Das grüne Gespenst - Heiner Rank - E-Book

Das grüne Gespenst E-Book

Heiner Rank

4,8

Beschreibung

Heym und Trankenbrodt gehen dicht an der Häuserfront entlang. Vorsichtig klinken sie an den Haustüren, aber alle sind abgeschlossen. Als sie die Querstraße erreicht haben, hören sie plötzlich Schritte. Sie pressen sich in einen Torweg. Es ist das metallische Tacken von hochhackigen Damenschuhen. Eine Frau kommt aus einer engen Gasse und geht schräg über die Fahrbahn. Die beiden Männer im Torweg bemerkt sie nicht. Etwa fünfzig Meter weiter macht sie vor einer Haustür halt. Ein Schlüsselbund klirrt Dann ein gellender, langgezogener Schrei. Die Frau wird mit roher Gewalt auf den Fußweg geschleudert Eine dunkle Gestalt rennt über die Straße. Heym und Trankenbrodt springen aus ihrem Versteck. Der Mann, ein schmächtiger Kerl in einem grünen Lodenmantel, wirbelt herum und saust in erstaunlichem Tempo auf die nächste Ecke zu. LESEPROBE: Ein älterer Herr kommt ihnen über die Holztreppe, die aus dem ersten Stockwerk in einen hallenartigen Vorraum führt, entgegengelaufen. Er streckt die Arme aus und ruft atemlos, noch ehe er ihnen die Hände geschüttelt hat: „Haben Sie meinen ‚Kalf‘ wiedergefunden? Haben Sie eine Spur? So reden Sie doch, meine Herren!“ Leutnant Bresack senkt den Kopf. „Darf ich erst einmal bekannt machen: Leutnant Heym, ein Berliner Kollege - Doktor Weilsheimer, der Direktor des Museums.“ „Ich muss Ihre Hoffnung leider enttäuschen“, beginnt Heym, „wir haben bisher noch keine Spur. Im Gegenteil, ich komme, weil in Berlin ein ähnlicher Diebstahl begangen worden ist und gewisse Umstände vermuten lassen, dass es sich um denselben Täter handelt. Auch uns ist er entwischt, aber noch ist nicht aller Tage Abend.“ Heym schildert in groben Zügen den in Köpenick verübten Einbruch und fährt fort: „Nun hätte ich gern eine möglichst genaue Darstellung, wie hier in Gotha der Diebstahl ausgeführt wurde.“ „Gewiss“, sagt Dr. Weilsheimer, dem die Niedergeschlagenheit deutlich anzumerken ist, „wenn Sie glauben, dass es Ihnen weiterhilft.“ Sie sind inzwischen in einen der Ausstellungsräume gelangt. Der Direktor zeigt auf ein Bild in schmalem Goldrahmen. „An dieser Stelle hing vor drei Monaten das Stillleben von Willem Kalf, einem niederländischen Maler des siebzehnten Jahrhunderts, der vor allem durch seine Kücheninterieurs und Stillleben berühmt geworden ist. Das Bild war eines meiner wertvollsten Stücke, in Komposition und Ausführung von einmaliger Schönheit.“

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Impressum

Heiner Rank

Das grüne Gespenst

Kriminalroman

ISBN 978-3-95655-366-0 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1968 im Verlag Das Neue Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

1. Kapitel

Es ist eine dunkle, unruhige Nacht. Der stürmische Westwind treibt tiefhängende Wolken vor sich her und zirpt mit den Telefondrähten. An den Straßenrändern schlängelt sich aus schmutzigen Schneehaufen in kleinen Rinnsalen das Schmelzwasser. Regenschauer peitschen das aufgewühlte Wasser der Dahme und prasseln auf die Straßen und die dicht gedrängt stehenden Häuser der Köpenicker Altstadt nieder.

Der Mann, der zielstrebig über die Lange Brücke auf die Schlossinsel zugeht, hat den Kragen hochgeschlagen und die Hände tief in den Taschen seines Mantels vergraben. Eine heftige Sturmböe fährt ihm in den Rücken, doch über sein Gesicht, das unter einem altmodischen Hut verborgen ist, huscht ein zufriedenes Lächeln. Er wirft einen Blick über die Schulter, verlässt die Straße und überquert eine schmale Holzbrücke. Durch ein Tor aus verwittertem Sandstein betritt er den Schlosshof.

Eine Lampe an einem Bogenmast schwankt im Wind. Der Mann weicht ihrem Lichtschein aus und hält sich im Schatten, bis er die Terrasse erreicht, von der eine breite Treppe in den Park hinunterführt. Dann gleitet er an einer niedrigen Mauer entlang, sorgfältig darauf bedacht, auf dem Rasen zu bleiben und nicht in die lockere Erde der Staudenbeete zu treten. Vor ihm, unmittelbar am Wasser, liegt das Schloss.

Es ist ein mehrstöckiges Gebäude mit hohen Fenstern und einer weiß und rosa getünchten Fassade. Der Seitenflügel ist von einem hölzernen Baugerüst umsponnen. Der Mann tritt dicht an die Hauswand, schaut sich noch einmal prüfend um und geht auf eine Kellertür zu, vor der Kohlenberge lagern.

Nach wenigen Minuten hat er mit einem Nachschlüssel die Tür geöffnet und verschwindet im Kellergang. Über den Backsteinboden huscht das Licht einer abgeblendeten Taschenlampe. Der Mann bewegt sich rasch und ohne Zögern. Leise steigt er vom Souterrain hinauf ins erste Stockwerk. Die Stufen der Holztreppe knarren, doch das Geräusch geht im Stöhnen des Windes und im Klappern der Fenster unter.

Der Eindringling schleicht den Flur entlang. Vor einer geschnitzten Flügeltür bleibt er stehen, drückt die Klinke nieder und gelangt in ein großes Eckzimmer mit offenen Durchgängen zu den Nebenräumen. Im Schein der Taschenlampe zeichnen sich die Umrisse von Vitrinen, wuchtigen Renaissanceschränken und messingbeschlagenen Truhen ab. Das Parkett hat ein geometrisches Muster aus hellen und dunklen Hölzern. Der Lichtkegel verweilt auf den gläsernen Schaukästen. Edelsteinbesetzte Kelche, goldene Dosen mit bunter Emaille und kostbare Trinkgefäße funkeln hinter den Scheiben.

Der Mann befestigt die Taschenlampe an einem Knopf des Mantels, setzt seinen Beutel ab und nimmt einen Schraubenzieher heraus. Mit raschen Griffen beginnt er die verchromten Schrauben zu lösen, die das Glas am Rahmen der Vitrine festhalten. Dann hebt er vorsichtig die Scheibe heraus und lehnt sie gegen den Fuß des Schaukastens.

Seine Hand schiebt sich durch die Öffnung. Ein bauchiger Pokal aus getriebenem Gold wandert in den Beutel. Auch das weiße Schildchen mit der Aufschrift „Gildenbecher der Kupferschmiede Nürnberg, erste Hälfte des 16. Jahrhunderts“ verschwindet. Dem Pokal folgt ein Kristallkelch. Rings um das kurfürstliche Wappen hat ein unbekannter Künstler Jagdszenen in das Glas geschliffen. Dann kommt ein Humpen mit ziseliertem Zinndeckel und farbenprächtiger Bemalung an die Reihe.

Draußen tobt noch immer der Sturm. Er heult um die Hausecken und rüttelt an den Fenstern.

Der Dieb hat sich der nächsten Vitrine zugewandt. Ihre große Frontscheibe stellt er auf die Armlehnen eines gotischen Bischofsstuhls, während er geräuschlos und geschickt die wertvollsten Stücke aus dem Schaukasten holt.

Plötzlich ist ein unheimliches Scharren und Kratzen zu hören. Dann schlägt von außen ein schwerer Gegenstand an das Mauerwerk und poltert zur Erde. Der Dieb springt erschrocken einen Schritt zurück. Sein Ellenbogen stößt gegen die Scheibe auf dem Lehnstuhl. Mit lautem Knall, der wie ein Schuss durch die Räume dröhnt, fällt sie auf das Parkett und zerspringt.

Der Mann steht sekundenlang wie erstarrt. Durch seinen Kopf wirbeln die Gedanken. Was ist geschehen? Hat der Sturm eine Planke vom Baugerüst gefegt? Er zwingt sich zur Ruhe, öffnet die Tür und lauscht in das Treppenhaus.

In einem Zimmer des Souterrains geht Licht an. Ein gelber Streifen Helligkeit fällt in den Hof. Der Mann sieht es durch ein Flurfenster. „Verdammter Mist!“, murmelt er und huscht zurück in das große Eckzimmer, um seinen Beutel zu holen.

Als er wieder in den Flur tritt, dringt aus dem Souterrain das Geräusch tappender Schritte herauf, dann wird im Treppenhaus die Beleuchtung eingeschaltet. Ein alter Mann, wohlbeleibt und schon etwas gebeugt, erklimmt schwerfällig die Stufen. Er hustet, sein Atem geht keuchend, und mit der Rechten stützt er sich auf das hölzerne Geländer.

Der Dieb verschwindet in einer dunklen Nische am Treppenabsatz und beobachtet den Alten. Wenn der den Einbruch entdeckt und Alarm schlägt, ist alles umsonst gewesen, denkt er. Doch vielleicht begnügt sich der Nachtwächter mit einer flüchtigen Kontrolle und krabbelt wieder ins Bett. Der Mann zieht vorsorglich eine schwere Kombizange aus dem Beutel und umwickelt sie mit einem Lappen. Sein Gesicht verrät Unsicherheit, Besorgnis, Angst, aber er weiß keinen anderen Ausweg. An Flucht ist nicht zu denken. Mit der rechten Hand umkrampft er das Werkzeug.

Der alte Mann hat den Treppenabsatz erreicht und blickt in den Flur. Er schnauft, murmelt Verwünschungen vor sich hin über das Hundewetter und den gottverfluchten Sturmwind, der alles kurz und klein schlägt. Dann steigt er die Stufen hinauf, die ins nächste Stockwerk führen. Der Dieb hinter dem Schrank atmet auf. Es scheint noch einmal gut zu gehen.

Eine neue Sturmböe wirft sich gegen das Gebäude, durch die Gänge weht ein Luftzug. Die Tür zum Eckzimmer dreht sich knarrend in den Angeln, bis sie weit offensteht. Der Alte hebt lauschend den Kopf. Seufzend macht er kehrt und tappt die Treppe wieder hinunter, schaut in den Flur und entdeckt die geöffnete Tür. Er schnäuzt sich in sein Taschentuch und schlurft kopfschüttelnd auf das Eckzimmer zu.

Der Dieb schiebt sich aus seinem Versteck und ist mit ein paar schnellen Sätzen hinter ihm. Der Alte hat etwas gehört, will sich umdrehen, aber er kommt nicht mehr dazu ...

Eine Viertelstunde später steigt der Eindringling hastig die Treppe hinunter. Durch eine Türritze in einem Seitengang des Souterrains schimmert Licht. Er öffnet vorsichtig die Tür und schaut in das Zimmer. Auf dem Nachttisch neben dem aufgeschlagenen Bett brennt eine Leselampe mit einer kugelrunden gelben Glasglocke. Ihr Schein fällt gegen das Fenster. In viereckigen Tontöpfen blühen Kakteen, ein Plüschsofa und hochlehnige Sessel stehen um einen ovalen Tisch, und der Duft eines Pfeifentabaks schwebt im Raum.

Der Mann hat das Zimmer mit einem raschen Blick überflogen und geht auf die Nachttischlampe zu. Plötzlich hört er ein Geräusch. Er fährt herum - und stößt ärgerlich die Luft durch die Nase. Ein Kanarienvogel flattert ängstlich gegen die Gitterstäbe seines Käfigs. Federn, Hirsekörner und Streusand werden über Tisch und Teppich verstreut.

Der Eindringling knipst die Lampe aus und verlässt das Zimmer. Dann geistert sein Schatten über die dicken Heizungsrohre im Kellergang. Er schlüpft durch eine Tür und verschwindet in der sturmgepeitschten Regennacht.

Der Morgen bringt Sonnenschein und einen blassblauen Himmel. Nach den in grauer Kälte erstarrten Tagen ist die Luft nun plötzlich mild, sie trägt den Geruch feuchter Erde und eine Vorahnung der Frühlings. Das Museum auf der Schlossinsel hat Ruhetag.

Eine zierliche Frau von etwa dreißig Jahren steigt die Backsteinstufen zur Hausmeisterwohnung hinunter und drückt auf den Klingelknopf. Irgendwo in der Tiefe des Gebäudes schlägt eine Glocke an, sonst rührt sich nichts. Im Briefkasten am Türrahmen steckt zusammengefaltet die „Berliner Zeitung“. Die Frau schaut auf ihre Armbanduhr. Es ist eben zehn Uhr. Zu dieser Zeit war sie mit dem Hausmeister verabredet, um einige Ausstellungsstücke zu wechseln. Noch einmal drückt sie auf die Klingel, dann zuckt sie die Schultern, geht in den Schlosshof, nimmt ein Schlüsselbund aus der Tasche und schließt das Hauptportal auf.

Kühle Luft schlägt ihr entgegen. In dem großen Haus herrscht eine fast unheimliche Stille. Die Frau geht hinunter in den Keller zur Wohnung des Hausmeisters. Ihre Schritte hallen laut durch die dunklen Gänge.

Das Wohnzimmer des Hausmeisters ist leer. Über die Rückenlehne eines Plüschsessels sind Anzug, Hemd und Pullover gelegt. Die Hosenträger liegen auf dem Boden. Das Bett ist zerwühlt. Die Frau schaut in die Küche und in eine kleine Kammer. Nichts. Nur einen Kanarienvogel findet sie, der piepsend in seinem Bauer hin und her flattert. Auch im Heizungskeller ist der Hausmeister nicht zu entdecken.

Die Frau steigt zu den Ausstellungsräumen hinauf und überlegt, ob sie ohne den Alten mit ihrer Arbeit beginnen soll. Auf dem Weg ins erste Stockwerk drückt sie einige Klinken nieder. Die Büroräume in der unteren Etage sind verschlossen.

Sie geht durch die Säle, schaut hierhin und dorthin, bleibt stehen, betrachtet einen Satz Tafelgeschirr der Königlichen Porzellanmanufaktur, ordnet ihr Haar vor einem Spiegel.

Helles Tageslicht fällt in die Räume, überall herrscht Ordnung und Sauberkeit. Sie entschließt sich zu warten. Sicherlich ist der Hausmeister nur etwas einkaufen gegangen und wird bald zurückkehren, denkt sie. Indessen wird sie sich ein wenig umsehen.

Als sie die Tür zum Kurfürstensaal öffnet, erstarrt sie vor Schreck. Sie sucht nach einem Halt und schließt die Augen. Doch als sie die Augen wieder aufmacht, hat sich das Bild nicht verändert: Der Hausmeister sitzt zusammengesunken in einem gotischen Bischofsstuhl, die Rückenlehne aus schwarz gebeiztem Holz überragt ihn um mehr als Haupteslänge. Augen und Mund sind mit breiten Stoffstreifen verbunden; um Körper, Arme und Beine ist eine Gardinenschnur geschlungen und fest verknotet. Die Schauvitrine neben ihm ist leer, auf dem Fußboden liegen Glasscherben und die Fetzen eines Morgenmantels.

Die Frau stürzt auf ihn zu, reißt die Augenbinde herunter und blickt in weit geöffnete, glasige Augen. Sie entfernt den Knebelstreifen. Der alte Mann rührt sich nicht. In fliegender Hast entwirrt sie die Stricke und bricht sich dabei einen Fingernagel ab. Sie achtet nicht darauf. Sie achtet auch nicht auf die Silastikhose und die Otterfellstiefel und kniet sich in die Glassplitter. Eine fiebrige Hitze steigt in ihr auf, achtlos wirft sie ihre Pelzjacke zu Boden.

Endlich, nach qualvoll langen Minuten, hat sie den letzten Knoten gelöst. Sie packt den Hausmeister bei den Schultern und schüttelt ihn. Er kippt ihr entgegen. Seine Hände sind kalt und starr.

2. Kapitel

Die Uhren am Alexanderplatz zeigen die fünfte Nachmittagsstunde. Die Baukräne am „Haus der Wissenschaften“ sind zur Ruhe gekommen. Aus den Fabriken und Verwaltungen strömen die Menschen. In den S-Bahn-Zügen, in U-Bahnen und Doppelstockbussen schieben und drängen sie sich den warmen Hausschuhen und dem Abendessen vor dem Fernseher entgegen. Die Hauptstadt atmet aus.

Hinter den hell erleuchteten Schaufenstern klingeln die Ladenkassen, und die Stehbierhallen beginnen sich zu füllen. Feierabend.

Zu dieser Stunde sitzen fünf Männer um einen Bürotisch vor halb gefüllten gläsernen Aschenbechern. Von Feierabend ist keine Rede.

Das sparsam eingerichtete Arbeitszimmer liegt im sechsten Stockwerk des Polizeipräsidiums. Der Straßenlärm vom Alexanderplatz dringt nur gedämpft herauf.

Leutnant Gregor Heym, Mitarbeiter der Morduntersuchungskommission, berichtet über die ersten Ergebnisse seiner Ermittlungen. Er ist mittelgroß, verheiratet, Vater von zwei Kindern. Wer ihm auf der Straße begegnet, würde ihn für einen Angestellten halten, der bei der Versicherung oder vielleicht in einem statistischen Amt beschäftigt ist. Nur bei näherem Hinsehen bemerkt man die aufmerksamen Augen. In die hohe Stirn fällt ihm - sehr zu seinem Ärger - immer wieder eine kurze Haarsträhne. Seine Stimme hat einen angenehm dunklen Klang.

„Wir trafen um elf Uhr zehn in Köpenick ein“, sagt er und öffnet den Schnellhefter, der vor ihm auf der Tischplatte liegt. „Die Kollegen vom Revier zweihunderteinundvierzig hatten bereits die Tatortsicherung übernommen. Der Tote heißt Oskar Baierlein, ist siebenundsechzig Jahre alt und seit längerer Zeit Hausmeister im Staatlichen Kunstgewerbemuseum. Er bewohnte zwei Räume und eine Küche im Kellergeschoss des Hauptgebäudes. Seine Frau ist vor vier Jahren verstorben.

Heute gegen zehn Uhr fünfzehn wurde Baierlein von Frau Ingeburg Uslar, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Staatlichen Museen, in einem der Ausstellungsräume aufgefunden. Er war an einen Stuhl gefesselt und geknebelt. In der Absicht, ihm Hilfe zu leisten, löste Frau Uslar die Stricke. Erst danach bemerkte sie, dass sie einen Toten vor sich hatte. Dadurch ist das ursprüngliche Tatbild nicht erhalten geblieben. Um zehn Uhr fünfundzwanzig rief sie das Polizeirevier an. Das Protokoll ihrer Aussage liegt der Akte bei. Soll ich vorlesen?“

Major Bastian, Leiter der Abteilung, schüttelt den Kopf. Er hat verblüffende Ähnlichkeit mit einem einstmals berühmten Schauspieler, besonders im Profil und mit der Pfeife im Mund. Man würde sich nicht wundern, wenn er plötzlich „Komm auf die Schaukel, Luise“ singen würde, doch stattdessen sagt nüchtern: „Nein, ich denke, das ist nicht nötig. Bitte fahren Sie fort!“

Heym blättert eine Seite in seinem Schnellhefter um. „Nach dem vorläufigen medizinischen Befund trat Baierleins Tod zwischen null und drei Uhr morgens ein. Der Gefesselte erstickte an dem als Knebel benutzten Taschentuch, da sich infolge einer starken Erkältung die Atmungswege der Nase verstopften. Am Hinterkopf des Toten fand sich eine kleine Platzwunde, die vermutlich durch einen Schlag mit einem stumpfen Gegenstand verursacht wurde. Es ist anzunehmen, dass der Täter sein Opfer zunächst von hinten niedergeschlagen und dann an den Stuhl gefesselt hat.

Da Frau Uslar nicht in der Lage war, die Schlingen und Verknotungen zu rekonstruieren, konnte nicht festgestellt werden, ob Baierlein durch eine länger andauernde Bewusstlosigkeit oder durch die zu feste Verschnürung daran gehindert wurde, sich selbst zu befreien.

Die Ergebnisse der gerichtsmedizinischen Untersuchung stehen noch aus. Vielleicht bringen sie uns eine genauere Bestimmung der Tatzeit. Vorerst müssen wir mit einem Spielraum von etwa drei Stunden rechnen.

Gehen wir also davon aus, dass der Täter nach vierundzwanzig Uhr durch die an der Südseite gelegene Tür zum Heizungskeller in das Gebäude eindrang. Wir fanden sie unverschlossen vor. Nachdem wir das altertümliche Türschloss - es stammt etwa aus der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts - zerlegt hatten, ergab sich der eindeutige Beweis, dass es mit einem Nachschlüssel geöffnet wurde. Es zeigten sich frische Kratzspuren am Schließblech, am Mittelbruch und an der Zuhaltung. Offenbar hat der Täter die Besatzung des Schlosses mit einem Dietrich abgetastet und dann mit dem sogenannten Englisch-Welsch aufgesperrt. Mit einiger Erfahrung ist das selbst bei einem alten und relativ komplizierten Schloss in wenigen Minuten möglich. Es war nur nötig ...“

Der Major hebt leicht die Hand. „Gestatten Sie, dass ich Sie unterbreche“, sagt er lächelnd. „Wir wissen doch genau, dass Sie Spezialist für die Bekämpfung von Einbruchdiebstählen sind und schätzen Ihre Kenntnisse auf diesem Gebiet. Nicht zuletzt deshalb wurden Sie mit dem Fall beauftragt. Doch es wäre besser, wenn Sie uns erst einmal in großen Zügen einen Überblick geben würden. Ich möchte Sie bitten, sich vorerst auf die wesentlichen Fakten zu beschränken. Einverstanden?“

Heym bemerkt das Lächeln seiner jüngeren Kollegen Ball und Waldmüller. „Verzeihung“, sagt er verlegen. „Ich bin ganz unbeabsichtigt ... Ich meine, es war gedankenlos von mir. Wo war ich stehen geblieben? Der Täter muss - und das war es, was ich eigentlich sagen wollte - ein Experte auf seinem Gebiet sein. Alles weist darauf hin, dass er mit kluger Umsicht ans Werk gegangen ist. Er kannte offenbar die räumlichen Verhältnisse im Schloss genau, er muss darüber informiert gewesen sein, dass nur ein alter alleinstehender Hausmeister in dem Gebäude wohnte, der wusste, wo die wertvollsten Ausstellungsstücke zu finden sind. Wir haben festgestellt, dass er bereits vor der Störung durch den Hausmeister eine Vitrine geöffnet, drei der kostbarsten Gefäße entwendet und die übrigen so geschickt umgruppiert hatte, dass nur jemand, der den Inhalt der Vitrine genau kannte, den Diebstahl überhaupt entdecken konnte. Es sieht ganz so aus, als wäre es die ursprüngliche Absicht des Täters gewesen, den Einbruch möglichst zu vertuschen, um sich so einen zeitlichen Vorsprung zu sichern. Es ist sogar zu vermuten, dass er den heutigen Ruhetag des Museums einkalkuliert hat.“

„Eine Zwischenfrage, Gregor. Du hast mir doch vorhin erzählt, dass eine Schauvitrine völlig ausgeraubt worden ist. Außerdem war die Scheibe zerschlagen. Wie passt das in deine Theorie?“ Oberleutnant Trunkenbrodt lehnt sich zurück und zündet eine Zigarette an. Er ist ein hagerer Mann Mitte Vierzig, wirkt etwas kühl und zurückhaltend. Es ist durchaus nicht seine Art, mit jedermann gleich auf du und du zu sein. Auch mit Heym begann die Zusammenarbeit zunächst unter Schwierigkeiten und kleinen Plänkeleien, und ihre Beziehungen hatten sich erst allmählich in Respekt gebessert und später in Freundschaft verwandelt.

Heym schüttelt den Kopf. „Das ist kein Widerspruch, Tobias. Aus irgendeinem Grund, den wir vorerst nicht ermitteln konnten, zerbrach der Täter eine Scheibe; der Hausmeister ist von dem Lärm wach geworden und in das erste Stockwerk hinaufgestiegen. Der Täter schlug ihn nieder und band ihn fest, um wenigstens bis zum Morgen die Entdeckung der Tat hinauszuschieben. Den Diebstahl zu tarnen hatte aber keinen Sinn mehr. Aus demselben Grund schloss er auch die Kellertür nicht mehr zu, obwohl das ein Fehler war.“

„Warum ein Fehler?“, fragt der Major, während er ein Streichholz an den Tabak hält und Heym über den Pfeifenkopf hinweg ansieht.

„Wir haben dadurch mühelos feststellen können, wie er in das Gebäude eingedrungen ist, ohne erst alle Türen, Fenster und sonstige Möglichkeiten prüfen zu müssen. Nach einer Viertelstunde kannten wir seine Arbeitsmethode und wussten, dass er ein Mann ist, der unter anderem eine Menge von Türschlössern versteht. Der Kreis der möglichen Täter ist damit bereits begrenzt. Amateure und Jugendliche, die aus Übermut oder Renommiersucht kriminell werden, können wir mit ziemlicher Sicherheit ausschließen.“

„Warum sprechen Sie immer von dem Täter? Woher wissen Sie, dass es sich nur um eine Person handelt?“

„Sie haben recht, eigentlich müsste ich von mehreren Tätern sprechen. Doch ich habe das unbestimmte Gefühl, dass wir es mit einem Einzelgänger zu tun haben. Die Tatumstände deuten darauf hin, so zum Beispiel die Abdrücke der Gummihandschuhe an der Kellertür und im Kurfürstensaal, die immer dieselbe Größe haben. Die gestohlenen Gegenstände konnten von einer Person transportiert werden, ohne dass dies besonders auffallen musste. Mehrere Täter hätten wahrscheinlich auch mehr mitgenommen. Es waren ja noch genügend wertvolle Stücke vorhanden.“

„Gut, das lässt sich hören. Ich habe noch eine andere Frage. Ist es Zufall oder Absicht, dass Sie die Bezeichnung <Mörder> vermieden haben?“

„Es ist Absicht. Der Täter hatte nach meiner Meinung nicht den Vorsatz, einen Mord zu begehen. Er hätte sonst den Alten einfach erschlagen und sich nicht erst die Mühe gemacht, ihn zu fesseln und ihm Mund und Augen zu verbinden. Er tat das, um zwei Dinge zu verhindern: Dass vorzeitig Alarm geschlagen wurde und dass der Hausmeister später keine Personenbeschreibung liefern konnte. Er ahnte nicht, dass sein Opfer stark erkältet war und ersticken würde. Den Tod Oskar Baierleins möchte ich, wenn es gestattet ist - vom Täter aus gesehen -, als eine Art Betriebsunfall bezeichnen.“

Bastian mustert Heym mit einem prüfenden Blick und sagt dann: „Sie haben diesen Einbrecher als einen klugen, ja raffinierten Menschen geschildert. Einverstanden. Er war über die Verhältnisse im Gebäude bestens orientiert. Es ist also denkbar, dass er irgendeine Beziehung zum Museum hat. Vielleicht arbeitet er dort, oder er gehört zu den Leuten, die auf dem Schlossgelände wohnen. Nehmen wir einmal an, der Hausmeister hat ihn gekannt. Unter diesen Umständen kann der Täter durchaus einen ‚Betriebsunfall‘ vorgetäuscht haben, um damit den Mord zu verschleiern.“

„Donnerwetter, ja!“, sagt Heym betroffen und wischt mit einer heftigen Handbewegung die Haarsträhne aus der Stirn. „Auf diesen Gedanken bin ich noch gar nicht gekommen. Aber wir haben schon begonnen, alle Personen, die in ständigem Kontakt mit dem Museum stehen, zu überprüfen. Es sind eine ganze Menge. Kollege Waldmüller hat den Kohlenhandel, die Landschaftsgärtner und die Maurer übernommen, die gerade Bauarbeiten am Schloss durchführen. Kollege Ball die Post, Energie- und Wasserversorgung. Außerdem wird eine Liste der Betriebe aufgestellt, die sonst noch für das Museum gearbeitet haben. Die elf Angestellten des Museums - außer dem Buchhalter alles Frauen - und die Leute, die auf dem Schlossgelände wohnen, sind bereits vernommen worden. Es ist nichts dabei herausgekommen, wenn man von den paar Tratschgeschichten absieht, die uns aufgetischt wurden, um anderen eins auszuwischen.“

„Was gab es für Tatortspuren außer den Kratzern am Kellerschloss?“, fragt Bastian.

„Leider nur sehr wenige.“ Der Täter trug Gummihandschuhe, wie schon erwähnt. Es wurden natürlich auch Papillarspuren gefunden, aber die stammen wahrscheinlich von den Angestellten oder von Besuchern.

Bei der ersten Vitrine hatte der Dieb vier Schrauben entfernt, eine Glaswand herausgenommen und nach dem Diebstahl wieder eingesetzt. Die zweite Scheibe ist ihm heruntergefallen. Die herausgedrehten Schrauben lagen neben den Unterlegringen auf der gläsernen Deckplatte. Er muss also vorgehabt haben, auch diese Scheibe wieder einzusetzen.

Schuhspuren, von denen man sagen könnte, dass sie mit einiger Sicherheit vom Täter stammen, wurden nicht gefunden. Außerhalb des Gebäudes sind die Abdrücke durch den Regen zerstört worden, falls überhaupt welche vorhanden waren. Auch mit den Fährtenhunden hatten wir kein Glück.

Der Tote trug einen gelb und schwarz gestreiften Bademantel aus Frotteestoff. Bei einer ersten Untersuchung wurden unter den Achseln einige dunkelgrüne, filzartige Textilfasern entdeckt. Die Experten im KTI sind der Meinung, dass sie von einem mindestens fünf Jahre alten Lodenstoff stammten. Es muss noch einmal überprüft werden, ob Baierlein ein solches Kleidungsstück aus Loden besessen hat. Bei der ersten Durchsicht seiner Wohnung habe ich nichts Derartiges bemerkt. Sollten wir auch bei einer zweiten, gründlichen Durchsuchung nichts finden, können wir annehmen, dass die Fasern von der Kleidung des Täters stammen und haften geblieben sind, als er den Hausmeister zum Stuhl geschleppt hat. Die Fundstellen unter den Achseln unterstützen diese Annahme.“

Heym wirft einen Blick in seine Unterlagen und fährt fort: „Eine Aufstellung der vierzehn gestohlenen Gegenstände liegt bereits vor. In der Museumskartei sind von jedem Stück eine ausführliche Beschreibung und eine Fotografie vorhanden. Ich schlage vor, von der Liste und den Fotos Kopien anfertigen zu lassen und an die Antiquitätengeschäfte zu verschicken für den Fall, dass der Täter versucht, seine Beute zu verkaufen. - Ja, soweit der erste Überblick“, sagt Heym, knöpft sein Tweedsakko auf und greift nach den Zigaretten.

Major Bastian nickt. „Mit dem Versand der Liste bin ich einverstanden. Sorgen Sie dafür, dass sie möglichst schnell zu den Händlern gelangt, sonst haben sie vielleicht schon gekauft, und der ganze Aufwand war umsonst.“ Er klopft die Pfeife aus und verstaut sie in einem Lederetui mit Reißverschluss. „Ihr Kollektiv hat rasch und umsichtig gehandelt, Kollege Heym“, sagte er. „Sobald neue Ergebnisse vorliegen oder wenn Sie auf besondere Schwierigkeiten stoßen, informieren Sie mich sofort. Kollegen Waldmüller und Ball stehen Ihnen bis auf Weiteres zur Verfügung. Hat noch jemand Fragen oder Vorschläge? Wenn nicht, können wir Schluss machen, denke ich.“

Heym hebt die Hand.

„Ja, bitte?“, sagt Bastian.

„Noch ein wichtiger Punkt, den ich beinahe vergessen hätte. Da wir nur sehr ungenaue Hinweise auf den Täter und die Tatzeit besitzen, möchte ich vorschlagen, dass wir uns mit der Bitte um Mitarbeit an die Bevölkerung wenden. Wir brauchen Zeugen, die in der vergangenen Nacht im Schlossmuseum oder seiner Umgebung etwas Ungewöhnliches bemerkt haben. Die Kollegen vom Revier Köpenick haben sich bereit erklärt, mit einem Lautsprecherwagen für die Verbreitung des Aufrufs zu sorgen.“

Der Major denkt einen Augenblick nach. „Es handelt sich um eine örtlich begrenzte Aktion?“

„Ja, es ist nur an das Stadtgebiet von Köpenick gedacht. Etwa im Umkreis von einem Kilometer vom Tatort.“

„In Ordnung. Führen Sie die Sache durch. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg! Und wie gesagt, wenn’s was Neues gibt, möchte ich sofort Bescheid wissen.“ Der Major erhebt sich, steckt seine Rauchutensilien ein, reicht allen die Hand und geht hinaus.

„Na, dann wollen wir mal“, sagt Heym und nickt seinen Mitarbeitern aufmunternd zu.

3. Kapitel

Der junge Mann sitzt lässig auf dem Stuhl, das rechte Bein auf dem linken Knie und einen Arm über die Rückenlehne gehakt. Er ist ein etwa zwanzigjähriger Schlaks mit weißem Gesicht und großen blauen Augen. Ein Besuch beim Friseur könnte ihm nicht schaden.

„Es muss so gegen eins gewesen sein“, sagt er mit rauer Stimme. „Wollte nach Hause, über die Lange Brücke rüber nach Spindlersfeld. Das Schloss liegt dann auf der linken Seite, nicht? Und plötzlich geht das Licht an im Treppenhaus. Ich denke mir, wer geistert denn da so spät noch rum? Aber nach ein paar Minuten war es schon wieder dunkel.“

„Wie konnten Sie das bemerken, Herr Piatowski? Sind Sie nicht weitergegangen?“, fragt Heym. Er sitzt mit dem Kollegen Waldmüller, einem schwarzhaarigen, fast zwei Meter großen jungen Mann, in einem kleinen Zimmer des VP-Reviers in Köpenick. Sie sind erst vor wenigen Minuten eingetroffen. Auf den ersten Blick macht der Jüngling mit den Röhrenhosen, dem breiten Ledergürtel, den hochhackigen Schuhen und der karierten Jacke nicht den besten Eindruck auf sie. Aber er hat sich gemeldet, ist bereit, seine Zeit zu opfern, um eine Aussage zu machen, also muss man ihm geduldig zuhören.

„Das war doch so“, sagt der junge Mann. „Es fing wieder an, wie aus Mollen zu gießen, und dazu der Sturm, genau von vorn. Da bin ich rasch über die kleine Holzbrücke und hab’ mich unter das Sandsteintor gestellt, bis das Schlimmste vorbei war.“

„Sie standen unter dem Tor am Eingang des Schlosshofes?“

„Ja, genau da.“

„War nur im Treppenhaus Licht?“

„Nein, als ich kam, waren schon unten im Keller ein paar Fenster erleuchtet, zwei, glaube ich. Und dann ging das Licht im Treppenhaus an.“

„Die zwei Fenster im Keller“, wirft Waldmüller ein, „das könnte die Wohnung des Hausmeisters gewesen sein.“

„Ja“, sagt Heym und wendet sich wieder dem jungen Mann zu. „Wie lange brannte das Licht im Treppenhaus?“

„Fünf Minuten vielleicht, bestimmt nicht länger.“

„Haben Sie im Treppenhaus etwas bemerkt?“

„Ich hatte ja nichts weiter zu tun, und da habe ich eben rübergeguckt. Irgendjemand ging langsam die Treppe rauf. Es muss ein alter, dicker Mann gewesen sein. Der Schatten war ganz deutlich zu sehen.“

„Sahen Sie den Mann wieder nach unten gehen?“

„Nein, aber ich habe auch nicht so genau darauf geachtet.“

„Und wann wurde das Licht im Keller ausgemacht?“

„Das weiß ich nicht. Der Regen ließ nach, da bin ich gegangen. War schon spät genug.“

„Als Sie weggingen, brannte also das Licht im Keller noch?“

„Ja, da bin ich sicher.“

„Wissen Sie genau, dass es ein Uhr war, als Sie unter dem Tor gestanden haben?“

„Bestimmt. Wie gesagt, es war schon verdammt spät für meine Verhältnisse. Früh um halb sechs jagt mich mein Alter aus‘m Bett, da kennt der keine Verwandten, sozusagen. Ich bin Maurer. Also habe ich immerzu auf die Uhr geschielt, schon vorher an der Haustür. Mucki wurde schon sauer. Ich muss sie nämlich immer nach Hause bringen, die grault sich im Dunkeln. Und da war es kurz vor eins. Ich bin dann gleich losgetigert. Muss also um eins unter dem Tor gewesen sein, und länger als fünf Minuten habe ich da nicht gestanden.“

„Darf man fragen, wer Mucki ist?“

„Ist ja kein Geheimnis, Leute. Ingrid Linke heißt sie. Arbeitet bei der Bahn und wohnt Grünstraße neunzehn. Wir waren im RAW-Jugendklubhaus Schöneweide, da ist es ein bisschen später geworden. Die Band ist ein scharfer Haufen, besonders der Mann mit der Gitarre kratzt ’n heißen Draht.“

Die zwei Kriminalisten sehen sich aus den Augenwinkeln an. Dann fragt Heym rasch: „Haben Sie sonst noch etwas bemerkt, Herr Piatowski? Einen Menschen vielleicht, der das Schloss verließ, oder irgendjemanden, der sich in der Nähe aufhielt?“