Das Innere Taijiquan - Frieder Anders - E-Book

Das Innere Taijiquan E-Book

Frieder Anders

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Beschreibung

»Taijiquan ist ein ganzheitlicher Weg zu sich selbst. Es ist Körpertherapie, weil es einen lehrt, die eigene Haltung und Bewegung zu verbessern und dadurch Krankheiten und Beschwerden zu lindern und zu heilen. Es ist Energiearbeit, weil seine Bewegungen den Fluss der inneren Energie Qi freilegen und aktivieren. Es ist praktizierte Spiritualität, weil es die eigene Individualität vom Ich zum Selbst durch die Erfahrung erweitert, Bestandteil des Kosmos zu sein. Es ist ein Weg der Selbstbehauptung, die nicht auf Kosten anderer realisiert wird, sondern mit der Entwicklung eines Spürbewusstseins einhergeht, das gleichermaßen Eigenes und Fremdes zu unterscheiden und anzuerkennen lernt. Es ist ein Weg zur inneren Kraft, die die eigene Aggressivität transformiert und umwandelt in eine reale Kraft, die ohne willkürliche Muskelanspannung und Einsatz des Körpergewichts andere abwehren kann, ohne sie verletzen zu müssen. Es ist ein Weg, ein energetischer Mensch zu werden.« Frieder Anders

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Seitenzahl: 228

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Das Innere Taijiquan

Das Innere Taijiquan

Einführung in den authentischen Yang-Stil für beide Atemtypen

©tao.de in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld

1. Auflage 2011

Autor: Frieder Anders

Umschlagfotos: ©iStockphoto.com – ooyoo, ©Adobe Stock – Robert Kneschke

Lektorat/Korrektorat: Susanne Klein, www.kleinebrise.net

Weitere Mitwirkende: Layout/Satz: Ingeburg Zoschke

Fotos im Innenteil: ©Harry Tränkner

Zeichnungen: ©Rosario Young-Poblete

Berechnungstabellen: ©Bert Aufdemkamp

Verlag: tao.de in Kamphausen Media GmbH, Bielefeld,

www.tao.de, eMail: [email protected]

Herstellung: tredition GmbH, Halenreie 40–44, 22359 Hamburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in

der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN Hardcover: 978-3-96240-496-3

ISBN Paperback: 978-3-96240-495-6

ISBN e-Book: 978-3-96240-497-0

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig.

Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige

Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und sonstige Veröffentlichungen.

Auflage: Unveränderter Nachdruck der völlig überarbeiteten

und erweiterten Neuauflage von 2011.

Inhalt

Vorwort

Einführung

Teil 1 – Theoretische Grundlagen

Erstes Kapitel:

Philosophiegeschichtliche Hintergründe

Zweites Kapitel:

Kosmologie – das ›Taiji‹-Diagramm des Zhou Dunyi

Drittes Kapitel:

Taijiquan und Qigong

Viertes Kapitel:

Religiöser Daoismus – die Schwerkraft und den Tod besiegen

Fünftes Kapitel:

Yang Zhu – den Tod annehmen, das Leben genießen

Sechstes Kapitel:

Zhang Sanfeng – die Überwindung der Schwerkraft

Siebtes Kapitel:

Die Form – im Goldenen Jetzt

Achtes Kapitel:

Taijiquan als Kampfkunst – freundlich gewinnen

Neuntes Kapitel:

Die Geschichte des authentischen Yang-Stils

Zehntes Kapitel:

Die Lehre von den Atemtypen

Elftes Kapitel:

Taijiquan und Atemtypen

Teil 2: Die Form

Zwölftes Kapitel:

AtemtypTaiji für Einatmer/Lunare

Dreizehntes Kapitel:

AtemtypTaiji für Ausatmer/Solare

Anhang

Berechnungstabellen zum Atemtyp

Übersicht der Form (lunar/solar)

Anmerkungen

Literatur

Über den Autor

Vorwort

Taiji (oder Taichi) ist keine Entspannungstechnik. Wird es so verstanden und praktiziert, wirkt es vielleicht entspannend, aber sein Kern, der es so einzigartig macht, wird verfehlt. Entspannung – besser: Lockerheit – ist der Weg, zu diesem Kern zu gelangen, aber nicht das Ziel, um das es geht.

Taiji oder Taijiquan ist ein ganzheitlicher Weg zu sich selbst. Es ist Körpertherapie, weil es einen lehrt, die eigene Haltung und Bewegung zu verbessern und dadurch Krankheiten und Beschwerden, die durch »Fehlhaltung« bedingt sind, zu lindern und zu heilen. Es ist »Energiearbeit«, weil seine Bewegungen den Fluss der inneren Energie Qi freilegen und aktivieren. Es ist praktizierte Spiritualität, weil es die eigene Individualität vom Ich zum Selbst durch die Erfahrung erweitert, Bestandteil des Kosmos zu sein. Es ist ein Weg der Selbstbehauptung, die nicht auf Kosten anderer realisiert wird, sondern mit der Entwicklung eines »Spürbewusstseins« einhergeht, das gleichermaßen Eigenes und Fremdes zu unterscheiden und anzuerkennen lernt. Es ist ein Weg zur inneren Kraft, die die eigene Aggressivität transformiert und umwandelt in eine reale Kraft, die ohne willkürliche Muskelanspannung und Einsatz des Körpergewichts andere abwehren kann, ohne sie verletzen zu müssen. Es ist ein Weg, ein »energetischer Mensch« zu werden.

»Der energetische Mensch empfindet kein Bedürfnis, sich Menschen und Dingen aufzuzwingen und einzuprägen. Er lebt aus dem erregenden Gefühl, dass Menschen und Dinge auf ihn zukommen und ihn ›in das Abenteuer der Erfahrung verwickeln‹ (Sloterdijk). Er liefert sich nicht aus, sondern lässt geschehen. Er stimmt dem zu, was sich ereignet. Er weiß, dass es unmöglich ist, zweimal in denselben Fluss zu steigen (Heraklit), und hält sich frei und verfügbar. Er kommt dem schläfrigen Widerstand zuvor und ist von entspannter Wachheit. Weil er Menschen nicht festhält, gedeihen seine Beziehungen. Weil er nichts erreichen will, gelingt ihm vieles. Er zielt nicht darauf ab, eine originelle Persönlichkeit zu sein; vielmehr liegt ihm an Verständigung und Beziehung. Und doch prägt sich gerade in ihm das Leben auf eigentümliche Art aus.«1

Diese Einzigartigkeit besitzt Taiji nur als »inneres Taiji«. Dieser Begriff, von meinem langjährigen Lehrer, Meister K. H. Chu, für seine Arbeit verwendet und von mir 2004 in der ersten Auflage dieses Buches veröffentlicht, ist ganz konkret zu verstehen.

Begreift man »Taiji« als den höchsten Pol, der Himmel und Erde verbindet – also als Achse vom Erdmittelpunkt zum Polarstern –, dann bedeutet »inneres Taiji«, diese Achse »innen«, also »in sich«, zu haben und mit seiner Körperhaltung Erde und Himmel zu verbinden. »Achse« ist durchaus mechanisch zu verstehen: Um Teil der Weltachse zu werden, müssen Rumpf- und Beinachse zu einer einzigen werden. Im Qigong und der daoistischen Meditation wird der Rumpf aufrecht getragen, damit der »Taiji-Pol«, die Verbindung der Energiezentren (»Dantian«, den Chakren vergleichbar), realisiert werden kann. Beim inneren Taiji geht es darum, den solchermaßen aufrechten Rumpf so mit den Beinen zu tragen, dass eine durchgehende Körperachse (in den jeweiligen Endpositionen) erreicht wird – eben »Taiji«. Gelingt das nicht, bleiben die Bewegungen »äußeres Taiji«, dem die Verbindung von Himmel und Erde fehlt, nicht nur im physikalischen Sinn.

Nach meiner Trennung von Meister Chu 2005 begann ich, die Lehre von den Atemtypen in meine Arbeit zu integrieren, was ohne die Mitarbeit und Unterstützung meiner Schülerinnen und Schüler nicht möglich gewesen wäre. Die Darstellung der Bedeutung der Atemtypen für Taiji – AtemtypTaiji – war das Motiv, dieses Buch zu überarbeiten und in einem erheblich erweiterten Fototeil anschaulich zu machen. Die Einführung und Kapitel 1 bis 9 wurden – mit geringen Korrekturen – beibehalten und in ihrer Aussage, die meinem heutigen Blick entspricht, unverändert gelassen, lediglich die Transkription der chinesischen Namen wurde verändert.

Die Lehre von den Atemtypen wurde vor etwa 60 Jahren von dem deutschen Musiker Erich Wilk formuliert und ist heute als Terlusollogie® bekannt. Sie besagt, dass entweder aktives Einatmen oder aktives Ausatmen der Weg zur eigenen Kraft ist. Die Terlusollogie® unterscheidet zwei konstitutionelle Typen von Menschen, deren Organismus und deren Verhalten in einer erstaunlich deutlichen Abhängigkeit von Sonne und Mond stehen. Gemäß deren Stand zum Zeitpunkt der Geburt wird ein eher sonnenabhängiger, solarer Typ oder sein Gegenstück, ein mehr mondabhängiger, lunarer Typ, bestimmt. Ich habe diese Lehre nicht in das Taiji hineingetragen, sondern die Atemtypen durch eigene Praxis und Quellenstudium darin entdeckt, sozusagen das »ausgegraben«, was immer im Taiji vorhanden war, aber nie systematisch unterschieden und formuliert wurde; die Unterschiede, die auf die Atemtypen zurückzuführen sind, galten und gelten im traditionellen Taiji immer als individuelle Vorlieben.

Mein Dank gilt zunächst Judith Hechler und Daniela Wernli, beide solar und mit großem »Spürbewusstsein« begabt; Judith gab den ersten Anstoß, die Atemtypen in Taiji zu untersuchen, und Daniela wies mich auf die subtileren energetischen Unterschiede der Atemtypen in Taiji hin, die ich in einem späteren Werk darlegen möchte. Ebenfalls Dank gilt Antie Keiser-Kamer, Aleksandra Pavic und Winfried Huthmacher (alle solar) und Matthias Kamer (lunar) für ihre Offenheit und Bereitschaft, ihre Erfahrungen zu kommunizieren, sowie Bianca Breitfeld, Katharina Kadler, Roland Pohl und Florian Siebert (alle solar) sowie den Lunaren Taly Duenas, Marion Schnoor und Andreas Korycik darüber hinaus für ihre Mitwirkung im Fototeil. Auch den Lunaren verdanke ich – als Lunarer – viel für ihr Feedback und ihre Kritik, zuvörderst meinem ersten Meisterschüler (und Zen-Lehrer) Taiji-Meister Klaus Vorpahl, der unsere Arbeit mit seinen im Zen gemachten Erfahrungen bereichert und mit buchhändlerischer Akribie das Literaturverzeichnis aktualisiert hat, sowie meinem zweiten Meisterschüler Andreas Korycik für die Überarbeitung und Sevil Demirsan für die Formatierung der Beschreibungen der Bewegungsabläufe. Dank auch an Harry Tränkner für die Fotos, Rosario Young-Poblete für die Erstellung der Zeichnungen im Übungsteil, Bert Aufdemkamp für Anregungen, die Terlusollogie betreffend, Dr. Hermann Schultz für seine Übertragung der chinesischen Namen der Einzelformen sowie Hans-Kurt Schäfer für die Besorgung der Pinyin-Umschrift der chinesischen Namen im Textteil. Und besonderen Dank an Susanne Klein, Programmleiterin des Theseus-Verlags, für ihre Unterstützung und Anregung meiner – inzwischen drei – von ihr betreuten Projekte. Last but not least Dank an Karin Rumpf, die mir seit Anfang 2010 als Mitarbeiterin der Akademie nicht nur den Rücken frei hält von administrativen Aufgaben aller Art, sondern auch ihren hellen, guten Geist immer von Neuem einbringt.

Der praktische Teil dieses Buches soll als Übungshilfe für den Anfänger, aber auch als Orientierung für Fortgeschrittene dienen und ihnen helfen, ihre Praxis immer neu zu überprüfen. In diesem Sinne ist es als Begleitbuch auf dem Taiji-Weg gedacht, ähnlich wie mein zweites Buch (Anders 2) als rein theoretisches Begleitbuch konzipiert war und diese Rolle jetzt schon 25 Jahre lang ausfüllt. Anderen, die auf der Suche nach dem für sie richtigen Taiji-Stil sind, mag es als Orientierungshilfe dienen. Wer es als Lehrbuch zum Selberlernen ohne Lehrer nutzen möchte, dem sei die Doppel-DVD Das innere Taijiquan aus dem Frühjahr 2011 als Ergänzung empfohlen, und dem, der tiefer einsteigen möchte in das AtemtypTaiji, mein Buch von 2009 (Anders 3).

Frankfurt am Main, im März 2011

Frieder Anders

Einführung

Taijiquan ist ein inneres System (der Kampfkunst): Wenn die Bewegungen richtig ausgeführt und die Prinzipien verstanden werden, dann ist dies Taijiquan. Werden die Bewegungen nicht richtig ausgeführt und die inneren Prinzipien nicht verstanden, dann besteht kein Unterschied zu den äußeren Kampfkünsten, selbst wenn die Bewegungen so aussehen wie Taijiquan.

Dong Yingjie (1898–1961), Yang-Stil-Meister der 4. Generation

Was ist Taijiquan?

Was ist eigentlich Taijiquan (oder Tai Chi Chuan)? Als 1977 mein erstes Taiji-Buch1 erschien, führte es noch die Bezeichnung »Das chinesische Schattenboxen« im Titel. Ein solcher Zusatz war bei diesem ersten deutschsprachigen Lehrbuch unabdingbar, weil sonst zu wenige potenzielle Leser überhaupt gewusst hätten, worum es sich handelt. Das kleine Lehrbuch der VR China, das in deutscher Sprache 1983 erschien, setzte sogar ausschließlich auf den Begriff »Schattenboxen«.2 Diese Bezeichnung ist westlichen Ursprungs: »shadow boxing« wurden Kampfübungen im Boxtraining genannt, die man für sich allein, das heißt ohne Gegner ausführte, den man sich – eben wie einen Schatten – dazu dachte. Heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, ist Taijiquan so verbreitet, dass es der Bezeichnung »Schattenboxen« nicht mehr bedarf. Auch das Taiji-Symbol, auch »Yin-Yang-Symbol«, ist allgemein bekannt.

Der Name »Taijiquan« setzt sich zusammen aus dem philosophischen Begriff »Taiji«, der die höchste Wirklichkeit zum Ausdruck bringen soll und meistens mit »das Höchste Letzte« oder »das Höchste Prinzip« umschrieben wird, und dem Wort »Quan«, welches »Faust« bedeutet und die Übersetzung »Faustkampf« oder »Kampfkunst« zulässt; »Quan« meint aber auch den Ablauf der vorgegebenen Bewegungen – die »Form« – die man im Taijiquan ausführt. Ursprünglich war »Taiji« der Name des »Weltenbaumes«, des Pfeilers, der, fest in der (flachen) Erde verankert, das (gewölbte) Himmelszelt stützt. Auch für das Bild des »Firstbalkens«, der das Dach abschließt und trägt, wurde der Begriff »Taiji« gebraucht, wobei hier die beiden Dachhälften als Beispiele für Yin und Yang, die im Taiji gründen, das Bild noch symbolhafter werden lassen. Taijiquan ist also die Bewegungskunst, die – ursprünglich als Kampfkunst entstanden – nach dem Prinzip des Taiji aufgebaut ist.

Heute

Heute weiß fast jeder, dass diese Zeitlupenbewegungen, die in aufrechter Haltung weich und fließend ausgeführt werden und die man Menschen im Sommer in den Parks machen sieht, Taiji heißen: In jedem größeren Ort in Deutschland gibt es Taiji-Lehrerinnen und -Lehrer. Es wird in Volkshochschulkursen unterrichtet, die guten Zulauf haben, weil es so gut für die Gesundheit sein soll, dass sogar die Krankenkassen einen Teil der Kosten übernehmen; und es gibt eigenständige Taiji-Schulen. In den anderen westlichen Ländern sieht es ähnlich aus.

Diese allgemeine Akzeptanz täuscht leicht darüber hinweg, dass noch viel Unwissen herrscht. Nur wenige wissen, dass es verschiedene Stile des Taijiquan gibt; dass innerhalb eines Stils, beispielsweise des Yang-Stils, viele Varianten existieren; und wenn sie es denn wissen, kennen sie die Unterschiede nicht, wie auch der Unterschied zwischen Taijiquan und Qigong kaum bekannt ist. Deswegen können sich auf diesem Gebiet auch so viele Lehrer tummeln, die nach den Maßstäben des traditionellen Taijiquan selbst noch als Schüler gelten, denn Kriterien dafür, was eigentlich »richtiges« Taijiquan ist, sind nicht bekannt beziehungsweise nicht allgemein akzeptiert. So kommt es dazu, dass die Krankenkassen bis heute nur die Kurse solcher Lehrerinnen und Lehrer bezuschussen, die eine pädagogische oder psychologische (Zusatz-)Qualifikation haben. Nach deren Taiji-Qualifikation wird dabei allerdings nicht gefragt – außer in der Form der Frage nach einer Mindestanzahl von Ausbildungsstunden – und auch nicht danach, ob das eigentlich wirklich gut ist für die Gesundheit, was da gelehrt wird. Und Bezeichnungen wie »authentisches« oder »Inneres« Taijiquan sind, zumindest in ihrer eigentlichen Bedeutung, weitgehend unbekannt.

Diese verwirrende Vielfalt hat im Wesentlichen zwei Gründe: Der eine Grund ist, dass Taijiquan in China im 19. Jahrhundert und im 20. Jahrhundert bis etwa zum Beginn des Zweiten Weltkriegs grundsätzlich – und zwar durch alle Stile hindurch – in zwei Richtungen existierte. Es gab das Taijiquan, das nur innerhalb einer Familie weitergegeben wurde (in die auch wenige nichtverwandte »tudi«, Meisterschüler, aufgenommen wurden), und es gab das Taijiquan für die Öffentlichkeit. Etwas überspitzt formuliert existierten Original und Kopie. Der zweite Grund liegt darin, dass das Taijiquan, wie es heute bei uns existiert, je nach Herkunftsland verschieden aussieht. Stammt es aus China aus der Zeit bis zum Zweiten Weltkrieg, aus Taiwan, Südostasien oder den USA von emigrierten chinesischen »Übersee-Meistern« oder kam oder kommt es aus der Volksrepublik China, die seit 1955 ganz andere Schwerpunkte in der Theorie und Praxis des Taijiquan gesetzt hat? Das macht einen erheblichen Unterschied aus, der sich auch in den verschiedenen westlichen Schreibweisen von »Taijiquan« widerspiegeln kann. In der Literatur vor der Gründung der VR China findet sich meistens »T’ai Chi Ch’uan«, vereinfacht »Tai Chi Chuan«; in der Literatur der VR China heißt es »Taijiquan« (nach der von dieser eingeführten Pinyin-Umschrift).3

Geschichte

Taiji-Historiker – zumal chinesische – unterscheiden zwischen dem historischen und dem mythologischen Zugang zur Geschichte des Taijiquan; dazu kommt noch der »theoretische« Zugang und – in diesem Buch zum ersten Mal thematisiert – die Unterscheidung von Innerem und Äußerem Taijiquan durch den Bezug auf die Atemtypen.

Als Begründer des Taijiquan gilt nach der Mythologie allgemein der Kampf-kunst-Meister und daoistische Weise Zhang Sanfeng, der gegen Ende der Song-Dynastie oder etwas später, also im 13. oder 14. Jahrhundert, gelebt haben soll. Als bestenfalls »halb-historische« Figur wurde er wahrscheinlich in dem Bestreben, einen Ahnherrn für Taijiquan zu finden, aus mehreren historischen Personen »zusammengesetzt«. Das Oszillieren zwischen Historie und Legende ist kennzeichnend für die Patriarchen in China, die politische oder religiöse Reiche begründeten – und davon gab es viele. Das Lebensalter von 114 Jahren, das manchmal für Zhang Sanfeng angegeben wird, ist historisch vielleicht vertretbar, aber 200 Jahre, wie andere Quellen behaupten, gehören sicherlich ins Reich der Legende. In der mythologischen Betrachtungsweise steht Zhang Sanfeng am Ende einer Tradition, die mit dem daoistischen Weisen Laozi beginnt und über den Dichter Xu Xuanping der Tang-Dynastie zu ihm führt.

Der theoretische Ansatz konzentriert sich auf überlieferte Texte, die die Innere Kampfkunst beschreiben. Der früheste stammt aus dem 17. Jahrhundert. Theoretisch ist dieser Ansatz deswegen, weil er die Bewegungsformen der Kampfkunst nicht berücksichtigen kann, denn diese sind unbekannt; es scheint aber sicher zu sein, dass sie wohl keine Ähnlichkeit mit dem heute bekannten Taijiquan gehabt haben.4

Der historische Zugang findet den Ursprung von Taijiquan im Dorf Chen Jiagou in Wen Xian (Provinz Henan), der Heimat der Familie Chen. Von Chen Changxing (1771–1853) gehen die drei bekanntesten Stile aus: sein eigener Chen-Stil, der Yang-Stil, den sein Schüler Yang Luchan (1799–1872) begründete, und der Wu-Stil, der auf Wu Yuxiang (1812–1880) zurückgeht, der ebenfalls ein Schüler der Chen-Familie war.

Historisch greifbar ist Taijiquan also erst seit Beginn des 19. Jahrhunderts. Es waren die Familien-Clans, die es pflegten und entwickelten – vielleicht sogar begründeten – und die klar trennten zwischen den Geheimnissen ihres Stils – seiner Essenz –, die nur hinter der »geschlossenen Tür« der Familie weitergegeben wurden, und den Inhalten, die durch die bestenfalls »halboffene Tür« nach außen, in die Öffentlichkeit gelangen durften, sozusagen »entschärfte« Formen, das heißt ohne die Geheimnisse, mit denen die Innere Energie entwickelt werden konnte.

Der Grund dafür ist leicht nachvollziehbar. Es war in den Kampfkünsten gängige Praxis, einen berühmten Meister herauszufordern, um selber bekannt zu werden, und dieser durfte nicht ablehnen, wollte er nicht sein Gesicht verlieren; von anderen Anlässen, sich zu »duellieren«, deren es genug gab, nicht zu reden. Die Fähigkeit, zu gewinnen, war daher doppelt wichtig: einmal, um die eigene gesellschaftliche Stellung zu bewahren, zum andern, um zu überleben; gingen die Zweikämpfe doch nicht selten, wenn vorher vereinbart, um Leben und Tod. Wer also die Geheimnisse seiner Überlegenheit nicht bewahrte, begab sich in Gefahr.

Seine Blütezeit erlebte Taijiquan im China des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts; es galt als die berühmteste Kampfkunst, weil deren Meister die Fähigkeit besaßen, zu siegen, ohne zu kämpfen: Sie konnten einen Angreifer von sich abprallen lassen, ohne ihn zu verletzen. Es gilt darüber hinaus als die chinesischste aller Methoden der sogenannten Selbstkultivierung; so ist seine Blütezeit auch als Zeichen nationaler Selbstbehauptung im 19. Jahrhundert zu verstehen, als China politische Niederlagen und Demütigungen hinnehmen musste. Auch die Suche nach einer nationalen Identität, die nach 1911 in der neu gegründeten Republik einsetzte, führte verstärkt zur Rückbesinnung auf diese Kunst und deren Verbreitung im gesamten Land, an welcher Yang Chengfu (1883–1936) maßgeblich beteiligt war.

Traditionslinie des Taijiquan

Innen und außen

Zhang Sanfeng gilt nicht nur als der Begründer von Taijiquan, sondern auch als Ahnherr der sogenannten »Inneren Kampfkünste«, die zusammen mit den »Äußeren« die Gesamtheit der Wushu-(Kampfkunst-)Stile ausmachen.

Von den Äußeren Kampfkünsten (Waijia Quan) gibt es in China mehrere hundert Stilarten. Sie gleichen sich darin, dass sie »Auge, Faust und Fuß« trainieren, also den Körper zur Waffe ausbilden, um ihn – reaktionsschnell – im Kampf einsetzen zu können. Im Westen identifiziert man die Äußeren Kampfkünste mit dem Begriff »Gongfu« (Kung Fu).5

Innere Kampfkünste (Neijia Quan) gibt es dagegen nur drei: neben Taijiquan noch Xingyi Quan und Bagua Zhang, die eine bestimmte Art der Inneren Energie entwickeln, welche zur Selbstverteidigung eingesetzt werden kann und die sich grundsätzlich von der Kraft der äußeren Kampfkünste unterscheidet. Die Kraft, die man durch Übung einer Kampfkunst entwickelt, heißt in China »Jin« – egal, ob es sich um die »innere« oder »äußere« Richtung handelt – im Unterschied zur naturwüchsigen »rohen« Kraft, die »Li« genannt wird.

Wie Wolfgang Bauer gezeigt hat6 kann man unter die Begriffe »innen« und »außen« alle Erscheinungen der chinesischen Kultur subsumieren beziehungsweise diesen zuordnen. So bezeichnen die weiteren Definitionen der Begriffe Innere und Äußere Kampfkünste auch die Herkunft der Kampfkunst und bedeuten in diesem Zusammenhang so viel wie »in- oder ausländisch«. Taijiquan ist überwiegend vom Daoismus geprägt, und weil der Daoismus eine ureigene chinesische Lehre ist, wird Taijiquan als »innere«, das heißt in China entstandene Disziplin bezeichnet. Die Äußeren Kampfkünste dagegen entstanden unter dem Einfluss des Buddhismus, der nach der Legende im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung durch den indischen Mönch Bodhidharma (chin. Da Mo) nach China gelangte. Dieser verordnete den Mönchen im Kloster Shaolin Körperübungen als Ausgleich für das lange Sitzen, aus denen dann das »Shaolin Gongfu«, die heute bekannteste Äußere Kampfkunst, entstanden ist. Und schließlich dienen beide Begriffe noch zur Unterscheidung der Stilvarianten, die, wie bereits erwähnt, entweder innerhalb einer Familie oder außerhalb – öffentlich – weitergegeben wurden. Noch andere Deutungen sprechen davon, dass die Inneren Künste innerhalb der Familie – sprich: der Gesellschaft – entwickelt wurden, die Äußeren dagegen außerhalb, das heißt hinter Klostermauern. Klöster, besonders buddhistische, wurden im konfuzianisch geprägten China als etwas Fremdes angesehen.

In diesem Buch bedeuten die Begriffe »inneres« und »äußeres« vor allem die Qualität und Art der Kraft beziehungsweise Energie, die durch die Übung eines Stils entwickelt werden kann. Diese Kriterien mit den Begriffen »Inneres Taijiquan« und »Äußeres Taijiquan« bereitzustellen ist ein Ziel dieses Buches, und hier hat sich die Rolle der Atemtypenlehre als überaus nützlich erwiesen, Klarheit zu schaffen.

Die Meister-Schüler-Beziehung und die Tradition

Die Meister-Schüler-Beziehung in China – und das gilt für alle Disziplinen, in denen Meister ihr Können an Schüler weitergaben – trägt Züge, die für westliches Denken schwer verständlich sind: Der Meister beherrscht nicht nur seine Kunst, sondern besitzt auch absolute Autorität. Pädagogisches Interesse, wie es von einem westlichen Lehrer erwartet wird, ist ihm in der Regel fremd. Er redet wenig, gibt keinen theoretischen Unterricht und vor allem keine Garantie für den Lernerfolg. Fragen beantwortet er, wenn es die richtigen sind; manchmal heißt die Antwort auf die Frage, wie eine Bewegung richtig auszuführen sei, einfach »Ja«.

Seine unantastbare Stellung verdankt der Meister dem Geschichtsverständnis der Chinesen, das Erfolg und Moral verbindet: Erfolgreiche Herrscher der Vergangenheit wurden für moralisch gehalten, erfolglose für unmoralisch. Diese Auffassung geht bis zu den legendären Urkaisern Yao und Shun zurück, die als erhabene sittliche Persönlichkeiten gelten. Es war das Bestreben aller spirituellen Disziplinen wie auch der Kampfkünste, wenn sie denn keinen historischen Begründer hatten, einen solchen Erhabenen zu (er)finden, um ihn als Ahnherrn zu verehren und die eigene Disziplin als besonders hochstehend darzustellen. So sieht die traditionelle chinesische Heilkunst ihren Patriarchen in der halbgöttlichen Figur des legendären Gelben Kaisers, und der Daoismus als Volksreligion machte Laozi zur göttlichen Gründergestalt. In einer solchen Ahnenreihe steht auch der Meister einer Kampfkunst – und deswegen genießt er höchste Autorität. Auch wenn diese inhaltlich nicht mehr gerechtfertigt sein sollte, weil der Meister vielleicht wesentliche Teile der überlieferten Lehre nicht mehr beherrscht, wird sie doch behauptet: Die Zugehörigkeit zum Stammbaum einer Tradition zählt in China so viel – oder vielleicht sogar noch mehr – wie die Lehre selbst.

Es leuchtet ein, dass der kostbare Besitz einer so überlieferten »authentischen« Lehre innerhalb der Familie gehütet wurde. Sie wurde nur an die Söhne des Meisters und an wenige auserwählte Meisterschüler, die quasi »adoptiert« wurden, weitergegeben; Töchtern wurde sie im Allgemeinen vorenthalten, weil der Meister befürchtete, die Tochter – und damit die Geheimnisse seiner Lehre – an ihren Ehemann zu verlieren, wenn diese das Haus verließ, um zu heiraten.7

Hier liegt ein wesentlicher Grund für die Trennung zwischen Innerem und Äußerem Taijiquan. Was innerhalb der Familie gelehrt wurde, war tatsächlich auch – zumindest bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts – Inneres Taijiquan in dem Sinn, dass es Entwicklung und Gebrauch der Inneren Energie lehrte, die große Kräfte freisetzt. Und das, was außerhalb der Familie, in der Öffentlichkeit, praktiziert wurde, war auch Äußeres Taijiquan in dem Sinn, dass ihm das Wissen um die Innere Energie fehlte und es im Kampf äußere Körperkräfte – Muskel- und Schwungkraft – einsetzen musste wie die Äußeren Kampfkünste.

Diese Zuordnung – hier Familie, dort öffentlich – taugte aber bald nicht mehr zur inhaltlichen Unterscheidung von Innerem und Äußerem Taijiquan. Die offizielle Zugehörigkeit zu einer Traditionslinie – also zu einem Familienstil –, die mit der Verleihung des Meistertitels erfolgte, war keine Garantie mehr dafür, ob jemand tatsächlich auch Inneres Taijiquan beherrschte. Denn wegen der starken Konkurrenz untereinander wollten sich viele Meister profilieren und schufen eigene Stile – oder Stilvarianten –, um die eigene Handschrift zu zeigen. Unter Umständen sollte damit auch das Unvermögen kaschiert werden, selbst gar nicht die Innere Energie zu beherrschen – vielleicht weil sie der eigene Meister auch schon nicht mehr beherrscht hatte. Diese neuen Schöpfungen wurden dazu noch mit der eigenen, natürlich einzig wahren Version ihrer Herkunft versehen, die natürlich auf einen – halb historischen, halb legendären – unantastbaren Begründer zurückgeführt wurde. Das alles fügte sich zu einem verwirrenden Puzzle von Stilen, Meistern und Traditionen, aus dem sich jeder Taiji-Adept die Legitimation nehmen konnte und kann, wie er sie brauchte oder braucht.

Innerhalb der Traditionslinie eines Stils gibt es zwar eine gewisse Verlässlichkeit bezüglich der Authentizität eines Stils, denn zum Meisterschüler oder Meister ernannt wurden nur die Schüler, die es auch verdient hatten: entweder indem sie es in ihrer Kunst wirklich zur Meisterschaft gebracht hatten oder wenn sie sich um den Meister »verdient gemacht« hatten; da wurde der Titel denn auch schon mal wegen treuer Dienste vergeben. Im Übrigen war die Verleihung des Meistertitels eher eine Bescheinigung dafür, sich allein in der richtigen Richtung weiterentwickeln zu können, als eine Bestätigung, jetzt endlich vollkommen zu sein. Ob diese Weiterentwicklung dem neuen Meister dann auch gelang, steht auf einem anderen Blatt.

Jin-Kraft

Gibt es denn überhaupt ein Kriterium, die Qualität eines Lehrers oder Meisters einzuschätzen? Ja – die eigene Erfahrung. Zu prüfen ist, welchen Gebrauch jemand von Qi machen kann. »Qi«, ursprünglich Dampf, Luft, Atem, Energie8, ist der wahrscheinlich wichtigste und deswegen auch der am meisten gebrauchte (und missbrauchte) Begriff in Taijiquan. Entscheidend ist, wie es gelingt, aus dem Zusammenspiel von Geist, Körper und Qi die Innere Energie zu entwickeln und sie, als Jin-Kraft, so einzusetzen, dass sie einen Angreifer abprallen lassen kann, ohne ihn zu verletzen. Gelingt das – und wenn auch nur in Ansätzen –, ist es Inneres Taijiquan; gelingt das nicht, weil Muskelkraft oder Schwungkraft eingesetzt werden müssen, um einen Angreifer abzuwehren – zu »entwurzeln«, wie es in Taijiquan heißt –, ist es Äußeres Taijiquan. Für das ungeübte Auge, zumal wenn es nur den Effekt sieht, dass jemand zurückgeworfen wird, scheinen beide Arten gleich zu sein; aber es geht nicht darum, dass jemand irgendwohin geschleudert wird, sondern darum, wie es geschieht – darin wird die Essenz von Innerem Taijiquan deutlich. Hier passt wirklich der abgegriffene Satz vom Weg, der das Ziel ist. Beide Arten der Kraft, die Jin-Kraft und die »schwerfällige« oder »rohe Kraft« Li, die aus angespannten Muskeln und dem Körperschwung kommt, fühlen sich verschieden an und sind so unterschiedlich wie ein Wirbelsturm und eine Axt. Beide »fällen« einen Baum: der Sturm mit seiner Energie und ohne Absicht, es zu tun, und die Axt als Werkzeug der Muskelkräfte eines Menschen, der in fällen will.

Inneres oder »wahres« Taijiquan wird von einem Meister der 4. Generation des Yang-Stils, Chen Weiming (1881–1958), so beschrieben:

»Viele üben heute Taiji, aber es nicht das wahre Taiji. (…) Mit wahrem Taiji ist dein Arm wie Eisen, umwickelt mit Baumwolle. Er ist sehr weich und fühlt sich doch schwer an für jemanden, der ihn zu heben versucht. (…) Wenn du den Gegner berührst, sind deine Hände weich und leicht, aber er kann sie nicht loswerden. Dein Angriff ist wie eine Kugel, die glatt etwas durchschlägt (Gan Cui)9 – ohne Zuhilfenahme von ›schwerfälliger Kraft‹. Wenn er zehn Fuß weggestoßen wird, fühlt er ein wenig Bewegung, aber keine Kraft. Und er empfindet keinen Schmerz … Wenn du (schwerfällige) Kraft einsetzt, kannst du ihn vielleicht bewegen, aber es ist nicht Gan Cui. Wenn er versucht, (schwerfällige) Kraft einzusetzen, um dich zu kontrollieren oder dich wegzustoßen, ist es, als wollte er den Wind oder die Schatten fangen. Überall ist Leere … wahres Taiji ist wirklich wunderbar.«10

Spiritueller Materialismus im Taijiquan heute

Wenn es so schwierig ist, Inneres Taijiquan zu erlernen – einen Meister zu suchen und zu finden, von ihm zu lernen, ihm zu vertrauen, das Gelernte zu verstehen und umzusetzen –, liegt es nahe, es sich einfacher zu machen: viele Meister aufzusuchen, von ihnen zu lernen, das Beste – oder was man dafür hält – mitzunehmen und den großen Einkauf im eigenen Taiji-Supermarkt anzubieten. Diese Einstellung zum Erlernen einer spirituellen Disziplin – vom buddhistischen Lehrer Chögyam Trungpa als »spiritueller Materialismus« bezeichnet – führt vielleicht zum wirtschaftlichen Erfolg als Taiji-Unternehmer, aber nicht zum Kern von Innerem Taijiquan. Welcher ernstzunehmende Lehrer eines spirituellen Weges, zum Beispiel des Zen (chin. Chan), lehrt zwei oder gar mehr Richtungen auf einmal? Jeder vertritt eine Schule, denn nur in dem einen Weg, den man gewählt hat, ist die konsequente Verfolgung des Zieles möglich. Natürlich ist es nicht der allein selig machende, sondern es gibt andere, die ebenso wertvoll sind, und sicherlich sind die einzelnen Wege historisch als Synthesen verschiedener Richtungen entstanden – aber die Zeiten, etwas Vergleichbares erschaffen zu können, sind sicherlich vorbei.11 Yang Chengfu sagte, drei Leben würden nicht ausreichen, Inneres Taijiquan neu zu entwickeln. Wir Heutigen können zufrieden sein, wenn unser einziges Leben ausreicht, den Weg des Inneren Taijiquan so weit zu gehen, dass wir seine Tiefe annähernd erfassen können.

Auf Entdeckungsreise