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INSPIRIEREND UND BUNT WIE DAS LEBEN SELBST Eine gute Geschichte berührt. Umso mehr, wenn sie elementare Themen, die jeder von uns in sich trägt, ins Bewusstsein bringen und wenn sie zu spontanen oder überraschenden Einsichten und Erkenntnissen führt – ganz ohne erhobenen Zeigefinger. Weisheitsgeschichten bewegen uns, bringen uns zum Staunen und zum Nachdenken, zum Weinen und zum Lachen. "Das Kaleidoskop des weisen Händlers" versammelt zahlreiche Juwelen aus der Schatzkammer der orientalischen Erzähltradition und der asiatischen Weisheitslehren. Geschichten für kleine Auszeiten, aus denen uns Glück und – im besten Falle - auch Weisheit erwachsen. Die Geschichten sind gegliedert nach fünf Themenbereichen: 1. Gefühle – Quellen für Glück und Unglück, 2. Sein und Schein – Die vielen Gesichter der Wirklichkeit, 3. Klugheit – Wege aus verzwickten Lebenslagen, 4. Schwarz oder Weiß – Alles eine Frage der Perspektive?, 5. Weisheit – Das Ende der Suche? Jedes Thema wird von einer Rahmengeschichte eingebunden, die die Kapitel lose miteinander verknüpft. Jede Geschichte kann so zu einem Anker werden, um das Leben gelassen, glücklich und in innerem Frieden zu leben. Ein hochwertig und liebevoll gestaltetes Buch, das sich auch wunderbar zum Verschenken eignet.
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Seitenzahl: 196
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© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2017
© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2017
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Projektleitung: Anna Cavelius
Lektorat: Dr. Diane Zilliges
Covergestaltung: independent Medien-Design GmbH, Horst Moser, München
eBook-Herstellung: Gabriel Stefan Mlesnite
ISBN 978-3-8338-6305-9
2. Auflage 2019
Bildnachweis
Fotos: Alley; Eppinger, M.; Getty; mauritius; Schapowalow; Stocksy;
Syndication: www.seasons.agency
GuU 8-6305 09_2017_02
Das vorliegende eBook basiert auf der 2. Auflage der Printausgabe
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Look, look«, rief mir Somnath schon von Weitem zur Begrüßung zu. Wie jeden Tag hatte er mich bereits auf dem Basar von Jaisalmer erwartet, und ich hatte ihn mit seinem unverkennbaren bunten Turban, seinem kunstvoll geschnittenen grauen Bart und seinem blauen Hemd zwischen den vielen Menschen schon längst entdeckt. Im Gegensatz zu den anderen geschäftstüchtigen Händlern wollte Somnath mir nie etwas verkaufen, nein, er war lediglich an der Fortsetzung unserer langen Gespräche interessiert. Seit ich ihn zufällig am Bahnhof getroffen hatte, konnte er nicht genug von unseren Unterhaltungen bekommen. Und ich schätzte seine Gesellschaft nicht weniger.
An manchen Tagen erzählte er mir von seinem Leben, seiner Familie und seinen Ansichten über Gott und die Welt oder er gab eine kleine Geschichte zum Besten, die gerade zum Thema passte. Ich kam mit Fragen zu ihm, erzählte ihm, was mich so umtrieb, was ich auf meiner Reise erlebt hatte und wie ich die Dinge sah. Manchmal erzählte ich ihm auch Geschichten, die mein buddhistischer Lehrer in Thailand mir mit auf den Weg gegeben hatte. Immer aber entwickelten sich unsere Gespräche in eine für mich überraschende Richtung. Was wohl heute passieren würde?
Als ich ihn erreicht hatte, drückte er mir eine zylindrische Röhre aus grauem Karton in die Hand und wiederholte seine Aufforderung. Nach kurzer Irritation verstand ich, dass ich durch die Röhre schauen sollte, und hielt sie gegen das Licht. Fasziniert betrachtete ich eine Weile die farbenprächtigen Bilder, die sich mir darboten. Wie ein Kind ent- deckte ich die geheimnisvolle Welt des Kaleidoskops.
Begeistert von meinem erstaunten Gesicht, konnte Somnath nun nicht mehr an sich halten. »Immer die gleichen bunten Glassteinchen, aber bei jeder Drehung ergeben sich neue schöne Bilder«, begann er. »Und nicht anders ist es mit den Ideen und Vorstellungen, über die wir schon so oft gesprochen haben. Wahrheit, Wirklichkeit, Richtig und Falsch und all die anderen Begriffe – alles Worte, die Objektivität und Eindeutigkeit zu versprechen scheinen. Doch nach einer kleinen Verschiebung, einem Wechsel der Perspektive ergibt sich eine völlig andere Geschichte und wir erkennen die Relativität aller Dinge. Alles bunte Glassteine im Kaleidoskop des Lebens.«
Verblüfft sah ich Somnath an. So hatte ich die Dinge noch nicht betrachtet! Zufrieden lächelnd bedachte mich Somnath mit einem gütigen Blick aus seinen großen braunen Augen und schenkte mir das Kaleidoskop. Leider ging es auf meiner weiteren Reise verloren. Nicht verloren aber ging meine Erinnerung an Somnath, an die inspirierenden Gespräche und die Botschaft, die er mir mit dem Kaleidoskop zu vermitteln verstanden hat.
Ebenso wenig vergessen habe ich Ajahn Thanat, meinen buddhistischen Lehrer, über den ich so oft mit Somnath gesprochen habe. Er erzählte bei diesem Retreat jeden Abend Weisheitsgeschichten aus verschiedenen Traditionen, die mein Denken und Fühlen oft den folgenden Tag lang bestimmten. Anders als die eher trockene buddhistische Lehre sprachen mich diese Geschichten unmittelbar an. Sie erreichten mein Herz, lösten oft einen Knoten im Kopf, brachten mich zum Lachen, inspirierten mich und ermöglichten mir einen anderen Blick auf die Schwierigkeiten, die meinen gewohnten Denk- und Verhaltensmustern entsprangen.
Gern und dankbar denke ich auch heute noch oft zurück an meine Begegnungen mit Somnath und Ajahn Thanat – haben sie mir doch eine neue Perspektive auf die alte Kunst des Erzählens eröffnet und mir damit ein großes Geschenk gemacht, das ich immer wieder gern mit anderen Menschen teile.
»Erzähl mir eine Geschichte!« Jeder, der Kinder hat, kennt diesen oft inständig formulierten Wunsch. Aber auch Erwachsene lieben sie. Die gesamte menschliche Kultur besteht aus unendlich vielen Geschichten, und manche Sprachforscher behaupten sogar, die Sprache habe sich entwickelt, damit Menschen einander ihre Geschichten erzählen können. Moderne Neurowissenschaften bestätigen, was jeder von uns aus eigener Erfahrung weiß: dass es sehr viel leichter fällt, sich an Ereignisse und Gedanken zu erinnern, wenn wir sie in Geschichten eingebettet haben.
Jedes Leben besteht aus vielen kleinen und größeren Episoden, Handlungssträngen und Situationen, die wir selbst zu einer einzigartigen Geschichte verweben. Und bei jedem erneuten Erzählen ändert sich unsere Geschichte – je nach aktueller Lebenssituation und je nach Zuhörer. Jede Autobiografie, mag sie sich noch so sehr an äußere Fakten halten, verbindet diese auf ihre Weise. Sie konstruiert Ursachen und Wirkungen oder doch zumindest Zusammenhänge und damit eine Geschichte, die auch anders erzählt werden könnte.
Ebenso ist es mit traditionellen Geschichten, Märchen oder Legenden. Insbesondere in alten Zeiten, als die Weitergabe mündlich erfolgte, änderten sie sich nicht nur von Erzähler zu Erzähler, sondern ebenfalls von Situation zu Situation. Als man dann anfing, Geschichten aufzuschreiben, entstanden immer weitere Variationen. Je älter und weiter verbreitet eine Geschichte ist, desto zahlreicher sind die Variationen. Weder kann man ein Original ausmachen noch lässt sich ein Urheber benennen. Dies gilt auch für die Geschichten, die hier in diesem Buch versammelt sind. Sie sind ein Schatz, auf den keiner einen Besitzanspruch erheben und der auch heute noch immer weiter vergrößert werden darf.
Jede Nation, jede Gemeinschaft, jede Familie hat ihre eigenen Geschichten, die wieder und wieder erzählt werden, um Wissen und Werte zu überliefern und die Zusammengehörigkeit über Generationen zu stärken. Die Lebensgeschichten aller Religionsstifter und die Botschaften aller Religionen leben in Geschichten weiter. Aber auch antike Philosophen, weise Indianer, afrikanische Schamanen und viele andere treffen wir in den Weisheitsgeschichten dieser Welt – auch wenn wir in diesem Buch im Wesentlichen im orientalischen und fernöstlichen Raum bleiben. Manche dieser Geschichten wurden vielleicht in alten Zeiten des Abends am Lagerfeuer, im Café oder Teehaus neben einem Basar oder in einem Tempel von weisen Männern und Frauen, Meistern, Lehrern oder professionellen Erzählern zum Besten gegeben. Auch heute sind es oft spirituelle Lehrer und Lehrerinnen, die solche Geschichten weitertragen, ebenso in Selbsterfahrungskursen oder in Managementseminaren erfreuen sich Weisheitsgeschichten großer Beliebtheit. Seit wir, die Autoren, angefangen haben, Geschichten zu sammeln, wurden wir in unserem Freundes- und Familienkreis immer wieder darum gebeten, auf Festen doch ein paar davon vorzutragen. Geschichten scheinen heute mehr denn je einen wichtigen Kontrapunkt zu den zweckrationalen, technologischen Vorbildern unserer modernen Leistungsgesellschaft zu bilden.
Nossrat Peseschkian, einer der Begründer der Positiven Psychologie und selbst ein großer Geschichtenerzähler, schrieb mit Verweis auf den alten iranischen Dichter Saadi in seinem Buch Der Kaufmann und der Papagei sehr passend: »Zeitweilig kommen wir um Wissenschaft, Mathematik und gelehrte Diskussionen nicht herum, mit deren Hilfe sich das menschliche Bewusstsein weiterentwickelt. Zeitweilig brauchen wir aber auch Gedichte, das Schachspiel und Geschichten, an denen unser Gemüt Freude und Erfrischung findet.«
In allen Kulturen wurden und werden Geschichten auch für die Erziehung verwendet. Kinder lernen beim Zuhören, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren, ihre Vorstellungskraft und Fantasie werden geweckt und sie entwickeln die Fähigkeit, sich in andere Menschen oder Wesen hineinzuversetzen, eine andere Perspektive einzunehmen. Je nach pädagogischer Tradition vermitteln Geschichten außerdem direkt oder indirekt Wertvorstellungen, moralische Auffassungen und Verhaltensmodelle.
Je weniger direkt und eindeutig die »Moral von der Geschichte« zum Ausdruck kommt, desto mehr wird der Zuhörer indirekt dazu aufgefordert, sich seine eigenen Gedanken dazu zu machen. Und spätestens an dem Punkt werden Geschichten auch für Erwachsene hochinteressant und können zu inspirierenden Lehrern werden, wobei das Lernen keineswegs primär auf der Verstandesebene stattfindet. Viele Geschichten wirken eher wie Bilder, die sich einem einprägen und die bei passender Gelegenheit aus dem Gedächtnis aufsteigen. »Da war doch diese Geschichte, in der eine ähnliche Situation beschrieben wurde wie die, in der ich mich gerade befinde.« So geht es uns jedenfalls oft und sicher vielen Menschen, die sich mit Geschichten beschäftigen.
In orientalischen Ländern hatten Geschichten schon immer auch die Bedeutung von Lebenshilfen für das Volk. Die Geschichten führten ihre Zuhörer in eine andere, geheimnisvolle Welt, die sie faszinierte und sie nach einem anstrengenden Tag nicht nur belehrte, sondern ebenso unterhielt. Anstatt gute Ratschläge zu geben, erzählten die Derwische und Weisen den Menschen Geschichten, um auf diese Art Anregungen zum Umgang mit schwierigen Situationen oder gar Anstöße zur Heilung zu geben. So heilte etwa die kluge Scheherazade mit ihren Geschichten aus 1001 Nacht den vor lauter Eifersucht psychisch kranken Sultan.
Geschichten können uns dabei helfen, uns selbst besser kennenzulernen, indem sie als Spiegel fungieren, in die zu schauen sie uns einladen. Wir können uns wiedererkennen in der einen oder anderen Figur und sehen durch deren – oft überzeichnetes – Verhalten womöglich Alternativen zu den Mustern, in denen wir gewohnheitsmäßig gefangen sind. So werden sie zum Beispiel ganz gezielt in der Positiven Psychologie eingesetzt.
Geschichten vermögen aber auch wie Fenster oder gar Ferngläser zu wirken, wenn sie uns Einblicke gewähren in Welten, die uns (noch) ganz unvertraut sind und über die wir auf fantasievolle, ganz unangestrengte Weise etwas lernen können. Auf diese Weise bringen sie uns mit uns selbst in Kontakt, aber auch mit anderen Kulturen, Zeiten, Verhaltens- und Lösungsmodellen.
Ein großer Vorzug von Geschichten gegenüber konkreten Ratschlägen liegt darin, dass sie uns keine Verpflichtungen auferlegen. Sie sagen nie: »Du musst oder solltest dich so oder so verhalten«, sondern bieten spielerisch Möglichkeiten an. Was wir für uns übernehmen und wie wir die Geschichte interpretieren, bleibt uns selbst überlassen. Und schließlich gibt es da noch ein ganz wesentliches Element, das viele Geschichten so erfrischend und anregend macht: den Humor. Damit lehren sie uns, über Absurditäten und die Um- und Irrwege, die wir gehen, zu lachen. So nehmen wir eine gesunde Distanz zu den Verwicklungen unseres Lebens ein und vermögen leichter, neue Perspektiven zu finden.
Wie das Leben, so können auch die Geschichten, die Sie in diesem Buch finden, aus vielen unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet werden. Einige sind zudem nicht nur auf ein einziges Thema fokussiert, sondern bieten eine Betrachtung vieler Facetten der Wirklichkeit. Wie die Bilder im Kaleidoskop bestehen traditionelle Geschichten sehr häufig aus Bausteinen, die thematisch eng verwandt sind. Je nach Stimmung und aktueller Lebenssituation wird Ihnen mal eher der eine und dann wieder der andere Aspekt einer Geschichte wichtig erscheinen. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie eine Erzählung einem anderen Kapitel zuordnen würden, als wir das getan haben. Das liegt in der Natur von Geschichten und ist letztlich auch nicht wichtig. Trotzdem wollten wir Ihnen mit der Kapiteleinteilung Möglichkeiten anbieten, sich den Geschichten aus unterschiedlichen Perspektiven zu nähern.
Die Rahmenerzählung, die auch dieses Kapitel eingeleitet hat, wird in jedem einzelnen Kapitel fortgeführt und soll Sie auf eine eher spielerische Weise mit dem Hauptthema des jeweiligen Kapitels in Kontakt bringen. Die unterschiedlichen Episoden und Personen, die in dieser Erzählung auftauchen – der indische Händler Somnath, der buddhistische Lehrer Ajahn Thanat sowie die Person, die aus der Ich-Perspektive erzählt –, sie alle sind erfunden, haben aber natürlich doch ihre Vorbilder. Sie setzen sich zusammen aus eigenen Erlebnissen, Erfahrungen und wirklichen Personen, die wir auf den vielen Reisen im Laufe unseres Lebens kennen- und schätzen gelernt haben.
Fünf Kapitel erwarten Sie nach dieser Einleitung zum Thema der Erzähltraditionen. Fünfmal dürfen Sie sich auf Geschichten aus ganz unterschiedlichen Landstrichen und Epochen freuen und in fremde Welten eintauchen, deren Weisheit doch universell ist.
Die innere Reise, zu der dieses Buch Sie einlädt, beginnt mit dem Kapitel »Gefühle«. Es geht also um den Stoff, der zu einem großen Teil für unser Glück oder auch Unglück verantwortlich ist. Es geht um Ängste und Befürchtungen, um Mut, Neugierde, Vertrauen und Offenheit. Wir begegnen gierigen, eitlen, egoistischen Wesen ebenso wie Menschen voller Mitgefühl und Großzügigkeit; jenen, die ihr Leben beherzt in die Hand nehmen, und solchen, deren blinder Glaube sie davon abhält, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen.
Im Kapitel »Sein und Schein« zeigen uns die vielen Gesichter der Wirklichkeit, dass es keine absolut richtige Perspektive auf die Dinge gibt und dass wir oft gefangen in bestimmten Vorstellungen sind. Auch die Fragen »Wer bin ich eigentlich?« und »Was ist (mir) wirklich wichtig?« spielen hier eine Rolle.
Es folgt das Kapitel »Klugheit« mit Geschichten, die von verzwickten Lebenssituationen berichten, die nebst einer guten Einschätzungsfähigkeit und Menschenkenntnis auch einer gewissen Diplomatie oder gar schlauer Tricks bedürfen. Das richtige Wort zur rechten Zeit, aber auch unkonventionelles Handeln sind dann gefragt.
»Gut oder schlecht?« ist eine der zentralen Fragen im darauffolgenden Kapitel. Hier geht es um vorschnelle oder auch einfach unterschiedliche, sogar gegensätzliche Bewertungen von Situationen und Menschen, wie wir sie alle kennen, und darum, dass aus Schwierigkeiten oftmals Gutes erwachsen kann. Außerdem begegnen wir Menschen, die ihr Leben verpassen, weil sie sich nicht entscheiden können.
Im Kapitel »Weisheit« schließlich enthüllen meist weise Lehrer und Meister, worum es wirklich im Leben geht. Sie helfen uns mal mit Worten, mal mit Handlungen auf die Sprünge, mal direkt, oft auch provokativ oder in Form von Gegenfragen, die sie dem nach Antworten suchenden Schüler stellen.
Nossrat Peseschkian, der bereits erwähnte Psychologe und Geschichtenerzähler, vergleicht Geschichten mit kostbaren Arzneien. Zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Dosis angewandt, können sie etwas sehr Heilsames haben. Falsch dosiert oder angewandt jedoch wirken sie gar nicht oder können sogar negative Wirkungen haben. Ähnliches kann man auch bei Anthony de Mello, einem der bekanntesten spirituellen Geschichtenerzähler, nachlesen oder bei Jon Kabat-Zinn, dem Begründer des Achtsamkeitstrainings MBSR.
Das mag vielleicht zunächst befremdlich nach einem Beipackzettel klingen und Ihnen übertrieben oder unangemessen erscheinen. Ein paar Hinweise zum Umgang mit den Geschichten möchten wir Ihnen aber dennoch mit auf den Weg geben:
Lesen Sie nicht zu viele Geschichten hintereinander. Beschränken Sie sich auf ein paar und nehmen Sie sich ein wenig Zeit, sie auf sich wirken zu lassen. Andernfalls werden Sie die Geschichten so schnell wieder vergessen, wie Sie sie gelesen haben.
Machen Sie sich am besten innerlich leer und empfänglich, bevor Sie eine Geschichte lesen. Vielleicht stellen Sie sich vor, Sie säßen zu Füßen eines Meisters, der sie Ihnen erzählt. Sehr schön kann es auch sein, sich die Geschichte selbst oder einem Partner oder Freund vor- zulesen – oder noch besser: sie frei zu erzählen, wenn Sie sie schon gut kennen. Und vor allem: Benutzen Sie die Geschichten als Spiegel für sich selbst und widerstehen Sie der Versuchung, sie anderen als Spiegel vorzuhalten.
Und nun wünschen wir Ihnen viel Freude mit den Geschichten aus dem Kaleidoskop des Lebens!
Quellen für Glück und Unglück
Es war bereits Abend und abgesehen von dem trüben Lichtschein, den ein paar verdreckte Energiesparlampen absonderten, war es nahezu stockdunkel, als mein Zug mit über fünf Stunden Verspätung endlich in den Bahnhof von Jaisalmer einfuhr. Jetzt war ich schon so lange in Asien unterwegs, und noch immer hatte ich mich nicht an die nächtliche Dunkelheit der Städte gewöhnt. Immer noch überkam mich eine latente Angst, obwohl mir noch nie etwas passiert war. Aber dieses Mal hatte ich ja gut vorgesorgt, schon von Delhi aus ein Hotel gebucht und vereinbart, dass mich jemand abholt. Hatte ich, ja, doch da war keiner ...
Bald stand ich, erschöpft und übermüdet von der langen Reise, mutterseelenallein an diesem Bahnhof am Ende der Welt. Noch nicht einmal einen Stadtplan hatte ich dabei. Ich hatte mich einfach auf diesen verdammten Trottel vom Reisebüro verlassen, der mich vermutlich gewaltig über den Tisch gezogen hatte.
Eine Mischung aus Panik und Ärger machte sich gerade in mir breit, als plötzlich ein älterer Mann auf einem schwer bepackten, klapprigen Fahrrad anhielt. Er trug einen auffallend großen, bunten Turban, blickte mich freundlich mit klugen, braunen Augen an und fragte in perfektem Englisch: »Kann ich helfen?« Was wollte der denn jetzt von mir? »Nein, ich brauche nichts«, gab ich aggressiv zurück. »Und« – mit einem Blick auf sein bepacktes Fahrrad – »ich will auch ganz bestimmt nichts kaufen. Ich habe Ärger genug!«
Als der Mann mich weiterhin freundlich, ja fast besorgt ansah, gingen mir plötzlich die Worte durch den Kopf, mit denen mich mein buddhistischer Meditationslehrer Ajahn Thanat vor ein paar Wochen nach meinem Retreat verabschiedet hatte: »Bevor du auf irgendetwas reagierst, versuche herauszufinden, ob deine Impulse der aktuellen Situation gerecht werden oder ob sie alten Gewohnheiten entsprechen. In der Meditation hast du oft das Auf und Ab deiner Gefühle beobachten und deine inneren Einstellungen hinterfragen können. Nun ist es Zeit, dies auch im Alltag zu erproben.« War meine Reaktion auf das freundliche Hilfsangebot nun also angemessen gewesen? Freilich hatte ich auf meiner Reise schon die unterschiedlichsten Erfahrungen gemacht, gute und schlechte. Aber was hatte ich davon, wenn ich meinem Misstrauen folgte? Sprach nicht vieles dafür, dass dieser Mann mir einfach nur helfen wollte?
Ich atmete tief durch, entschuldigte mich für meine Unfreundlichkeit und erzählte, dass die Leute vom Hotel wohl vergessen hatten, mich abzuholen und ich fix und fertig war von der langen Reise. »No problem«, sagte er, lud meinen schweren Rucksack noch irgendwie auf sein voll bepacktes Fahrrad und begleitete mich zum Hotel. Unterwegs stellte er mir Frage um Frage, wollte wissen, woher ich komme, ob ich allein unterwegs sei, was ich in Jaisalmer vorhabe – und schon blitzte mein Misstrauen wieder auf. Hatte ich doch gehört, dass hier jeder mindestens einen Cousin habe, der die besten Kameltouren in die Wüste organisiere. Es war sicher nur eine Frage der Zeit, bis er mir irgend so ein tolles Angebot offerierte. Innerlich angespannt bereitete ich mich schon darauf vor, es klar und deutlich abzulehnen. Aber zu meinem Erstaunen kam nichts dergleichen über seine Lippen, und als wir schließlich bei meinem Hotel angelangt waren, war ich schon fast geneigt, ihm seine reine Hilfsbereitschaft und sein aufrichtiges Interesse an mir abzunehmen.
Der Eigentümer des Hotels empfing mich trotz der späten Stunde mit großer Freundlichkeit und bot mir gleich einen Tee und ein paar Süßigkeiten an – vermutlich nicht zuletzt deshalb, weil mein Begleiter dort bekannt und beliebt zu sein schien. Er entschuldigte sich wortreich dafür, dass es mit dem Abholen nicht geklappt hatte. Angeblich war der Boy am Bahnhof gewesen, hatte aber einen falschen Zug für den meinen gehalten und sei deshalb nach Hause gegangen in der Annahme, es sei mir irgendetwas dazwischengekommen. Ob das nun wirklich stimmte oder nicht – ich war müde, aber wohlbehalten in meinem Hotel angekommen, alles andere war mir in dem Moment ehrlich gesagt egal.
Als ich mich von meinem Begleiter verabschiedete, war mir klar, dass ich diesem Mann nicht einfach ein Trinkgeld in die Hand drücken konnte. »Womit kann ich mich bei dir bedanken?«, fragte ich ihn und er antwortete spontan: »Indem du mich morgen an meinem Stand auf dem Basar besuchst und mir mehr über dein Leben und deine Reise erzählst.« Und nach einer kurzen Pause: »Und vielleicht hast du ja auch Lust, etwas über mein Leben zu erfahren. Ich bin zwar Händler, aber auch ein guter Geschichtenerzähler und Zuhörer.« Ob er mir dann wohl etwas verkaufen wollte? Noch immer spürte ich eine leichte Skepsis, aber ich fühlte mich auch hingezogen zu diesem Mann und meine Neugier überwog, als ich seine Einladung annahm. »Frage die Leute auf dem Basar nach Somnath, da kennt mich jeder«, sagte er zum Abschied. So begann meine Freundschaft mit Somnath.
Vor langer Zeit stand in Indien ein Tempel mit unzähligen Spiegeln im Innenraum. Über tausend sollten es sein, sagten die Leute. Zufällig streunte eines Tages ein großer Hund um den Tempel und bemerkte die geöffnete Tür. Da kein Mensch in der Nähe war, schlich er sich in den Innenraum. Hunde wissen natürlich nicht, was Spiegel sind, und deshalb erschrak er sehr, als er sich plötzlich von unzähligen anderen Hunden umgeben sah. In seinem Schreck begann er die Zähne zu fletschen. Die anderen Hunde taten es ihm gleich, und so sah sich der verängstigte Hund unzähligen zähnefletschenden Hunden gegenüber. So etwas hatte er noch nie erlebt. So schnell er konnte lief er aus dem Tempel und versteckte sich im nächsten Gebüsch. Dieses schreckliche Erlebnis prägte den Hund für immer. Fortan mied er alle anderen Hunde in der tiefen Überzeugung, dass sie ihm feindlich gesinnt waren. Die Welt war für ihn ein bedrohlicher Ort geworden, von dem er sich so weit wie möglich zurückzog. Verbittert und verunsichert verbrachte er seine Tage in Einsamkeit bis zu seinem Lebensende.
Wie es der Zufall wollte, kam einige Wochen später ein junger Hund am Spiegeltempel vorbei. Auch dieses Mal befand sich kein Mensch in der Nähe, und der Hund spazierte durch die offene Tür. Natürlich wusste auch er nicht, was Spiegel sind, und sah sich ebenfalls sofort von unzähligen Hunden umgeben, als er den Innenraum betreten hatte. Leicht verwirrt begann der Hund zu lächeln und blickte umgehend in freundlich lächelnde Hundegesichter. Erfreut wedelte er daraufhin mit seinem Schwanz und die unzähligen anderen Hunde taten es ihm nach. Die Fröhlichkeit des Hundes wuchs von Minute zu Minute. So etwas hatte er noch nie erlebt, so viele froh gesinnte Hunde, die ihn offensichtlich freudig begrüßten. Lange blieb er bei den vielen Hunden, bis er Schritte hörte und den Tempel schnell verließ. Diese Erfahrung vergaß der junge Hund nicht mehr. Er war fest davon überzeugt, dass ihm alle anderen Hunde freundlich gesinnt waren, und suchte ihren Kontakt. Die Welt war für ihn ein freundlicher Ort. Zusammen mit anderen Hunden lebte er glücklich bis an sein Lebensende.
Eines Tages ging Arif, der reichste Kaufmann eines Ortes, zur nahe gelegenen Oase, um seine Kamele zu tränken. Kurz bevor er die Quelle erreichte, traf er auf seinen alten Nachbarn, den klugen Karim, der in der größten Hitze auf dem Boden kniete und schwitzend im Sand grub.
»Friede sei mit dir, Karim«, begrüßte Arif den Nachbarn.
»Friede sei auch mit dir, Arif«, antwortete dieser.