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Für einen Neuanfang ist es nie zu spät: Der herzerwärmende Roman »Das kleine Auktionshaus in Schweden« von Åsa Hallengård jetzt als eBook bei dotbooks. Das hat ihr gerade noch gefehlt! Kristina soll im örtlichen Auktionshaus einen Antiquitätenkurs leiten, findet zumindest ihr Sohn. Aber auf fremde Leute hat sie nun wirklich keine Lust. Sie ahnt ja nicht, auf welch kunterbunten Strauß an Menschen sie in ihrem Kurs treffen wird: Auf Maria, die mehr Schwung in ihre Ehe mit Martin bringen will. Er liebt doch Kunst und Raritäten! Da kommt der Kurs gerade recht. Die verhuschte Klara, alleinerziehend und pleite, gewinnt die Teilnahme, während der grummelige Per-Olof sich anmeldet, damit seine Töchter Ruhe geben. Eigentlich ist ihm sein Hund ja Gesellschaft genug. Peter hingegen, der für gutes Essen und antike Möbel brennt, kann den Kursstart kaum erwarten … Die buntgemischte Truppe entpuppt sich als Dreamteam! Und wo zuvor Einsamkeit herrschte, gedeiht plötzlich Freundschaft und zarte Liebesbande werden geknüpft. Doch als das Leben sich mal wieder von seiner harten Seite zeigt, müssen sie auch ihren Zusammenhalt unter Beweis stellen. Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der ebenso heitere wie berührende Wohlfühlroman »Das kleine Auktionshaus in Schweden« von Åsa Hallengård wird Fans von Manuela Inusa und Julie Caplin begeistern. Das Hörbuch ist bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.
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Über dieses Buch:
Das hat ihr gerade noch gefehlt! Kristina soll im örtlichen Auktionshaus einen Antiquitätenkurs leiten, findet zumindest ihr Sohn. Aber auf fremde Leute hat sie nun wirklich keine Lust. Sie ahnt ja nicht, auf welch kunterbunten Strauß an Menschen sie in ihrem Kurs treffen wird: Auf Maria, die mehr Schwung in ihre Ehe mit Martin bringen will. Er liebt doch Kunst und Raritäten! Da kommt der Kurs gerade recht. Die verhuschte Klara, alleinerziehend und pleite, gewinnt die Teilnahme, während der grummelige Per-Olof sich anmeldet, damit seine Töchter Ruhe geben. Eigentlich ist ihm sein Hund ja Gesellschaft genug. Peter hingegen, der für gutes Essen und antike Möbel brennt, kann den Kursstart kaum erwarten … Die buntgemischte Truppe entpuppt sich als Dreamteam! Und wo zuvor Einsamkeit herrschte, gedeiht plötzlich Freundschaft und zarte Liebesbande werden geknüpft. Doch als das Leben sich mal wieder von seiner harten Seite zeigt, müssen sie auch ihren Zusammenhalt unter Beweis stellen.
»Das kleine Auktionshaus in Schweden« erscheint außerdem als Hörbuch bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.
Über die Autorin:
Åsa Hallengård ist eine schwedische Autorin und Lehrerin. »Das kleine Auktionshaus in Schweden« ist ihr Debütroman.
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eBook-Ausgabe Juni 2023, Mai 2024
Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2019 unter dem Originaltitel »Antikkurs för vilsna hjärtan« im Joelsgården förlag
Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2019 Joelsgården förlag
Copyright © der deutschen Erstausgabe SAGA Egmont
Copyright © der eBook-Ausgabe 2023 dotbooks GmbH, München
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Karol Kinal unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock
eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (rb)
ISBN 978-3-98952-190-2
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Åsa Hallengård
Das kleine Auktionshaus in Schweden
Roman
Aus dem Schwedischen von Gesa Füßle
dotbooks.
Etwas Neues probieren
Kristina
»Was?« Kristina schüttelte den Kopf, sodass ihr Pagenschnitt im Takt mit den großen Goldringen in ihren Ohren herumschwang. »Ich habe nicht vor, den Kurs zu leiten.« Sie starrte stur aufs Meer hinter Karl, der in einem der bequemen Sessel auf der Terrasse saß. An diesem klaren Augustnachmittag konnte sie die Insel Ven, die im Öresund zwischen Schweden und Dänemark lag, deutlich sehen.
»Habt ihr diesen Sommer mal nach dem Haus gesehen, du und Erik?«, fragte Kristina. »Ihm würden ein paar freie Tage guttun.«
Die Sorge um Erik war immer präsent. Er arbeitete so hart in der Firma seines Vaters, dass es ihr erschien, als hätte er jedes Mal mehr graue Haare, wenn sie ihn traf.
»Versuch nicht das Thema zu wechseln, Mama.«
»Ich glaube, dass man das Dach ausbessern muss, ehe die Herbststürme über die Insel ziehen.«
Sie sah weiter Richtung Ven. Karl seufzte. Er erhob sich halb aus seinem Sessel und schob sich in ihr Sichtfeld.
»Derjenige, der den Kurs leiten sollte, ist krank geworden, da habe ich an dich gedacht. Meine Freunde vom Auktionshaus Schonen sind verzweifelt. Du kannst so viel und hast Erfahrung im Unterrichten …«
»Erfahrung, die über vierzig Jahre zurückliegt. Ich war fleißig und meine Schülerinnen und Schüler waren interessiert.« Sie erinnerte sich daran, wie gern sie unterrichtet hatte.
»Als ich geheiratet habe, wollte Paul nicht, dass ich weiterarbeite. Weißt du noch, Erik, wie du und ich am Küchentisch zusammen Hausaufgaben gemacht haben?«
Eine alte Erinnerung stieg in ihr auf. Die gemütliche Stimmung wich einer Anspannung, die alle drei am Tisch erstarren ließ. Eine Tür, die geschlossen wurde, und Augen, die flackerten. Blitzschnell, fast reflexartig, wischte sie die Erinnerung fort.
»Du wirst ein super Ersatz. Du hältst den Kurs. Außerdem weißt du wahnsinnig viel über Antiquitäten. Ich habe schon gesagt, dass du den Auftrag annimmst.« Karl sah sie durchdringend an und wich ihrem Blick nicht aus.
Kristina starrte ihn an.
»Das ist nicht witzig, Karl. Du hast einfach für mich entschieden, ohne mich zu fragen. Du weißt genau, wie ungern ich neue Leute treffe.«
Sie stellte ihr Weinglas mit einem Klirren auf den Tisch zurück.
Er lächelte. Das Lachen lauerte schon in seinem Mundwinkel.
»Ich kenne keine Person, die so pädagogisch ist wie du. Du bekommst den Kursplan mit den Vorlesungen und allem. Der Stilkundekurs findet dienstagabends statt, zehnmal im Herbst. Das Personal vor Ort hilft dir bei der Technik. Nun mach schon.«
»Ich fühle mich betrogen.«
Kristina sank mutlos in ihren Sessel zurück. Wie sollte sie es aushalten, vor lauter unbekannten Menschen zu stehen? Eine Vorlesung halten! Was, wenn sie den Faden verlor? Wenn sie die Zuhörenden nicht einmal mitreißen könnte? Als sie noch in der Schule gearbeitet hatte, war sie gut darin gewesen, eine Beziehung zu den Schülern aufzubauen und ihre Aufmerksamkeit zu erlangen. Aber jetzt, mit erwachsenen Menschen und nach so vielen Jahren fast absoluter Isolation? Wie sollte sie so neue Beziehungen aufbauen?
»Bitte, Mama«, hörte sie Karl wie von weit weg sagen. Das Einzige, das seine Unsicherheit verriet, war das leichte Zittern seiner Hand, als er sich das Rotweinglas an den Mund führte.
»Ich machs, aber du bist echt unmöglich«, hörte sie sich antworten. Sie, die nicht von ihren eingespielten Wegen abgewichen war, seit Paul die Freundlichkeit gehabt hatte, in den frühen Teenagerjahren seiner Söhne zu sterben.
»Ich weiß. Ich schreibe jetzt eine SMS und dann ist die Sache geritzt. Sie rufen dich dann an.«
»Wer genau?«
Karl verdrehte die Augen.
»Das Personal vom Auktionshaus. Dann hast du etwas, wofür du dich engagieren kannst, Mama.«
»Das will ich gar nicht. Das fühlt sich nicht gut an.« Sie schob die Serviette auf dem Tisch hin und her.
»Doch, du wirst das ganz toll machen.« Er stand auf.
»Sollen wir reingehen? Es wird langsam etwas kühl hier draußen.«
Karl hakte sich bei Kristina ein und führte sie durch die Glastüren in die Bibliothek.
»Ich mache uns einen Kaffee.« Er ließ sie auf dem Chesterfieldsofa zurück.
In ihrem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Sie fühlte sich in die Ecke getrieben. Trotzdem steckte ein Funken Wahrheit in dem, was Karl sagte. Er hatte immer ein feines Urteilsvermögen gehabt. Das war sicher einer der Gründe, warum er so gut malen konnte. Vielleicht war der neue Job ja genau das Richtige für sie? Kristina sah an die Wand über dem offenen Kamin, wo Paul im Goldrahmen hing, mit seinem markanten Kinn, das er so gebieterisch nach vorne schob. Sie erschauderte. Die Angst saß noch immer tief.
»Das Bild ist mit dem Motiv sicher nicht besonders viel wert. Abgesehen davon dreht Erik durch, wenn wir es herunternehmen.« Karl erschien im Zimmer und stellte das Tablett auf den Tisch. Er reichte Kristina eine Tasse, schenkte ihr Kaffee ein und schob ihr den Teller mit den Pralinen hin. Kristina seufzte, als sie in Karls Gesicht sah.
»Liebe Mama, guck nicht so ängstlich. Du musst mal raus und unter Leute kommen. Wir machen uns Sorgen um dich.«
»Wer, wir?« Hatten sie hinter ihrem Rücken über sie geredet? Was hatten sie gesagt? Wie erbärmlich es war, dass sie darauf bestand, weiter in dem alten Steinhaus zu wohnen?
»Erik und ich natürlich. Du wohnst hier ganz allein mit all diesen Erinnerungen.«
»Muss ich ja.«
Kristina verschränkte die Arme vor der Brust. Warum war es für ihre Söhne so schwer zu verstehen, dass es ein Teil ihres Sieges war, hier wohnen zu bleiben? Zu bleiben, statt zu fliehen? Der Sieg über Paul. Aber vielleicht könnte der Stilkundekurs dazu beitragen, dass dieser etwas verstaubte Sieg sich wieder neu anfühlte? Als ob man einen alten Pokal putzen und zum Glänzen bringen würde. Ihre Augen leuchteten auf. Wie es wohl wäre, wieder von jemandem wahrgenommen zu werden?
Sie wusste, dass sie gut aussah. Sie hatte immer gut ausgesehen – und das war wohl auch der Grund dafür gewesen, dass Paul sich damals für sie entschieden hatte. Was er gewollt hatte, war eine Vorzeigefrau. Aber jetzt fingen ihre Lider an zu hängen und unter den Augen hatte sie hässliche Ringe, die sie dauerhaft müde aussehen ließen. Sie musste etwas dagegen tun. Schlicht und einfach, um ihr Selbstbewusstsein wieder aufzubauen, jetzt, wo sie in die Rolle der Kursleiterin gezwungen wurde. So eine Operation könnte wie ein Schutzschild fungieren, wie eine dauerhafte Rüstung. Das perfekte Äußere, das sie über so viele Jahre aufgebaut und gepflegt hatte. Die Klinik am Meer in unmittelbarer Nähe würde sicher eine Lösung für ihr Problem haben. Sie war früher ein beliebtes Tanzlokal gewesen. Ihre Gedanken schwirrten zu einer vergangenen Zeit.
»Worüber lächelst du?« Kristina wurde von Karls Frage zurück in die Gegenwart katapultiert.
»Ich dachte nur an den Strand. Erinnerst du dich an die ganzen Tanzabende?«
»Natürlich, da sind wir ja immer hingegangen.«
»Und ich hatte immer Angst um euch. Ich konnte nie schlafen, bevor ihr wieder zu Hause wart.«
»Ich weiß, besonders um Erik, nehme ich an.« Karl lächelte sie an.
Kristina lachte auf.
»Ich konnte nie sicher sein, in was für einem Zustand er nach Hause kommen würde. Er war immer so unberechenbar.«
»Das hat er von Papa. Plus die Tendenz zum Workaholic.«
Kristina seufzte.
»Die Launen, ja, aber er ist doch deutlich ruhiger geworden. Das ist dein Vater nie.« In den Jugendjahren der Kinder, genau genommen während ihrer ganzen Ehe, hatte sie in der Speisekammer immer Erste-Hilfe-Vorräte gehabt, die einer Notaufnahme gerecht geworden wären.
»Ich bin so dankbar, dass ihr erfolgreich euer eigenes Leben aufgebaut habt, trotz all der durchlebten Schwierigkeiten.« Sie streichelte Karl sanft über die Wange.
»Warum hat er mich nie malen lassen?«
»Er war für Sport, er fand, dass Jungen sich mit Golf und Tennis beschäftigen sollten. Nicht mit so Rumgeschmiere.«
»Erik hat immer ein gutes Ballgefühl gehabt.« Karl sah zu dem Porträt hoch.
»Du auch, Liebling.« Sie tätschelte ihm das Bein.
»Ich war nie gut darin, die Erwartungen zu erfüllen. Das schwarze Schaf.«
»Das darfst du so nicht sagen. Du bist anders. Das ist alles.«
»Danke, Mama, für all die Liebe, die du uns gegeben hast. Du hast alles getan, was du konntest.«
»Das ist der Job einer Mutter.« Kristina räusperte sich. Ihre Stimme brach ihr ein wenig weg. »Die Kinder stehen immer an erster Stelle, das ganze Leben lang.«
Ihre Augen trafen sich in warmer Übereinstimmung. Zwei sehr ähnliche Augenpaare. Dunkelbraun, fast schwarz.
»Das stimmt sicher, aber du musst auch an dein eigenes Leben denken. Für dich. Wir kommen klar.«
Karl blickte sie entschlossen an. Sie versuchte wegzusehen, doch er nahm ihr Gesicht in seine Hände und zwang es zu sich hoch.
»Ich weiß, dass du das nicht gerne hörst, aber Eltern sollten ihr Leben nicht mit dem ihrer Kinder und Enkelkinder ersetzen. Sie sollten ihr eigenes Leben leben. Du musst deinen persönlichen Weg finden, Mama.«
»Aber das ist so schwierig.« Die Tränen brannten hinter ihren Lidern, und sie schluckte schwer, um zu verhindern, dass sie hervordrangen.
»Du musst dir ein eigenes Ziel setzen. Du bist nicht dafür gemacht, allein in einer alten Patriziervilla zu sitzen.«
Karl legte seine Arme um Kristina und sie sog die vertraute Wärme auf. Sie schloss die Augen und versuchte sich den Moment einzuprägen, um ihn zu einem späteren Zeitpunkt wieder hervorholen zu können.
»Willst du, dass ich heute hier schlafe?« Kristina nickte an Karls Schulter.
»Bist du sicher, dass du das kannst?« Sie zog sich aus seiner Umarmung zurück und sah ihn an.
»Klar. Ich muss morgen sowieso hier in Landskrona zu einem Treffen wegen der Baupläne vom Hotel Öresund.«
»Dann musst du heute Abend nicht mehr nach Lund fahren und kannst morgen ausschlafen.« Sie lächelte ihn vorsichtig an.
Maria
Die Wärme der Steintreppe übertrug sich angenehm auf Marias Schenkel, als sie mit dem Collegeblock auf den Knien auf den Stufen saß. Ihr Kuli schrammte über das Papier. Ein neues Rezept für belegte Brote nahm Form an, etwas mit Apfel, Hühnchen und eingelegter roter Zwiebel. Sie führte den Stift an den Mund und kaute ein wenig daran herum, während sie weiter nachdachte. Ihr Blick wanderte zum Spielplatz vor dem Rathaus. Die Flagge war gehisst. Jemand hatte Geburtstag und die Nachbarskinder waren unterwegs. Sie schienen zwischen Hecken und Spielsachen hin und her zu huschen. Vermutlich spielten sie gerade Verstecken.
Sie nahm ihr Handy in die Hand und öffnete die Webseite des Auktionshauses. In ihrem Bauch fing es an zu kribbeln und schon bald hatte sich die Vorfreude in ihrem ganzen Körper ausgebreitet. Sie legte das Handy wieder weg, doch ihre aufgeregten Finger brauchten Beschäftigung und begannen wie ferngesteuert, Muster auf das Papier zu malen. Zwiebelranken und Apfelbaumzweige. Sie würde zur Stilkunde gehen! Ihre Hand hielt inne und sie wandte die Aufmerksamkeit wieder ihrem Handy zu. Laut Plan würden sie mit der Renaissance beginnen und nach zehn Abenden im 20. Jahrhundert aufhören. Sicher würde sie dort viele neue, interessante Leute kennenlernen. Aber wollte sie das überhaupt?
Der ganze Sinn des Kursbesuchs war eigentlich, dass sie und Martin etwas gemeinsam unternehmen wollten. Vielleicht würde der Kurs dafür sorgen, dass sie sich wieder näherkamen und ihnen zu neuem Gesprächsstoff verhelfen. Schlagartig wurde ihre Vorfreude von Sorge überschattet. Würde sie sich trauen, unverhohlen zu erzählen, was sie fühlte? Das aufgeregte Kribbeln in ihrem Bauch hatte sich in ein unangenehmes Stechen verwandelt. Maria kratzte sich am Kopf und strich sich die losen Haarsträhnen hinter die Ohren. In ihrer Tasche suchte sie nach einem Haargummi, fand aber keins.
Sie schlug eine neue Seite auf und schrieb oben auf die linke Hälfte ein Plus und auf die rechte Hälfte ein Minus. Dazwischen zog sie einen Strich. Als Überschrift setzte sie »Beziehung« darüber. Sie pausierte und kaute ein wenig am Stift. Wie sollte sie es anfangen, mit Martin zu reden? Was empfand sie überhaupt? Und der Stilkundekurs – was würde der zum Ganzen beitragen? Die Anmeldungsgebühr war hoch. Sicher würde Martin deswegen ganz schön rumknausern. Aber immerhin interessierten sie sich beide für alte Sachen. Vielleicht würde sie Zugang zu einer anderen Welt bekommen, wenn sie nur die richtigen Leute traf. Sie könnte ja sogar jemand neues kennenlernen!
Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, mit den Gedanken abzuschweifen. Sie musste sich sammeln und so gut wie möglich vorbereiten. Sie hatte etwas Wichtiges mit Martin zu besprechen, das für ihr gemeinsames Leben entscheidend sein könnte. In den letzten Jahren hatten sie sich immer weiter voneinander entfernt. Statt miteinander zu sprechen, redeten sie immer häufiger aneinander vorbei, was dann zu Missverständnissen führte. Sie kratzte sich erneut am Kopf. Das Stechen wollte einfach nicht aufhören.
Wieder richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf das Papier. Was war gut? Sie schrieb »Geld«. Die Lage war nicht rosig, aber auf jeden Fall besser, als wenn sie alleine leben würde. Darum schrieb sie »Geld« auch auf die Minusseite. Dann notierte sie »Familie« und »Sicherheit« auf der Plusseite. Aber was die Familie betraf – wie glücklich waren denn Kinder überhaupt, wenn ihre Eltern sich nicht miteinander wohlfühlten? Auf die Minusseite schrieb sie »Respekt«, »Kommunikation« und »Freiheit«.
Sie seufzte. Jetzt oder nie. Sie hatte schon vorher mehrfach versucht, mit Martin zu reden, aber es hatte zu nichts geführt. Auf der Treppe sitzend beschloss sie, nicht aufzubrausen, sondern ruhig zu bleiben. Mit wackligen Beinen stand sie auf und schob den ausgeleierten BH-Träger zurück, der unter dem Hemd hervorlugte. Maria holte tief Luft, öffnete die Tür und ging hinein.
Die kühlen Zementfliesen im Flur hießen ihre nackten Fußsohlen willkommen. Einen Moment lang konnte sie nichts sehen. Sie blieb kurz stehen, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Maria ging ins Wohnzimmer. Um zu vermeiden, dass die Abendsonne ins Zimmer drang und somit das Fernsehen erschwerte, waren die karierten Stoffgardinen zugezogen worden. Aber niemand sah fern. Maria nahm die Fernbedienung an sich und drückte die »Off«-Taste. Sie schob die Gardinen etwas auseinander, um sich zu versichern, dass die Kinder nicht gerade kamen.
Der Spielplatz rief sie. Maria spürte auf einmal das Bedürfnis, in die Freiheit zu laufen und zu spielen. In ihr drehte sich alles. Was sollte sie sagen? Es war so viel Zeit vergangen und sie hatte es so oft versucht, aber entweder hatte sie stets der Mut verlassen oder sie war zu emotional geworden. Dann fühlte Martin sich bedrängt und schon entstand ein Streit.
Aber warum musste sie sich überhaupt darum kümmern? Er könnte es doch auch tun? Nein, dann würde nie etwas draus werden. Maria versuchte sich auf die Schwere ihres Körpers zu konzentrieren, um das Schwindelgefühl zu stoppen. Es ließ etwas nach. Sie musste es ruhig angehen, nicht aufbrausen. Obwohl ihr das schwerfiel. Martin war in letzter Zeit so komisch gewesen.
Nun saß er am einen Ende des Sofas, das sie im vorigen Jahr von einem Großteil ihrer Ersparnisse bei IKEA gekauft hatten. Maria ging zu einem der Sessel, knuffte ein Kissen zurecht und richtete den Stoffüberzug, den sie genäht hatte.
»Dieser Überzug ist echt gut geworden. Der Verschleiß des Sessels ist damit nicht so deutlich zu sehen.«
Sie bekam keine Antwort und schon fing ihre Kopfhaut vor Nervosität wieder an zu kribbeln. Sie setzte sich ans andere Sofaende. Zwischen ihnen lag ein Ozean aus Ungesagtem, den niemand anrühren wollte, um keinen mittleren Tsunami auszulösen. Maria reckte sich über den Couchtisch nach der Fernbedienung, als ob sie diese als Ruder in dem leckenden Boot benutzen wollte, das ihre Beziehung darstellte.
Sie versuchte, die Notizen in ihrem Block zu lesen, aber ihre Gedanken schweiften in andere Richtungen ab. Sie linste zu ihrem Mann, der in sein Handy versunken dasaß. Seine Augenbrauen sprangen hoch und runter, je nachdem, ob er gerade etwas Interessantes sah oder nicht. Sie konnte dieses Gespräch nicht mehr länger herauszögern. Sie hatte auf den richtigen Zeitpunkt gewartet, aber der war nicht gekommen. Jetzt musste sie den Stier bei den Hörnern packen, sonst würde sich nie etwas ändern. Alles schwankte. Sie nahm Anlauf und zerbrach die Stille.
»Wollen wir hier nur sitzen und uns anstarren? Wollen wir uns nicht mal unterhalten?« Maria erhob die Stimme ein wenig.
»Was?« Er sah abrupt auf. »Du hast was an der Lippe.«
Sie führte die Finger zum Mund und strich sich über die Lippen. Etwas blieb hängen. Es war ein gelbes Stück Plastik von der Kulikappe. Sie seufzte schwer und überlegte, alles hinzuschmeißen. Aber jetzt, wo sie sich endlich aufs offene Wasser gewagt hatte, konnte sie nicht mehr umkehren. Wieder schwindelte ihr. Sie griff nach der Sofakante und schloss die Augen.
»Warum reden wir nicht miteinander? Du scheinst dich überhaupt nicht für mich zu interessieren.« Maria fixierte ihn mit ihrem Blick. »Sollen wir nicht mal was gemeinsam unternehmen? Dann würden wir uns vielleicht wieder unterhalten, so wie früher.« Ihre Fingerknöchel an der Sofakante wurden weiß.
»Was?« Martin wand sich. Seine Augen glitten wieder zum Handy. »Ich bin hier gerade beschäftigt. Können wir das nicht ein andermal besprechen?«
»Jetzt ist jetzt und es gibt kein andermal. Was ist so viel wichtiger als ich, dass du dich jetzt so unbedingt darum kümmern musst?«
Sie hörte selbst, dass sie schon leicht genervt klang. Warum hatte sie ihre Launen nicht besser im Griff? Genau so sollte es doch gerade nicht sein! Martin schob die Brust vor.
»Was hat das mit dir zu tun? Wenn ich auf mein Handy gucken will, kann ich das ja wohl tun, ohne von dir auf diese Weise zurechtgewiesen zu werden.« Er sah ohne zu blinzeln vom Bildschirm auf und blickte ihr in die Augen.
»Hör dir doch mal selbst zu! Findest du, dass dein Ton wie eine Gesprächseinladung klingt?«
Er wandte sich mit sturem Blick wieder seinem Handy zu. Maria strich sich schnell ein paarmal mit den Fingern durch die Haare. Sie linste auf seinen Bildschirm. Es ging um irgendwas mit der Band KSMB, ein Konzert in der Nähe, anscheinend in Malmö.
»Du findest die alte Punkband also wichtiger, als dich über uns zu unterhalten?!«
Jetzt stach es überall. Sie versuchte ruhig zu atmen und das Bücherregal anzusehen. Aber sie konnte ihren Blick nicht lang genug stillhalten, um auch nur einen der Titel zu lesen.
»Es ist alles so furchtbar. Wenn wir etwas Lustiges gemeinsam machen würden, wäre das Leben doch viel leichter. Das ganze Drama ums Geld würde sich auch nicht derart ätzend anfühlen.«
»Ich gebe mein Bestes, aber es ist nicht so toll auf der Arbeit. Ständig wird jemandem gekündigt. Wir können einfach froh sein, dass ich so lange davongekommen bin.« Er wischte seine Hände und das Handydisplay an seiner Hose ab und setzte sich anders hin.
»Vielleicht wäre es besser, wenn du dich nach etwas anderem umsiehst, falls die Wahl irgendwann auf dich fällt. Außerdem könntest du dann womöglich ein besseres Gehalt bekommen, weil wir unsere Geldsituation wirklich verbessern sollten.«
»Wenn es hier um Geld geht, gehe ich jetzt lieber. Ich kann dein Genörgel nicht ausstehen.« Martins Worte trafen sie wie giftige Pfeile.
»Nein, hier geht es nicht um Geld.«
Es war so schwierig. Alles war immer sofort falsch. Wann hatten sie zuletzt ruhig und besonnen miteinander gesprochen? Wenn sie nur eine neue Gebrauchsanleitung für Martin hätte, wäre alles so viel einfacher. Die alte Anleitung konnte sie jedenfalls entsorgen. Zusammenknüllen und in den Papierkorb werfen.
»Na gut, dann geht es eben darum, was an mir alles falsch ist. Das kommt nämlich immer, wenn du mit dem Geldthema durch bist.«
»Es fühlt sich so an, als hätten wir abgesehen von den Kindern gar nichts mehr miteinander zu tun. Das reicht mir nicht. Wir beiden brauchen etwas Gemeinsames, das uns verbindet und Spaß macht.«
»Wieso das denn?« Er wand sich.
Maria seufzte.
»Weil ich nicht in fünfzehn Jahren immer noch hier mit dir an gegenüberliegenden Enden des Sofas sitzen will, wenn die Kinder längst aus dem Haus sind. Noch stehen sie im Fokus und sorgen für Gesprächsstoff. Aber das täuscht nur darüber hinweg, dass wir keine gemeinsamen Themen haben. Wenn wir eine Zukunft wollen, müssen wir an unserer Beziehung arbeiten. Und deshalb mache ich einen Vorschlag.«
»Willst du dich scheiden lassen? Geht es darum?« Er stand auf. Sein Handy landete auf dem Teppich. Er hob es hoch, drehte es prüfend um und atmete erleichtert auf.
»Was? Nein, du hörst mir gar nicht zu. Wenn wir nichts dagegen tun, werden wir nur noch nebeneinanderher leben und das ist komplett sinnlos.«
Langsam reichte es ihr. Das Reden fiel ihr schon schwer genug und er machte es ihr wahrhaftig nicht leichter.
»Was hast du gesagt?«, fragte Martin, obwohl er eigentlich gern wieder zu seinen Recherchen über schwedischen Punk zurückkehren wollte, und zwar am liebsten woanders.
»Kannst du das Handy mal weglegen?«
Martin legte das Handy auf den Tisch, die Rückseite nach oben. Es brummte. Schnell hob er es hoch und tippte auf dem Bildschirm herum. Dann knallte er es demonstrativ wieder zurück auf die Tischplatte.
»Zufrieden?« Das Wort troff so vor Ironie, dass es Flecken auf dem Sofa zu hinterlassen schien.
Sie ignorierte den Kommentar und sein Augenrollen.
»Wir brauchen etwas Gemeinsames, das Spaß macht. Etwas, bei dem es nicht um die Kinder, sondern um uns geht. Wir renovieren beide gern. Wir mögen alte Sachen, Flohmärkte, Auktionen und so.«
»Ja?« Seine leicht geweiteten Augen verrieten so etwas wie Interesse.
»Das Auktionshaus Schonen bietet Stilkundekurse an. Zehn Kurse, einmal pro Woche. Man lernt ein bisschen über die Geschichte der Möbel, die verschiedenen Stile, was viel wert ist, was nicht und so weiter.«
Plötzlich war das Reden viel einfacher.
»Wer weiß, vielleicht haben wir sogar einen Schatz hier zu Hause, von dem wir nichts wissen. Außerdem würden wir neue Leute kennenlernen. Das ist doch immer nett. Guck mal.«
Sie zeigte ihm ihr Handy, auf dem sie die Seite des Kurses aufgerufen hatte.
»Was kostet das?«
»3150 Kronen pro Person.«
»Wir müssen einen Trockner kaufen.«
»Okay, was meinst du wird billiger: Paartherapie oder Stilkunde? Was wird lustiger? Wenn wir ohne Trockner klargekommen sind, seit der alte kaputtgegangen ist, werden wir das auch weiterhin.«
»Die Handtücher und Badelaken werden so wahnsinnig rau, wenn sie in der Waschküche trocknen.« Auf Martins Oberlippe bildeten sich kleine Schweißtropfen.
»Also ich … Müssen wir jetzt echt darüber reden?«, stammelte er herum.
»Es ist doch gut so, wie es ist! Das ist einfach normal, wenn man Kinder hat. Wir finden schon wieder zueinander, wenn die Kinder größer werden. Müssen wir deswegen jetzt so ein Fass aufmachen?« Der Schweiß brach ihm unter den Armen und an den Haarwurzeln aus.
»Das klingt super. Ich soll also einfach noch ein paar Jahre warten, bis es besser wird? Ich versuche doch nur, unsere Beziehung aus diesen langweiligen Bahnen zu lenken, ehe sie zementiert werden. Zum letzten Mal, was ist billiger: Paartherapie oder Stilkunde? Scheidung ist es jedenfalls nicht.«
»Dann nehmen wir den Stilkundekurs.« Martin seufzte.
Sein Unwille tat weh, aber wenigstens war sie am Ziel angekommen. »Na also. Dann hast du die Aufgabe, uns anzumelden.«
Martin
Martin holte den Topf mit den Spaghetti und knallte ihn auf den Tisch. Mit den Augen folgte er dem verschlungenen Blumenmuster der Tischdecke. In ihm fühlte es sich ähnlich kompliziert an. Er wusste kaum noch, wer er war. Er schluckte, um die aufkommende Dunkelheit zu unterdrücken.
Zwei Wirbelwinde rissen ihn aus seinen Gedanken, warfen sich auf die Stühle und machten sich wie ausgehungerte Jungvögel über das Essen her.
»Ganz ruhig, Kinder, nehmt euch nicht mehr, als ihr essen könnt.«
Maria schob ihnen den Salat hin, als sie sah, dass sie sich keinen nahmen. Die Kinder warfen sich augenrollende Blicke zu. Martin sog ihren Duft ein. Sie rochen nach Spiel, Kinderschweiß und herrlich leichtem Leben. Er versuchte, aus ihrer Energie ein wenig Kraft zu schöpfen.
»Ich habe uns angemeldet.«
»So schnell?« Sie klang überrascht. »Das ist ja toll!«
Maria seufzte erleichtert.
»Vielleicht ist das keine so blöde Idee«, stimmte ihr Martin zu. Langsam konnte er sich mit dem Gedanken anfreunden.
Per-Olof
»Aber Papa, denk doch bitte erst mal drüber nach!«
»Da gibt es nichts nachzudenken. Ich habe Nein gesagt.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch.
»Du musst mal rauskommen, Papa. Leute treffen«, sagte Eva.
»Ich weiß schon selbst, was gut für mich ist und was nicht!«
Per-Olof war kurz davor, seine Geduld zu verlieren. Warum zur Hölle hatte er solch dickköpfige Töchter? Kapierten sie nicht, dass er noch trauerte?
Helena warf ihrer Schwester einen Blick zu. »Mama hätte es nicht gefallen, dass du immer nur zu Hause sitzt und nichts tust.« Helenas Stimme klang etwas sanfter als Evas kurz zuvor.
»Du bist so stur, Papa.« Helena seufzte. »Kommst du wirklich klar?«
»Mama ist fort. Du brauchst jetzt jemand anderen, der das Kommando übernimmt. Wir wollen dir nur helfen«, sagte Eva.
»Wieso Kommando? Ich komme allein zurecht. Ich habe den Hund, die Natur, die Jagd, meinen Modellbau und den Fußball. Ich habe viele Interessen, wenn ihr darüber mal reden wollt. Mehr als die meisten anderen Rentner. Die meisten verlieren ja ihre Identität, sobald sie mit dem Arbeiten aufhören. Als ob sie ohne ihren Job nicht existieren können. Aber so bin ich nicht. Ich weiß, wer ich bin«, zischte er.
Das würde diesen aufdringlichen Menschen, die seine Töchter sein sollten, hoffentlich die Sprache verschlagen. Per-Olof versuchte sich einen Kaffee zu machen, aber seine Hand zitterte so sehr, dass er das Pulver verschüttete. Es war ihm alles zu viel. Zu viele Gefühle um ihn herum. Das Blut stieg ihm in den Kopf und sein Körper verspannte sich.
»Ja, wir wissen, dass du viele Interessen hast, aber davon hast du seit Mamas Tod nichts fortgeführt. Weder Jagd noch Fußball. Du machst nicht einmal mehr sauber«, setzte Eva an. »Wir wollen dich nur wieder auf die richtige Spur bringen.«
Es würde nichts nützen, wenn er sich weiter wehrte. Zuvor hatten sie von ihm verlangt, dass er das Grundstück verkaufte. Er fragte sich, wie sie sich das vorstellten. Was wäre dann mit der Jagd? Charlie und er brauchten diese Herausforderung. Jetzt wollten sie ihn auch noch in einen Stilkundekurs stecken. Er streichelte Charlies Kopf und Ohren. Der Hund saß neben ihm, den Kopf auf sein Knie gelegt. Wie konnten die eigenen Kinder von einem verlangen, das Grundstück zu verkaufen, wenn ihre Mutter kaum unter der Erde war? Was glaubten sie eigentlich, in welchem Ton sie mit ihm reden konnten?
Momentan fühlte es sich so an, als wären nur Charlie und die Enkelkinder auf seiner Seite. Die kleine Julia, die so schöne Bilder von Oma für ihn malte, damit er sie immer bei sich hätte, was ihm Tränen der Rührung in die Augen trieb. Und dann die Jungs, alle am Fußballspielen im BBK, dem Klub, in dem er selbst seit seiner Kindheit aktiv gewesen war – erst als Spieler und dann, als er zu alt war, als Ehrenamtlicher.
Eivor backte immer Mandelkuchen für die Treffen im Klubhaus. Die Treffen und der Kuchen waren gleichermaßen beliebt. Die meisten von ihnen waren alte Klubkollegen. Sie saßen zusammen und verloren sich in ihren Erinnerungen, die von den Mannschaftsfotos und Pokalen an den Wänden unterstützt wurden. Oft vergaßen sie, warum die Versammlungen überhaupt einberufen worden waren.
Und dann der Jahrmarkt, der immer so irre lustig gewesen war. Besonders nüchtern waren sie nie gewesen und dementsprechend heiter war es auch zugegangen. Und früher hatte es sogar eine Tanzfläche und eine Band gegeben. Dort hatten er und Eivor sich kennengelernt. Er hielt sich am Geländer fest, weil er sich nicht auf seine Beine verlassen konnte, als sie sich aus der Menschenmenge herauslöste und auf ihn zukam. Ein hellhaariger Engel, oder eher ein menschgewordener Cherub. Ein blumig duftender noch dazu. Sie packte ihn und zog ihn auf die Tanzfläche, wo sie ihm keine andere Wahl ließ, als seine Arme um sie zu legen und ihren betörenden Duft einzuatmen, der sich mit einem anderen, flüchtigeren vermischte. Wahrscheinlich Schweiß vom vielen Tanzen. Eivor liebte das Tanzen und stand keine Sekunde still. All das geschah zur großen Freude seiner Freunde, die ihre Darbietung mit Pfiffen garnierten.
Nach dem Tanzen war ihm schwindlig. Nicht nur vom Punsch, sondern auch von dem Gefühl, ausgewählt worden zu sein. Es gelang ihm nicht, seine Gefühle noch im Moment zu sortieren, deshalb ließ er sie einfach zu und gab sich der schönen Verwirrung hin, die man ihm recht leicht von seinem Gesicht ablesen konnte. Zwischen all den schicken Jünglingen hatte sie sich für ihn entschieden. Hinterher war er zu seiner Freundesschar zurückgekehrt – mit rosigen Wangen und einem Lächeln im Mundwinkel.
Leffe und Börje hatten ihn vor ihr gewarnt. Sie sei ein energisches und bestimmerisches Frauenzimmer. Hatte sie einmal jemanden ins Visier genommen, gab es kein Entkommen. Sie ließ niemals los. Und so war es. Sie hielten einander fest und er ließ sich bereitwillig leiten. Im Gegenzug war sie vollkommen zuverlässig und immer mit gutem Rat zur Stelle, ob er es wollte oder nicht. Es kam nur selten vor, dass er die Geduld wegen ihrer Sturheit verlor, die ihm manchmal wie Dummheit vorkam.
Das bereute er jetzt. Bis zum letzten März war sie sein Fels in der Brandung gewesen, aber damit war nun Schluss. Plötzlich fehlten ihm Ziel und Richtung. Dieses Jahr war das erste Mal, dass er an dem Ausflug zum Jahrmarkt nicht teilgenommen hatte. Er hatte es einfach nicht fertiggebracht hinzugehen. Die Dinge hatten keine Bedeutung mehr, wenn Eivor nicht dabei war.
Per-Olof erinnerte sich daran, wie seine Töchter auf ihren Pferdchen im Karussell gesessen hatten, die Münder klebrig von Zuckerwatte. Ihre Flechtzöpfe mit den blauen Bändern und ihre blau geblümten Kleider flogen nur so, während sie schreiend und lachend durch die Luft wirbelten. Eivor hatte es immer gefallen, die Mädchen zu den wenigen Anlässen, zu denen sie in die Stadt fuhren, herauszuputzen. Sonst trugen sie meist Alltagsklamotten, hier draußen war nicht die richtige Umgebung für Galakleidung.
Aber was war dann mit seinen kleinen Kindern passiert? Sie hatten sich anscheinend in eine schlechte Kopie von Eivor verwandelt, was das Einmischen in sein Leben anging. Dabei war es sein Leben und nicht ihres. Die Mädchen sollten ihre Finger aus dem Spiel lassen.
Der Klub hatte jedenfalls einen wunderschönen Kranz fürs Grab beigesteuert. Ein letzter Gruß vom BBK. Er war aus roten Rosen und blauen Iris geflochten, den Farben des Vereins. Einige Klubkameraden waren sogar mit in der Kirche gewesen.
»Papa! Wo bist du? Wir unterhalten uns gerade!« Helenas Stimme traf ihn wie ein Schlag.
Er kehrte mit einem Ruck in die Gegenwart zurück. Auch Charlie zuckte zusammen. Per-Olof versuchte darüber nachzudenken, wie er aus der Situation herauskommen konnte, aber sein Kopf verweigerte die Zusammenarbeit. Auf einmal spürte er, wie sein Körper schwer wurde. Ihm fielen fast die Augen zu. Mit dem Schlaf war es so eine Sache seit Eivors Tod.
»Vielleicht geht es ihm nicht so gut.« Eva sah Helena an.
»Wie könnte es, bei dem ganzen Gegacker? Ihr klingt ja schlimmer als die Tratschtanten beim Treffen vom Nähverein.« Er blinzelte sie an.
»Wir wollen nur dein Bestes, Papa. Nicht wahr, Eva?«
»Du musst mal rauskommen.«
Per-Olof erkannte, dass er seine Töchter nur loswerden würde, wenn er ihrem Vorschlag beziehungsweise ihrem Kommando folgte.
»Dann mache ich eben den verdammten Kurs.«
»Gut, weil du ohnehin schon angemeldet und angenommen bist.«
»Ist das euer Ernst? Jetzt hintergeht ihr auch noch euren eigenen Vater. Ich bin am Trauern, verdammt noch mal! Das darf man doch wohl nach dem Tod der eigenen Frau, oder? Ihr benehmt euch, als wäre alles wie immer. Aber nichts kann mehr wie früher sein! Hört ihr?« Per-Olofs Stimme hallte in der Küche wider. Das Blut rauschte durch seinen Kopf.
»Komm, wir gehen, Helena.« Eva nickte in Richtung Tür.
»Da tut ihr verdammt noch mal gut dran.«
Sie beeilten sich sogar, aber es fühlte sich trotzdem nicht befriedigend an, als er den beiden erwachsenen Frauen zusah, wie sie vor Eile fast die Stühle und Kaffeetassen umwarfen, um schnell aus der Küche zu kommen.
Es blieb nur Leere und Stille zurück.
Er schloss die Tür hinter den zwei molligen Schwestern. Die Aufregung hatte ihn in seinem abgetragenen Hemd ordentlich ins Schwitzen gebracht.
»So, Charlie, jetzt gucken wir mal, ob uns was Nettes einfällt.« Er zwängte sich in die Stiefel, stopfte die Hose hinein und setzte sich seine Schirmmütze auf.
Der Hund folgte ihm ergeben.
Klara
»Wir haben die große Freude, Ihnen mitteilen zu dürfen, dass Sie den ersten Preis in unserer Verlosung gewonnen haben …«, las Klara Nordin, als sie durch die Tür ihrer Wohnung getreten war. Sie hatte an keiner Verlosung teilgenommen. Klara biss sich auf die Lippe und fummelte an dem Brief herum. Wann hätte sie das getan haben sollen? Sie las den ersten Satz noch einmal, wurde aber von Esters Stimme unterbrochen.
»Mama, ich habe Hunger.«
»Ich weiß. Mama muss nur eben noch aufs Klo. Dann mache ich dir Essen, versprochen.« Sie kreuzte die Beine. Ihr Harndrang tat fast schon weh. Der Schmerz vereinte sich mit dem Magengeschwür. Klara quälte sich aus ihrer Jacke.
»Aber ich will jetzt essen!« Die Vierjährige boxte ihr in den Bauch. Ein Schrei bahnte sich den Weg durch ihre Luftröhre, aber sie konnte ihn im letzten Moment unterdrücken. Ihre Tochter erstarrte.
»Entschuldigung, Mama. Das hätte ich nicht machen dürfen.« Sie sah ängstlich aus.
Klara zwang sich zu einem Lächeln. »Alles gut, meine Süße.«
»Ich bin nicht wie Papa.«
Klaras Lächeln verschwand. Rasch wechselte sie das Thema.
»Ich verspreche, dass ich dir Essen mache, so schnell ich kann.«
Ester saß auf dem kurzen Weg durch den Flur ins Bad auf Klaras Fuß und hielt sich an ihrem Bein fest. Der Weg fühlte sich besonders weit an, während sie wie Quasimodo eilig in Richtung Toilette humpelte. Endlich. Sie seufzte. Ihre Gedanken schweiften wieder zu dem Brief. Worum ging es überhaupt? Naja, erst mal Essen machen. Anschließend würde sie ihn in aller Ruhe lesen.
»Ich glaube, ich mache Kartoffelsuppe. Das geht schnell.« Sie öffnete den Kühlschrank und holte zwei Kartoffeln, eine kleine Zwiebel, eine Knoblauchzehe, Gemüsebrühe und ein halbes Paket Schinken hervor.
»Ich will aber ein Käsebrot.«
»Was für ein Glück, dass wir noch Brot und ein Stückchen Käse haben.«
Klara schüttelte vorsichtig den Milchkarton. Nur noch ein halbes Glas für ihre Tochter.
»Ich will mehr haben.«
»Mehr haben wir nicht. Ich gehe morgen einkaufen.« Sie zog eine Schublade im Tiefkühler auf und kramte aus einer Plastiktüte eine Scheibe Weizenbrot hervor, die sie in den Toaster steckte. Dann hobelte sie zwei Scheiben Käse ab, mehr war nicht übrig. Butter war keine mehr da. In ihren Schläfen machten sich Kopfschmerzen bemerkbar. Klara holte die Geldbörse aus ihrer Tasche. Keine Scheine mehr, nur Münzen: zwei Zehnkronenstücke und ein Fünfer. Auch auf ihrem Konto herrschte gähnende Leere. Noch einmal durchwühlte sie die Kassenbons. Ein Hunderter! Es waren noch zwei Tage bis das Kindergeld kam. Ihre Bahnkarte und die Kursliteratur waren bezahlt. Zumindest damit konnte sie sich trösten.
»Gut gemacht.« Sie klopfte sich selbst auf die Schulter.
Es war schon schlimmer gewesen. Manchmal musste sie sich entscheiden, ob sie in der Woche bevor das Kindergeld kam Milch oder Knäckebrot kaufen sollte. Sie hatte versucht, noch zusätzlich zu arbeiten, aber die Zeit reichte nicht, wenn man allein mit einem Kind war. Eigentlich war sie aber nicht allein, berichtigte sie sich.
Es gab noch Esters Papa, das war nicht selbstverständlich. Sie selbst hatte weder Eltern noch Geschwister. Ihre Schultern sanken herab und die Tränen drohten unter ihren Lidern hervorzudringen. Sie, die genau wusste, wie wichtig Familie war und ihre eigene so wahnsinnig vermisste, hatte es nicht geschafft, die kleine Familie zusammenzuhalten, die sie mit Tobbe erschaffen hatte. Das war ihre Schuld. Es gab sicher vieles, was sie hätte anders machen können. Vielleicht war es noch nicht zu spät. Sie richtete sich auf und hob das Kinn.
»Mama, ist das irgendwann mal fertig? Ich habe Hunger.« Die Ungeduld in Esters Stimme war nicht zu überhören.
»Wir tischen schon mal die Suppe auf, dann kann sie abkühlen, während ich uns den Schinken anbrate. Bis dahin kannst du von deinem Brot essen.«
Es war so eng in der neuen Wohnung, dass sie vom Herd aus den Suppenteller an Esters Platz am Tisch stellen konnte. Ester saß still da und machte sich ihr Brot.
»Ich kann Bilder für die Wände malen. Ich habe in der Vorschule schon ein paar fertig.«
»Gute Idee. Die will ich gern mal sehen. Wir können sie morgen mitnehmen, wenn ich dich abhole.« Klara versuchte positiv zu klingen, aber sie hörte selbst, wie brüchig ihre Stimme war.
»Mmm. Das hier mag ich nicht. Ich will lieber Fleisch.«
»Du kannst den ganzen Schinken kriegen, ich habe sowieso keinen Hunger. Weißt du was? Morgen ist Freitag. Wollen wir dann vielleicht einen richtig leckeren Esterkuchen zusammen backen?«
»Okay. Bilder aufhängen und Kuchen backen. Das klingt gut!«
Jetzt klappte es noch, aber wie sollte das funktionieren, wenn sie älter wurde? Obwohl Klara bis dahin hoffentlich mit der Ausbildung fertig wäre und einen Job in der Stadt hätte, sodass sie nicht mehr pendeln müsste. Dann hätte sie sicher auch mehr Geld und vielleicht wären sie und Tobbe dann sogar wieder zusammen. Wenn sie mehr Verständnis gezeigt und ihm mehr Liebe gegeben hätte … Er brauchte nur mehr Freiheit. Dann könnte es klappen, aber das hing von ihr ab.
Klara ließ Wasser ins Becken und legte nach Esters Wünschen ein paar Spielsachen hinein, doch bei der Barbiepuppe zog sie einen Schlussstrich. Sie konnte kaum noch stehen. Die Kopfschmerzen lauerten hinter ihren Schläfen und drohten jederzeit auszubrechen. Ester schien zu merken, dass sie nicht in der richtigen Stimmung war, und wurde ganz ruhig. Das tat Klara im Herzen weh. Das Mädchen hatte schon von Beginn seines Lebens an viel zu viel Übung darin gehabt, die Stimmungen der anderen zu erkennen.
Im Schlafzimmer las sie nur ein kurzes Märchen vor, weil Ester bereits die Augen zukniff, als ihr Kopf das Kissen berührte.
Trotz der kurzen Zeit war es gemütlich, zu zweit im Erwachsenenbett zu lesen. Klara blieb neben Ester liegen, bis sie eingeschlafen war.
Plötzlich lief ihr Herz über vor Glück, Liebe und Sorgen. Es war so voll, dass ihr schwindlig wurde.
Nach ein paar Minuten stand Klara wieder auf und ging in den Flur, wo der ungeöffnete Brief auf dem Hutregal gelandet war. Sie hatte also den ersten Preis bei einer Verlosung gewonnen, von der sie nicht einmal wusste, dass sie daran teilgenommen hatte. Laut dem Vermieter nahmen alle Mieter, die im Laufe des Jahres eingezogen waren, an einem Glücksspiel teil. Der Hauptgewinn war ein Stilkundekurs, der vom Auktionshaus Schonen ausgerichtet wurde. Ob sie den Gewinn verkaufen konnte? Von dem Geld könnte sie sich ein gebrauchtes Sofa und vielleicht einen Fernseher kaufen.
Beim Weiterlesen erfuhr sie, dass der Kurs nicht übertragbar war. Ihr Herz wurde schwer. Sie ließ sich auf den Flurboden sinken und legte den Kopf in die Hände. Die Kopfschmerzen, die sich schon fast verzogen hatten, klopften im Hinterkopf. Immer gab es einen Haken. Wann würde sie im Leben endlich vorankommen? Es war jetzt schon zu lange so mühsam. Aber sie konnte hier auch nicht sitzen und sich selbst bemitleiden. Sie hatte eine wunderbare Tochter, die sie brauchte, und sie musste eben weitermachen, auch wenn es anstrengend war. Irgendwann würde sich das Glück schon wenden. Sie richtete sich entschlossen auf und erhob sich vom Fußboden.
In solchen Kursen saßen vor allem Rentner, die ihre Zeit ausfüllen wollten, insofern hatte Tobbe wohl nichts dagegen, wenn sie einfach hinging. Außerdem fand er abends statt und kam somit nur mit ihrer Studienzeit in Konflikt. Ester könnte sie mitnehmen. Vielleicht würden sie irgendeine einsame alte Frau kennenlernen, die Gefallen an Ester fände und dann manchmal auf sie aufpassen könnte. Der Gedanke, etwas Entlastung zu bekommen, zauberte ihr ein Lächeln auf die Lippen.
Klara ging ins Bad, putzte die Zähne, löste ihren Pferdeschwanz und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare. Auf der Hälfte blieben sie in ihrer dichten, blonden Mähne hängen. Ihre Spitzen waren kaputt, aber der letzte Schnitt war auch ein Jahr her. Diesen Luxus erlaubte sie sich nur selten, genoss es dann aber in vollen Zügen, wenn ihre Wellnessstunde beim Frisör anstand.
Klara machte sich eine neue Frisur, indem sie die kaputten Enden einrollte und sie zu einer Art Dutt oben auf dem Kopf feststeckte. Sie zog sich Jeans, Hemd und Strümpfe aus und inspizierte sich im Spiegel. Ihre Hüftknochen traten über dem Höschenbund hervor und ihre Schultern sahen abgemagert aus. Ihre Brüste waren nahezu verschwunden. Vorher hatten sie mal ihre Hände ausgefüllt. Jetzt sahen sie aus wie ein Paar alte Rosinen.
Tobbe würde sie als Brett total abtörnend finden. Er mochte hübsche Frauen mit langen Haaren wie ihren. Skandinavierinnen mit blauen Augen, deren Haut im Sommer goldbraun wurde. Lange Beine und trainierte Körper, die man gut vorzeigen konnte. Eine davon war Klara gewesen und sie hatte hart daran gearbeitet, so zu bleiben. Besonders für ihren braunen, gut trainierten Körper hatte sie viel getan, aber nun war sie zu einem mageren, hässlichen Wesen verfallen. Was konnte sie dagegen tun? Sie hatte weder Zeit noch Geld zum Trainieren. Sie könnte natürlich einen der öffentlichen Trimm-dich-Pfade nutzen, aber auch dafür fehlte die Zeit. Es ging einfach nicht. Sie seufzte. Ein müdes Augenpaar sah ihr aus dem Spiegel entgegen. Kein Pepp dahinter.
Klara zog sich ein altes T-Shirt von Tobbe über den Kopf, ging in die Küche und holte ihre Bücher, Stifte und Notizzettel hervor. Sie warf einen hoffnungsvollen Blick in die Vorratskammer, um zu sehen, ob da noch irgendwo loser Tee war, aber ihr musste ein Teebeutel genügen. Sie goss Wasser in einen Topf, den sie auf den Herd stellte und erhitzte. Als der Tee fertig gezogen hatte, legte sie den Beutel in ein Glas, um ihn am nächsten Morgen noch einmal zu benutzen. Dann setzte sie sich an den Tisch, um weiterzulernen.
Klara wachte von einem kalten Luftzug auf. Ester stand an ihrer Matratze und hatte ihre Decke hochgehoben.
»Ich kann nicht schlafen.«
»Dann leg dich zu mir. Oh, hast du aber kalte Füße«, sagte Klara schaudernd, als Ester ihre Füße zwischen ihre Schenkel schob.
»Wir bauen uns eine Höhle aus deiner Decke und der Wolldecke, wie ein Vogelnest.«
Sie reckte sich nach Esters Decke und legte sie wie eine Wurst hinter ihre Tochter. Die Wolldecke neben ihr rollte sie zusammen und legte sie um Esters Kopf. Klara nahm ihre Tochter in den Arm, die kleine, warme Atemstöße an ihren Hals pustete. War sie zu jung gewesen, als sie Mutter wurde? Vielleicht war sie noch nicht bereit dafür gewesen. Schon viel zu lange plagten sie diese Existenzängste. Aber das würde vorbeigehen. Sie brauchten nur Ruhe, um mit der neuen Situation zurechtzukommen, bis die Wohnung sich wie ihr Zuhause anfühlte. Sie warf einen Blick auf die Uhr ihres Handys. Bald würde sie wieder aufstehen müssten. Sie musste dringend schlafen.
Peter
Der Schlüsselanhänger baumelte in seiner Hand und der Schweiß rann ihm den Rücken hinunter. Er wagte es nicht, unter seinen Achseln zu riechen. Sein Mund war trocken wie Sandpapier. Das war eine ordentliche Sporteinlage gewesen, den Umzugsleuten beim Beladen des Lastautos zu helfen.
Aber jetzt war Eile angesagt. Er musste den Flur freiräumen, damit nichts im Weg stand, wenn die Umzugshelfer die Esszimmermöbel hochtrugen. Das alte Hutregal konnte bleiben, aber die Jacken mussten weg. Mit Müh und Not schaffte er die Holzbank in die kleine Küche auf der rechten Seite am Anfang des Flurs, der sich durch die ganze Wohnung zog. Auch das Schuhregal schob er dorthin. Es sah so aus, als wäre die Küche jetzt vollkommen überfüllt.
Wasser, er brauchte Wasser. Er nahm ein Glas, drehte den Hahn auf und ließ es volllaufen. Peter lehnte sich beim Trinken an die Arbeitsplatte. Sein Blick wanderte zu den Wandschränken, die er so nah wie nur möglich ans Fenster gehängt hatte. Das machte nichts. Es sah hübsch aus und eine Küche brauchte keine Gardinen. Eigentlich waren die nur unhygienisch.