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Jesse Trevellian ist ein Ermittler, der sich dem Kampf gegen das organisierte Verbrechen verschrieben hat. New York ist seine Stadt und der untrüglicher Instinkt seine schärfste Waffe. Dieses E-Book enthält 11 Romane mit dem smarten Ermittler. Der Umfang entspricht den 2640 Taschenbuchseiten der Original-Printausgaben. Inhalt: Alfred Bekker: Killer ohne Namen Alfred Bekker: Killer ohne Reue Alfred Bekker: Killer ohne Gnade Alfred Bekker: Killer ohne Skrupel Thomas West: Rächer ohne Namen Thomas West: Gangster Rapper Thomas West: Richter und Rächer Thomas West: Die zur Hölle fahren Thomas West: Alte Leichen Thomas West: Milo muss sterben Thomas West: Sound der Hölle
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Seitenzahl: 2845
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Das Jesse Trevellian Thriller Ferien-Paket (11 Romane)
von Alfred Bekker und Thomas West
Dieses Buch enthält folgende Romane
Alfred Bekker: Killer ohne Namen
Alfred Bekker: Killer ohne Reue
Alfred Bekker: Killer ohne Gnade
Alfred Bekker: Killer ohne Skrupel
Thomas West: Rächer ohne Namen
Thomas West: Gangster Rapper
Thomas West: Richter und Rächer
Thomas West: Die zur Hölle fahren
Thomas West: Alte Leichen
Thomas West: Milo muss sterben
Ein CassiopeiaPress E-Book
© 2014 by Authors
© 2014 der Digitalausgabe by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
ISBN 9783956173509
www.AlfredBekker.de
Cover
Titel
Impressum
Alfred Bekker: Killer ohne Namen
Alfred Bekker: Killer ohne Reue
Alfred Bekker: Killer ohne Gnade
Alfred Bekker: Killer ohne Skrupel
Thomas West: Rächer ohne Namen
Thomas West: Gangster Rapper
Thomas West: Richter und Rächer
Thomas West: Die zur Hölle fahren
Thomas West: Alte Leichen
Thomas West: Milo muss sterben
Thomas West: Sound der Hölle
Der gepanzerte Transporter hielt an der rotgestreiften Barriere. Es sah ganz nach einer Vollsperrung aus. Das konnte heiter werden...
"Verdammt, warum hat uns niemand etwas davon gesagt?", knurrte einer der Wachmänner. Er saß auf dem Beifahrersitz. "Was soll das hier?"
"Vielleicht ein Unfall, Billy", meinte der Mann am Steuer.
"Ich frage trotzdem mal in der Zentrale nach."
Links von ihnen hielt ein Chevy, rechts ein Mercedes. Hinter ihnen war ein Lieferwagen. Der gepanzerte Transporter war eingekeilt.
Billy griff zum Funkgerät.
Aber noch ehe er auch nur einen Ton gesagt hatte, sprangen links und rechts bis auf die Zähne bewaffnete Vermummte aus dem Wagen. Nicht mehr als einen schmalen Streifen in Augenhöhe ließen die dunklen Sturmhauben frei. Sie trugen Maschinenpistolen, Pump Guns und Sturmgewehre. Dazu kugelsichere Westen. Fast konnte man von der Ausrüstung her an ein Sondereinsatzkommando des New York Police Departments denken.
Aber dies waren keine Polizisten.
Billy schrie es fast in das Funkgerät hinein.
"Überfall! Etwa zwei Meilen nach dem Ausgang des Lincoln Tunnels Richtung Union City... Zwölf bis fünfzehn schwerbewaffnete Täter."
"Verhalten Sie sich ruhig und gehen Sie kein Risiko ein", kam es aus dem Lautsprecher des Funkgeräts heraus.
"Verstanden", murmelte Billy.
"Versuchen Sie, die Täter hinzuhalten. Wir tun was wir können."
"Ein wunderbarer Trost", erwiderte Billy gallig.
"Wo ist unsere Eskorte?"
"Keine Ahnung. Nicht da, wenn man sie braucht..."
Einer der Gangster fuchtelte mit dem kurzen Lauf seiner Uzi-Maschinenpistole herum. Er signalisierte den beiden Wachmännern auszusteigen.
"Wir bleiben hier ganz ruhig sitzen", erklärte Billy. "Die können uns mit ihren Waffen nichts anhaben..."
Der Transporter hatte ein so stabiles Panzerglas, dass selbst ganze Salven von Maschinengewehrfeuerstößen für die Insassen ungefährlich bleiben würden.
Und auf die Panzerung der Karosserie war Verlass.
Die Türen waren von innen verschlossen.
Einer der Kerle riss jetzt von außen daran. Aber er hatte keine Chance.
Billy grinste. "Denen geht es jetzt wie dem berühmten Affen, der versucht, an das weiche Innere einer Kokosnuss heranzukommen!"
Die Wachmänner würden einfach abwarten, bis die ganze Maschinerie von Polizei und FBI sich in Bewegung gesetzt hatte. Das Gebiet würde weiträumig abgeriegelt. Die Gangster hatten keine Chance. Jede Sekunde bedeutete für sie, dass ihre Chancen erheblich sanken.
Die beiden Wachmänner griffen zu den automatischen Pistolen, die sie in den Gürtelholstern stecken hatten.
"Sie können nichts machen", meinte der Mann am Steuer zufrieden.
Aber dann öffneten sich seine Augen weit vor Entsetzen.
Einer der Gangster hatte sich mit einer Bazooka in Stellung gebracht. Deren Geschosse durchschlugen mühelos die Stahlplatten von Panzerfahrzeugen.
Die beiden Wachleute wurden bleich.
Sie erkannten, dass ihr Verzögerungsspiel jetzt vorbei war. Endgültig. Sie ließen die Waffen sinken und hoben die Hände. Aber offenbar nicht schnell genug.
Die Bazooka wurde abgefeuert. Das Geschoss durchschlug das Panzerglas. Die Fahrerkabine des Transporters verwandelte sich in ein Inferno. Flammen schossen empor. Der Knall der Detonation war ohrenbetäubend und übertönte die Todesschreie der Insassen.
Diese hatten keine Chance.
Wenn sie nicht durch die Explosion förmlich zerrissen worden waren, versengten sie die Flammen.
In die Reihen der Gangster kam Bewegung.
Mit zwei Feuerlöschern wurden die Flammen eingedämmt.
Grauweißer Schaum erstickte das Feuer innerhalb von fünfzehn, zwanzig Sekunden.
Einer der Maskierten half einem Komplizen dabei von vorn, durch die zerstörte Frontscheibe hindurch in die Fahrerkabine zu steigen. Es roch nach verbrannten Leichen und geschmolzenem Plastik.
"Der Schlüssel!", rief der Kerl.
Er warf ihn hinaus, einem Komplizen direkt in die Hand.
Dieser rannte zur Rückfront des Transporters.
Die Tür wurde geöffnet.
Und dann lag endlich das vor ihnen, was sie haben wollten.
Es war eine Kiste aus Stahl, gut gesichert durch mehrere Halterungen. Mit zwei winzigen Plastiksprengstoffladungen wurden sie zersprengt.
Die Kiste war schwer.
Zwei Männer trugen sie hinaus und luden sie in den Kofferraum des Chevys.
Zehn Sekunden später brausten die Vermummten in ihren Wagen davon. Reifen drehten durch und quietschten. Sie fuhren wie die Teufel, denn sie wussten nur zu gut, dass jetzt jeder Cop im Umkreis von fünfhundert Meilen hinter ihnen her sein würde.
Aber ihre Beute war es wert.
Glaubten sie.
*
Der Staat New Jersey gehört zum Zuständigkeitsbereich des FBI-Districts New York. Aber das war längst nicht der einzige Grund dafür, dass das unser Fall war.
Als ich zusammen mit meinem Freund und Kollegen Milo Tucker am Ort des Geschehens eintraf, herrschte dort das blanke Chaos. Die State Police des Staates New Jersey hatte alles weiträumig abgeriegelt. Der McKeeway nach Union City war gesperrt.
Ich ließ die Seitenscheibe meines Sportwagens hinuntergleiten, als man uns an der ersten Straßensperre anhielt.
Ein uniformierter und schwerbewaffneter State Police-Beamter grüßte knapp.
Ich hielt ihm meinen Dienstausweis hinaus.
"Special Agent Jesse Trevellian vom FBI-District New York", murmelte ich dazu.
Mein Gegenüber nickte nur und winkte mich durch.
Ich stellte den Sportwagen irgendwo ab. Wir stiegen aus.
Der überfallene Transporter sah furchtbar aus.
Spurensicherer machten sich bereits überall zu schaffen.
Unser FBI-Distrikt hatte auch eine gute Handvoll Erkennungsdienst-Spezialisten herübergeschickt, um die hiesigen Kräfte zu unterstützen.
Außerdem war da noch ein ziemlich gestresst wirkender Captain der Polizei von Union City, in deren Zuständigkeitsbereich diese Tat bereits lag.
Der Captain hieß Craig, war grauhaarig und etwas untersetzt. Seine Schultern waren breit und gaben ihm ein sehr stämmiges Aussehen.
Er sah sich meinen Ausweis interessiert an.
"Ihnen nach dem, was hier passiert ist, noch einen guten Tag zu wünschen, würde mir unpassend erscheinen, Agent Trevellian", brummte Craig zwischen den Zähnen hindurch. "Kommen Sie, ich zeige Ihnen, was wir bislang haben."
Wir umrundeten den Transporter.
Ein unangenehmer Geruch stieg uns in die Nase.
Bei dem Blick in die Fahrerkabine wurde mir fast schlecht.
Ich habe dem Kampf gegen das Verbrechen mein Leben gewidmet. Und mein Job als G-man bringt es nun einmal mit sich, immer wieder auch dem Tod in vielfältiger Gestalt zu begegnen. Und doch gibt es immer wieder Dinge, die man in den Schlaf mitnimmt. Bilder wie das der beiden schrecklich zugerichteten Wachmänner in diesem Transporter zum Beispiel.
Ich bin hart im Nehmen.
Aber nicht abgestumpft.
"Die Gangster waren sehr gut organisiert", erklärte Craig mit tonloser Stimme. "Sie haben eine Bazooka oder so etwas verwendet. Die beiden armen Kerle hatten nicht den Hauch einer Chance."
Craig ballte die Hände zu Fäusten.
Irgendein Kollege meldete sich über Funk bei ihm. Er zog das Gerät aus der Manteltasche und meldete sich.
Offenbar gab es noch immer keine Spur von den Tätern. Und das obwohl eine Großfahndung eingeleitet worden war. Das konnte eigentlich nur heißen, dass sie eine sehr gute Organisation im Hintergrund hatten, die ihnen beim Untertauchen half.
Ich erwartete, dass wir bald irgendwo auf ein paar Wagen stießen, die sie benutzt und dann irgendwo abgestellt hatten.
Wenn wir Glück hatten, ergaben sich dann ein paar Hinweise.
Wenn wir Glück hatten. Aber die Chancen standen nicht allzu gut, wenn man die Kaltblütigkeit bedachte, mit der sie gehandelt hatten.
Jedes Detail schien genau überlegt und organisiert gewesen zu sein.
Während Craig damit fortfuhr, uns den Tatort zu erläutern, wurde mir das immer klarer.
"Sehen Sie das weißgraue Pulver, Agent Trevellian?"
"Ja. Stammt wohl von einem Feuerlöscher. Sie haben den Brand gelöscht. Warum haben sie das gemacht?"
"Um den Schlüssel an sich zu bringen. Das Schloss der Hintertür verfügt über einen besonderen Schutzmechanismus gegen Sprengungen. Bei Hitzeeinwirkung schmilzt da irgend etwas zusammen und man kann die Tür dann nur noch mühsam aufschweißen. Deswegen haben die auch nicht einfach ihre Bazooka auf die Rückfront gehalten oder versucht, die Tür aufzusprengen. Nein, sie mussten an den Schlüssel..."
"Sie meinen, dass sie diese Details wussten?", mischte sich jetzt Agent Milo Tucker ein.
Craig zuckte die Achseln.
"Haben Sie eine bessere Erklärung? Das mit der Bazooka hatte übrigens auch noch einen anderen Vorteil für diese Killer. Sehen Sie den schwarzen, eingeschmolzenen Klumpen da oben?"
"Ich sehe ihn."
"Das war mal die Videoüberwachungsanlage."
Selbst, wenn die Täter maskiert gewesen waren, ließen sich aus solchen Aufnahmen oft wertvolle Rückschlüsse ziehen.
Auch, wenn von den Gesichtern nichts zu sehen war. In Kalifornien war von den dortigen FBI-Kollegen vor kurzem ein maskierter Bankräuber auf Grund des unverwechselbaren Waschmusters seiner Jeans überführt worden.
Aber wir konnten in diesem Fall auf derartige Hilfe nicht hoffen.
Ich wandte mich von dem schrecklichen Anblick der ausgebrannten Fahrerkabine ab und deutete auf die rotgestreiften Barrieren, die mitten auf die Straße gestellt worden waren.
"Sieht nicht gerade nach einer Baustelle aus, an der viel gearbeitet worden ist", stellte ich fest.
Craig nickte.
"Sie haben vollkommen recht, Agent Trevellian. Das haben die Gangster inszeniert, um den Transport anzuhalten."
"Das bedeutet, dass sie auch über den Zeitplan genau Bescheid wussten, der für den Transporter galt."
"Das ist auch mein Gedanke."
"Ich möchte mir den Wagen gerne von innen ansehen", meinte Milo.
Craig nickte.
"Nichts dagegen."
Er führte uns zur hinteren Tür. Der Schlüssel steckte noch.
Er war verkohlt. Schon daran konnte man sehen, dass er aus der Fahrerkabine geholt worden war.
Craig kramte einen Latexhandschuh aus der Manteltasche, bevor er die Tür öffnete.
Er stieg hinein und deutete mit der ausgestreckten Hand auf eine Stelle am Boden. Zerborstene Halterungen zeugten davon, dass man hier wenig zimperlich vorgegangen war.
"Hier war die Kiste mit den Druckplatten", erklärte der Police Captain. "Mehr als nur eine Lizenz zum Gelddrucken! Wer diese Dinger hat, kann Originalbanknoten der Vereinigten Staaten von Amerika herstellen, soviel er will." Craig deutete mit gestrecktem Zeigefinger im Laderaum des Transporters umher. "Die Halterungen wurden gesprengt... Der Transport wurde übrigens von einer Zivileskorte begleitet, die dem eigentlichen Transport unauffällig folgen sollte. Aber die wurde durch einen - vermutlich provozierten Auffahrunfall aufgehalten..."
Milo sah mich an.
Sein Gesicht war ernst.
"Da muss ein ganz großer Hai dahinterstecken", war er überzeugt. Ich konnte ihm nur zustimmen.
*
26 Federel Plaza ist die Adresse des FBI-Distrikthauptquartiers. Wir saßen im Büro von Special Agent in Charge Jonathan D. McKee, unserem Chef.
Außer Milo Tucker und mir waren noch ein halbes Dutzend weiterer Agenten anwesend. Darunter Ronald Figueira, ein Falschgeldspezialist aus dem Innendienst und Max Carter aus unserer Fahndungsabteilung.
Carter erläuterte uns gerade, wie der Stand der Großfahndung war, die man in vier Bundesstaaten ausgelöst hatte. Leider war das Ergebnis bis jetzt gleich null, wenn man es auf den Punkt brachte.
"Der Wagen war von Queens aus unterwegs. Ausgangspunkt war das Gelände von McGordon Inc., einem kleinen McKee-Tech-Unternehmen, das unter anderem solche hochwertigen Druckplatten in seiner Produktpalette hat. Zielpunkt war eine Druckerei in Newark, die im Auftrag der US-Zentralbank arbeitet."
"Wir werden sehr intensiv nachforschen müssen, in wie weit es in der Druckerei oder bei McGordon Inc. schwache Stellen gibt", meinte Mr. McKee.
"Es muss sie geben", war Carter überzeugt. "Dazu waren die Täter einfach zu gut informiert."
"Was ist mit den Wachleuten?", fragte ich.
"Soweit wir wissen, sind das zuverlässige Sicherheitsbeamte, die über jeden Zweifel erhaben scheinen", erwiderte Carter. "Sowohl diejenigen, die das Pech hatten mit im Transporter zu sitzen als auch die Leute von der Eskorte scheinen über jeden Zweifel erhaben..."
"Auch das werden wir genau überprüfen müssen", kündigte Mr. McKee an. Er sah sich um, blickte von einem G-man zum anderen. "Dieser Fall hat absolute Priorität. Denn, wenn der FBI nicht sehr schnell und sehr gut ist, werden uns die Täter durch die Lappen gehen. Und dann ist es nur noch eine Frage der Zeit, wann irgendwo eine Geldfabrik zu arbeiten beginnt, die Dollarnoten herstellt, die von niemandem mehr von echten Scheinen zu unterscheiden sind!"
Wir waren uns alle über den Ernst der Lage im Klaren.
"Ich werde mal die Reihe unserer Informanten abklappern", meinte Agent Clive Caravaggio. Der flachsblonde Italo-Amerikaner kratzte sich am Hinterkopf. "Wäre doch gelacht, wenn nicht der eine oder andere in Little Italy etwas von diesem Coup gehört hätte!"
"Sie tippen auf die Mafia?", fragte Mr. McKee.
Caravaggio zuckte die Achseln.
"Es war doch hier immer von einer schlagkräftigen Organisation die Rede! Die Mafia mag etwas in die Jahre gekommen sein, aber was die Organisation angeht, ist sie anderen Syndikaten immer noch meilenweit voraus!"
"Falschgeld ist eigentlich nicht gerade das traditionelle Betätigungsfeld der Mafia", gab Mr. McKee zu bedenken.
Caravaggio beugte sich etwas vor. "Ihr Betätigungsfeld liegt immer da, wo es großen Gewinn gibt..."
"Und wenig Risiko", gab ich zu bedenken. "Wenn wirklich die Mafia dahinterstecken würden, hätten wir vermutlich im Vorfeld irgend etwas gehört. Hinweise, Gerüchte... irgendetwas."
Mr. McKee sah mich nachdenklich an, dann wandte er sich an Caravaggio. "Versuchen Sie es, Clive! Immerhin ist die Mafia eine der wenigen in Frage kommenden Organisationen, die so etwas überhaupt auf die Beine stellen könnte! Außerdem müssen wir natürlich die bekannten Adressen in der Falschgeldszene abklappern..."
Jetzt meldete sich Agent Orry Medina zu Wort, ein G-man indianischer Herkunft, der durch seine ausgesucht edle Garderobe auffiel. "Wenn wir jeden unter die Lupe nehmen, der in dieser Hinsicht mal auffällig geworden ist und zur Zeit frei herumläuft, brauchen wir viel zu lange, um den Tätern noch gefährlich werden zu können!"
"Keine wahlloses Überprüfen", korrigierte Falschgeldspezialist Figueira. "Ich habe nach bestimmten Kriterien eine Vorauswahl getroffen... Es könnte gut sein, dass die Druckplatten in der Szene irgendwann angeboten werden und dann müssen wir zur Stelle sein. Schließlich sind die Dinger nicht geraubt worden, um sie in einem Safe versauern zu lassen."
Ich hoffte nur, das Figueira damit recht hatte.
Ein bisschen Zweckoptimismus war sicher auch dabei. Denn, wenn sich wirklich jemand dazu entschloss, die Platten einfach für ein paar Jahre wegzuschließen, sah es für uns unter Umständen nicht gut aus.
Aber vielleicht hatten wir ja Glück, und einer der Täter lief in das weitgespannte Netz, das der FBI im Verbund mit den Staatspolizeien von New York und New Jersey gezogen hatte. Straßenkontrollen an den Highways und Bundesstraßen gehörten dazu ebenso wie eine Überwachung der Flughäfen.
Ein Netz, das uns Fahndungsspezialist Max Carter im Anschluss eingehend erläuterte.
Uns rauchten die Köpfe, als schließlich Mandy, die Sekretärin unseres Chefs, für eine angenehme Unterbrechung sorgte. Sie brachte uns ein Tablett mit dampfenden Pappbechern herein. Mandys Kaffee war im gesamten FBI-Hauptquartier eine Legende.
*
Milo und ich fuhren nach Queens. Das Gelände von McGordon Inc. lag an einer Sackgasse, bei der sich niemand die Mühe gemacht hatte, ihr einen Namen zu geben. Strenggenommen war es überhaupt keine öffentliche Straße, sondern ein Privatweg, der der Firma gehörte.
Wir mussten mehrere Schlagbäume passieren. Jedesmal wurden unsere FBI-Ausweise einer intensiven Prüfung unterzogen.
"Als würden die den Schatz von Fort Knox bewachen", scherzte Milo.
Der eigentliche Komplex war mit einem hohen Zaun abgesperrt. Düster dreinblickende Uniformierte patrouillierten auf und ab. Mannscharfe deutsche Schäferhunde wurden an kurzen Leinen geführt. Es beruhigte mich zu sehen, dass sie Maulkörbe trugen.
Wir stellten den Sportwagen auf einen Mitarbeiterparkplatz und stiegen aus.
Eine wasserstoffblonde Schönheit erwartete uns mit geschäftsmäßigem Lächeln.
Sie reichte mir die zierliche Hand mit rotlackierten Nägeln - passend zu ihrem engsitzenden Kostüm.
"Mein Name ist Janet Larono. Ich bin die Pressesprecherin von McGordon Inc. und verantwortlich für die Öffentlichkeitsarbeit."
"Jesse Trevellian, FBI", sagte ich. "Dies ist mein Kollege Milo Tucker..."
"Ja, Sie wurden bereits erwartet..."
"Allerdings weiß ich nicht, ob Sie der richtige Gesprächspartner für uns sind", wandte Milo ein. "Nichts gegen Ihre Arbeit, aber es geht hier nicht darum, etwas an die Öffentlichkeit zu verkaufen."
Janet Larono hob die Augenbrauen. Sie ließ sich nicht anmerken, ob sie beleidigt war.
"Ich kann Ihnen versichern, dass ich durchaus in der Lage bin, Ihnen zu helfen. Ich bin instruiert worden, Sie überall dort hinzuführen, wo Sie hinwollen..."
"Das ist gut", sagte ich. "Uns interessiert vor allem der organisatorische Ablauf bei der Vorbereitung des Transports. Seit wann standen Zeitpunkt und Fahrtroute fest?"
"Das werden wir klären können, Mr. Trevellian", erwiderte sie.
"Nennen Sie mich ruhig, Jesse."
Vielleicht war das Lächeln, das ich dieser Schönheit geschenkt hatte, etwas zu nett. Jedenfalls war ihre Erwiderung kühl wie ein Gefrierschrank.
"Ich will Ihnen gleich sagen, dass Ihr Charme an dieser Stelle verschwendet ist, Mr. Trevellian."
"Ach,ja?"
"Ich halte Beruf und Privatleben strikt auseinander."
"Ich wollte nur freundlich sein!"
"Dann ist es ja gut."
"Hören Sie, Janet..."
"Nennen Sie mich lieber Miss Larono."
"...könnte es sein, dass jemand anderes in Ihrem Unternehmen diese Trennung nicht so genau nimmt?"
"Was meinen Sie damit?"
"Die Täter waren sehr gut informiert. Sie wussten Details, die eigentlich nur jemand wissen konnte, der an der Quelle sitzt!"
Sie zeige mir ihre wunderschönen Zähne, als sie erwiderte: "Was glauben Sie, worüber sich hier jeder Gedanken macht, Mr. Trevellian?"
*
Officer Cameron von der New Jersey State Police schob sich die Mütze ein Stück in den Nacken. Er schwitzte erbärmlich unter seiner kugelsicheren Weste. Die Maschinenpistole vom Typ Heckler und Koch hing ihm an einem breiten Riemen über der Schulter.
"Die Kerle sind doch längst über alle Berge", war sein Kollege, Officer Brent überzeugt, der eigentlich seinen verdienten Urlaub hatte nehmen wollen und von seinem Vorgesetzten in letzter Sekunde zurückgepfiffen worden war.
Ein weißer Golf fuhr langsam an die Straßensperre heran, die die Interstate in Richtung Pennsylvania blockierte.
Ein gutes Dutzend State Police-Beamte waren schwer bewaffnet in Stellung gegangen und kontrollierten jeden Fahrer. So gründlich wie möglich durchsuchten sie die Wagen nach Waffen oder anderen Gegenständen, die vielleicht mit dem Überfall auf den Druckplatten-Transport in Verbindung stehen konnten.
Die Gangster waren ja in alle Richtungen davongebraust.
Bei irgendeinem von ihnen war die Beute.
Der Golffahrer trug eine dunkle Sonnenbrille. Er wirkte ziemlich mürrisch.
Als er ziemlich hektisch unter seine Jacke griff, um seine Papiere herauszuholen, wurden gleich mehrere Maschinenpistolen durchgeladen. Das Geratsche ließ den Mann erstarren.
Ganz langsam zog er dann seinen Führerschein heraus.
"Sie müssen schon entschuldigen", meinte Officer Cameron dann, nachdem er die Papiere überprüft und den Kofferraum durchsucht hatte. "Die Kerle, auf die wir scharf sind, haben eine Bazooka..."
"Schon gut", sagte der Mann. "Ich habe von der Sache im Radio gehört!"
Cameron winkte ihn durch.
Dann kam ein Mercedes.
Zwei Männer saßen darin.
Baseballmützen und Sonnenbrillen mit Spiegelgläsern ließen von ihren Gesichtern so gut wie nichts übrig, woran man sie identifizieren konnte.
Die beiden wirkten nervös. Ein heftiger Wortwechsel ging zwischen ihnen hin und her. Cameron konnte davon keine Silbe verstehen. Er sah nur die Gesten.
Der Wagen kam heran.
Cameron klopfte an die Scheibe der Beifahrertür. Langsam glitt sie hinunter.
"Führerschein und Zulassung bitte. Und setzen Sie Sonnenbrille und Mütze ab..."
Der Fahrer suchte in seinen Taschen, während Officer Brent von außen die Tür öffnete. Die Maschinenpistole hatte der State Police-Mann im Anschlag.
"Hier ist der Führerschein", sagte der Fahrer schließlich und reichte ihn Brent.
"Sie sind Jay Wilbur?" fragte Brent.
"Ja." Er setzt seine Brille und die Baseballmütze ab. "Gibt bessere Fotos von mir, denke ich!"
"Was ist mit der Zulassung?", fragte Brent.
"Ich weiß nicht, ich dachte, ich hätte sie in den Führerschein gelegt... Vielleicht im Handschuhfach..."
Der Beifahrer beugte sich vor, um das Handschuhfach zu öffnen. Aber Cameron hielt ihn davon ab. "Zurück! Steigen Sie aus, das machen wir!"
Brent wandte sich an den Fahrer: "Sie auch, Mr. Wilbur! Ziehen Sie den Schlüssel ab und geben Sie ihn mir!"
Die beiden stiegen aus.
Wilbur gab Brent den Schlüsselbund.
"Welcher ist für den Kofferraum?"
"Der mit dem schwarzen Rand!"
Brent warf ihm einem Kollegen zu, der nach hinten ging, um die Klappe zu öffnen.
"Das Gesicht zum Wagen, die Hände auf das Dach", sagte Brent. Wilbur gehorchte. Der Beifahrer stand ihm auf der anderen Seite gegenüber, ein Officer hinter ihm. Cameron öffnete derweil das Handschuhfach.
Dort war nichts, außer einem Funktelefon.
Jetzt meldete sich der Officer zu Wort, der den Kofferraum geöffnet hatte.
"Seht euch das an!", rief er, nachdem er etwas darin herumgekramt hatte. "Eine Bazooka!"
*
Sekundenbruchteile war Officer Brent abgelenkt. Der Schlag kam mit unwahrscheinlicher Geschwindigkeit. Ein mörderischer Handkantenschlag in die Halsgegend - geführt, als wäre die Hand eine messerscharfe Klinge. Jay Wilbur hatte seine volle Kraft in diesen Schlag gesetzt. Ein hässliches, knackendes Geräusch wurde von dem Ächzen übertönt, das aus Wilburs Mund kam.
Während Officer Brent mit starren Augen und unnatürlich abgewinkeltem Kopf zu Boden sackte, riss Wilbur dem Toten die MPi aus den Händen. Eine Sekunde später feuerte er wild drauflos.
Zwei State Police Beamte zuckten unter den Feuerstößen zusammen, die aus der MPi herauskrachten. Die Projektile rissen die Einsatzjacken auf, fraßen sich in die kugelsicheren Westen. Ihre Wucht war dennoch immens. Einer der Officers taumelte zurück und riss dabei seine eigene Waffe hoch. Rot züngelte das Mündungsfeuer aus dem kalten Lauf.
Aber der Schuss ging dicht über Wilbur hinüber.
Den etwas weiter rechts stehenden Officer erwischte es am Kopf.
Wilbur duckte sich, während der Feuerstoß einer Polizeiwaffe in seine Richtung ging. Die Kugeln ließen die Scheiben zerspringen und stanzten Löcher in das Blech.
Wilbur hechtete in den Wagen und zog die Tür hinter sich zu. Seinen Beifahrer hatten die Cops. Jedenfalls sah Wilbur nichts von ihm. Und die Officers, die auf der Beifahrerseite des Mercedes gestanden hatten, hatten sich ganz offensichtlich in Sicherheit gebracht.
Wilbur lud die MPi durch.
Keiner würde ihn kriegen!
Keiner!
Erst jetzt bemerkte er das Blut an der Schulter. Er fluchte lautlos.
Das Puls ging ihm bis zum Hals.
"Kommen Sie mit erhobenen Händen heraus!", dröhnte von draußen ein Megafon. "Sie haben keine Chance!"
Wilbur verzog das Gesicht zu einer wölfischen Grimasse.
Er dachte gar nicht daran, aufzugeben.
Wilburs griff ging an die Verkleidung unterhalb des Lenkrades. Er riss sie einfach heraus. Mit geübten Bewegungen zog er die entscheidenden Kabel heraus. Er schloss den Wagen kurz. Der Motor sprang an und übertönte das Megafon, das ihn noch einmal zum Aufgeben aufforderte.
Wilbur drückte den Schalthebel des Automatikgetriebes in die Position D.
Dann trat er mit dem Fuß das Gaspedal voll durch.
Der Mercedes schoss vorwärts.
Wilbur musste blind fahren.
Den Straßenverlauf schätzte er grob aus der Erinnerung.
Mit einer Hand lenkte er, während die andere die MPi umklammert hielt.
Wie ein Geisterwagen schoss der Mercedes auf die Barriere zu. Die State Police Officers sprangen zur Seite, während die rotgestreifte Sperre durch die Luft geschleudert wurde.
Wilbur tauchte hoch, hielt mit einer Hand die Maschinenpistole empor und ließ die Waffe losknattern.
Die Projektile pfiffen durch die zersprungene Scheibe.
Der Mercedes jagte indessen in seiner Höllenfahrt vorwärts.
Aber nur noch wenige Sekunden lang.
Ein Ruck ging durch den Wagen.
Ein Knall!
Wilbur verlor die Kontrolle über den Wagen. Ein schleifendes Geräusch ertönte. Der Geruch von verbranntem Gummi erfüllte die Luft.
Wilbur hatte eine Wegfahrsperre überfahren.
Spitze Metalldornen hatten sich in die Reifen gebohrt. Der Wagen rutschte schräg über die Straße und krachte dann gegen einen der Einsatzwagen der State Police.
Wilbur schlug mit dem Kopf hart auf.
Etwas benommen erhob er sich.
Einer der State Police-Männer war bereits mit der Waffe im Anschlag an den Mercedes herangestürmt.
"Fallenlassen!", brüllte dieser.
Wilbur ließ die MPi nicht fallen. Er riss die Waffe hoch und ließ seinem Gegenüber keine Wahl. Die Kugel traf Wilbur im Oberkörper. Er selbst hatte fast gleichzeitig gefeuert.
Das Projektil war oben an der Dachkante durch das Blech gefetzt. Etwa eine Handbreit am Kopf des State Police-Beamten vorbei.
*
Janet Larono hatte uns in die Personalabteilung geführt. Wir gingen zusammen mit Personalchef Duane Jennings die Daten jener Mitarbeiter durch, die in den sicherheitsrelevanten Bereichen beschäftigt waren. Insbesondere interessierte uns natürlich, in wie weit sie Zugang zu den Einsatzplänen hatten, die für die Transporte existierten.
"Wir gehen da auf Nummer sicher", erläuterte uns Duane Jennings, ein ergrauter Mitvierziger, der ziemlich ratlos wirkte. "Einzelheiten werden immer erst festgelegt, kurz bevor es losgeht. Selbst die begleitenden Sicherheitsleute wissen nicht, wann es losgeht oder was sie transportieren."
"Solche Transporte scheinen häufiger vorzukommen", meinte ich.
"Wir sind eines der wenigen Unternehmen in unserer Branche, das diesen Standard aufweist. Das der Dollar immer noch eine relativ leicht zu fälschende Währung ist, liegt nicht an uns, sondern an der Regierung, die einfach kein Geld für wirklich innovative Neuerungen hat." Jennings redete sich geradezu in Rage. "Aus Sicherheitsgründen wäre ein Austauschen sämtlicher Dollar-Noten längst überfällig. Aber wer will das bezahlen."
"Allerdings."
"Wir bieten unsere Technologie übrigens weltweit an. Einige südamerikanische und asiatische Länder lassen ihr Geld mit unseren Verfahren drucken und wir warten auch die Druckanlagen. Wir hatten sogar schon Anfragen aus den ehemaligen GUS-Staaten, von denen ja jetzt jeder sein eigenes Geld produziert. Naja, Sie können sich denken, dass wir da eben ab und zu kostbare Teile hin- und hertransportieren müssen."
"Ist das kein immenses Risiko?"
"Es sind ja nicht jedesmal komplette Druckplatten. Manchmal auch elektronische Bauteile, mit denen höchstens die Konkurrenz etwas anfangen könnte. Aber bis jetzt haben wir nie Probleme gehabt, Mr. Trevellian."
"Doch diesmal hat jemand genau Bescheid gewusst und entsprechend zugeschlagen", gab ich zu bedenken. "Und wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann hätte es den Gangstern auch wenig gebracht, einfach nur irgendeinen ihrer Transporte zu überfallen, weil das transportierte Gut dann zumindest für sie - wertlos gewesen wäre."
"Das ist richtig." Duane Jennings nickte nachdenklich.
"Haben Sie irgendeine plausible Erklärung dafür?"
"Nein."
In diesem Moment ertönte ein Summton. Jennings schaltete die Gegensprechanlage seines Büro ein.
"Ich habe doch gesagt: Keine Störung!", fauchte er.
"Mr. Jennings, es gibt Schwierigkeiten", säuselte eine Sekretärinnenstimme, der man die Verwirrung deutlich anhörte.
"Hier ist Mr. Reilly von der EDV... Es scheint da ein Problem zu geben..."
*
Reilly war noch einen ganzen Kopf größer als ich, blassgesichtig und trug eine ziemlich dicke Brille.
"Es scheint so, als hätte jemand an unserer EDV herummanipuliert", erläuterte er. "Jedenfalls ist eine E-Mail abgeschickt worden, kurz nachdem der Einsatzplan für den Transport eingegeben wurde."
"Können Sie nicht ermitteln, wer von den Mitarbeitern zu der Zeit im System war?", fragte ich.
"Sicher, das ist möglich."
"Gut. Sie werden verstehen, wenn wir die befragen würden. Ich schlage vor, Sie rühren das System jetzt nicht mehr an."
"Aber..."
Reilly schien davon nicht begeistert zu sein.
"Der FBI verfügt über Computerspezialisten. Lassen Sie unsere Leute da heran. Dann haben wir vielleicht eine Chance, zu rekonstruieren, was passiert ist!"
In diesem Moment klingelte das Handy in Milo Tuckers Jackentasche. Er holte das Gerät heraus, nahm es ans Ohr und sagte ein paarmal "Ja."
"Und?", fragte ich, nachdem das Gespräch beendet war.
"Die New Jersey State Police hat zwei Kerle gefasst, die eine Bazooka im Kofferraum hatten. Einer der beiden starb bei einem Feuergefecht, aber der zweite Mann lebt."
Immerhin, dachte ich. Das sah endlich nach einem Anfang in diesem Fall aus.
*
Die meisten Leute wohnen in Queens, um in Manhattan zu arbeiten. Bei Nathan Reilly war es umgekehrt und damit gehörte er zu einer Minderheit. Der Top-Job, den er bei McGordon Inc. innehatte, sorgte dafür, dass er sich eine Wohnung am Central Park West leisten konnte. Nicht gerade ein Penthouse, aber die Aussicht war auch aus dem 9.Stock traumhaft genug.
Es war später als gewöhnlich.
New York war bereits zu einem Lichtermeer in der Dunkelheit geworden.
Reilly passierte den Security-Mann am Eingang dieses Mietshauses. Nur die wirklich guten Adressen leisteten sich diesen Luxus noch. Zumeist wurden die Sicherheitsdienste durch elektronische Überwachungsanlagen verdrängt.
"Guten Abend, Mr. Reilly!"
"Hallo, Jordan! Wie geht's?"
"Ich beneide Sie, Sir. Sie haben schon Feierabend, mein Dienst beginnt erst."
Reillys Lächeln war matt. Die Erlebnisse des heutigen Tages waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen.
Er nahm den Aufzug.
Wenig später stand er dann vor seiner Wohnungstür.
Sie war nicht abgeschlossen.
Reilly runzelte die Stirn. Er öffnete die Tür und trat ein.
Die Wohnung war sehr großzügig - zumal für einen Single.
Und für New Yorker Verhältnisse ohnehin, wo jeder bewohnbare Quadratmeter einer Wertanlage gleichkam.
Reilly durchquerte das Wohnzimmer. Seine Aktentasche legte er auf einen der weichen, etwas klobigen Sessel.
Die Tür zum Schlafzimmer stand einen Spalt breit offen.
Dahinter war es dunkel.
Reilly lockerte sich die Krawatte und schob sich die dicke Brille wieder den Nasenrücken hinauf.
Dann ging Reilly zur Schlafzimmertür. Er gab ihr einen Stoß, so dass sie sich vollkommen öffnete.
"Hallo, Darling!"
Die rauchige, tiefe Frauenstimme wirkte elektrisierend auf Reilly.
Er machte einen Schritt nach vorn.
Auf dem breiten Bett räkelte sich im Halbdunkel eine aufregende Schönheit. Die langen Stiefel reichten ihr bis zur Hälfte der Oberschenkel. Der schwarze Lederfummel den sie trug, ließ die Körpermitte frei. Die wenigen Fetzen, mit denen sie bekleidet war, schmiegten sich geradezu perfekt an ihre aufregende Formen.
Ihr Blick hatte etwas Herausforderndes.
Eine Strähne ihrer blauschwarzen Mähne befand sich zwischen ihren großen, sinnlich wirkenden Lippen.
"So magst du mich doch am liebsten, oder Darling?", hauchte die Leder-Lady.
"Ja...", murmelte Nathan Reilly kaum hörbar. Er musste schlucken. Der ganze verdammte Tag bei McGordon Inc. war für ein paar Augenblicke vergessen. Mein Gott, dachte er.
Die Leder-Lady zog einen Schmollmund.
"Ich musste lange auf dich warten, Darling."
"Ich weiß, Baby... Ich weiß..."
"War irgend etwas Besonderes?"
"Es gab Probleme in der Firma!"
"Was denn für Probleme?"
"Unwichtig, Baby!"
"Komm schon, öffne dein Herz, Darling."
Reilly kam näher. Ein Schritt noch trennte ihn von dem breiten Bett und dieser Traumlady. Reilly registrierte, dass ihre Brüste das knappe Lederteil um ihren Oberkörper beinahe zu sprengen drohten.
Und dann blieb der Computerfachmann von McGordon Inc. abrupt stehen.
Mit einer blitzschnellen Bewegung hatte die Leder-Lady etwas metallisch Aufblinkendes in der Hand.
Eine Pistole.
Der kalte Lauf war so blank, dass man sich darin spiegeln konnte. Und die Mündung war direkt auf Reillys Körper gerichtet.
Ein teuflisches Lachen ging über die dunkelrot geschminkten Lippen der Leder-Lady.
"Setz dich, mein Guter," säuselte sie.
"Ja..."
Reilly gehorchte wortlos.
Die Leder-Lady lachte schrill.
"Na, los, mach schon!" forderte sie ihn dann auf.
Reilly langte in seine Hemdtasche. Er holte ein Päckchen Zigaretten heraus und nahm sich eine heraus. Seine Finger zitterten leicht. Er steckte sie sich in den Mund. In den Augen der Leder-Lady blitzte es.
"Na, endlich, Darling," hauchte sie.
Und drückte ab.
*
Die Leder-Lady atmete tief durch. Ihre Brüste hoben und senkten sich dabei. Sie richtete sich vollends auf und lächelte zufrieden, als die Flamme aus dem Revolverlauf schlug.
Reilly beugte sich etwas nieder, so dass die Zigarette an die Flamme kam.
Dann nahm er einen tiefen Zug.
"Die eigenen vier Wände - einer der wenigen Orte an denen man in New York diesem Laster noch frönen darf", meinte er.
"Du solltest es dir trotzdem abgewöhnen", erwiderte die Leder-Lady.
"Ja, ja..."
"Ist auch schlecht für die Liebe, Darling."
"Wenn mich nichts anderes umbringt, bin ich zufrieden, Baby."
"Tja, wer kann das schon garantieren", murmelte die Leder-Lady mehr zu sich selbst als zu ihrem Darling.
Sie erhob sich und stand auf.
Reilly verschluckte sich fast, als er die schwindelerregende Silhouette ihrer Figur sah.
Ihr Blick war auf die silberfarbene Pistole gerichtet.
"Ein hübsches Feuerzeug, was du da hast", meinte sie und richtete den Lauf erneut auf Reilly. Sie drückte ab, ließ das Feuer herausschießen und warf dem Computerspezialisten dann das Spielzeug zu. Reilly fing es mit Mühe auf.
Dann lehnte er sich zurück.
Die Leder-Lady begann, an ihren Sachen herumzunesteln.
"Was machst du da?", fragte Reilly.
"Na, wonach sieht's denn aus, Darling?"
Ein Teil nach dem anderen glitt zu Boden, bis sie schließlich nur noch die hohen Stiefel trug. Nichts sonst.
Ihr aufregender Körper schimmerte im Gegenlicht. Reilly sah ihr fasziniert zu.
Dann beugte sie sich über ihn. Ihre aufregenden Brüste wippten dabei auf und nieder.
Sie packte ihn an der Krawatte.
"Darling, du erzählst mir jetzt, was in der Firma war..."
"Später, Baby! Später..."
"Nein, jetzt! Solange das nicht 'raus ist, kannst du dich sowieso nicht richtig entspannen, Nathan!"
Reilly atmete tief durch.
Ihre Augen funkelten ihn an.
"Na, los!", forderte sie.
Sie saß jetzt rittlings auf seiner Körpermitte.
"Du hast sicher von dem Überfall gehört... Auf den Transport, der Druckplatten zur Produktion von Dollarnoten in eine Druckerei nach Newark bringen sollte..."
"Die kamen aus eurem Laden?", fragte die Leder-Lady.
"Ja." Reilly hatte Schweißperlen auf der Stirn. Er starrte erst einen Augenblick auf ihre Brüste, dann in ihr Gesicht.
"Mein Gott, der FBI war bei uns. Wir sind nacheinander verhört worden. Die Gangster wussten genauestens Bescheid... Und dann stellte sich noch heraus, dass jemand an unserer EDV
herummanipuliert hat."
"Ach! Jemand von euch?"
Reilly schüttelte den Kopf. "Jemand von außen... Aber eigentlich ist das unmöglich..."
"Wieso? Hacker sind doch auch in die Zentralcomputer des Pentagon gelangt!"
"Trotzdem... Mit Hilfe der FBI-Spezialisten konnten wir in etwa rekonstruieren, was passiert ist. Die haben unsere Passwörter benutzt!"
"Hat der FBI denn schon irgendeine Spur?"
"Die werden jetzt nacheinander jeden durchleuchten, der Zugang zum Sicherheitsbereich hatte! Und dann ist da noch..."
Er hielt plötzlich inne.
Sein Blick wurde nachdenklich. Er schien durch ihren Körper hindurchzublicken.
"Was?", fragte sie.
Ihre Stimme klirrte jetzt wie Eiswürfel in einem Glas Scotch.
"Nichts", murmelte er.
Sie stieg von ihm herunter.
"Was ist los?", fragte Reilly.
Sie antworte ihm nicht.
Er sah, wie sie nackt auf diesen bis zu den Oberschenkeln reichenden Stiefeln durch das Halbdunkel ging.
Reilly richtete sich auf.
Er sah gerade noch, wie die Leder-Lady nach ihrer Handtasche griff, die sie auf einem Stuhl abgelegt hatte. Sie öffnete die Tasche. Etwas Dunkles, Längliches kam zum Vorschein.
Eine Pistole mit Schalldämpfer.
Reilly öffnete den Mund. Seine Augen waren schreckgeweitet.
Er brachte keinen Ton heraus.
Die Leder-Lady streckte den Arm aus und zielte. Ein kurzes 'Plop!' ertönte. Rot züngelte für einen Sekundenbruchteil das Mündungsfeuer aus dem Schalldämpfer.
Mitten auf Reillys Stirn bildete sich ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Reilly wurde nach hinten gerissen.
Ein zweiter Schuss traf ihn im Oberkörper und verursachte ein letztes Zucken.
Reillys tote Augen blicken fragend gegen die Decke.
Die Leder-Lady trat noch einmal etwas näher an ihn heran, um sich davon zu überzeugen, dass er auch wirklich nicht mehr lebte.
"Tut mir leid, Darling", murmelte sie dann. "Aber dich am Leben zu lassen hätte einfach ein zu großes Risiko bedeutet."
*
Es war schon dunkel, als Milo und ich mit meinem Sportwagen durch die Straßen von Manhattan jagten. Das Blaulicht hatte Milo auf das Dach gesetzt.
Wir mussten schnell sein.
Verdammt schnell.
Stundenlang hatten wir in den Büroräumen von McGordon Inc. die Mitarbeiter befragt, während unsere Computerspezialisten sich um die Manipulationen in der EDV gekümmert hatten.
Inzwischen stand fest, dass jemand von außen in das System eingedrungen war. Ein Hacker. Er hatte das Computersystem von McGordon Inc. dahingehend manipuliert, dass sämtliche Daten über Transporte, für die irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, sofort per E-Mail verschickt wurden. So waren die Gangster über jede Änderung - auch in letzter Minute - sofort informiert. Das Programm, dass bei McGordon Inc. benutzt wurde, erstellte normalerweise selbsttätig eine Protokoll-Datei, in der sämtliche Vorgänge verzeichnet waren. Der Hacker hatte dafür gesorgt, dass dieses Protokoll nur in verstümmelter Form vorlag. Unsere Spezialisten hatten es geschafft, die gelöschten Daten zurückzugewinnen. In dem Fall war das nicht so problematisch, weil die entsprechende Datei noch nicht neu überschrieben worden war. Aber unsere Leute hatten auch schon aus halb eingeschmolzenen Notebooks hin und wieder noch Daten retten können.
Das wichtigste hatten wir jedenfalls.
Nämlich jenen Telefonanschluss, über den die Daten empfangen worden waren.
Der Anschluss gehörte zum Blackwood-Hotel in der Lower East Side. Ein Etablissement der gehobene Ansprüche.
"Kaum zu glauben", meinte Milo. "Da sitzen diese Kerle seelenruhig in einem Hotelzimmer, schließen ihre Notebook ans Telefonnetz an und spionieren ohne irgendein Risiko die bestgehütesten Geheimnisse von McGordon Inc. aus!"
"Ja, Spione sind auch nicht mehr das, was sie mal waren", murmelte ich.
Vor uns wichen die Wagen nach rechts und links aus.
Die Leute hinter denen wir her waren, hatten keinen Grund, ihren Horchposten aufrecht zu erhalten.
Sie hatten bekommen, was sie wollten.
Die Lizenz zum Gelddrucken.
Wenn wir Pech hatten, dann waren sie längst über alle Berge.
Die Reifen des Sportwagen quietschten, als ich um eine Ecke bog. Ich hoffte, dass die Kollegen schneller waren, als wir.
Immerhin kamen wir von Queens her, während die anderen alarmierten G-men von der Zentrale an der Federal Plaza in Manhattan aus einen viel kürzeren Weg hatten.
Allerdings musste das im dichten New Yorker Abendverkehr nicht unbedingt sehr viel bedeuten.
"Ich glaube nach wie vor, dass einer aus der Firma denen geholfen hat", war Milo überzeugt.
"Ach, und wieso? Dafür konnten wir keine Anhaltspunkte finden! Hacker können doch heute mehr der weniger überall eindringen, wenn sie gut genug sind!"
"Eben! Wenn sie gut genug sind - das ist der Punkt! Die Hacker-Szene ist relativ abgeschlossen, aber ich vermute, dass die Leute, mit denen wir es zu tun haben aus einer ganz anderen Ecke kommen. Die Benutzung der Bazooka spricht doch Bände!"
"Milo, wenn du das entsprechende Kleingeld hast, dann bekommst du jeden Hacker herum, für dich zu arbeiten!"
"Solche Leute sind eitel. Wenn ich so ein Projekt aufziehen würde, wäre mir das zu risikoreich jemanden von außen hereinzunehmen."
Ich war ziemlich erstaunt über Milos Worte.
"Da kann der FBI ja froh sein, dass du niemals so ein Ding aufziehen würdest. Sonst sähen wir wohl ziemlich alt aus!"
"Im Ernst, Jesse. Die Gangster wussten die Passwörter, sonst wären sie nicht ins System gekommen. Normalerweise kommen Hacker an diese Passwörter, indem sie probieren. Bei der Auswahl dieser Wörter werden nämlich immer wieder dieselben Fehler gemacht. Man nimmt das Geburtsdatum, den Vornamen der Ehefrau und so weiter. Aber ich habe mir die Liste der verwendeten Passwörter zeigen lassen. Solche Fehler hat man bei McGordon Inc. nicht gemacht."
"Vielleicht sind wir ja gleich schlauer, wenn wir dieses Hotelzimmer besichtigen."
"Ich hoffe nur, dass wir dort überhaupt noch irgend etwas finden, Jesse."
*
Als wir das Blackwood-Hotel erreichten, waren unsere Kollegen Medina und Caravaggio schon da, dazu noch ein gutes Dutzend weiterer G-men.
Caravaggio lockerte den Sitz seiner Dienstpistole.
"Alle Ausgänge sind von unseren Leuten besetzt, Jesse." Er deutete in die Höhe. "Wenn sie noch da oben sind, dann kriegen wir sie."
"Okay", murmelte ich.
Wir betraten die Eingangshalle.
Zwei unserer Agenten hatten sich am Portal postiert.
Wir alle waren über kleine, zierliche Walkie Talkies miteinander verbinden.
In der Eingangshalle war verhältnismäßig viel Betrieb. Für diejenigen, hinter denen wir her waren, bedeutete das einen Vorteil. Schließlich waren wir es, die Rücksicht nehmen mussten und nicht einfach ein Blutbad riskieren konnten.
Das Zimmer, zu dem der Anschluss gehörte, lag im dritten Stock. Clive Caravaggio hatte mit dem Hotelmanager gesprochen. Schließlich wollten wir nicht, dass uns einer der Hoteldetektive in die Quere kam.
Also musste die andere Seite informiert sein.
Es war die Nummer 321, eine richtige Suite.
Die Schlüssel waren in der Rezeption nicht abgegeben worden. Vielleicht bedeutete das, dass jemand dort war.
Wir nahmen den Aufzug.
Dann ging es einen langen Flur entlang.
Vor der Zimmernummer 321 hing ein Schild BITTE NICHT STÖREN. Aber diesen Gefallen konnten wir ihnen nicht tun. Wie auf ein geheimes Zeichen hin griffen wir nach unseren Dienstwaffen, automatischen Pistolen vom Typ P 226 der Firma Sig Sauer. Eine Patrone im Lauf, 15 weitere im Magazin.
Medina nickte mir zu.
Ich nahm einen Schritt Anlauf. Mit einem wuchtigen Tritt ließ ich die Tür aus dem Schloss springen.
"FBI! Hände hoch!", brüllte ich mit der Waffe im Anschlag.
Vor mir lag ein recht weiträumiges Wohnzimmer. Eine Glastür führte zum Balkon. Eine Schiebetür trennte den Wohnraum von einem weiteren Raum - vermutlich dem Schlafzimmer.
Zwei Männer saßen an dem niedrigen Tisch, auf dem sich tatsächlich ein Notebook befand. Offene Taschen und Koffer lagen auf dem Sofa. Offenbar hatten wir hier jemandem beim Packen gestört.
Einer der beiden Männer war dunkelhaarig, der andere so strohblond, dass man seine Zweifel haben konnte, ob die Farbe echt war.
Der Blonde schnellte herum.
Hinter der Stuhllehne hatte ich die Uzi-Maschinenpistole nicht sofort sehen können.
Erst im letzten Moment sah ich das Mündungsfeuer aus dem kurzen Lauf der MPi herausschießen.
Ich duckte mich, sprang zur Seite und drückte gleichzeitig zweimal meine P226 ab.
Dann presste ich mich gegen die Wand, während das Dauerfeuer der Uzi den Türrahmen zersplittern ließ.
"Geben Sie auf! Hier ist der FBI! Das Gebäude ist umstellt! Sie haben keine Chance zu entkommen!", rief Medina, als der Kugelhagel nachgelassen hatte.
Hektische Schritte waren zu hören.
Jetzt tauchte Milo aus der Deckung heraus.
Die P226 hielt er mit beiden Händen umklammert.
Er war bereit abzudrücken, wenn ihm die Gangster keine Wahl ließen.
Doch er ließ schon in der nächsten Sekunde die Pistole sinken. Auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, der ungläubiges Staunen signalisierte.
"Die sind weg", murmelte er.
Caravaggio gab es gleich per Funk an die Kollegen. Ich nahm ihm das Funkgerät kurz aus der Hand lieferte eine kappe Beschreibung der beiden.
Milo pirschte sich bis zu der Sitzgruppe heran.
Orry folgte. Er arbeitete sich zur Tür des Nebenzimmers voran, die einen Spalt offenstand. Mit einem Tritt öffnete er sie vollends und stürmte mit der Waffe im Anschlag hinein.
Caravaggio und ich betraten als letzte die Suite.
Mit ziemlich ratlosem Gesicht kehrte Orry aus dem Nebenzimmer zurück.
"Hier ist niemand", erklärte er. "Und auch im Bad nicht."
Ich ließ den Blick schweifen. Die Fenster und die Glastür zum Balkon waren geschlossen. Und mir erschien es auch unwahrscheinlich, dass sie jemand geöffnet hatte, zumal die gläserne Hebetür, die zum Balkon führte, nur von innen zu verschließen war.
"Das gibt's doch nicht!", schimpfte Milo.
G-men sind im allgemein logisch denkende und nüchtern analysierende Leute. Für Zauberei oder dergleichen ist in unserem Weltbild kein Platz. Es gibt für alles eine Erklärung.
Orry setzte sich in einen der Sessel und warf einen Blick auf den Schirm des Notebooks. Ein Modem war auch zu finden, mit dessen Hilfe man das Notebook ans Telefonnetz anschließen konnte. Aber sämtliche Geräte waren jetzt nicht eingeschaltet.
"Hallo, hier Agent Caravaggio", meldete sich der flachsblonde Italo-Amerikaner per Funk bei den Kollegen. "Die Kerle sind nicht mehr hier. Ist bei euch jemand aufgetaucht, auf den die Beschreibung passt?"
Die Antwort war durchweg nein.
"Jemand muss den Ausgang der Tiefgarage überwachen", meinte ich.
Caravaggio sah mich mit leichtem Vorwurf an.
"Für wen hältst du uns, Jesse?"
"So war es nicht gemeint."
"Still", zischte Milo Tucker.
Ein summendes und manchmal etwas schepperndes Geräusch drang an unser Ohr. Wir lauschten angestrengt.
Dann machte ich zwei Schritte nach vorn und zog einen Wandteppich zur Seite.
Die Schiebetür dahinter sah auf den ersten Blick aus, als würde sie zu einem Wandschrank gehören. Ich öffnete sie. Dahinter war ein Loch in der Wand.
"Ein Lastenaufzug", stellte ich fest. Offenbar ließen sich die gutbetuchten Mieter dieser Suite auf diesem Weg das Essen servieren.
Ich blickte den Schacht hinunter.
Die beiden Männer hatten sich wohl in die Kiste gequetscht, die an Stahlbändern auf und abtransportiert wurde. Für die beiden Männer war es abwärts gegangen.
"Wo sind sie?", fragte Orry.
"Vermutlich in der Küche", meinte ich.
Ich drückte auf den Knopf, der den Aufzug heraufholte.
Ächzend kam das Ding herauf.
Ich sah Milo an. "Wird ein bisschen eng werden, Alter! Aber ich denke, das ist der kürzeste Weg!"
*
Der Mann mit der weißen Koch-Haube stöhnte erschrocken auf und wich zwei Schritte zurück.
Mit der P226 im Anschlag sprang ich aus dem Lastenaufzug heraus, in dem ich in kniender, geduckter Haltung hatte kauern müssen.
Milo folgte mir.
Ich zog meinen Ausweis.
"FBI!", rief ich und ließ dabei den Blick durch die Großküche des Blackwood-Hotels schweifen. Überall dampfte es. Auf großen Essenswagen wurden Mahlzeiten transportiert.
Lastenaufzüge für die Suiten wurden mit erlesenen Spezialitäten bestückt.
Insgesamt gab es vier Ausgänge.
"Hier sind gerade zwei Männer mit dem Lastenaufzug angekommen?"
"Ja, ja! Diese Verrückten! Die haben mich einfach über den Haufen gerannt!"
"Wohin sind sie?"
Der Mann deutete auf einen der Ausgänge.
"Die waren bewaffnet", flüsterte er dann noch.
Aber da waren Milo und ich längst auf dem Weg. Wir rannten quer durch die Großküche. Das kam einer Art Hindernislauf gleich. Mit einem Satz schwang ich mich über eine Spüle.
Augenblicke später hatten wir die Tür erreicht.
Mit der Waffe im Anschlag gab ich ihr einen Tritt. Sie flog zur Seite.
Dahinter war ein langer kahler Flur. Vermutlich waren dort Vorratsräume untergebracht.
Ich spurtete los.
Milo folgte mir. Am Ende des Gangs befand sich ein Treppenhaus, das wohl als Notausgang im Brandfall zu dienen hatte.
Ein Hinweisschild verriet, dass man auf dem Weg nach unten in die Tiefgarage gelangen konnte.
Milo holte das Walkie Talkie aus der Jackentasche.
"Hier Tucker. Die Gesuchten befinden vermutlich in der Tiefgarage!"
Mein Blick ging kurz nach oben. Die Kerle hinter denen wir her waren, waren keineswegs auf den Kopf gefallen. Sie mussten ahnen, dass eine panische Flucht sie nur in die Arme unserer Kollegen treiben würde.
Oder sie setzten darauf, dass wir geblufft hatten und das Blackwood keineswegs umstellt war.
Eine Geräusch ließ mich herumfahren.
Auf dem kahlen Flur war eine Tür aufgegangen.
Ich sah das Gesicht des Blonden. Mein Waffenarm mit der P226 ging blitzartig hoch, während ich in den Lauf der Uzi blickte, die mein Gegenüber auf mich richtete. Der Dunkelhaarige kam ebenfalls aus der Tür. Er packte seine Uzi mit beiden Händen und riss sie hoch.
Ich konnte nicht abdrücken.
Der Blonde hatte einen Mann in weißer Küchenkleidung im Würgegriff und hielt ihn wie einen Schutzschild vor sich.
Der Blonde feuerte.
Milo und ich warfen uns zur Seite und pressten uns dann rechts und links des Flureingangs gegen die Steinwand. Die MPi-Garbe knatterte an uns vorbei. Die Projektile fetzten irgendwo hinter uns den Putz von der Wand.
Dann war plötzlich Stille.
"Lassen Sie uns gehen! Legen Sie Ihre Waffen auf den Boden! Andernfalls stirbt dieser lausige Koch hier!", rief eine heisere Stimme aus dem Flur. "Ich zähle bis drei, verdammt nochmal!" Der Kerl war nahe an einem Zustand, den man nur als Panik bezeichnen konnte.
Milo sprach in sein Funkgerät.
"Hier Tucker! Die Kerle sind im Flur zwischen Küche und Treppenhaus. Sie haben eine Geisel..."
In der nächsten Sekunde konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Einer der Gangster ließ seine Maschinenpistole nochmal loskrachen.
"Halt's Maul dahinten!", krächzte er.
"Wir müssen versuchen, sie hinzuhalten", meinte ich.
"Eins!", hörte ich die heisere Stimme. Ich glaubte, dass sie dem Blonden gehörte, der den armen Kochgehilfen immer noch als lebenden Schutzschild vor sich hielt.
"Zwei!"
Ich hörte ein ratschendes Geräusch.
Das Magazin einer MPi wurde ausgewechselt und die Waffe dann durchgeladen.
"Nein!", schrie die Geisel. "Bitte nicht!"
"Wir gehen auf Ihre Forderungen ein!", rief ich. "Aber lassen Sie den Mann frei!"
"Eure Waffen, G-men!"
Ich ließ meine P226 so zu Boden fallen, dass der Kerl es sehen musste. Ich selbst hielt mich aber immer noch in Deckung.
Die Uzi krachte wieder los. Ein Feuerstoß von mindestens zwanzig Kugel ließ meine Pistole am Boden tanzen. Die Projektile zerfetzten den Griff, ließen ihn splittern und kratzen in den glatten Fußboden.
"Ich warte nicht länger!", krächzte der Kerl.
Ich hoffte nur, dass Orry, Caravaggio und den anderen Kollegen in der Zwischenzeit etwas einfiel.
Milo ließ seine Waffe ebenfalls zu Boden segeln. Sie rutschte ein Stück.
"Jetzt ihr! Wenn ihr Bastarde nicht herauskommt, hat der arme Kerl hier keinen Kopf mehr! Habt ihr verstanden! Wollt ihr das? Verdammt, ihr Arschlöcher, ich habe ich euch was gefragt!"
Unser Gegner war unberechenbar.
Wie ein in die Enge getriebenes Raubtier.
"Sie bekommen alles, was Sie wollen", versprach ich, obwohl ich nicht wusste, ob ich das halten konnte. Aber erst einmal mussten die beiden Gangster beruhigt werden. So außerhalb jeder Selbstkontrolle, wie sie im Moment waren, lief das ganze auf eine blutige Katastrophe hinaus. "Wir können über alles reden. Aber..."
"Halt's Maul und zeig dich G-men! Sonst ist meine Geisel gleich so lebendig wie die Rinderhälften in der verdammten Kühlkammer hier!"
Wir kamen aus unserer Deckung hervor.
Wehrlos.
"Kickt eure Waffen zu uns hinüber!", brüllte der Blonde.
Wir gehorchten. Unsere am Boden liegenden Pistolen rutschten über den glatten Boden wie Eishockey-Pucks.
Auf dem Gesicht des Dunkelhaarigen stand ein gemeines Grinsen.
Die beiden kamen auf uns zu.
Der Kochgehilfe war totenbleich.
"Leg sie um", knurrte der Blonde. "Alle beide."
*
Mein Blick war auf den kurzen, dunklen Lauf der Uzi gerichtet, die der Dunkelhaarige in den Händen hielt. Der Zeigefinger seiner Rechten wurde weiß am Knöchel, als er den Druck auf den Abzug etwas verstärkte.
"Worauf wartest du, blas sie um, die Cops!", kreischte der Blonde. "Sie haben unsere Gesichter gesehen!"
"Halt's Maul!", knurrte der Dunkelhaarige. Mir fiel die kleine Narbe auf, die er knapp unterhalb des linken Auges hatte.
"Heh, Milo, was ist los bei euch?", meldete sich Agent Medinas leicht verzerrte Stimme durch Milos Walkie Talkie.
Der Dunkelhaarige zeigte seine Zähne wie ein Raubtier.
"Umlegen können wir sie später!", brummte er. Er hob die Uzi etwas an. Sie zeigte auf Milos Oberkörper. "Eure Leute stehen unten am Ausgang der Tiefgarage, oder?"
"Ja", sagte Milo.
"Dann sagt eurer Meute, dass sie dort verschwinden soll! Sonst ist die Geisel tot! Und ihr auch!"
Milo nahm das Walkie Talkie. "Orry! Es gibt ein Problem. Zieht alle Leute von der Tiefgarage zurück."
"Haben die euch in der Gewalt?", fragte Medina.
Der Dunkelhaarige machte einen Schritt nach vorn. Brutal rammte er die Uzi in Milos Bauch und riss ihm das Funkgerät aus der Hand. Milo taumelte ächzend nach hinten.
Der Dunkelhaarige richtete einhändig die Uzi auf ihn.
"Wenn du fällst, fällst du für immer, G-man!"
Milo unterdrückte einen Fluch.
Der Dunkelhaarige nahm das Funkgerät.
"Hört ihr mich? Es gibt hier ein Blutbad, wenn ihr uns den Weg nicht freigebt! Kapiert?"
"Wir ziehen unsere Leute zurück", sagte Medina.
"Keine Tricks!"
"Keine Tricks", versprach Medina.
In den Augen des Dunkelhaarigen blitzte es triumphierend.
Er schwenkte die MPi. "Vorwärts!", forderte er uns auf.
Es ging die Treppe hinunter. Mit erhobenen Händen gingen wir vor den MPi-Läufen her. Milo hatte den gemeinen Schlag inzwischen einigermaßen weggesteckt.
Ich wechselte einen kurzen Blick mit ihm.
Es war uns beiden klar, dass wir auf unsere Chance warten mussten. Jetzt irgend etwas zu versuchen war sinnlos.
Eine feuersichere Stahltür führte in die Tiefgarage.
Der Dunkelhaarige öffnete sie. Der Lauf seiner Uzi bohrte sich dabei schmerzhaft in meine Rippen. "Los", knurrte er.
Es war kühl in der Tiefgarage.
Mein Blick glitt schnell über die langen Reihen der luxuriösen Pkw, die die Hotelgäste hier unten abgestellt hatten. Eine Überwachungskamera bewegte sich selbsttätig.
Der Dunkelhaarige hatte das auch bemerkt.
Er riss die Maschinenpistole hoch und feuerte. Die Kamera wurde durch den Bleihagel regelrecht zerfetzt.
Dann ließ der Gangster misstrauisch den Blick kreisen.
Nichts zu sehen.
Aber genau das musste ihm verdächtig erscheinen. Schließlich war hier normalerweise ständig Betrieb. Irgendwer brauchte zu jeder Tages- und Nachtzeit seinen Wagen, ließ ihn sich entweder von einem Hotelangestellten holen oder ging selbst hier hinunter. Aber jetzt war hier buchstäblich niemand.
"Das ist 'ne verdammte Falle!", kreischte der Blonde, der kurz davor stand, die Kontrolle zu verlieren. Er setzte der Geisel die Uzi an die Schläfe.
"Sei still!", knurrte der Dunkelhaarige. Er nahm das Funkgerät und brüllte dann: "Was hat das zu bedeuten? Warum ist hier kein normaler Betrieb?"
Orry antwortete.
"Wir haben die Tiefgarage schon vorher räumen lassen!"
"Ihr wisst was passiert, wenn..."
"Wissen wir! Machen Sie sich keine Sorgen. Was haben Sie jetzt vor?"
"Wir gehen zum Wagen. Und dann werden Sie uns fahren lassen. Eine Geisel nehmen wir mit, damit ihr G-men nicht auf dumme Gedanken kommt!"
"Wo werden sie die Geisel freilassen?"
"Das müssen Sie uns überlassen!"
Wir durchquerten die Tiefgarage. Die Gangster beobachteten misstrauisch die dicken Betonpfeiler, so als erwarteten sie, dass jederzeit unsere Leute dahinter hervorspringen konnten.
Dann erreichten wir eine dunkle Limousine.
Ein langgezogener, viertüriger Chevy.
Der Blonde schloss die Tür auf und schob die Geisel auf den Rücksitz.
"Nehmen Sie mich statt dieses Mannes mit", sagte ich. "Lassen Sie ihn frei! Ich garantiere Ihnen, dass man Sie durchlässt!"
Der Dunkelhaarige grinste.
"Keine Chance, Mister!"
Die beiden stiegen in den Chevy.
Dann brauste der Wagen los. Die Seitenscheibe der Hintertür glitt hinunter, während der Chevy mit quietschenden Reifen einen Haken schlug.
"Vorsicht, Milo!"
Wir hechteten zu Boden, ehe der Blonde in unsere Richtung ballerte. Die Kugel durchstanzten das Blech der parkenden Wagen.
Der Chevy hatte indessen die Ausfahrt erreicht.
"Ich hoffe, unsere Leute bleiben dran", meinte Milo, nachdem er sich wieder erhob.
*
Ich hatte mir die Autonummer des Chevys gemerkt. Eine Blitzabfrage in der Zentrale ergab, dass er auf einen gewissen Walid Kerim zugelassen war. Kerim war ein alter Bekannter. Er hatte mehrere Verurteilungen hinter sich, unter anderem wegen der Verbreitung von Falschgeld und schwerer Körperverletzung.
"Bingo", meinte Milo dazu, als wir oben in der Hotelsuite standen, von der aus die beiden operiert hatten.
"Die müssen sich sehr sicher gefühlt haben", war ich überzeugt. "Sonst wären sie nicht mit ihrem eigenen Wagen hier her gekommen..."
Kerim hatte auch das Zimmer angemietet, wie sich herausstellte. Allerdings unter falschem Namen.
Kerim war Amerikaner arabischer Abstammung. Seine Eltern kamen aus dem Libanon.
Vermutlich war er der Dunkelhaarige mit der Narbe unter dem Auge. Letzte Sicherheit würden wir erst haben, wenn wir sein Bild auf unserem Computerschirm vor uns sahen.
"Ihr habt verdammtes Glück gehabt", meinte Agent Medina.
Ich zuckte die Achseln.
"Ich hoffe, dieser Kochgehilfe hat es auch." In den Händen hielt ich noch die Einzelteile meiner zertrümmerten P226, die ich inzwischen aufgesammelt hatte. Ich würde mir eine neue Dienstwaffe besorgen müssen.
Im nächsten Moment klingelte Medinas Handy.
Er machte ein ziemlich deprimiertes Gesicht, als er den Apparat wieder sinken ließ.
"Das war Agent LaRocca! Unsere Leute haben den Wagen verloren..."
Ich fluchte innerlich.
Es war ein scheußliches Gefühl, nichts tun zu können.
"Die werden uns schon ins Netz laufen, Jesse," war Medina recht zuversichtlich.
Milo und ich fuhren zurück zum Hauptquartier in der Federal Plaza. Es war um diese Zeit kaum noch jemand da und auch wir hätten eigentlich längst Feierabend gehabt.
Mr. McKee hörte sich unseren Bericht an.
"Niemand macht Ihnen beiden einen Vorwurf", meinte er.
"Ich weiß", sagte ich. "Dieser Blonde war nahe davor durchzudrehen. Wir konnten kein Risiko eingehen."
"Ich hoffe nur, dass er inzwischen nicht durchgedreht hat", ergänzte Milo.
Mr. McKee war trotz allem zuversichtlich - zumindest, was die Chance anging, die beiden zu kriegen.
"Von Walid Kerim werden die Fahndungsfotos schon gedruckt. Der kann sich ab jetzt nirgends mehr sehen lassen. Und zwei unserer Agenten warten ständig vor seiner Wohnung."
"Er wird kaum so dumm sein, dorthin zurückzukehren," meinte ich.
"Weiß man nie, Jesse."
"Was ist eigentlich mit dem Kerl, den man in New Jersey festgenommen hat?"
"Wird noch verhört. Aber die Bazooka ist aller Wahrscheinlichkeit nach bei dem Überfall benutzt worden. Was das angeht, wissen wir morgen mehr."
In diesem Moment betrat Max Carter das Büro. In seinem Gefolge kam Ronald Figueira, unser Falschgeldspezialist herein. Figueira hatte bereits ein Dossier über Walid Kerim unter dem Arm. Er legte es Mr. McKee auf den Tisch.
"Kerim könnte ein vielversprechender Ansatzpunkt sein", meinte Figueira. "Allerdings halte ich ihn für ein zu kleines Licht, als das der Überfall auf den Transporter allein auf seinem eigenen Mist gewachsen sein kann."
"Immerhin hatte er doch eine äußerst wichtige Aufgabe bei der Sache", gab ich zu bedenken. "Auch, wenn er wohl kaum an dem Überfall selbst beteiligt gewesen sein kann."
"Kerim hat gewisse Kenntnisse, was Computer angeht", sagte Figueira. "Aber ich glaube nicht, dass die ausgereicht hätten, um so ein Ding durchzuziehen."
"Das heißt, der zweite Mann muss der Spezialist sein", schloss ich.
"Du sagst es, Jesse."
*
Von dem Blonden konnte nach den Angaben von Milo und mir zwar ein Phantombild gemacht werden, das ihn ziemlich gut traf. Aber in unseren Datenbanken war nichts über einen Mann verzeichnet, der dieses Aussehen hatte. Selbst die Fingerabdrücke, die unsere Leute von dem Notebook im Hotel Blackwood genommen hatten, brachten uns nicht weiter.
Max Carter, unser Fahndungsspezialist, mit dem zusammen Milo und ich fast bis Mitternacht vor dem Bildschirm saßen, packte beinahe die Verzweiflung.
"Der Kerl scheint noch nie verhaftet worden zu sein", meinte Milo.
"Ein Neuling. Vielleicht war er deshalb so nervös", meinte Carter.
Die Fingerabdrücke vom Notebook gehörten zwei verschiedenen Personen. Die eine war Kerim. Die zweite musste nach menschlichem Ermessen der Blonde sein. Aber über AIDS, das zentrale System zur Erfassung von Fingerprints, das die Abdrücke von Kriminellen, Bewerbern für den öffentliche Dienst oder Army-Angehörigen speicherte, erfuhren wir nichts über den Blonden.
"Wir kommen heute nicht weiter", meinte Carter. "Was möglich war, haben wir gemacht..." Er gähnte bereits.
Vermutlich hatte Carter sogar recht, auch wenn keinem von uns der Gedanke gefiel. Aber im Kampf gegen das Verbrechen braucht man oft eine langen Atem.
Es ist ein Langstreckenrennen, kein Sprint.
Ein Anruf kam.
Es war Agent Fred LaRocca.
"Hallo Jesse. Wir haben die Geisel. Und auch den Fluchtwagen. Steht hier an der Bowery."
"Geht es dem Mann wenigstens gut?", fragte ich.
"Er hat eine Gehirnerschütterung. Die Kerle haben ihn niedergeschlagen und im Wagen zurückgelassen, bevor sie zu Fuß ihre Flucht fortgesetzt haben. Ein Psychologe der City Police kümmert sich um ihn."
Ich nickte. "Danke, Fred."
*
Am nächsten Morgen holte ich Milo wie üblich an der bekannten Ecke ab.
Wir waren auf dem Weg zur Federal Plaza, als uns die Zentrale anrief. Milo nahm das Gespräch entgegen.
"Ein gewisser Nathan Reilly ist in seiner Wohnung erschossen aufgefunden worden", berichtete er dann.
"Reilly? Von McGordon Inc.?"
"Genau der, Jesse."
"Das kann kein Zufall sein."
"Allerdings."
"Wo geht es hin?"
"Ich nehme an, du weißt, wo der Central Park West ist."
Ich setzte das Blaulicht auf den Sportwagen und trat auf das Gaspedal. Bis zu Reillys Adresse war es nur ein Katzensprung.
Als wir den Central Park West erreichten, war es keine Schwierigkeit, das richtige Haus zu finden. Die Blinklichter der City Police-Einsatzwagen wiesen uns den Weg.
Ich parkte den Sportwagen in einer der wenigen Lücken, die noch geblieben waren. Wir stiegen aus.
Die Posten der City Police ließen uns passieren.
Wir gelangten ins Haus. Der Sicherheitsdienstler, der am Eingang seinen Posten in einer Art Glaskäfig hatte, wurde gerade von Polizisten befragt.
Ein Aufzug brachte uns in den 9. Stock.
Als wir Reillys Wohnung betraten, war dort noch nicht viel los. Die Spurensicherer vom SRD, dem Scientific Research Department, ließen noch auf sich warten.
Kein Wunder. Der SRD hatte seinen Sitz in der Bronx. Er war der zentrale Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten, und auch wir vom FBI nahmen seine Hilfe häufig in Anspruch.