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Sarah Klein ist eine erfolgreiche Autorin. Als sie eines Tages eine Einladung zum Klassentreffen erhält, wird sie von schrecklichen Erinnerungen an ihre Schulzeit erinnert. Bald darauf folgen die ersten mysteriösen Todesfälle unter den ehemaligen Mitschülern. Martin Sturz und Dietmar Schäfer ermitteln und stoßen dabei an ihre Grenzen. Der Roman handelt zeitlich zwischen "Isabella" und "Meine Freundin Marilyn", somit gewährt Sascha Ruppenthal neue Einblicke in das Privatleben der Kommissare.
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Seitenzahl: 316
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Vorwort
Sehr geehrte Leser, ich bedanke mich erst einmal für das Interesse an diesem Roman.
Ich möchte direkt darauf hinweisen, dass dieser Roman direkt an „Isabella“ anknüpft und somit wenige Monate vor „Meine Freundin Marilyn“ handelt. Somit bekomme ich die Gelegenheit die Kommissare Sturz und Schäfer nochmals zum Leben zu erwecken und auf deren Freundschaft mehr einzugehen. Interessant für Sie als Leser wird es, da Sie bereits von deren Schicksal wissen.
Nun, was erwartet Sie in diesem Roman? Es wird einen starken Einstieg geben, Kapitel 1 wird Sie direkt in das Geschehen eintauchen lassen. Im Laufe der Geschichte werden Sie Sarah kennenlernen, eine Frau mittleren Alters, die in ihrer Jugend vielen Schikanen ausgesetzt gewesen ist. Ob es in frühen Jahren in der Schule passierte oder auch später im beruflichen Werdegang. Sie werden ihren Leidensweg kennenlernen und die Personen, die dafür verantwortlich sind. Natürlich werden ihre Peiniger zum persönlichen Rachefeldzug von Sarah und Sie werden überrascht sein, auf welche Art sie sich an diesen rächen wird.
Sascha Ruppenthal
Das Klassentreffen
Text: Sascha Ruppenthal
Cover: Sebastian Göhre, Franziska und
Katharina Seidler
Lektorat: Dietmar Seidler
1. Fenstersturz
Ein lauter Schrei weckt Renate unsanft aus ihrem Schlaf. Sie sitzt aufrecht in ihrem Bett, ihr Herz pocht wie wild in ihrer Brust. Sie blickt aus dem Fenster, es donnert und blitzt. Die Nacht wird durch ein starkes Unwetter geprägt. Der Regen schlägt wie Peitschenhiebe an das Fenster. Sie blickt um sich, überlegt, ob sie schlecht geträumt hatte. Doch dann wieder dieser laute und beängstigte Schrei. Er stammt von ihrer Tochter Tanja, die sich in ihrem Zimmer befindet.
Renate drückt auf den Lichtschalter, der sich direkt an der Wand am Bett befindet, doch das Licht geht nicht an. Nur die hellen Blitze spenden ihr etwas Licht in dem sonst so dunklen Schlafzimmer. Sie drückt mehrmals auf den Lichtschalter, doch es passiert nichts. Plötzlich wieder diese lauten Schreie. Sie steigt aus ihrem Bett und eilt aus dem Schlafzimmer. Im Hausflur drückt sie direkt auf den Lichtschalter, doch auch hier wird ihr das Licht verwehrt. Sie rennt am geöffneten Badezimmer vorbei zur Zimmertür von Tanja. Als sie die Türklinke berührt, fällt ihr diese ungewöhnliche Kälte auf, eine Kälte, die ihr das Blut in den Adern gefrieren lässt. Sie versucht, die Tür zu öffnen, aber sie bleibt verschlossen.
„Tanja, was ist los?“, ruft sie aufgeregt in das Zimmer. Doch nur laute Schreie geben ihr Antwort. Es sind verzweifelte Schreie, die Renate das Gefühl geben, dass ihre Tochter Todesängste haben muss. „Tanja, bitte öffne die Tür“, ruft sie wieder. Dabei versucht sie immer wieder die Tür zu öffnen, versucht, sogar mit ihrem ganzen Körper dagegen zu stoßen, doch die Tür bleibt weiterhin verschlossen. Als ob sich eine dicke Wand dahinter befinden würde, die ihr verbietet, das Zimmer zu betreten. „Nein, lass mich in Ruhe, lass mich endlich in Ruhe“, ruft Tanja und Renate bemerkt, dass nicht sie damit gemeint ist. Jetzt hört es sich an, als ob Tanja mit jemandem kämpfen würde. Das Zerbersten eines Spiegels hört
Renate, dann das Brechen von Holz. Tanja wirft nun verschiedene Gegenstände durch ihr Zimmer. „Wer ist bei dir?“, möchte Renate wissen, doch es folgt keine Antwort. Sie beugt sich etwas nach unten und blickt durch das Schlüsselloch, bemerkt dabei, das sich kein Schlüssel im Schloss befindet. Was ihre Augen wahrnehmen, sind unwirkliche Bilder. Das Licht der Blitze durchströmt den Raum, hier und da erkennt sie ihre Tochter, die wie wild durch das Zimmer rennt. Plötzlich schaut auch Tanja durch das Schlüsselloch. Renate blickt nun direkt in das Auge ihrer Tochter und was es ausstrahlt, ist Todesangst. „Mama, hilf mir bitte“, so die flehenden Worte. Dann plötzlich wird Tanja nach hinten gezogen, als ob sie jemand ziehen würde, doch Renate kann keine andere Person erkennen. Tanja steht nun an ihrem geschlossenen Fenster, Renate kann sie klar und deutlich erkennen und was sie mitansehen muss, lässt sie erschaudern. Tanja beginnt damit ihre Haare auszureißen, ihre wunderschönen blonden Haare. „Hör damit auf, was ist los mit dir? Öffne die Tür, los“, ruft Renate. Doch ihre verzweifelten Rufe werden nicht erhört. Wieder einen Blick durch das Schlüsselloch, um zu erkennen, das sich Tanja immer noch die Haare ausreißt, im Hintergrund das geschlossene Fenster. Plötzlich gibt es einen lauten Knall, sämtliche Türen in der Wohnung schlagen gleichzeitig zu, als wenn ein Sturm durch die Wohnung toben würde. Renate kann ihren Herzschlag richtig an ihrem Hals spüren, sie verspürt große Angst. Wieder schaut sie durch das Schlüsselloch. Tanja steht mit dem Rücken zum Fenster, ihr ganzer Körper zittert und dann wird sie plötzlich von einer unbekannten Kraft nach hinten geworfen, durch das Glas des Fensters. Renate kann ihren Augen nicht trauen und sie weiß, dass Tanja einen Sturz aus dem fünften Stock nicht überleben wird.
Plötzlich werden ihre Augen von dem angehenden Licht geblendet, in der Wohnung geht nun überall das Licht an. Im Flur, im Schlafzimmer und auch alle Türen öffnen sich, auch die Zimmertür von Tanja öffnet sich ganz langsam, wie von Geisterhand. Mit dem Licht in der Wohnung schwindet auch die Kälte, Renate blickt in das Zimmer, der weiße Vorhang wird durch den Wind als Spielzeug benutzt. Der Regen strömt nun auch durch das zerborstene Fenster in das Zimmer, in dem sich nun ebenfalls das Licht einschaltet. Überall liegen ausgerissene Haare, an den Wänden befindet sich ein Schriftsatz in Blut geschrieben und alle Gegenstände wurden wie wild durch das Zimmer geworfen.
Renate geht an das zerbrochene Fenster, Tränen strömen aus ihren Augen. „Tanja, was ist passiert“, ruft sie, wohl wissend, dass keine Antwort folgen wird. Sie blickt aus dem Fenster nach unten und erkennt ihre Tochter auf dem kalten und nassen Asphalt. Mit weit aufgerissenen Augen liegt sie da, ihre Arme ausgestreckt und überall Blut, das von dem Regen verwischen wird.
Nach ein paar Minuten ist das Geräusch der Sirenen zu hören. Krankenwagen, Polizei und Notarzt eilen in den Birkenweg in Sulzbach. Renate steht immer noch an dem Fenster, ihre Blicke verharren bei dem Anblick ihrer toten Tochter. Der Regen schlägt ihr in das Gesicht, ähnlich einer Ohrfeige, die sie jedoch nicht wahrnimmt. Sie war Teil ihrer Geburt und nun auch Teil ihres Todes, sie kann es nicht fassen, was vor wenigen Minuten geschehen ist. Sie lässt die letzten Tage und Wochen vor ihrem geistigen Auge Revue passieren, um zu erfahren, wie es zu diesem schrecklichen Vorfall kommen konnte.
Zwei Wochen vorher
Renate steht am Herd in ihrer Küche, bereitet gerade das Mittagessen vor, als sich plötzlich die Haustür öffnet und eine weibliche Stimme zu hören ist. „Hallo Mama, bin zu Hause“, so Tanja, ihre Tochter. Sie kommt aus dem Flur in die Küche, gibt ihrer Mutter einen leichten Kuss auf die Wange und schaut in den Topf. „Oh, das riecht aber gut“, sagt sie mit einem breiten Lächeln zu ihrer Mutter. „Ja, es gibt Linsensuppe. Haben wir schon lange nicht mehr gehabt und ich weiß ja, wie sehr du sie magst. Möchtest du Wiener darin oder lieber eine Bockwurst?“, fragt sie ihre Tochter, die sich gerade an den Küchentisch setzt. Tanja überlegt kurz, streift dabei durch ihre langen blonden Haare und antwortet: „Ich mag lieber Wiener, dank dir Mama.“ Renate lächelt und geht an den Kühlschrank, nimmt vier Wiener heraus und gibt diese der Suppe bei. Tanja nimmt ihr Smartphone und fängt an, darauf zu lesen, was Renate direkt auffällt. „Also die Jugend von heute, könnt ihr eigentlich noch ohne diese Dinger?“, wirft sie in den Raum. Tanja lächelt und schüttelt den Kopf, danach antwortet sie gelassen: „Mama, ich suche einen Job. Ich finde es ja super, dass du mich wieder nach der Trennung von Marc aufgenommen hast, aber ich bin immerhin 46 Jahre alt, ich muss alleine klarkommen.“ Renate rührt weiterhin die Suppe, deren Geruch nun die ganze Küche durchflutet. „Ach Maus, wenn es nach mir ginge, könntest du immer bei mir bleiben. Ich habe ja sonst niemanden mehr.“ Dabei gibt sie etwas Salz in die Suppe. Renate lebt seit drei Jahren im Birkenweg in Sulzbach, zog damals mit ihrem Mann Manfred in die Wohnung. Kurze Zeit nach dem Einzug wurde bei Manfred Krebs diagnostiziert, danach blieben dem Ehepaar nur noch drei gemeinsame Monate. Sie waren 51 Jahre verheiratet, es war der erste und letzte Mann für Renate und dann wurde er durch eine Krankheit aus ihrem Leben gerissen. Nach seinem Tod war es für Renate sehr schwer, sie ging fast daran zugrunde. Überall in der Dreizimmerwohnung sind Dinge, die an Manfred erinnern. Im Wohnzimmer der kleine Glasschrank mit den Feuerwehrautos aus verschiedenen Zeitepochen, die er mit Liebe sammelte. Manchmal konnte Renate sogar seinen Körperduft in der Wohnung wahrnehmen. Dennoch war das Leben für sie eine Qual, unerträglich und gerade als sie damit abschließen wollte, meldete sich Tanja. Ihre einzige Tochter trennte sich von ihrem Freund Marc, sie waren schon über elf Jahre ein Paar, doch da Marc mehr in seine Arbeit verliebt gewesen ist, suchte sich Tanja einen Liebhaber. Es dauerte nicht lange, bis diese Sache aufgefallen war und Marc trennte sich von Tanja. Da es seine Wohnung gewesen ist, musste sie gehen und ihr erster Gedanke war ihre Mutter. Dies rettete Renate mehr oder weniger das Leben, denn sie sah nun wieder einen Sinn darin, sie war nicht mehr alleine.
„Stell dir vor Mama, in ungefähr drei Monaten machen wir ein Klassentreffen“, sagt sie zu ihrer Mutter, während sie weiter auf ihrem Smartphone liest. Renate dreht sich zu ihr um und fragt nach: „Klassentreffen? Handelsschule?“ Tanja schüttelt den Kopf und antwortet: „Nein, Grundschule. Es ist eine Idee von Silke, durch Facebook hat sie fast alle damaligen Schüler gefunden und eine Whatsapp Gruppe gemacht.“ Renate rührt nochmals die Suppe, die Wiener platzen bereits auf, so heiß ist der Ofen eingestellt. Sie nimmt den Topf von der Herdplatte und schaltet den Ofen aus. Danach dreht sie sich zu Tanja um. „Grundschule. Ach her je, das ist schon so lange her. Von meiner Klasse damals leben kaum noch welche. Wisst ihr schon, wo das Klassentreffen stattfinden soll?“ Tanja überfliegt kurz die Nachrichten auf Whatsapp und antwortet: „In einer Gaststätte in Schnappach. Die machen super Essen und teuer ist es auch nicht.“ Renate geht an den oberen Küchenschrank und entnimmt zwei Teller. „Da wir gerade beim Thema Essen sind, die Suppe ist fertig“, so ihre Worte.
Renate serviert das Mittagessen und Tanja blickt weiterhin auf ihr Smartphone, lächelt dabei, dass sich jedoch plötzlich in ein Erstaunen wandelt. „Was soll das jetzt?“, sagt sie vor sich her. Renate setzt sich, nimmt die Maggieflasche und schüttet sich etwas in die Suppe, danach fragt sie nach: „Was ist los?“, möchte sie wissen. Tanja schüttelt den Kopf und antwortet: „Ich wurde aus der Gruppe entfernt, von Silke. Seit acht Tagen gibt es die Gruppe und jetzt wurde ich einfach entfernt. Moment Mama, ich muss das klären.“ Renate schüttelt den Kopf und fängt damit an die Suppe zu essen. „Hallo Silke, sag mal, warum hast du mich aus der Gruppe entfernt?“, spricht Tanja in ihr Handy. Sie sendet die Sprachnachricht direkt an ihre Freundin Silke. Nach ein paar Sekunden folgt ihre Antwort: „Du Tanja, ich war das nicht. Ja, ich bin Admin, aber ich habe dich nicht entfernt, ich verstehe das nicht.“ Tanja schüttelt wütend den Kopf, ihre Blicke wandern zu Renate. „Mama, entschuldige bitte, ich muss das klären“, danach verlässt sie die Küche und telefoniert mit Silke.
Gegenwart
„Frau Ganz, benötigen Sie einen Psychologen?“, fragt ein Sanitäter nach, der sich um Renate kümmert. Sie schüttelt den Kopf, versteht einfach nicht, wie es zu diesem schrecklichen Vorfall gekommen ist. „Hier ist jemand von der Polizei, der mit Ihnen sprechen möchte, ist das in Ordnung für Sie?“, fragt er weiterhin. Renate blickt in seine dunklen Augen und bejaht dies durch ihre Gestik. Der Sanitäter nickt ihr zu und weicht nach hinten aus, ein großer Mann nähert sich Renate. Ein Mann der eher an Falco erinnert anstatt an einen Polizisten. „Guten Abend, mein Name ist Sturz, Martin Sturz, ich bin von der Kriminalpolizei hier in Sulzbach. Können Sie mir mitteilen, was genau passiert ist?“, dabei nimmt er sich einen Stuhl und setzt sich neben Renate. Sie nimmt tief Luft und beginnt zu erzählen: „Ich wurde durch ihre Schreie wach, das Licht ging nicht an, alles war wie in einem nicht enden wollenden Alptraum. Ich ging an ihre Tür, die verschlossen war, obwohl der Schlüssel dafür seit Jahren nicht auffindbar ist. Sie hat fürchterlich geschrien und ich könnte schwören, dass sie nicht alleine gewesen ist. Durch das Schlüsselloch sah ich, dass sie sich ihre Haare ausgerissen hatte, warum, warum nur? Ich sah keine andere Person, aber ich spürte eine fremde Gegenwart, irgendetwas war bei ihr. Alles fing vor zwei Wochen an, der Abend nach dem Telefonat mit ihrer Freundin Silke, alles war anders“, Sturz unterbricht: „Was meinen Sie bitte? Was war anders?“, möchte er wissen. Und während Renate erzählt, notiert er sich alles schön und sauber auf seinem kleinen Notizblock. „Sie beklagte sich über schreckliche Alpträume. Sie hatte sogar Angst davor einzuschlafen, trank Energiedrinks, sie veränderte sich total.“ Martin nickt ihr zu und fragt nach: „Hat sie Ihnen etwas von den Träumen erzählt? Was veränderte Ihre Tochter so fürchterlich?“ Renate überlegt kurz, wischt sich mit einem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht und antwortet: „Es fing alles mit diesem Klassentreffen an, Sie fragen besser ihre beste Freundin Silke. Ich kann Ihnen leider nicht mehr erzählen, nur so viel, dass sich meine Tochter total verändert hatte. Sie hatte fürchterliche Angst, aber ich weiß nicht vor was oder vor wem, tut mir leid.“ Martin senkt seinen Kopf, blickt auf den Boden, ist von dieser Geschichte sichtlich berührt. Er fasst Renate an die Schulter und verspricht ihr, der Sache nachzugehen. Von hinten nähert sich nun Dietmar Schäfer, der die ganze Zeit am Zimmereingang stand und dem Gespräch unauffällig zuhörte. Martin steht auf und wendet sich Dietmar zu, der ihn nachdenklich anstarrt und sagt: „Erinnert mich irgendwie an unseren letzten Fall, meinst du nicht auch?“ Martin überlegt kurz und schüttelt den Kopf. „Nein mein Freund, das hier ist etwas ganz Anderes“, sie unterhalten sich noch etwas, ohne das Renate deren Worte verstehen kann. Ihre Gedanken sind bei ihrer Tochter, sie sucht eine Erklärung, wie es zu diesem schrecklichen Vorfall kommen konnte.
Martin und Dietmar gehen in das Zimmer von Tanja, drei Personen der Spurensicherung untersuchen den Raum, der Wind bläst durch das kaputte Fenster. Martin schaut sich um, erkennt überall die ausgerissenen Haare und verschiedene Blutspuren. An der Wand, über dem Bett steht in Blut geschrieben: „Hör auf“, was auch Dietmar auffällt, der nun zum Schminkspiegel geht. Auf dem Tisch fällt ihm eine kleine Dose auf, indem sich Medikamente befinden mit der Aufschrift Prazosin. „Du Martin, komm mal bitte“, ruft er nach seinem Kollegen, der dieser Aufforderung nachkommt. „Was gefunden Dietmar?“, fragt er nach. Dietmar nimmt die Medikamentendose und zeigt sie Martin. Nun kommt auch Renate in das Zimmer, ihre Augen sind verheult, sie kann es immer noch nicht fassen. Martin dreht sich zu ihr um, sie steht noch immer am Eingang des Zimmers. „Frau Ganz, wissen Sie, wozu Ihre Tochter dieses Medikament eingenommen hatte?“, möchte er wissen und zeigt ihr die Medikamentendose. Renate wischt sich mit einem weißen Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht, überlegt kurz und antwortet: „Sie hatte seit ungefähr zwei Wochen schreckliche Albträume, sie konnte kaum noch schlafen. Oft weigerte sie sich, auch ins Bett zu gehen. Dieses Medikament hat ihr der Hausarzt verschrieben.“ Martin überlegt kurz, einen Blick zu Dietmar, der dies auch sehr merkwürdig empfindet. „War Ihre Tochter vielleicht auch eine Schlafwandlerin?“, möchte nun Dietmar wissen. Renate überlegt einen kurzen Augenblick und schüttelt den Kopf. „Nicht das ich wüsste. Ich sage Ihnen, sie war wach, so wie Sie jetzt hier stehen. Ich habe es durch das Schlüsselloch beobachtet, sie wollte meine Hilfe, aber es war abgeschlossen“, dabei nimmt sie eine offensive Haltung ein. Martin versucht, mit beruhigenden Worten auf sie einzugehen. Dietmar kneift seine Lippen zusammen und erwidert: „Wir haben aber keinen Schlüssel gefunden. Wie konnte die Tür abgeschlossen sein? Haben Sie dafür eine Erklärung?“ Renate schüttelt nochmals den Kopf, blickt auf den unaufgeräumten Boden und antwortet: „Ich verstehe das auch nicht. Wir hatten zu diesem Zimmer nie einen Schlüssel. Aber ich sage Ihnen, es war abgeschlossen. Als Tanja durch das Fenster gefallen ist, da öffnete sich die Tür. Ich verstehe überhaupt nichts mehr, bitte entschuldigen Sie mich“, danach rennt sie wieder zurück in die Küche. Martin schaut ihr nach und versucht, eine logische Erklärung zu finden. „Ich sage doch Martin, das erinnert mich an unseren letzten Fall, der übrigens nur eine Straße weiter gewesen ist“, bemerkt Dietmar. Martin senkt seinen Kopf, verlässt das Zimmer und geht auf den Balkon, lehnt sich an das Geländer und betrachtet die Aussicht. Dietmar folgt ihm und am Horizont erscheinen langsam die Strahlen der Morgensonne. „Für September ist es ungewöhnlich warm, findest du nicht auch?“, fragt Martin seinen Kollegen, der sich die Brille abnimmt, sie mit einem weißen Tuch reinigt, wieder anzieht und antwortet: „Ja, irgendwie schon. Martin, ist alles in Ordnung?“ Dietmar bemerkt, dass sein Kollege und Freund in Gedanken schweift. Martin blickt nach unten, nimmt tief Luft und erwidert: „Ach Dietmar. Ich bin es irgendwie leid. Dieser Beruf, die schrecklichen Dinge, mit denen wir täglich konfrontiert werden. Ich bin eigentlich hier nach Sulzbach gekommen, um höchstens mal einen Ladendiebstahl zu behandeln, aber hier in Sulzbach komme ich mir vor, wie in einer schlechten Folge von Twilight Zone, wenn du verstehst?“ Nun lehnt sich auch Dietmar nach vorne, lächelt leicht und antwortet: „Seltsam, mir geht es ähnlich. Martin, das wird mein letzter Fall. Ich will einfach nicht mehr. Ich habe bereits mit Anette gesprochen, ich möchte in den Innendienst, einen schönen Schreibtisch. Morgens eine Tasse Kaffee trinken um mich um die Büroangelegenheiten kümmern.“ Martin blickt ihn überrascht an und fragt nach: „Seit wann denkst du denn daran?“ Dietmar überblickt noch einmal die Aussicht, die sich ihm bietet und antwortet: „Seit unserem letzten Fall. Martin, über uns wird gelacht. Wir haben gesagt, dass wir einen Geist gesehen hätten. Wir sind bei der Polizei, nicht bei den Ghostbusters. Und nun ja, der letzte Fall, was soll ich sagen, lässt mich nicht gerade gut schlafen. Anette beschwert sich nicht einmal über mein Schnarchen, weil ich kaum einschlafe.“ Martin lächelt ihn an, innerlich versteht er genau, was sein Freund damit sagen möchte, doch bevor er darauf antworten kann, kommt ein weiterer Kollege auf den Balkon. „Störe ungern die Zweisamkeit, aber wir haben nun alle Spuren gesichert. Was ich sagen kann, diese Tanja war definitiv alleine in ihrem Zimmer. Für mich sieht es nach Selbstmord aus.“ Martin blickt seinen Kollegen verblüfft an, schüttelt den Kopf und antwortet: „Selbstmord? Warum riss sie sich denn vorher noch die Haare aus? Hier steckt mehr dahinter, als wir sehen.“
Gerade als die Herren den Balkon verlassen möchten, tippt Dietmar auf die Schulter von Martin und fragt ihn: „Heute Abend Zeit und Lust, vorbeizukommen? Anette macht ihre sehr beliebte Lasagne, mit sehr viel Knoblauch. Könnten auch ein, zwei, drei, vielleicht vier Bier zusammen trinken.“ Martin lächelt und nickt ihm bejahend zu.
2. Schüchtern, das klingt so harmlos, nicht wahr?
40 Jahre vorher
„Das ist unsere neue Mitschülerin. Sarah, stell dich doch bitte mal vor“, so Frau Lang, die Lehrerin der Klassenstufe 1 in der Grundschule Sulzbach. Sarah ist nervös, fängt an zu schwitzen und ist sich total unsicher, sie möchte sich nicht vorstellen, dass der Lehrerin direkt auffällt. „Komm schon Sarah, deine Mitschüler möchten dich kennenlernen. Nur Mut“, ihre Worte, die von Sarah kaum wahrgenommen werden. In der Klasse befinden sich 24 Kinder und mitten in dieser unheimlichen Stille hört Sarah hier und da ein Lachen, ein leises, aber auch bösartiges Lachen. Sie sieht in sich kein hübsches Kind, sie hat dunkle Haare, bis zu den Schultern, jedoch nicht gekämmt. Sieht für die anderen Kinder ungepflegt aus, auch ihre Kleidung ist völlig verwaschen und ihr Oberteil ist eine Nummer zu groß. Sarah erinnert sich an eine ähnliche Situation in der Grundschule in Dudweiler. Es war im ersten Halbjahr, sie saß in der Klasse, im Deutschunterricht und bemerkte, dass sie dringend auf die Toilette musste. Aus Angst sich zu melden, etwas zu sagen, darum zu bitten auf die Toilette gehen zu dürfen, versuchte sie es zu unterdrücken. Doch nach wenigen Minuten spürte sie die Wärme und gleichzeitig die Nässe in ihrer Hose. Als es die Klasse bemerkte, wurde sie ausgelacht, selbst die tröstenden Worte der Lehrerin konnten nicht helfen.
Nach einem halben Jahr zog sie mit ihren Eltern nach Sulzbach und muss nun diese Einschulung über sich hergehen lassen. „Vielleicht kann sie nicht reden“, so ein Mitschüler, der dabei lacht. Sarah blickt ihn wütend an, weiß jedoch, dass sie nichts gegen ihn ausrichten kann. Es ist ein unsympathischer Junge, kurze blonde Haare mit einer Brille, eigentlich wäre er das geeignete Opfer zum Hänseln, aber in der Klasse scheint er sehr angesehen zu sein, jedenfalls empfindet es Sarah so. „Mein Name ist Sarah Klein“, spricht sie leise in die Klasse. Frau Lang unterbricht: „Ruhig etwas lauter Sarah, wir verstehen dich kaum.“ Allein diese Aufforderung verursacht in der kleinen Sarah Nervosität, Schweißausbrüche und Unsicherheit, sie versucht sich jedoch zu fassen. Sie nimmt tief Luft und antwortet: „Mein Name ist Sarah Klein, ich komme aus Dudweiler und lebe nun hier in Sulzbach. Ich bin sechs Jahre alt.“ Danach unbehagliches Schweigen. Frau Lang erkennt dies und applaudiert. „Schön Sarah, willkommen in Sulzbach“, so ihre Worte. „Nun heißen wir alle Sarah hier herzlich willkommen“, sagt sie weiterhin in die Klasse. In einem monotonen Ton sagen alle Kinder gleichzeitig: „Willkommen Sarah.“
„Endlich ist dieses Schauspiel zu Ende“, denkt sich Sarah und senkt wieder ihren Kopf. Direkt neben Sarah sitzt ein junges Mädchen Namens Susanne Lagner, die vor sich ein geöffnetes Mathematikbuch liegen hat. Sarah hat noch keine Bücher, jedenfalls nicht für die Schule in Sulzbach und somit ist sie gezwungen, sich das Mathematikbuch mit Susanne zu teilen. „Hast du kein eigenes Buch?“, fragt Susanne in einem selbstgefälligen Ton. Sarah blickt sie schüchtern an und schüttelt den Kopf. „Dann lege ich mein Buch in die Mitte, kannst es gerne nutzen“, sagt Susanne mit einem freundlichen Ton. Sarah bedankt sich jedoch nicht, sie ist sich sehr unsicher und fühlt innerlich, dass es eine gespielte Freundlichkeit von Susanne ist. Frau Lang beginnt nun mit dem Unterricht und versucht, den Kindern zu erklären, wie man addiert. „Hat man einen Apfel in einem Korb und legt man nun noch zwei Äpfel dazu, wie viel Äpfel befinden sich nun in dem Korb?“, möchte sie von den Kindern wissen. Sarah blickt durch die Klasse, sie weiß bereits die Antwort und kann auch mit größeren Zahlen rechnen. Mathematik ist ihr Hobby und sie ist ihren Mitschülern schon weit voraus, dennoch meldet sie sich nicht. Sie blickt durch die Klasse und schaut sich alle Gesichter genau an. Sarah besitzt eine ungewöhnliche Gabe, sie bemerkte schon sehr früh, schon im Kindergarten, dass sie spüren kann, was andere in ihrer Nähe fühlen. Mit ihrer Mutter sprach sie mal darüber und die erklärte ihr, dass sie diese Gabe von ihrer Urgroßmutter übernommen hatte. Nun meldet sich ein Mädchen in einer arroganten und selbstbewussten Weise, die man selten zu Gesicht bekommt. Es ist Heike Westrich, Sarah kann in deren Gesicht ihre Arroganz ablesen und sie weiß jetzt schon, dass diese Heike keine Freundin von ihr werden wird. Frau Lang blickt durch die Klasse, es meldet sich nur Heike. Es gibt noch andere Kinder, mit der richtigen Antwort, aber da sich Heike gemeldet hat, traut sich nun niemand mehr. Heike ist ein kleiner Tyrann in der Klasse und mit ihren vier Freunden ist sie sozusagen die Anführerin in der Klasse. „Ja bitte Heike“, so Frau Lang. Heike steht auf, blickt arrogant durch die Klasse und antwortet: „Es befinden sich drei Äpfel in dem Korb Frau Lang“, danach setzt sie sich wieder und Frau Lang bestätigt diese Antwort. Es sind nur ein paar Sekunden, die Sarah zeigen, dass diese Heike eine sehr unsympathische Person ist. Mit ihren naturroten Haaren und ihrem weißen Sommerkleid wirkt sie sehr arrogant. Ihre Mutter sagte immer: „Personen mit roten Haaren haben Feuer im Blut, vor denen sollte man sich in Acht nehmen.“ Gerade jetzt, in diesen Sekunden, bekommen diese Worte immer mehr Sinn und Bedeutung für Sarah. „Das ist Heike. Sie hat hier das sagen und wenn du keine Probleme möchtest, dann sei immer lieb zu ihr“, so Susanne, der aufgefallen ist, wie Sarah die Klasse und vor allem Heike beobachtet.
Die Mathestunden vergehen wie im Flug und der Gong zur großen Pause ertönt aus großen Lautsprechern, die an einer Ecke in der Klasse befestigt sind. Die Kinder stehen eilig von ihren Plätzen auf und rennen aus der Klasse. Sarah würde am liebsten in der Klasse sitzen bleiben, dies fällt Frau Lang auf, die Sarah schließlich auffordert, ebenfalls den Klassenraum zu verlassen. „Alle Kinder spielen auf dem Schulhof, geh ruhig runter. Vielleicht findest du ja neue Freunde“, so ihre Worte. Sarah zögert, nimmt tief Luft und geht langsam aus dem Klassenzimmer. Ihre Klasse liegt im oberen Stockwerk der Schule, sie muss zwei Stockwerke hinuntergehen, bevor sie in dem großen Eingangsbereich ist, indem sich ein kleiner Verkaufsstand befindet. Eine ältere Dame verkauft darin Kaffeestückchen, Wurstbrötchen und verschiedene Getränke. Sarah hat jedoch kein Geld dabei und so muss sie an der Warteschlange der Schüler vorbeigehen, sie senkt dabei ihren Kopf und je näher der Ausgang kommt, umso schneller geht sie. Sie möchte nun schnell hinaus, sie spürt die Blicke der anderen Schüler, sie fühlen sich an wie tausend Nadelstiche. Hier und da ein Lachen, Sarah weiß nicht einmal, ob sie über sie lachen, sie nimmt es einfach an.
Auf dem Schulhof angekommen sieht sie sehr viele Schüler, die umherlaufen. Hier und da bilden sich kleine Grüppchen von Schülern, die bereits zwei oder drei Klassenstufen weiter sind als Sarah, sie schenken ihr auch keine besondere Beachtung. Sie stellt sich mit dem Rücken an eine Wand und beobachtet die anderen Schüler, als sie im Augenwinkel plötzlich jemanden erkennt, der auf sie zukommt. „Hallo, ich bin Katja. Du bist die neue Schülerin aus der Parallelklasse, oder?“ Sarah blickt sie verwundert an, denn sie ist es nicht gewohnt, dass sie freundlich angesprochen wird. Dennoch bekommt sie kein einziges Wort über ihre Lippen, die Schüchternheit ist wie eine unsichtbare Mauer um sie herum. Sie hat einfach Angst, etwas falsch zu sagen oder sich zu versprechen, daher sagt sie kein einziges Wort und blickt wieder auf den steinigen Boden. „Ich bin auch neu hier. Ich kam letzte Woche und ich habe keine Freunde, dachte, vielleicht können wir zusammen spielen oder so. Lust?“, fragt Katja weiter. Nun hebt Sarah ihren Kopf leicht nach oben und durch ihre Haare im Gesicht blickt sie zögerlich auf Katja. Sie hat kurze dunkle Haare, wie ein Junge, trägt ebenfalls alte Kleider und in ihrem Gesicht befinden sich kleine und große Pickel. Sie ist etwas kleiner als Sarah, nur ein paar Zentimeter, aber sie ist Sarah direkt sympathisch. Katja erkennt hinter den vielen Haaren in Sarahs Gesicht ein kleines Lächeln, das sie sehr erfreut. „Du hast so schöne lange Haare. Lass uns bitte Freunde sein, ja?“, dabei streckt sie ihre Hand Sarah entgegen. Sie ist sich immer noch etwas unsicher, aber es ist für sie das erste Mal, dass ein anderes Kind ihr so freundlich begegnet. Selbst im Kindergarten hatte sie nie Freunde und in der Schule in Dudweiler, dieses halbe Jahr, war für sie die Hölle. Sie überwindet sich und gibt Katja freundlich die Hand. „Ich bin Sarah. Ich komme aus Dudweiler, und du?“, fragt sie mit einer sehr leisen und unsicheren Stimme. Katja lächelt sie freundlich an, in einer Art, die Sarah völlig fremd ist. „Ich komme aus Saarbrücken. Meine Eltern haben sich in Sulzbach ein Haus gekauft, da wo der Wasserturm steht“, antwortet sie. Obwohl sie Kleidung trägt, die ebenfalls verwaschen ist und nicht gerade auf dem neusten Stand, scheint die Familie von Katja wohlhabender zu sein, als die von Sarah. „Ich weiß noch nicht. Ich kenne mich hier noch gar nicht aus“, antwortet Sarah. Katja nimmt sie an die Hand, zerrt sie von der Wand weg und beide spazieren gemütlich über den Schulhof, dabei ignoriert Sarah völlig die anderen Schüler. Sie erkennt in Katja einen sehr netten und lieben Menschen und weiß, dass sie keine bösen Absichten verfolgt. Jedoch erkennt Sarah, durch ihre Gabe auch etwas Dunkles, eine Art von dunklem Schatten, der über Katja schwebt und wacht. In ihrem kindlichen Alter kann sie dieses Phänomen sich noch nicht erklären. Es wird noch einige Jahre dauern, bis sie die Bedeutung dieses Schattens erkennen kann, aber bis dahin weiß Sarah ganz genau, dass sie beste Freundinnen werden.
3. Erster Traum
Gegenwart
Martin klingelt an der Tür von Dietmar, trägt dabei einen kleinen Strauß Blumen, der natürlich nicht für ihn gedacht ist, sondern für seine Frau Anette, die sich immer sehr bemüht als Gastgeberin. Die Tür öffnet sich nach ein paar Sekunden, Dietmar blickt ihn an und begrüßt ihn freundlich. „Schön, dass du Zeit gefunden hast, los komm rein, aber die Blumen? Danke, wäre nicht nötig gewesen“, sagt er mit einem breiten Grinsen zu Martin, der den Blumenstrauß direkt danach hinter seinem Rücken versteckt und antwortet: „Der ist für deine liebe Frau. Dachte, sie kocht immer so gut, dass muss auch mal belohnt werden.“ Martin zieht seine Lederjacke aus und hängt sie an den Haken der Garderobe. Er hört Anette in der Küche, die wieder einmal was Leckeres zubereitet. „Anette, hast du dich wieder in der Küche versteckt?“, ruft er aus dem Flur hinaus in Richtung der Küche. Eine weibliche Stimme antwortet: „Komm ruhig rein Martin, ich mache deine Lieblingslasagne.“ Martin geht an Dietmar vorbei, der ihm ebenfalls in die Küche folgt. Am Ofen steht Anette, sie schaltet gerade den Backofen an, dreht sich dann zu Martin und nimmt ihn freundlich und liebevoll in den Arm. Für Dietmar sieht es irgendwie lustig aus, da Martin ja fast zwei Meter groß ist und Anette gerade mal ein Meter fünfzig erreicht. Sie ist klein, hat lange schwarze Haare, die zu einem Zopf gebunden sind und trägt, wie Dietmar, eine Brille. Sie ist bekleidet mit einem dunkelblauen Kleid und als sie die Blumen von Martin sieht, errötet sie. „Sind die etwa für mich?“, fragt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Martin überreicht ihr den bunten Blumenstrauß und antwortet: „Natürlich. Du kochst immer so gut und wie würde es aussehen, wenn ich deinem Mann einen Blumenstrauß überreichen würde?“ Dietmar unterbricht und sagt: „Ich geh uns mal zwei Bier besorgen, bin gleich wieder da“, danach verschwindet er die Kellertreppe hinunter. Anette freut sich sehr darüber, sie nimmt eine Blumenvase und kümmert sich um die Blumen, während Martin einen Blick in den Backofen wirft. „Das sieht richtig lecker aus“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. In der ganzen Küche kann man den Knoblauch riechen, Anette weiß, dass Martin Knoblauch liebt, und so macht sie immer etwas mehr an die Soße als üblich. Dietmar kommt nun wieder mit zwei Flaschen Bier zurück, öffnet diese und gibt eine Flasche an Martin ab. „Prost“, so Martin und beide stoßen an. Anette stellt die Blumenvase mit den Blumen an das Küchenfenster, geht danach an den Backofen und nimmt die Lasagne heraus. „Geht schon einmal in das Esszimmer. Dietmar, du kannst den Salat noch mitnehmen“, so Anette zu ihrem Mann. Martin geht voran, er kennt sich schon bestens in der Wohnung aus, setzt sich auf die Eckbank und wartet auf Dietmar und Anette. Es dauert nur ein paar Sekunden, aber diese Sekunden haben ausgereicht, so das Martin einen kurzen Augenblick an den aktuellen Fall denken musste, seine Gedanken schweifen völlig ab. Anette stellt die riesige Auflaufform mit der Lasagne in die Mitte des Tisches, sie sieht richtig lecker aus. Der Käse darauf ist goldbraun und der Duft macht Appetit. Dietmar stellt daneben die durchsichtige Salatschüssel mit dem bunten Blattsalat, die Teller und das Besteck liegen bereits auf dem Tisch. „Auf einen schönen Abend“, so Martin, der Anette dabei beobachtet wie sie ein großes Stück Lasagne auf seinen Teller legt. „Anette, du hast dich selbst wieder übertroffen, sieht richtig gut aus und ich bin mir sicher, dass es auch super schmeckt“, sagt Martin, danach nimmt er sich einen Bissen, schließt dabei die Augen und lässt den Geschmack auf seiner Zunge zergehen.
Sarah sitzt in ihrem Arbeitszimmer vor dem Computer, sie schreibt einen neuen Roman. Sie wohnt alleine in Riegelsberg, ist bereits seit über zehn Jahren geschieden und Kinder waren ihr nicht gegönnt. Ihr Arbeitszimmer ist schön eingerichtet, an der Wand steht ein großes Bücherregal aus Holz mit sehr vielen Büchern. Überall stehen kleine Tischlampen und in einer Ecke befindet sich eine sehr alte Couch aus weißem Leder. Es ist für Sarah die Denkercouch, wenn sie einmal nicht weiterweiß, wenn ihr die Ideen für einen Roman ausgehen. Sie ist eine erfolgreiche Schriftstellerin, schreibt am liebsten Horror und Thrillerromane. Sie schreibt gerade an ihrem zwölften Roman, „Die Nacht in der Er kam“, so der Titel und sie kommt sehr gut voran. Ihr Computer steht auf einem dunkelbraunen Schreibtisch und sie sitzt dabei auf einem schwarzen Bürostuhl, indem sie sich oft nach hinten lehnt, nachdenkt und dabei durch ihre schwarzen Haare streift. Auf dem Schreibtisch steht noch eine weiße Tasse, die mit Pfefferminztee gefüllt ist, der Teebeutel befindet sich noch darin, denn sie hat sich den Tee gerade frisch aufgebrüht. Sarah fing bereits sehr früh mit dem Schreiben an, sie hatte bereits in ihrer Kindheit eine ungeheure Fantasie. Sie fing an mit Kurzgeschichten, die sie immer wieder ihrer Lehrerin zum Lesen überreichte. Ihre Geschichten boten für Sarah die Möglichkeit, der wirklichen Welt zu entfliehen, die es mit ihr nicht immer gut meinte. Gerade denkt sie an ihre Schulzeit, die für sie die Hölle war. Ihre schlechten Erfahrungen helfen ihr aber auch im Gegenzug, denn sie baut vieles in ihren Romanen ein. In ihrem aktuellen Roman geht es um einen Mann, der immer wieder seine Frau verprügelt, fremdgeht und sich sogar an seiner eigenen Tochter vergreift. Es erinnert sie etwas an ihren Mann, obwohl er nicht ganz so schlimm gewesen ist. Tom war einfach der falsche Mann, sie waren nur drei Jahre verheiratet und nach der zweiten Fehlgeburt orientierte sich Tom an seiner Sekretärin, das Sarah natürlich bemerkte. Es fing alles damit an, dass wenn er eine Nachricht auf seinem Smartphone bekam, den Raum verließ, um diese zu lesen. Kaum denkt sie daran, erkennt sie im Augenwinkel, dass ihr Smartphone wieder eine Nachricht erhalten hat. Sie hat es auf lautlos gestellt, aber das grüne Aufblinken verrät ihr, dass sie eine neue Nachricht bekommen hat. Sie hat das Gerät extra auf lautlos eingestellt, damit sie in Ruhe an ihrem Roman arbeiten kann, dennoch nimmt sie nun das Smartphone und wirft einen Blick darauf. „Wieder eine unnötige Nachricht in dieser Gruppe“, denkt sie sich und legt es wieder umgedreht auf den Schreibtisch vor den Bildschirm des Computers. Sarah wurde vor kurzem in die Whatsapp-Gruppe „Die Alten“ eingeladen, es handelt sich dabei um ihre alten Schulkameraden aus der Grundschule und Hauptschule, die ein Klassentreffen geplant haben. Bisher hat sie noch nichts in diese Gruppe geschrieben, hier und da liest sie die ankommenden Nachrichten, die sie jedoch für total unnötig hält. Es werden auch Bilder verschickt, von dem Besuch im Schullandheim in Oberthal. Für Sarah gibt es keinen Grund, etwas in die Gruppe zu schreiben, für sie war es keine schöne Zeit und das haben viele ihrer ehemaligen Mitschüler vergessen oder verdrängt. Sarah hat nur noch etwas Kontakt mit Silke, die immer sehr fair zu ihr gewesen ist. Allerdings hat Silke sie auch einfach in diese Whatsapp-Gruppe eingefügt, ohne vorher mit ihr darüber zu sprechen. Sarah ignoriert das Smartphone und widmet sich wieder ihrem Roman, sie möchte ihn in drei Monaten dem Verlag präsentieren, dabei trinkt sie immer wieder an ihrem köstlichen Tee. Nach einer kurzen Denkpause wandern ihre Finger über die Tastatur und auf dem Bildschirm entstehen weitere Seiten ihres Romans. Eine andere Welt entsteht um sie herum.