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„DRINGEND! SOFORT IN ANGRIFF NEHMEN!" steht auf dem Aktendeckel, den Leutnant Kreutzer von der Kriminalpolizei in seinem Büro vorfindet. Mit dem spärlichen Bericht - Junge Lehrerin entdeckt gegen 22 Uhr kurz vor dem Ortseingang Philippsthal einen schwer verletzten Radfahrer, Auskunft über den Hergang des Unfalls kann der Verunglückte nicht geben - und den Ergebnissen der Spurenauswertung ausgerüstet, beginnt er die Fahndung nach einem zweifarbigen Wartburg, dessen Fahrer den Unfall verursachte und danach flüchtete. Aber offenbar ist es einfacher, die berühmte Stecknadel im Heuhaufen als diesen Wagen im Bezirk Potsdam zu finden. Zu seiner Überraschung bemerkt Kreutzer den Unfallwagen in der Garage des bekannten Arztes Doktor Nikolai. Sollte ein Arzt Fahrerflucht begangen haben? Welches ungewöhnliche Motiv könnte ihn dazu veranlassen? Nikolais Verhalten bei der Vernehmung lässt ihn in der Tat verdächtig scheinen. Sein Alibi erscheint Leutnant Kreutzer anfechtbar. Bei der weiteren Ermittlung kommen dann auch eine Reihe bemerkenswerter Fakten ans Licht, die neue Zusammenhänge schaffen, alte rechtfertigen und im Übrigen die Lösung herbeiführen. LESEPROBE: „Sie machen mich noch verrückt!“, knurrte Kreutzer. „Wir stecken bis zum Hals in Schwierigkeiten, und Sie reißen nur alberne Witze. Alles, was wir bisher vermuteten, hat sich als falsch erwiesen. Kranepuhl ist mit einem ausgekochten Trick um dreitausend Mark geprellt worden. Der Betrüger benutzte Doktor Nikolais Wagen, knöpfte mithilfe eines Komplizen Kranepuhl das Geld ab und verursachte auf der Rückfahrt den Unfall. Jetzt leuchtet auch ein, weshalb er Fahrerflucht beging.“ „Natürlich“, sagte Arnold, „die ganze Geschichte wäre ja sofort geplatzt. Es würde mich übrigens sehr wundern, wenn Kranepuhl der Einzige wäre, dem man auf diese Weise das Fell über die Ohren gezogen hat. Dazu ist der Dreh doch viel zu schön. Wenn die Brüder immer die gleiche Methode angewandt haben, was anzunehmen ist - denn welcher Ganove ändert eine erfolgreiche Masche? brauchen wir nur zu warten, bis sich die Opfer bei Doktor Nikolai melden, um sich nach ihrem angezahlten Wartburg zu erkundigen.“ „Ja, wahrscheinlich. Aber wir können inzwischen nicht nur Däumchen drehen. Zu neun Uhr hat mich Grigoleit bestellt. Er will einen Bericht über den Vorgang und wissen, was wir weiter zu tun gedenken. Nikolai hat sich über unsere Arbeitsweise beschwert. Ich fürchte, es wird einen schönen Rüffel geben
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Seitenzahl: 310
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Heiner Rank
Nebelnacht
ISBN 978-3-95655-404-9 (E-Book)
Die Druckausgabe erschien erstmals 1967 im Verlag Das Neue Berlin (DIE-Reihe Delikte, Indizien, Ermittlungen).
Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta
© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de
Ein kalter Mond stand über der Flussniederung, in der undurchdringlich und schwer wie feuchte Watte der Bodennebel schwamm. Erlenbüsche und die kegelförmigen Kuppen einiger Heuschober hoben sich dunkel daraus hervor. Die Nacht war wolkenlos, und hinter den Dächern des Dorfes, das am Rande der Wiesen auf einer flachen Anhöhe lag, leuchtete der Himmel messinggelb vom Widerschein der nahen Großstadt. Eine Straße brach als helles Band aus dem Wald, tauchte in den Nebel des Flusstales und führte über einen von Pappeln flankierten Erddamm und eine Brücke dem Dorfe zu.
An dem hölzernen Geländer der Brücke lehnte eine Frau. Sie trug einen hellen Mantel und ein grünes, mit weißen Punkten besetztes Kopftuch. Den Mantelkragen hatte sie hochgeschlagen und bis unter das Kinn zugeknöpft. Es war schon spät in der Nacht, und sie fror. Ihr Blick schweifte über das im fahlen Mondlicht träg wogende Nebelmeer, und dieser ungewöhnliche, gespenstische Anblick weckte in ihr das Bild einer fernen Vergangenheit, als diese sumpfige Niederung Grenzmark war zwischen den nach Osten drängenden Askaniern und den wendischen Slawen, um deren hölzerne Burgwälle erbitterte Kämpfe tobten.
Mit einem energischen Kopfschütteln riss sie sich von ihren Wachträumen los und wandte sich dem Dorfe zu. Sie war jung, fast noch ein Mädchen, und hatte einen weichen, elastischen Gang. Schritt für Schritt, je weiter sie der sich neigenden Straße folgte, versank sie im Nebel. Das spielerische Rauschen, mit dem der kleine Fluss über das Wehr ging, verebbte und erstarb. Die Chaussee begann sich in engen Kurven durch die morastigen Wiesen zu winden. Schilf und Erlenbüsche wuchsen schemenhaft am Rande des Weges auf, dürre Äste reckten ihre Krallen, und die bizarren Kugelköpfe der Weiden geisterten durch den Brodem. Ein leises Rascheln hier, da ein Tierruf, dumpf und klagend, dort ein glucksender Laut.
Ganz gegen ihren Willen ging die Frau schneller und so geräuschlos wie möglich. Sie atmete flach und spürte, wie die uralte Furcht in ihr aufstieg, das Grauen vor der gestaltlosen, ungreifbaren Gefahr, der nackten Vernunft nicht zugänglich und ihrer spottend. Alle Willenskraft musste sie aufbieten, die Panik niederzuhalten, nicht in wilder Hast kopflos davonzustürmen.
Mit hart klopfendem Herzen, die Hände zu Fäusten geballt, hielt sie der Angst stand und nahm kürzere Schritte. Dunkelheit und Nebel waren so dicht, dass sie kaum noch den Erdboden vor sich erkennen konnte. Da trat ihr Fuß in splitterndes Glas.
Sie zuckte zusammen, machte eine heftige Bewegung, stolperte über ein Gestänge. Es gab ein kratzendes, metallisches Geräusch. Vom Schienbein schoss wütender Schmerz herauf und zog ihr für Sekunden einen rötlichen, von Irrlichtern durchsprühten Schleier vor die Augen.
Sie lag auf den Knien, unter ihren Händen die nasskalte Erde des Sommerweges. Als sie die zitternden Lider hob, bemerkte sie vor sich auf dem Boden eine dunkle Gestalt. Ein winselndes Stöhnen, qualvoll und erschreckend unecht, drang ihr entgegen. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte, und nur ein schluchzender Laut kam über ihre Lippen. Von eisigem Schrecken gelähmt, glaubte sie, eine Ewigkeit lang auf der feuchten Erde zu hocken - unfähig, einen Gedanken zu fassen, unfähig, sich zu rühren. Dann plötzlich, mit einer nie empfundenen Intensität, nahm sie den Rauch glimmenden Kartoffelkrautes wahr, würzig und belebend. Die Erstarrung wich. Sie bewegte prüfend ihre Finger, drehte den Kopf, erhob sich und beugte sich vorsichtig über die reglose Gestalt.
Es war ein Mann. Er lag seitlich auf der Erde, das Gesicht in den nassen Schmutz gedrückt. Seine Arme waren in unnatürlicher Weise um den Körper gedreht, als hätte ihn die Kraft eines Riesen zu Boden gefegt. Sie kniete nieder und drehte ihn auf den Rücken, wobei sie an ihren Händen eine klebrig-warme Flüssigkeit spürte. Der Kopf des Mannes fiel zurück, das Winseln ging in ein dumpfes Röcheln über. Rasch zog sie den Mantel aus, rollte ihn zu einer Art Kissen zusammen und schob es ihm unter den Nacken. Irgendwann einmal hatte sie gehört, dass ein Verletzter bei zu tief liegendem Kopf an seinem eigenen Blut ersticken kann. Dann schaute sie sich suchend um, tastete über den Boden, konnte aber außer einem zertrümmerten Fahrrad, über das sie gefallen war, nichts entdecken. So schnell, wie es der Nebel erlaubte, eilte sie ins Dorf.
Wenig später stieß sie die Tür der Gastwirtschaft „Zu den vier Linden“ auf. Atemlos und mit wirrem Haar stürzte sie in den Schankraum. Ihre Hände waren blutig, und da sie beim Laufen versucht hatte, sich die Haare aus dem Gesicht zu streichen, war auch ihr Gesicht blutig. Das grüne Kopftuch mit den weißen Punkten war heruntergerutscht und umschloss locker ihren Hals.
Die Skatspieler am Stammtisch fuhren von den Stühlen auf, ließen die Karten sinken und starrten sie mit glasigen Augen an. Der Wirt wurde von ihrem Anblick so aus der Fassung gebracht, dass er vergaß, den Zapfhahn zu schließen. Erst als ihm das Bier über die Hand und in den Hemdsärmel lief, fand er mit einem erschrockenen Fluch seine Geistesgegenwart wieder.
Sie hatte den neben einer Kühlvitrine stehenden Telefonapparat erreicht und riss den Hörer von der Gabel. „Auf der Straße vor der Nuthebrücke liegt ein Schwerverletzter“, keuchte sie, „er verblutet. Es muss sofort ein Arzt kommen.“
„Wie denn - Sie meinen, ein Unfall?“, fragte der Wirt etwas töricht.
Sie nickte.
„Haben Sie sonst noch etwas gefunden?“
„Ja, ein zertrümmertes Fahrrad.“
„Dann ist es besser, Sie rufen erst die Polizei an“, sagte der Wirt, zog das Telefonbuch unter der Theke hervor, schlug es auf und fuhr mit seinem dicken, feuchten Finger eilig über die Seiten.
„VP-Notruf, null eins eins.“
Ein Kreis von Neugierigen hatte sich indessen gebildet; sie standen schweigend, der Schreck hatte sie ernüchtert, und stierten interessiert oder auch teilnehmend auf die junge Frau. Sie begann zu wählen, doch ihre Hände waren so unsicher, dass sie immer wieder die Zahlen auf der Drehscheibe durcheinanderbrachte. Wortlos zog der Wirt den Apparat zu sich heran und stellte die Verbindung her. Dann gab er ihr den Hörer zurück, und sie begann, unzusammenhängend und in der Erregung sich verhaspelnd, herauszusprudeln, was sie erlebt hatte. Schon nach den ersten Sätzen unterbrach sie der Mann am anderen Ende der Leitung und stellte mit besonnener Stimme einfache, klar formulierte Fragen. Seine Ruhe schien suggestiv zu wirken. Ihre fahrigen Bewegungen ließen nach, und sie begann regelmäßiger zu atmen.
„Wie ist Ihr Name bitte?“
„Evelyn Schwarzhaupt.“
„Von wo rufen Sie an?“
„HO-Gaststätte Philippsthal.“
„Sie fanden einen schwer verletzten Mann auf der Straße nach Güterfelde?“
„Ja. Er ist bewusstlos und …“
„Danke. Schicken Sie nach dem VP-Posten in Ihrer Ortschaft. Wenn Sie einen Arzt in der Nähe haben, lassen Sie ihn rufen. Sie selbst kehren mit einigen Helfern so schnell wie möglich an die Unfallstelle zurück. Sperren Sie provisorisch die Straße, und sorgen Sie dafür, dass nichts verändert wird. Decken Sie den Verunglückten mit einer warmen Decke zu, bewegen Sie ihn aber nicht ohne ärztliche Anweisung. Ein Einsatzwagen des Unfallkommandos und ein Krankenwagen sind auf dem Wege zum Unfallort. Haben Sie noch Fragen?“
„Nein, alles verstanden“, flüsterte sie. Dann bemerkte sie das Blut an ihren Händen. Sie wurde bleich, der Hörer entglitt ihr, und mit dem Gefühl würgender Übelkeit sank sie auf einen Stuhl.
Am folgenden Morgen, kurz vor acht Uhr, rollte ein steingrauer Trabant auf den Parkplatz an der Potsdamer Bauhofstraße. Die Luft war seidig, der Himmel von einem zarten Blau, und der vergoldete Atlas auf dem Dach des Alten Rathauses, der sich mit der Weltkugel auf seinem Rücken abmühte, glühte in der Sonne. Der Mann hinter dem Lenkrad, Leutnant der Kriminalpolizei Viktor Kreutzer, schwang sich von seinem Sitz und verriegelte die Türen. Sein Blick fiel auf den Ahornbaum neben dem Parkplatz, dessen Blätter über Nacht eine weinrote Färbung angenommen hatten. Sekundenlang starrte er hinüber und fühlte sich von der Schönheit der Natur ergriffen. Dann dehnte er seufzend die Brust, wandte sich um und schritt dem Hauptportal seiner Dienststelle zu.
Kreutzer war etwas über dreißig Jahre alt, mittelgroß, von kräftiger Statur und hatte die breiten Schultern des aktiven Ringers. Auf dem massigen Kopf standen die dunkelblonden Haare borstig in die Höhe. Seine Augen unter den an der Nasenwurzel zusammengewachsenen Brauen waren grau; in Augenblicken der Gereiztheit konnten sie schnell kühl und unnachgiebig werden. Über dem festen Kinn mit einem Grübchen in der Mitte saß ein schmallippiger, fast eigensinnig anmutender Mund.
Das Leben hatte Kreutzer in jungen Jahren nicht verwöhnt. Zusammen mit sechs Geschwistern war er unter jämmerlichen Verhältnissen aufgewachsen. Den Vater, einen Querkopf und Saufaus, hatte die Schnapsflasche das irdische Elend und zugleich Frau und Kinder vergessen lassen. Geld war so gut wie nie im Hause gewesen, und die Mutter hatte zusehen müssen, wie sie sich mit ihren sieben Bälgern mehr schlecht als recht durchschlug. Sobald Viktor denken konnte, entwickelte sich in ihm eine unüberwindliche Abscheu gegen Schnaps und Zigaretten. Er hasste seinen nach Kneipe stinkenden Vater, der bei schwindendem Rausch zu Hause jeden prügelte, den er erwischen konnte. Doch Viktor lernte auch schon früh, sich zu behaupten. Seinen Platz in dem quietschenden Messingbett, den Anteil an den Mahlzeiten und später die Tischecke für die Schularbeiten musste er gegen seine verwilderten, randalierenden Brüder und Schwestern zäh verteidigen. Er war kaum vierzehn Jahre alt, als er seine Lehre als Rohrschlosser in einem Babelsberger Lokomotivwerk begann. Zu dieser Zeit floh er aus dem häuslichen Durcheinander in die Ordnung und Geborgenheit einer Ringersportgemeinschaft. Von dort fand er schließlich den Weg zur FDJ, und vier Jahre danach, als er achtzehn Jahre alt war, trat er in die Volkspolizei ein. Er war ernst und verschlossen, lernte langsam und ließ nichts in seinen Schädel ohne gründliche Prüfung. Man konnte ihn nicht beschwatzen, und wer versuchte, seine zuweilen kleinlichen Einwände mit gewandtem Redeschwall zu überrennen, stieß auf eine Mauer des Misstrauens. Im täglichen Umgang blieb er meist sachlich, er war nicht besonders umgänglich, wirkte dabei fast etwas zu kühl, und in Dingen, die er für wichtig hielt, konnte er von einer sehr unbequemen Hartnäckigkeit sein, was ihm schon mancher übel angekreidet hatte. Die meisten seiner Mitmenschen kamen ihm nicht ins Gehege; sie hatten die zuweilen schmerzliche Erfahrung gemacht, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war.
Kreutzer hatte sein Arbeitszimmer erreicht. Es war ein kleiner, spärlich möblierter Raum. Zwei Schreibtische - der eine für seinen jüngeren Mitarbeiter -, ein Besucherstuhl, ein brauner Kleiderschrank und auf einem niedrigen Aktengestell ein graues, etwas blechern wirkendes Panzerschränkchen. An den Wänden hingen drei Landkarten - Republik, Bezirk, Kreis - und in schlichten Rahmen die farbigen Porträts zweier führender Politiker.
Auf seinem fast leeren Schreibtisch entdeckte Kreutzer einen Aktendeckel, an dem oben ein Zettel befestigt war. Mit Rotstift hatte jemand gut lesbar darauf geschrieben: „Dringend! Sofort in Angriff nehmen. Grigo“. Grigo war die Abkürzung für Hauptmann Herbert Grigoleit, Abteilungsleiter und Kreutzers unmittelbarer Vorgesetzter. Kreutzer zog sich mit dem Fuß den Stuhl heran und setzte sich. Ohne den Mantel auszuziehen, begann er zu lesen.
Kurz darauf betrat ein junger Mann geräuschvoll das Zimmer. Es war Kreutzers Assistent, Unterleutnant Dieter Arnold. Vierundzwanzig Jahre war er alt, überragte seinen Chef um Haupteslänge, hatte fünf Dienstjahre bei der Volkspolizei hinter sich und vor Kurzem seinen zweiten Lehrgang mit überdurchschnittlichen Leistungen beendet. Kreutzer stand ihm mit zurückhaltendem Wohlwollen gegenüber, er schätzte Arnolds Fleiß und seine umsichtige Art, an ein Problem heranzugehen. Nicht ganz nach seinem Geschmack war ihm Arnolds lockeres Mundwerk und eine gewisse Respektlosigkeit, mit der er sich oft auch über ernste Fragen lustig machte.
„Schönen guten Morgen!“, sagte Arnold gut gelaunt. Er hing seine Lederjacke auf einen Bügel und schloss die knarrende Schranktür. „Ein herrlicher Tag heute.“
„Morgen“, brummte Kreutzer, ohne aufzusehen, und winkte ihn heran. „Hier, sehen Sie mal. Schwerer Verkehrsunfall in der vergangenen Nacht.“
„Was haben wir denn damit zu tun?“, fragte Arnold argwöhnisch.
„Unfallflucht.“
„Ach so. Weiß Grigo schon Bescheid?“
Kreutzer deutete auf den Zettel, den er in den Falzrand seiner Schreibunterlage geschoben hatte. Arnold warf einen Blick darauf und seufzte, doch sein Chef verzog nur flüchtig den Mund zu einem halben Lächeln und vertiefte sich wieder in die Akte. Arnold trat um den Schreibtisch und beugte sich über Kreutzers Schulter.
Nachdem er einige Minuten mitgelesen hatte, richtete er sich auf und schlug mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. „Ich begreife nicht, was in diesen Schweinehunden vorgeht! Einen Menschen über den Haufen fahren und dann hilflos liegen lassen; soll er doch verrecken, Hauptsache ist, ich habe keinen Ärger. Ein Kerl, der so etwas fertigbringt, muss doch durch und durch ein Lump sein!“
Kreutzer blickte seinen Kollegen stirnrunzelnd an. „Wer sagt Ihnen denn, dass es ein Mann war? Unsere Aufgabe ist es, den Täter zu überführen, und dabei brauchen wir einen kühlen Kopf. Ich halte nicht sehr viel von der psychologischen Motivierung, weder gegen noch für den Verdächtigen, man kann da allzu leicht aufs Glatteis geraten. Beweisbare Tatsachen sind mir lieber, dabei gibt es keine Mogelei. Jeder halbwegs gerissene Halunke versteckt sich doch heutzutage hinter einem seelischen Defekt. Na, gut ...“ Er winkte ab und schaute wieder in die Akte. „Wie ich hier lese, sind alle Tatortspuren der Kriminal-Technischen Untersuchungsstelle zugestellt worden. Rufen Sie bitte dort an, und fragen Sie, wann wir mit dem Ergebnis rechnen können. Solange wir nicht wenigstens wissen, was für ein Wagentyp den Unfall verursacht hat, können wir mit der Fahndung nicht beginnen.“
Arnold suchte sich das Telefonverzeichnis und begann darin zu blättern. Kreutzer sagte, ohne aufzusehen: „Gehen Sie ’rüber ins Sekretariat, und lassen Sie sich die Verbindung herstellen. Die haben die Nummer im Kopf.“ Achselzuckend verschwand Arnold aus dem Zimmer.
Nach einer knappen Viertelstunde kehrte er zurück.
„Die Kriminal-Technische Untersuchungsstelle teilt mit, dass vor dreizehn Uhr keinesfalls mit dem Abschluss der Spurenauswertung zu rechnen ist. Wenn wir dringend das Ergebnis brauchen, können wir uns am frühen Nachmittag mündliche Auskunft holen. Der schriftliche Bericht wird erst gegen Abend fertig.“
„Mit wem haben Sie gesprochen?“, fragte Keutzer und schloss sein Taschenbuch, in dem er sich Notizen gemacht hatte.
„Mit Doktor Fritsche.“
„Aha. Warum hat es so lange gedauert?“
„Ich habe noch im Krankenhaus angerufen und mich nach dem verletzten Radfahrer erkundigt. Er wurde in der Nacht operiert und ist noch immer bewusstlos. In etwa drei Stunden sollen wir wieder nachfragen, vielleicht können sie uns dann schon sagen, wann eine Vernehmung möglich ist.“
„Tüchtig, tüchtig“, sagte Kreutzer. „Dann wollen wir versuchen, uns erst einmal ein Bild von der Sache zu machen. Setzen Sie sich, ich werde Ihnen erzählen, was ich inzwischen aus der Akte erfahren habe.“
Arnold setzte sich hinter seinen Schreibtisch, und Kreutzer begann: „Gestern Abend gegen zweiundzwanzig Uhr findet eine junge Lehrerin kurz vor dem Ortseingang Philippsthal einen schwer verletzten Radfahrer. Es ist der dreiundzwanzigjährige Traktorist Siegfried Laabs. Etwa zwanzig Minuten später treffen Rettungswagen und Unfallkommando in Philippsthal ein. Der Arzt stellt bei dem Verletzten eine Fraktur des linken Oberschenkels, Rippenbrüche und innere Blutungen fest. Er lässt ihn in das Bezirkskrankenhaus überführen. Auskunft über die Ursache des Unfalls kann der Verunglückte nicht geben, da er sich in einer tiefen Ohnmacht befindet. Der Arzt schließt aus dem Zustand der Schürfwunden, dass sich der Unfall ungefähr eineinhalb bis zwei Stunden vorher ereignete, also zwischen acht und halb neun Uhr abends.“
„Es kommt mir etwas merkwürdig vor“, wandte Arnold ein, „dass der Mann zwei Stunden unbemerkt auf der Straße gelegen haben soll. Abends um neun Uhr sind doch noch eine Menge Leute unterwegs.“
„Es herrschte sehr starker Nebel“, sagte Kreutzer. Er erhob sich und trat an die Wandkarte des Kreisgebietes. Seine Hand deutete auf eine hellgrün schraffierte Fläche, durch die sich die blaue Ader eines Wasserlaufs zog.
„Sehen Sie, hier am Rande der Nutheniederung befindet sich die Unfallstelle. Der Fluss wird dort von feuchten Wiesen gesäumt, über denen sich während rascher Abkühlungen, besonders bei Hochdruckwetter im Herbst, dichte Nebelfelder bilden. So auch gestern Abend, nach dem sonnigen Tag. Die Strecke zwischen Philippsthal und Güterfelde ist keine Fernverkehrsstraße und wird relativ selten befahren. Der Verletzte lag am Straßenrand. Selbst wenn jemand vorbeigekommen ist, war es bei dem dichten Nebel leicht möglich, dass er den Mann gar nicht bemerkte.“
Arnold nickte.
Kreutzer kehrte auf seinen Platz zurück und fuhr fort: „Bei der Spurensicherung suchte man mit Scheinwerfern und Handlampen einen hundert Meter langen Straßenabschnitt sorgfältig ab. Man fand ein zertrümmertes Fahrrad, die Bremsspur und die Reifenabdrücke eines Autos, verstreute Scherben vom Glas eines Scheinwerfers und die Reifenabdrücke des Fahrrades. Aus diesen Spuren und ihrer Lage zueinander ist der Unfall in großen Zügen so rekonstruiert worden: Der Radfahrer kam aus einem Feldweg etwa zweihundertundfünfzig Meter vor dem Ortseingang Philippsthal und bog auf die Straße ein. Sein Fahrrad war nicht beleuchtet. Es hat zwar eine Lichtanlage, die aber nicht funktionierte, weil das Kabel an zwei Stellen durchgerostet ist. Aus noch ungeklärten Gründen fuhr er nicht rechts, sondern mitten auf der Fahrbahn. In diesem Augenblick näherte sich von Philippsthal her ein Fahrzeug. Der Fahrer erkannte den Radfahrer zu spät. Er versuchte erst wenige Meter vor dem Zusammenprall nach rechts auszuweichen und geriet dabei mit dem rechten Vorder- und Hinterrad auf den Sommerweg. Der Wagen erfasste mit dem linken Vorderkotflügel den Radfahrer und schleuderte ihn über die Motorhaube und den Sommerweg bis an den Rand des Straßengrabens. Nach dem Zusammenstoß trat der Fahrer scharf auf die Bremse, ließ den Wagen dann etwa zwanzig Meter rollen und raste plötzlich davon, ohne sich um den Verletzten zu kümmern. Aus den Spuren auf dem Sommerweg geht eindeutig hervor, dass der den Unfall verursachende Wagen nicht gehalten hat.“
Kreutzer stemmte die Hände gegen die Schreibtischkante und sah zu Arnold hinüber. „Soweit die Fakten“, sagte er. „Was können Sie damit anfangen?“
Arnold schnitt eine verzweifelte Grimasse. „Nichts. Nicht mal der Teufel könnte mit diesen armseligen Hinweisen weiterkommen. Wir müssen warten, ob die KTU etwas herausfindet. Und selbst dann stehen wir vor dem Problem, eine Stecknadel im Heuhaufen zu finden, vorausgesetzt, dass wir im richtigen Heuhaufen suchen.“
Er verspürte ein heftiges Verlangen, sich eine Zigarette anzuzünden, aber da er wusste, mit welcher Inbrunst Kreutzer das Rauchen verabscheute, unterdrückte er es und knabberte stattdessen ein wenig am Daumennagel.
„Düstere Perspektiven“, sagte Kreutzer. Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. „Es ist jetzt kurz nach neun. Sehen wir uns mal die Unfallstelle an.“
Der EMW fuhr über die Lange Brücke, die sich mit zwei breiten Fahrbahnen von der Innenstadt her über die Havel spannt. Im ruhigen Wasser bei der Dampferanlegestelle zogen Schwäne ihre Kreise, und an den betonierten Kais lagen die Motorschiffe der Weißen Flotte, der Ausflügler harrend, die in hellen Scharen mit Kindern, Fotoapparaten und dicken Provianttaschen heranrückten. Als sie aus der Stadt heraus waren, kurbelte Kreutzer das Fenster herunter. Der Geruch von Benzin, warmer Waldluft und frischem Heu wehte in den Wagen. Auf einem Getreideschlag ratterten die Mähdrescher und schleppten Staubschleier hinter sich her. Dunkelgrüne Kartoffeläcker, Landschaften mit Wiesen und Buschwerk, Kiefernwälder glitten vorüber. Nach einiger Zeit senkte sich die Straße in einen Wiesengrund, schwang unter einer Bahnlinie hindurch und führte auf das Dorf Philippsthal zu, dessen Schilfdächer sich unter die Kronen herbstbunter Bäume duckten.
Dann waren sie in der weitläufigen Ortschaft. Gänse kreischten dem Auto entgegen, und der Mann am Lenkrad musste aufpassen, dass er ihnen nicht über die angriffslustigen Hälse fuhr.
Vor der Schule, einem roten Backsteinbau mit weißen Fenstern, stoppte der Wagen. Kreutzer und Arnold stiegen die Stufen zur Eingangstür hinauf und kamen in einen kühlen, halbdunklen Flur. An einer Tür war mit Reißnägeln ein Stück Karton befestigt, auf dem in Druckbuchstaben LEHRERZIMMER stand. Sie klopften und traten ein. Es war ein niedriger Raum mit Balkendecke und hell getünchten Wänden. In einer Ecke lehnten zusammengerollte Landkarten, die Dielen waren bedeckt mit Stapeln von Schulbüchern, und auf einem alten Bauernschrank hockten wie auf einer Galerie ausgestopfte Vögel. In der Nähe des Fensters standen zwei Schreibtische. An dem einen saß hinter Schulheften und farbigen Tintenfässern ein junger Mann. Er trug eine dickrandige Hornbrille, die kaum Halt auf seiner Stupsnase fand. Als er die beiden Männer erblickte, erhob er sich und schloss hastig die Knöpfe seines Flanellhemdes.
„Wir möchten gern Fräulein Schwarzhaupt sprechen“, begann Kreutzer. „Sie unterrichtet doch hier, nicht wahr?“
„So ist es. Kommen Sie wegen des Unfalls gestern Nacht?“
Kreutzer nickte.
Der junge Mann dachte einen Moment nach. „Sie hat gerade Unterricht“, sagte er dann, „aber ich werde sie holen.“
„Vielen Dank!“
Der junge Mann winkte ab. „Bitte, nehmen Sie doch Platz.“ Er wies auf zwei Stühle, die neben der Tür standen, nahm einen Stoß Hefte vom Schreibtisch und verließ das Zimmer.
Kreutzer setzte sich, Arnold trat an das geöffnete Fenster. Im Schulgarten blühten Malven, Astern und Gladiolen, und es gab auch Gemüse. An jedem der Beete steckte ein Schild, das Auskunft gab, welcher Klasse es gehörte. Die Sonne schien warm, es herrschte ländliche Stille.
Nach kurzer Zeit hörte man Schritte auf dem Flur, dann trat Fräulein Schwarzhaupt in das Zimmer. Sie wirkte nicht mehr so gespenstisch wie am Abend zuvor. Eine weiße Bluse und ein sportliches Kostüm gaben ihr natürliche Frische; ihr Haar, das in lockeren Wellen bis auf die Schultern fiel, schimmerte rötlich im Sonnenlicht. Die lebhaften Augen und einige Sommersprossen auf der Nase ließen sie noch jünger erscheinen, als sie war.
Kreutzer stellte sich und seinen Kollegen vor und bat darum, an die Unfallstelle geführt zu werden.
„Sehr gern“, sagte Fräulein Schwarzhaupt, „wenn ich Ihnen damit helfen kann.“ Sie trat an den Bauernschrank, öffnete die Doppeltür und nahm einen weißen Dederonanorak vom Bügel.
Als sie auf die Dorfstraße hinaustraten, schob der Fahrer seine Zeitung unter die Sonnenblende und ließ den Motor anspringen.
„Wie weit ist es zu Fuß?“, fragte Kreutzer.
„Etwa fünf Minuten“, sagte sie.
„Dann können wir laufen, einverstanden?“
Sie nickte. Er winkte zum Wagen hinüber, und das Brummen des Motors verstummte.
Sie gingen die breite, von alten Lindenbäumen gesäumte Straße entlang. Hinter den Tüllgardinen tauchten Gesichter auf, und hin und wieder trat jemand in die niedrige Tür seines Hauses und musterte die Fremden mit ungenierten Blicken.
„Wie kam es eigentlich“, begann Kreutzer, „dass Sie zu so später Stunde allein unterwegs waren?“
Fräulein Schwarzhaupt lächelte. Sie hatte die Hände auf dem Rücken zusammengelegt, und das Seidenfutter ihres Rockes raschelte beim Gehen. „Ich habe mir angewöhnt, vor dem Schlafengehen einen Spaziergang zu machen.“
„Das ist bemerkenswert. Es gibt viele Frauen, die sich im Dunkeln fürchten, besonders in der freien Natur.“
„Nein, ich fürchte mich im Allgemeinen nicht. Aber ich will gern zugeben, dass mir gestern Abend etwas unheimlich zumute war. In dem dichten Nebel wirkte jeder Strauch und jedes Geräusch gespenstisch, und ich hatte eine Vorahnung von Gefahr, wenn es so etwas wie Ahnungen überhaupt gibt. Vielleicht war es auch nur pure Einbildung. Die Leute hier in der Gegend erzählen mit Vorliebe Spukgeschichten, und die Kinder bringen sie dann mit in die Schule. Ob man will oder nicht, ein wenig davon bleibt doch hängen.“
Sie zuckte die Schultern und sah ihre Begleiter forschend an. Ihr Mund verzog sich zu einem leichten, spöttischen Lächeln.
Kreutzer unterdrückte die Versuchung, eine ironische Attacke wider den Aberglauben zu reiten. Es würde zu weit führen, sagte er sich und fragte stattdessen: „Wann gingen Sie von zu Hause fort?“
„Gegen halb zehn.“
„Dann waren Sie etwa eine halbe Stunde unterwegs, als Sie den Verletzten fanden?“
„Ja. Ich war bereits auf dem Rückweg.“
„Sie kamen von der Brücke, nicht wahr? Dann müssten Sie doch auf dem Hinweg auch an der Unfallstelle vorbeigekommen sein.“
„Nein, ich habe einen Rundgang gemacht, wie üblich. Ein Stückchen flussabwärts ist die Eisenbahnbrücke. Von dort bin ich gekommen, dann am Ufer entlang über die Straßenbrücke und zurück ins Dorf.“
Die Unfallstelle lag in einer Kurve. Schräg gegenüber, auf der anderen Straßenseite, befand sich die Einmündung des Feldweges, der am Rande eines gerodeten Kartoffelackers entlangführte. Noch immer glimmte das Krautfeuer, und der Rauch mischte sich mit dem Heuduft der Wiesen.
Die Lehrerin setzte ihre Fußspitze in einen verblassten Kreidekreis in der Mitte der Fahrbahn und erklärte, dies sei der von den Unfallexperten ermittelte Punkt des Zusammenstoßes. Ein Kreuz, weiter am Rande, nahe dem Sommerweg, kennzeichnete die Stelle, an der das Fahrrad gelegen hatte. Etwa vier Meter davon entfernt, am Fuße einer Ulme, hatte sie den Verunglückten gefunden.
„Ist Ihnen der Mann bekannt?“, fragte Kreutzer. „Er wohnt doch in Ihrer Gemeinde.“
„Ja, er heißt Siegfried Laabs. Ich kannte ihn vom Sehen, aber seinen Namen erfuhr ich erst gestern Abend nach dem Unfall.“
„Was ist er von Beruf?“
„Traktorist auf dem MTS-Stützpunkt hier.“
„Können Sie sich denken, woher er kam, als er gestern Abend von diesem Feldweg auf die Straße einbog?“
Man erzählt, er hätte eine Freundin in Drewitz; das ist eine Siedlung, etwa acht Kilometer entfernt.“ Sie deutete in nördlicher Richtung über die Felder. „Er fährt jedenfalls des Öfteren mit dem Motorrad dorthin.“
„Motorrad? Warum fuhr er denn gestern mit dem Fahrrad?“
„Das weiß ich nicht.“
„Hat er Eltern oder Verwandte im Dorf?“
„Nein. Wie ich hörte, kommt er aus der Gegend von Trebbin und hat ein Zimmer im Wohnheim der MTS.“
„Was ist Laabs für ein Mensch?“
„Ich kenne ihn, wie gesagt, kaum. Manchmal habe ich ihn mit seinen Freunden gesehen, wenn sie an Tanzabenden vor der Dorfgaststätte standen und mit den Mädchen alberten. Aber das machen wohl in diesem Alter die meisten Jungen.“
Kreutzer lächelte. „Kennen Sie einen seiner Freunde mit Namen?“
„Ich glaube, mit dem Rudi Noak ist er öfter zusammen. Der ist auch Traktorist.“
„Begegnete Ihnen jemand auf Ihrem Spaziergang, oder haben Sie irgendein Fahrzeug gehört?“
„Nein, niemand. Auch ein Fahrzeug habe ich nicht gehört, wenn ich mich recht erinnere.“
„Tja“, sagte Kreutzer, „ich glaube, das wäre vorläufig alles, Fräulein Schwarzhaupt. Gehen wir zurück.“ Er warf noch einen letzten prüfenden Blick auf den Unfallort, und dann wandten sie sich dem Dorfe zu.
Sie saßen in ihrem Wagen und fuhren zurück nach Potsdam, als Arnold sagte: „Wie wäre es, wenn wir jetzt dem Laabs einen Besuch abstatten? Am Telefon machen sie nur Ausflüchte, aber sind wir einmal da, können sie uns nicht so leicht abwimmeln.“
„Einverstanden“, erwiderte Kreutzer. „Also zum Krankenhaus.“
„Haupteingang Berliner Straße?“, fragte der Fahrer. „Natürlich, Sie wissen doch Bescheid.“
Die einzelnen Gebäude des Bezirkskrankenhauses verteilten sich über ein weitläufiges Gelände. Nach einer intensiven Beschäftigung mit Kreutzers Dienstausweis gestattete ihnen der Pförtner, dass sie mit dem Wagen hineinfahren durften. Auf verschlungenen Wegen ging es über mehrere Höfe, entlang an Baracken und efeubewachsenen Bauwerken preußischer Gotik, ehe sie durch eine enge Toreinfahrt auf einen Platz gelangten, der auf allen vier Seiten von hohen Häusern umschlossen war. Die Mitte wurde von einer Rasenfläche eingenommen, und darauf stand eine Bronzefigur, die ihre Arme dem Himmel entgegenstreckte.
Viele Generationen hatten zu dieser Gesundheitsfabrik ihren Beitrag geleistet. Das Gebäude der Chirurgischen Klinik stammte aus der Bauhauszeit. Ein viereckig vorspringender Betonklotz bildete den Eingang, darüber erhob sich ein gläserner Schacht, in dem sich eine Treppe um das Fahrstuhlgestänge wand.
Als Kreutzer und Arnold die Pendeltüren öffneten, schlug ihnen eine Mischung aus Desinfektion und Mittagessen entgegen. In der Anmeldung erfuhren sie, dass der Chefarzt im dritten Stock, Zimmer 327, zu finden sei. Über die Wendeltreppe im Glasschacht stiegen sie nach oben.
Chefarzt Dr. Eisenlieb empfing sie wohlwollend. Er war schon informiert, offensichtlich funktionierte das Nachrichtensystem einwandfrei. Er war ein großer, hagerer Mann mit spärlichem, exakt gescheiteltem Haar. Seine Erscheinung machte vom Kopf bis zu den Sohlen seiner weißen Schuhe einen so frischen, entschlackten, blütenreinen und bakterienfreien Eindruck, als sei er soeben dem Sterilisator entstiegen. Er hatte ein eigenartig nacktes Gesicht, in dem eine rechteckig geschliffene Brille blitzte, und dazu einen Zug von aristokratischer Unnahbarkeit in den Mundwinkeln.
Sie wurden in das private Arbeitszimmer geführt. Dr. Eisenlieb bot ihnen Platz auf den Stühlen aus Aluminiumrohr an, die mit dunkelblauem Markisenstoff bespannt waren. Er öffnete eine Bernsteinkassette mit Zigaretten und reichte sie herum.
Kreutzer lehnte dankend ab. Rauchen fördere Krebs und Kreislaufstörungen.
Der Chefarzt starrte ihn sekundenlang irritiert an. Dann schlug er schwungvoll cm Bein über das andere, setzte Arnolds und seine Zigarette mit einem schweren Bernsteinfeuerzeug in Brand und sagte nach einem tiefen Lungenzug: „Gut und schön. Mit welchen Auskünften kann ich Ihnen also dienlich sein, meine Herren?“ Dabei ließ er den Rauch aus Mund und Nasenlöchern strömen.
Kreutzer lehnte sich zurück. „Wir möchten gern mit dem Verunglückten sprechen, der in der letzten Nacht bei Ihnen eingeliefert wurde. Sein Name ist Siegfried Laabs.“
Dr. Eisenlieb machte ein besorgtes Gesicht. „Der Patient war bis vor Kurzem bewusstlos. Er hat eine Oberschenkelfraktur, Rippenbrüche und Fleischwunden, es musste eine Bluttransfusion durchgeführt werden. Außerdem besteht der Verdacht einer Milzverletzung, sodass möglicherweise noch eine Operation nötig ist. Alles in allem befindet er sich in einem so bedenklichen Zustand, dass ich keinerlei zusätzliche Belastung, gleich welcher Art, gestatten darf.“
„Es handelt sich hier doch um die Aufklärung eines Verbrechens.“
Dr. Eisenlieb unterbrach mit einer abwehrenden Handbewegung. „Ich weiß, ich weiß! Ihre Aufgabe in allen Ehren, meine Herren, aber ich als Arzt bin in erster Linie für das Wohl des Patienten verantwortlich.“
Kreutzer schob ein wenig die Unterlippe vor. „Und unsere Aufgabe ist es in diesem Fall, zu verhindern, dass Sie mehr Kranke als unbedingt notwendig haben.“
Seine Stimme blieb ruhig, wenn sie auch etwas härter klang als gewöhnlich.
„Herr Laabs ist das Opfer eines Verbrechers, der weder Verantwortung noch Gewissen hat. Es besteht die Gefahr, dass ein Mensch mit dieser rücksichtslosen Einstellung zum Leben der Mitmenschen jeden Augenblick neue Verbrechen begeht. Deshalb brauchen wir ohne Zeitverlust die Aussage.“
„Ich bitte Sie“, sagte Dr. Eisenlieb etwas betroffen, „es besteht keinerlei Anlass, sich zu erregen! Es war lediglich meine Absicht, Sie darauf hinzuweisen, in welch einer ernsten Lage sich der Patient befindet. Wenn Sie allerdings der Meinung sind, dass eine Vernehmung unbedingt notwendig ist ...“
Er brach ab und zuckte resignierend mit den Schultern. Dann drückte er auf einen Summer, und in Sekundenschnelle tauchte im Türrahmen ein Gesicht unter einer weißen Haube auf.
„Oberschwester, wie steht es mit dem Unfall von letzter Nacht? Ist ein kurzes Gespräch möglich?“
„Der Patient ist im Augenblick bei Bewusstsein, Herr Chefarzt. Ob es allerdings zu empfehlen ist, schon jetzt Besuch zu gestatten ...“
Die weiße Haube wiegte sich zweifelnd hin und her, verschwand aber auf einen Wink des Arztes hinter der sich lautlos schließenden Tür.
„Ist bei der Untersuchung festgestellt worden“, fragte Kreutzer, „ob in einem organischen Leiden des Verunglückten, einem Schwächeanfall zum Beispiel, eine der Unfallursachen zu vermuten ist?“
Eisenlieb stieß mit einem knackenden Geräusch Rauch durch die Nase. „Schwächeanfall, das ist gut! Laabs war, gelinde gesagt, voll wie ein Wurm in Spiritus. Drei Komma acht Promille. Organisch ist der Mann kerngesund. Rätselhaft bleibt allerdings, wie er sich mit dem Alkoholspiegel überhaupt auf dem Fahrrad halten konnte.“
„Tja“, sagte Kreutzer, „er hielt sich aber. Können wir jetzt mit ihm sprechen?“
„Bitte. Aber nur das Allernotwendigste und mit größter Schonung.“
Eisenlieb drückte seine Zigarette aus, führte sie über den Flur und öffnete die Tür zu einem kleinen, hellen Krankenzimmer.
Auf einem hohen Bett lag der Verunglückte. Unter der gebräunten Haut war sein Gesicht von unnatürlicher Blässe. Er trug einen Kopfverband, aus dem ein Büschel dunkler Haare hervorsah, und rang sich beim Anblick der Männer mühsam ein Grinsen ab.
„Herr Laabs, hier sind zwei Herren von der Kriminalpolizei“, sagte der Chefarzt, „die Ihnen einige Fragen stellen wollen. Sprechen Sie sowenig wie möglich, nicken Sie nur mit dem Kopf.“
Kreutzer zog sich einen Stuhl heran und setzte sich dicht neben das Bett, sodass er dem Kranken in die Augen sehen konnte.
„Sie waren gestern Abend mit dem Fahrrad unterwegs. Kamen Sie aus Drewitz?“
Kopfnicken.
„Um welche Zeit war das? Etwa zwanzig Uhr dreißig?“ Laabs dachte angestrengt nach.
„Nee. So um halb neun bin ich aus Drewitz weg.“ Er sprach leise, war aber deutlich zu verstehen.
„Warum waren Sie gestern mit dem Fahrrad unterwegs? Sie haben doch ein Motorrad?“
Siegfried Laabs zog die Augenbrauen zusammen. Sein Mund wurde klein und böse.
„Das war Rudi, der Hund. Der hat mir die Kerze geklaut und die Luft aus den Reifen gelassen. Das hat er ja schon mal gemacht.“
„Aus welchem Grund?“
„Wegen Karin - die blöde Gans!“
„Wer ist denn Karin?“
„Seine Schwester.“
„Was haben Sie mit dem Mädchen zu tun?“
Laabs wurde sichtlich verlegen. Seine Finger zuckten auf der Bettdecke. Er schluckte heftig und sagte: „Na - die kriegt doch ein Kind.“
„Und Sie sind der Vater?“
Laabs schüttelte den Kopf. „Wieso denn? Davon ist noch gar nichts bewiesen. Die treibt sich mit jedem ’rum. Deshalb habe ich ja Schluss gemacht.“
„Ach so“, sagte Kreutzer, „jetzt haben Sie also eine neue Freundin in Drewitz, und Karins Bruder ist darüber verärgert.“
Kopfnicken.
„Wie heißt dieser Rudi mit Nachnamen?“
„Noak.“
„Das ist doch Ihr Freund?“
„Nicht mehr.“
„Halten Sie es für möglich, dass der Unfall ein Racheakt von Rudi ist?“
Laabs bekam runde Augen. Eine Falte bildete sich über seiner Nasenwurzel. Dann murmelte er: „Dem Schuft ist alles zuzutrauen.“
„Na schön. Wie lange fahren Sie mit dem Rad bis Philippsthal? Dreißig Minuten?“
„Ungefähr.“
„Dann muss der Unfall gegen einundzwanzig Uhr stattgefunden haben?“
Kopfnicken.
„Sie fuhren ohne Licht?“
„Bloß über die Felder. War ja ’n ganz heller Mond, man hätte glatt Zeitung lesen können. Der Nebel kam ja erst kurz vorm Dorf, da, wo der Weg über die Wiesen führt.“
Dr. Eisenlieb lehnte mit auf dem Rücken verschränkten Armen am Türrahmen.
„Nicht so viel sprechen!“, sagte er.
Laabs warf ihm aus den Augenwinkeln einen unsicheren Blick zu und nickte.
„Wie groß war die Sichtweite, als Sie im Nebel kurz vor Philippsthal vom Feldweg auf die Chaussee einbogen? Drei Meter?“
Schulterzucken.
„Hörten Sie ein Fahrzeug kommen?“
„Nö, eigentlich nicht. Ich habe ja gesungen.“
„Gesungen?“
Kreutzer zog die Stirn in Falten und blickte Arnold fragend an.
„Bemerkten Sie nicht die Scheinwerfer?“
„Doch, aber da war es schon zu spät.“
„Sie wurden geblendet?“
Kopfnicken.
„Erkannten Sie den Fahrzeugtyp?“
Kopfschütteln.
„War es ein Lastwagen oder ein Personenwagen?“
„Eher ein PKW. Kam mir ziemlich klein vor.“
„Als Traktorist mussten Sie doch gehört haben, ob es ein Zweitakter oder ein Viertakter war?“
Schulterzucken.
„Wie viel Scheinwerfer haben Sie gesehen?“
„Zwei.“
„Waren es nicht vier? Zwei weiße und zwei gelbe?“ Kopfschütteln.
„Warum fuhren Sie nicht rechts, sondern mitten auf der Fahrbahn?“
Schulterzucken.
„Sie waren betrunken, nicht wahr?“
Auf Stirn und Oberlippe des Patienten hatten sich kleine Schweißperlen gebildet. Seine Augenlider flackerten, und er begann heftiger zu atmen.
„Hatten Sie getrunken, Herr Laabs?“
Das Gesicht des Kranken zuckte, eine fiebrige Röte überflammte es. Er schloss die Augen und wandte den Kopf ab.
„Antworten Sie! Sie standen unter Alkohol und haben den Verkehr gefährdet!“
„Schluss!“, sagte Dr. Eisenlieb scharf. „Hier ist ein Krankenhaus! Sie sehen doch, dass Sie ihn quälen. Kommen Sie später wieder!“
Kreutzer erhob sich mit einem Ruck. Er nahm den Stuhl und stellte ihn hart in die Ecke. Er war wütend auf sich selbst, dass er sich in seiner Abneigung gegen einen Säufer so hatte hinreißen lassen. Aber noch mehr ärgerte er sich über Eisenliebs Bemerkung. Dieser Mensch spielt sich auf, als müsste er die Menschenrechte verteidigen, dachte er. Der Abschied war frostig. Eisenlieb nickte knapp mit dem Kopf, die Brille blitzte, um seine blutleeren Lippen zuckte ein mokantes Lächeln. Kreutzer drehte sich abrupt um, Arnold sagte „Guten Tag“, machte eine leichte Verbeugung und folgte seinem Chef.
Als sie im Wagen saßen, der in langsamer Fahrt den Weg zum Ausgang suchte, knurrte Kreutzer: „Ich könnte mich ohrfeigen! So etwas darf doch einfach nicht passieren, verdammt noch mal!“
Sein Gesicht war hochrot, und er stemmte die geballten Fäuste unter das Kinn.
Arnold musste ein Lächeln unterdrücken. Noch nie hatte er seinen Chef so erregt gesehen. Bisher war Kreutzer stets von kühler Sachlichkeit gewesen, und nur in seltenen Fällen, wenn sein Gesprächspartner sich zu stupid benahm oder hinter unsinnigen Behauptungen Schutz suchte, konnte er sarkastisch werden. Arnold hatte beinahe geglaubt, sein Chef sei gar nicht fähig, die Beherrschung zu verlieren. Im gewissen Sinne war er froh darüber, dass er sich geirrt hatte; dennoch begriff er nicht recht, weshalb er eigentlich so aus der Fassung geraten war. Hatte es an dem etwas eigenartigen Benehmen Dr. Eisenliebs gelegen? Arnold konnte sich nicht überwinden, Kreutzer danach zu fragen, der mit finsterer Miene in seiner Ecke lehnte und an der Unterlippe nagte.
Der Wagen hatte das Krankenhausgelände verlassen und schlich hinter einer Straßenbahn her, die alle paar hundert Meter anhielt. Vor ihnen keuchte ein windschiefer Lastwagen und blockierte die Überhollücke. Der Fahrer knurrte Verwünschungen und trommelte ungeduldig mit den Fingerspitzen auf das Lenkrad.
Schließlich erreichten sie ihr Ziel, die Bezirksbehörde der Volkspolizei, ein historisches Gebäude aus Preußens Glanz und Gloria - unter den Fenstern Stuckgirlanden und auf dem Dachgesims in riesigen Marmorkübeln den versteinerten Kriegsplunder von anno Tobak.
Kreutzer und Arnold gingen in ihr Büro, doch es waren keine Meldungen für sie da. Also begaben sie sich in die Kantine zum Mittagessen.
Heute gab es Hirschkeule mit Pfifferlingen und Kirschkompott.
„Unser nächster Programmpunkt ist die Kriminal-Technische Untersuchungsstelle“, sagte Kreutzer, als er seine Papierserviette zusammenknüllte und auf den Teller legte. „Sobald Sie Ihre Limonade ausgetrunken haben, setzen wir uns in Bewegung.“
Die Kriminal-Technische Untersuchungsstelle befand sich im siebenten Stockwerk eines eben erst fertiggestellten Verwaltungshochhauses. Durch die große Empfangshalle flutete das Sonnenlicht, hinter der Glasfront wucherten exotische Grünpflanzen, und an einer der Seitenwände prangte ein endloses Mosaikbild.
Kreutzer und Arnold durchquerten die Halle. Sie mussten unfreiwillig etwas Klettersport treiben, denn die Aufzüge waren noch nicht in Betrieb. Ziemlich außer Atem erreichten sie Dr. Fritsches Arbeitszimmer, in dem es intensiv nach Kalk und frischer Farbe roch. Doch der herrliche Blick über die Dächer der Altstadt und die wie gehämmertes Silber schimmernden Havelseen entschädigte sie reichlich für den beschwerlichen Aufstieg.
Dr. Fritsche war ein rundlicher, quicklebendiger Mann von etwa fünfundvierzig Jahren. Er begrüßte seine Besucher mit natürlicher Herzlichkeit. Dann bat er sie, Platz zu nehmen, setzte sich selbst in seinen schwenkbaren Arbeitssessel und nahm einige mit Stichwörtern bedeckte Schreibmaschinenseiten zur Hand.
„Sie kommen also, um nähere Einzelheiten zu erfahren. Gut, diese Ungeduld macht mir Freude. Gehen wir also gleich in medias res. Die Auswertung der Tatortspuren hat unser Kollektiv im Wesentlichen abgeschlossen, die Ergebnisse sind nicht schlecht. Ich glaube, damit kann man etwas anfangen, wenn man nicht auf den Kopf gefallen ist.“
Er hatte die beweglichen Hände eines Puppenspielers und begleitete seine Rede mit temperamentvollen Gesten. Bald bildeten Daumen und Mittelfinger Kreise, bald kehrten sich die Handflächen mit gespreizten Fingern nach außen, dann wieder drehten sich die Hände wie „Fähnchen auf dem Turme“.
„Folgende Tatortspuren standen uns zur Verfügung: vier Reifenprofile, die sich in der feuchtweichen Erde des Sommerweges gut abgezeichnet hatten und von denen Gipsabgüsse vorliegen; die Bremsspur, aus der sich Radstand und Spurweite des Unfallfahrzeugs ergeben; das zertrümmerte Deckglas eines Autoscheinwerfers, dessen Teile auf der Fahrbahn verstreut waren, eingesammelt wurden und im Labor zusammengesetzt etwa zwei Drittel der Glasfläche ergaben; außerdem ein verformtes Fahrrad, von dem Reifenprofilabdrücke auf dem Feldweg gefunden wurden. An der linken Seite der Fahrradgabel befinden sich frische Schrammen und Lackspuren, die vom Kotflügel des Unfallwagens stammen. Es liegen auch Fotografien des Unfallortes vor, die eine Rekonstruktion des Geschehens erleichtern.“
Er raufte sich seine spärlichen aschblonden Haare, die an Schläfen und Hinterkopf Löckchen bildeten, schob sich mechanisch seine Pfeife in den Mundwinkel, warf sie aber, als er den scharfen Tabakgeschmack auf der Zunge spürte, mit einem missmutigen Knurren in den Aschenbecher zurück. Dann sprang er auf und fuhr heftig gestikulierend fort: „Nun zu den Ergebnissen. Der Unfallwagen ist ein Wartburg Luxus 1000 in den Farben Anthrazit-Elfenbein, Baujahr neunzehnhundertvierundsechzig. Er ist mit Pneumantreifen ausgestattet, die noch zu achtzig Prozent erhalten sind. Daraus ergibt sich etwa eine Laufleistung von zehntausend Kilometern. Am vorderen linken Kotflügel, in der Höhe der Zierleiste, entstand ein Lackschaden, vermutlich wurde auch das Blech eingedrückt. Der linke Scheinwerfer ist ebenfalls beschädigt worden, das Glas wurde beim Anprall zerschmettert, und es liegt der Schluss nahe, dass dabei auch die verchromte Lampeneinfassung deformiert wurde. Das Fahrzeug hatte im Augenblick des Zusammenpralls mit dem Radfahrer eine Geschwindigkeit von mindestens fünfzig Kilometern in der Stunde.“
Kreutzer nickte anerkennend, schien aber noch nicht überzeugt.
„Diese Fakten sind so präzis, dass sie beinahe unglaubhaft klingen“, sagte er. „Dürfen wir erfahren, wie Sie zu den Ergebnissen gelangt sind?“