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Die Direktorin des Einrichtungshauses in einer DDR-Bezirksstadt ist verzweifelt. Eine komplette Wohnungseinrichtung im Wert von rund zwölftausend Mark, Wohnzimmer, Küche und Schlafzimmer, ist verschwunden. Das kann man doch nicht einfach aus dem Lager nehmen und am Pförtner vorbei aus dem Betriebsgelände bringen. Schließlich schaltet sie die Kriminalpolizei ein. Die Befragungen der vorbestraften Betriebsangehörigen bringen keine Ergebnisse. Aber da war doch die Frau, die die Verkäuferin beschimpft hatte, weil ihre Nachbarin das neue Schlafzimmermodell „Traumland“ sofort bekommen hat, sie aber mehrere Monate warten soll. Das kann doch nur mit Bestechung möglich sein, so die Vermutung der wütenden Kundin. Eine akribische Suche nach dieser Frau beginnt. Ein spannender Krimi aus der beliebten Blaulicht-Reihe von 1970, der einen interessanten Einblick in die Arbeits- und Lebenswelt in der DDR gibt. LESEPROBE: Dem Oberleutnant war nichts weiter übrig geblieben, als sich wieder auf den Weg zu machen, um in den Ortschaften Dallgow, Birkheide und Nieplitz nach einem etwa dreißigjährigen, Kahn fahrenden Kraftfahrer zu suchen. Dallgow und Birkheide hatte er bereits ohne Erfolg abgegrast. Darüber war es später Nachmittag geworden. Er fühlte sich erschöpft von den vielen Fragen und Erklärungen. Die Hitze und der Staub der Landwege hatten ihm arg zugesetzt, und er sehnte sich nach einer erfrischenden Dusche. Doch nun stand ihm noch Nieplitz bevor, die größte der drei Siedlungen, und es würde vermutlich Stunden dauern, bis er seinen Mann gefunden hatte. Denn dass er ihn finden würde, davon war er fest überzeugt, daran gestattete er sich nicht den geringsten Zweifel. Er wusste, dass es wieder einmal Überstunden und einen verpfuschten Feierabend bedeuten würde, doch seine Familie hatte es längst aufgegeben, ihm deshalb Vorhaltungen zu machen. Die Frau und die beiden Kinder ertrugen es schweigend, wenn er seine Versprechungen auf pünktliches Nachhausekommen, gemeinsame Spaziergänge und dringend notwendige Reparaturen in der Wohnung nicht einhielt; er musste eben sehen, wie er mit seinem schlechten Gewissen fertig wurde. Inzwischen hatte er den Ortseingang von Nieplitz erreicht. Die Waschbrettstrecke lag hinter ihm, die Straße wurde besser. Langsam führ er an den Häusern vorbei und hielt Ausschau nach einem Menschen, der ihm den Weg zum Rat der Gemeinde beschreiben konnte. Ländlicher Friede herrschte, nirgends war jemand zu erblicken.
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Seitenzahl: 73
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Heiner Rank
Modell Traumland
Kriminalerzählung
ISBN 978-3-95655-396-7 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1970 im Verlag Das Neue Berlin (Heft 121 der Blaulicht-Reihe).
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Direktor Sibylle Jonas hatte Sorgen, sehr ernste Sorgen sogar. Seitdem sie etwa vor zwei Jahren die Leitung des „Einrichtungshauses Freundschaft“ übernommen hatte, war — von kleinen Schwierigkeiten selbstverständlich abgesehen — alles gut gelaufen. Und nun plötzlich dieser Rückschlag. Innerhalb des letzten Monats ein Manko von mehr als fünfzehntausend Mark. Das war das Dreifache der Durchschnittssumme. Es konnte einfach nicht mit rechten Dingen zugehen.
Auch in einem Möbelkaufhaus gab es natürlich Verluste. Es gab Transport- und Vorführschäden, es gab Bruch, bei dem sich der Schuldige nicht feststellen ließ, doch der Anteil der Diebstähle war im Vergleich zu anderen Bereichen des Handels gering. Selbstbedienung hatten sie nur in den Abteilungen für Kurzwaren, Dekorations- und Elektroartikel, und dass sich jemand einen Sessel auf den Rücken lud und sich damit, ohne zu zahlen, aus dem Staube machte, war in ihrem Haus noch nicht vorgekommen.
Und dennoch stand sie vor der Tatsache, dass eine ganze Wohnungseinrichtung im Wert von rund zwölftausend Mark verschwunden war. Es handelte sich um ein Wohnzimmer mit variabler Schrankwand und lederner Couch-Sessel-Garnitur vom Typ Annabell, eine Küche Perfekta II mit eingebautem Kühlschrank und kombiniertem Koch-Back-Grill-Herd und schließlich ein komplettes Schlafzimmer in weißgoldenem Schleiflack, Modell Traumland. Von allem das Modernste und Teuerste, das sie zu bieten hatten.
Direktor Jonas schüttelte ärgerlich den Kopf, zog die Stirn in Falten und begann mit dem Daumen die Nase zu reiben. Es war eine Angewohnheit, um derentwillen sie schon viel spöttische Kritik von ihrem Eheliebsten hatte einstecken müssen, die ihr aber doch immer wieder unterlief, wenn sie in einer schwierigen Situation war. Ihr Blick irrte ab von den Papieren auf dem Schreibtisch. Sie sah hinaus durch das Bürofenster auf das Gewirr der Giebel und der dicht gedrängten rotbraunen Dächer der Stadt. In der Ferne ragte das halbe Dutzend neuer Hochhäuser auf, ohne die eine Bezirksstadt keine Bezirksstadt ist. Zwei Dutzend weiterer befanden sich im Bau; die langfingrigen stählernen Montagekräne schienen sich lautlos zu drehen, schwenkten ganze Zimmerwände durch die Luft und blitzten spielerisch mit den Scheiben der Kabinenfenster.
Bläuliche Dunstschleier ließen den Horizont verschwimmen, und in der milden Luft kreisten unaufhörlich die Taubenschwärme, als wollten sie die letzten sonnigen Spätsommertage in vollen Zügen genießen.
Sibylle Jonas in ihrem schwenkbaren Schreibtischsessel nahm von alledem nichts wahr. Sie starrte in den blassblauen Himmel, suchte nach einer Erklärung für die verschwundene Wohnungseinrichtung im Wert von zwölftausend Mark und sträubte sich, zur Kenntnis zu nehmen, was — wie sich der Hauptbuchhalter ausgedrückt hatte — bei leidenschaftsloser Überlegung auf der Hand lag: Unter ihren einhundertzwanzig Mitarbeitern verbargen sich ein paar freche, ja ausgekochte Diebe.
Gegen alle Vernunft hoffte sie noch immer, die Sache möge sich als ein Buchungsfehler oder ein Irrtum in der Lagerkartei herausstellen, obwohl diese Möglichkeit nach zweitägiger gründlicher Prüfung durch die Kontrollabteilung ausgeschlossen worden war. Doch um so dringlicher war es, den Vorfall aufzuklären, ehe vielleicht noch weitere Verluste entstanden. Und da sie aus eigener Kraft offensichtlich keine Lösung fand, war ihr nichts weiter geblieben, als bei der gestrigen Dienstbesprechung schweren Herzens vorzuschlagen, die Kriminalpolizei um Hilfe zu bitten.
Sie sah auf die Uhr. Es war kurz vor zehn. Jeden Augenblick musste der Genosse erscheinen, den man ihr für die Untersuchung des Falles angekündigt hatte. Sie griff nach der kupfernen Dose, zündete sich eine Zigarette an und blies den Rauch weit von sich.
Ausgerechnet jetzt musste ihr so etwas passieren. Der Tag der Republik stand vor der Tür, es waren Vorbereitungen für die Betriebsfeier zu treffen, eine Rede war auszuarbeiten und der Rechenschaftsbericht. Wie sollte sie den Kollegen diese riesenhafte Inventurdifferenz erklären? Wie sollte sie sich verantworten, da sie doch selbst keine Erklärung hatte? Man konnte sich schlecht auf das Walten unbekannter Mächte berufen, und schon unter gar keinen Umständen war es möglich, die Sache einfach unter den Tisch fallen zu lassen. Der Direktor war für die innere und äußere Sicherheit seines Hauses verantwortlich, daran ließ sich nicht rütteln. Also musste man die Wahrheit sagen, mochte sie auch noch so blamabel sein. Es war eine verteufelte Situation.
Wo nur der Kriminalist blieb? Sie sah seiner Untersuchungsarbeit mit Befürchtung, aber auch immer noch mit einem Fünkchen Hoffnung entgegen. Vielleicht würde er eine Lösung finden, die es ihr erlaubte, auch in Zukunft von ihrer Leitungstätigkeit! und von allen ihren Mitarbeitern nur das Beste zu denken.
Das Telefon summte. Na endlich, da war er. Sie nahm den Hörer ab. Die empörte Stimme Fräulein Biesels, ihrer Sekretärin, schlug ihr entgegen. Sie versuchte zu erklären, dass sie trotz der Anweisung nicht zu stören, außerstande sei, den Kollegen Schmidt von der BGL am weiteren Vordringen zu hindern.
Es klopfte, die Tür wurde aufgestoßen, und ein älterer, untersetzter Mann mit buschigen Brauen und einem bärbeißigen Gesichtsausdruck trat ins Zimmer. Er schob eine widerstrebende, etwa vierzigjährige Frau vor sich her, drohte noch einmal temperamentvoll zurück ins Vorzimmer und schlug die Tür zu.
„Musst schon entschuldigen, Sibylle, ich wusste mir keinen Rat mehr. Sprich du mal mit ihr. Die Sophie will den Krempel hinschmeißen und ihr Kollektiv einfach im Stich lassen. Aber bei mir nicht! So ohne Weiteres kommt sie nicht davon, wo wir schon nicht wissen, wo wir die Verkäuferinnen hernehmen sollen. Ich dachte mir, in einem Gespräch von Frau zu Frau, da ist vielleicht noch was drin. Von dir hält sie nämlich ’ne Menge.“
Sibylle Jonas sandte einen stillen Seufzer zur Zimmerdecke und erhob sich. Im Stehen wirkte sie noch jünger und zierlicher als hinter dem schweren Schreibtisch. Der flaschengrüne Hosenanzug und das lockere rötliche Haar gaben ihr so viel jugendlichen Schwung, dass kein Mensch auf den Gedanken gekommen wäre, sie auf die zweite Hälfte der Vierzig zu schätzen, wie es den Angaben in ihrem Personalausweis entsprach, sondern allenfalls auf Ende der Dreißig.
„Bitte, setzen Sie sich doch, Kollegin Lindner“, sagte sie freundlich und führte die Frau zu einem Sessel.
„Danke, vielen Dank, ich möchte wirklich nicht stören. Fräulein Biesel sagte, Sie erwarten einen Besucher.“
Frau Lindner hatte Tränenspuren in den Augen und ein gerötetes Gesicht. Ihre Hand umkrampfte ein zusammengeknülltes feuchtes Taschentuch.
BGL-Schmidt trat heran und drückte sie energisch in den Sessel. „Nun mal los, Sophie, immer frisch von der Leber weg. Wenn ich dich dabei störe, warte ich so lange draußen.“
Frau Lindner schüttelte den Kopf und zerrte nervös an ihrem Taschentuch.
„Sie sind doch eine unserer besten Verkäuferinnen, Kollegin Lindner“, sagte Sibylle. „Erst kürzlich hörte ich wieder, dass Ihnen die Arbeit Freude macht. Warum wollen Sie jetzt so plötzlich weggehen?"
„Das ist es ja eben, die Arbeit macht mir keine Freude mehr. Ich halte es einfach nicht mehr aus.“
„Was halten Sie nicht mehr aus?“
„Diese Schikanen! Sie ist ein Biest, ein ganz scheußliches Biest. Dreht mir die Knöpfe vom Mantel, streut mir heimlich Paprika aufs Frühstücksbrot, wo sie genau weiß, dass ich es nicht vertrage. Und dann lacht sie sich kaputt und wird obendrein noch frech. Ich hab’ das alles nicht nötig, Frau Direktor. Mein Mann verdient genug, ich arbeite nur, weil’s mir Spaß macht. Aber nun ist wirklich Schluss. Ich lasse mir das nicht mehr bieten von dieser dummdreisten Göre.“
Sibylle warf dem BGL-Mann einen fragenden Blick zu. „Ramona Meier“, sagte er achselzuckend, „du kennst sie ja. Mit der ist sie in einem Schrank.“
„Aber das lässt sich doch ändern!“
BGL-Schmidt winkte ab. „Schon erledigt. Aber nun komm doch mal zur Sache selbst, Sophiechen“, sagte er in väterlichem Ton.
Frau Lindner sah unsicher von einem zu anderen, räusperte sich, schluckte und begann zögernd: „Gestern Nachmittag war es. Ich hatte gerade einen Herrn, der sich für einen türkisblauen Diplomat interessierte. Er konnte sich aber nicht recht entschließen, das Drehgestell erschien ihm nicht stabil genug. Ja, und dann kam sie, zupfte mich am Ärmel, wissen Sie, und das mag ich schon nicht, wenn ein Mensch so aufdringlich ist. Eigentlich hätte mich das schon warnen sollen, aber ich dachte mir noch nichts dabei. Sie wollte sich die Schlafzimmer ansehen, also gingen wir hinüber, und ich zeigte ihr die Modelle. An allem hatte sie natürlich etwas auszusetzen. Erika war ihr zu simpel, Suleika zu schwülstig und Fata Morgana zu gelb. Ja, und dann ließ sie endlich die Katze aus dem Sack, und die hieß Traumland. Ausgerechnet das Modell Traumland wollte sie haben. Wir hatten davon aber nur vier Stück, und die waren vorbestellt und schon nach zwei Tagen aus dem Lager. Ich konnte ihr beim besten Willen nicht sagen, wann die nächste Lieferung kommt, außerdem haben wir bereits über dreißig Vorbestellungen. Mehrmals erklärte ich ihr geduldig und mit großer Höflichkeit, dass mit einer Lieferfrist von mindestens acht Monaten zu rechnen sei. Tja, und dann ging’s erst richtig los.“
Frau Lindner schnäuzte sich und holte tief Atem.
„Die Dame wurde ungehalten, ach, was sage ich, ausfallend wurde sie, direkt beleidigend und gemein! Wissen Sie, was sie zu mir gesagt hat?“