schier Unmögliche geschafft haben. Einheimische, die hier am verblichenen Grenzstreifen leben und auch nie wegziehen werden. Eine unglaubliche Erfahrung – ein einzigartiges Abenteuer.
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Seitenzahl: 137
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„Ein Zeitsprung in eine verdrängte Vergangenheit.“
Joey Kelly
SOMMER
1.Priwall Bleckede
Zwischen den Fronten – Karlheinz Fiedler
2.Bleckede Hitzacker
Ein Kilometer durch die Strömung – Wilhelm Jahnke
3.Hitzacker Riebau
Wandern im Stundentakt – Flake Lorenz
4.Riebau Hötensleben
Kalaschnikow im Zaun – Hermann Pröhl
5.Hötensleben Stapelburg
HERBST
6.Stapelburg Bartolfelde
Die Einheit als Bestimmung – Friedrich Bohl
7.Bartolfelde Sonnenstein
Wachturm unter Kontrolle – Wolfgang Schlicht
8.Sonnenstein Allendorf
Acht Schuss in den Rücken – Wolfgang Ruske
9.Allendorf Vacha
WINTER
10.Vacha Rasdorf
Das geteilte Haus – Helgo Clute-Simon
11.Rasdorf Sondheim
Ohne einen einzigen Schuss – Vern Croley
12.Sondheim Zimmerau
FRÜHLING
13.Zimmerau Gräfenthal
Ohne sich wehren zu können – Rainer Gläß
14.Gräfenthal Grumbach
Ein jeder war verdächtig – Matthias Horner
15.Grumbach Naila
Bruchlandung im Unterholz – Günter Wetzel
16.Naila Mödlareuth
Keine Zeit zum Vergessen – Reiner Calmund
Ein Tag fürs ganze Leben – Ingrid Hofmann
17.Mödlareuth Mittelhammer
Der Kolonnenweg selbst zieht die Spur, gnadenlos und geradeaus, Tag für Tag. Die kaum noch wahrnehmbaren Drahtzäune zu meiner Linken, verbogen und verrostet, können nicht verbergen, dass ich mich stets auf dem ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifen bewege. Es ist eine unheimliche Atmosphäre, weil man ganz allein unterwegs ist, keine Menschenseele weit und breit. Man weiß, was hier passiert ist, und das ist ein finsteres Etwas der deutschen Geschichte.
Ich genieße im gleichen Augenblick diese Einsamkeit, diese Stille, diese unfassbare Schönheit der Natur. Den verbrauchten Atem, der aus der Lunge strömt, mit jedem Schritt, den man hinter sich vergisst. Den Schweiß, der einem die penetrante Anstrengung fühlbar macht, die brennenden Waden, die bei jeder nur unscheinbaren Steigung keine Lust mehr signalisieren, noch weiterzugehen. Das unmerkliche Schwanken der Bäume, das Blätterrauschen der Wipfel mit all ihren imaginären Stimmen, die mich stundenlang begleiten. Das Zirpen der versteckten Grillen im Gras, die Hitze, die im Wald wie eine Wucht steht, kaum zu vertreiben von dem leichten Hauch des Windes.
Das Hirn spielt verrückt, versucht, alles irgendwie in einen Zusammenhang zu bringen: Diese urbane Umgebung, unfassbar zu greifen, um das in Worten irgendeinem überhaupt erklären zu können, der das selbst nie erlebt hat. Dazu die emotionalen Begegnungen mit all den Leuten, die eine Vergangenheit mit dieser verdammten Grenze hatten und noch immer haben, die damit leben müssen, weil sie hier nie wegkommen werden, weil sie hier geboren und mit ihrem Hab und Gut und ihren Familien auf Generationen hinaus verbunden sind, in guten wie in schlechten Zeiten.
Und für mich als spontanen Zeitgenossen, der hier jeden Tag seine Kilometer abspult, der einfach diesen Weg zu Ende bringen will, der das Ganze nicht in seiner vollen Tragweite nachvollziehen kann, der jeden Tag diesen einzigartigen Eindruck der Natur in sich aufsaugt, sich keine Gedanken bei dem Anblick der faszinierenden Sonnenaufgänge über das Böse der Welt macht, wird es umso schwerer, das zu verarbeiten. Ich versuche das Tag für Tag, Kilometer um Kilometer, aber es lässt sich nicht verdrängen.
Es beschäftigt einen ständig, ohne dass man es will. Taucht auf und verschwindet wieder. Der nächste verrottete Grenzzaun reißt einen zurück in die schon fast verblichene Vergangenheit, gerade so, als ob man innerhalb eines Augenaufschlages wie in einer Matrix verschwindet, nach ein paar Sekunden ist man wieder zurück und versteht die Welt nicht mehr. Wo man ist, wohin man geht. Es geht weiter, einfach weiter.
Der Kolonnenweg ist die Realität. Man läuft darauf, macht seine Schritte, Stunde für Stunde, bis zum Sonnenuntergang. Und man kann nicht nachvollziehen, was damals über Jahrzehnte deutscher Teilung auf diesen Quadratmetern passiert ist. Weil man es nicht ansatzweise erahnen kann.
Man hat es nicht erlebt, so einfach ist das.
Und auch so kompliziert.
Links steht ein Hochhausklotz, wo sich betuchte Touristen zum Frühstück erstmal einen Champagner reinschütten, auf der anderen Seite geht direkt der FKK-Strand los. Und ich stehe genau dazwischen. Es ist der nördlichste Punkt der innerdeutschen Grenze. Man sieht es nicht mehr, kann es nicht wahrnehmen, weil kein Gedenkstein oder irgendetwas daran erinnert. Das Einzige, was man an diesem historischen Ort findet, ist eine schmucklose Plastiktafel am Priwall-Strand mit ein paar Informationen zu der deutschen Teilung, die kurz vor den Dünen reingerammt ist. Ich schieße an der Wasserkante noch ein paar Fotos mit meinem Sohn Luke, der mich bei meiner Challenge mit einem Bulli als Crew-Wagen begleiten wird und dann mache ich mich auf die Socken.
Das Wetter zeigt sich in diesem August von seiner erbarmungsvollen Seite, um die zwanzig Grad, schön bewölkt und immer eine leichte Brise. Nichts für sonnenanbetende Großfamilien im Sommerferienmodus, aber für mich geradezu perfekt: Ich starte meine Challenge nach vier Monaten harter Vorbereitung in einem für mich perfekten Ambiente.
Der eigentliche Start war wieder eine hektische Aktion, wie bei jedem Wettkampf, den ich angegangen bin. Wie immer reiste ich erst in der Nacht vor dem Start an, denn ich hatte an diesem Tag noch zwei Vorträge in Süddeutschland und war dementsprechend von der Fahrerei ziemlich platt. Dazu war ich mächtig nervös, wie schon die letzten Wochen vorher. Es gehen einem hunderte Gedanken durch den Kopf. Man fragt sich, kriegst du es hin, kriegst du es nicht hin, macht dein Körper das noch mit? Das sind fast anderthalbtausend Kilometer, und das zu Fuß?
Es ist für mich immer eine Mixtur von Spannung und Ungewissheit, eine Unruhe und Herausforderung zugleich, ob alles funktioniert. Ist mein Schuh zu klein oder zu groß, habe ich die richtige Auswahl an Klamotten dabei, ist meine Verpflegung unterwegs optimal? Und gibt es durchgängig Handynetz zum Telefonieren oder nicht? Glücklicherweise mache ich die Strecke auf dem Grünen Band mit einem GPS-Empfänger, da komme ich zumindest auf jedem Weg immer raus. Egal, wo ich bin.
Schon nach zwei Stunden bin ich total kaputt und müde. Durch den zu kurz gekommenen Schlaf und die ganze Hektik fällt es mir schwer runterzukommen, eine gewisse Entspannung reinzubringen. Deshalb muss ich mich schon am ersten Tag quälen, immer im Hinterkopf, dass ich jeden Tag mindestens die klassische Marathondistanz von zweiundvierzig Kilometern absolvieren will. Das ist mein persönlicher Anspruch, um dem historischen Projekt am Grünen Band auch einen sportlichen Aspekt zu geben. Aber wie bei jedem Lauf-Event gilt auch hier: Man muss einfach anfangen und nicht lange überlegen. Meine Idee war, dass ich einfach laufe, ohne nachzudenken, mir mindestens drei Tage auf dem Weg Zeit lasse, um dann zu analysieren, ob ich in einen Rhythmus reinkomme, ob ich im Flow bin oder nicht.
Aber mein Rucksack ist zu schwer, ich habe die falschen Laufschuhe an und das gibt am ersten Abend richtig böse Konsequenzen: Eine tiefe Blase vorn am großen Zeh, die ist leider erst nach ein paar Tagen stumpf. Das ist die pure Leichtsinnigkeit und Arroganz, begründet durch meine Wettkampferfahrung, weil man denkt, man hat schon so viel gemacht, hat alles im Griff und dann machst du trotzdem den einen Kardinalfehler gleich am Anfang. Und das, obwohl du weißt, das wird die ganze Zeit danach brutal weh tun. Das spürst du bei jedem Schritt, das ist einfach so ein fieser Schmerz, den man nicht braucht, als ob dir jemand mit einer Nadel reinpiekst, immer und immer wieder. Dieses Ziehen ist halt quasi im Kleinhirn stets präsent, da kann man nur versuchen, sich irgendwie abzulenken. Ein probates Mittel ist, den Schmerz einfach zu akzeptieren als einen Teil des Laufes, ihn mit voller Inbrunst annehmen und sich sagen, das reicht mir nicht, ich brauche noch mehr Schmerz. Dann relativiert sich das ganz schnell, weil es eigentlich noch schlimmer sein könnte. Denn man hat sowieso keine andere Wahl.
So wie ich den ersten Tag beende, zieht sich das dann durch den ganzen Lauf. Immer das gleiche Prozedere: Erstmal schnell die Schuhe ausziehen und den geschwollenen und herzhaft duftenden Füßen frische Luft anbieten, dann den Hintern säubern, den ganzen Schweiß vom Körper runterwaschen. Eine warme Minuten-Terrine bringt wieder Kohlenhydrate in den Kreislauf, dann packe ich bereits für den nächsten Tag. Kurz vor Sonnenuntergang liege ich im Schlafsack und bin gedanklich schon wieder auf der Strecke, wäge tausend Kleinigkeiten ab, die Kilometer und das Landschaftsprofil, mache mir einen Kopf über die Höhenmeter, die man kaum merkt, welche aber trotzdem unheimlich schlauchen. Was kann ich noch optimieren, was muss ich wirklich im Rucksack mitschleppen, wie viele Körnerriegel muss ich mir morgen reinpressen, damit ich immer voller Energie bin?
Weil ich alles schon am Abend vorher gepackt habe, geht das Aufstehen fix. Ich trinke nur eine Tasse Instant-Kaffee und marschiere meist im Dunkeln schon los. Die ganze Aktion dauert keine fünf Minuten, so richtig wach werde ich dann erst nach einer halben Stunde auf der Strecke. Es ist ein großartiges Gefühl, der tägliche Sonnenaufgang mitten in der wilden Natur.
Ich bin ganz allein, kein Mensch ist weit und breit zu sehen. Auf dem platten Land wohnt kaum noch eine Menschenseele. Vereinzelt stehen auf der Wegstrecke des Grünen Bandes ein paar Häuser, die Hälfte davon leer und zum Teil komplett verfallen. Alte Gutshäuser, Bauernhöfe und überdimensionale Lagerhallen für die Landwirtschaft. Am dritten Tag klingele ich in dem Dorf Neu Bleckede an einem alten Backsteinhaus, das zwischen Elbufer und dem Kolonnenweg steht, dieser kilometerlangen Betonpiste, wo die NVA-Soldaten mit ihren Kübelwagen nach Grenzverletzern Ausschau hielten. Ich wollte nur fragen, ob ich vielleicht meine Wasserflasche auffüllen dürfe, aber der betagte Mann bittet mich freundlich herein. Karlheinz lebt seitdem er denken kann auf diesem Hof. Er war nie draußen in der Welt, kennt nur den Ort, wo er einst geboren wurde.
Ich bin allein, aber gern allein. Ich brauche keine Leute um mich. Das Einzige, was mir wirklich fehlt, ist meine Frau. Sie vermisse ich unheimlich, jeden Tag.
Seitdem sie gestorben ist, muss ich mich als Witwer hier allein um alles kümmern. Wir haben fünfzig Jahre lang alles gemeinsam gemacht, sieben Tage die Woche. Und so wie der Hof heute aussieht, war er immer. Wir haben nichts verändert, nichts neu gebaut. Ich heize immer noch mit Holz das Wohnhaus, Wäsche gewaschen wird auf dem Speckstein in der Küchenspüle, das Plumpsklo steht noch immer so da, wie ich es als kleiner Junge in Erinnerung habe. Die Gülle aus der Grube wird auf die Felder gekippt, die Huftiere machen ja am Ende auch nichts anderes.
Auf den achtzehn Hektar Felder und Wiesen meines Hofes habe ich nur ein paar Dutzend Obstbäume, Äpfel, Pflaumen und Birnen. Da draußen stehen noch ein paar Kühe und Schafe als biologische Rasenmäher. Das, was mir noch ansatzweise einen Tagesrhythmus gibt, sind die zwanzig Schweine und die paar Gänse hier auf meinem Hof. Die muss ich halt jeden Tag füttern und die Stallung sauber machen.
Den Bauernhof haben meine Urgroßeltern 1850 gebaut, über drei Generationen konnten meine Vorfahren von der Landwirtschaft gut leben, die knochenharte Arbeit tagein, tagaus zahlte sich auch aus. Man war noch wer im Dorf und die besten Freunde waren der Pfarrer und der Wirt. Bei beiden konnte man ohne schlechtes Gewissen anschreiben.
Alles änderte sich, als nach dem Krieg die Russen im Anmarsch waren. Tausende Vertriebene aus den Ostgebieten schleppten sich über eine Ponton-Brücke über die Elbe, gleich hier hinter unserem Hof, über den Deich. Ab diesem Tag war meinen Eltern klar, dass sich unser Leben komplett verändern wird.
„Eine beängstigende Sicherheit, gefangen im Niemandsland.“
Als die innerdeutsche Grenze gebaut wurde, kamen die NVA-Soldaten und richteten eine Sperrzone ein, direkt vor unseren Augen. Sie umzäunten einfach unseren kompletten Hof. Wir waren auf einmal mitten im neutralen Gebiet, im sogenannten Niemandsland, gefangen zwischen zwei Zäunen und zwei neuen deutschen Staaten.
Das einzig Positive daran war, dass wir dann eine eigene Straßenzufahrt aus Wendischthun bekamen, damit die Grenzsoldaten mit ihren Kübelwagen ihre Patrouillen vorn am Elbufer machen konnten. Dadurch kontrollierten sie auch ganz einfach, wer wann zu unserem Hof kam. So eingeschränkt das Leben dann auch war, es war eine beängstigende Sicherheit.
Ich konnte als kleiner Junge nur auf unserer Hofwiese spielen, bis ran an den Grenzzaun am Wohnhaus. Wenn man so aufwächst und nichts anderes kennt, empfindet man das alles irgendwann als völlig normal. Nur für meine Eltern war es furchtbar. Bleckede auf der anderen Seite der Elbe war nach der Teilung Westdeutschland, und obwohl unser Gehöft auch zu dem westdeutschen Ort gehörte, waren wir durch die Sperrzone auf einmal DDR-Gebiet. Die Familie meiner Mutter war von drüben, aus Bleckede. Sie durfte nicht mehr rüber in die Stadt und ihre Verwandten konnten sie auch nicht hier bei uns besuchen. Obwohl die Luftlinie keine zweihundert Meter betrug, nur getrennt durch die Elbe.
„Eine Rotte Wildschweine. Oder vielleicht doch ein Mensch.“
Spontane Besuche von Leuten aus dem Dorf oder aus der Nachbargemeinde fanden sowieso nicht statt. Für jeden, der zu uns auf den Hof kommen wollte, mussten wir Passierscheine beim Amt beantragen. Das brauchte dann auch so seine Zeit, bis die Staatssicherheit die ganzen Personalien überprüft hatte. Darauf hatte selbstverständlich keiner Lust, der nicht dringend persönlich zu uns musste.
Ein paar Jahre später fingen die Grenztruppen an, auf unserem Feld in Sichtweite landeinwärts die Minenfelder anzulegen. Es dauerte nur ein paar Wochen. Mit schwerem Gerät wurde alles planiert, die Minen versenkt und Warnschilder zur Ostseite hingestellt. Über all die Jahre hörten wir ab und zu eine Mine hochgehen, am Tag und in der Nacht. Man wusste nicht, was passierte. Und immer wieder fragten wir uns am Küchentisch, ob es wieder mal eine Rotte Wildschweine war. Oder vielleicht doch ein Mensch.
Die größte Katastrophe in meinem Leben war die Landwirtschaftliche Produktionsgesellschaft, die LPG, als die Ländereien von allen Bauern der Umgebung zu einer Genossenschaft zusammengelegt wurden, staatlich verordnet. Ich war damit nicht einverstanden, wollte das auf gar keinen Fall. Aber man wurde nicht einmal gefragt, das kam einfach als Maßnahme von ganz oben, mit der Konsequenz, dass wir auf einmal auf unserem eigenen Ackerland als LPG-Angestellte mit Festgehalt arbeiten mussten.
Als logische Konsequenz ging es mit der Landwirtschaft über die Jahre bergab, unsere eigenen Höfe verfielen, weil wir keine Mark mehr über hatten, um das alles noch halbwegs instand zu halten. Erst nach der Wende habe ich anfangen können, alles zu reparieren. Da hatte es sich zum Glück dann endlich mit der LPG und ich bekam meine eigenen Felder wieder zurück.
Jetzt mache ich nichts mehr, genieße meine kleine feine Rente. Da meine Frau und ich keine Kinder bekommen konnten, wird mein Neffe alles erben. Ich hoffe, er kann meinen Hof weiterführen, auch ohne die Landwirtschaft.
Ich bin zufrieden, wie es jetzt ist. Und so einsam wie ich bin, werde ich auch gehen.
Ich wäre fit gewesen für mein anschließendes Sommerprojekt, die Alpenüberquerung von München bis runter nach Venedig. Aber dann machte Corona mit den europaweiten Lockdowns meiner ganzen Planung einen Strich durch die Rechnung.
Das Grüne Band aber schwirrte schon länger durch meinen Kopf, das konnte ich ohne Weiteres jetzt vorziehen. Die Idee passte perfekt: Ich bin allein unterwegs, ohne irgendwelche pandemischen Beschränkungen, fast eintausendvierhundert Kilometer, da kann ich jeden Tag einen kompletten Marathon laufen, in meinem ganz eigenen Tempo. So wie ich will. Und damit das Ganze noch seinen eigenen Reiz erhält, mache ich das über ein Jahr verteilt, in vier Etappen. Dann sehe ich das Grüne Band in vier Jahreszeiten, das ist die Challenge.
Das Landschaftsprofil von Deutschland kenne ich sehr gut, ich hatte schon zwei Mal die Nord-Süd-Durchquerung gemacht. Einmal von Warnemünde und einmal von Wilhelmshaven, immer runter bis nach Bayern und dann als persönlichen Zieleinlauf auf den höchsten Berg Deutschlands, die Zugspitze.
Was mich an dem Grünen Band faszinierte, war diese Sperrzone von fünf Kilometern die gesamte innerdeutsche Grenze entlang. Ich sah darüber mal eine Dokumentation im Fernsehen. Dieser Flecken Natur, der von Menschen über vierzig Jahre lang nicht nutzbar war, sah zum Teil wie ein Urwald aus, in nur kurzer Zeit hatte sich das Grün den gesamten Todesstreifen zurückerobert. Mittlerweile sind deshalb über einhundertfünfzig Naturschutzgebiete entstanden, es ist der größte Biotop-Verbund Deutschlands. Ab diesem Moment stand für mich fest, das laufe ich irgendwann mal ab.