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Guardian ahnt nicht, dass er mit seiner Suche an Dinge rührt, die das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse entscheidend verändern können. Dies wiederum ruft uralte Wesen auf den Plan, mit denen er einst gebrochen hat. An seiner Seite muss auch Coco Zamis erfahren, dass sie längst nicht mehr allein über ihr Schicksal bestimmt …
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Seitenzahl: 235
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Band 68
Das Heer der Gefallenen
von Michael Marcus Thurner und Madeleine Puljic
nach einem Exposé von Uwe Voehl
© Zaubermond Verlag 2023
© »Das Haus Zamis – Dämonenkiller«
by Pabel-Moewig Verlag GmbH, Rastatt
Titelbild: Mark Freier
www.Zaubermond.de
Alle Rechte vorbehalten
Die junge Hexe Coco Zamis ist das weiße Schaf ihrer Familie. Die grausamen Rituale der Dämonen verabscheuend, versucht sie den Menschen, die in die Fänge der Schwarzen Familie geraten, zu helfen. Auf einem Schwarzen Sabbat soll Coco endlich zur echten Hexe geweiht werden. Asmodi, das Oberhaupt der Schwarzen Familie der Dämonen, hält um Cocos Hand an. Doch sie lehnt ab. Asmodi kocht vor Wut – umso mehr, da Cocos Vater Michael Zamis ohnehin mehr oder minder unverhohlen Ansprüche auf den Thron der Schwarzen Familie erhebt.
Nach jahrelangen Scharmützeln scheint endlich wieder Ruhe einzukehren: Michael Zamis und seine Familie festigen ihre Stellung als stärkste Familie in Wien, und auch Asmodi findet sich mit den Gegebenheiten ab. Coco Zamis indes hat sich von ihrer Familie offiziell emanzipiert.
Die intriganten Spiele, auch innerhalb der Zamis-Sippe, gehen unvermindert weiter.
In ihrer Halbschwester Juna findet Coco eine Gleichgesinnte: Auch Juna stößt das Treiben der Dämonen eher ab.
Unterdessen schart ein mächtiger Dämon weltweit Jünger um sich: Abraxas. Niemand weiß, was genau er bezweckt, doch selbst Asmodi, der amtierende Fürst der Finsternis, sieht in ihn einen gefährlichen Gegenspieler. Abraxas bedient sich in Wien eines treuen Vasallen: Monsignore Tatkammer.
Coco verlässt Wien. Unterwegs erreicht Coco der Todesimpuls ihrer Geschwister – Adalmar und auch Lydia werden Opfer von Tatkammers Intrigen.
Nun ist Coco gefragt, ihren Eltern beizustehen und den Tod der Geschwister zu rächen.
In Wien kommt es zum Showdown. Mit Abraxas’ Macht im Rücken gelingt es Tatkammer, Coco wie eine Marionette zu benutzen und sie zu zwingen, ihr Elternhaus, die Villa Zamis, in Brand zu setzen. Ihre Eltern Thekla und Michael Zamis kommen in den magischen Flammen um. Auch ihr Bruder Georg und Juna befinden sich zu dem Zeitpunkt in der Villa. Ob sich die beiden haben retten können, ist nicht bekannt, jedenfalls sind sie spurlos verschwunden.
Schwer verletzt erwacht Coco in einem Krankenhaus. Sie wird von dämonischen Schwestern und Ärzten gesund gepflegt und wohnt schließlich der Beerdigung ihrer Eltern bei, deren Seelen in einem Scheingrab auf einem Friedhof, der sich in einer anderen Dimension befindet, beigesetzt werden.
Wien ist nun in Abraxas’ Hand. Wie überall immer mehr Mitglieder der Schwarzen Familie zu Abraxas überlaufen.
Coco hat von allem genug. Sie will nur noch ihren Frieden.
Sie setzt sich in einen Zug und fährt einem unbekannten Ziel entgegen …
Als der Zug auf offener Strecke hält und sie verwirrt aussteigt, entbrennt ein tödlicher Kampf. Coco stirbt – und erwacht wieder zum Leben. Ein geheimnisvoller Fremder, der sich Guardian nennt, erklärt ihr, dass es sich um eine Prüfung handelte. Da sie sie nicht bestanden habe, müsse sie weitere zu meistern versuchen. Dahinter steckt das geheimnisvolle Hohe Gremium, für das nach eigenen Angaben weder Gut noch Böse existiert und das allein dafür sorgt, dass das Gleichgewicht gewahrt bleibt.
Coco besteht auch die nachfolgenden Prüfungen nicht. Sie wird auf den Dämonenfriedhof verbannt. Dort, so teilt ihr Guardian mit, wird sie so lange bleiben müssen, bis das Hohe Gremium endgültig über ihr Schicksal entschieden hat.
Zunächst jedoch kann Coco entkommen, doch wieder gerät sie in die Fänge des Gremiums.
Georg und Juna konnten dem von Coco gelegten Feuer entkommen. Georg ist voller Rachedurst. Auch ist er überzeugt, dass Coco die Schuldige ist. Da erscheint ihm Guardian, der ihm das Gegenteil beweisen will. Er weiß zudem, wo sich Coco aufhält: im Haus der schwarzen Tränen. Guardian glaubt in Coco die Reinkarnation seiner geliebten Aurora gefunden zu haben …
Mit Guardians Hilfe gelingt es Georg, Coco zu befreien.
Guardian benutzt fortan Coco für seine eigenen Zwecke, während Michaels und Theklas Lebensfunken in den Körpern Asmodis und Junas wiederauferstehen.
Voller Hass planen die vereinten Zamis, Abraxas endlich zu vernichten …
Luzifers Kralle
von Michael Marcus Thurner
nach einem Exposé von Uwe Voehl
Juna blickte sich immer wieder um. Krumme, sonderbare Gestalten versteckten sich in den Schatten der engen Straße. Meckerndes Gelächter war aus einem der dunklen Winkel zu hören, dann das Reißen festen Stoffs. Ein erstickter Schrei, gefolgt von einem Plätschern, als würden Innereien zu Boden platschen.
Weiteres Gelächter, dann schreckliche Stille.
Sie beschleunigte ihren Schritt und konzentrierte sich auf den Weg. Das Ratzenstadl im sechsten Wiener Gemeindebezirk war ein Ort, den sie noch nie gemocht hatte. Nun, zu den Zeiten von Abraxas’ Herrschaft, erst recht nicht.
Juna zuckte zusammen, als ein alter Mercedes an ihr vorüberklapperte. Er bog an der nächsten Querstraße rechts ab, das metallene Getucker verklang allmählich in der Ferne.
Ihre Sicht wurde überlagert. Von Erinnerungen. Von Bildern, die von der anderen stammten.
Von Thekla Zamis. Jener Frau, die in ihrem Leib Quartier genommen hatte.
Ich war hier mal anschaffen, wisperte Thekla in ihrem Kopf. Dutzende Verehrer hatte ich. Sie legten mir Herzen zu Füßen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sie wilderten unter den Menschen, um mir diese noch pochenden Klumpen zu überreichen, sodass ich das vergehende Leben spüren und mich daran delektieren konnte. Menschen schlachteten Menschen meinetwegen, und Dämonen wiederum Menschen. Nur, um meine Gunst zu erringen und ein kurzes, flüchtiges Stück vom Glück zu erfahren. Weil sie in ihrer Verblendung meinten, dass körperliche Liebe wichtiger als alles andere wäre. Es war eine schöne, eine aufregende Zeit.
Juna verzichtete darauf nachzufragen. War dies gewesen, bevor Thekla Michael kennengelernt hatte? Oder hatte er sie während ihrer Ehe für eine Weile freigegeben, damit sie ihren inneren Gelüsten hatte folgen können?
Nach links!, befahl Thekla. Die schmale Treppe hinab. Halte dich am Geländer fest. Die Steine sind abgetreten und rutschig. Generationen von Bordsteinschwalben sind hier entlanggegangen, hinab zum Wien-Fluss, um betrunkene Freier zu werben und sie ins Ratzenstadl zu locken.
Juna gehorchte den Ratschlägen ihrer Stiefmutter. Derzeit drohte keine Gefahr von ihr. Thekla Zamis würde alles unternehmen, um sie bei geistiger und körperlicher Gesundheit zu behalten. Schließlich steckte ihr Lebensfunke in Juna drin. Ihre Körperlichkeit hingegen hatte sie verloren. Bei dem schrecklichen Brand in der Villa Zamis, den Coco Zamis unter Zwang verursacht hatte.
Nicht so rasch, du dummes Ding!
Juna hielt inne. Sie stand auf einem Treppenabsatz. Rechts von ihr wucherte Efeu über die Halbdächer eines einstöckigen Gebäudes, zur Linken ragte ein moderner und deutlich höherer Bau hoch. Die Fassade war abgeschlagen, da und dort bröckelte Verputz ab.
Zerteile den Efeu, schiebe ihn nach links und nach rechts. Du wirst ein schmiedeeisernes Tor finden mit einer Klinke in Form einer Schlange auf Hüfthöhe.
»Aber … aber da ist kein Eingang. Keine Öffnung zum Haus.«
Du sollst mir gehorchen!
Theklas Gedanken waren unerbittlich stark. Sie drückten auf Junas Gemüt und ließen ihren Geist wie zertrümmert anfühlen. Sie fühlte sich in die Tiefen ihres Unterbewusstseins gepresst, so als wollte ihre Stiefmutter die Macht über den geteilten Körper übernehmen.
Doch Thekla verzichtete darauf, sie zu verdrängen. Vorerst. Erleichtert atmete Juna durch.
Freu dich bloß nicht zu früh, liebe … Tochter. Ich könnte dein Bewusstsein jederzeit auslöschen. Aber vorerst bist du mir nützlich. Dein Körper ist jung, deine Fähigkeiten sind brauchbar. Und es würde eine Weile dauern, bis ich dich völlig unter Kontrolle hätte.
»Du nutzt mich also bloß aus?«
Was dachtest du denn? Dass ich die Gelegenheit nutzen würde, um ein gutes Verhältnis mit dir aufzubauen, wenn wir schon mal so eng beieinandersitzen? Thekla sandte eine Woge verächtlicher Wut. Du bist Michaels Balg. Du bist das Resultat seines Verrats. Seines Betrugs.
»Ich kann nichts dafür, dass …«
Schweig! Streif endlich die Efeuränke auseinander. Wir müssen weg von der Straße, so rasch wie möglich!
So kühl, wie sich Thekla normalerweise gab, so unbeherrscht war sie nun, da sie keinen eigenen Körper mehr besaß. Juna fühlte ihren Hass, ihre Ungeduld, das dunkle Feuer, diese endlose Gier nach Leben und nach Dominanz.
Zögerlich zerteilte sie den Vorhang an dunkelgrünen Pflanzen. Sie musste ein wenig suchen, bis sie eine rostige und massive Klinke entdeckte. Zu Junas Überraschung ließ sie sich problemlos nach unten drücken. Und noch mehr wunderte sie sich, als sich in der Außenwand mit einem Mal ein dünnes Türblatt abzeichnete.
Ziehen, nicht drücken, du dummes Balg!
Juna öffnete das versteckte Tor und trat zögerlich ins Innere des Hauses. Vor sich hatte sie eine Wand. Nach links und nach rechts wand sich ein schmaler Weg um eine Rundung, die von außen am Gebäude nicht wahrnehmbar gewesen war.
Illusionen. Ein Taschenspielertrick. Und eine Methode, um normale Menschen davon abzuhalten, den Weg ins Innere zu nehmen.
Bevor sie ins Haus trat und die Außentür zuzog, blickte sich Juna nochmals um. Es war niemand zu sehen. Und dennoch hatte sie das Gefühl, als würde sie beobachtet werden.
Beweg dich endlich!, herrschte Thekla sie an. Nach links, dem vagen Lichterschein nach.
Juna nickte, als würde sie eine normale Konversation führen, zog die leichtgängige Steintür zu, tat einige kräftige Atemzüge und machte sich auf den Weg.
Es roch modrig, mehrmals tapste sie mit den Schuhen in Wasser. Sie bewegte sich langsam und vorsichtig. Junas Finger streiften über feuchte Wände. Erst als sie eine trübe Funzel erreichte, die ein wenig Licht spendete, bemerkte sie die vielen kleinen Krabbeltierchen, die sich parallel zu ihr entlang der Wände bewegten. Sie waren wie kleine Soldaten, die ihrer menschlichen Anführerin folgten.
Sie beschützen uns – und sie beaufsichtigen uns. Unsere Gastgeberin ist vorsichtig. Aus gutem Grund.
Eine Treppe hinab, eine weitere hoch. Mehrere Lampen entlang des Wegs waren ausgefallen. Einmal wäre Juna beinahe gestolpert und mit dem Fuß in ein Loch getreten, dessen Boden nicht zu erkennen war. Es war so groß, dass ihr Körper ohne Weiteres darin hätte verschwinden können.
Ein Kieselstein, den Juna lostrat, klackerte erst nach etwa zehn Sekunden gegen Widerstand, ganz tief unten. Sie erschauderte, als sie daran dachte, wie weit der Schacht in die Tiefe reichte.
Ein alter Brunnen, behauptete Thekla. Er hat nichts Dämonisches an sich. Er ist ein Überbleibsel aus jener Zeit, als Wien von den Türken und deren Begleitern belagert worden war.
»Begleitern?«
Wien stand stets im Fokus der Kämpfe zwischen Ost und West. Dämonen aus dem osmanischen Einflussbereich schickten Menschen, die ihnen ergeben waren, hierher. Um die Herrschaft zu übernehmen und Mitglieder der hiesigen Schwarzen Familie zu verdrängen.
Juna nahm die Informationen auf und speicherte sie im Kopf ab, fragte aber nicht weiter nach. Sie und Thekla mussten die Probleme der Gegenwart lösen, bevor sie sich für solche der Vergangenheit interessieren konnten.
Ein Geräusch. Sie zuckte zusammen. Drehte sich um, sah niemanden.
Wir sind gleich da, behauptete Thekla. Mach dir bloß nicht in dein Höschen. Beziehungsweise in meines.
Juna musste weitere Stufen bewältigen. Ein Wummern erfüllte den geziegelten Raum, den sie durch ein hölzernes Portal erreichte. Eine Art Nebel waberte durch den Raum. Das Echo ihrer Schritte deutete darauf hin, dass sie sich in einem Saal mit hoher Decke befand, vielleicht so hoch wie in einer Kathedrale.
Es ist auch eine Art Kirche, hörte sie Thekla sagen. Eine Kirche für ganz besondere … Gläubige.
Schritt für Schritt tastete sich Juna vor. Nur zu gerne hätte sie weitere Anleitungen von ihrer Stiefmutter bekommen, was zu tun war. Doch Thekla schwieg auf einmal, als hätte sie Spaß daran, Juna ins Unbekannte zu schicken.
Sie stolperte über eine Kette, gleich darauf war ein Zischen und bösartiges Grunzen zu vernehmen. Worte in einer alten Sprache folgten, die etwas in Juna rührten. Die Kette spannte sich für einige Sekunden an, lockerte sich aber gleich wieder.
Juna folgte dem massiven, geschmiedeten Band und gelangte an den Rand einer Grube. Das diffuse Licht erlaubte ihr den Blick auf einen Körper, dessen Extremitäten denen eines Spinnenwesens mit Lederhäuten zwischen den einzelnen Gliedern ähnelte. Ein runder Kopf, mit acht Facettenaugen besetzt, richtete sich nach Juna aus.
»Ich würde einen Schritt zurücktreten, Schatzerl«, hörte sie jemanden sagen und zuckte zusammen. »Der alte Wohralik ist ein wenig unentspannt. Er wartet auf seine Fütterung. Aber eigentlich will er ja viel lieber hungern, nicht wahr?«
Eine voluminöse Gestalt trat an Junas Seite. Sie bückte sich, griff mit dicken Wurstfingern nach der Kette und zog kräftig daran, sodass sich das Wesen im Inneren der Grube erneut bewegte. Bewegen musste. Es schien sich aus seiner Fesselung lösen zu können, bäumte sich auf, zog und zerrte, scheiterte dann aber doch.
»Ist schon gut, Wohralik«, sagte das Wesen neben Juna mit rauer, aber eindeutig weiblicher Stimme. »Du kommst bald wieder dran. In ein, zwei Tagen erhältst du, was du dir wünschst. So lange kannst du dich sicherlich gedulden, nicht wahr?«
Erneut Gerüttle und Geschüttle. Ein Grollen, eine dumpfe Stimme und einige Worte, die Junas Haare zu Berge stehen ließen.
»Was habe ich dir gesagt, Wohralik? Solltest du versuchen, dämonische Kräfte anzuwenden, werde ich deine … Behandlung weiter hinauszögern. Willst du das etwa?«
Das Rasseln wurde leiser, die Kette entspannte sich. Der Kopf des dämonischen Wesens neigte sich ehrerbietig.
»Na also. Wir verstehen uns. – Komm jetzt, Schatzerl, gehen wir ins Büro.«
Juna fühlte die Nähe der Frau und schreckte vor einer Berührung zurück. Doch als sich die Dicke wie selbstverständlich bei ihr unterhakte, fühlte sie eine Woge von Sympathie in sich aufkommen.
Die andere war eine Menschenfrau, und dennoch schien sie den Umgang mit Dämonen aller Art gewohnt zu sein. Sie wandte sich an Juna:
»Du bist Juna, nicht wahr?«
»Du trägst noch jemanden in dir drin, habe ich mir sagen lassen. Thekla Zamis.«
»Richtig. Aber woher weißt du …«
»Das erkläre ich dir später. Lass uns mal das Großverlies verschließen und ein paar neue Sigillen anbringen. Wohralik ist ein sehr ungeduldiger und jähzorniger Klient. Man weiß nie so recht, woran man bei ihm ist. Aber er zahlt gut.«
Die Frau hielt auf einmal eine Art Kreide in der Hand. Damit kritzelte sie einige ineinander verschlungene Symbole auf rauen Fels. Die Zeichen leuchteten in Regenbogenfarben und schienen sich stetig zu verändern.
Anschließend zog sie Juna mit sich, auf ein weiteres Tor zu. Dahinter wartete ein breiter Korridor.
Betonboden. Teppiche. Kitschige Bilder. Mit rotem Samt bedeckte Beistelltische, grün bespannte Thonet-Stühle, Gipsstatuen, Stehuhren mit Plastikmännchen verziert, McDonald’s-Figuren in Vitrinen …
Ich bekomme Augenkrebs, dachte Juna.
Wir sind tatsächlich einmal einer Meinung, hörte sie Thekla in ihrem Kopf sagen. Aber lass dich bloß nicht täuschen. Dies alles ist Tarnung. Unsere Gastgeberin ist weder dumm noch geschmacklos.
Endlich erreichten sie einen Raum, dessen Flügeltüren von einem dürren Riesen in Diener-Livree geöffnet und hinter Juna gleich wieder geschlossen wurden. Die dicke Frau bewegte sich auf ein Sofa zu und ließ sich ächzend darauf fallen. Ihr kurzer Lederrock rutschte hoch und zeigte die breiten Zwickel halterloser Strümpfe.
Juna fühlte einen stechenden Schmerz, den sie nicht so recht verorten konnte. Entstand er im Kopf, in der Brust, im Unterleib? – Sie wusste es nicht zu sagen. Doch die Pein fraß sie auf, langsam und unaufhörlich. Juna meinte, weglaufen zu müssen, weg von diesen Tantalusqualen – und tat es auch. Sie floh und fühlte, wie jemand anderes ihren Platz einnahm.
Juna verlor jegliche Kontrolle über ihren Körper, über ihr Wesen. Thekla übernahm sie. Einfach so, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Thekla breitete sich in ihrem Leib aus und zwang ihn in einen breiten Stuhl gegenüber ihrer Gastgeberin.
»Schön, dich wiederzusehen, Callas«, sagte Thekla und schlug die Beine übereinander. Junas Beine. Ihre Beine. »Du hast dich kaum verändert.«
»Und du warst noch nie eine gute Lügnerin, Thekla.« Die unter Wiens Dämonen bekannteste Puffmutter zeigte ein müdes Lächeln. »Ich hingegen wäre froh, müsste ich mich nie mehr wieder mit dir abgeben.«
»Ah. Dann sind wir also ehrlich zueinander? Seit wann denn das, Callas?«
»Du weißt genau, dass ich mich immer fair dir gegenüber verhalten habe.«
»Fairness ist ein Kriterium, das für unsereiner unwichtig ist. Das solltest du gelernt haben während all der Jahre, da du mit Dämonen aller Ränge und Ordnungen herumgefickt hast.«
»Oh ja, ich kenne euch. Aber ich weiß auch, dass du immer ein ganz besonderes Miststück warst. Es ist kein Wunder, dass dein Mann ab und zu … Entspannung in meinem Etablissement suchen musste.«
»Gegen Entspannung hatte ich nie etwas einzuwenden, Callas. Sehr wohl aber dagegen, ein Kind zu zeugen wie dieses beschissene Geschöpf, in dessen Leib ich feststecke. Aber es geht noch schlimmer als bei diesem Betrug: Michael fasste eine Zuneigung zu dir. Eine, die man wohl am besten als menschliche Zuneigung bezeichnen könnte.«
»Dazu ist Michael Zamis nicht in der Lage«, sagte die Callas und fügte leise hinzu: »Ich hingegen schon.«
Was ging hier vor sich? Juna wehrte sich verzweifelt gegen den völligen Untergang. Gegen die Zurückdrängung in einen Dämmerzustand, weit weg von der Kontrolle über ihren Leib. Sie musste zuhören, was die beiden Frauen zu bereden hatten. Es erschien ihr immens wichtig.
»Du gewährst uns also Unterschlupf?«, fragte Thekla.
»Ungern, aber doch. Abraxas’ Herrschaft ist schlecht fürs Geschäft. Er lässt seine Dämonen auf die Menschen los. Was sich äußerst negativ auf meine Arbeit auswirkt. Denn wenn sich die Vampire und Ghoule in aller Öffentlichkeit austoben können, verlieren sie das Interesse daran, bei mir ihren Gelüsten zu frönen.«
»Hat Abraxas dich kontaktiert?« Theklas Stimme klang lauernd. »Wollte er einen Pakt mit dir schließen? Ich gebe es nur ungern zu, aber du stellst einen gewissen Machtfaktor in Wiens Unterwelt dar.«
»Du überschätzt mich, Thekla.« Die Callas lachte und strich ihren Lederrock glatt. »Ich bin nur ein kleines Licht im dämonischen Getriebe. Ich bin ja nicht einmal eine von euch.«
»Aber du lügst besser als einer von uns. Kein Wunder, dass du dich über all die Jahre im Geschäft halten konntest.«
»Ich denke, wir haben genügend Komplimente ausgetauscht, Thekla.«
»Also schön, dann bleibt es dabei. Du gewährst uns Sicherheit für einige Tage. Das schuldest du der Familie Zamis. Schließlich hat Michael stets seine schützende Hand über dich gehalten.«
»Gegen deinen Willen, wenn ich mich recht erinnere, Thekla.«
»Sagtest du nicht eben, dass wir das mit den Komplimenten sein lassen und uns aufs Geschäft konzentrieren sollten?«
»Richtig.« Die Callas erhob sich von ihrem Platz und begann, in ihrem Büro unruhig auf- und abzugehen. Das Klappern ihrer Stöckelschuhe war manchmal auf den Fliesen zu hören und wurde dann wieder von einem dicken, flauschigen Bodenteppich verschluckt. »Ich riskiere viel, wenn ich dir Asyl gewähre.«
Juna fühlte eine Woge des Zorns, die von Theklas Geist ausging.
»Du weißt genau, dass wir uns für dein Entgegenkommen revanchieren werden. Irgendwann einmal werden wir wieder die Herrschaft über Wien übernehmen. Und dann …«
»Was, wenn es der Familie Zamis nicht gelingt, Abraxas zu besiegen?«
»Wir haben schon schlimmere Krisen überstanden.«
Die Callas seufzte. »Ich muss meine Politik der strikten Neutralität aufgeben und mich für euch entscheiden. Sollte Abraxas dahinterkommen, dass ich euch bei mir behalte, wird er mich bestrafen. Es war bereits ein Risiko, euch in mein Etablissement reinzulassen und mich mit euch zu unterhalten.«
»Euch?! Du verhandelst einzig und alleine mit mir. Ich nutze Junas Leib, als wäre er mein eigener. Sie hat in keinerlei Hinsicht irgendetwas zu sagen.«
»Bist du dir da so sicher, Thekla? Ich hörte, dass Juna die mächtigste Hexe von allen sein soll. Sie könne die Realität verändern und gestalten, wie sie es möchte.«
»Mag sein, dass sie ungewöhnliche Kräfte besitzt. Aber sie wird sie nicht einsetzen. Denn mit jedem Versuch, ihre Umwelt durch Wünsche zu beeinflussen, verliert sie etwas von sich selbst. «
Die Callas hielt inne. Sie starrte gegen die einzige Tür, drehte sich dann abrupt um und musterte Thekla intensiv.
Juna konnte fühlen, dass selbst ihre Stiefmutter so etwas wie Respekt vor dem Gegenüber empfand. Widerwillig, aber doch. Die Callas hatte sich, obwohl sie lediglich eine Menschenfrau war, über lange Zeit hinweg gehalten und sich geschickt durch die wenigen Räume zwischen Dämonen- und Menschenwelt hindurchlaviert.
»Wie gesagt, Ihr könnt bei mir wohnen. Aber du sollst wissen, dass ich es nicht deinetwegen mache.«
»Sondern? Etwa, um Michael zu gefallen?« Die plötzliche Wut, die Theklas Geist ausstrahlte, drohte Juna zu verschlingen. Ihre Stiefmutter war immens gefährlich.
»Nein. Weil ich von anderer Seite darum gebeten wurde.« Die Callas stapfte mit einem Fuß auf, die Tür öffnete sich. Der breite Schatten eines großgewachsenen Mannes wurde sichtbar. »Ich mache es deinem Sohn zuliebe.«
Licht fiel auf ein verdrießliches, dunkles Gesicht, dessen Anblick Juna half, die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage für einige Sekunden zu vergessen.
Georg Zamis, ihre große Liebe, schob sich ins Zimmer.
Die Triester Straße, die sich Richtung Süden erstreckte, hätte eigentlich »Triste Straße« heißen sollen. Sie führte vorbei an seelenlosen Geschäftslokalen, an alten und abgewohnten Wohnhäusern, verfallenden Gewerbe- und Industriebauten. Wer auf der linken Seite der Triester Straße wohnte, hatte sie womöglich noch nie gequert, um mit einem Bewohner der rechten Seite Kontakt aufzunehmen – und umgekehrt. Dazu war der Verkehr selbst in der Nacht zu stark, wurde die mehrspurige Straße doch rund um die Uhr emsig befahren, um Pendler abseits der Südautobahn an ihr Ziel zu bringen.
Asmodi mochte die Gegend. Die Triester Straße atmete all das Trübsinnige und Schlechte, das ihm an der österreichischen Bundeshauptstadt so sehr gefiel. Die Menschen waren mieselsüchtig, boshaft, neidisch, intrigant, hasserfüllt und wurden oftmals von ihren Sorgen erdrückt. Asmodi labte sich an dieser bunten Mischung. An einer Melange an negativen Emotionen, wie ein Wiener wohl gesagt hätte.
Er fühlte eine Art Rumpeln in seinem Körper. Michael Zamis machte sich wieder mal bemerkbar. Der ehemalige Dämonenherrscher über Wien, der nun, da sie die Stadt erreicht hatten, an Kraft zu gewinnen schien. So als würde er sich an ihr laben.
Kusch, Michael! Du bleibst schön brav auf deinem Platz!, mahnte Asmodi und sandte einen Impuls der Häme an seinen Körperpartner. Wie es ein braves Hündchen nun mal zu tun hat. Diese Angelegenheit werde ich alleine erledigen.
Ein Wutimpuls. Ein weiteres Aufbäumen, das Asmodi nur unter Mühe abwehren konnte. Er musste sich gehörig in Acht nehmen, wollte er nicht die Kontrolle über den geteilten Leib verlieren.
Wo, meintest du, sollten wir Rast machen?, fragte er Michael Zamis, nachdem der sich wieder etwas beruhigt hatte.
Bei Martha. Sie leitet einen florierenden Menschenhandel.
Michael Zamis übermittelte ihm das Bild eines in auffälligem Rosa bemalten Hauses, das nur noch wenige hundert Meter von ihrem derzeitigen Standort entfernt war. Unwillig setzte sich Asmodi in Bewegung. Viel lieber hätte er sich an ihr Ziel versetzt. Doch ein derartiges Manöver war gefährlich. Abraxas, der neue Herrscher Wiens, würde solche dämonischen Aktivitäten womöglich bemerken und seine Truppen gegen ihn hetzen.
Nach langen Minuten ermüdenden Fußmarschs erreichte er sein Ziel. Vor dem Gebäude mit einem auffallend spitzen Giebeldach lungerten einige merkwürdige Gestalten umher. Menschen, aber auch verbaute und verkrüppelte Freaks, die wie magisch davon angezogen wurden.
Asmodi schob sich an ihnen vorbei und klopfte kräftig gegen die hölzerne Tür. Eine blonde Menschenfrau mit derben Gesichtszügen öffnete. In ihren Augen spiegelte sich Entsetzen, sobald sie ihn anblickte. Sie mochte nicht wissen, wer er war. Aber sie spürte, dass er ihr Leben jederzeit auslöschen konnte. Oder, viel schlimmer, sie in eine Ewigkeit schmerzvoller Agonie stürzen würde, wenn sie ihm nicht gehorchte.
»Wo ist Martha?«, fragte Asmodi. Er gab sich nicht die Mühe, seine dämonische Herkunft geheim zu halten.
»Sie unterhält sich mit einem Kunden aus dem Fernen Osten. Oben, in ihrem Büro.«
»Sag ihr, dass ich sie sehen möchte.«
»Aber …«
»Ein weiteres Aber, und du verbringst den Rest deines Lebens liegend, unter einer endlosen Reihe schwitzender und stinkender Wesen, die nicht unbedingt menschlich sind. Möchtest du das?«
»N…nein.« Die Blondine huschte davon, plötzlich ängstlich wie ein kleines Mädchen, das seinem schlimmsten Albtraum in die Augen geblickt hatte.
Musste das denn sein?, fragte Michael Zamis unwirsch. Du führst dich auf wie ein Elefant im Porzellanladen. Hatten wir nicht besprochen, dass wir uns unauffällig benehmen, sobald wir in Wien angelangt sind?
Ich halte mich dann zurück, wenn es mir angebracht erscheint. Im Haus dieser Unterlinge sehe ich keinen Grund, in irgendeiner Form Rücksicht zu nehmen.
Michael Zamis schwieg. Aber sein kaum unterdrückter Zorn erhöhte die Temperatur des geteilten Körpers und brachte ihn zum Schwitzen.
Eine Frau, bei der es sich wohl um Martha handelte, tauchte am Absatz des Treppenaufgangs auf. Sie wirkte übernächtigt, mit tiefen Augenringen und einer Trostlosigkeit im Blick, die bestens zu dieser Gegend passte.
»Herr?«, fragte sie. »Womit kann ich Euch helfen?« Sie verbeugte sich steif.
»Du weißt also, was Respekt bedeutet – und wer ich bin. Sehr schön. Sprich meinen Namen aus.«
»Man sagt, es brächte Unglück, Euren Namen zu erwähnen.«
»Noch mehr Unglück, als wenn ich dich für deine Widerborstigkeit zerteilen und an irgendwelche Ghoule verfüttern ließe?« Asmodi grinste und ließ ein bösartiges Lachen vernehmen, das auf Menschen stets gehörigen Eindruck machte.
»Nein, aber …«
»Wie ist also mein Name?«
»Ihr seid… wart der eigentliche Herrscher Wiens. Euch verdanke ich meine Position. Ich habe euch angebetet, und ihr habt mir meine Wünsche erfüllt. Macht und Reichtum – beides habe ich euch zu verdanken.«
»Ach ja?« Asmodi tat einige rasche Schritte und packte die etwa vierzig Jahre alte Frau, hob sie mit der Rechten hoch, ließ sie seine zornige Hitze spüren. »Wer bin ich? Sprich es aus!«
»Ihr seid … seid … Michael Zamis.«
Martha schrie auf, wimmerte und jammerte, als sich ihr Hals dort verfärbte, wo die Haut verbrannte und das Fleisch zu kochen schien.
»Michael Zamis?!«, heulte Asmodi. »Du verwechselst mich mit diesem mickrigen Kerl? Du glaubst, dass ich der Herrscher über eine bedeutungslose Provinzstadt wie Wien wäre? Ich bin Asmodi, Herrscher der Schwarzen Familie! Der Fürst der Finsternis!«
Michael Zamis ließ Asmodi sein Gelächter spüren. Er schmähte und verspottete den angeblich mächtigsten Dämon der letzten Jahrhunderte. Du bildest dir vielleicht ein, der Herrscher des Erdenrunds zu sein, Asmodi. Aber in Wien regierte ich. Hier fürchtete man sich vor mir. Hier ist dein Name so gut wie unbekannt. Das solltest du stets im Hinterkopf behalten, wenn du Pläne schmiedest, um gegen Abraxas vorzugehen.
Asmodis ließ die schreiende und weinende und greinende Martha los. Haltlos stürzte sie zu Boden. Das dämonische Feuer an ihrem Hals erlosch, herrlicher Geruch nach faulendem und schwärendem Fleisch breitete sich aus.
Die Blondine lugte hinter einer Tür hervor. Sie suchte wohl nach einem rettenden Weg, um aus dem Haus zu flüchten und Asmodis Zorn zu entrinnen.
»Komm her, Menschenfrau!«, befahl Asmodi und legte einen Lockbann um die Frau.
Sie stolperte näher, dank Asmodis dämonischer Willenskraft unbarmherzig an ihn herangezogen. So lange, bis sie unmittelbar vor ihm stand.
»Du und deine Chefin werden mir in den nächsten Tagen als Sklavinnen dienen. Ihr werdet mich hier wohnen lassen, mich verwöhnen und pflegen und auch die Lage in Wien für mich auskundschaften. Ihr werdet alles über Abraxas in Erfahrung bringen. Hast du mich verstanden? Und wenn du dich folgsam verhältst, darfst du das Lager mit mir teilen, ohne dass ich dir mehr als ein, zwei Körperglieder ausreiße und verspeise.«
Die Blondine duckte sich unter seinen Worten, als wären sie Peitschenhiebe. Immer tiefer senkte sich ihr Kopf, immer demütiger und verzweifelter erschien sie Asmodi.
Oh, wie viel Freude es ihnen beiden doch machte, die Menschen zu unterjochen und sich von ihrer Angst zu ernähren! Es brauchte nicht mal viel, um sie in die Knie zu zwingen. Es reichte aus, ihre Fantasie anzufachen und sie daran denken zu lassen, was alles geschehen könnte.
Mühsam und ruckartig kam die Blondine wieder auf die Beine. Etwas in ihrem Rücken knackste, als würden Wirbel brechen. Als würde sie wachsen und zu etwas völlig anderem werden.
»Wir wurden informiert, dass Ihr eines Tages auftauchen würdet«, sagte sie mit völlig veränderter Stimme. »Wie schön, dass wir es sind, die dich vernichten dürfen.«
Die Blondine zog ein Messer, dessen dämonische Wirkung mit einem Mal spürbar wurde, und stach auf Asmodi ein.
Michael Zamis fühlte die Ernsthaftigkeit der Gefahr – und er reagierte rascher als Asmodi. Er handelte.
Michael Zamis übernahm die Kontrolle. Blitzschnell. Die Erinnerung an eine Wiener Dämonensippe war in ihm hochgeflackert. Die Artls waren als Ausbund an Bösartigkeit und Hinterhältigkeit berüchtigt, selbst unter Dämonen. Nichts, das sie sagten, besaß irgendeinen Wert. Sie konnten gar nicht anders als lügen und täuschen und die Unwahrheit sagen, es lag ihnen im Blut.
Anne Artl. Das gemeinste Luder, das sich in Wien umtat, stand vor ihm und Asmodi. Sie hatte sich geschickt geschminkt und ihn für eine Weile täuschen können. Nun aber erkannte Michael Zamis sie, gerade noch rechtzeitig, und konnte den geteilten Körper übernehmen. Trotz Asmodis Widerstand.
Er blockte den Arm seiner Gegnerin ab, schleuderte sie beiseite, sprach einige Worte. Sie sollten Annes Glieder in Glas verwandeln, sodass sie in tausend Splitter zerbarst.
Etwas, nein!, jemand hinderte ihn daran. Martha, die ihre Maske fallen ließ und sich in Corinna Artl verwandelte. In Annas ältere Schwester.
Sie wehrte den Zauber ab, neutralisierte ihn.
Mit komplexen Fingerbewegungen webte sie ihre eigene dämonische Magie. Michael Zamis erinnerte sich: Die Artls waren meisterhaft darin, negative Eigenschaften körperlich werden zu lassen. Bösartigkeit und Neid wurden zu einer Art Spinnengeflecht, das bunt schillerte und das Opfer verwirrte. Legte es sich einmal um dessen Körper, schnitt es tiefer und tiefer in den Leib ein, so lange, bis er barst, bis er in Scheiben und kleinen Stückchen zu Boden fiel.
Michael Zamis langte nach vorne. Bekam einen der Finger seiner Gegnerin zu fassen und riss ihn aus. Ohne Einsatz dämonischer Kräfte. Einfach so.
Corinna schrie schrill auf. Aus dem Fingerstumpf quoll gelbes Blut, während Anne neben ihr hämisch lachte. Die Schwestern mochten sich nicht sonderlich, wie Michael wusste. Sie arbeiteten nur ausnahmsweise zusammen. In Fällen wie diesen, da sie gegen einen deutlich stärkeren Dämon antreten mussten.
Er sammelte sich und flutete den Raum mit dunklem Licht. Die Dunkelheit breitete sich wolkenförmig aus und verschluckte die beiden Frauen. Michael Zamis umfasste den Türstock mit einer Hand, gleich darauf klärte sich für ihn die Sicht. Dank seiner stabilisierenden Dämonenkräfte und dieser banalen Berührung blieb er in der Realität verhaftet.
Anne und Corinna torkelten durch das Vorzimmer. Sie hatten jegliche Orientierung verloren. Das schwarze Licht würde sich tief in ihre Augen brennen und letztlich andere Sinnesorgane erfassen, bis sie nichts mehr spürten, sahen, hörten, rochen und schmeckten. Sie würden in einem eigenen Universum gefangen bleiben, in dem es nichts mehr gab als ihr Bewusstsein – und sie würden allmählich verrückt werden …
Ein Stoß. Ein Hieb.
Ein dritter Angreifer warf sich auf ihn. Vermutlich ein weiteres Mitglied der Artl-Familie.
Michael Zamis stürzte zu Boden und schlug schwer mit dem Kopf auf. Blut sammelte sich in seinem Mund, er war benommen.
Er hörte Asmodis Gelächter tief in sich drin. Der frühere Herrscher über die Schwarzen Familie freute sich mehr darüber, dass Michael Schmerz zugefügt wurde, als dass er sich um seinen eigenen Leib sorgte.
Wir sind einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert!, rief er Asmodi über geistige Abgründe hinweg zu. Wenn wir gegen Abraxas und seine Truppen bestehen möchten, müssen wir zusammenarbeiten!