Die Nacht in der Sie kam - Sascha Ruppenthal - E-Book

Die Nacht in der Sie kam E-Book

Sascha Ruppenthal

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Beschreibung

Marc verkraftet den Tod seiner jüngeren Schwester nicht. Zusammen mit seinen Freunden beschwört er den Geist seiner Schwester. Doch nicht seine Schwester erscheint, sondern ein anderer, unheimlicher Geist. Nicht nur die Freundschaft wird auf die Probe gestellt. Ein altes Familiengeheimnis kommt ans Tageslicht. Sascha Ruppenthal erzählt die packende Geschichte von drei Jugendlichen, deren Leben sich schlagartig nach einer Geisterbeschwörung ändert. Kommen Sie mit in einer mystische Welt und erleben Sie das, was die Jugendliche erleben müssen. Sascha Ruppenthal hat sein Werk überarbeitet und bringt es nun in der dritten Fassung.

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1. Die Neue wirft Fragen auf
7. In einer langen Nacht
8. Tage danach
9. Die Zeit, bevor Sie kam
10. Es nimmt seinen Anfang
11. Was ist passiert?
12. Im Park
13. Wir bitten um Verzeihung
14. Das Ende von Frank
15. Wir müssen reden
16. Die Nacht wie viele davor
17. Die Erlösung

Vorwort

Lieber Leser, vielen Dank, dass Sie sich dieses Buch gekauft haben. Ich hoffe, dass Ihnen meine Geschichte zusagen wird.

Die Geschichte war im Jahre 2000 eher als Kurzgeschichte gedacht. Im Laufe der Jahre wurde daraus dieser Roman, den ich 2021 fertig geschrieben habe. Viele Dinge verzögerten diesen Schritt, leider. Leider war ich jedoch mit meinem ersten Werk nie richtig zufrieden, daher habe ich den Roman im Mai 2022 überarbeitet und neu gestaltet. Man bemerkt eben, dass zwischen diesem Roman und meinen neuen Werken über 20 Jahre liegen.

Für das Cover danke ich Sebastian Göhre, den ich über Tage genervt habe, etwas zu erstellen.

Nun wünsche ich Ihnen viel Freude mit dem Roman und hoffe, dass Sie auch meine weiteren kommenden Titel erwerben werden.

1. Die Neue wirft Fragen auf

Mit seiner Brille auf der Nase blickt Georg auf ein Formular, das direkt vor ihm auf seinem Schreibtisch liegt. Er muss die Todesursache eintragen, die seines Erachtens Herzstillstand gewesen ist, bei einem 92-jährigen Mann nichts Unnormales. Es war eine normale Autopsie, die er am heutigen Freitag vollzogen hat. Sein Gesicht prägt eine Müdigkeit aus, denn die ganze Woche war anstrengend für ihn, jeden Tag eine Autopsie, dem Himmel sei dank, dass es immer ältere Menschen gewesen sind, denkt er sich, als er langsam das Formular ausfüllt.

Unterschrift, Stempel und fertig. Mit seiner linken Hand nimmt er seine Tasse, die mit Pfefferminztee gefüllt ist und trinkt aus ihr. Er ist längst nicht mehr so heiß wie eben, lauwarm, so mag er ihn gar nicht. Aber seine Frau Rita sagte ihm, dass Tee gesünder sei als immer nur Kaffee, den er in letzter Zeit in Übermengen getrunken hatte. Er ist schon 57 Jahre alt und Rita meinte, er solle mehr auf seine Gesundheit achten, bevor er sich selbst auf einem Tisch liegen sieht.

Er schaut auf seine Uhr, gleich 17 Uhr. Eine Stunde möchte er bleiben, um noch etwas Papierkram zu erledigen, doch das könnte er auch oben aus seinem Büro im 2 Stock machen, anstatt hier unten in der Leichenhalle, in der er immer die Autopsien durchführt. Er nimmt noch kurz sein Smartphone heraus und schreibt seiner Frau eine WhatsApp: „Bin pünktlich zu Hause mein Schatz, ich liebe dich.“

Plötzlich geht mit einem lauten Knall die Doppeltür auf, ein Sanitäter schiebt mit einer Bahre diese auf und ruft: „Frische Ware, Boss…“ Man versteht ihn nur undeutlich, da er in seinem Mund einen Lolli hat, dieser Rettungssanitäter hat immer einen Lolli und ist mindestens 20 Jahre jünger als Georg. Seine Haare sind nicht ergraut, sondern Pech schwarz, lockig und trägt eine Brille mit einem dunklen Gestell.

„Sven, ich wollte eigentlich gleich Feierabend machen, kein guter Zeitpunkt.“

„Sorry Boss, aber die haben wir gerade abgeholt. Sieht nach Mord aus.“

„Ich entscheide, ob es Mord war, na los hierrüber.“ Georg zeigt dabei auf den Autopsietisch, der in der Mitte des Raumes steht.

Noch liegt der Leichnam auf der Bahre des Rettungssanitäters, ein weißes Laken deckt diese ab, so das Georg nicht erkennen kann, um was für eine Leiche es sich hierbei handelt.

„Hier unterschreiben.“ Bittet er Georg mit einem sarkastischen Unterton. Er hält ihm ein Brett vor die Nase auf dem ein Formular angehängt, ist. Georg blickt ihn etwas müde an, denn er wollte bald Feierabend machen, aber na ja, Sven hat sich dies heute nicht ausgesucht, denkt er. Er nimmt das Brett und bestätigt den Empfang der Leiche.

„Boss, nun gehört sie ganz allein ihnen, viel Spaß dabei.“ „Taktgefühl war wohl noch nie deine Stärke was?“ Erwidert Georg ihm entgegen.

„Na los Sven, hilf mir die Leiche noch hier auf den Tisch zu legen. Du am Fußende und ich am Kopf.“

„Klar Boss, ich bin ja kein Unmensch.“ Erwidert er ihm entgegen. Wie vorher besprochen heben beide die Leiche von der Bahre auf den Tisch, ohne dabei das Laken wegzunehmen.

Sven lächelt ihn an, nimmt wieder das Brett mit dem Formular und spaziert langsam aus dem Raum hinaus. Die beiden Klapptüren schließen sich hinter ihm und man hört seine Schritte, die sich immer weiter entfernen.

Georg ist allein mit der Leiche und überlegt, ob er sie nicht besser kühlen sollte und morgen mit der Autopsie anfangen soll. Na ja, denkt er sich, ich kann sie ja mal begutachten, oberflächlich meint er. Mit einem Ruck zieht er das Laken von der Leiche und was er da auf dem Tisch liegen sieht, erstarrt ihn. Eine Frau, denkt er, aber keine im hohen Alter. Diese ist höchstens 16 Jahre alt. Dieses Alter hatte seine Tochter, als sie starb, und er erkennt eine kleine Ähnlichkeit. Genau das hat ihm heute Abend gefehlt, kurz vor dem Wochenende so etwas. Normal lässt er solche Dinge nicht so nah an sich ran, doch diese Frau, bzw. dieses Mädchen erinnert ihn so stark an seine Tochter Nicole, dass er sich eine Träne verkneifen muss.

Er geht zum Schreibtisch, nimmt aus der oberen Schublade ein Diktiergerät, legt in dieses eine neue Kassette und begibt sich wieder zum Tisch, auf der die Leiche liegt. Drückt auf Aufnahme und beginnt:

„Es handelt sich um eine junge Frau, schätze zwischen 15 und 17 Jahre alt, ca. 1.60m groß und 60 kg schwer. Sie hat gefärbte dunkelrote Haare, trägt ein rotes Top und eine schwarze Stoffhose. Ihr Bauch ist frei, erkenne ein Bauchnabelpiercing mit einem blauen Glitzerstein. Ihre Augen sind weit aufgerissen, sie hat dunkelbraune Augen. Hebe leicht ihren Kopf an, am Hinterkopf erkenne ich eine klaffende Wunde.“ Er unterbricht kurz seine Analyse, geht zum Schreibtisch und schaut sich den Bericht von Sven an, den er als Kopie bekam. „Hier steht aus dem Fenster gestürzt,“ flüstert er vor sich her.

Er wendet sich wieder der Leiche zu und bemerkt, dass es keine Anzeichen für die Totenstarre gibt. Normalerweise beginnt die nach 2 Stunden, doch dieser Körper hat keine Anzeichen dafür, dass diese bald einsetzen wird. Georg beugt sich zur Leiche und bemerkt einen seltsamen Duft. Es riecht nach Rosen, als wenn er mitten in einem Garten voller Blumen stehen würde. Der Geruch breitet sich im ganzen Raum aus, das Laken hat verhindert, dass dieser sich so schnell ausbreitet. Ein Parfüm, denkt er? Er fasst ihren Arm, um zu sehen, ob er ihn leicht anheben kann, um den Fortschritt der Totenstarre zu analysieren. Doch der Arm lässt sich ohne Probleme heben. Seltsam, der Arm ist warm, keine Kälte!

Georg bewegt sich zurück zum Schreibtisch, um nochmals genau das Formular durchzulesen. Den Rosenduft kann man nicht mehr ignorieren, zu stark füllt er diesen kalten und trostlosen Raum.

Als er das Übergabeformular liest, hört er plötzlich hinter sich ein Geräusch, als wenn sich etwas bewegen würde. „Bestimmt wieder Sven, vielleicht hat er was vergessen,“ murmelt er vor sich her, als er sich langsam umdreht. Vor lauter Schreck lässt er das Formular fallen, greift mit beiden Händen nach hinten zum Schreibtisch, an den er sich mit dem Rücken lehnt. Er traut seinen Augen nicht, was er sieht lässt ihm das Blut in den Adern gefrieren. Die Leiche sitzt aufrecht auf dem Tisch und starrt ihn mit ihren dunklen Augen an, doch in ihnen erkennt er kein Leben. Sie blickt ihn nur an. Er kneift sich die Augen zu, wieder auf…Leiche liegt wieder…petzt nochmals Augen zu, wiederauf…Leiche liegt immer noch, als ob nichts gewesen wäre. „Habe ich mir das nur eingebildet?“ Langsam beruhigt er sich wieder, hebt das Formular vor sich vom Boden auf und plötzlich…wieder ein Schock. An der Doppeltür steht ein Mann.

„Ach Gott, Columbo,“ ruft Georg ihm zu, der ihn nur traurig und verbraucht anblickt.

„Du sollst mich doch nicht so nennen, wenigstens du nicht,“ erwidert der Mann in dem seltsamen Mantel. Es handelt sich um den Kriminalpolizisten Martin Hafner, der fast die gleiche Kleidung trägt wie der Kommissar aus der Serie Columbo, daher nennen ihn viele seiner Kollegen so. Martin und Georg kennen sich schon seit ihrer Kindheit und er mag es nicht, von seinem Freund so genannt zu werden, obwohl es ja kein schlimmer Name ist, eher ein Kompliment. Allerdings hat Martin graues, lockiges Haar und graue Augenbrauen und ein grauer Schnauzer, die ihn von dem original Peter Falk deutlich unterscheiden.

„Bearbeitest du diesen Fall Martin?“

„Ja, leider,“ erwidert Martin und nickt Georg zu.

„Was hast du bis jetzt rausgefunden?“

Er schaut zur Leiche und erwidert: „Nun noch nicht viel, sie ist tot.“

„Scherzkeks, das sehe ich auch. Sie war so ein hübsches Mädchen, sie erinnert mich an…,“ bevor Martin den Satz beenden kann, wird er unterbrochen: „Ja ich weiß, Nicole…“ entgegnet ihm Georg.

Martin geht zu dem Autopsietisch, auf der die Leiche der jungen Frau liegt. Blickt sie mit traurigen Augen an und sagt: „Warum nur? Warum nur so ein junges Mädchen?“

Georg zuckt mit den Schultern. „Das Leben ist ungerecht, doch dem Tod ist das egal mein Freund,“ erwidert er mit besorgter Stimme. „Was ist genau passiert?“, möchte er wissen. Martin lehnt sich nach vorne an den Tisch zur Leiche und antwortet: „Ein sehr seltsamer Fall Georg, sehr seltsam. Wir wurden angerufen, dass eine Frau aus dem Fenster gestürzt sei. Seltsam ist nur, dass sie nicht einfach gefallen ist. Zeugen sprachen davon, dass sie zuerst mindestens 2 Meter in gleicher Höhe mit dem Fenster in der Luft gewesen ist, dass bedeutet, dass eine ungeheure Wucht sie gestoßen haben muss. Erst danach fiel sie 2 Stockwerke zu Boden und schlug mit ihrem Rücken und Kopf auf dem Bürgersteig auf.“

„Klingt wirklich so, als ob sie jemand gestoßen hat,“ erwidert Georg seinem Freund.

„Ja, wir haben schon einen Verdächtigen, der war noch in der Wohnung. Wir mussten einen Arzt bei rufen der ihn beruhigt, er zitterte am ganzen Leib und hat wohl furchtbare Angst.“

„Klar hat er Angst, er hat schließlich jemanden getötet,“ spricht er weiter zu Martin. „Da hätte ich auch Angst.“

Martin schüttelt den Kopf, schaut auf die Leiche, dann auf seinen Freund. „Nein, was er mir erzählte, dass klingt so unglaubwürdig, dass es wieder wahr sein könnte.“ Er unterbricht seinen Satz, kneift die Augen zusammen und spricht weiter: „Was ist das für ein Duft…das sind doch Rosen?“

„Ja genau Rosen, gut, dass es dir aufgefallen ist, ich dachte schon ich wäre verrückt. Es scheint ein sehr starkes Parfüm zu sein. Aber erzähl mal, wenn du darfst, was ist denn so unglaubwürdig an der Geschichte?“

Martin stellt sich wieder gerade hin, blickt seinen Freund erstaunt an der, wie erstarrt ihm gegenübersteht.

„Setz dich besser, denn diese Story mein Freund wird dich aus den Socken reißen“ und Georg folgt der Aufforderung. Er geht zurück an den Schreibtisch, Martin folgt ihm und beginnt zu erzählen, was er bisher rausgefunden hat.

2. Erste Überlegungen

Ein paar Monate vorher

Ein hellstrahlendes Licht in einem langen Tunnel, das ihn magisch anzieht. Er versucht nicht hineinzusehen, aber seine Augen können den Reizen nicht widerstehen. Er schaut hinein und schwebt darauf zu, seine Augen schmerzen nicht, obwohl das Licht so unheimlich grell ist. Langsam spürt er Wärme und Geborgenheit um sich und er kommt dem Ende des Lichtes immer näher. Nun erklingt aus dem Licht ein leises Pfeifen, ein Lied, das er kennt, das seine Schwester so liebte, aber sie würde es nie wieder hören. Der Tod seiner geliebten Mary hat ihm das Herz gebrochen und er fühlte nach ihrem Tod immer Schmerz und Kummer, sie war erst sieben Jahre alt, aber das junge Alter schützte sie nicht vor dem erbarmungslosen Krebs. Doch jetzt verspürt er keinen Schmerz mehr, nein er spürt Glück und Zufriedenheit. Bald scheint er das Ende des Tunnels erreicht zu haben und er erblickt im grellen Licht einen leichten Schatten, einen Umriss eines kleinen Menschen, eines Kindes. Seine Schwester? „La – le – lu – nur der Mann im Mond schaut zu...“, dieses Lied, das Pfeifen, wird heftiger. Doch, bevor er sehnsüchtig seine Hand nach ihr ausstrecken kann, wacht er Schweiß gebadet auf, der Wecker hat ihn aufgeweckt, es war nur ein Traum, leider.

Wieder ist es sechs Uhr morgens, wieder muss er in die Schule, sein Leben geht weiter, aber nicht mehr so wie vorher. Er streckt seinen Arm aus und schaltet den Wecker aus. Noch vom Schlaf betäubt, geht er langsam aus seinem Zimmer. Er blickt kurz nach rechts zu einer Tür mit einem kleinen Bild, das von seiner Schwester gezeichnet wurde, es zeigt einen Wald, eine große Sonne, die über den Bäumen strahlt, ihn und Mary mit einem riesigen Korb mit Früchten. Es war ein Ausflug an einem Sonntag, den er mit seiner Schwester genoss. Ihr gefiel es so gut, dass sie es mit Liebe auf das leere Blatt zeichnete. Immer wenn er morgens dieses Bild sieht, hört er ihre Stimme und ihr Lied. Doch sobald er im kalten Badezimmer ist, wird sein Gesicht wieder von Traurigkeit erfüllt und die Erinnerungen an ihren Todeskampf steigen empor. Nach dem Waschen und dem Rasieren geht er immer eine Etage tiefer, in die Küche, macht sich seinen Kaffee, den er jetzt stärker trinkt wie früher und wartet, wartet auf seine Freundin. Es ist keine, mit der er eine Liebesbeziehung hat. Obwohl er es sich so wünscht, aber er kennt Manuela schon seit Jahren und wenn er ihr seine Liebe eingestehen würde, könnte er sie für sich gewinnen oder die Freundschaft verlieren und das möchte er nicht riskieren. Manuela war für ihn da, als seine Schwester verstarb, ohne sie wäre er daran zerbrochen, wie sein Herz, das in seinem Leib schlägt.

Seine Eltern liegen noch im Bett, der Vater geht diese Woche erst mittags zur Arbeit und seine Mutter steht vor 10 Uhr nicht auf, der Haushalt wird warten müssen. So kann er den Morgen für sich genießen, solange er Ruhe hat. In der Schule wird er nicht mehr allein sein, zu viele sind dann um ihn, zu viele, um seine Gefühle zu zeigen. Jetzt fließt eine Träne langsam an seiner Wange hinunter, in der Schule muss er seine Gefühle kontrollieren können. Zwei Monate ist es erst her, manchmal denkt er, dass Mary noch oben im Kinderzimmer schläft, sicher vor allen Gefahren, auch von dieser tödlichen Krankheit. Doch, sobald es an der Haustür klingelt und Manuela davorsteht, weiß er, dass Mary nie wiederkommen wird, denn vor ihrem Tod kam sie ihn nie abholen. Kaum wurde er von diesem Gedanken erfasst, läutet es schon an der Haustür, normal würde er sich über Manuela freuen. Er streift mit seinen Händen durch sein kurzgeschnittenes blondes Haar und geht zur Tür. Er öffnet sie und sieht sich Manuela an, wieder hat sie ihre Haare gefärbt, diesmal sind sie schwarz wie die Nacht, vor zwei Tagen waren sie dunkelrot. Aber dieser Ton passt besser zu ihren dunklen, großen Augen, die ihn verliebt anblicken. Schaut sie ihn verliebt an, mit ganzem Herzen, oder sieht sie ihn eher besorgt an? Mit halb offenem Mund bittet er sie, reinzukommen. Manuela geht langsam in die Küche, ihre Blicke gelten der Umgebung, als ob sie das erste Mal dieses Haus betreten würde, aber wie oft war sie schon da? Vielleicht fühlt sie sich auch nicht wohl, sie vermutet, das Marc sie unsterblich liebt. Er bietet ihr eine Tasse Kaffee an, obwohl er weiß, dass sie keinen trinkt und wohl auch nie trinken wird, sie winkt mit einem leichten Lächeln dankend ab. Manuela dreht sich um, so dass sie mit dem Rücken zu ihm steht, und betrachtet die Einbauküche aus dunklem Eichenholz. Seine Blicke tasten den Körper ab, gehen auf die Reisen, die seine Hände nicht antreten werden und er lässt seiner Fantasie freien Lauf. Dieser Körper, diese Figur, wie gemalt und doch steht sie vor ihm. Für einen Moment ertappte er sich bei einem Gefühl, dass ihm seit zwei Monaten fremd war, Liebe und Verlangen, auch wenn es nur für ein bis drei Sekunden andauerte, hat er dieses Gefühl genossen. Er packt seinen Rucksack und macht sich mit Manuela auf den Weg zur Schule, wie jeden Morgen, an dem sich nichts ändert.

Es ist die Abschlussklasse, er steht vor einer Mathearbeit, einer, die ihm wichtig war, doch er opferte keine Zeit, um sich auf diese Arbeit vorzubereiten. Zu viele Gedanken beeinflussen ihn, zu viele, um sich auf die Schule zu konzentrieren, auch wenn es das letzte halbe Jahr ist. Langsam geht er in die Klasse, in der die meisten Schüler sich schon eingefunden haben. Manuela wirft ihm einen verliebten oder eher verträumten Blick zu, bevor sich Marc an seinen Platz setzt.

Kurz danach kommt Herr Löhbach in die Klasse, der Mathelehrer. Er trägt einen dunkelgrauen Anzug mit einer schwarzen Krawatte. Unter seinem Arm ein Ordner mit den Mathearbeiten, die er auf den Tisch fallen lässt.

„Ich hoffe ihr habt euch vorbereitet? Aber wisst ihr was? Auch eine 5 ist eine Note, mir ist es egal. Ich habe meine Arbeit und habe ausgesorgt,“ spricht er mit einem starken Sarkasmus zur Klasse. Herr Löhbach ist bei den Schülern nicht gerade beliebt. Er zieht seinen Unterricht streng durch, wirkt ein wenig arrogant und hat ein selbstbewusstes Auftreten. Neben Mathematik unterrichtet er auch Wirtschaftslehre, er ist so um die 50 Jahre alt und man erkennt die Spuren des Alters in seinem Gesicht. Nicht nur seine Haare sind ergraut, nein der ganze Körper scheint in einem Grauton zu verweilen, dank des Anzuges wird dieser Effekt verstärkt.

„Ihr habt 45 Minuten Zeit, ich werde keine Fragen beantworten, damit ihr Bescheid wisst. Wenn ich höre, dass geredet wird, wird sofort die Arbeit abgegeben, ich will nichts, rein gar nichts hören, verstanden?“ Spricht er zu den Schülern, die gespannt an ihren Plätzen sitzen.

„Ja, Herr Löhbach,“ erwidern einige mit einem müden und genervten Unterton.

Marc schaut auf seine Arbeit und gerät ins Schwitzen, das erste Mal sitz er vor einem Test, ohne dass er etwas weiß. Aber was raubt ihm die Zeit, um zu lernen? Die Gedanken an seine Schwester, an Manuela oder an diesen seltsamen Traum, den er fast jede Nacht träumt? Normal müssten seine Gedanken wenigstens jetzt in der Schule sein, doch die Arbeit scheint ihm egal zu sein, er denkt nur an seine Schwester und an einen Satz, den ihm mal sein Freund Frank gesagt hat: „Wenn du noch einem Menschen was sagen willst, der schon Tod ist, dann verzweifele nicht, es gibt noch einen Weg...!“ Und schon denkt er nach, in der Pause seinen Freund danach zu fragen, was er damals mit diesem Satz gemeint hat? Er sagte, dass zu ihm, als Marcs Oma verstarb. Er hatte ein liebevolles Verhältnis zu ihr, fast schon mütterlich und Frank bemerkte damals die Trauer in seinem besten Freund. Doch nie sprachen sie darüber. Die Neugier steigt in ihm, er könnte platzen. Die Zeit scheint langsam an ihm vorbeizuziehen. Noch einen Blick zu Manuela, die rechts gegenüber von ihm sitzt, sie hat mit der Arbeit keine Probleme, ihr Kugelschreiber geht auf dem Blatt umher, als wenn sie jede Berechnung mit links machen würde. Und ihre Finger tippen so selbstbewusst auf dem Taschenrechner, sie ist sich ihrer Sache sicher. Gut, in Mathe hatte sie nie Probleme, einmal erklärt und schon verstand sie es. Manuela war ein Mathegenie, sie hatte nur in Geschichte Probleme, ansonsten sah es gut aus mit ihrem Abschluss.

Und Marc? Er denkt nur an die Pause und an diesen Satz. Frank ist ein seltsamer Mensch, er hat nicht viele Freunde und eine feste Freundin hatte er nie, obwohl es in der Schule einige Mädchen gibt, die ihn durchaus attraktiv finden, aber wohl keinen Mut fassen, um ihn anzusprechen. Er ist neunzehn Jahre alt, ein Jahr älter als Marc und hatte nie eine Freundin. Vielleicht interessiert sich Frank nicht für Mädchen, sondern widmet seine Zeit lieber seinem Hobby. Einem, dass nicht jeder Mann Geschmack ist, dem Spiritismus. Das ist sein Thema, sein Gebiet, in dem er sich auskennt und das scheint viele Mädchen abzuschrecken, doch im Herzen ist Frank einer der liebsten Menschen in der Schule.

Endlich erklingt das Signal zur Pause. Marc gibt seine Arbeit fast leer ab, wird eine Vier werden und ihm das ganze Abschlusszeugnis verderben, doch das ist ihm egal. Manuela schreibt noch weiter, wahrscheinlich die halbe Pause über.

„Fräulein Peuker,“ ruft Herr Löhbach in die Klasse. „Auch Sie müssen jetzt abgeben,“ fast schon zynisch kommt dieser Satz.

„Schade, ich wurde wohl fertig. Das nächste Mal hoffe ich auf schwere Aufgaben. Ich benötigte nur mehr Zeit, um mit dem Lineal alles zu unterstreichen,“ spricht Manuela, während sie aufsteht und zu ihrem Lehrer geht. Mit einem Ruck wirft sie ihre Arbeit auf den Tisch von Herrn Löhbach, der sie mit einem Lächeln anblickt. Sie grinst und bewegt sich Richtung Klassentür als sie von hinten hört:

„Fräulein Peuker, ich sage das normal nicht so, aber Sie sind das Licht hier in der Klasse. Dank Ihnen weiß ich, dass mein morgendliches Erscheinen nicht umsonst ist,“ spricht Herr Löhbach mit einem Lächeln.

Manuela dreht sich um, zu ihm und lächelt ihn an. „Unter Ihrer grauen Schale sind Sie nur ein Mensch. Sie unterrichten gut für mich. Sie sollten sich jedoch auch die Zeit nehmen, um anderen Schülern es nochmals zu erklären. Ansonsten mag ich Sie, ich könnte mir keinen anderen Mathelehrer vorstellen.“

„Sie unterrichten nicht noch zufällig Geschichte?“ Fragt sie ihn mit einem zarten Lächeln.

Herr Löhbach grinst, schüttelt den Kopf und erwidert, „Nein Fräulein Peuker, leider nicht. Ich danke Ihnen für den Hinweis bezüglich meines Unterrichts, ich werde es mir zu Herzen nehmen. Nun genießen Sie ihre Pause.“ Manuela lächelt und geht die Klassentür hinaus. Herr Löhbach dreht sich wieder zu den Arbeiten um, grinst leicht und wundert sich über dieses Kompliment. Denn er setzt alles darauf, dass seine Schüler ihn respektieren, aber nicht unbedingt mögen. Sein Grinsen wird größer, als er sich die erste Arbeit ansieht und erkennt, was für einen Blödsinn der Schüler hier geschrieben hat.

Der Schulhof ist wieder voll mit Schülern, die sich in Gruppen aufteilen, manche laufen allein ziellos umher, sie denken schon an die nächste Stunde, das sind die ohne Freunde, auch Frank geht auf dem Schulhof auf und ab. Er sieht nachdenklich aus, er hat seine rechte Hand am Kinn, in der linken eine Zigarette und einen ernsten Blick, als ihn Marc anspricht. Frank kennt ihn schon ewig und er kann in seinen Augen erkennen, was er möchte. Aber schließlich fast Marc all seinen Mut zusammen und fragt ihn nach diesem merkwürdigen Satz. Frank ist ein wenig überrascht, denn die Oma seines Freundes ist schon 2 Jahre tot.

„Marc, um was geht es?“

„Meine kleine Schwester, ich will mit ihr sprechen, wissen, ob es ihr gut geht,“ erwidert er mit einer stottrigen Art. Franks Gesicht prägt ein leichtes Grinsen, aber der ernste Blick ist noch da. „Wir müssen zu dritt sein, wenn du das machen willst, was ich denke,“ sagt er mit ruhiger Stimme zu seinem Freund, der überrascht ist. Was hat wohl Frank vor, was meint er damit? Doch ohne das Marc überhaupt weiß, was bald geschehen wird, sagt er mit entschlossener Stimme: „Manuela“.

Und Frank ist über diese dritte Person gar nicht überrascht. Für ihn ist es die Gelegenheit, schon immer wollte er das tun, was sie nun vorhaben, doch nie erklärten sich andere bereit dafür, es ist seine Gelegenheit, auch wenn er die Gefühle seines Freundes für seine Zwecke ausnutzt. Sie reden ca. 10 Minuten miteinander, bevor Manuela sich erleichtert ihnen anschließt. Sie hat ein schönes Lächeln drauf, ein Zeichen dafür, dass sie gute Arbeit geleistet hat. Beide blicken sie an, ohne dass jemand was sagt. Sie ist jetzt ebenfalls sprachlos und fragt besorgt nach, was los wäre? „Nichts.“ Sagt Frank. „Sei Abend nur bei Marc um 20 Uhr, dann wirst du sehen“. Wenn sie eine Aufforderung oder eher eine Bitte von Frank so direkt gesagt bekommt, dann weiß sie, dass es sich um was Wichtiges handelt. Und selbstverständlich wird sie pünktlich erscheinen, obwohl sie noch nicht weiß, was überhaupt los ist, genauso wie Marc, der stumm dasteht und Manuela anblickt. Der Gong ertönt, die nächst Stunde beginnt und die einzelnen Gruppen der Schüler lösen sich langsam auf.

3. Die Vorbereitung

Es ist 17 Uhr, Marc liegt in seinem Zimmer, die Musik laut aufgedreht, er starrt an die Decke und seine Gedanken drehen sich um heute Abend. Was wird geschehen? Er plagt sich mit dem Gedanken, Manuela anzurufen und zu fragen, ob sie schon um 18 Uhr vorbei kommen möchte.

Er weiß, dass sie direkt zusagen würde, aber er schafft es einfach nicht aufzustehen, zum Telefon rennen und sie anrufen, nein er liegt lieber in seinem Bett und denkt nach. Er würde doch so gern ein wenig Zeit mit Manuela allein verbringen, bevor Frank kommt, aber was sollte er mit ihr machen? Vielleicht ist der Zeitpunkt da, um ihr seine Liebe zu gestehen, aber die Freundschaft riskieren? Er könnte sie für immer verlieren. Zuerst seine Schwester und dann Manuela, er würde dabei zu Grunde gehen. Also liegt er weiter auf seinem Bett, die Blicke an die Decke gefesselt und wartet auf die Zeit, noch 3 Stunden. Seine Mutter ist heute nicht da, sie ist zu einer Freundin, denn es ist Montag, der Abend, an dem sie Karten spielen geht, das Haus ist daher leer.

Plötzlich spürt Marc seinen Körper nicht mehr, als wenn er federleicht wäre, er öffnet seine Augen und sieht alles anders wie vorher. Er nimmt Dinge war, die gar nicht da sind, wie zum Beispiel dieser Tunnel, der anstelle des Fensters sich öffnet, wieder dieses Licht, das in seinen Augen nicht schmerzt. Auch dieses Pfeifen, sein Körper hebt sich vom Bett ab, ganz langsam und schwebt auf dieses Licht zu, das so wunderschön ist, schöner als das Zentrum der Sonne. Das Pfeifen wird stärker und wieder sieht er einen kleinen Umriss im Licht, eine Art von Schatten, einen Körper. Ein kleiner Körper eines Kindes, seine Schwester, die er so vermisst. Er streckt seinen Arm zu ihr aus und sie berührt ihn ganz leicht mit ihren zarten, weichen Fingern.