Das Imperium stirbt: Die Armee des Lichts 2 - Michael Klein - E-Book

Das Imperium stirbt: Die Armee des Lichts 2 E-Book

Michael Klein

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Beschreibung

von Michael Klein Eigentlich ist Sara ein ganz normales Mädchen von der Erde. Doch als ihr Schulfreund Aaron wie aus dem Nichts auftaucht, verfolgt von Jägern der Sterbenden Sonne, wird sie in ein intergalaktisches Abenteuer gezogen, das sie sich nie hätte vorstellen können. Sie ist ein Teil der Armee des Lichts, aber diese Armee besteht aus nur wenigen Personen, und der Feind lauert im Dunkel. (399XE)

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Michael Klein

Das Imperium stirbt: Die Armee des Lichts 2

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Inhaltsverzeichnis

Das Imperium stirbt: Die Armee des Lichts 2

Copyright

Prolog: Nächtlicher Besuch

Kapitel 1: Die Forschungsstation von Tarminia

Kapitel 2: Das Frachtschiff

Kapitel 3: Der Obelisk der Macht

Kapitel 4: Die Armee des Lichts

Kapitel 5: Die Suche beginnt

Kapitel 6: Das System der sieben Sonnen

Kapitel 7: Der erste Angriff

Kapitel 8: Die Vierte Komponente

Kapitel 9: Sternensturm

Kapitel 10: Rebellion im Imperium

Das Imperium stirbt: Die Armee des Lichts 2

von Michael Klein

Eigentlich ist Sara ein ganz normales Mädchen von der Erde. Doch als ihr Schulfreund Aaron wie aus dem Nichts auftaucht, verfolgt von Jägern der Sterbenden Sonne, wird sie in ein intergalaktisches Abenteuer gezogen, das sie sich nie hätte vorstellen können. Sie ist ein Teil der Armee des Lichts, aber diese Armee besteht aus nur wenigen Personen, und der Feind lauert im Dunkel.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Cassiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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COVER MICHAEL KLEIN

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Prolog: Nächtlicher Besuch

Ein gutes Dutzend Lichtpunkte erschien auf der Wand, verharrte einige Sekunden, setzte sich dann in Bewegung, wirbelte durcheinander und eilte schließlich kollektiv in eine Ecke des Zimmers, wo es sich in Dunkelheit auflöste – begleitet von dem Geräusch eines vorbeifahrenden Autos.

Sara hatte aufgehört, die in dieser warmen Juninacht vorbeifahrenden Wagen zu zählen, welche jedes Mal mit ihrem Scheinwerfer die kleinen Lichter durch das nur halb geschlossene Rollo ihres Schlafzimmers schickten und die zahlreichen Bücher in den Regalen und das Chaos auf ihrem Schreibtisch in merkwürdigen Illuminationen erstrahlen ließen.

Nachdem wieder Dunkelheit in ihrem Zimmer eingekehrt war (wenn man von dem schwachen Schein der Straßenlaterne absah, der gleichfalls durch den Rollladen fiel), drehte Sara den Kopf schwerfällig zur Seite und blickte auf die rote Digitalanzeige ihres Radioweckers: Es war halb zwei Uhr morgens. Sie stieß einen Seufzer aus und fragte sich zum wiederholten Male, weswegen sie nicht einschlafen konnte.

Um nicht in ihrer eigenen Verzweiflung über ihre Schlaflosigkeit zu ertrinken, ließ sie den Tag Revue passieren, jedoch nur um festzustellen, dass eigentlich nichts besonderes geschehen war: Sie war wie immer morgens zur Schule gefahren, hatte den Unterricht mit mehr Pflichtbewusstsein als Interesse über sich ergehen lassen und verbrachte schlussendlich den Nachmittag mit Hausaufgaben und den Abend mit Fernsehen – der normale Tag eines schulpflichtigen Teenagers.

Aaron war heute krank – oder zumindest nicht da gewesen, fiel ihr ein. Der junge, sportlich-schlanke Mann mit den hellbraunen Haaren und den grauen Augen, der immerhin drei Klassen über ihr war, glänzte bereits seit gut einer Woche mit Abwesenheit. Sie erinnerte sich nur noch vage daran, wie er überhaupt vor mehr als einem Jahr mit ihr ins Gespräch gekommen war, doch seitdem gab es so etwas wie eine unterschwellige Anziehung zwischen ihnen – sie reichte zwar nicht bis zu dem, was man Liebe nennt, noch nicht einmal zu regelmäßigen außerschulischen Treffen, aber es genügte, um sich bei einem zufälligen Treffen zu unterhalten und zu spüren, dass da mehr als bloße Höflichkeit zwischen ihnen war.

Aaron war irgendwie merkwürdig … auf eine faszinierende Art schien er außerhalb jeder Norm zu stehen, und das nicht auf die provokante Weise, wie es manche von Saras Mitschüler taten, die glaubten, dass eine Cordhose und Rastazöpfe das Höchstmaß an gesellschaftlicher Nicht-Konformität darstellten. Nein, Aaron trug völlig unspektakuläre Hosen, unspektakuläre Pullover und hatte eine unspektakuläre Frisur, und viele Mädchen aus Saras Klasse hielten ihn für den Langweiler schlechthin. Vermutlich hätte auch Sara so gedacht, wenn sie nicht irgendwann und irgendwie mit ihm ins Gespräch gekommen wäre und dabei festgestellt hätte, dass Aaron diese Konformität nicht aus Schüchternheit und dem Bedürfnis, nicht aufzufallen, praktizierte, sondern dass es ihm wirklich egal war, welche Sorte Hosen er trug.

Wie dem auch sei – Aaron war nun schon seit einer Woche nicht in der Schule, und obwohl Sara weit davon entfernt war, sich Sorgen zu machen oder ihm gar nachzutelefonieren, befand sie diesen Umstand doch als merkwürdig. Zwar hatte Aaron öfter mal einen oder zwei Tage gefehlt, doch dass er nun schon acht Tage regelrecht verschwunden war, sorgte immerhin für einen gewissen Grad der Irritation.

Im Grunde genommen war es auch egal – viel schlimmer war nach wie vor die Tatsache, dass es gleich zwei Uhr nachts war, sie in einigen Stunden würde aufstehen müssen und noch immer nicht schlafen konnte, nicht einmal sonderlich müde war.

Wieder näherte sich das Brummen eines Autos, und wieder bildeten sich einige Sekunden später Lichtflecken an der Wand, die erneut ihren wilden Tanz vollführten, ehe sie in der Zimmerecke verschwanden.

Sara traf eine Entscheidung: Sie würde nun noch bis zwei Uhr nachts lesen, und wenn sie danach immer noch nicht müde war, dann … nun, was dann? Sie wusste es nicht, aber da sie die Hoffnung hegte, dass Lesen nun endlich die Müdigkeit durch ihre Augen in ihren Körper transportieren würde, machte sie sich vorerst keine Gedanken darüber.

Sie taste mit der üblichen Sicherheit nach dem Schalter ihrer Nachttischlampe, knipste sie an und griff anschließend nach ihrem Buch. Augenblicklich war sie wieder Teil einer Welt, in der sich aus Buchstaben, Wörtern und Sätzen Landschaften, Menschen und Träume materialisierten.

Plötzlich knallte es neben ihrem Ohr, und im selben Augenblick ging das Licht aus.

„Mist!“, murmelte Sara, als ihr klar wurde, dass die Glühbirne ihrer Nachttischlampe soeben den Geist aufgegeben hatte – soweit zum Thema Sich-Müde-Lesen!

Erneut seufzend schaltete sie die Lampe aus und legte das Buch wieder auf ihren Nachttisch. „So was Blödes!“, dachte sie und überlegte, ob denn ihr Vater noch irgendwo Glühbirnen hatte. Morgen würde sie ihn fragen müssen, oder – äußerst lästig – nach der Schule noch eine kaufen gehen.

Wieder lag sie wach in der Dunkelheit ihres Schlafzimmers und bemühte sich vergebens, Schlaf zu finden. Es gab eigentlich keinen Grund, weswegen sie nicht einschlafen konnte – kein Koffein, kein besonders langweiliger Tag, aber auch kein extrem nervenaufreibender. Und dennoch fühlte sie sich … irgendwie aufgekratzt. Eine unterschwellige Unruhe geisterte durch ihre Gedanken, das Erwarten etwas Ungewöhnliches, das sie jedoch nicht greifen und erst recht nicht erklären konnte.

Ein Auto näherte sich wieder.

Sara fixierte mit ihrem Blick die erneut entstehenden Lichtpunkte in ihrem wilden Tanz. Sie gewannen an Helligkeit, wurden größer und leuchtender. Chaotisch durcheinanderwirbelnd tauchten sie die Wand von ihrem Zimmer in ein gespenstisches Licht. Und plötzlich geschah etwas, das Sara erst einige Sekunden später bewusst wurde: Aus dem wirbelnden Durcheinander des Lichtertanzes wurde ein gleichmäßiger Reigen – die Lichtpunkte begannen, sich in einem Kreis zu ordnen. Und während ihr Rotieren immer schneller und nach und nach zu einem Ring aus Licht wurde, erkannte Sara, dass das Geräusch, welches sie zunächst einem Auto zugeordnet hatte, in Wirklichkeit viel näher entstand. Es war ein tiefes, anschwellendes Brummen aus der Mitte ihres Zimmers.

Von Erstaunen gelähmt, beobachtete sie, wie die Kreisbahn der Lichter an ihrer Wand auseinander trieb, sich der Radius immer weiter vergrößerte, und wie vereinzelte Blitze aus jenem Gebilde zuckten. Inzwischen hatte das Rauschen und Brummen eine schmerzhafte Intensität erreicht, doch Sara war zu gebannt, um die Hände an die Ohren zu halten. Auch der Grad der Helligkeit war inzwischen so groß, dass das Licht in ihren Augen brannte.

Dann gab es einen letzten, hellen Blitz, gefolgt von einem ohrenbetäubenden Knall …

… und dann, beleuchtet von dem letzten Flackern des Lichtertanzes, stand Aaron in ihrem Zimmer.

*

Als die Starre des ersten Schocks von Sara abfiel, gelang es jener Frage, die von Anfang an durch ihren Kopf geisterte, sich in Worte zu kleiden und ihren Körper durch ihren Mund zu verlassen.

„Was …“, hauchte sie.

„Hallo!“, erwiderte Aaron, in dessen Tonfall eine Mischung aus Entsetzen, Belustigung und Erleichterung mitschwangen.

Freigelassen von den Fesseln der Verwirrung, ähnlich einem aufgestauten See, der in einem einzigen Moment den Staudamm durchbricht und sich schließlich über das dahinterliegende Tal ergießt, begannen Saras Gedanken nun zu wirbeln, durcheinander zu rasen, einen ungebärdigen Tanz in ihrem Gehirn zu vollführen. Und aus diesem Chaos heraus stellte sie in dieser grotesken Situation die einzige groteske Frage, die noch in genügend engem Zusammenhang stand, um nicht mit purem Wahnsinn in Verbindung gebracht zu werden: „Wo warst Du denn die letzte Woche?“

Aaron lächelte – und im Nachhinein war sich Sara sicher, dass es dieses vertraute Lächeln war, das sie vor der schieren Panik gerettet hatte.

„Das ist eine Geschichte, die ich Dir besser in Ruhe erzähle!“, antwortete er. „Jedenfalls hatte ich meine Gründe, nicht in der Schule zu erscheinen!“

Sara nahm diese Erklärung fürs Erste hin, und nachdem einige Sekunden lang Schweigen in der nun wieder eingekehrten Dunkelheit des Schlafzimmers herrschte, fragte der nächtliche Besucher: „Sag mal, sind Deine Eltern eigentlich nicht zu Hause?“

„Nein, die sind auf einer Geburtstagsfeier und werden nicht vor drei Uhr nach Hause kommen!“, antwortete Sara wahrheitsgemäß.

„Das trifft sich gut! Du hast sicher nichts dagegen, wenn ich mich bei euch dusche, oder?“

„Nein, kein Problem! Weißt Du, wo das Badezimmer ist?“

Aaron verneinte, und Sara beschrieb ihm den Weg durch den Flur.

„Okay, dann bis gleich! Ich werde Dir dann auch erklären, weswegen ich hier bin!“

Mit diesen Worten verließ Aaron das Schlafzimmer von Sara und zog leise die Tür hinter sich zu; Sara war wieder allein.

Sich inzwischen keine Gedanken mehr über die sich nicht einstellen wollende Müdigkeit machend, versuchte Saras Verstand mehr oder weniger erfolgreich, das gerade Geschehene irgendwie in sein Weltverständnis zu integrieren – und scheiterte doch immer wieder an dem Punkt, an dem Aaron aus einem Wirbel aus Licht und Farben einfach so in Saras Schlafzimmer erschienen war.

Das konnte … nein, das durfte es nicht geben!

Und dennoch war da eine leise Stimme in Saras Hinterkopf, die mit eigenartig beruhigendem Tonfall flüsterte, dass alles in Ordnung sei: Kein Wahnsinn, keine Halluzinationen, nicht einmal etwas ungewöhnliches, im Gegenteil – seit sie Aaron und seine merkwürdige Nicht-Normalität, sein vertrautes Lächeln über Alltäglichkeiten, sein stets in eine imaginäre Weite gerichteter Blick, kennengelernt hatte, war ihr in den Tiefen ihres Unterbewusstseins klar gewesen, dass eine solche Situation unvermeidlich gewesen war. Mit anderen Worten: Trotz der Irrealität der Ereignisse fühlte Sara die Normalität darin.

Als ihr dies klar geworden war, setzte das ein, was dem Eingeständnis der Existenz des Ungewöhnlichen im postmodernen Zeitalter zwangsläufig folgen musste: Der Zweifel. Obwohl sie sich eingestand, dass das Erlebte keineswegs unmöglich war, begann sie sich nun zu fragen, ob sie diese Situation wirklich erlebt hatte. Vielleicht hatte sie ja nur geträumt, oder – noch mystischer, und damit einleuchtender – das alles in einer Art Halbschlaf erlebt. Sie erinnerte sich mit einiger Sicherheit daran, dass sie noch einige Augenblicke vor Aarons angeblichem Erscheinen an ihn gedacht hatte, und vielleicht hatte ihr Unterbewusstsein daraus diese Abfolge von Ereignissen geflochten.

Angestrengt lauschend versuchte sie, das Geräusch der Dusche zu hören – einem recht eindeutigen Indiz dafür, dass sie nicht geträumt hatte, doch trotz der um sie herum herrschenden Stille vermochte sie nicht, etwas derartiges wahrzunehmen. Der Pferdefuß in ihren Gedanken wurde ihr sofort bewusst: Sie konnte nicht sicher sein, ob sie die Dusche nicht hören konnte, weil da niemand duschte oder weil einfach die Wände zu dick waren, und obwohl sie bereits mehr als zehn Jahre unter diesem Dach lebte, wurde ihr erstmalig klar, dass sie nie auf derartige Kleinigkeiten geachtet hatte.

Ihr blieb nur eine Möglichkeit: Sie musste aufstehen und nachsehen.

Sofort verließ sie ihr Bett, schlüpfte wie selbstverständlich in ihre Hausschuhe, tastete sich mit der gewohnten Sicherheit durch ihr dunkles Schlafzimmer und öffnete die Tür, in den Gang hinein lauschend.

Nichts war zu hören außer dem leisen Brummen des Sicherungskastens im Flur neben der Haustür; allerdings brannte das kleine Flurlicht.

Der Flur im Erdgeschoss von Saras Haus, in dem neben ihrem und dem Schlafzimmer ihrer Schwester noch ein kleines Bad sowie ein Abstell- und ein Vorratsraum lagen, und von dem aus eine Treppe nach oben in den ersten Stock mit Wohnzimmer, Küche, großem Bad und dem elterlichen Schlafzimmer führte, war L-förmig, wobei die Haustür am unteren Ende des längeren Flurstückes lag. Am anderen Ende dieses Flures, auf der linken Seite, lag Saras Schlafzimmer, während die Tür zum Badezimmer im kurzen Teil des Ls lag.

Folglich wäre das Brennen der Lampe in diesem Teil des Ganges ein Hinweis darauf, dass jemand das Bad durch den Flur betreten hatte. Dummerweise ließen auch Saras Eltern hin und wieder dieses Licht brennen, wenn sie ausgingen und erst spät in der Nacht nach Hause zu kommen gedachten. So blieb ihr denn nichts anderes übrig, als ins Bad zu gehen und nachzuschauen.

Immerhin hörte sie noch immer kein Wasser rauschen, und das Geräusch einer benutzten Dusche stellte sich auch nicht ein, während sie sich dem Badezimmer näherte. Schließlich ging sie mit vorsichtigen Schritten um die Ecke.

Die Badezimmertür besaß kein Schlüsselloch, sondern im Innern nur einen Drehkopf zum Verschließen, insofern war von außen nicht zu erkennen, ob darin Licht brannte oder nicht; Sara zögerte. Das Gefühl, dass hinter dieser Tür entweder das Nichts oder aber der Wendepunkt ihres Lebens lauerte, schien in ihrem Innern zu explodieren, und von plötzlicher Angst erfasst, verharrte sie mitten in der Bewegung. Einige Herzschläge mit sich selbst ringend, ob sie die Tür öffnen oder einfach wieder in ihr Bett zurückgehen sollte, stand sie gut einen Meter von der Tür entfernt, ehe sie einen plötzlichen Entschluss fasste: Sie rief laut „Hallo“, tat gleichzeitig den entscheidenden Schritt, und riss die Tür auf.

Das Bad lag in nächtlicher Dunkelheit vor ihr, und sie atmete, als ihr bewusst wurde, was dies ihren Überlegungen nach zu bedeuten hatte, erleichtert aus. Doch dann bemerkte sie etwas, das nicht in ihr soeben neu konstruiertes Wirklichkeitsbild passte: Die Luft im Badezimmer war warm und feucht – als habe jemand vor nicht allzu langer Zeit die Dusche benutzt. Von neu aufquellender Aufregung erfasst, tastete sie mit der Hand nach dem Lichtschalter – ohne ihn jemals zu erreichen, denn in diesem Augenblick packte etwas aus der vom Licht der Flurlampe nur schwach erhellten Dunkelheit ihr Handgelenk, und eine ihr vertraute Stimme sagte: „Nicht das Licht anmachen! Ich hab nichts an!“

*

Widerstandslos hatte Sara den Anweisungen der Stimme aus der Schwärze Folge geleistet, und nun, da sich ihr Verstand durch die Wirklichkeit in die Ecke gedrängt sah, unterließ er alle Versuche, das Geschehene als nicht-existent klassifizieren zu wollen. Die Hand hatte ihr Handgelenk wieder losgelassen, und nun war das Rascheln von hastig übergestreifter Kleidung zu hören, und wenige Augenblicke später flammte das Licht auf.

Sara blickte in das vom warmen Duschen leicht gerötete und von nassem Haar umrahmte Gesicht von Aaron Schneider, der bis auf eine einfarbige Hose unbekleidet vor ihr stand.

„Ich hab Dich Hallo rufen hören, und weil ich nicht schnell genug in meine Hose gekommen wäre, hab ich das Licht schnell ausgemacht!“, erklärte er. „Und dann hab ich mit der Hand am Lichtschalter gelauert!“

Sara nickte stumm, und Aaron seufzte daraufhin.

„Ich weiß, das ist gerade ziemlich verwirrend für Dich!“, meinte er. „Aber es bleibt bei meinem Versprechen, dass ich Dir alles erklären werde, wenn …“

Aaron kam nicht dazu, die Bedingungen für eine Erklärung seinerseits zu nennen, denn in diesem Augenblick begannen sich die ohnehin kaum noch nachvollziehbaren Ereignisse dieser Juninacht zu überschlagen.

Es begann mit einem schrecklichen, unmenschlichen Kreischen, das aus dem Nichts zu kommen schien, und plötzlich erfüllte ein tiefrotes Licht das Bad. Unter einem neben dem Schreien kaum hörbaren Klirren zerbarst die Glühbirne in den Lampe des Badezimmers, ebenso die Spiegel. Sara hatte nicht einmal Zeit, sich einem Reflex folgend die Ohren zuzuhalten, denn zu schnell hatte sie wieder Aarons Hand gepackt und aus dem Badezimmer gezerrt.

„Was ist das?“, rief Sara, die das Gefühl hatte, unaufhaltsam zu fallen.

„Das sind die Jäger der Sterbenden Sonne!“, brüllte Aaron über das grausame, schmerzende Kreischen hinweg. „Die sind hinter uns her!“

Sara nahm von diesem Augenblick an nur noch eine passive Rolle an – und völlig widerstandslos ließ sie sich von Aaron durch den Flur zerren, nahm wie ein im Grunde genommen unbeteiligter Zuschauer wahr, dass er die Haustür aufriss und zusammen mit ihr das Haus verließ. Kühle, aber keineswegs kalte Nachtluft schlug ihr ins Gesicht und streichelte unter ihrem Schlafanzug ihre Haut. Allerdings hatte sie keine Zeit, ihre Gänsehaut zu bemerken, denn sie musste sich zu sehr darauf konzentrieren, nicht ihre Hausschuhe zu verlieren, und als sie auf Aarons Beine sah, stellte sie mit leichtem Entsetzen fest, dass er selbst barfuß unterwegs war und mit ihr die nächtliche Straße entlang rannte. Auf seiner leicht silbrig anmutenden Hose breitete sich ein rötlicher Schimmer aus, und Sara dachte im ersten Augenblick, er blutete, dann jedoch wurde ihr klar, dass sich eine Lichtquelle hinter ihnen in dem schillernden Stoff spiegelte, und sie drehte den Kopf herum.

Was sie da sah, raubte ihr den Atem: ihr Haus, das Haus, in dem sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht hatte und das ihr als Daheim vertraut war, glühte von innen heraus in einem beängstigenden Dunkelrot, und in Sara manifestierte sich der Gedanke, dass das Feuer der Hölle selbst in dem Gebäude entflammt war. Doch noch entsetzlicher war die Feststellung, dass das Rot nicht in dem Haus verblieb, sondern näher kam. Wie eine Wolke, wie Nebel, verließ es das Gebäude und eilte hinter ihnen her, und sobald es eine Straßenlaterne berührte, platzte diese mit einem lauten Knall.

Sara konnte nicht lange auf ihren grauenvollen Verfolger blicken, denn die Geschwindigkeit, die Aaron an den Tag legte und mit der er sie hinter sich her zog, verlagerte zwangsläufig ihre volle Aufmerksamkeit auf den Weg vor sich. Selbst die unzähligen Fragen, die irgendwo hinter einer unsichtbaren Mauer in ihrem Verstand warteten, blieben unausgesprochen, so sehr nahm diese Flucht Saras Aufmerksamkeit in Anspruch.

Die Häuser und Bäume ihrer Straße, bekannte Orte, eilten an ihnen vorbei, rechts von ihnen der vor einiger Zeit renovierte Spielplatz mit den Schaukeln, der Rutsche und dem Sandkasten in Form einer Schildkröte, rechts das einstöckige Haus von Jan Ahrens, mit dem sie als Kind gespielt hatte, am Ende der Straße, jenseits der Kreuzung, ihr Kindergarten, und daneben, von einem Baum – schwarzer Schatten in der Dunkelheit – verdeckt, ihre Grundschule.

„Wir sind zu langsam!“, brüllte Aaron plötzlich und riss sie aus ihren aufkeimenden Erinnerungen, und noch ehe Sara irgendetwas auf diese Feststellung erwidern konnte, riss Aaron sie schon aus ihrer Laufrichtung nach rechts. Inzwischen hatten sie die Kreuzung erreicht, wo die Hauptstraße verlief; die Häuser ihnen gegenüber waren nun kaum mehr schwarz, sondern spiegelten einen bedrohlichen roten Schein, der seinen Ausgang irgendwo hinter Sara und Aaron hatte, wieder.

Sogleich wurde Sara klar, weswegen Aaron sie so hart herumgerissen hatte, denn sie erkannte, worauf ihr nächtlicher Besucher zusteuerte: Ein Auto parkte am Straßenrand. Aaron ließ Saras Hand los und packte den Türgriff – es wunderte Sara nicht einmal, dass die Tür sofort aufging. Von Aaron erneut recht herb gepackt, wurde sie ins Innere des Wagens geschoben und kletterte von selbst auf den Beifahrersitz, während sich Aaron nach ihr hinters Steuer setzte.

Im Licht der kleinen Innenleuchte erkannte Sara, dass um Aarons Handgelenk so etwas wie ein Armreif saß, und an seinem Mittelfinger trug er einen einfachen, silbernen Ring. Mit diesem berührte er für den Bruchteil einer Sekunde das Armaturenbrett vor sich, und sofort zündete der Wagen. Aaron trat das Gaspedal bis zum Anschlag durch, und noch während er mit der linken Hand die Tür zuschlug und damit das Autoinnere des Lichtes beraubte, raste er auf die Hauptstraße.

Saras Kopf fuhr nach hinten, und sie stellte fest, dass der rote Schimmer ihnen gefolgt war, und erstmalig nahm sie sich die Zeit, das bedrohliche Leuchten näher zu betrachten. Sie sah den bekannten Nebel, doch nun wurde sie einiger Konturen im Innern dieser leuchtenden Wolke gewahr – schattenhafte Gestalten, offenbar lebende Kreaturen, welche das Bild der sich manifestierenden Hölle noch verstärkten.

Aaron raste weiterhin mit Höchstgeschwindigkeit und einem hochkonzentrierten Blick weiter die leicht abfallende Hauptstraße entlang und schlitterte mit quietschenden Reifen durch die Kurven, dennoch wurde das rote Leuchten, von den Rückspiegeln reflektiert, immer stärker. Sara fiel auf, dass er in regelmäßigen Abständen auf jenes merkwürdige Armband blickte, ohne dass sie den Grund dafür erkennen konnte, obwohl ihr so etwas wie ein blauer Edelstein auffiel, der von innen heraus zu glühen schien.

In einiger Entfernung tauchte nun, erhellt von den Straßenlaternen, die Brücke auf, von der Sara und ihre Freunde früher Steine in den Fluss geworfen hatten. Auch Aaron schien sie zu bemerken, und er nutzte die gerade Strecke, um noch mehr zu beschleunigen. Inzwischen reichte das rote Licht hinter ihnen aus, um das Fahrzeuginnere komplett zu beleuchten, und als Sara einen Blick nach hinten warf, stellte sie zu ihrem Entsetzen fest, dass die Aureole um die dunklen Kreaturen das Fahrzeug trotz der hohen Geschwindigkeit fast erreicht hatte. Im gleichen Maße und doch unendlich langsamer kam die Brücke näher, und Sara wurde klar, dass sich auf dieser Brücke ihr Schicksal endgültig entscheiden würde. Noch fünfzig Meter … dreißig … zwanzig … das Kreischen, das sie bisher fast beiläufig begleitet hatte, erreichte plötzlich neue Dimensionen, und es schien Sara, als begänne der Wagen selbst in Todesangst zu schreien. Licht und Hitze überflutete sie, und mit einem Mal spürte sie, dass etwas in das Auto eindrang; die Heckscheibe barst, die Spiegel zerplatzten in einem sekundenlangen Funkenregen, und im selben Augenblick, in dem eine Hand von hinten in ihr Blickfeld schoss, fuhren sie auf die Brücke. Die Hand packte Aarons Schulter, und dieser – sei es aus Schreck, aus Gewalt oder aus freiem Willen – riss das Lenkrad herum, und während Saras Herzschlag auszusetzen schien, durchbrach der Wagen die Leitplanke. Die Welt um sie herum schien den Atem anzuhalten, und eine unwirkliche Stille entstand, während das Auto für den Bruchteil eines Lidschlags bewegungslos in der Luft zu verharren schien.

Dann begann das Fallen, und gleichzeitig stieß Aaron die Hand ihrer Verfolger von sich, berührte Sara zum wiederholten Male schmerzhaft fest am Handgelenk und griff sich mit der anderen Hand an den Armreif.

Das letzte, was Sara sah, war das rötliche Spiegeln des Lichts in den rasch näherkommenden Wellen des Flusses – dann wurde ihr schwarz vor Augen.

Kapitel 1: Die Forschungsstation von Tarminia

Als Sara die Augen wieder aufschlug, fraß sich eine blendende Helligkeit in ihre Netzhaut, und von plötzlichem Schmerz erfüllt, schlug sie die Lider hastig wieder zu. Die Schmerzen blieben, schwächten sich aber ab.

Erst nach und nach schienen ihre Sinne wieder zu sich zu kommen, denn mit jeder verstreichenden Sekunde nahm sie, obwohl sie noch immer die Augen fest geschlossen hatte, mehr Eindrücke ihrer Umgebung wahr: Es war kalt um sie herum – nicht die angenehme Kühle der Juninacht, in der sie sich bislang geglaubt hatte, sondern eine beißende Nass-Kälte, als stände sie an einem eisigen Novembertag inmitten einer Nebelwolke. Auch der Geruch war befremdlich: Es roch feucht und modrig, nach verfaulten Pflanzen und nach Schwefelsäure. Hinzu kamen merkwürdige Geräusche – Vögel stießen ein heiseres, unheimliches Krächzen aus, Insekten zirpten in einem bedrohlich aggressiven Tonfall, und das Schmatzen und Glucksen platzender Luftblasen war zu hören.

„Keine Sorge, die Schmerzen gehen schnell wieder weg!“, riss Aarons vertraute Stimme sie aus ihrer Starre. „Das sind nur die Nachwirkungen der Teleportation!“

Erst vorsichtig, dann immer forscher, öffnete Sara erneut die Augen. Die Helligkeit war geblieben, doch was zuvor wie ein nie endender Blitz auf sie gewirkt hatte, zeichnete sich nun als das grellweiße Licht eines verhangenen Herbsttages wieder.

So weit das Auge reichte, nahm Sara um sich herum nur eine öde, graue Einsamkeit wahr – ein riesiger Sumpf, der sich von einem Horizont bis zum nächsten erstreckte. Die Geräusche, die sie gehört hatte, stammten von unendlich vielen Blasen, die aus den Tiefen des Moores an die Oberfläche trieben und dort schmatzend zerplatzten, und von ihnen schien auch der üble Geruch nach Moder auszugehen. Es war das Bildnis der Verlorenheit – überall nur Sumpf und Moor von grauer Farbe, hin und wieder durchbrochen von einigen Inseln oder abgestorbenen, schwarzen Baumstümpfen, die in einen gleichsam grauen Himmel ragten, an dem große, schwarze Vögel kreisten.

Sie selbst stand neben Aaron auf einer solchen Insel, die keine zwei Meter breit war.

„Wo … wo sind wir hier?“, stammelte Sara, als sie die Sprache wiedergefunden hatte.

„Ich glaube, wir sind auf Tarminia!“, antwortete Aaron. „Ich hatte keine Zeit, genaue Koordinaten einzustellen. Aber immerhin sind wir hier sicher – Tarminia liegt innerhalb von Myras Schutzzone, und dahin können uns die Jäger der Sterbenden Sonne nicht folgen!“

Sara hörte in Aarons Tonfall deutlich die Erleichterung darüber, dass sie an diesen Ort gelangt waren, doch so sehr sie sich bemühte – es war ihr nicht möglich, diese Erleichterung zu teilen. Jener Platz, den Aaron als Tarminia, bezeichnete, war einfach nur grässlich: Der Geruch widerte sie an, das Kreischen der Vögel und die über den Sumpf dahintreibenden Nebelschwaden machten ihr Angst, und sie fror erbärmlich in ihrem dünnen Schlafanzug.

„Und was ist Tarminia?“, hörte sie sich fragen.

„Tarminia ist der vierte Planet der Sonne Krol!“, antwortete Aaron bereitwillig. „Ich weiß, dass es hier eine Forschungsstation des Imperiums gibt! Wir haben es also nicht allzu schlecht getroffen!“

Sara spürte, wie in ihrem Gehirn Panik, Verwirrung, Neugier und Verstand miteinander rangen – und letzterer siegte. Sich eingestehend, dass sie nicht träumte und dass das, was um sie herum geschah, tatsächlich so etwas wie Wirklichkeit war, gelang es ihr, alle Zweifel und Ängste aus ihrem Denken zu verbannen und zu fragen: „Das heißt, wir sind … sozusagen hergebeamt worden?“

Aaron lächelte. Es war nicht jenes teilweise abwesende Lächeln, das sie aus der Schule von ihm kannte, sondern ein durch und durch ehrliches.

„Du bist tatsächlich fantastisch!“, sagte er dann statt einer Antwort auf ihre Frage. „Ich weiß nicht, wie viele andere Mädchen oder Menschen jetzt hier vor mir gestanden hätten und in den Wahnsinn gefallen wären!“

Sara spürte, wie sie errötete, und verlegen löste sie ihren Blick von Aaron. Dieser atmete tief ein und fuhr nun mit ernster Stimme fort: „Das, was wir gerade getan haben, nennt man Teleportieren! Ich habe Dir versprochen, Dir alles zu erklären, und wenn das geschehen ist, wirst Du auch die letzte Unsicherheit verlieren, denn eines kann ich Dir versichern: Zufälle gibt es nicht!“

Sara blickte wieder zu Aaron auf und brachte jetzt selbst ein schwaches Lächeln zustanden. „Das klingt ganz schön philosophisch!“

Aaron lachte: „Ja, das kann sein! Aber keine Sorge – ich bin eigentlich eher ein Mann der Tat. Wenn Du mit Philosophie den Kosmos erklären willst, solltest Du Dich besser mit Lex’ unterhalten!“

„Und wer ist Lex’?“

„Elexi’ael!“, erwiderte Aaron. „Den wirst Du noch kennenlernen! Er ist sozusagen das, was ich als besten Freund bezeichnen würde!“

„Und wo wohnt er?“

„Im Obelisken! Aber alles zu seiner Zeit! Zunächst müssen wir versuchen, von diesem Planeten hier runterzukommen!“

„Warum teleportieren wir nicht noch einmal?“

Aaron ließ ein leises Seufzen hören, und Sara glaubte im ersten Moment, es wäre das Geräusch der Resignation über einen völlig unbelehrbaren Schüler, wie es Lehrer hin und wieder einmal ausstoßen, um ihre eigene Unfähigkeit nicht zugeben zu müssen. Doch aus den Worten, die folgten, erkannte Sara, dass Aaron in Wahrheit nicht über sie geseufzt hatte, sondern vielmehr über das Teleportieren.

„Dummerweise hat der Teleporter den Geist aufgegeben!“, erklärte er und hielt ihr – aus ihrer Perspektive völlig nichtssagend – den silbernen Armreif mit dem blauen Edelstein vor die Augen. „Das Gerät arbeitet mit der neuen Netz-Technologie und lädt sich nach Benutzung immer wieder auf, jedoch nur dann, wenn noch ein Fünkchen Restenergie darinnen gespeichert ist. Wegen unserer überhasteten Flucht allerdings musste ich das Gerät bis zum letzten Energiequant leeren!“

„Und deswegen lädt es sich nicht mehr auf!“, folgerte Sara geistesgegenwärtig.

„Ganz genau!“, nickte Aaron. „Das hat was mit der Affinität von Netz-Energie zu tun, also dem Bestreben eines Quants Netz-Energie, sich zu einer anderen Quant Netz-Energie zu begeben!“

Zwar konnte Sara nicht von sich behaupten, zu wissen, was denn ein Quant Netz-Energie war, doch immerhin verstand sie, wo das Problem lag und weswegen sie nicht einfach weiterteleportieren konnten. Aaron, der offenbar erkannte, dass sie ihm gedanklich gefolgt war, schloss: „Also ist unser Ziel diese Forschungsstation! Ich hoffe, dass wir dort ein Raumschiff auftreiben können!“

Wieder nickte Sara verstehend, und als ihr klar wurde, dass sie jetzt nicht innerhalb der nächsten zwei Minuten diese Forschungsstation erreichen würden, ließ sie sich mit unterschlagenen Beinen auf den feuchten Boden sinken. Erst als sie saß, fiel ihr auf, dass ihre Beine sich anfühlen wie nach einem Zehn-Kilometer-Spaziergang.

„Was waren das denn für … Dinger hinter uns?“, fragte sie schließlich Aaron, der neben ihr stand und mit zusammengekniffenen Augen den Horizont abgesucht hatte. Nun wandte er den Kopf zu Sara, ging selbst in die Hocke und erwiderte: „Das waren die Jäger der Sterbenden Sonne – Söldner, die hinter mir her waren!“

„Und was wollten die von Dir?“

„Nun, weißt Du, ich habe Dir doch von der Netz-Teleportation erzählt! Tatsache ist, dass diese Art der Fortbewegung ziemlich neu ist, da man das Netz erst vor Kurzem entdeckt hat – grob gesprochen! Ich gehöre zu einer Gruppe von Personen, die das Netz mittels Technologie für alle Lebewesen nutzbar und außerdem zu einem Verteidigungsinstrumentarium machen wollen. Und das wiederum stört andere Gruppen, die uns beziehungsweise mir die Jäger der Sterbenden Sonne auf den Hals gehetzt haben … zumal ich etwas bei meiner Arbeit entdeckt habe, was so nicht hätte sein dürfen!“

„Und was ist das?“

„Nun …“

Aaron kam nicht weiter, denn in diesem Augenblick schien der Sumpf um sie herum zu explodieren.

Schlamm und Schlick spritzten eruptionsartig auf die beiden Flüchtigen und reduzierten ihre Welt auf Chaos und Schreck. Sara, obgleich nie eine sofort loskreischende Furie, konnte einen panischen Schrei nicht unterdrücken; Aaron wurde von der Wucht zur Seite geschleudert. Etwas packte die beiden und verhinderte mit eisernem Griff ein Entkommen – sie wurden mit brutaler Gewalt nach oben gerissen und erkannten nun erst die Situation: Eine Kreatur, die auf Sara wie eine Mischung aus Spinne und Skorpion wirkte, riesengroß, mit einem gewaltigen Hinterleib, bedrohlich schillernden Facettenaugen und acht grässlichen Greifern um den Mund, hatte sie mit ihren beiden Scherenhänden gepackt und hielt sie gnadenlos fest. Der Sumpf brodelte unter den Bewegungen des Untiers, die Vögel über ihnen stießen schreckliche Laute aus. Es war unmöglich, sich unter dem eisernen Griff des Monsters zu rühren, geschweige denn sich zu befreien. Noch immer schrie Sara, und Aaron ächzte unter dem enormen Druck der übergroßen Scherenhände.

Dann erfüllte ein durch Mark und Bein gehender Schrei den Sumpf, ein Geräusch der Todesangst und der unsäglichen Schmerzen; und beinahe zeitgleich mit der Erkenntnis, dass es das Spinnentier selbst war, das diesen Laut ausgestoßen hatte, erkannten sie auch den Grund: Ein zweites dieser Sumpfungeheuer tauchte aus dem Moor auf, und zwischen den Zähnen hielt es etwas, das wie ein Spinnenbein aussah. Grünliche, zähfließende Flüssigkeit tropfte davon herab und spritzte gemeinsam mit Sumpfwasser aus jener gewaltigen Wunde an der Seite von Saras und Aarons Raubtier, wo einst ihr Bein gewesen war.

Ein wilder Kampf zwischen den beiden Sumpfspinnen begann. Die Verletzte, noch immer Sara und Aaron in ihren Klauen haltend, attackierte den Konkurrenten mit Zähnen, Greifern und ihren verbleibenden Beinen; der Angreifer wehrte jedoch jeden Schlag mit seinen Scheren ab und schien auf eine Gelegenheit zum Kontern zu lauern. Diese ergab sich, und – begleitet von einem neuerlichen Todesschrei – biss die zweite Spinne der ersten jene Schere ab, in der sich noch immer Aaron befand. Das grüne Spinnenblut ergoss sich fontänenartig über Sara, die sofort einen Würgereiz spürte und versuchte, sich nicht zu übergeben.

Trotz des neuerlichen Triumphs des Angreifers war der Kampf noch nicht zu Ende, und noch während dieser seinen scheinbaren Sieg zu erkennen glaubte, stieß sich der Verletzte aus den Sumpf ab und rammte seine Greifer und seine Zähne tief in den Unterleib seines Gegners. Der Schrei, den dieser nun ausstieß, war noch lauter, noch intensiver, noch fürchterlicher als die bisherigen. Noch immer das Fleisch des Hinterleibs zwischen den Zähnen rutschte die Sumpfspinne nach unten und zog einen gewaltigen Hautlappen mit sich. Das grüne Blut der Tiere war nun allgegenwärtig, und Sara konnte zwischen der grünen Flüssigkeit und den Rändern dieser enormen Wunde kleine, autoreifengroße Spinnenlarven von gallertartiger Konsistenz und blasser Farbe sehen, die panisch durcheinander krabbelten und teilweise an der Wunde ihrer Mutter zu fressen begannen.

Wieder hieb die Spinne ihre Zähne in den Hinterleib des Gegners, diesmal jedoch deutlich schwächer – und auch der Schrei, den dieser ausstieß, war mehr ein Wimmern. Ein letztes Zucken ging durch den Körper des sterbenden Sumpfmonsters, dann lag der Leib still und bewegungslos im Sumpf.

Für den Bruchteil eines Augenblicks herrschte eine unnatürliche Stille, in der Sara gerade Zeit hatte, laut „Aaron“, zu rufen, dann setzte sich das siegreiche Spinnentier in Bewegung, noch immer mit der Beute in der verbleibenden Scherenhand. Immer schneller und schneller raste das Ungeheuer dicht über der Sumpfoberfläche durch den Nebel und trug Sara weiter und weiter weg von Aaron.

*

Die Höhle war erstaunlich groß und wurde von dem Licht zahlreicher Pilze, die an den Wänden wuchsen und gelblich fluoreszierten, erhellt. Sara kauerte in einer Ecke und wagte nicht, sich zu rühren. Um ihre Beine wickelten sich einige feste, weißliche Spinnenfäden, die das Ungeheuer ihr mit Hilfe seiner Greifer angelegt hatte, ehe es mit einem tierischen Stöhnen von ihr abgelassen und sich dank seiner Verletzung mühsam am anderen Ende der Höhle niedergelassen hatte. Sein monströser Leib lag wie ein bebender und zitternder Berg auf dem Boden.

Sara hatte recht bald nach ihrer Entführung durch die Sumpfspinne jegliche Orientierung und auch jedes Zeitgefühl verloren; sie erinnerte sich daran, dass sie zunächst scheinbar endlos lange durch die gleiche, öde Sumpflandschaft gerissen worden war, immer bemüht, den Kopf über der Sumpfoberfläche zu behalten, die das Untier durchpflügte, als sei es klares Wasser. Dann hatte die Dichte des Nebels immer mehr zugenommen, bis sie schließlich nichts mehr erkennen konnte außer der Scherenhand, die sie weiterhin fest gepackt hielt. Dann war der Nebel wieder etwas dünner geworden, jedoch gerade so transparent, dass sie einige spitze, wie Nadeln aus dem Sumpf aufragende Felsen ausmachen konnte, auf die das Spinnenmonster zuhielt. In einem dieser Steine befand sich die Höhle, in welcher Sara nun von dem Ungeheuer abgesetzt worden war.

Um sie herum lagen zahlreiche Knochen und andere Reste von vorherigen Opfern, allerdings konnte Sara kein menschliches oder humanoides Skelett ausmachen; offenbar stellte sie so etwas wie einen Sonderfall auf dem Speiseplan der Sumpfspinne dar. An der Wand hinter ihr – eine Nische, die weit nach oben ragte – hingen einige Kokons, wo das Monster andere Nahrung aufbewahrte.

Immerhin gab es einen Hoffnungsschimmer: Sara hatte sich gefragt, weswegen bei ihr nur die Beine eingesponnen waren (obwohl auch das schon erstaunliche Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreizeit zur Folge hatte), dann war ihr jedoch klar geworden, dass die Spinne wohl nie wieder dazu kam, sie jemals zu essen – das Tier lag im Sterben. Offenbar waren die Wunden, die sie aus dem Kampf gegen die andere Spinne davongetragen hatte, von tödlicher Natur, und noch bevor sie ihr Konservierungswerk mit Sara beenden konnte, hatte sie ihr nahendes Ende gespürt und sich zum Sterben zurückgezogen.

Tatsächlich wurde das Zucken des Spinnenleibs immer seltener, und schließlich blieb das Tier nach einem letzten, mächtigen Schüttelkrampf bewegungslos liegen.

Sara überlegte, was sie nun tun sollte. Es war klar, dass der erste Schritt darin bestand, ihre Fußfesseln loszuwerden. Dann wäre es ihr möglich, aus der Höhle zu fliehen und vielleicht auf irgendeine Art und Weise zu der Forschungsstation zu gelangen, von der Aaron gesprochen hatte – vielleicht würde man sie auch suchen, wenn man von ihrer Ankunft erfahren hatte.

Aaron – erstmalig fiel ihr ein, dass sie gar nicht wusste, was mit ihm geschehen war. Bisher hatte sie nur daran gedacht, selbst zu überleben, nun wurde ihr klar, dass er selbst durchaus den Tod gefunden haben konnte im Sumpf während des Kampfes der beiden Spinnenmonster.

Sie verdrängte den Gedanken so schnell, wie er gekommen war. Es brachte nichts, sich jetzt selbst mit diesen Überlegungen zu belasten.

Ein Zischen ließ sie herumfahren – und sofort kam die Angst wieder zurück. Im ersten Augenblick glaubte Sara, dass sie sich geirrt hatte … dass die Sumpfspinne doch noch lebte, denn sie schien sich wieder zu bewegen. Dann jedoch stellte sie bei einem genaueren Blick fest, dass es nicht das Monster war, das sich rührte, sondern unzählige Larven, die sich von Innen aus dem Hinterleib herausgefressen hatten. Nun ergoss sich aus dem aufgeplatzten Körper des toten Muttertieres ein schier unerschöpflicher Strom kindsgroßer, widerwärtig bleicher und gallertartiger Spinnen, die sich sofort daranmachten, den Körper der toten Mutter vollständig zu verspeisen. Sara brauchte keine besondere Vorstellungskraft, um sich auszumalen, was die Spinnen mit ihr – dem Opfer ihrer Mutter – machen würden.

Von Panik erfasst und mobilisiert, begann die noch immer gefesselte Sara, in Richtung Höhlenausgang zu robben; sie kam nur langsam voran und hoffte bei jedem Atemzug, dass die Spinnenlarven noch lange an ihrer Mutter zu essen hatten.

Ein stechender Schmerz bohrte sich plötzlich in ihren Schädel hinein; im ersten Moment glaubte sie, dass doch ein Spinnentier zu ihr gekrabbelt war und sie gebissen hätte, dann erkannte sie jedoch, dass es keineswegs ein Lebewesen war, das ihr den Schmerz zugefügt hatte. Sara hatte sich vielmehr an einem scharfen, aus der Wand ragenden Stück Felsen gestoßen. Sofort wurde ihr bewusst, dass sich hier eine Möglichkeit auftat, die störenden Spinnenfäden um ihre Beine loszuwerden. Sie drehte sich mit den Füßen zur Wand und begann, die Fäden an dem scharfkantigen Stein zu reiben. Erleichtert stellte sie fest, dass die Schnüre tatsächlich nach und nach der Schärfe des Felsens nachgaben.

Noch immer quollen mehr und mehr Spinnenlarven aus dem aufgefressenen Hinterleib der Sumpfspinne, und zu ihrem Entsetzen erkannte Sara, dass eine von ihnen, die offenbar keinen Platz mehr um den Kadaver der Mutter gefunden und kein Interesse an einem Streit mit ihren Brüdern hatte, auf sie zu krabbelte. Augenblicklich verstärkte sie ihre Bemühungen, die Spinnenfäden loszuschneiden, doch schien es, als würde auch die Larve schneller auf sie zukommen. Keuchend vor Anstrengung und Angst riss Sara die Beine auseinander, und mit einem lauten Krachen barsten ihre Fußfesseln in letzter Sekunde, denn schon war die Spinnenlarve bei ihr. Mit einem kräftigen Tritt ihrer nunmehr befreiten Beine schleuderte sie ihren Angreifer einige Meter nach hinten, sprang auf und hastete in Richtung Licht, wo der Höhleneingang lag.

Laute Krabbelgeräusche ließen sie noch während des Rennens herumfahren, und erschrocken sah sie mehrere Dutzend Spinnenlarven, die ihr nun folgten; einige stritten sich um den Körper jener Larve, die Sara kurz zuvor getreten hatte, doch die übrigen waren eindeutig hinter ihr her. Der Ausgang war nicht mehr weit entfernt, noch zehn Meter … neun … acht … Vor sich sah sie bereits wieder die graue Sumpflandschaft, und als ihr klar wurde, dass sie durch dieses Moor gar nicht fliehen konnte, wäre sie beinahe einem ersten Impuls folgend stehen geblieben. Es gelang ihr, sich zum Weiterlaufen zu zwingen, doch als sie den Eingang der Spinnenhöhle tatsächlich erreichte, sah sie sich in ihren Befürchtungen bestätigt: Zwei Meter unter ihr brodelte der Sumpf, und abgesehen von einigen Felsen (zu weit weg, um zu springen) war da nichts, was eine Rettung versprochen hätte.

„Das war’s!“, murmelte Sara und schloss die Augen; jedoch nur für den Bruchteil eines Herzschlags, dann riss sie ihre Lider erschrocken nach oben, denn ein zischendes und eindeutig technisches Geräusch war in ihre Ohren gedrungen.

Was sie sah, war für sie in diesem Augenblick von solcher Schönheit, dass sie vor Begeisterung laut auflachte: Etwas, das wie ein großes Boot aussah, war rechts von ihr erschienen, und jenes Geräusch, das sie gehört hatte, kam eindeutig von diesem Schiff. Und was noch besser war – dieses Geräusch paralysierte augenblicklich all ihre Verfolger, die wie gelähmt mitten im Lauf zusammenbrachen und reglos liegen blieben.

Das Wasserfahrzeug, das Sara augenscheinlich das Leben gerettet hatte, war gute 15 Meter lang, hatte den Rumpf eines Schiffes, ließ jedoch keinen Einblick in sein Innerstes zu: Die Aufbauten waren allesamt blickdicht abgeschlossen, es gab keine Scheiben, und Sara fragte sich unwillkürlich, wie dieses Gerät zu steuern sei, wenn man nicht nach draußen sah. In diesem Augenblick öffnete sich jedoch in dem Rumpf des Bootes eine kleine Luke, und eine Leiter fuhr nach außen, wenig später gefolgt von einem menschlichen Gesicht, das Sara lächelnd anblickte und etwas in einer fremden Sprache rief.

Sara deutete schulterzuckend auf ihre Ohren und schüttelte anschließend den Kopf in der Hoffnung, dass ihr Retter verstand, was sie damit sagen wollte – dass sie nämlich der Sprache von ihm nicht mächtig war. Dieser wiederum blickte einige Momente lang verdutzt drein und machte dann mit der Hand eine einladende Bewegung. Sara, die froh war, von Spinnenmonstern und ihren Kindern erlöst zu sein, kletterte auf die kleine Leiter und mit deren Hilfe in das Innere des Bootes, wo ihr Retter bereits auf sie wartete.

*

Der Mann, dem sie offenbar ihr Leben verdankte, war ihrer Schätzung nach nicht älter als 50, aber auch keineswegs jünger als 40; er war nicht besonders groß, von schmächtiger Statur und hatte ein zerknittertes Gesicht. Seine kurzen, blonden Haare standen in alle Richtungen von seinem Kopf ab, doch die wasserblauen Augen wirkten recht sympathisch auf Sara.

Noch immer konnten sie einander nicht verstehen, doch mit Hilfe von Gesten war zumindest eine basale Verständigung möglich. Der Fremde reichte ihr eine Art Handtuch, mit dem sie sich so gut es ging vom Schmutz des Sumpfes befreite, dann führte er sie aus dem kleinen Schleusenraum hinaus in einen Flur.

Sara hatte überall blinkende Lichter und Hebel und Knöpfe und allerlei Hightech erwartet, insofern war sie ein wenig enttäuscht, denn das Innere des Bootes, welches sie bisher zu sehen bekommen hatte, hätte auch von der Erde stammen können: Rohre verliefen in Deckennähe den Flur entlang, überall waren Schilder mit diversen Hinweisen angebracht, und die wenigen roten Lichter, die sie zu sehen bekam, erinnerten sie sofort an Feueralarm-Knöpfe.

Der fremde Mann, der ihr vorausging, blieb vor einer Art Wandschrank stehen und deutete darauf; wieder konnte Sara nur mit den Schultern zucken, worauf ihr Retter sachte mit der Hand an eine bestimmte Stelle des Schrankes fasste, worauf völlig geräuschlos die Schranktür verschwand. Sie versank nicht in der Wand oder wurde in irgendeine Richtung geschoben – sie verschwand einfach, als wäre sie nie da gewesen. Im ersten Moment des Staunens vergaß Sara sogar nachzusehen, was denn im Schrank war, doch wurde sie dieser Pflicht enthoben, indem der Fremde hineingriff und etwas silbernes herauszog, das er Sara reichte und das sich bei genauer Betrachtung als eine Art Overall entpuppte. Erst jetzt fiel Sara wieder ein, dass sie ja – dank Aarons Besuch und der anschließenden Flucht – nur einen Schlafanzug trug. Ein wenig peinlich berührt zog sie das angebotene Kleidungsstück schnell über ihren verdreckten und an vielen Stellen aufgerissenen Schlafanzug und folgte anschließend dem Fremden wieder, der sich erneut in Bewegung gesetzt hatte.

ihr Retter führte Sara in etwas, das wohl die Zentrale oder die Brücke des Bootes war, und hier bot sich ihr endlich das Bild, das sie erwartet hatte, nämlich zahlreiche Steuerpults mit Skalen und Hebeln, darüber ein großer Monitor, der das Bild der Sumpflandschaft zeigte, in der sie sich befanden. Außerdem war ein zweiter Mann in diesem Raum, der auf einem schweren Sessel vor den Armaturen hockte und den Kopf drehte, als sie eintraten.

Im Gegensatz zu der ersten Person blickte diese keineswegs freundlich, sondern äußerst mürrisch drein; sie musterte Sara einige Sekunden lang schamlos und sagte dann etwas in jener fremden Sprache. Saras Begleiter antwortete etwas, worauf der andere Mann gestikulierend mit den Schultern zuckte und sich wieder seinen Steuergeräten zuwandte.

Sara wurde von ihrem Retter aufgefordert, sich auf einen freien Stuhl zu setzen, während er selbst neben dem anderen Mann Platz nahm; dieser führte einige Schaltungen aus, worauf sich das Boot in Bewegung zu setzten schien; jedenfalls glaubte das Sara, denn sie spürte nichts dergleichen, sah jedoch, dass sich der Sumpf auf dem Monitor in Bewegung zu setzen schien. Einige Minuten später rasten sie mit hoher Geschwindigkeit durch die öde Landschaft.

Dann erschien – zunächst am Horizont, dann aber schnell näherkommend – ein weißes Gebilde auf dem Monitor; eine riesige Halbkugel, umgeben von zahlreichen kleineren Halbkugeln, die mit der ersten über einige freischwebende Gänge verbunden waren. Die beiden Piloten des Bootes, die sich trotz (oder aber wegen) ihrer Anwesenheit in ihrer Sprache unterhalten hatten, verstummten, und ihr Retter drückte einige Tasten auf seinem Pult und sagte dann etwas in eine Art Mikrophon; offensichtlich meldete er ihre Ankunft. Es stand für Sara außer Frage, dass es sich bei dem Gebäude um jene Forschungsstation handelte, von der Aaron gesprochen hatte.

Wieder dachte sie an Aaron, und sie hoffte, dass es auch ihm irgendwie gelungen war, der Schere des Spinnenmonsters zu entkommen. Dann wurden ihre Gedanken wieder abgelenkt, denn sie konnte auf dem Monitor fasziniert beobachten, wie sich in einer der kleinen Kuppeln, auf welche das Boot zusteuerte, eine Schleuse öffnete und das abgebremste Sumpffahrzeug in sich aufnahm. Die beiden Piloten erhoben sich aus ihren Sesseln, der Freundliche deutete ihr mit einer raschen Handbewegung an, ihnen zu folgen.

Sie wurde wieder durch den bereits bekannten Flur geführt hinein in die Schleuse, und von dort aus verließ sie nach den beiden Fremden das Schiff.

So fand sie sich in einem halbkugelförmigen Raum wieder, in dem außer dem ihren noch drei weitere Sumpfschiffe lagen – und in dem außerdem zu ihrer unbändigen Freude Aaron auf sie wartete.

*

Sara fiel ihm um den Hals, und Aaron erwiderte die Umarmung.

„Gott sei Dank!“, meinte sie und war bemüht, nicht vor Freude in Tränen auszubrechen. „Ich hatte schon echt Angst um Dich!“

„Ja, so ging’s mir mit Dir auch!“, erwiderte er lachend. „Ich dachte schon, Du endest als Spinnenfutter!“

„Wie bist Du denn hierher gekommen?“, wollte Sara wissen.

„Völlig unspektakulär!“, lautete seine Antwort. „Ich konnte mich aus dem abgetrennten Scherenarm befreien, und nicht viel später hat mich eines dieser Boote aufgelesen, die hier durch den Sumpf patrouillieren! Offenbar hat man mein Lebenszeichen angemessen!“

Sara versuchte gar nicht erst zu verstehen, wie dieses Lebenszeichen-Anmessen vonstatten ging, zumal ihnen die beiden Piloten erneut zuwinkten und sie aufforderten, mitzukommen. Aaron und Sara setzten sich in Bewegung, gingen eine kleine Rampe hinauf und verließen schließlich die kleine Kuppel mit den Booten; so fanden sie sich in einem gut zwei Meter breiten und drei Meter hohen Gang wieder, der von unsichtbaren Lichtquellen erhellt wurde.

„Die haben in einer ganz komischen Sprache geredet!“, erzählte Sara flüsternd und deutete mit dem Kopf auf die beiden Vorausgehenden.

„Diese komische Sprache ist Imperia, das Standard-Idiom des Imperiums!“, erklärte Aaron. „Nebenbei bemerkt meine Muttersprache!“

Sara blickte Aaron von der Seite an und kleidete jenen Verdacht, der sich ihr inzwischen aufgedrängt und eigentlich selbstverständlich war, in Worte: „Das heißt, Du kommst gar nicht von der Erde, richtig?“

„Ja, stimmt!“, nickte Aaron. „Im Übrigen heiße ich auch nicht Aaron Schneider – den Namen hab ich mir nur zugelegt, während ich auf Terra, also auf der Erde, war!“

„Und wie heißt Du richtig?“

„Der Vorname stimmt schon in etwa, wobei er natürlich in Imperia anders geschrieben wird, aber die Aussprache ist ähnlich – man müsste eigentlich A’eron sagen!“ Er ließ eine kurze, aber eindeutig erkennbare Pause zwischen dem A und dem E. Letzteres – Sara fiel es in diesem Augenblick zum ersten Mal bewusst auf – hatte auch immer leicht mitgeklungen, wenn A’eron sich vorgestellt hatte, war aber diesmal noch deutlicher gesprochen worden.

„Und der Nachname?“, fragte Sara weiter.

„Von Telerion – übersetzt! Für das von gibt es natürlich einen anderen Ausdruck im Imperia!“

„Also bist Du adelig?“

„Nein, nicht wirklich, zumindest nicht in dem Sinne, was Du darunter verstehst! Telerion ist mein Heimatplanet, und in bestimmten Kreisen des Imperiums wird das dann als Nachname gebraucht. Du solltest Dich, wenn wir schon dabei sind, auch in Zukunft nicht mehr als Sara Serner vorstellen, sondern eher als Sara von Terra!“

Sara ließ sich ihren neuen Namen, den A’eron ihr kurzerhand verliehen hatte, auf der Zunge zergehen und stellte fest, dass es eigentlich nicht schlecht klang.

Inzwischen waren die vier Personen am Ende des Ganges angelangt; eine Tür verschwand nach der Berührung auf ebenso merkwürdige Weise wie vorhin die Tür des Wandschrankes, und die beiden Piloten traten, gefolgt von Sara und A’eron, hindurch.

„Wohin verschwinden denn die Türen?“, fragte Sara leise, worauf A’eron kurz lachte.

„Die verschwinden eigentlich gar nicht!“, erklärte er. „Die sind nie da gewesen! Was Du meinst, als Tür zu sehen, ist in Wirklichkeit nur eine technische Illusion!“

Und als Sara ihn stirnrunzelnd anblickte, fügte er hinzu: „Natürlich gilt das nicht für alle Türen – nur für die, deren einziger Zweck es ist, Räume zu trennen. Türen mit Schutzfunktion nach außen sind natürlich materiell!“

Vor ihnen, offensichtlich im Zentrumsbereich der Forschungsstation in Form einer gewaltigen Halbkugel, führte ein Gang nach links und rechts, dessen leichte Krümmung dafür sprach, dass er einmal um die ganze Station führte. Die beiden Piloten gingen nun, ohne auf ihre Gäste zu achten, nach rechts und bogen schon wenige Schritte später wieder nach links, also in einen Gang, der zum Zentrum der Kugel führen musste.

Tatsächlich erreichte das Vierer-Grüppchen wenig später einen Punkt, an dem mehrere Gänge sternförmig zusammenstießen und wo eine Röhre (offenbar ein Fahrstuhl) nach oben führte. Beide Piloten traten ein, Sara und A’eron folgten. Die Tür schloss sich hinter Sara und ging keine vier Sekunden später wieder auf, ohne dass etwas geschehen war. Neugierig drehte sich Sara herum, um zu sehen, wer da noch zusteigen wollte oder weswegen die Tür des Lifts einfach wieder aufgegangen war, doch zu ihrem Erstaunen stellte sie fest, dass sich der Fahrstuhl sehr wohl bewegt hatte, wenn auch mit enormer Geschwindigkeit und – vor allem – völlig unbemerkt.

Das trübe Tageslicht des Planeten Tarminia (Sara glaubte sich zu erinnern, dass der Stern, um welcher die Sumpfwelt kreiste, von A’eron als Krol bezeichnet worden war) flutete über sie hinweg; die bisher vorherrschende künstliche Beleuchtung war einem transparenten Kuppeldach gewichen, das sich über die Zentrale der Forschungsstation spannte – diese lag augenscheinlich am obersten Pol der Halbkugel.

Sara blickte, nachdem sie neben A’eron aus dem Lift getreten war, auf einen kreisförmigen, gut zwanzig Meter durchmessenden Raum, der kaskadenförmig nach unten abfiel; auf jeder Rundgalerie standen zahlreiche Pulte und Geräte, und ebenso zahlreich waren die Forscher und Mitarbeiter, die dazwischen hin und her eilten. Am tiefsten Punkt des Raumes, gelehnt an das Geländer der nächsthöheren Kaskade, stand ein ziemlich korpulenter Mann mit schwarzen Haaren und deutlich ausgeprägten Geheimratsecken. Er redete in Imperia mit einigen anderen Personen, die schließlich nickten und an ihre Pulte gingen – offenbar war er hier der Kommandant und hatte das Sagen.

Die beiden Piloten gingen vor Sara und A’eron die Treppe hinab und begannen ein Gespräch mit dem Kommandanten, der schließlich zu den beiden Flüchtigen schaute, sie einen Augenblick lang mit ernstem Gesichtsausdruck musterte, dann aber freundlich nickte.

A’eron trat näher zu ihm und sagte ebenfalls etwas, der Kommandant antwortete, und schließlich waren die beiden in ein Gespräch verwickelt, dem Sara weder sprachlich noch Mimik und Gestik analysierend folgen konnte. Schließlich wandte der fettleibige Kommandant ihr erneut den Blick zu, nickte mit ernster Miene und rief dann etwas zu einem Mitarbeiter, der wenig später mit einem kleinen, kastenförmigen Gerät zu ihnen trat.

„Das hier ist ein Translations-Computer!“, erklärte ihr A’eron. „Sobald wir auf Zenit sind, wirst Du Imperia per Neural-Induktion lernen, aber hier haben sie keinen Induktor, deshalb müssen wir uns sozusagen manuell aushelfen!“

„Was ist das jetzt?“, fragte Sara, die sichergehen wollte, dass sie alles verstanden hatte.

„Ein Translations-Computer!“, wiederholte A’eron. „Pass auf, ich häng ihn Dir um den Hals, dann übersetzt er alles, was wir sagen, beziehungsweise umgekehrt!“

„Und woher kennt er meine Sprache?“, wollte Sara wissen.

„Es gibt regelmäßige Idiom-Katalogisierungen von allen intelligenten Kommunikationen dieser Galaxis!“, erklärte A’eron. „Und natürlich ist auch Deutsch darin gespeichert!“

Sara nickte knapp, worauf ihr A’eron das kleine, erstaunlich leichte Gerät um den Hals hing.

„Noch etwas, bevor ich es aktiviere!“, sagte A’eron. „Nicht erschrecken, aber es wird Dir so vorkommen, als würden wir von nun an einfach so in Deiner Sprache sprechen! Das liegt daran, dass Dir der Translations-Computer die Übersetzung in ein Akustikfeld genau an Deinen Hörnerv projiziert! Alles klar?“

„Alles klar!“, bestätigte Sara, und A’eron legte kurz seinen Finger auf eine bestimmte Stelle des Gerätes. Im ersten Augenblick glaubte sie, von einem Blitz getroffen zu sein – denn alle Gespräche in der Kommandozentrale, die ihr Gehirn bisher als unverständlich mehr oder minder ausgeblendet hatte, wurden auf einmal für sie verständlich, und in jener Sekunde, in welcher ihr Gehirn alle Worte und Sätze ungefiltert in ihr Bewusstsein leitete, war es ihr, als schlüge jemand mit dem Hammer in ihren Schädel. Dann nahmen die enorme Lautstärke und das akustische Chaos ab, bis es den Bereich des Normalen erreicht hatte.

Es war der Kommandant, der sie mit tiefer Stimme fragte: „Und, können Sie uns jetzt besser verstehen?“ Gleichzeitig bedachte er sie mit einem gutmütigen Lächeln.

„Ja, prima!“, lächelte Sara zurück. Es war tatsächlich so, wie Aaron gesagt hatte; ihr fiel nicht auf, dass ein Dolmetscher zwischengeschaltet war; es klang vielmehr so, als würden alle Leute um sie herum plötzlich ihre Sprache sprechen.

„Nun, ihr Freund A’eron von Telerion hat mir erzählt, Sie wären bei einer Teleportation ein klein wenig vom Kurs abgekommen!“, fuhr der Kommandant fort. „Unangenehme Sache, was?“

Weil Sara nicht wusste, was sie anderes antworten sollte, erwiderte sie: „Ja, schon! Aber wir hegen die Hoffnung, dass Sie uns helfen können!“

„Ich weiß, ich weiß!“, meinte der Kommandant gutmütig. „Sie brauchen ein Raumschiff! Das ist kein Problem, wir werden alle vier Tage von einem Versorgungsschiff angeflogen, und der nächste Termin ist heute. Sie haben also Glück!“

Sara stellte fest, dass A’eron über diese Ankündigung sehr froh war.

„Das trifft sich wirklich gut!“, meinte er. „Wir haben ohnehin durch diesen Umweg schon viel Zeit verloren!“

„Nun, dennoch werden Sie mir sicher die Ehre erweisen, mit mir zu frühstücken!“, sagte der Kommandant.

„Ja, sehr gerne!“, nahm A’eron für sie beide die Einladung an. „Sie würden uns außerdem einen großen Gefallen tun, wenn wir uns vielleicht vorher noch irgendwo duschen könnten!“

„Kein Problem!“ Der Kommandant lächelte wieder äußerst gönnerhaft. „Tal’con hier wird Sie zu einer freien Kabine bringen!“

Der angesprochene Tal’con, ein junger Mann mit grünen Augen und einem merkwürdigen Blaustich in den Haaren, stellte sich höflich, aber reserviert, vor und führte dann Sara und A’eron aus der Kommandozentrale.

*

Der Raum, in den A’eron und Sara von dem Untergebenen des Kommandanten gebracht wurden, hatte – zu Saras Freude – eine echte Tür, die sich auf einen Tastendruck ihres Begleiters in vier Teile spaltete, die in den vier Ecken des Türrahmens verschwanden.

„Bitte sehr!“, hörte Sara den jungen Mann sagen, während sie völlig mit der ersten Musterung ihrer Räumlichkeiten beschäftigt war. „Und vergessen Sie nicht, die Tür zu versiegeln! Ich werde Sie in einer Stunde wieder abholen für das Frühstück!“

„Vielen Dank!“, erwiderte A’eron und begleitete den Assistenten des Kommandanten zur Tür; nachdem dieser den Raum verlassen hatte, machte sich A’eron an einem kleinen Gerät neben dem Eingang zu schaffen, worauf sich zunächst die Tür schloss, und nach einigen Aktionen des jungen Mannes eine Stimme verkündete, die Tür wäre nun versiegelt.

„Jetzt kann man unsere Kabine nur betreten oder verlassen, wenn ich dabei bin!“, erklärte er Sara, die weiterhin damit beschäftigt war, den Raum zu begutachten.

Dieser war annähernd quadratisch und recht groß – Sara schätze die Länge einer Wand auf gute sechs bis acht Meter. An der Eingangstür reichte ein kleines Podest zwei Meter in den Raum hinein, dahinter führte eine Stufe auf die zweite, ein wenig tieferliegende Ebene. Fenster gab es keine, jedoch eine zweite Tür, auf welcher ein Symbol prangte. A’eron, der Saras Blick gefolgt war, erklärte: „Das ist die Hygiene-Zelle!“

„Also das Badezimmer!“

„Oder so!“

Bei der Vorstellung einer Dusche, einer Badewanne oder auch nur einer Toilette wurde Sara bewusst, wie schmutzig sie eigentlich unter ihrem Overall war – immerhin war es keine Stunde her, dass sie zuerst durch einen übelriechenden Sumpf geschwommen und anschließend in einer nicht viel saubereren Höhle gefangen war.

„Hast Du was dagegen, wenn ich als erste …“, fragte sie.

„Nein, kein Problem!“, erwiderte A’eron. „Ich werde inzwischen versuchen, den Obelisken zu informieren, sofern mein Funkgerät noch funktioniert!“

Sara nickte knapp und betrat anschließend das Badezimmer; offensichtlich gab es in jenem Gebilde, das A’eron als „Imperium“, bezeichnet hatte, keine Spanner, denn die Verbindung zwischen Wohnraum und Badezimmer stellte wieder eine jener Türen dar, die eigentlich keine waren und die sich nach Berührung in Luft auflösten.

Sara fand sich in einem kleinen, steril wirkenden Zimmer wieder, wo neben einer Toilette, einem Müllbehälter und einer Art Waschbecken auch eine Dusche zu finden war. Zwar wirkten alle Einrichtungen äußerst futuristisch, ähnelten in ihren Grundkonstruktionen doch ihrem irdischen Äquivalent. Sara öffnete ihren Overall (nach einem kurzen Zug an einem reißverschlussartigen Gebilde fiel der ganze Anzug von ihr ab, und sie fragte sich, was wohl passieren würde, wenn irgendeine fremde Person mitten auf dem Marktplatz an diesem Reißverschluss ziehen würde), überlegte kurz, was sie mit ihrem zerrissenen und verdreckten Schlafanzug machen sollte, und warf ihn schließlich kurzerhand in den Mülleimer. Der Anzug leuchtete, noch bevor Sara den Deckel des Eimers wieder geschlossen hatte, kurz grell auf und war dann verschwunden.

Schulterzuckend trat sie anschließend unter die Dusche und stellte erleichtert fest, dass man auch hier nicht allzu weit vom irdischen Stand der Technik entfernt war – zwar modulierte man die Wassertemperatur und die Art des Strahles inklusive Seifen- und Shampoozusatz per Tastendruck auf einem in die Duschwand eingelassenen Monitor, aber ansonsten bestand das Prinzip der Dusche darin, dass Wasser von oben kam und unten wieder verschwand.

Gut zwanzig Minuten stand Sara unter dem heißen Wasser und ließ sich von dem Strahl massieren; eine wohltuende Entspannung breitete sich in ihrem Körper aus. Zusammen mit einer beinahe einschläfernden Geruchsbeimischung führte dies dazu, dass Sara keinen einzigen Gedanken an die Ungeheuerlichkeit ihres Hierseins oder an die Zukunft verschwendete; stattdessen genoss sie die entspannende Behandlung. Als sie die Dusche, dank einiger Düsen in der Kabine trocken und geföhnt, verließ, fand sie in einem Wandschrank so etwas wie selbst-anpassende Unterwäsche, anschließend schlüpfte sie wieder in ihren silbrig-blauen Overall und trat aus dem Badezimmer. In dem Wohnraum fand sie A’eron an einem Tisch sitzend und ein kleines Gerät bearbeitend.

„Klappt es?“, fragte sie ihn, nachdem sie sich auf einen freien Stuhl gesetzt hatte.

„Nein!“, antwortete A’eron und sah kurz von seiner Arbeit auf, um sie anzublicken. Einen kurzen Augenblick lang glaubte sie, einen verzweifelten, irgendwie schuldigen Glanz in seinen Augen zu sehen, dann funkelten seine Augen jedoch wieder mit gewohnter Intensität, und er meinte: „Das Funkgerät funktioniert zwar noch, aber ich kriege keinen Kontakt!“

„Und woran liegt das?“

„Dafür gibt es mehrere Erklärungen! Die wahrscheinlichsten sind Frequenz-Stürme oder ähnliches! Oder aber man blockiert mich absichtlich!“

Sara nickte knapp und sah zu, wie sich A’eron wieder über das Gerät beugte. Fünf Minuten vergingen schweigend, dann blickte er mit zusammengekniffenen Lippen auf und sagte: „Nein, es geht nicht! Ich krieg keinen Kontakt!“

„Was kann man dagegen tun?“

„Gar nichts!“

Sara musste unwillkürlich lächeln, als sie in A’erons zorniges Gesicht sah, und als dieser es bemerkte, huschte ebenfalls ein Lächeln über seine Lippen. Dann wurde er schlagartig wieder ernst.

„Ich glaube, ich schulde Dir ein paar Erklärungen!“, meinte er.

Sara, die nicht wirklich daran geglaubt hatte, dass man ihr erzählen würde, wie die Zusammenhänge und die Gründe ihres Hierseins waren, lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und blickte A’eron halb erstaunt, halb fragend an. Dieser erwiderte einige Sekunden lang ihren Blick und holte dann tief Luft, ehe er begann: „Ich bin kein besonders guter Erzähler, Elexi’ael könnte das alles viel besser! Aber wenn Du jetzt einige Antworten willst, musst Du mit mir vorlieb nehmen!“ Er machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach. „Wie Du bereits festgestellt hast, komme ich nicht von der Erde, also von Terra!“

Sara nickte nur, denn – soweit hatte A’eron durchaus Recht – das wusste sie ja schon, und wie sensationell oder katastrophal diese Erkenntnis auch war: Sara vermutete zu Recht, dass sie noch am einfachsten zu verstehen war.

„Ich komme in Wahrheit von einem Planeten namens Telerion, und diese Welt ist Mitglied im Galaktischen Imperium, das sein politisches und weltliches Zentrum auf dem Planeten Zenit hat!“, fuhr A’eron fort. „Alle Planeten dieser Galaxis mit einer intelligenten Zivilisation haben ihren Sitz im imperialen Senat und müssen sich an die Verfassung halten!“

„Und was ist mit der Erde?“, wollte Sara wissen.

„Terra liegt in der Peripherie der Galaxis, und man hat beschlossen, dass man Planeten, die nicht im direkten Zentralgebiet des Imperiums liegen, so lange vollkommen autark lässt, bis diese von sich aus den interstellaren Raumschiffsverkehr entwickelt haben! Aber lass mal die Verfassung des Imperiums beiseite, das wirst Du alles noch früh genug erfahren! Jedenfalls ist etwas geschehen, was nicht nur aller Leben, sondern die Existenz der ganzen Galaxis in Frage stellt: Eine gewaltige Flotte außergalaktischer Intelligenzen nähert sich der Milchstraße mit eindeutig aggressivem Charakter! Wir stehen unmittelbar vor einem Krieg, der unsere Galaxis völlig vernichten könnte!“

In A’erons Augen blitzte für den Bruchteil eines Herzschlags Angst auf, erlosch jedoch sofort wieder. „Bist Du soweit mitgekommen?“

Wieder nickte Sara und fragte: „Und der Planet hier … Tarminia … der ist schon im Imperiumszentrum?“

„Ja, genau!“, bestätigte A’eron. „Deshalb greift hier auch Myras Einfluss, im Gegensatz zu Terra!“

„Wer ist denn dieser oder diese Myra?“

Nun lächelte A’eron wieder und meinte: „Das hab ich auch nie ganz verstanden! Aber besten soll sie Dir das selbst erklären! Von Myra musst Du im Moment nur wissen, dass sie noch älter als das Imperium selbst ist, und dass sie vor nicht allzu langer Zeit das Netz-Projekt initiiert hat, um ein Instrument der Verteidigung gegen diese Armada zu haben!“

„Zwei Fragen!“, unterbrach ihn Sara, die bislang noch das Gefühl hatte, zu verstehen, was A’eron ihr da sagte und die diese Situation nicht durch Hast vernichten wollte. „Wie alt ist denn das Imperium, und was ist das Netz-Projekt?“

„Die ältesten Aufzeichnungen des Imperiums reichen rund 800 Millionen Jahre zurück, und in ihnen ist bereits von dem Galaktischen Imperium die Rede! Unser Imperium, wie wir es heute kennen, entstand etwa vor 15 000 Jahren!“

„800 Millionen Jahre?“, erschrak Sara. „Aber … wie alt ist denn die Erde? Jünger?“

„Nein, nicht jünger!“, widersprach A’eron. „Terra ist vor rund 4, 6 Milliarden Jahren entstanden! Aber ich gebe Dir Recht, es ist tatsächlich ein unüberschaubar langer Zeitraum!“

Er machte wieder eine Pause und schien sich zu sammeln, ehe er fortfuhr: „Nun zu Deiner zweiten Frage: Das Netz-Projekt! Zahlreiche Phänomene, die unsere Wissenschaftler beobachtet hatten, konnten auf etwas zurückgeführt werden, das wir den Netz-Raum nennen. Es handelt sich dabei um eine Dimension über der, in der unser Universum liegt! Und dieser Netz-Raum ist ungeheuer energiereich. Myra hat vor einer Weile angeregt, dieses Netz zu erforschen und ein Verfahren zu entwickeln, mit dessen Hilfe wir diese Netz-Energie nutzen können – beispielsweise zur Teleportation! Dazu müssen wir bestimmte Mikro-Teilchen auf eine Schwingungsfrequenz von exakt 0,446327 Tron bringen und … aber das ist alles technisch und für Dich nicht so wichtig! Entscheidender ist, dass wir vermuten, Myra hält das Netz für ein probates Mittel, um gegen den Feind von außerhalb vorzugehen!“ Er machte eine kurze Pause und fragte dann: „Bist Du etwas mitgekommen?“

„Ja, einigermaßen! Ich denke, ich muss nicht genau verstehen, was das Netz ist?“

„Nein, brauchst Du wirklich nicht! Vom Netz musst Du nur eine Sache wissen: Dass es überall in der Galaxis Netz-Punkte gibt, an welchen der Netz-Raum mit unserem Universum und unserer Dimension verbunden ist! Merkwürdigerweise gibt es aber auch mindestens fünf Personen, die in ähnlicher Verbindung mit dem Netz-Raum zu stehen scheinen. Ich bin einer davon! Außer mir kennen wir noch Elexi’ael, die Kaiserin, die Hohepriesterin … und Dich!“

Einige Sekunden vergingen, in deren Verlauf sich Sara fragte, weswegen A’eron nicht weitererzählte, bis ihr klar wurde, was er eben gesagt hatte. Sie vertrieb mit einem schnellen Kopfschütteln alle auf sie einstürzenden Gedanken und schaffte es so, einen halbwegs klaren Kopf zu behalten.

„Und was macht mich so besonders?“, fragte sie. „Das ist doch was besonderes, oder?“

„Natürlich!“, bestätigte A’eron nickend. „Und keiner weiß, weswegen es diese Affinität zwischen Netz und einigen Personen gibt, und Myra schweigt sich darüber aus! Sie war es übrigens, die mich zu Dir geschickt hat!“

„Das heißt, ich bin auch der Grund, weswegen Du auf der Erde warst?“

„So ist es! Ich hatte den Auftrag, Dich zu treffen und dafür zu sorgen, dass Du mich zum Obelisken begleitest. Dummerweise erschienen dann die Jäger der Sterbenden Sonne, und als ich in der Eile der Flucht den Netz-Teleporter aktiviert hab, bin ich sofort bei Dir rausgekommen, weil Du ein Ankerpunkt des Netzes bist!“

Sara wiederholte in Gedanken, was A’eron ihr erklärt hatte und stellte erleichtert fest, dass sie ihm noch immer einigermaßen folgen konnte.

„Und wieso sind wir auf Tarminia gelandet und nicht an einem anderen Netz-Anker? Diesem Elexi’ael oder so?“

„Vermutlich ist Tarminia auch ein Netz-Anker, ich weiß es nicht genau! Das sind alles Fragen, die zu klären sind, wenn wir wieder im Obelisken sind! Der Obelisk der Macht ist unter anderem der Regierungssitz des Galaktischen Imperiums und steht auf dem Planeten Zenit!“

Eine letzte Pause erfolgte, dann meinte A’eron: „Das ist im Moment alles, was ich Dir sagen kann! Alle anderen Dinge weiß ich selbst nicht! Noch Fragen?“

Die Angesprochene überlegte eine Weile und meinte dann: „Wisst ihr, um wen es sich bei den Angreifern handelt?“

„Nein, man weiß es nicht!“, antwortete A’eron ernst. „Alle Kontaktversuche sind gescheitert! Aber wir wissen, dass bereits seit Jahren Infiltrationen stattgefunden haben müssen, denn auch im Innern des Imperiums gibt es Kräfte, die gegen uns arbeiten! Beispielsweise muss es einer in der Milchstraße befindlichen Macht gelungen sein, die Jäger der Sterbenden Sonne zu rekrutieren!“

„Und eine solche Gruppe könnte auch Dein Funkgerät lahmlegen!“, mutmaßte Sara und deutete auf das Gerät, das A’eron vorhin bedient hatte.

„Ganz genau! Insgesamt eine prekäre Situation, wenn Du Dich mal in unsere Lage versetzt: Wir stehen kurz vor dem Ausbruch eines Krieges oder sind schon mittendrin, und dann tauchen auf einmal Geheimnisse von Kosmischer Tragweite auf. Es mag sich nun auch furchtbar pathetisch anhören, aber alles deutet darauf hin, dass wir uns an einem Wendepunkt der Kosmischen Geschichte befinden!“

*

Sara saß alleine auf ihrem Stuhl und ließ sich das von A’eron Gesagte noch einmal durch den Kopf gehen. Es gab auf der einen Seite eine außergalaktische Flotte, die im Begriff war, ein galaktisches Imperium anzugreifen, und es gab auf der anderen Seite eben jenes Imperium, das sich dagegen wappnete und deswegen an einem System arbeitete, um das Netz als Energielieferant, als Transportmittel und als sonst irgendwas zu gewinnen. Dieses Netz verband nun einige Punkte in der Galaxis und merkwürdigerweise auch eine Handvoll Personen, ohne dass sich jemand erklären konnte, wie dies möglich war. Und sie, Sara vom Planeten Erde, gehörte zu diesen Personen!

A’eron hatte von einem Wendepunkt der Kosmischen Geschichte gesprochen, und alles deutete darauf hin, dass sie selbst zu den Leuten gehörte, die unmittelbar an diesem Umschwung beteiligt waren.

Das alles klang furchtbar kompliziert und von einer für den menschlichen Geist unmöglich nachvollziehbaren Tragweite; und dennoch klang es richtig, fast normal. Gehörte zu dieser Besonderheit, die sie offenbar ausmachte, auch die Fähigkeit, derartige Dinge sofort und ohne größere Zweifel zu akzeptieren? Oder war es die postmoderne Gesellschaft, in der sie aufgewachsen war, die so viele Zweifel, Nachfragen und Skepsis forderte, dass man manche Dinge einfach glaubte?

Sara kannte die Antwort nicht, aber sie wusste, dass es ihr nicht möglich war, der Realität zu entfliehen.

Eben diese Erkenntnis traf sie, während sie alleine in der Kabine saß, während A’eron, nachdem er sich von ihr verabschiedet hatte, in der Hygienezelle verschwunden war und nun vermutlich duschte. Und über diesen Punkt kamen auch ihre Gedanken nicht hinaus – vielleicht würde sie mehr erfahren, wenn sie Elexi’ael oder Myra, von denen A’eron gesprochen hatte, treffen würde.

Es dauerte nicht lange, bis A’eron wieder zurückkam; er wirkte nicht nur sauberer, sondern auch deutlich entspannter. Ein freundliches Lächeln stahl sich in sein Gesicht, als er vor ihr Platz nahm.

„Und? Alles klar?“, fragte er.

Sara nickte und lächelte ebenfalls; in diesem Augenblick hörte sie ein lautes Geräusch aus Richtung der Tür, und A’eron erhob sich kommentarlos, um zur Tür zu treten. Er legte seine Hand auf den kleinen Monitor neben der Tür, worauf sich diese geräuschlos öffnete.