Das kleine Vintage-Café in Schweden - Åsa Hallengård - E-Book + Hörbuch

Das kleine Vintage-Café in Schweden Hörbuch

Åsa Hallengård

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Beschreibung

Zusammen ist man (wirklich) weniger allein – ein Roman über die heilende Kraft von Gemeinschaft Antiquitäten-Expertin Kristina hat eigentlich genug mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun – die Wohnungssuche läuft nicht gerade rund und auch die Sorgen um ihren Sohn Karl werden immer größer … Doch als der treue Vierbeiner ihres Freundes Per-Olof überraschend stirbt, entscheidet sie, dass etwas getan werden muss. Sie richtet die Beerdigung aus und lädt die dynamische Truppe ihres Antiquitätenkurses ein, um dem Hundewitwen wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Doch bei der Feier kommt raus, dass nicht nur Per-Olof momentan zu kämpfen hat: Esther leidet, weil ihre Tochter in der Schule gemobbt wird, Maria steht kurz vor dem Burn-Out und Martin zerbricht fast unter dem Druck, ein perfekter Familienvater zu sein. Kurzerhand lädt Kristina die Gruppe in ihr Sommerhaus am Meer ein – wo ihnen eine brillante Idee in den Sinn kommt … Eine feine Balance aus Humor und emotionaler Tiefe: Der schwedische Wohlfühlroman »Das kleine Vintage-Café des Glücks« von Åsa Hallengård wird Fans von Manuela Inusa und Julie Caplin begeistern. Das Hörbuch ist bei SAGA Egmont erschienen. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Zeit:9 Std. 11 min

Sprecher:Irina Scholz
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Über dieses Buch:

Antiquitäten-Expertin Kristina hat eigentlich genug mit ihren eigenen Angelegenheiten zu tun – die Wohnungssuche läuft nicht gerade rund und auch die Sorgen um ihren Sohn Karl werden immer größer … Doch als der treue Vierbeiner ihres Freundes Per-Olof überraschend stirbt, entscheidet sie, dass etwas getan werden muss. Sie richtet die Beerdigung aus und lädt die dynamische Truppe ihres Antiquitätenkurses ein, um dem Hundewitwen wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Doch bei der Feier kommt raus, dass nicht nur Per-Olof momentan zu kämpfen hat: Esther leidet, weil ihre Tochter in der Schule gemobbt wird, Maria steht kurz vor dem Burn-Out und Martin zerbricht fast unter dem Druck, ein perfekter Familienvater zu sein. Kurzerhand lädt Kristina die Gruppe in ihr Sommerhaus am Meer ein – wo ihnen eine brillante Idee in den Sinn kommt …

»Das kleine Vintage-Café in Schweden« erscheint außerdem als Hörbuch bei SAGA Egmont, www.sagaegmont.com/germany.

Über die Autorin:

Åsa Hallengård ist eine schwedische Autorin und Lehrerin. »Das kleine Auktionshaus in Schweden« ist ihr Debütroman und der erste Teil einer Reihe über Kristina, Per-Olof, Peter und die übrigen Kursteilnehmer.

Bei dotbooks erscheinen außerdem ihre Romane »Das kleine Auktionshaus in Schweden« und »Der kleine Hof in Schweden« als eBook.

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eBook-Ausgabe August 2024

Die schwedische Originalausgabe erschien erstmals 2019 unter dem Originaltitel »Antikcafé för kantstötta hjärtan« bei Joelsgården förlag, Tranemo

Copyright © der schwedischen Originalausgabe 2019 Joelsgården förlag

Copyright © der eBook-Ausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Emma Björklund unter Verwendung von Bildmotiven von Shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (fe)

ISBN 978-3-98952-227-5

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Åsa Hallengård

Das kleine Vintage-Café in Schweden

Roman

Aus dem Schwedischen von Gesa Füßle

dotbooks.

Widmung

Für Christian

Kapitel 1Die Beerdigung

Kristina

Kristina stand in der Küche, die Hände ellbogentief im Teig. Ihre dunklen Haare waren mit Klammern direkt über beiden Ohren befestigt, damit sie ihr bei der Arbeit nicht in die Augen fielen. Sie ließ ihre Gedanken schweifen. Eigentlich war es blöd, dass die Küche hinten war und man auf den Hof blickte. Sie verbrachte hier so viel Zeit, dass die Fenster viel besser zum Garten und zum Meer ausgerichtet wären, sodass sie beim Backen die Aussicht genießen könnte. Aber früher sollten eben nur die Angestellten hier sein. Die schöne Aussicht war für die Herrschaften gedacht. Und jetzt war es zu spät, den Grundriss zu ändern.

In letzter Zeit dachte sie immer häufiger ans Wegziehen. Sie seufzte, wenn sie sich vorstellte, wie viele Dinge sie dann aussortieren müsste. Ein ganzes Leben, das ausgemistet werden musste. Oder eher noch mehrere Generationen, denn das Haus war seit Langem im Besitz der Familie ihres Mannes: schon seit es Anfang des 20. Jahrhunderts als größte und teuerste Villa in ganz Landskrona gebaut worden war. Ein Protzbau erster Güte mit einer Aussicht über den Sund und die Insel Ven.

Der Teig war inzwischen fest und geschmeidig geworden. Kristina legte ein Geschirrtuch darüber.

Sie hatte schon mehrere Wohnungen verkauft, die ihrem Mann gehört hatten. Es gab nur noch ein paar, und die wollte sie an ihre Söhne vererben. Und dann war da natürlich noch dieses Haus.

Kristina war zu der Rumpelkammer unter der Dienstbotentreppe gegangen, wo sie ihre Gartenkleider aufbewahrte. Aus dem Schlüsselschränkchen holte sie einen alten Eisenschlüssel hervor. Sie wog ihn in der Hand. Obwohl er nicht besonders groß war, war er schwer. Der Schlüssel gehörte zu dem einzigen Gut, das sie von ihrem Vater geerbt hatte: eine olivgrüne Strandhütte am Hafen mit Teerpappe auf dem gewölbten Dach. Ihr Mann hatte sich nie dafür interessiert, wahrscheinlich, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie man damit Geld machen sollte. Aber das Häuschen gehörte ihr. Was sollte sie damit tun? Kristina hatte es nur aus sentimentalen Gründen behalten. Sie war seit Jahren nicht dort gewesen, obwohl sie so dicht dran wohnte.

Jetzt war es an der Zeit, ihre Besitztümer zu begutachten. Hier hatte sie lange genug gelebt. Sie wollte ein neues Leben, was immer das genau bedeutete.

Kristina hatte bewiesen, dass sie die Terrorherrschaft ihres Mannes Paul hinter sich gelassen hatte. Die ganze Familie hatte er mit seiner Schreckensherrschaft einer ständigen Gefahr ausgesetzt. Als er starb, war sie frei, so empfand sie es. Dadurch, dass sie im Haus wohnen geblieben war und die Zeit mit ihm und die Erinnerungen an ihn so verarbeiten konnte, fühlte sie sich als Siegerin. Viele Jahre hatte sie ihn überlebt, dem Himmel sei Dank. Hier musste sie nicht mehr wohnen. Zeit, weiterzuziehen. Alle schlimmen Erinnerungen, die das Haus beinhaltete, hatte sie besiegt. Trotzdem lief ihr ein Schauer das Rückgrat hinunter, als die Erinnerung an ihn in ihre Gedanken eindrang. Sie sah auf die zwei Brandwunden an der Innenseite ihres Handgelenks. Nach all den Jahren waren sie verblichen. Über dreißig Jahre war es her, aber sie hatten sich für immer in ihre Haut und ihre Seele geätzt. An anderen Stellen ihres Körpers gab es noch mehr Narben.

Ihr Sohn Karl versuchte schon seit Langem, sie zum Umzug zu bewegen, aber sie war noch nicht reif dafür gewesen. Jetzt, wo er sich länger nicht mehr in ihre Wohnsituation eingemischt hatte, hatte sie in Ruhe darüber nachdenken können. Das Ergebnis war, dass sie umziehen wollte. Kristina sah zu einem Reklameprospekt einer Maklerfirma.

Karl, ja. Er war immer so klug gewesen, aber er hatte sich seit seiner Heirat mit Peter vor zwei Jahren verändert. Vielleicht war er nicht mehr zufrieden mit seiner Arbeit im Architektenbüro in Lund. Sie wusste mit Sicherheit, dass er nicht zufrieden damit war, in Peters Wohnung in der Slottsgata von Landskrona gezogen zu sein. Er wollte, dass sie von null anfingen und sich etwas Eigenes aufbauten. Karl war launisch geworden, aber waren das die einzigen beiden Ursachen? War zwischen ihm und Peter alles, wie es sein sollte? Beunruhigt schüttelte sie den Kopf. Es war egal, wie alt die eigenen Kinder wurden, man machte sich doch immer Sorgen um sie.

Kristina schüttelte die düsteren Gedanken ab. In einem Küchenfenster hing ein schiefer Weihnachtsstern. Sie rückte ihn zurecht. Wie die Zeit raste – schon war wieder Ende Dezember.

Sie sah auf ihre Armbanduhr. Der Teig musste noch eine Weile ziehen. Außerdem war es nur gut für die Masse, ein bisschen länger zu ruhen.

Sie hatte schon lange nicht mehr mit Per-Olof gesprochen. Sollte sie sich mal bei ihrem Freund melden? Kristina lächelte in sich hinein. Eigentlich war es noch nicht lange her. Das letzte Mal war beim Weihnachtsturnier am zweiten Weihnachtstag gewesen, als ihre jeweiligen Enkel, die in derselben Mannschaft spielten, vierte wurden. Per-Olof hatte wie immer seinen BBK-Schal getragen und sein Hund Charlie die passende rot-blaue Weste mit dem Klubsymbol auf dem Rücken.

Kristina nahm ihr Telefon und wählte. Ihr Herz hüpfte. Auch darüber lächelte sie. Sie fühlte sich so albern, dabei war sie doch schon über siebzig. Sie wartete, während es klingelte. Sie bemerkte, dass sie ihn vermisste, aber wem wollte sie eigentlich etwas vormachen? Per-Olof war ständig in ihren Gedanken anwesend. Kristina dachte an seinen Duft nach frischer Luft und ein wenig frisch gesägtem Holz und etwas Erdigem. Dieser warme, ruhige Mann.

»Grisabengt am Telefon vom Jäger.«

»Hier ist Kristina. Ich wollte Per-Olof anrufen. Mit wem spreche ich?«

»Bengt vom Rönnebergabacke. Ich bin der Nachbar von Per-Olof.«

»Warum gehen Sie an sein Telefon?« Kristina wurde unruhig und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. Sonst ging nie jemand anderes an Per-Olofs Telefon. War etwas passiert? Ihr Herz, das gerade noch so fröhlich gehüpft war, wurde kalt.

»Es gab einen Unfall. Der Hund ist überfahren worden.«

Kristina umklammerte das Telefon und ihre andere Hand erstarrte. Kälte breitete sich in ihrem Körper aus.

Kapitel 2

Karl

Karl wusste, dass es albern war, aber er konnte das ungute Gefühl nicht abschütteln. Er musste all den Gedanken in seinem Kopf auf den Grund gehen.

Als er einen Gang höher schaltete und aufs Gaspedal trat, reagierte sein Auto innerhalb von Sekunden auf sein Kommando. Es gab nur wenige Autos, die es mit einem Porsche aufnehmen konnten, dachte Karl lächelnd. Hinter ihm wurde Lund schnell kleiner. Je näher er an Landskrona kam, desto mehr wuchs sein ungutes Gefühl. Was als Kribbeln im Magen angefangen hatte, übernahm immer mehr von seinem Körper. Er konnte dem Ärger nicht davonfahren. Er musste die Sache angehen und sie Stück für Stück bereinigen.

Es war gut, dass er endlich den richtigen Käufer für die Wohnung in Lund gefunden hatte. Nach fast zwei Jahren Ehe, musste man ja sagen. Peter und er konnten sie nicht behalten, das war einfach nicht sinnvoll. Sie war die meiste Zeit unbenutzt gewesen, seit er zu Peter gezogen war. Aber warum mussten die Wohnangelegenheiten immer so lange dauern? Karl war normalerweise nicht langsam, eher im Gegenteil. Er war ein Mann der Tat. Hatte er Angst, sich zu binden? Nein, das war es nicht, stellte Karl fest.

Kein Schritt zurück, so fühlte es sich an. Die Wohnung war weg. Die letzte Verbindung zu seinem Leben als Junggeselle. Auf der anderen Seite wurde das Leben mit Peter so noch realer. Ihre gemeinsame Zukunft mit Kindern und neuer Wohnung.

Beim Gedanken an Kinder klickte etwas in Karl vor Vorfreude und Nervosität. Solange er sich erinnern konnte, hatte er davon geträumt, eines Tages Vater zu sein. Es war schlicht und einfach unmöglich, eine Familie zu gründen, die in Peters Wohnung lebte. Nein, sie brauchten etwas Praktischeres für Kinder, das gleichzeitig ästhetisch sein sollte. Sie mussten Peters Jugendstilmöbel wegschaffen und all den Nippes, den sein Geliebter angesammelt hatte. Sie brauchten hübsche, neue Designklassiker, die zu den Dingen passten, die Karl aus seiner alten Wohnung mitgenommen hatte. Sie würden ein stilvolles, skandinavisches Zuhause schaffen. Nicht diesen musealen Stuck und den Mischmasch aus Kolonialismus, mit den weichen Kissen und den dunklen Möbeln, die Peter so liebte.

So einfach und unkompliziert war es am Anfang gewesen, als sie jeder in ihrer eigenen Wohnung lebten und niemand außer ihnen von ihrem Verhältnis wusste. Diese Spannung, die zwischen ihnen entstanden war, als sie sich bei Kristinas Essen zum ersten Mal getroffen hatten. Wie Magneten hatten sie sich gegenseitig angezogen. Aber jetzt war es fast, als wären sie beide Minuspole.

Im Grunde genommen, wusste Karl, was sein Unbehagen auslöste. Es fiel ihm nur schwer, darüber nachzudenken, weil er nicht wusste, wie er das Problem lösen sollte. Wie er es auch drehte und wendete, waren die Fakten klar: Peters Familie mochte Karl nicht, besonders Peters Mutter und seine eine Schwester. Sie verachteten ihn und respektierten die Ehe zwischen Peter und ihm nicht. Tatsache war, dass er so charmant sein konnte, wie er nur wollte, sie blieben kalt wie Eis. Peters Vater hatte Angst vor Peters Mutter und tat das, was sie bestimmte. Die Schwester schien ebenso gestört zu sein wie die Mutter. Aber es war eben doch seine Schwiegerfamilie. Wenn sie sich trafen, hatte er oft das Gefühl, nur ein herumstehendes Möbelstück zu sein. Niemand nahm von ihm Notiz. Sie grüßten ihn kaum.

Das Gefühl der Nervosität und das aufgeregte Kribbeln, was die Zukunft anging, war einem Gefühl der Schwere gewichen, das ihn so tief in den Fahrersitz drückte, dass er fast den Asphalt der Schnellstraße berührte.

Kapitel 3

Kristina

Mit einem Mal kam Kristina in Fahrt. Den Teig vergaß sie vollkommen. Schnell den Mantel angezogen. Den einen Arm im Mantel, den anderen noch am Ohr, sagte sie:

»Du meine Güte! Charlie ist doch nicht irgendein Hund! Er ist Per-Olofs bester Freund. Sagen Sie Per-Olof, dass ich unterwegs bin.« Sie legte auf, warf das Handy in ihre Manteltasche und zog den zweiten Ärmel an.

Sie nahm Autoschlüssel und Handtasche, eilte durch die dunkle Eichentür und zog sie hinter sich zu. Es war ihr egal, dass ihr der eisige Wind vom Meer in die Wangen stach. Auch der gefrorene, schneelose Boden war ihr egal, obwohl sie normalerweise im Winter in Schonen von dem Anblick ganz trübsinnig wurde. Sie sprang in den Jaguar. Ihr Herz raste und sie konnte nur noch an Per-Olof denken. Sie fuhr auf den Strandweg. Beim Blick in den Rückspiegel sah sie, dass sie das Licht in der Küche angelassen hatte. Das konnte man jetzt nicht mehr ändern. Sie blinkte nicht und hielt auch nicht an. Sie fuhr mit Bleifuß schnurstracks zu Per-Olofs Hof. Ihr Herz raste so schnell wie ihr Auto.

Sie fuhr aus Landskrona hinaus. Alles war ein einziges Gefühlschaos. Sie bekam nicht einmal mit, wie sie zum Kreisel bei der Feuerwehr gekommen war. Sie fuhr einfach weiter und wurde immer schneller, genau wie ihr Herzschlag. Charlie war Per-Olofs große Stütze gewesen, als Eivor vor drei Jahren verstorben war. Die Trauer über seine Frau war noch eine offene Wunde gewesen, als sie sich bei dem Stilkundekurs kennengelernt hatten. Sie beneidete ihn beinah um das Gefühl, seinen Partner so zu lieben. Bei ihr war das wahrlich anders gewesen. Aber seit sie sich kannten, hatte er sich verändert. Er war im Laufe des Kurses immer fröhlicher geworden und hatte dort Freunde gefunden. Natürlich war die Trauer um Eivor noch immer da, und jetzt gab es vielleicht noch einen Trauerfall mehr.

Der arme Mann. Der Hund war ihm so treu ergeben gewesen; sein bester Freund. Charlie war wirklich etwas Besonderes. Tränen stiegen in Kristinas Augen, als sie an Ester dachte. Wie würde das arme Kind die Nachricht über Charlies Tod aufnehmen? Die beiden hatten so eine besondere Bindung zueinander.

Ohne es zu merken, war Kristina zu weit auf der Landstraße gefahren. Sie musste umkehren. Sie hielt abrupt an und fuhr rückwärts in eine Auffahrt. Mit beiden Händen am Lenkrad schloss sie für einen Moment die Augen. Sie zwang sich, ihren Fokus auf die Hände zu richten und das rasende Herz zu beruhigen. Sie wischte sich die Tränen von den Wangen und beschloss, jetzt etwas ruhiger zu fahren. Sie konnte Per-Olof nicht helfen, wenn sie selbst hysterisch war. Noch weniger würde sie nützen, wenn sie auch noch einen Unfall hätte.

Endlich kam sie bei dem Weg an, der zum Hügel von Rönneberga hochführte. Kristina mahnte sich dazu, langsamer zu fahren. Ihr Herz schlug ebenfalls bedächtiger, je näher sie dem Ziel kam. Als sie auf das Kopfsteinpflaster des Hofs einbog, hatte es fast wieder seine normale Geschwindigkeit erreicht.

Neben einem schlampig geparkten Volvo stand ein Mann und knetete seine Mütze. Er sah aus wie ein verschämter Schuljunge. Sie fand, dass er erleichtert zu ihr sah. Unsicher hob er die Hand und winkte ihr halb zu. Er kam auf sie zu, als sie die Autotür öffnete und ausstieg. Grüßend streckte er ihr die Hand entgegen.

»Grisabengt. Ich war der, der …«

»Ja, das dachte ich mir schon. Wo sind sie?« Sie ergriff die ausgestreckte Hand.

Er trat auf der Stelle.

»Da hinten.« Mit zitterndem Finger zeigte er auf eine Stelle hinter dem Kofferraum des Autos.

Kristina füllte ihre Lungen mit der frischen, kalten Luft. Sie umrundete den Volvo. Die Beine trugen sie einfach daran vorbei. Dann schluchzte sie auf.

Auf dem Boden saß Per-Olof mit Charlies Kopf auf den Knien. Er streichelte ihn von der Stirn zum Nacken.

Sie ging zu Per-Olof, hockte sich hin und legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Ich bin so schnell gekommen, wie ich konnte. Wie geht es ihm?«

»Er geht gerade von uns.« Per-Olofs Stimme klang abgehackt und seine Schultern zuckten. Wie lange er wohl schon hier saß? Sie ging auf die Knie und umarmte ihn. Nach einer Weile zuckte Charlies Körper. Das Zucken setzte sich in Per-Olofs Körper fort. Kristina spürte es an ihren Händen und Armen.

»Jetzt ist er tot. Oh, Kristina, wie soll es nun weitergehen? Er war mein bester Freund.« Ein Schluchzen unterbrach ihn.

Per-Olof legte seinen Kopf an Kristinas Hals. Sie sah über seinen Kopf hinweg, dass Grisabengt zu ihnen getreten war. Kristina sah ihm in die Augen.

»Wie ist das überhaupt passiert?«, fragte sie.

»Also, ich …« Er stammelte und sein Blick flackerte zwischen dem Hund, Kristina und Per-Olof hin und her.

»Reißen Sie sich zusammen und erzählen Sie.« Sie fixierte ihn mit ihrem Blick und merkte, dass ihr dank des Adrenalinpegels trotz der Kälte warm war.

»Ich bin hier langgefahren, auf einer vereisten Stelle gerutscht und habe die Kontrolle über das Auto verloren. Dann hörte ich ein Rumsen an einem der Scheinwerfer oder genau darunter. Es tut mir so leid. Ich weiß noch, dass der Jäger, ich meine, Per-Olof, so traurig war, als Eivor gestorben war und dass der Hund ihm das Leben gerettet hat.« Er schien eher mit seinen alten Arbeitsschuhen zu sprechen.

Der Mann war immerhin dageblieben, bis sie gekommen war. Und Kristina selbst war wie eine Verrückte gefahren. Es hätte auch sie sein können, die … Sie wurde etwas weicher und entspannter.

»Na ja, es war ein Unfall. Ich übernehme hier jetzt. Sie können nach Hause fahren.«

Grisabengt ging davon.

Was sollte sie jetzt tun? Ein schneller Blick auf Per-Olof machte es ihr klar. Er brauchte jetzt jemanden, der das Kommando übernahm. Außerdem musste er wieder nach drinnen. Seine Lippen waren schon ganz blau und er trug nicht einmal ordentliche Außenkleidung, nur seine alte Helly-Hansen-Jacke und die braunen Jagdstiefel. Vielleicht war er unterkühlt. Aber was sollten sie mit dem Hund machen?

»Per-Olof«, sagte sie sanft, stand mühsam mit ihren steifen Beinen auf und streckte den Rücken.

Kristina sah zum Wohnhaus. Die Tür stand weit offen. Hier und da leuchteten Adventslichter in den Fenstern. Anscheinend war er drinnen gewesen, als das Unglück passierte und rausgerannt. Die Tür konnte nicht ewig so weit offen stehen und die ganze Wärme nach draußen lassen. Die Wärme brauchte Per-Olof jetzt. Sie streckte ihm die Hand entgegen, aber er nahm sie nicht wahr. Was sollte sie tun? Kristina sah erneut zum Haus, als ob sie sich von dort Unterstützung erwartete. Es fühlte sich so an, als ob sie etwas dorthin zog.

Sie ging ein paar Schritte in die Richtung. Als sie fast bei der Tür war, hätte sie schwören können, dass sie jemand in den Rücken knuffte, aber als sie sich umdrehte, war da niemand. Ihre Härchen stellten sich auf, ihr Herz schlug schneller. In ihrem Kopf rauschte es, als würde sie gleich ohnmächtig werden. Was passierte hier?

Kristina ging weiter durch den Windfang in die Küche. Dort wollte sie stehen bleiben, aber es zog sie zur Kammer weiter. Die Tür vom großen Schrank war geöffnet und ein Laken war halb aus dem Stapel gemangelter Wäsche gezogen. Es war kühl um sie herum. Die Kühle begann im Nacken und setzte sich an ihrem Rücken entlang fort. Das Rauschen wurde lauter. Sie drehte sich um und rannte aus dem Zimmer. Sie führte die Hand zum Herzen und umklammerte an der Stelle ihre Kaschmirjacke, als ob sie es wieder in Gang massieren wollte. Nach einer Weile wurde das Rauschen weniger. Die Schauer ebbten ab und sie löste ihren Griff um die Jacke. Als sie die Augen öffnete, war sie allein im Zimmer. Die Ereignisse um Per-Olof und Charlie hatten sie sicher vollkommen aus der Bahn geworfen.

Als sie das Laken aus dem Stapel ziehen wollte, zitterte sie so sehr, dass sie es kaum greifen konnte. Endlich schaffte sie es doch. E. S. stand auf dem Monogramm. Kristina machte die Schranktür ordentlich wieder zu.

Per-Olof saß noch immer auf dem Boden, wie sie ihn verlassen hatte. Sie breitete das Laken auf dem gefrorenen Boden aus. Er schüttelte den Kopf.

»Das Laken war Teil von Eivors Aussteuer und jetzt wird es Charlies Leichentuch. Als sie gestorben ist, war es Charlie, der mich gestützt hat. Dank ihm habe ich die ersten Trauermonate überstanden. Für ihn ist das feinste Laken genau das Richtige.« Per-Olof wischte sich mit dem Jackenärmel über die Augen.

Sie legten gemeinsam den Springerspaniel auf das Laken und wickelten ihn ein.

»So, und jetzt gehen wir rein und sehen zu, dass du wieder warm wirst. Charlie legen wir in den Windfang.« Kristina setzte an, das Hinterteil hochzuheben. Per-Olof legte ihr eine Hand auf den Arm.

»Ich nehme ihn.« Er hob seinen Freund hoch und trug ihn auf dem Arm in den Windfang.

Dann ließ er sich schwer auf die Bank sinken. Kristina half ihm beim Ausziehen von Jacke und Stiefeln und führte ihn zum Küchensofa.

»Ich setze Kaffee auf. Willst du was Stärkeres?« Kristina hob verdeutlichend die Kaffeekanne hoch.

»Kaffee mit Schuss, bitte. Der Schnaps steht da drüben.« Er zeigte auf die Speisekammer.

»Ich muss nur eben …« Sie ging ins Wohnzimmer und holte eine Wolldecke, die sie auf Per-Olof legte.

Als der Kaffee durchgelaufen war, stellte sie ihm ein paar Käsebrote hin. Sie goss Schnaps in die eine Tasse und füllte sie mit Kaffee auf. Sie schob sie Per-Olof hin, der sie auf ex austrank. In ihre eigene Tasse gab sie nur Kaffee und einen Schuss Milch.

»Du musst etwas essen.« Sie goss ihm einen weiteren Kaffee mit Schuss ein.

»Danke«, sagte er mit klappernden Zähnen.

Sie biss von einem Brot ab. Was war ihr da eben passiert? Jetzt könnte sie auch einen Kaffee mit Schuss gebrauchen. Ein Schauer durchlief sie.

»Nicht so gut wie die von Maria, aber das muss so jetzt reichen«, sagte sie und schob Per-Olof ein Käsebrot hin.

Kapitel 4

Die Idee nahm Form an. Kristina würde eine ordentliche Beerdigung arrangieren. Natürlich würde Maria ihre fantastischen belegten Brote machen. Jetzt, am Ende des Jahres, hatten die meisten sicher frei und es fühlte sich richtig an, Charlie so schnell wie möglich unter die Erde zu bringen. Er sollte nicht warten müssen. Sie war überzeugt, dass das Per-Olof nicht recht wäre.

»Entschuldige, ich muss ein paar Anrufe tätigen.« Sie ging ins Esszimmer.

Mit zitternden Fingern wählte sie Karls Nummer.

»Hallo, Karl. Hier ist Mama.« Sie räusperte sich.

»Hallo.« Er klang so fröhlich wie immer, wenn sie ihn anrief. »Du klingst traurig. Ist alles in Ordnung?«, fragte er.

»Nein, überhaupt nicht. Charlie ist gestorben.«

Dass ihr Sohn so genau an ihrer Stimme erkennen konnte, dass etwas nicht in Ordnung war! Trotz allem wurde ihr davon ganz warm ums Herz.

»Es war ein Unfall. Ich erzähle später mehr. Kannst du Ester und Klara Bescheid sagen?«

»Natürlich. Kümmere du dich um Per-Olof, Mama.« Sie legten eine Zeit für die Beerdigung fest und danach beendete Kristina den Anruf. Nach kurzem Zögern rief sie Maria an.

»Maria? Hier ist Kristina.«

»Wie schön, von dir zu hören«, hörte sie Maria ins Telefon sagen.

»Leider habe ich sehr traurige Neuigkeiten. Ich fasse mich kurz.« Sie schloss für einen Moment die Augen und gab eine kurze Zusammenfassung der Lage wieder.

Es klang, als würde Maria in sich zusammensinken.

»Wie unglaublich traurig. Charlie war so ein toller Hund und Per-Olof ist ganz allein auf dem Hof. Wie geht es jetzt für ihn weiter?« Maria klang ganz aufgewühlt.

»Darüber denke ich auch nach«, antwortete Kristina. »Kannst du ein paar leckere Brote für die Beerdigung um fünf machen?«

»Natürlich. Drei Sorten sind bei Beerdigungen üblich. Das mache ich.« Sie legten auf.

Kristina fiel ein, dass sie Peter nicht um Getränke gebeten hatte. Sie schickte ihm eine SMS und sicherheitshalber noch eine an Karl. Außerdem brauchten sie Tischdeko. Ob Klara das vielleicht machen könnte? Sie schrieb ein paar Zeilen in ihr Handy.

Kannst du ein bisschen Wintergrün mitbringen, so was wie Efeu und vielleicht noch Blümchen für den Tisch? Hat Karl gesagt, dass es um fünf losgeht? Danke, Kristina

In der Küche hatte Per-Olof die Brote aufgegessen.

»Gut, dass du isst. Die Beerdigung ist um fünf. Martin, Maria und die Kinder kommen mit Broten. Karl und Peter bringen Klara und Ester mit. Wir müssen gleich raus und graben. Schaffst du das?«

Sie holte Luft und dachte an alles, was sie drinnen noch organisieren musste. Die anderen würden mithelfen müssen, wenn sie es nicht mehr schaffte.

»Das wird schwierig bei dem Boden, zumindest am Anfang. Wenn wir Glück haben, ist nur die obere Schicht gefroren. Ich hole zur Sicherheit lieber den Trecker.«

»Ich hole zwei Schaufeln, dann können wir die Grube hinterher begradigen. Wo willst du ihn begraben?«

»An der Hecke, dann hat er den Blick über die Felder und die Brücke.« Per-Olofs Stimme brach. Er lehnte sich über die Wachstuchdecke und weinte so sehr, dass seine Schultern zuckten.

Kristina umarmte ihn fest. Als sein Weinkrampf vorbei war, gingen sie ins bewölkte Nachmittagslicht hinaus. Mit den Spaten maßen sie das Grab ab.

»Geh rein, Kristina. Ich mache hier weiter.«

»Ich bleibe bei dir.«

»Aber dann schaffst du die anderen Sachen nicht.«

»Mach dir darüber keine Sorgen.« Sie wollte ihn jetzt nicht allein lassen. Es war herzergreifend, ihn mit gebeugtem Rücken im Wind stehen zu sehen. Er hatte sonst immer so eine aufrechte Haltung. Er sah verletzt und einsam aus.

»Ich hole den Trecker, dann geht es schneller. Geh jetzt rein.« Er legte den Spaten zur Seite und ging zum Schuppen, um die Grabegabel zu holen.

Vermutlich musste er ein Weilchen für sich sein. Sie konnte ihn genauso gut allein lassen, aber sie spürte mit jeder Faser ihres Körpers, dass sie ihm jetzt nah sein musste. Nach einem kurzen Zögern riss sie sich von ihm los und zwang ihre Schritte Richtung Eingang.

Er hatte den Traktor gestartet. Das Geräusch erinnerte sie an eine Begebenheit auf einem verlassenen Hof nicht weit von hier. Vor zwei Jahren. Kaputte Autoscheiben und Dung. Kristina bekam eine Gänsehaut. Dann riss sie sich zusammen. Sie hatte eine Beerdigungsfeier auszurichten. Resolut griff sie sich in den Mantelkragen, um sich aufzurichten.

Nachdem sie eine Weile die Schränke und das Büfett durchforstet hatte, fand sie Kerzen für die Kerzenhalter. Auf dem Tisch lag bereits ein Tischtuch. Eine nähere Inspektion ergab, dass es sauber war. Sie deckte Tassen, Teller und Besteck sowie Gläser. Das gute Porzellan, lächelte sie in sich hinein. Es stand im Büfett im Esszimmer, genau wie bei ihren Eltern. Sie holte zusätzliche Stühle aus der Küche. Kristina richtete ihre Haare im Spiegel und kramte einen Lippenstift aus ihrer Handtasche hervor. Die Schleife ihrer Schluppenbluse war aufgegangen. Sie erneuerte sie. Ihre Jeans sah noch sauber aus. Per-Olof erschien in der Tür und sie musste sich zusammenreißen, um ihm nicht um den Hals zu fallen.

»Ist das gut so? Das war das feinste, das ich finden konnte.«

»Eivors und mein Hochzeitsgeschirr.« Er holte ein Taschentuch aus der Tasche und schnäuzte sich. Er schien die Plätze zu zählen. »Oh, so viele sind wir.«

Vor zwei Jahren waren Charlie und Per-Olof in ihr Leben getreten, als sie sie als höchst unfreiwillige Kursleiterin bei dem Stilkundekurs willkommen hieß, den Karl ihr aufgedrängt hatte. An den Dienstagabenden war das Auktionshaus Schonen zu ihrem gemeinsamen Sammelpunkt geworden. Nach dem Kurs hatten sie den Kontakt gehalten.

Sie trafen sich inzwischen nicht mehr so häufig, aber für Klara und ihre Tochter Ester waren Kristina und Per-Olof weiterhin wie Eltern und Großeltern. Martin und Maria waren genug mit ihrer eigenen Familie beschäftigt. Karl und Peter, die dank des Kurses zusammengekommen waren, hatten eher Zeit als die anderen, weil sie keine Kinder hatten. Andererseits war Karl sehr mit sich selbst und seiner Karriere beschäftigt, musste Kristina zugeben.

»Du bist so nett.« Per-Olof strich ihr über die Wange und holte sie damit aus ihren Gedanken.

Oh, wie gern sie diese große, warme, raue Hand dortbehalten wollte. Das Geräusch eines Automotors ließ sie aufhorchen. Klara und Karl legten ihre Jacken auf der Veranda ab.

»Mama.« Kristina bekam eine Umarmung.

Karl zeigte auf das weiße Leinentuch.

»Ist er das?«

Kristina nickte und wandte sich Klara zu. Die junge Frau strahlte eine gewisse Ruhe aus. Sie sah aus, als würde es ihr gut gehen. Als sie sich zum ersten Mal beim Stilkundekurs getroffen hatten, war es ihr alles andere als gut gegangen. Damals hatte Klara abgekämpft und mager ausgesehen, mit dunklen Ringen unter den Augen und einem traurigen Blick. Der furchtbare Tobbe hatte sie und ihre Tochter erst kurz zuvor rausgeworfen. Wie man das nur überhaupt tun konnte! Kristina strich mit dem Daumen über ihre alte Narbe auf der Innenseite ihres Handgelenks. Klara konnte dennoch froh sein, ihm relativ früh entkommen zu sein und nicht noch Jahre mit ihm verbringen zu müssen, wie Kristina es selbst erlebt hatte.

»Hallo, liebe Freundin. Hast du Pflanzen dabei?«

»Logisch.« Klara gab Kristina einen Kuss auf die Wange und reichte ihr einen Bund in feuchtem Zeitungspapier.

»So viel!«, rief Kristina aus, als sie das Grünzeug betrachtete.

»Efeu und Bodendecker waren vorm Haus. Die Hyazinthen waren beim Supermarkt im Angebot, die habe ich direkt von den Zwiebeln geschnitten. Maria hat noch ein paar Christrosen aus ihrem Garten beigesteuert.«

»Komm, dann gehen wir jetzt mal passende Vasen suchen.« Sie durchsuchten die Schränke.

»Hast du keine Servietten gefunden?«, fragte Klara.

»Nein, die habe ich einfach vergessen. Ich hatte den ganzen Nachmittag so viel zu tun, weißt du?« Kristina zuckte entschuldigend mit den Schultern.

»Das verstehe ich.« Klara legte den Arm um sie und deutete aufs Büfett. »Da finden wir bestimmt welche.«

Sie zog auf gut Glück eine Schublade auf. »Bingo.«

Da lagen Servietten in verschiedenen Größen, Farben und Mustern. Sie hob zögerlich drei unterschiedliche Packungen heraus und biss sich auf die Lippe.

»Welche soll ich nehmen? Hier sind drei unterschiedliche Sorten.«

»Natürlich. Die kleineren rechts sind am besten. Es geht immerhin um einen Leichenschmaus«, sagte Kristina, nachdem sie die Auswahl betrachtet hatte.

»Jetzt kommt das nächste Auto.« Kristina warf noch einen Blick auf den gedeckten Tisch. Wenn man bedachte, wie wenig Zeit sie gehabt hatte und wie wenig ihr zur Verfügung stand, sah er wirklich schön aus. Das weiße Damasttuch bildete einen schönen Untergrund für die kleinen Teller mit den Rosenmustern und den passenden Tassen. An jedem Gedeck lag ein kleiner Silberlöffel und an jedem stand ein geschliffenes altes Glas mit Blumenranken am Rand. Die Papierservietten waren langweilig weiß. Aber zu diesem Anlass passten sie perfekt, wies sie sich selbst zurecht. Hier und da standen Blumen in unterschiedlich hohen Vasen und Gläsern. Es sah auf charmante Weise selbst gemacht aus; nimm, was du hast, unordentlich bürgerlich, wie nur Maria es sonst hinbekam.

Kristina wandte sich zum Gehen, aber sie kam nicht weit, weil Ester ins Zimmer gerannt kam.

»Wo ist Per-Olof?« Außer Atem sah sie sich mit flackerndem Blick im Zimmer um.

»Er ist im Wohnzimmer. Ich glaube, er sitzt in seinem Lieblingssessel.« Ester hörte Kristina kaum fertig zu, ehe sie auf Strümpfen um den Türpfosten schlitterte und zu Per-Olof rannte. Sie warf sich auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn. Sie sah ihm in die Augen und mit ihrer geballten siebenjährigen Weisheit vermittelte sie ihm, dass ihr eigenes Verlustgefühl nur ein schmaler Abklatsch von Per-Olofs war. Sie rollte sich an seiner Brust zusammen.

»Mein süßes Mädchen«, sagte Per-Olof heiser.

Kristina stiegen bei dem Anblick die Tränen in die Augen und sie musste sich von dem Durchgang zwischen Ess- und Wohnzimmer abwenden.

»Wo soll ich das hinstellen?« Peter hielt eine Tüte hoch.

Kristina räusperte sich aus Angst, dass ihr die Stimme versagen würde, und sah in die Tüte.

»Gut gemacht. Stell die Flaschen einfach in den Kühlschrank.«

Sie ging mit Peter in die Küche, wo sie das Wasser, den Fliedercidre und die Limo in den Kühlschrank stellten.

»Wie geht es ihm?« Peter sah sie geknickt mit seinen blauen Augen an.

»Per-Olof ist traurig. Ich würde ihm den Schmerz so gerne abnehmen, aber das kann ich nicht. Ich kann nur für ihn da sein, falls er mich braucht.« Sie schlug die Arme resigniert auseinander.

»Das reicht doch.« Peter nahm sie in den Arm und Kristina ließ sich dankbar fallen und versuchte, etwas von seiner Ruhe in sich aufzunehmen.

Sie kannte niemanden, der so ein Ruhepol war wie Peter. Nichts konnte ihn aufregen, was in seinem Beruf als Koch sicher von Vorteil war. Aber auch in seiner Beziehung zu seinem Mann Karl und vor allem, wenn es um die Beziehung zu Peters Eltern ging, die alles andere als einfach war. Sie konnte überhaupt nicht begreifen, wie sie Peter aufgrund seiner sexuellen Neigung mehr oder weniger verstoßen konnten. Es schien eher so, dass ihr Unwille, Peters Schwulsein zu akzeptieren, noch größer geworden war, seit er mit Karl verheiratet war.

Sie löste sich aus der Umarmung, als es an der Tür klopfte.

»Ist das Maria mit den Broten?« Peter leckte sich die Lippen.

Karl streckte den Kopf herein.

»Peter, halt dich zurück. Ich mache die Tür auf.« Mit einem bedeutungsvollen Blick auf Peters Bauch eilte er zur Tür.

Peter schnalzte ihm neckend hinterher. »Aber die sind so unglaublich lecker.« Er bekam einen verträumten Blick.

Kristina sah amüsiert aus.

»Oha, wie ich heute zwischen den Gefühlen hin und her geworfen werde. Maria hat Brote gemacht. Sie sollte wirklich etwas aus ihrem Talent machen.«

»Hat sie ja schon, aber es scheint nicht so gut zu laufen. Es sind leider schon die ersten Absagen gekommen. Es ist schwierig, in der Buchbranche Fuß zu fassen und noch schwieriger, wenn es um Kochbücher geht. Da muss man wirklich mit etwas ganz Besonderem ankommen.« Peter zuckte resigniert mit den Schultern. »Obwohl ihr Buch das ja ist. Die Bilder sind so toll, alles regionale Motive. Das Jahreszeitenthema passt und die Rezepte sind großartig. Es ist einfach unfair, so ist es«, bekräftige Peter.

Kapitel 5

Karl kam mit Martin in die Küche, der eine riesige Platte trug, die mit Frischhaltefolie bedeckt war. Hinter ihm ging Simon, sein siebzehnjähriger Sohn, mit einem großen Tablett in den Händen. Er hatte seinen Vater von der Größe her überholt, stellte Kristina fest. Wie das nur überhaupt möglich war? Martin war der größte Mann, den sie kannte. Lisa, noch am Anfang ihrer Teenagerjahre und deutlich kleiner, trug ein weiteres Tablett und Maria kam mit einer dreistöckigen Platte herein.

»Herzlich willkommen. Aber, Himmel, wo soll all das leckere Zeug hin? Das müssen wir ja im Kühlschrank schichten!«

»Warte kurz. Martins Platte muss nicht gekühlt werden. Der Käse fühlt sich in Zimmertemperatur am besten.«

Maria sah tatsächlich nicht besonders fit aus, stellte Kristina fest. Sie war sonst nie blass, nicht einmal im Winter. Ihr Blick ging zu Martin. Er hatte eine Sorgenfalte zwischen den Augen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Aber was?

»Du bist so toll. Du solltest beim Frühstücksfernsehen in der Showküche stehen«, sagte Peter, dem es schwerfiel, den Blick von den Broten zu lassen.

Es klang so, als hätte Maria all ihre Hoffnung für das Buchprojekt aufgegeben. »Wenn es nur so wäre. Ich bekomme eine Absage nach der anderen.«

»Ich weiß. Das ist echt merkwürdig. Aber du wirst sehen, dass deine große Stunde noch kommen wird.« Peter drückte Maria und sie lächelte ihn an.

»Ich hoffe es«, antwortete sie.

»Kannst du mir nicht was über den Käse erzählen, wenn wir hier schon stehen?« Peter deutete auf die Platte auf der Arbeitsfläche.

»Das ist eine Scheibe Roggenbrot mit Butter, klar. Dann geht es ganz einfach weiter. Grob aufgetragener Ziegenkäse und darüber Walnüsse. Ich lege gleich noch Rucolablätter dazu und mache ein paar Honigkringel drauf, bevor die Brote serviert werden.«

»Aha, lecker.« Peter klopfte sich auf den Bauch, der nicht mehr so rund war, wie Kristina feststellte. Anders als Maria sah er rundum gesund aus. Sie linste auf ihre Armbanduhr und stellte fest, dass die Zeit ihnen nur so durch die Finger rann.

»Es ist so weit. Karl, hast du die Blumen?« Kristina sah ihn auffordernd an.

»Natürlich. Komm, Ester, dann bekommst du eine Blume in die Hand.« Karl gab ihr eine rote Rose mit einem Farnblatt, als sie in die Küche kam.

Dann verteilte er die Sträußchen, bis jeder einen in der Hand hielt.

»Wo ist die Gitarre, Peter?« Kristina sah sich suchend um.

»Mist, die ist noch im Auto. Geht schon mal vor, ich komme nach.«

Er warf sich die Jacke über und zog sich die Schuhe an. Dann fiel die Haustür hinter ihm zu. Kristina ging zu Per-Olof ins Wohnzimmer. Sie stellte sich neben ihn und strich ihm über den Oberarm. Das Gefühl der Wärme von seiner Haut an ihren Fingerspitzen ließ sie leicht erschauern, als ob ihr Körper auf ein Versprechen reagierte.

»Es ist so weit.«

»Dann ist es das wohl.« Er stützte sich mit den Handflächen schwer auf die zerschlissenen Armlehnen und stand mühsam vom Sessel auf.

»Nimm du Charlie und geh vor. Wir gehen hinter dir her. Komm.«

Sie richtete den Kragen seines rotkarierten Flanellhemds und strich ihm über die Wange. Sie begleitete ihn zum Windfang. Per-Olof hob Charlie sanft in seine Arme. Dann nickte er den anderen zu. Karl öffnete ihm die Tür. Einer nach dem anderen folgten sie ihm.

»Konntest du die Gitarre noch stimmen?«, murmelte Kristina.

»Schon passiert.« Peter hauchte auf seine Finger.

»Und jetzt bitte keine Punksongs. Es muss würdevoll sein für Per-Olof und Charlie.«

Er umklammerte den Gitarrenhals etwas fester. Dampf kam aus seinem Mund, als er sprach.

»Jetzt muss ich aber doch ein bisschen staunen. Was glaubst du denn, wer ich bin?«

»Entschuldige. Ich weiß ja, dass du nichts Unpassendes spielen würdest. Es war so ein langer Nachmittag und meine Gefühle fahren Achterbahn. Und der ganze Stress. Ich möchte nur einfach, dass es für Per-Olof so perfekt wie möglich ist. Ich weiß, dass du Taktgefühl hast.«

Warum hatte sie nur so mit ihm geredet? Sie bereute es sehr und sah auf ihre Schuhe, während ihr Gesicht glühte.

»›Taktgefühl ist ziemlich gut.« Peter knuffte sie in die Seite und sie kicherten ein wenig, aber bekamen ihre Gesichtszüge rechtzeitig vor dem Grab wieder in den Griff.

Es gab niemanden, der eine entgleiste Situation wieder so ins Reine bringen konnte wie Peter.

Kristina gab die Sturmlampe, die sie in der Hand gehalten hatte, an Martin weiter, beugte sich herunter und zündete zwei Fackeln an. Sie sah verstohlen zu Per-Olof, der sich die Tränen mit dem Jackenärmel abwischte. Es schien so, als wären es jetzt schon zu viele Gefühle für ihn und sie fragte sich, ob er eine Abschiedsrede halten könnte. Als ob er ihre Gedanken lesen konnte, nickte er ihr zu, um zu bedeuten, dass lieber sie sprechen sollte. Kristina räusperte sich.

»Heute hatte Charlie einen furchtbaren Unfall, der sein Leben viel zu früh beendet hat. Per-Olof hat nicht nur seinen Hund, sondern auch seinen allerbesten Freund verloren. Charlie war kein gewöhnlicher Hund. Abgesehen davon, dass er ein großartiger Jagdpartner und Gefährte war, war er zu einhundert Prozent für Per-Olof da, als er vor ein paar Jahren seine Frau Eivor verlor. Dank Charlie konnte er morgens aufstehen. Als die Nacht mit der Dunkelheit kam, war Charlie da und bot ihm Trost an. Wir alle erinnern uns sicher daran, wie unser Freund zum Stilkundekurs kam und wir die Freude hatten, seine Bekanntschaft zu machen. Eine Bekanntschaft, die besonders für eine von uns zur Freundschaft wurde.« Sie hielt inne und sah zu Ester, die nickte.

»Wenn es einen Hundehimmel gibt oder ein besonderes Tierreich nach dem Tod, dann bin ich überzeugt, dass Charlie jetzt dort ist. Und wenn es einen gemeinsamen Himmel für uns alle gibt, dann ist er Eivor sicher direkt in die Arme gesprungen.« Der Gedanke war tröstlich. Sie konnte richtig vor sich sehen, wie Charlie über eine Sommerwiese rannte und bellte, als er sein Frauchen sah. »Ich hoffe es mit meinem ganzen Herzen. Adieu und ruhe in Frieden, geliebter Charlie.«

Sie nickte Peter zu, der auf der Gitarre zu spielen begann. Bald hörte man seine sanfte Stimme in der Dämmerung.

Lieber Spielmann, kannst du mir eine Frage beantworten? Sie ist ehrlich und ich meine jedes Wort. Wenn unser Herr das Lebenslicht auslöscht und es Zeit ist, diese Erde zu verlassen …

Maria unterstützte den Refrain mit ihrer Altstimme und gemeinsam mit Peter schallte das Lied durch die Dunkelheit und zu den Sternen, die langsam am Himmel erschienen.

Kristina sah den Tönen nach zum Himmel hoch.

Darf man seinen Hund mit in den Himmel nehmen? Er ist so lieb und war ein guter Freund.

Peter nickte ihr zu.

Als das Lied verklungen war, gab Kristina Per-Olof das Zeichen, ihn ins Grab zu legen. Peter spielte ein Stück, während alle zum Grab gingen, sich verabschiedeten und ihre Blumen niederlegten. Ester legte außerdem eine Zeichnung von sich, Charlie und Per-Olof auf einer Wiese unter einem sonnigen Himmel hinein. Karl und Martin warteten, bis alle sich verabschiedet hatten, und schaufelten dann das Grab zu. Dann stimmten alle einen Psalm an.

»Geht schon mal rein, ich komme gleich. Ich will nur noch …« Per-Olof deutete auf das Grab.

»Komm, wenn du so weit bist. Wir treffen in der Küche die letzten Vorbereitungen.«

Kristina hakte Maria unter und sie gingen gemeinsam zum Wohnhaus. Es sah so aus, als ob Maria eine Stütze gebrauchen konnte. Sie schien völlig versteinert zu sein.

»Du hast die Zeremonie in so kurzer Zeit so schön hinbekommen. Beeindruckend. Es war wirklich stimmungsvoll und friedlich. Charlie wird es an der Hecke richtig gut gehen«, sagte Maria.

»Danke für das Lob. Ich wusste gar nicht, dass du so schön singen kannst.«

Kristina biss sich zögernd auf die Lippe. Sollte sie fragen, was sie bedrückte? Sie beschloss schnell, dass sie es riskieren sollte.

»Entschuldige, dass ich das so sage, aber du siehst blass aus. Ist alles in Ordnung?« Kristina sah Maria besorgt an.

»Sieht man das so deutlich?« Marias freie Hand griff ins Gesicht, als ob sie es verdecken wollte.

»Ich bin so müde und habe überhaupt keine Energie mehr. Nicht einmal das Training wird was. Ich weiß, dass ich beides brauche, damit es mir gut geht. Ich weiß es mit dem Kopf, aber ich bin gar nicht richtig da. Ich bin nur eine Hülle. Ich kann das nicht richtig erklären. Es klingt so blöd.« Kristina sah, dass Maria die Tränen kamen und drückte den Arm der jüngeren Frau.

»Meine Liebe, das wird schon wieder. Es braucht Zeit und Geduld, auch mit dir selbst. Hör auf mich, ich bin fast doppelt so alt wie du.«

Kristina bekam ein schiefes Lächeln als Antwort und Maria blinzelte ihre Tränen weg.

»Du hast das jedenfalls alles ganz toll hinbekommen«, sagte Maria.

Kristina dachte, dass Per-Olofs Töchter mit ihren Familien vielleicht beleidigt sein würden, wenn sie mitbekamen, dass sie nicht eingeladen waren, aber das würde sie dann auf ihre Kappe nehmen.

»Weißt du noch, wie niedergeschlagen er bei den ersten Kursabenden war?«, dachte Maria laut nach.

»Per-Olof ist so weich unter dieser rauen Schale.« Kristina kicherte leicht, als sie sich erinnerte, wie glücklich er über seinen Mandelkuchen gewesen war, den er zum Stilkundekurs mitgebracht hatte, und wie er immer fluchte, wenn seine Gefühle ihm zu viel wurden. Heute jedoch war davon nichts zu sehen gewesen, aus verständlichen Gründen.

Sie waren in der Küche angekommen und deckten die Brote.

»Ich mag Per-Olof so gern. Er hat ein gutes Herz.« Maria entfernte die Plastikfolie von dem einen Tablett.

»Schöne Brote. Was ist da drauf?« Kristina streckte ihr eine Platte mit Dünnbrot hin.

»Das sind Dünnbrotscheiben mit Frischkäse, Meerrettich, Räucherlachs und Feldsalat.« Marias Augen leuchteten. »Ich weiß, das ist eher sommerlich, aber es ist sozusagen die Aussicht auf das, was kommen wird, quasi ein Vorgeschmack. Etwas, worauf man sich freuen kann. Der Feldsalat ist knackig und der Frischkäse samtig und cremig, aber dann hat er die Bitternote vom Meerrettich.«

»Mir läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn ich dich reden höre.« Peter betrat die Küche. Er nahm eine Platte mit Dünnbrot mit. Als er an Maria vorbeiging, flüsterte er: »Ich liebe es, dass du mit einfachen, rohen Zutaten arbeitest und nicht mit lauter Schnickschnack. Direkt und ehrlich, irgendwie.«

Kristina und Maria folgten ihm mit je einem Tablett.

»Danke für das schöne Kompliment.«

»Die sehen so professionell aus, und zum Glück ist kein Schwedenbrot in Sicht.« Peter knuffte sie.

»Gott bewahre. Das ist nur billig und fad. Gibt es etwas Schlimmeres, als im Restaurant ein Krabbenbrot zu bestellen und dann so ein tristes Brot zu bekommen?«

Peter tat so, als dächte er nach.

»Glaube, nicht.«

Kapitel 6

Per-Olof schlug mit der Gabel an sein Glas. Er stand auf und ließ seinen Blick über die Gäste schweifen.

»Liebe Freundinnen und Freunde, ich bin sehr gerührt und dankbar, dass ihr mir und Charlie heute so viel Mitgefühl entgegengebracht habt. Als ich zum Stilkundekurs gegangen bin, hätte ich mir nicht in den wildesten Träumen ausgemalt, dass ich dort Freunde finden würde. Wie ihr wisst, war ich damals ziemlich niedergeschlagen. Eivor war erst vor Kurzem verstorben und meine Töchter fanden, dass ich mal unter Leute kommen sollte. Ich selbst habe damals in all meiner Trauer nicht verstanden, wie recht sie hatten. Und jetzt sitze ich hier mit euch allen, die ihr auch Charlies Freunde wart.«

Er hob sein Glas. Das Licht vom Tisch spiegelte sich in seinen feuchten Augen.

»Darum will ich auf die Freundschaft anstoßen.« Er nickte seinen Gästen zu und trank einen Schluck Cidre. Alle nickten zurück und folgten seinem Beispiel.

»Mich gab’s gratis dazu, indirekter Stilkundekursfreund.« Karl knuffte Per-Olof mit dem Ellbogen in die Seite.

»Stimmt, aber ein Freund bist zu trotzdem.«

»Maria, was ist da drauf?« Peter zeigte mit der Gabel auf ein Brot auf dem Teller vor sich.

»Das ist Sauerteigbrot mit Butter. Darauf ist Mayonnaise aus Dijonsenf mit Petersilie drin. Und Räucherschinken, wie du sehen kannst. Obendrauf sind Gewürzgurken und Petersilie.«

»Wie ein Gemälde.« Er schnitt ein Stückchen ab und pikte es mit der Gabel auf. Er schob es sich in den Mund und kaute mit geschlossenen Augen.

»Cremige Mayonnaise. Der Senf sorgt für ein gewisses Extra. Die Gurke obendrauf ist knackig. Was für göttliche Kontraste.«

»Danke, das geht runter wie Öl.« Maria seufzte, blinzelte stark und wischte sich verstohlen die Augenwinkel mit der Serviette ab.

Es sah so aus, als ob sie nur mühsam die Tränen zurückhalten konnte, fand Kristina.

»Stimmt, das Buch. Wie läuft es damit?« Per-Olof biss ein Stück vom Dünnbrot ab. »Wenn man hiernach geht, müsste es verdammt gut laufen, ich meine, absolut vortrefflich.«

»Der Himmel weiß, dass ich gerade jede Aufmunterung gebrauchen kann. Es würde mir so wahnsinnig viel bedeuten, wenn mein Buch angenommen werden würde.« Sie wischte sich erneut die Augen ab.

»Maria.« Karl zeigte auf seinen leeren Teller und machte das Daumen-hoch-Zeichen.

»Meine Süße, das wird sich noch ergeben.« Per-Olof legte ihr den Arm um die Schultern.

»Tröstest du mich jetzt? Du bist derjenige, der traurig ist.« Marias Gesichtsfarbe wechselte von blass zu rosa.

»Ach, jetzt schäm dich nicht. Du scheinst die eine oder andere Umarmung gut gebrauchen zu können. Du hast so ein Glück, Martin, dass du eine eigene Brotkönigin hast. Es ist so verdammt leer im Haus ohne eine Frau. Das wird an so einem Tag noch mal deutlicher. Aber man kommt natürlich irgendwie klar.« Per-Olof zwinkerte Kristina zu, die schnell einen Fleck aus Esters Hemdsärmel wischte.

Was meinte er überhaupt? Der Fleck war viel zu schnell weg. Kristina wurde glücklicherweise von Karl gerettet. Sie atmete erleichtert auf.

»Wie läuft’s auf der Arbeit, Martin?« Karl trank einen Schluck Kaffee.

»Fang nicht damit an. Im Büro herrscht das reinste Chaos. Die meisten von uns, die im Support arbeiten, sollen wohl wegrationalisiert werden. Wieder Kündigungen. Von Kollegialität kann man gar nicht mehr sprechen. Alle sind auf der Hut und wollen ihre eigene Haut retten. Man grüßt sich sogar kaum noch.«

»Das klingt ja gar nicht gut. Du kannst stattdessen bei mir im Architekturbüro anfangen«, sagte Karl.

»Und was soll ich da machen?«

»Kaffee kochen, ans Telefon gehen und Meetings planen, zum Beispiel. Ich habe keine Zeit und habe niemanden dafür.«

»Meinst du das ernst?«, murmelte Martin.

»Logisch. Ich mache keine Späße, wenn es um die Arbeit geht. Das weißt du doch.«

»Aber trotzdem.«

»Vielleicht nicht Vollzeit, aber das ist ja besser als nichts.«

»Ach, ich weiß nicht. Ich hoffe schon fast, dass mir diesmal gekündigt wird.« Martin wand sich auf seinem Stuhl, als wäre ihm peinlich, was er gerade gesagt hatte.

»Aha. Was sind die Bedingungen?« Karl sah ihn aufmerksam an.

»Ein Jahr voller Lohn ab meinem letzten Arbeitstag.«

»Dann kannst du in Ruhe überlegen, was du machen willst. Solange kannst du bei mir jobben und deine Kasse auffüllen.«

»Wenn dein Angebot besteht und mir gekündigt wurde, melde ich mich. Danke, dass du dich für meine Arbeit interessierst.«

Kristina sah auf die leeren Teller. Es schien so, als ob die Gäste fertig waren. Sie blickte gedankenverloren zu Martin, der vom Tisch aufstand und die Platten einsammelte. Kristina brachte ein paar Becher in die Küche.

»Du musst Karl entschuldigen. Er hat es manchmal so eilig und vergisst dann, dass es nicht allen so geht.« Sie wischte ein paar Reste in den Mülleimer.

Martin legte die übrig gebliebenen Brote zusammen auf eine Platte.

»Es war nett von ihm, an mich zu denken.«

»Wie läuft es zu Hause?«, fragte Kristina.

»Meinst du, mit Maria? Nicht so toll. Wenn mir gekündigt wird, muss ich auch ein Auge auf sie haben.«

Kristina nickte. »Wie meinst du das genau?«

»Sie ist total unter Spannung und ich mache mir Sorgen um sie, aber sie will nicht auf mich hören.«