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Wie kann das Ich als heilendes Prinzip im Menschen wirken? Günter Kollert appelliert an die Bereitschaft des Lesers, sich von den Werken und Erkenntnissen großer Dichter und Denker begeistern zu lassen. So zeigt er ihm die Pforte zu einem urbaren Stück Wirklichkeit und bietet ihm ein Werkzeug zum Bestellen des «Seelen-Gartens».
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Frankfurter Paradiesgärtlein. Oberrheinischer Meister um 1410
GÜNTER KOLLERT
DAS ICH ALS
MEISTER DER SEELE
ERFAHRUNGSSEELENKUNDE
FÜR JEDERMANN
URACHHAUS
Einleitung
WER BIN ICH? – Vorschule der Selbsterkenntnis
1 Ich schaue in mich
2 Ich bestimme das Maß
3 Ich denke die Frage
ERSTE WOCHE
SINN DES LEBENS – Von der Zeitlichkeit der Seele
4 Ewigkeit
5 Augenblick
6 Einst und Jetzt
7 Proligio
WER BIN ICH? – Vom Unbewussten
8 Der Schrei der Alraune
9 Auf den Wassern zu singen
10 Rumpelstilzchen
ZWEITE WOCHE
WER BIN ICH? – Erfahrungsseelenkunde und Ich-Erkenntnis
11 Haarspalterei
12 Der jüngste Mythos
13 Der Ring am Himmel
14 Person und Persönlichkeit
NICHT-ICH IM ICH – Vom Erfahren zum Erkennen
15 Der fliegende Teppich
16 Der Schlüssel Davids
17 Was ist Wahrheit?
DRITTE WOCHE
WER BIN ICH? – Freiheit und Einzigkeit
18 Das Haar auf dem Amboss
19 Der Einzige
20 Werdesal
21 Die Heilige Lanze
ICH IM NICHT-ICH – Das Reich des Fühlens
22 Das Wesen der Seele
23 Der tiefste Brunnen
24 Die fernste Sphäre
VIERTE WOCHE
DAS HÖHERE ICH – Ungeborensein und Unsterblichkeit
25 Paedogeron
26 Totaliter aliter
27 Theorie der Metempsychose
28 Uranias Auge
ICH UND ICH – Miteinander und Füreinander
29 Begegnung
30 Macht
31 Liebe
AUS DEM LIEDERBUCH DER SEELE
ANMERKUNGEN
IMPRESSUM
Während ich dieses Buch schrieb, zeigte sich immer deutlicher, dass es eine Richtung nahm, die in eine Entwicklung der gegenwärtigen Kultur eingebettet ist. Einmal auf ihn aufmerksam geworden, konnte ich diesen Sachverhalt aus Überzeugung bejahen und den Ort erkennen, an dem ich meinen Baustein in das Ganze, das sich bildet, einfügen will.
Nachdem das hinter uns liegende ›Jahrhundert der Psychologie‹ mit einem Jahrzehnt der populären Lebenshilfen endete, wird das neue Jahrhundert offensichtlich mit einem Jahrzehnt der philosophisch orientierten Lebenspraxis und Seelenpflege beginnen. Alte Entwürfe und Prinzipien wie Lebenskunst und Selbsterkenntnis erscheinen in neuem Licht und eröffnen überraschende Ausblicke auf aktuelle Aufgaben und Nöte. Die Philosophie macht so ihre Rechte auf einem Felde geltend, das gestern der Psychotherapie und der ›Esoterik‹ gehörte und morgen schon von Pharmakologie, Gentechnik und Neurologie beherrscht werden könnte.
Angesagt ist die Rückkehr zur verlorenen Zukunft unserer Seelen. Insbesondere gilt es, das eigentliche Trauma des 19. und 20. Jahrhunderts zu überwinden: Den Verlust jenes idealistischen Horizontes, der sich in den Tagen Fichtes und Goethes für eine im besten Wortsinne populäre Seelenkunde aufgetan hatte. Gegenstand der Art von Selbsterkenntnis, um die es damals ging und heute wiederum geht, ist – im Unterschied zum Unbewussten – das Unbemerkte, das Ungedachte, das Ungetane, mit einem Wort: das Unerübte.
Die Doppelgeste von Wiederbesinnung und Aufbruch eignet auch dem vorliegenden Vademekum, oder ›Handbuch zum Umgang der Seele mit sich selbst‹. Es setzt keinerlei Vorbildung voraus; ich rechne allein mit der Bereitschaft des Lesers, sich an der Begegnung mit vergessenen Denkern und verschollenen Einsichten zu begeistern, und über neue, unerwartete Horizonte des Seelenlebens zu staunen. Ausgehend von der »Erfahrungsseelenkunde«, wie Karl Philipp Moritz sie 1782 begründete, versuche ich, dem Leser die Pforte zu einem urbaren Stück Wirklichkeit zu zeigen und ein Werkzeug zum Bestellen des Gartens anzubieten.
Ein alter Spruch, den ich über einem fränkischen Dorfbrunnen in Stein gehauen fand, mag hier als Dank an alle stehen, die mich auf dem Weg der Erfahrungsseelenkunde gefördert haben:
Der Wandrer kam zur Mittagsstund
Zum Wasserquell, der gastlich rauschte.
Er setzte sich und sann und lauschte.
Und wie er sich zum Trinken neigte,
Sah er das eigene Bild zerrinnen –
Vom Grund des Brunnens funkelt rein
Ein niegeseh’ner, wunderklarer Stein.
Unter den Menschen, denen ich so danken will, soll einer besonders erwähnt werden: Im Oktober 2002 verstarb Prof.Wolfgang Blankenburg, Nestor einer um philosophische Aspekte erweiterten Psychiatrie und medizinischen Psychotherapie. Er ließ mich vor Jahrzehnten für die Fragen der Erfahrungsseelenkunde erwachen und half zuletzt durch behutsame, mit Lebensweisheit gesättigte Hinweise, meinem Buch eine Gestalt zu geben, die hoffen lässt, dass es da oder dort heilende Kräfte entfalten kann.
Günter Kollert, Kassel im Februar 2003
VORSCHULE DER SELBSTERKENNTNIS
Eine Mauer, seit lang her vergessen,
Die Türe, und Steine, und Moos,
Und nebenan der ungebetene Gast,
Der Habenichts, an der Hüfte die Schlüssel.
Nikolai Gumiljow
Die halbhohe Mauer trennt den Garten vom blauen Himmelsraum; das frühsommerlich üppige Grün, welches in Gras, Kräutern und Bäumen sprießt, zeigt die Handschrift eines kundigen Gärtners. Zwischen den Pflanzen steht ein steinerner Tisch und nahebei ein Brunnenkasten, aus dem, von einer Rinne gefasst, klares Wasser fließt. Daneben menschliche Gestalten: drei Männer und drei Frauen, ein Kind und eine mütterlich-königliche Frau; bei den Männern ein kleiner Drache, der tot auf dem Rücken liegt und ein ebenfalls kleiner Teufel. Nicht zu vergessen die vielen Singvögel auf der Mauer und im Garten selbst– sie kommen wohl aus der blauen Weite jenseits der Mauer her. Die Frische des Grüns und ein Geruch von Erde, der die Blütendüfte durchzieht, lassen fruchtbares Erdreich im Untergrund ahnen. Wir schauen in das ›Frankfurter Paradiesgärtlein‹, wie es ein unbekannter Meister des fünfzehnten Jahrhunderts malte.
Der Garten ist ein Bild der Seele. Ich widerstehe fürs Erste der Verlockung, die Einzelheiten des Gemäldes ihren teils tief verborgenen, teils freundlich nahe liegenden symbolischen Sinn aussprechen zu lassen, und sage mir statt dessen: Dies alles ist mir– das klare Wasser, die Gestalten, die da wandeln und sprechen, das lebendige Sprießen, die drei Bäume, der Drache, das Buch, das Saitenspiel und das Kind. Ich selbst bin der Raum, in den das Licht aus der Weite einfällt, den die Frische und das vielfältige Leben des Gartens erfüllt! An den Mauern des Seelengartens beginnt das Über ihnen steht das Wort des Heraklit von Ephesus: »Der Seele Grenzen kannst du im Gehen nicht ausfindig machen, und ob du auch jegliche Straße abschrittest; so tiefen Sinn hat sie.« Und auch das Geheimnis ist ein Teil meines Selbst.
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