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Eine inspirierende Geschichte über Selbstfindung und das Vertrauen in sich selbst Lisa wird kurz vor ihrem sechzigsten Geburtstag überraschend gekündigt. Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es war. Keine Anerkennung mehr über den Beruf, viel freie Zeit und die bohrende Frage: »Was kann und will ich nun tun?« Eine Auszeit scheint die Antwort zu sein. Im Rahmen eines Meditationsretreats auf Sri Lanka entdeckt sie, wie sehr ihr eigener Perfektionismus ihr das Leben schwer gemacht hat. Eine buddhistische Nonne wird zu ihrer Mentorin und lehrt sie, mit einfachen Botschaften sich selbst immer klarer zu sehen. Lisa erkennt, dass sie nichts leisten muss, um etwas wert zu sein. Und wie heilsam es ist, fürsorglich und mitfühlend mit sich selbst zu sein. Die Erkenntnis »Du bist gut genug, genau so, wie du bist«, öffnet ihr die Tür in ein neues, glücklicheres Leben. Ein Buch, das hilft und einfach gut tut Ihr Hineinhorchen in sich selbst wird zu einer spannenden Entdeckungsreise. Selbstliebe und Selbstmitgefühl sind der Schlüssel, um Stress und Leistungsdruck hinter sich zu lassen und endlich wieder mit Freude zu leben. Ein Muss für alle Frauen in Umbruchsituationen, die sich und ihren Freundinnen etwas Gutes tun möchten.
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Seitenzahl: 152
Ilona Daiker
Wie ich lernte, dass ich gut genug bin
Knaur eBooks
Eine Selbstfindungsgeschichte über das Vertrauen in sich selbst
Marie wird kurz vor ihrem sechzigsten Geburtstag überraschend gekündigt. Von einem Tag auf den anderen ist nichts mehr so, wie es war. Keine Anerkennung mehr über den Beruf, viel freie Zeit und die bohrende Frage: »Was kann und will ich nun tun?« Eine Auszeit scheint die Antwort zu sein. Im Rahmen eines Meditationsretreats auf Sri Lanka entdeckt sie, wie sehr ihr eigener Perfektionismus ihr das Leben schwer gemacht hat. Eine Nonne wird zu ihrer Mentorin und lehrt sie, mit einfachen Botschaften sich selbst immer klarer zu sehen. Marie erkennt, dass sie nichts leisten muss, um etwas wert zu sein, und wie heilsam es ist, fürsorglich und mitfühlend mit sich selbst zu sein. Die Erkenntnis: Du bist gut genug, genau so, wie du bist, öffnet ihr die Tür in ein neues Leben.
Ein Buch, das hilft und einfach gut tut
Ihr Hineinhorchen in sich selbst wird zu einer spannenden Entdeckungsreise. Selbstakzeptanz und Selbstmitgefühl sind der Schlüssel, um Stress und Leistungsdruck hinter sich zu lassen und endlich wieder mit Freude zu leben. Ein Muss für alle Frauen in Umbruchsituationen, die sich selbst und ihren Freundinnen etwas Gutes tun möchten.
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Widmung
Auf dem Weg ins Unbekannte
Wo bin ich bloß gelandet?
Es ist, wie es ist
Alles ist vergänglich
Du darfst alles fühlen
Du bist gut genug
Wir sind alle nicht perfekt
Öffne dein Herz für dich und andere
Lass los, und schaffe Raum für Neues
Hab keine Angst, und lass dir Zeit
Folge der Stimme deines Herzens, und gehe deinen Weg
Innere Freiheit beginnt dann, wenn du nichts mehr tust, um andere zu beeindrucken. Du musst nichts leisten, um liebenswert zu sein.
Es war bereits dunkel im Flugzeug. Die Stewardessen hatten vor einer halben Stunde die Reste des Abendessens eingesammelt. Links neben mir gab eine junge Frau leise Schnarchgeräusche von sich. Der Mann zu meiner Rechten sah sich irgendeinen Actionfilm an. Ich versuchte, wenigstens ein bisschen zu schlafen, doch in meinem Kopf schlugen die Gedanken Kapriolen, und es gelang mir nicht, sie zur Ruhe zu bringen. Da saß ich nun also im Flugzeug von Frankfurt nach Colombo, um an einem Meditationsretreat auf Sri Lanka teilzunehmen. Was zum Teufel hatte mich geritten, als ich diese Entscheidung getroffen hatte? Nicht dass ich etwas gegen Meditation gehabt hätte. Im Gegenteil, im Prinzip fand ich Meditation prima. Allzu viel Erfahrung hatte ich damit aber bisher nicht gesammelt. Und abgesehen davon erschien mir alles so irreal, was in den letzten Wochen geschehen war und mein Leben komplett auf den Kopf gestellt hatte.
Im Geiste sah ich immer wieder die Gesprächssituation vor mir, in der mein Chef mir vor ein paar Wochen das Unglaubliche verkündet hatte. Ich hörte ihn förmlich sprechen. »Lisa, du weißt ja, dass die Unternehmensberatung Kaltenberg & Co. der Geschäftsführung gestern die Ergebnisse ihrer Analyse präsentiert hat«, hatte er begonnen und dabei nervös seine Hände geknetet.
Was dann folgte, erschien mir so abwegig, dass ich es wie durch einen Schleier wahrgenommen hatte. Ich hätte großartige Arbeit geleistet und die Agentur verdanke mir viel, aber jetzt ginge es um Verjüngung, um einen frischen Blick, den ich naturgemäß in meinem Alter und nach der langen Betriebszugehörigkeit nicht mehr haben könne. Und nein, das sei keineswegs als Kritik an meiner bisherigen Arbeitsleistung zu verstehen. Es sei nur leider ein unumgänglicher Schritt im Rahmen des notwendigen Innovationsbedarfes. Und natürlich wolle man mir nach über zwanzig Jahren nicht einfach kündigen, sondern mir einen großzügigen Abfindungsvertrag anbieten.
Passenderweise war das kurz vor meinem sechzigsten Geburtstag passiert, der mir ohnehin im Magen gelegen hatte. Nicht dass ich mich wirklich alt gefühlt hätte, aber so manche Veränderungen an meinem Körper hatte ich in den letzten Jahren doch mit einer gewissen Wehmut zur Kenntnis genommen: diese Fältchen und Falten, die Auswirkungen der Schwerkraft auf verschiedenste Körperteile, die »Altersfleckchen« auf der Haut und was da sonst noch alles zu sehen oder doch zumindest zu spüren war. Nicht schön, nein, wahrlich nicht, aber auch nicht dramatisch – hatte ich jedenfalls bisher gedacht. Demgegenüber hatte auf der positiven Seite gestanden, dass ich bei der Arbeit immer seltener in Stress geraten war. Mit meinem Erfahrungsbonus hatte ich nicht nur mich selbst, sondern oft auch jüngere Kolleginnen beruhigen und auf den Boden bringen können. Mein Alter war mir deshalb bis zu diesem Kündigungsgespräch weniger als Verlust, sondern vielmehr als Zugewinn an Lebenserfahrung und -qualität erschienen – auch wenn die Zahl Sechzig, das musste ich schon zugeben, ein gewisses Unbehagen in mir hervorgerufen hatte. Daran hatten auch Floskeln wie »Sechzig ist das neue Vierzig«, die so oder ähnlich auf einigen meiner Geburtstagskarten gestanden hatten, nichts ändern können. Denn es stimmte ja nicht. Sechzig hatte nun mal nichts mehr mit der Lebensmitte zu tun, sondern läutete zumindest das letzte Drittel ein. Und es gab eine ganze Menge Dinge, die einem nicht mehr offenstanden. Mit dem zwar auch in jüngeren Jahren überwiegend hypothetischen Gefühl, die Welt stünde einem offen und man könne mit gewissen Entscheidungen sogar noch warten, war es jedenfalls endgültig vorbei.
Anders als meine Freundinnen hatte ich nie daran gedacht, vor meinem regulären Rentenalter aufzuhören zu arbeiten. Ich legte zwar großen Wert auf meine Freizeit und meine Urlaubsreisen. Mein Lebensgefährte Stefan, meine Herkunftsfamilie, mein Freundeskreis und insbesondere meine Freundinnen waren mir wichtig, und ich nahm mir vielleicht nicht immer genug, aber doch regelmäßig Zeit für sie. Doch da ich keine Kinder hatte, also auch keine Elternzeit in Anspruch hatte nehmen können, war die Arbeit für mein Leben bisher doch sehr bestimmend gewesen. Ich war Lisa, die kreative Designerin, die immer wieder neue Gestaltungselemente für das Corporate Design von verschiedensten Unternehmen entwickelt und damit auch so manchen Pitch für die Agentur gewonnen hatte. Nicht dass ich meine Arbeit für unersetzlich gehalten hätte, aber es war eben etwas, das ich gut konnte, und deshalb schien es untrennbar zu mir, zu meiner Identität zu gehören.
Was danach kommen würde, hatte mich bisher wenig beschäftigt. Rein theoretisch hatte ich mir schon mal zurechtgesponnen, was ich nach meinem Arbeitsleben machen könnte. Meine Ideen hatten vom Leben auf dem Land mit Garten und Tieren über Reise- und Auswanderungsideen, verschiedenste ehrenamtliche Tätigkeiten, die Gründung einer Senioren-WG bis hin zur Aufnahme eines Studiums der Religionswissenschaften oder Ethnologie gereicht. Alles ganz unverbindlich.
»Wer weiß, vielleicht mache ich ja noch eine Ausbildung zur Yogalehrerin, oder ich gehe erst mal auf eine Alm und hüte Ziegen oder Kühe«, hatte ich eher zum Spaß schon mal zu einer meiner Freundinnen gesagt, die etwas älter waren und sich mehr mit dem Thema beschäftigen mussten oder wollten. Für mich waren das bisher nur unverbindliche Gedankenspiele ohne jede Ernsthaftigkeit gewesen, doch jetzt fühlte sich das völlig anders an. Die Frage lautete nicht mehr: »Was könnte ich vielleicht tun?«, sondern: »Was möchte und was kann ich jetzt wirklich tun?« Zwei Fragen, die ähnlich klingen und doch Welten voneinander entfernt sind!
War ich jetzt etwa doch kurz eingeschlafen? Auf jeden Fall taten mir alle Knochen und Muskeln weh, als ich mitten in der Nacht versuchte, eine bequemere Sitzposition einzunehmen. Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass wir noch einige Stunden Flugzeit vor uns hatten. Wahrscheinlich war es mein Herumzappeln, das meine junge Sitznachbarin aufgeweckt hatte, und ich rechnete schon mit einem genervten Blick oder bösen Kommentar. Aber sie lächelte mich freundlich an und meinte: »Na, Schwierigkeiten mit dem Einschlafen?«
»Tut mir leid, aber ich kriege kein Auge zu, jedenfalls nicht länger als ein paar Minuten«, antwortete ich stöhnend, woraufhin sie mich anschaute und fragte: »Liegt es an den unbequemen Sitzen oder an der Aufregung, was dich wohl in Sri Lanka erwartet?«
Erstaunt und gleichzeitig dankbar für diese ungewöhnlich direkte Frage sowie dafür, dass sie mich geduzt hatte, antwortete ich so offen und ehrlich, wie ich das gegenüber unbekannten Menschen sonst nicht zu tun pflegte: »Letzteres trifft den Nagel auf den Kopf. Ich habe mich entschieden, an einem Meditationsretreat teilzunehmen, obwohl ich bisher nur sporadisch meditiert habe und ehrlich gesagt keine Ahnung habe, was da auf mich zukommt und ob ich das überhaupt durchhalte.«
»Und warum machst du das, wenn ich fragen darf?«, erwiderte sie.
»Tja, ich habe völlig unerwartet meinen Job verloren und keinen blassen Dunst, wie es weitergehen soll. Ich fühle mich ein bisschen wie nach dem Abschluss meines Studiums, als ich auch nicht wusste, was ich aus meinem Leben machen will. Im Gegensatz zu damals habe ich aber nicht mehr das Gefühl, mir stünde die Welt offen. Denn gleichzeitig komme ich mir entsetzlich alt vor. Ich bin gerade sechzig geworden und frage mich, was denn jetzt überhaupt noch möglich ist – und nicht nur möglich, sondern auch sinnvoll.«
»Okay«, sagte sie und wackelte mit dem Kopf, »das klingt wirklich nach einer nicht ganz einfachen Situation oder – wie man es heute gerne ausdrückt – nach einer Herausforderung.«
»Das kannst du wohl sagen«, bekräftigte ich. »Na ja, und als ich so gar keine Idee hatte, was ich tun sollte, rief mich ein alter Freund an und empfahl mir dieses Zentrum. Er meinte, dort könne ich herausfinden, was mir wirklich wichtig sei.«
Ich machte eine kleine Pause, bevor es förmlich aus mir herausplatzte: »Und zwar unabhängig davon, wie mein Partner, meine Geschwister, meine Freundinnen und ehemaligen Kolleginnen das finden, die natürlich alle schon Ideen und Vorstellungen davon haben, was zu mir passen würde.«
Dann sahen wir uns an und mussten plötzlich beide lachen. Es war ein befreiendes Lachen. Wie zwei kleine gackernde Teenager saßen wir prustend nebeneinander. Und tatsächlich erinnerte mich diese junge Frau an eine meiner besten Schulfreundinnen, die es oft verstanden hatte, mich auch in schwierigen Situationen zum Lachen zu bringen.
»Ich heiße Nora«, sagte sie, nachdem wir uns wieder beruhigt hatten, »und in gewisser Weise geht es mir ähnlich. Eigentlich hatte ich geplant, nach meinem Studienabschluss zusammen mit meinem Freund ein Jahr Work and Travel zu machen. Doch kaum hatte ich meinen Master in der Tasche, eröffnete er mir, dass er sich in eine andere Frau verliebt hat und sich von mir trennen will.«
Nora schwieg einen Moment, bevor sie fortfuhr: »Da ist eine Welt in mir zusammengebrochen. Klingt kitschig, oder? Es fühlte sich aber so an. Wir waren so ein tolles Paar – dachte ich zumindest immer –, wir hatten so viele gemeinsame Pläne geschmiedet, und dann das.«
Nora atmete tief durch, starrte die Lehne vor ihr an und verstummte kurz, als ob ihr noch einmal vieles durch den Kopf ginge.
Doch dann redete sie in einem energischen Ton weiter. »Ich möchte jetzt erst mal allein auf Reisen gehen, um mehr von der Welt und von mir selbst kennenzulernen, bevor ich anfange zu arbeiten oder mich womöglich in eine neue Beziehung stürze.«
Sie verzog das Gesicht und feixte, bevor sie fortfuhr: »Weißt du was? Ich finde das ziemlich cool und mutig, was du vorhast. Und außerdem: Was hast du schon zu verlieren? Ist doch allemal eine spannende Erfahrung, oder?«
»Da hast du wohl recht«, stimmte ich ihr zu und war fast ein bisschen stolz darauf, dass eine so junge Frau mein Vorhaben cool und mutig fand. Es bestärkte mich darin, dass es richtig gewesen war, Stefans lieb gemeintes Angebot, mit mir zusammen zu verreisen, abzulehnen.
»Ein anderes Mal sehr gerne«, hatte ich zu ihm gesagt und zu erklären versucht, dass ich allein herausfinden musste, was für mich jetzt wichtig war. »Wenn ich zurückkomme, können wir gerne darüber sprechen, was für neue Möglichkeiten sich dadurch auch für unser Zusammenleben ergeben. Aber den ersten Schritt will ich allein gehen«, hatte ich gesagt, um ihm meine Entscheidung verständlich zu machen.
Die Enttäuschung war ihm anzusehen gewesen, als er schließlich meinte, er könne das zwar nicht so ganz nachvollziehen, würde es aber akzeptieren. Dafür war ich ihm sehr dankbar. Umso mehr, als er bereits seit einem Jahr nicht mehr arbeitete und mich schon seit einiger Zeit zu bearbeiten versucht hatte, ein Sabbatical zu nehmen, um mit ihm zusammen auf Weltreise zu gehen.
Während Nora wieder schlief, fiel mir das Tagebuch ein, das mir eine Freundin zum Abschied geschenkt hatte. »Vielleicht magst du dir ja ab und zu aufschreiben, was dir durch den Kopf geht«, hatte sie gesagt. »Mir selbst hat es in einer Umbruchsituation sehr geholfen, die Fragen, die mich umtrieben, aufzuschreiben, weil ich allein schon dadurch mehr Klarheit darüber gewonnen habe, worum es eigentlich geht.«
Ich nahm das Büchlein, auf dessen Einband wunderschöne Lotusblüten abgebildet waren, aus meinem Rucksack und schrieb die Fragen auf, die mir jetzt nicht mehr gar so wild durch den Kopf schwirrten, sondern etwas klarer zu werden schienen:
Wer bin ich ohne meinen Beruf? Was bin ich wert, und was verleiht meinem Leben Sinn?
Was erwartet mein Umfeld von mir, und wie wichtig ist mir die Anerkennung der anderen?
Was will ich? Was ist mir wirklich wichtig?
Als ich übermüdet und aufgeregt in Colombo aus dem Flugzeug stieg, wurde ich schier erschlagen von der feuchten, subtropischen Hitze – und das am frühen Morgen! Was für ein Unterschied zur kühlen Witterung zu Hause in Frankfurt! Aber nicht nur die Temperatur, auch die Geräusche, die Gerüche und das Licht waren so ganz anders. Ob ich in dieser fremden Welt finden würde, was ich suchte?
Aber für solch grundsätzliche Gedanken war jetzt wirklich nicht die Zeit. Zunächst brauchte ich ein Taxi, das mich zum Meditationszentrum brachte. Und davor wollte ich noch Stefan und meinen engsten Freundinnen schreiben, dass ich gut angekommen war. Denn im Zentrum, so viel wusste ich schon, gab es keinen Handy-Empfang, ja noch nicht einmal Elektrizität. Es war ein seltsames Gefühl, mein Handy nicht nur kurzfristig lautlos oder auf Flugmodus zu stellen, sondern es wirklich auszuschalten.
»Du wirst sehen, wie gut es tut, für eine gewisse Zeit mal offline und ausschließlich in der Gegenwart zu sein«, hatte mein alter Freund Bernie gesagt, als er mir das Meditationszentrum empfohlen hatte. So ganz sicher war ich mir da zwar nicht, aber ich hatte fest vor, mich auf dieses Abenteuer einzulassen.
Abenteuerlich und weit entfernt von dem, was ich so kannte, fühlte sich schon die Fahrt durch die chaotischen Straßen Colombos an. Mein Taxifahrer kämpfte sich hupend zwischen großen, bunt bemalten Lastwagen, mittelalterlich anmutenden Rindergespannen, wendigen Tuk-Tuks, Rikschas, Fahrradfahrern und überfüllten Bussen hindurch. Ich fühlte mich gleichzeitig angezogen und abgestoßen von diesem bunten Durcheinander. Das Ganze schien wie ein Fischschwarm zu funktionieren: Die verschiedenen Verkehrsteilnehmer wichen einander auf eine – für mein deutsches, auf festen Regeln basierendes Denken und Handeln – nicht nachvollziehbare Weise aus und umfuhren einander, ohne zusammenzustoßen. Irgendwie faszinierend, aber auch ein bisschen beängstigend!
»Don’t worry, Madame«, versuchte der Fahrer mich zu beruhigen. »Just relax. I’m a very good driver«, lobte er sich selbst und lächelte mich freundlich an. Abgesehen von ein paar Manövern, bei denen ich kurz die Luft anhalten und mich am Sitz festkrallen musste, entspannte ich mich tatsächlich mehr und mehr, als sich unser Weg schließlich durch kleine Dörfer und wenig befahrene Straßen immer höher ins Bergland hinaufschlängelte.
Es hatte fast etwas Unwirkliches: Ab und zu rannten lachende Kinder dem Taxi hinterher und winkten. Frauen, die in den Teeplantagen arbeiteten, wirkten in ihren bunten Saris wie wunderschöne Farbflecken zwischen all den grünen Büschen. Junge, meist dünne, sehnige Männer mit um die Hüften gebundenen Tüchern schulterten schwere Lasten in rucksackähnlichen Körben. Alte Männer saßen am Straßenrand, kauten Betel, unterhielten sich und spuckten ab und zu eine ekelhaft aussehende rote Flüssigkeit aus. Es fühlte sich so an, als ob ich in einem Film gelandet wäre, von dem ich noch nicht wusste, ob er mir gefällt oder nicht.
Und dann endlich, am Nachmittag, nachdem mein Fahrer etliche Male fluchend ausgestiegen war, um zu überprüfen, ob sein Wagen die Fahrt durch die tiefen Schlaglöcher heil überstanden hatte, sah ich die flachen, einfachen Gebäude des Meditationszentrums, eingebettet in eine üppige subtropische Vegetation. Was für ein kleines Paradies! Hier würde ich zur Ruhe kommen können. Auf eine Art fühlte es sich an wie Ankommen, wie Nachhausekommen.
Da war ich also. Mein Herz klopfte, als ich, dem Schild »Reception« folgend, über das Gelände ging und mich für meine Verhältnisse ungewohnt schüchtern umsah. Das hier war anders als alles, was ich kannte. Es lag eine ganz besondere Stille über allem. Ein paar Menschen gingen langsam und mit leicht gesenktem Blick durch den Garten. Keiner sah mir ins Gesicht oder erwiderte mein Lächeln, was mich ziemlich befremdete und verunsicherte. Umso dankbarer war ich, als ich an der Rezeption von Karen, einer Endvierzigerin, die, ihrem Englisch nach zu urteilen, vermutlich aus Skandinavien oder den Niederlanden stammte, sehr herzlich begrüßt wurde.
»Hallo, Lisa«, sagte sie. »Wie schön, dass du da bist. In den ersten Tagen wird dir hier sicher so manches befremdlich erscheinen, wenn du noch nie an einem Retreat teilgenommen hast. Es geht hier nicht darum, Kontakte mit anderen zu schließen, sondern ganz nach innen zu schauen. Deshalb lächeln wir uns auch nicht an, wenn wir uns begegnen. Das hat nichts mit Unfreundlichkeit zu tun, sondern wir bezeugen damit vielmehr Respekt davor, dass das Ziel an diesem Ort darin besteht, in die Stille zu gehen. Manche tragen ein kleines Schild an der Brust, auf dem ›I am in silence‹ steht. Das bedeutet, dass sie auch während der Teatime nicht an der achtsamen Kommunikation teilnehmen. Was es damit auf sich hat, kannst du auf diesem Blatt nachlesen, auf dem die wichtigsten Regeln aufgelistet sind, die hier gelten.«
Mit diesen Worten drückte Karen mir ein Blatt mit Verhaltensregeln sowie einen Stundenplan, auf dem der gesamte Tagesablauf nachzulesen war, in die Hand. An diesen Plan müsse sich jeder halten. Nur wer krank sei, könne mal eine Meditation versäumen. Ansonsten würde von jedem, der an dem Retreat teilnehmen wolle, erwartet, bei allen Stunden dabei zu sein.
Ich nickte und ließ mir nichts anmerken, doch innerlich kam leichte Panik in mir auf. Mit so viel Strenge hatte ich nicht gerechnet. Wo blieb denn da meine Freiheit? Aber ich hatte nicht viel Zeit zum Nachdenken, bevor der nächste Schock kam.
»Komm mit, Lisa«, sagte Karen, »jetzt zeige ich dir dein Zimmer. Heute bist du noch allein, ab morgen bekommst du eine Zimmergenossin.«