Das kleine Chalet in der Schweiz - Julie Caplin - E-Book
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Das kleine Chalet in der Schweiz E-Book

Julie Caplin

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Beschreibung

Manchmal braucht es im Leben eben Schokolade – oder ein Buch von Julie Caplin! Mina Campbell liebt leckeres Essen und gesellige Dinner mit Freunden. Kein Wunder, immerhin arbeitet sie in einer Testküche und probiert ständig neue Kreationen aus. Ein Rezept gegen Liebeskummer hat sie allerdings noch nicht gefunden. Nun wurde Minas Herz erneut gebrochen, und sie packt kurzerhand die Koffer. Für eine Auszeit reist sie zu ihrer Patentante in die Schweiz, die dort ein entzückendes Ski-Chalet betreibt. Mina blüht auf. Vor allem die Schweizer Küche hat es ihr angetan: Fondue, Rösti und Kirschtorte – wer braucht da schon einen Mann, um glücklich zu sein? Wäre da nicht der charmante Luke, der Mina das verschneite Wallis von seiner romantischen Seite zeigt ...

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Julie Caplin

Das kleine Chalet in der Schweiz

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Christiane Steen

 

Über dieses Buch

«Ich glaube, mit Beziehungen ist es wie beim Conchieren von Schokolade: Wenn man jemanden findet, mit dem sich alle Partikel in dieselbe Richtung bewegen, bei dem man nicht gegen den Strich gebürstet wird, dann ist es eine gute Beziehung.»

 

Mina Campbell liebt leckeres Essen und gesellige Dinner mit Freunden. Kein Wunder, immerhin arbeitet sie in einer Testküche und probiert ständig neue Kreationen aus. Ein Rezept gegen Liebeskummer hat sie allerdings noch nicht gefunden.

 

Nun wurde Minas Herz erneut gebrochen, und sie packt kurzerhand die Koffer. Für eine Auszeit reist sie zu ihrer Patentante in die Schweiz, die dort ein entzückendes Ski-Chalet betreibt. Mina blüht auf. Vor allem die Schweizer Küche hat es ihr angetan: Fondue, Rösti und Kirschtorte – wer braucht da schon einen Mann, um glücklich zu sein? Wäre da nicht der charmante Luke, der Mina das verschneite Wallis von seiner romantischen Seite zeigt …

 

Manchmal braucht es im Leben Schokolade – oder ein Buch von Julie Caplin!

 

Die Presse über die Vorgänger:

 

«Es wird hyggelig und gemütlich.» (Stadtradio Göttingen)

 

«Eine romantische Geschichte mit viel Lokalkolorit, so richtig zum Wegträumen.» (Woman)

 

«Macht definitiv Lust auf Urlaub … Man möchte am liebsten den Koffer packen und selber hinreisen.» (LZ Rheinland)

Vita

Julie Caplin lebt in England, liebt Reisen und gutes Essen. Als PR-Agentin hat sie bereits in diversen Ländern gelebt und gearbeitet. Mittlerweile widmet sie sich ganz dem Schreiben. In der Romantic-Escapes-Reihe sind bereits fünf Bände erschienen. Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großes Lesevergnügen. Jeder Band bietet eine charmante Liebesgeschichte, warmherzigen Humor und viel Lokalkolorit - für alle, die es lieben mit Büchern auf Reisen zu gehen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel «The Little Swiss Ski Chalet» bei HarperCollins Publishers, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2021

Copyright © 2021 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«The Little Swiss Ski Chalet» Copyright © 2020 by Julie Caplin

Redaktion Nadia Al Kureischi

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Shutterstock

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00987-5

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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Hinweise des Verlags

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Dieses E-Book ist nicht vollständig barrierefrei

 

 

www.rowohlt.de

Für meine Schwester Lynda – der Tag zu meiner Nacht, die so lustig, freundlich und unverwüstlich ist und es verdient hat, einfach nur glücklich zu sein.

ERSTER TEIL

1. Kapitel

Es würde ein unvergesslicher Abend werden, dachte Mina, während sie gefährlich auf einem Stuhl balancierte und die kleine Ananas-Lichterkette über den Türrahmen zwischen Küche und Esszimmer hängte. Diese Deko war das Tüpfelchen auf dem i.

«Sieht super aus», sagte ihre Schwester Hannah, die gerade mit einer schweren, ausgebeulten Tragetasche hereinkam.

«Du bist da!» Mina sprang vom Stuhl, ohne sich um die Nachbarn zu scheren, die unter ihr wohnten, und klatschte vor Freude in die Hände. «Hast du die Flasche bekommen?» So langsam wurde sie nervös. «Ich fasse einfach nicht, dass ich das vergessen konnte. Ich meine, ehrlich: ein mexikanischer Abend ohne Tequila! Eigentlich hättest du gleich zwei mitbringen sollen.»

«Eine Flasche wird schon reichen. Alle bringen ja was zu trinken mit, und dann hast du noch den Kasten Sol. Hier wird schon keiner verdursten.»

«Du bist die Größte. Was würde ich bloß ohne dich machen?» Mina umarmte ihre Schwester.

«Ich denke, du würdest schon klarkommen», lachte Hannah und befreite sich aus Minas Armen. «Du hast so viel zu essen gemacht, dass sich am Ende alle etwas fürs Wochenende mitnehmen können.»

Mina grinste sie fröhlich an. «Es wird toll.» Sie konnte gar nicht erwarten, bis endlich alle am Tisch saßen. Er war hübsch gedeckt mit ihrem alten Geschirr, das sie über die Jahre bei ihren Touren durch Secondhandläden zusammengesammelt hatte. Sie freute sich darauf, ihre Gäste mit Essen und Getränken zu versorgen und sich bei Kerzenschein und Ananas-Beleuchtung mit ihnen zu unterhalten. Den ganzen Tag und den vorigen Abend hatte sie gekocht, aber der Anlass war es wert: ihr Jahrestag. Sie und Simon waren heute schon ein ganzes Jahr zusammen. Für Mina ein Rekord, und sie musste zugeben, dass sie diese Ruhe und Stabilität in ihrem Leben genoss. Simon war das Yang zu ihrem Yin, oder wie auch immer das hieß. Heute Abend hatte sie acht Freunde inklusive Hannah zum Essen eingeladen. Es würde ein bisschen eng werden, aber das kannten alle schon bei ihr. Im Laufe des letzten Jahres hatte sie eine Paris-Party geschmissen (sehr chic), ein dänisches Hygge-Zusammensein organisiert (sehr gemütlich), einen Gin-Cocktail-Abend mit tollen Zwanziger-Jahre-Kostümen ausgerichtet (Simons Trilby-Hut hatte ein Vermögen gekostet) sowie zum Thai-Bankett geladen (würzig, frisch und einfach köstlich).

Der Tisch für heute war mit dem bunt gestreiften Tischtuch, das an einen mexikanischen Poncho erinnerte, und farbenfrohen Bastmatten gedeckt. Auf den Serviettenringen prangte ein Sombrero, und in der Mitte standen viele Kerzen in rustikalen Metallhaltern. Sie hatte sogar Eiswürfel in Kaktusform für den Wasserkrug vorbereitet.

«Deine Partys sind immer toll, aber du machst dir viel zu viel Mühe. Ich hätte bloß ein paar Old-Paso-Saucen gekauft und Salsa und Guacamole von Marks & Spencer.»

«Das ist doch kein richtiges mexikanisches Essen!» Mina riss mit gespieltem Entsetzen die Augen auf. «Bei mir gibt es authentisches Streetfood. Komm.» Ungeduldig zog sie ihre Schwester in die Küche. «Das hier musst du probieren.» Schon hielt sie ihr den Löffel hin.

«Was ist das?» Hannah kniff misstrauisch die Augen zusammen.

«Versuch mal …»

Ihre Schwester probierte vorsichtig vom Löffel. «Oh, wow!» Sie blinzelte heftig. «Das haut einen ja um. Aber …» Sie probierte noch einmal. «Lecker!»

«Schokoladensauce mit Chili aus Ecuador. Das essen wir mit den Churros zum Nachtisch. Ist das nicht einfach himmlisch?» Mina tauchte einen Löffel in die Sauce und leckte ihn ab, wobei sie genüsslich die Augen schloss. Sie hatte ein wenig gebraucht, um diese besondere Schokoladensorte zu finden, aber sie war jeden Penny des irrsinnigen Preises wert. Auch wenn die dunkle, salzige Schokolade mit Karamell aus Madagaskar oder die mit Rum aus Trinidad und Tobago ebenso verführerisch gewesen wären. Es gab heutzutage derartig viele köstliche Schokoladensorten, es fiel schwer, sich zu entscheiden.

«Mal was anderes. Ich wünschte, ich könnte so gut kochen wie du.»

Mina lachte. «Dann hättest du aber nicht diesen tollen Job und deine hippe Wohnung», sagte sie und schaute sich in ihrer eigenen kleinen, vollgestellten Küche um – Nicht dass sie ihre Schwester beneidete, doch eines Tages wollte sie auch gern eine große Wohnküche haben, in der sie kochen konnte, ohne ihre Gäste alle fünf Minuten allein zu lassen. Im Kopf hatte sie sie sogar schon eingerichtet.

Wenn sie mit Simon zusammenzog und sie ihre Gehälter zusammenwarfen, würden sie sich eine bessere Wohnung leisten können, vielleicht sogar ein Haus. Trotz ihrer unterschiedlichen Persönlichkeiten liebten sie Essen und Gäste – einer der Gründe, warum sie als Paar so gut funktionierten.

«Womit kann ich dir denn noch helfen?», fragte Hannah und sah sich um.

«Du könntest den Käse reiben, für die Nachos. Aber pass auf, dass du den Cheddar nimmst, nicht den Bergkäse.»

«Wofür ist der denn? Oder darf ich das nicht wissen, und er ist für eine mexikanische Spezialität, die keiner kennt?»

Mina lachte. «Nein, aber bei der Arbeit haben wir darüber geredet, dass wir ein Fondue-Rezept entwickeln wollen, darum wollte ich zu Hause etwas ausprobieren. Man braucht den richtigen Käse. Amelie hat mir ein traditionelles Schweizer Rezept gemailt.»

«Ah, das ist ja nett. Wie geht’s ihr?»

Amelie war Minas Patentante, eine enge Freundin von Minas und Hannahs Mutter, die sich in einem französischen Internat kennengelernt hatten. Und sie hatte in ihrer großzügigen Art auch Hannah als Ehren-Patentochter adoptiert und schickte ihr genau wie Mina immer Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke.

«Es geht ihr gut, denke ich. Seit sie aus Basel weggezogen ist und dieses kleine Ski-Gästehaus gekauft hat, bedrängt sie mich, dass ich sie besuchen kommen soll. Ich hab schon ein richtig schlechtes Gewissen – aber man kann ja leider nicht einfach in ein Flugzeug steigen, um zu ihr in die Pampa zu kommen.»

«Wie weit ist es denn noch von Zürich?»

«Drei Stunden mit dem Zug.»

«Tja, nicht gerade ideal für einen Wochenendtrip.» Hannah sah sich um. «Also, was soll ich machen?»

«Käse reiben, und danach kannst du mir helfen, die Margarita-Gläser vorzubereiten.»

«Was hast du denn vor?»

«Ich will die Ränder in Limettensaft stippen und dann in Salz, damit eine schöne Salzkruste entsteht.» Mina deutete auf die Cocktailgläser, die sie bei TK Maxx aufgetrieben hatte. «Und schau mal: Wir werden noch ein bisschen essbaren Goldglitzer in das Salz rühren, das macht noch mehr her.» Sie war ziemlich glücklich mit ihrer Idee und noch glücklicher über Hannahs begeisterte Reaktion.

«Das ist ja genial! Darum bist du auch Lebensmitteltechnikerin.»

«Na ja, ich glaube, es ist nichts Besonders, sich einen neuen Pfiff für eine Pastasauce auszudenken.» Mina wollte nicht undankbar klingen. Der Job in der Testküche einer großen Supermarkt-Kette war toll … er begeisterte sie nur nicht mehr so wie früher. Es wurde manchmal ein bisschen langweilig, sich immer nur am Massengeschmack zu orientieren und höchstens mal eine etwas wohlschmeckendere Sauce für ein Pastagericht zu kreieren, während sie viel mehr Lust hatte, neue Geschmacksrichtungen auszuprobieren. «Also, wenn du mir wirklich helfen willst, dann los.»

Mina summte vor sich hin, während sie die Zwiebeln in Scheiben schnitt, das Hähnchen würzte und einen kleinen Berg Chilis hackte. Es würde ein ganz besonderer Abend werden, und das Essen war nur ein Teil davon. Sie wollte Simon zeigen, wie viel er ihr bedeutete. Im Laufe des letzten Jahres war er in ihren Freundeskreis hineingewachsen und ein sehr wichtiger Teil der Clique geworden, und sie wollte ihr Glück mit ihnen allen teilen. Gute Freunde waren das Wichtigste überhaupt.

Sie schaute hinüber zu der kleinen Piñata, die mit blauen und rosa Serviettenstreifen verziert war. Vorhin hatte sie noch schnell ein kleines Päckchen hineingeschoben, und bei dem Gedanken daran, was Simon wohl sagen würde, wenn es herausfiel, kribbelte ihr Bauch vor Aufregung.

 

Als um sechs Uhr alle Vorbereitungen abgeschlossen waren, gönnten sich die Schwestern eine frisch angerührte Margarita.

«Zeit, uns selbst in Schale zu werfen.» Mina schaute noch einmal über den Tisch mit den hübsch aufgereihten Schüsseln und Schalen, aus denen es verführerisch duftete. Sie hatte es gern, wenn sie so wenig Zeit wie möglich in der Küche verbringen musste, sobald die Gäste eingetroffen waren – was nicht einfach war, wenn man frisch zubereitetes Streetfood servieren wollte. Während Hannah im Badezimmer war, traf sie noch ein paar kleine Vorbereitungen, dann eilte sie um zwanzig vor sieben selbst ins Bad. Sie duschte, so schnell es ging, fuhr mit dem Kamm durch ihren blonden Bobhaarschnitt, trug rosa Lippenstift auf und tuschte ihre langen, hellen Wimpern mit schwarzer Mascara. Fertig. Sie warf ihrem Spiegelbild eine Kusshand zu, flatterte mit den langen Wimpern und eilte ins Schlafzimmer, um ihr neues knallrosa Kleid anzuziehen. Dann hastete sie wieder in die Küche und band sich eine Schürze um. Sie hatte sich schon einmal mit Fettspritzern ein Kleid ruiniert, aber dieses hier musste makellos bleiben.

Als es um sieben an der Tür klingelte und die Wohnung sich langsam füllte, war Mina in ihrem Element. Sie verteilte Bier mit dem obligatorischen Zitronenschnitz im Flaschenhals und Gläser mit Margaritas, die den Gästen einen Kick verpassten, als hätte sie der Huf eines Maultiers getroffen.

«Wow, Mina», sagte George, einer ihrer Freunde von der Uni. «Davon wachsen einem ja Haare auf der Brust. Und mit dem Glitzerkram werde ich noch am Montag im Büro funkeln – aber super Idee.»

«Sei nicht so langweilig», sagte sein Freund, der unpraktischerweise ebenfalls George hieß und in den sechs Monaten, die sie jetzt zusammen waren, zu «Big G» geworden war. «Ich liebe Glitter, und das ist ein richtig guter Cocktail.» Er nahm einen Schluck und blinzelte heftig. «Feuerwasser.»

«Oh, ist die Margarita zu stark geworden?» Mina reichte ihrer besten Freundin Belinda ein Glas, die eben angekommen war. Hinter ihr trat Simon ein und zwinkerte Mina zu.

Bevor sie ihn begrüßen konnte, küsste Belinda sie auf beide Wangen. «Ist bestimmt super», sagte sie und nahm vorsichtig einen Schluck. «Lecker. Und dieser Glitter ist …» Sie betrachtete ihr Glas. «Kann man das essen, oder eher: trinken?»

«Ja, sicher. Als ob ich etwas Ungenießbares verwenden würde.» Fast hätte Mina die Augen verdreht. Belinda war seit der Schulzeit ihre Freundin, auch wenn ihre eher pragmatische Art Minas Ideen schon öfter eine Bremse verpasst hatte – aber zum Teufel noch mal, jetzt war sie erwachsen. War der heutige Abend nicht der Beweis?

«Natürlich nicht», entgegnete Belinda trocken, doch Mina hatte sich schon zu Simon umgedreht.

«Hi, Schatz.» Sie wünschte, sie hätte nichts in der Hand, um ihn richtig zu umarmen. «Du bist ja zeitiger als gedacht.»

«Ja, ich habe etwas früher mit der Arbeit Schluss gemacht … und Belinda mitgenommen.»

«Das war ja süß von dir.» Sie strahlte ihn an. Belinda wohnte am anderen Ende der Stadt und fuhr selbst nicht Auto. Er war so ein hilfsbereiter Mann. Und so verlässlich. Genau das, was Mina brauchte. «Willst du eine Margarita? Oder lieber ein Bier?»

«Nur Wasser. Ich muss ja noch fahren.»

«Oh, Baby, wirst du denn nicht bleiben?» Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen und grinste zweideutig, in der Hoffnung, dass er sich erinnerte, was er verpassen würde. «Meine Margaritas werden dich umhauen.»

«Das würden sie bestimmt, aber es ist keine gute Idee, wenn man am nächsten Morgen Fußballtraining hat. Und du willst morgen bestimmt nicht so früh von mir geweckt werden.» Er betrachtete den liebevoll drapierten Tisch. «Sieht wieder mal toll aus. Du bist ein wahres Talent in der Küche.»

Mina zog gespielt empört die Augenbrauen hoch, um ihm zu zeigen, dass das nicht der einzige Ort war, an dem sie ihre Qualitäten auslebte.

«Ist ja auch ein besonderer Abend», murmelte sie.

Ihr Freund runzelte fragend die Stirn.

«Simon. Was ist bloß mit dir los?» Mina schüttelte den Kopf. «Du hast es vergessen, stimmt’s?» Sie bemühte sich um eine fröhliche Stimme. «Ehrlich, Männer sind doch hoffnungslos», sagte sie in Belindas Richtung. «Heute ist nämlich unser Jahrestag.»

Simon schaute entsetzt drein, was sie nicht wunderte. Er irrte sich nur ungern. Sein Perfektionismus war einer der Gründe, warum sie sich in ihn verliebt hatte. Sie selbst führte ihr Leben auf der Überholspur und versuchte immer, so viel wie möglich gleichzeitig zu tun, und deshalb war es auch kein Wunder, dass sie ab und an stolperte. Aber so war sie eben.

Der heutige Themenabend schien jedenfalls glatt zu laufen. Hannah verteilte gerade die Nachos mit dem köstlich geschmolzenen Käse und der selbstgemachten würzigen Sauce. Und dem zufriedenen Kauen nach zu urteilen, schmeckte es allen wunderbar.

Mina überließ die Gäste ihrer Unterhaltung und ging in die Küche, um die letzten Schüsseln hereinzutragen. Als alle Teller und Schüsseln auf dem langen Tisch standen, der fast die ganze Länge des Zimmers einnahm, bat sie ihre Gäste, sich zu setzen.

«Das sieht so toll aus, Mina!», rief ihre Freundin Patsy. Sie arbeitete in einem Delikatessenladen, und Mina hatte sie vor ein paar Monaten bei einem Kochkurs zu Fischgerichten kennengelernt. «Du musst mir unbedingt die Rezepte geben.»

«Habt ihr denn nie genug davon, dass ihr ständig von Essen umgeben seid?», fragte Patsys Freund James, der als Feuerwehrmann arbeitete. «Nicht dass ich mich beschweren will …» Er legte Patsy den Arm um die Hüfte, und sie stupste ihn lachend mit dem Ellenbogen an.

Unter den begeisterten Rufen ihrer Gäste erklärte Mina, welche Gerichte vor ihnen standen, und bat sie dann, mit dem Essen zu beginnen. Die Lichterketten, der Kerzenschein und die gedimmten Lampen schufen eine wundervolle und für Mina zutiefst befriedigende Atmosphäre.

Die Getränke flossen, die Gespräche wurden lebendiger und immer wieder von Gelächter unterbrochen. Mina entspannte sich auf ihrem Platz neben Simon, beruhigt von den glücklichen Gesichtern um sie herum. Das war es, was im Leben wirklich zählte: Freunde, Liebe und gutes Essen.

Als schließlich auch die Churros verspeist worden waren und die Tischdecke mit Klecksen flüssiger Schokolade übersät war, holte Mina die Piñata und den Holzstock herein. Alle amüsierten sich lauthals darüber, wie klein die Eselsfigur aus Pappmaché war.

«Ich weiß, ich weiß, aber sie ist ja auch nur für eine Person. Eine ganz besondere Person.» Mina schaute Simon an und reichte ihm den Stock. «Heute ist nämlich unser erster Jahrestag.»

Am anderen Ende des Tisches räusperte sich George und witzelte: «Das hält kein Jahr, haben alle gesagt.»

Sie lachte ihn an. «So ein Glück, dass ich nicht auf dich gehört habe.»

Damals, als sie anfing, sich mit Simon zu treffen – heimlich, weil sie Arbeitskollegen waren –, hatte sie sich George als Einzigem anvertraut. Er hatte versucht, es ihr auszureden, weil es keine gute Idee sei, Arbeit und Vergnügen zu vermischen, besonders bei ihrem Verschleiß an Männern. Minas Beziehungen hielten nie länger als drei Monate, weswegen sie auch schnell wusste, dass Simon der Richtige für sie war. Denn er war ruhig, beständig und genau das, was sie brauchte, im Gegensatz zu ihren vorigen Freunden, die ständig auf dem Sprung waren. Sie waren alle sehr unterhaltsam gewesen, doch meistens knapp bei Kasse und auch nicht besonders treu. Simon war das genaue Gegenteil, auch wenn er sicher manchmal ein bisschen träge und verstockt wirken konnte. Ihre Spontanität und Sprunghaftigkeit war ein guter Ausgleich dazu. Sie ergänzten sich einfach perfekt.

Mit Hilfe von Big G und James band Mina die Piñata an die Vorhangstange.

«Aber schlag nicht das Fenster ein», sagte sie, und ihr Herz klopfte vor Aufregung.

Zu lauten Anfeuerungsrufen wie «Gib’s ihr» und «Hau drauf» klopfte Simon zunächst eher zaghaft gegen den Esel aus Pappmaché und Serviettenstoff. Hannah und George filmten seine erfolglosen Versuche mit dem Handy, und Mina musste sich zusammenreißen, um ihm den Stock nicht vor lauter Ungeduld aus der Hand zu nehmen und das verdammte Ding selbst kaputt zu schlagen. Dann aber, mit einem finalen Knall, platzte die Piñata auf, und eine Geschenkschachtel fiel zu Boden.

Triumphierend hob Simon sie auf, und Mina, deren Puls jetzt wie ein Expresszug durch ihre Adern raste, bugsierte ihn zurück zum Tisch und setzte sich auf seinen Schoß.

«Ich wusste nicht, dass ich ein Geschenk bekomme», sagte er und kämpfte sich durch die Verpackung. Mina hatte es ihm natürlich nicht leicht gemacht: In der Schachtel befand sich eine weitere Schachtel und darin noch eine. Schließlich kam die letzte, und Mina hielt den Atem an, als Simon das Kästchen öffnete und darin ein kleines Täschchen aus blauem Kunstleder fand.

Simon runzelte die Augenbrauen und schaute sie verwirrt an, ein unsicheres Lächeln im Gesicht. Sie lächelte zurück und stellte fest, dass ihre Hände leicht zitterten. Alle am Tisch reckten interessiert die Hälse.

Endlich öffnete Simon das Täschchen und zog einen goldenen Ring hervor. Er hielt ihn zwischen Daumen und Zeigefinger in die Höhe.

Mit strahlendem Lächeln sah Mina ihn an. «Willst du mich heiraten?»

Sie hörte, dass einige ihrer Freunde am Tisch die Luft anhielten. Andere riefen ergriffen: «Aaah!» Und sie registrierte, wie Simon erstarrte.

Schließlich hob er den Kopf und sah über den Tisch, wo seine Augen den schockierten Ausdruck eines anderen Augenpaares auffingen. Mina folgte seinem Blick – und dann brach ihre Welt zusammen. Belinda?

In der nächsten Sekunde sprang Simon auf, als könnte er gar nicht schnell genug von Mina wegkommen. Sie rutschte von seinem Schoß und fiel zu Boden.

Er warf den Ring auf den Tisch, als wäre es ein Stück heißer Lava, und starrte sie entgeistert an.

«Bist du verrückt?», zischte er mit heiserer Stimme. «Was tust du da?»

Minas Kehle schnürte sich zu. Alle starrten sie an. Was hatte sie sich bloß dabei gedacht? Es schien eine so gute Idee gewesen zu sein. Erst letzten Monat hatten sie darüber gesprochen, dass sie zusammenziehen wollten. Sie hatten über ihre Zukunft gesprochen, sogar darüber, wie viele Kinder sie mal haben wollten. Wie hatte sie das alles bloß so falsch verstehen können? Sie war sich seiner so sicher gewesen. Ja, es stimmte, Simon hatte letzten Monat etwas abgelenkt gewirkt, aber das hatte sie auf die viele Arbeit geschoben und auf den hohen Druck in seiner Abteilung, in der es einige Entlassungen gegeben hatte. Nun wurde ihr schmerzhaft bewusst, dass er mit etwas ganz anderem – oder jemand anderem – beschäftigt gewesen war.

«Aber …» Sie sah von Simon zu Belinda, deren Gesicht von heftiger Röte überzogen war und einen merkwürdigen, irgendwie verschlossenen Ausdruck hatte. Sie sahen sich erstaunlich ähnlich: wie aufeinander abgestimmt. Wie ein Paar.

Als der Zug in Minas Kopf abrupt zum Stehen kam und sie begriff, was das alles zu bedeuten hatte, fiel ihr ein Gedanke von vorhin ein: Nein, diesen Abend würde sie bestimmt nicht so bald vergessen.

2. Kapitel

Mina stürzte ihren Morgenkaffee hinunter, machte den Herd aus und betrachtete sich im Flurspiegel. Trotz der angekündigten eisigen Kälte trug sie hochhackige schwarze Halbstiefel aus Leder unter einer engen schwarzen Hose, darüber eine knallrote Seidenbluse und ein schwarzes Jackett. Falls es je ein Outfit gegeben hatte, das ausdrückte: «Mir geht es mies, aber ich lasse mich nicht unterkriegen», dann war es dieses hier. Nach dem katastrophalen Heiratsantrag am Samstag musste sie heute ihren Arbeitskollegen gegenübertreten, darunter auch Simon.

Während alle anderen Gäste sich am Abend hastig aus dem Staub gemacht hatten, waren sie und Simon ins Schlafzimmer gegangen und hatten einen schrecklichen Streit gehabt.

«Was zur Hölle hast du dir dabei gedacht?», fauchte Simon und schüttelte wütend den Kopf.

«Ich dachte, ich würde jemandem einen Heiratsantrag machen, der mir erst letzten Monat noch gesagt hat, dass er mich liebt! Jemandem, der sich um einen Immobilienmakler kümmern wollte. Jemandem, der sich Victor als Namen für unseren ersten Sohn ausgesucht hat – einen Namen, den ich im Übrigen furchtbar finde und den ich dir noch ausreden wollte. Außerdem hast du selbst vorgeschlagen, dass wir in St. Mary heiraten, in der Nähe deiner Mutter. Also entschuldige bitte, dass ich etwas verwirrt bin, denn ich dachte, ich besiegele nur das, worüber wir uns längst einig waren!»

«Das ist doch wieder so typisch. Es ist also alles meine Schuld, ja? Das hätte ich mir denken können. Wieso musstest du bloß wieder alles überstürzen? Du kannst es einfach nie abwarten.»

«Ich hätte es nicht getan, wenn ich gewusst hätte, dass du eine meiner ältesten Freundinnen vögelst.» Belinda war exkommuniziert worden: Sie verdiente die Bezeichnung «beste Freundin» nicht mehr.

Simons Mund bildete einen schmalen Strich, wodurch er aussah wie eine zahnlose Schildkröte.

«Wie lange läuft das schon mit euch?» Mina reckte ihm das Kinn entgegen.

Er seufzte. «Sie ist viel ruhiger als du. Du musst alles immer in diesem Affentempo tun, das ist mir einfach zu schnell. Genau wie dieser alberne Heiratsantrag. Belinda ist viel … ausgeglichener. Bei ihr ist alles vernünftiger.»

«Ach, jetzt ist meine Persönlichkeit also auf einmal an allem schuld, ja? Du rückgratloser Mistkerl!»

«Wir passen einfach nicht zusammen, Mina.» Simons Worte klangen steif, und er schaute sie dabei nicht an.

«Komisch, dass du damit erst heute um die Ecke kommst», blaffte sie. «Vorher hast du nie was in Frage gestellt, sondern alles schön genossen – muss ja schlimm für dich gewesen sein. Dass du all diese Dinge ertragen musstest, die ich für uns organisiert habe … ein Wochenende in Cornwall, Dinner im Le Manoir, Skistunden in der Indoor-Skihalle … Bitte korrigier mich, wenn ich mich irre, aber ich könnte schwören, dass du gesagt hast, du hättest immer so viel Spaß mit mir. Und das war, nachdem ich uns den Indoor-Fallschirmsprung gebucht hatte.»

«Spaß ja.» Jetzt schaute Simon sie doch an und erwiderte kalt: «Aber das ist doch nichts fürs Leben.»

«Was?» Ihr Herz verkrampfte. Nichts fürs Leben …

«Man kann keine Ehe, auch keine ernsthafte Beziehung darauf aufbauen, dass man Spaß zusammen hat.» Er taxierte sie wie ein Lehrer, der seiner Schülerin eine Lektion erteilte.

Bei dem Gedanken an das traurige Ende ihres Samstagabends, musste sich Mina schütteln. Dann eilte sie aus der Haustür und die Stufen hinab. Sie umklammerte ihre Laptoptasche und wickelte sich den Schal fester um den Hals, um sich vor dem beißenden Januarwetter zu schützen. Trotz des kalten Winds, der sie ins Gesicht traf, blieb sie einen Augenblick stehen. Die Worte von Samstagabend klangen ihr immer noch schmerzhaft in den Ohren:

«Man kann sein Leben nicht damit verbringen, ständig spontan zu sein und permanent auf Abenteuersuche zu gehen», hatte Simon ihr noch vorgeworfen. «In der Ehe geht es darum, erwachsen zu sein, sich niederzulassen, ruhig und vernünftig miteinander zu leben. Mit dir ist es wie auf einer ständigen Achterbahnfahrt oder wie in einem Flugzeug, und ich weiß nie, wann du mich aus der Tür schleuderst, geschweige denn, woran ich bei dir bin, und so will ich einfach nicht leben. Du bist viel zu verrückt, viel zu schnelllebig, ständig willst du alles auf einmal. Vielleicht liegt das an deinen Genen, aber ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich die an meine Kinder weitergeben möchte.»

«Meine Gene?»

«Die von deinen leiblichen Eltern. Es klingt, als wären die auch ständig auf Abenteuersuche gewesen. Sie haben die wichtigen Dinge im Leben nie ernst genommen.»

Minas Augen traten vor Wut beinahe aus den Höhlen, als er ihre längst verstorbenen Eltern erwähnte, und sie brachte kein Wort heraus. Simon merkte davon nichts, sondern redete einfach weiter. «Zu schade, dass du nicht nach deinen Adoptiveltern Miriam und Derek kommst. Ich kann nicht glauben, dass Miriam die Schwester deiner Mutter ist, sie ist so … normal.»

Noch nie in ihrem Leben war Mina so kurz davor gewesen, jemanden zu erwürgen. Zum Glück trat Simon aus ihrer Reichweite und leitete mit einem weiteren Sermon seinen Abschied ein.

«Ja, wir hatten Spaß zusammen – aber man kann doch nicht immer nur Spaß haben. Irgendwann muss man sich doch mal darauf fokussieren, was wirklich wichtig ist im Leben. Und das tust du nicht. Du bist wie ein Gummiball, du springst ständig hierhin und dorthin, immer auf der Suche nach dem nächsten Highlight. Es ist einfach zu anstrengend, mit dir zusammen zu sein.»

Und mit diesen Worten war er aus der Wohnung marschiert und hatte sie mit den Überresten der Dinnerparty allein gelassen. Wutschäumend hatte sie das Aufräumen in Angriff genommen. Beim Schrubben der Bratpfanne stellte sie sich vor, wie sie das schwere Teil Simon über den Schädel zog. Sie verbot sich zu weinen, auch wenn ihr beim Wischen der Arbeitsfläche vielleicht die eine oder andere Träne entwich. Als die Küche und der Esstisch beinahe aufgeräumt und sauber waren, nahm sie den Topf mit der restlichen Schokoladensauce und ließ sich im Schneidersitz auf dem Küchenfußboden nieder. Sie tauchte einen Finger in die Sauce, leckte ihn sorgfältig ab und schloss die Augen. Das Leben mochte mies sein, doch es gab immerhin Schokolade, die in der Welt der Ernährung Superkräfte besaß. Das jedenfalls war Minas Erfahrung. Sie tauchte den Finger ein weiteres Mal hinein. Blöder Simon, er verdiente sie gar nicht.

Als die Schokolade aufgegessen war und sie ein wenig beruhigt hatte, fielen Mina natürlich massenhaft kluge Bemerkungen ein, die sie Simon hätte an den Kopf werfen können. Vor allem: Was hatte sich denn verändert, dass er plötzlich so über sie dachte? Mina hatte sich gefühlt, als hätte man ihr ins Gesicht geschlagen.

Den Rest des Wochenendes über hallten ihr Simons Worte in den Ohren. Nicht ein einziges Mal hatte er gesagt, dass es ihm leidtat. Er hatte sich angehört, als wäre sie selbst schuld daran, dass er sie betrogen hatte. Und apropos: Diese fette feige Kuh Belinda (natürlich war sie kein bisschen fett, sie war sogar ziemlich dünn und hatte die perfekten Doppel-D-Körbchen und eine Fünfziger-Jahre-Taille, aber sie war feige) hatte ihr das ganze Wochenende über nicht mal eine Entschuldigung oder eine Erklärung geschrieben.

Zum Glück hatte Hannah ihre Schwester davon abgehalten, direkt zu Belinda zu marschieren und sie zur Rede zu stellen, weil Mina sich bloß prügeln würde. Und das Letzte, was Mina brauchte, wäre eine Anzeige wegen Körperverletzung. Nicht, nachdem sie sich vor all ihren Freunden zur Idiotin gemacht hatte. Obwohl George und Big G von der Liste gestrichen werden müssten, denn einer von beiden hatte das Video von Simon und der Piñata samt dem katastrophalen Heiratsantrag auf Facebook gepostet. Angeblich war das passiert,weil die privaten Einstellungen nicht geändert worden waren.

Als Mina auf die Straße trat, sprach ein Mann sie an. «Entschuldigen Sie, sind Sie Mina Campbell?»

«Ja?»

«Ich wüsste gern, ob Sie mir ein paar Fragen beantworten könnten.»

«Äh, ich … Klar.» Komische Zeit für eine Marktforschung, fand sie – aber da in ihrem Job vieles anhand von Umfrageergebnissen entschieden wurde, fühlte sie sich stets verpflichtet, ihren Teil dazu beizutragen.

«Wie haben Sie sich gefühlt, als Ihr Freund Ihren Heiratsantrag abgelehnt hat?»

«Was?» Sie riss die Augen auf.

«Sie sind doch die junge Frau, deren Antrag schiefgegangen ist, oder? Das Piñata-Girl.» Er lächelte ihr aufmunternd zu.

Mina wich zurück. «Wer sind Sie? Woher wissen Sie davon?»

«Jamie Jenkins. Ich arbeite für den Mirror. Die Geschichte ist überall auf Facebook. Jetzt haben Sie die Chance, die Geschichte aus Ihrer Sicht zu erzählen.»

«Ich will diese Geschichte nicht veröffentlichen. Nichts davon.»

«Dafür ist es wohl ein bisschen spät, Fräulein Campbell. Der Geist ist aus der Flasche. Kommen Sie, geben Sie mir was, das ich zitieren kann. Wie haben Sie sich gefühlt, als er abgelehnt hat? Wie lange waren Sie zusammen? Sind Sie immer noch ein Paar?»

«Nein, sind wir nicht», fauchte Mina, bevor sie sich bremsen konnte. «Und es war auch keine unüberlegte, überstürzte Aktion, wir hatten schon seit Monaten übers Heiraten gesprochen. Aber wie sich herausstellte, hat er eine neue Freundin, die er wohl vergessen hatte zu erwähnen … und er hat auch vergessen, dass sie meine beste Freundin war. Mit Betonung auf ‹war›.» Mina wusste, sie sollte aufhören zu reden, doch es kam auf einmal alles aus ihr raus, die ganze Empörung des Wochenendes, das Gefühl der Ungerechtigkeit. Ja, sie war impulsiv und sprang immer ins kalte Wasser, aber diesmal war sie wirklich den Tatsachen gefolgt. Sie wusste noch ganz genau, wann sie mit Simon über die Kirche gesprochen hatte. Sie wusste auch genau, wo sie gewesen waren, als Simon über Kinder gesprochen hatte. Was sie nicht gewusst hatte, war, dass Simon da schon längst seine Affäre begonnen hatte und ein Herz aus Stein besaß.

Plötzlich bemerkte sie den Fotografen, der von der anderen Straßenseite mit einem langen Objektiv Fotos schoss. Und sie stellte fest, dass sie dem Reporter viel zu viel erzählt hatte.

«Hören Sie, das ist alles nicht zur Veröffentlichung gedacht», sagte sie. Jetzt zitterte sie. Sie wusste kaum, was sie alles gesagt hatte.

«Sie klingen ja ziemlich wütend auf ihn», sagte der Reporter. Mit seinem scharfen Blick und dem langen Hals erinnerte er Mina an ein Wiesel. «Was haben Sie ihm gesagt? Ich persönlich hätte ihm ja einen Tritt in die Eier verpasst. Was haben Sie getan?»

«Kein Kommentar», entgegnete sie, auch wenn sie wünschte, sie hätte Simon wirklich in die Eier getreten. «Also ich will wirklich nicht, dass das in die Zeitung kommt. Das war alles ein Fehler. Es gibt keine Story. Und keine Fotos!»

Der Mann zuckte gleichgültig die Schultern und schaute bewusst nicht zum Fotografen.

Jetzt erst bemerkte Mina das kleine Aufnahmegerät in der Hand des Reporters. Nein! Sie versuchte es ihm wegzunehmen, doch er wich geschickt aus, als wäre sie nicht die Erste, die das versuchte.

Der Fotograf richtete sein Objektiv noch genauer aus, und Mina funkelte den Reporter an. «Lassen Sie mich in Ruhe.»

Wutschnaubend schwang sie ihre Tasche über die Schulter, ließ den Reporter stehen und eilte über die Straße zu ihrem Auto. Der Fotograf hastete davon, vermutlich dachte er, dass Mina es auf ihn abgesehen hatte.

Als sie an ihrem kleinen blauen Käfer stand, warf sie dem Reporter noch einen drohenden Blick zu. Er hob die Hand zum Gruß und ging dann ebenfalls schnell davon.

Im Auto ließ Mina ließ den Kopf gegen das Lenkrad sinken. «Verdammt, verdammt, verdammt.» Schlimm genug, dass alle bei der Arbeit Bescheid wussten, jetzt würde auch noch das ganze Land von Minas Story erfahren, der dummen Blondine, die sich derartig in ihrem Freund geirrt hatte. Man musste kein Genie sein, um sich die passende Schlagzeile dafür auszudenken:

Wer ist hier der Esel? oder Mit der Piñata in die Flucht geschlagen.

Seufzend schaltete sie den Motor an. Zeit, sich den Kollegen zu stellen.

 

«Ich finde, du solltest Miriam und Derek vorwarnen», sagte Hannah drei Stunden später, als Mina sie in der Mittagspause anrief.

«Wovor?» Dass Simon – den ihre Adoptiveltern für eine gute Partie hielten, weil er ihnen jedes Mal, wenn er Sonntagmittag zum Essen eingeladen war, eine Flasche vom immer gleichen Wein mitbrachte – in Wahrheit ein doppelzüngiger Mistkerl war, der Minas ehemalige beste Freundin die letzten vier Wochen lang gevögelt hatte, außer sonntags, wenn er bei den besagten Schwiegereltern essen gewesen war?

«Davor, dass die Geschichte vielleicht in der Zeitung landet. Sie werden schockiert sein.»

«Vielen Dank für dein Vertrauen.»

«Ich meinte, dass sie entsetzt sein werden, weil du ihnen nichts davon erzählt hast. Hör zu, warum gehen wir nach der Arbeit nicht gemeinsam zu ihnen? Ich könnte dir moralischen Beistand geben.»

«Danke, Han. Vermutlich brauchen sie eher medizinischen Beistand. Sie kriegen bestimmt einen Herzinfarkt, wenn sie rausfinden, dass Simon nicht der Goldjunge ist, für den sie ihn gehalten haben. Ich wette, Miriam hat schon heimlich Babysöckchen gestrickt.»

 

Hannah verriegelte gerade ihr Auto, als Mina nach einem anstrengenden Tag bei der Arbeit auf der anderen Straßenseite einparkte. Sie stellte den Motor ab und sah im Rückspiegel ihre Schwester herüberkommen – und blieb erschöpft sitzen. Was für ein Tag! Der verfluchte Simon hatte bereits jedem seine Version der Geschichte erzählt, bevor Mina überhaupt den Fuß ins Büro gesetzt hatte. Er hatte es geschafft, sie als manipulativ darzustellen. Denn er behauptete, sie hätte ihm den Antrag nur deshalb vor allen Leuten gemacht, um ihn zur Heirat zu nötigen.

Seufzend griff sie nach ihrer Handtasche und stieg aus dem Auto.

Hannah zog die Nase kraus, als sie Mina sah. «Oje. Schlimmer Tag?»

«Mehr als schlimm. Simon hat jedem erzählt, dass ich schuld an allem bin.»

«Autsch. Das tut mir leid.» Sie sah Mina mitleidig an. «Ich habe mit einer Freundin gesprochen. Sie ist Anwältin für Medienrecht. Ich wollte herauszufinden, ob du eine Verfügung erwirken könntest oder so. Aber die Kosten wären immens, und die Begründung – du müsstest auf Rufmord klagen – würde in deinem Fall wohl nicht greifen.»

Mina warf die Arme um ihre Schwester. «Han, ich liebe dich dafür, dass du es überhaupt versucht hast. Du bist die Beste.»

«Wohl kaum. Aber ich habe dich immerhin daran gehindert, zu Belinda zu gehen und ihr eine runterzuhauen. Auch wenn sie es durchaus verdient hätte.»

«Du hast mir eine Klage wegen Körperverletzung erspart, und stell dir mal vor, was dieser Reporter alles geschrieben hätte, wenn ich auch noch verhaftet worden wäre.»

«Das ist alles so unfair, Mina.»

«Keine Sorge … ich zahle es Simon schon noch heim. Gib mir nur etwas Zeit.»

Hannah grinste. «Das ist meine Schwester. Was ist dein Plan?»

«Simon macht sich große Sorgen wegen seiner Geheimratsecken …»

«Und?»

«Haarentferner ins Shampoo?»

«Aber wenn er das ins Auge bekommt? Das ist ziemlich scharfes Zeug. Du könntest verklagt werden.»

Mina rümpfte die Nase. «Okay, dann fülle ich vielleicht nur einen Haufen toter Fliegen in die Flasche oder irgendetwas Ekliges.»

«Aber wo bekommst du –»

Mina stieß ihre Schwester in die Rippen. «Ich denke mir was aus, solange ich noch den Schlüssel zu seiner Wohnung habe. Auf der Arbeit spreche ich gar nicht mit ihm und werde ihn völlig ignorieren.»

Wie Mina wusste, hatte Simon eine Haarmaske zum Einwirken. Die liebte er. Vielleicht konnte sie ein Haarfärbemittel beimischen? Blau schien wohl ziemlich schwer rauszugehen, hatte sie mal gehört. Je mehr sie darüber nachdachte, desto leichter wurden ihre Schritte auf dem Weg zum Haus ihrer Eltern.

«Oh mein Gott!» Hannah war stehen geblieben und hielt Mina mit ausgestreckter Hand fest.

«Oh mein Gott!», sagte nun auch Mina. Sie starrten beide das Verkaufsschild an, das vor dem Haus aufgestellt worden war.

«Miriam und Derek wollen das Haus verkaufen?» Hannah schüttelte den Kopf. «Glaubst du, sie haben eine Midlife-Krise oder so was?»

«Das muss ein Fehler sein», meinte Mina. «Sie würden doch niemals umziehen. Davon war nie die Rede.»

Ihre Adoptiveltern hassten Veränderung mehr als alle anderen Menschen auf der Welt. Derek arbeitete seit fünfundvierzig Jahren in derselben Firma, und alle Kollegen liebten ihn. Und Miriam hatte, seit sie sechzehn war, in Teilzeit gearbeitet, in ein und demselben Kiosk – und das, obwohl der am anderen Ende der Stadt war. Das hatte Mina nie verstanden. Es gab eine Menge Dinge an ihren Eltern, was die Schwestern nicht verstanden – wie zum Beispiel ihr völliges Desinteresse an gutem Essen oder ihre Begeisterung für den Jahresurlaub in Eastbourne, ihren Hang zur Routine: Die Wäsche wurde immer montags und mittwochs erledigt, donnerstags wurde eingekauft, freitags gab es Fish and Chips, und jeden Samstagmorgen ging es in den Park. Sonntags das Familienessen.

Gleichzeitig gab es natürlich auch eine Menge liebenswerter Eigenschaften, Miriam und Derek waren die freundlichsten, liebenswürdigsten und großzügigsten Menschen. Als Hannah und Minas leibliche Eltern in Serbien mit dem Auto über eine Klippe gerast waren, hatten Miriam und Derek sofort entschieden, ihre beiden drei und vier Jahre alten verwaisten Nichten zu adoptieren. Tante Miriam war zehn Jahre älter als ihre Schwester Georgie, und sie waren so unterschiedlich gewesen, wie man es sich nur denken konnte. Auch wenn Miriam immer sagte, dass die abenteuerlustige Georgie vor allem von ihrem Mann Stuart angestachelt worden war. Bevor die Kinder geboren waren, hatten Georgie und Stuart den Eiger bestiegen, eine Wildwasserfahrt auf dem Sambesi unternommen, waren Bungee-Jumpen in Queenstown und hatten in der Kalahari-Wüste eine Trekking-Tour gemacht. Nach der Geburt der Kinder hatten sie ihre Aktivitäten auf Kurztrips in Europa reduziert. Sie hatten Autorallyes in Serbien mitgemacht, waren Gleitschirm in Bayern geflogen oder hatten in den Pyrenäen an Mountainbike-Touren teilgenommen. Und die kinderlose Miriam hatte gemeinsam mit Derek die beiden Mädchen nur zu gern gehütet.

Mina und Hannah standen an der gekiesten Auffahrt und schauten an dem dreistöckigen Haus hinauf. Mina musste zugeben, dass es renovierungsbedürftig aussah. Seit wann war die Farbe an den Fensterrahmen im ersten Stock abgeplatzt? Und all das Unkraut, das sich überall ausbreitete?

«Es ist bestimmt ein Vermögen wert», sagte Hannah. In den letzten Jahren war die Gegend gentrifiziert worden und hatte so an Prestige gewonnen.

«Vermutlich. Aber ich hätte nie erwartet, dass sie ausziehen. Warum haben sie nie darüber gesprochen?»

 

Sie saßen um den ausgeblichenen, hellblauen Formica-Küchentisch herum, der so alt war, dass er sich vermutlich super als Retro-Stück auf Etsy verkaufen lassen würde. Die Küchenschränke mit ihren cremefarbenen Türen und der Arbeitsplatte aus Holzimitat stammten von 1970, waren aber so gut erhalten, dass sich ein Museum dafür interessieren könnte.

«Was für eine schöne Überraschung, euch beide zu sehen», sagte Miriam nun schon zum wiederholten Male, und ihre Hände flatterten um ihren Teebecher herum. «Ich kann euch allerdings gar nichts zu essen anbieten. Wir wollten uns später bloß ein paar Hähnchenfilets mit Pommes frites machen. Aber vielleicht habe ich noch irgendwo ein paar Kekse.»

Das, dachte Mina, sagte alles. Ihre Tante wusste eigentlich immer genau, was sie dahatte. Dass sie jemandem nichts zu essen anbieten konnte, war völlig gegen ihre Natur.

«Mach dir keine Gedanken», antwortete Hannah und verpasste Mina unter dem Tisch einen Tritt, bevor die etwas sagen konnte.

«Es ist allerdings gut, dass ihr vorbeischaut», sagte Derek und wand sich unbehaglich. Seit sie sich an den Tisch gesetzt hatten, war er auf seinem Stuhl herumgerutscht.

«Nun, es gibt einen Grund für unseren Besuch», entgegnete Mina direkt, damit sie es hinter sich hatte. «Simon und ich haben Schluss gemacht. Ich wollte euch das nur sagen, bevor ihr es in der Zeitung lest.»

«Oh, nein Schatz, das ist ja traurig. Er ist so ein netter Junge», rief Miriam. «Kannst du denn nichts tun, damit ihr wieder zusammenkommt?»

Und Derek ergänzte: «Bist du sicher, dass es vorbei ist und du nicht bloß überreagierst?»

Mina warf ihrer Schwester einen Blick zu. Wieso dachte eigentlich jeder, dass die Trennung mit ihr zu tun haben musste?

«Er hat sich hinter meinem Rücken mit Belinda eingelassen», sagte sie und war stolz auf ihren zurückhaltenden Ton. Der Satz verdiente schließlich mindestens zwei Schimpfworte.

«Wieso das denn?» Miriam sah ehrlich perplex aus.

«Weil er ein doppelzüngiger, betrügerischer Arsch ist.» Minas honigsüßes Lächeln überzeugte ihre Adoptivmutter nicht.

«Nun, das ist wirklich sehr schade.» Miriams Hände fuhren über die Muster ihres Teebechers.

Mina beobachtete sie genau. Die beiden hatten gar nicht danach gefragt, was es mit der Zeitung auf sich hatte.

Schließlich räusperte sich Derek. «Wir müssen euch auch etwas ziemlich Wichtiges mitteilen.» Er und Miriam tauschten einen besorgten Blick.

Mina starrte die beiden entsetzt an. War einer von ihnen krank? Sie könnte es nicht ertragen, wenn ihnen etwas passierte. Ihre leiblichen Eltern waren nur eine blasse Erinnerung, doch Miriam und Derek waren die Konstanten in ihrem Leben, unermüdlich in ihrer Liebe und Unterstützung. Sie waren ihre echten Eltern geworden.

«Wir haben beschlossen, uns zu verkleinern», erklärte Derek. «Ich werde frühzeitig in Rente gehen, und wir ziehen in einen Bungalow.»

«Wow, das sind ja eine Menge Veränderungen», sagte Mina, sie war jedoch sehr erleichtert.

«Es wird Zeit», fügte Miriam hinzu. «Das Haus ist zu groß für uns … das war es eigentlich schon immer, und wir kommen mit den Renovierungsarbeiten nicht mehr hinterher.»

Derek nickte. «Und die Abfindung ist sehr gut, ich wäre nächstes Jahr sowieso in Rente gegangen. Mit dem Geld und der Pension können wir uns ein hübsches kleines Zuhause leisten.»

«Aber wenn ihr dieses Haus verkauft, dann müsstet ihr doch ohnehin massenhaft Geld haben.» Die Häuser von dieser Größe und in dieser Gegend mussten deutlich über eine Million Pfund wert sein.

Miriam und Derek tauschten einen unsicheren Blick, dann folgte ein bedeutungsschwangeres Schweigen. Mindestens eine volle Minute lang schauten die vier sich an, während die Küchenuhr an der Wand laut die Sekunden zählte wie der Zeitzünder einer Bombe.

«Oh nein, ihr seid doch nicht etwa von einer dieser Kapitalfirmen reingelegt worden, oder?» Hannah richtete sich besorgt auf und faltete die Hände.

«Nein, nein», sagte Derek. «Das ist es nicht.»

Wieder wurde es still, und Mina hätte sie am liebsten geschüttelt, um endlich zu wissen, worum es ging. Hannah musste ihre Nervosität registriert haben, denn sie trat sie wieder unter dem Tisch. Ehrlich, wieso glaubten alle immer, dass Mina diejenige sein würde, die etwas Falsches sagte?

«Möchte noch jemand einen Tee?» Miriam griff nach der Kanne und zog den dunkelbraunen gestrickten Teewärmer ab. Sie war der einzige Mensch, den Mina kannte, der wirklich einen Teewärmer benutzte.

«Ja», sagte Derek übertrieben eifrig.

Mina schwenkte ihre Beine außer Reichweite und ignorierte Hannahs strengen Blick. «Also, was ist das Problem?»

Derek seufzte. Miriam seufzte.

«Die Sache ist die …» Derek tippte mit dem Finger auf den Tisch. «Die Sache ist … das Haus gehört uns gar nicht.»

«Oh.» Mina runzelte verwirrt die Stirn. «Hattet ihr es die ganze Zeit gemietet?»

«Aber wenn es nicht euch gehört», warf Hannah ein, «wie könnt ihr es dann verkaufen?»

Miriam lachte nervös. «Nun, wir sind …, wisst ihr, wir haben es …»

«Wir haben es vergessen», erklärte Derek.

Hannah machte große Augen. «Wie kann man vergessen, dass einem das Haus nicht gehört?» Sie warf Mina einen irritierten Blick zu.

«Na ja, wir haben uns so daran gewöhnt, hier zu leben, und da –», begann Miriam.

«Also der Eigentümer verkauft das Haus, und ihr müsst hier raus.» Mina richtete sich auf. «Aber ich bin sicher, da gibt es Gesetze, die euch schützen. Ihr seid doch seit Jahrzehnten die Mieter, man kann euch nicht einfach rauswerfen. Hannah kann das für euch klären.» Sie sah ihre Schwester an. «Wir lassen das nicht zu.»

Miriam lachte und tätschelte ihre Hand. «Das ist es nicht.»

«Wem gehört das Haus denn?», fragte Hannah.

«Nun, es gehört euch.» Miriam lächelte, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt.

 

Mina drückte auf den Knopf ihres Autoschlüssels und sah das Aufblinken des Standlichts. «Ich kann es einfach nicht fassen.»

Hannah lachte. «Wie kann man vergessen, dass einem das Haus nicht gehört?»

«Ich schätze, sie haben jetzt schon so lange darin gewohnt, dass sie es gar nicht mehr auf dem Zettel hatten. Es muss ein juristischer Albtraum gewesen sein, als unsere Eltern starben. Bei ihrem Hang zum Abenteuer hätten sie wirklich mal an ein ordentliches Testament denken können.»

Miriam hatte ihnen erklärt, dass nach dem Tod von Georgie und Stuart alles ein schreckliches Durcheinander gewesen war. Aus vielen Gründen war es einfacher gewesen, in das Haus zu ziehen, das Stuart kurz vor dem Tod von einem Onkel geerbt hatte, anstatt die beiden Kinder in ihr Mietsreihenhaus am anderen Ende der Stadt mitzunehmen – das war also der Grund für Miriams langen Arbeitsweg gewesen. Derek und Miriam waren mit den Mädchen in ein Haus gezogen, das niemand von ihnen vorher gekannt hatte, hatten dort ihr Leben als Familie begonnen und nie wieder über die Frage nach dem Eigentum nachgedacht, bis sie beschlossen hatten, sich zu verkleinern.

«Es ist gut, dass wir Ihnen die Vollmacht für den Verkauf gegeben haben», sagte Hannah.

«Es ist nur fair. Sie haben all die Jahre Geld hineingesteckt, um es zu erhalten. Ich finde, sie sollten von dem Verkauf so viel bekommen, dass sie sich das kaufen können, was sie möchten. Und dann wird immer noch genug übrigbleiben. Ich betrachte es als ihr Haus, nicht unseres.»

«Mein Gott, das Haus ist mit 1,3 Millionen Pfund bewertet. Selbst wenn sie nur die Hälfte für ein neues Haus ausgeben, haben wir immer noch reichlich. Es macht viel mehr Sinn, wenn sie sich damit ein neues Haus kaufen und ihre Ersparnisse behalten, vor allem wenn Derek jetzt in Rente geht. Mit dem Geld können sie sich wirklich einen schönen Bungalow kaufen.»

Hannah schwieg in Gedanken versunken und ging eine Weile schweigend neben ihrer Schwester weiter, dann drehte sie sich plötzlich zu Mina um.

«Wenn du alles tun könntest, was du wolltest, was würdest du dann machen?»

«Wie – mit einem Teil des Geldes, meinst du?»

«Ja. Wenn du deinen Job kündigen könntest und irgendwo hingehen und etwas völlig anderes tun könntest.»

«Ich weiß nicht … Wieso, was würdest du denn tun? Ich dachte, du magst deinen Job.»

«Ja, klar, aber selbst du musst zugeben, dass er ein bisschen langweilig ist. Ich möchte mehr. Ich würde zum Beispiel wirklich mal gern irgendwo anders hingehen und richtig kochen lernen.»

«Also ich schmeiße ja immer einfach alle Zutaten zusammen und hoffe das Beste.» Mina zuckte die Schultern.

«Das stimmt nicht. Du bist eine geborene Köchin. Du probierst neue Sachen aus und hast echtes Talent – wogegen ich immer Sorge habe, dass ich etwas falsch mache. Ich wünschte, ich hätte im Abitur Lebensmitteltechnik gewählt, so wie du.»

«Ich glaube nicht, dass dir das eine Zulassung fürs Jurastudium gebracht hätte. Und ich liege ja auch manchmal daneben. Erinnerst du dich an meine Rote-Bete-Baisers?»

«Die schmeckten gar nicht schlecht», sagte Hannah und musste plötzlich lachen, als sie an die matschigen roten Haufen dachte. «Aber ich wüsste noch nicht mal, wo ich anfangen sollte, selbst wenn ich so etwas ausprobieren wollte. Ich möchte einfach richtig kochen lernen. Vom Brotbacken über Patisserie bis zur Fleischzubereitung … In Irland gibt es diese großartige Akademie, an der man einen dreimonatigen Lehrgang machen kann.»

«Wow, das klingt ja, als hättest du dir schon ernsthaft darüber Gedanken gemacht.» Mina war beeindruckt. Sie dachte selten so rational über ihre Zukunft nach – sie sprang von einem Abenteuer zum nächsten –, und für einen kurzen Moment überlegte sie, was sie tun würde, wenn sie ihren Job verlöre.

«Ja, das war immer mein Traum», fuhr Hannah fort. «Der Kurs ist unglaublich teuer, aber», ihre Augen glitzerten vor Aufregung, «mit einem Teil des Verkaufserlöses könnte ich es mir endlich leisten.»

«Dann ist das doch ein Glücksfall», sagte Mina und drückte ihre Schwester, ohne auf den kleinen Stachel der Eifersucht zu achten, weil Hannah offenbar schon so genau wusste, was sie tun wollte. Sie schien ihr Leben voll im Griff zu haben, während Mina gerade überhaupt nicht wusste, was sie eigentlich wollte. Plötzlich kamen ihr das Leben und die Zukunft leer vor. Vor einer Woche noch war sie fröhlich und unbesorgt gewesen, und jetzt schien alles zum Stillstand gekommen zu sein. Aber wenn sie richtig darüber nachdachte, lag das gar nicht an Simon und daran, dass er sie verlassen hatte.

Unbehaglich stellte sie fest, dass sie keine Ahnung hatte, was sie wirklich in ihrem Leben tun wollte. Und zum ersten Mal fühlte sie sich beinahe verloren.

3. Kapitel

Aber das war doch außerhalb der Arbeit!», protestierte Mina.

Ian Walters, der Personalleiter, verschränkte die Arme.„Tatsache ist, dass Simon offiziell Beschwerde gegen dich eingereicht hat und …» Er seufzte. «Mina, ich muss was unternehmen.»

«Das ist verdammt unfair.»

«Schau, wenn er die Sache noch weitertreiben will, könnte es viel schlimmer kommen. Was, wenn er dich verklagt?» Er fuhr sich durch die Haare. «Was hast du dir bloß dabei gedacht?»

Mina verschränkte ebenfalls die Arme. «Ich habe gedacht, dass er ein betrügerischer Arsch ist – und dass blaue Haare ihm bestimmt stehen.»

Ian bemühte sich, ein Grinsen zu unterdrücken, was ihm allerdings nur schlecht gelang. «Du weißt, dass alle den Fall ‹Schlumpf-Gate› nennen?»

Mina grinste. «Wirklich?»

«Ja, und ich verhalte mich gerade total unprofessionell. Ich weiß, dass es nicht bei der Arbeit passiert ist, doch Fakt ist, dass du – keine Ahnung, wie ich es nennen soll … es ist keine Körperverletzung oder ein kriminelles Vergehen, aber du hast einem Kollegen geschadet.»

«Na ja, er sah vielleicht ein paar Tage lang ein bisschen fleckig aus.» Sie zuckte die Schultern. «Du hättest das Ergebnis bei Belinda mal sehen sollen – zum Glück arbeitet sie nicht hier.»

Ein wütender Simon hatte ihr die Bilder gezeigt. Und trotz ihrer aufmüpfigen Haltung hatte Mina ein wenig Reue verspürt. Belinda hatte mit ihren Haaren ausgesehen wie eine verschimmelte Meerjungfrau: Ihre blondierten Strähnen hatten verschiedene Schattierungen der blauen Farbe aufgenommen, und es sah furchtbar aus. Selbst Mina fand, dass Belinda das nicht verdient hatte. Es würde Monate dauern und viele Friseurrechnungen kosten, um den alten Zustand wieder herzustellen.

«Mina, du musst dich wirklich mal sortieren.»

Bei diesen Worten zuckte sie zusammen. Es war das eine, sich selbst darauf hinzuweisen, dass man nicht wusste, was man wollte – aber es war etwas völlig anderes und deutlich schmerzhafter, das von jemandem zu hören, den man respektierte und bewunderte.

«Ich sage das als Freund. Du musst mal deinen überschäumenden Enthusiasmus zügeln und pragmatischer denken. Dein letztes Zeugnis sagt es ja ziemlich deutlich: Du bist kreativ und fleißig, aber manchmal tendierst du einfach zur Übertreibung. Heston Blumenthal kann sich vielleicht experimentelle Geschmacksrichtungen leisten – aber du nicht. Unsere Kunden sind nicht bereit für Orangen-Fenchel-Gebäck. Sie wollen ihre Weihnachtskekse auf traditionelle Weise. Und das ist dein Job: Ihnen genau das zu geben.»

Das wusste Mina natürlich, trotzdem musste sie protestieren. «Aber das ist langweilig. Hast du mal meine Mince Pies probiert?»

«Ja, und sie waren köstlich. Trotzdem musst du dich an die Vorgaben der Firma halten.»

«Das verstehe ich ja, aber man muss die Grenzen doch auch manchmal überschreiten, sonst entwickeln wir uns nie weiter.» Mina verstand die Firmenpolitik nicht. Letztes Jahr rangierten die Mince Pies in den Verbrauchertests gerade mal auf Platz fünf von zehn. Good Housekeeping gab ihnen bloß die Note «Drei», und sie konnte es ihnen nicht verdenken. Ihr neues Rezept hätte wenigstens für etwas Aufmerksamkeit gesorgt, statt bloß Mittelmäßigkeit auszustrahlen.

«Mina, hör mir zu. Simon will Blut sehen. Du musst dich jetzt zurücknehmen und den Ball flach halten. Du hast doch noch massenhaft Urlaubstage. Wieso nimmst du dir nicht ein paar Wochen frei? Und denkst mal darüber nach, was du willst. Ob der Job deine Kreativität befriedigen kann. Du bist eine hervorragende Rezeptentwicklerin, aber … bist du hier wirklich am richtigen Ort?»

Mina starrte ihn an. «Wirfst du mich etwa raus?»

«Nein, im Gegenteil. Du gehörst zu unseren besten Mitarbeitern – wenn du dich an die Regeln hältst. Ich würde dich ungern verlieren, aber ich fürchte, dass deine Arbeit hier nicht das ist, was du wirklich willst. Fahr doch mal eine Weile weg, denk drüber nach. Und dann kommst du wieder, wenn die Situation sich beruhigt hat.»

«Aber ich bin hier nicht falsch, ich –»

Ian zog die Augenbrauen hoch, und sie schluckte runter, was sie noch sagen wollte. Eigentlich waren ein paar Wochen Urlaub eine tolle Idee. Sie konnte wirklich etwas Zeit zum Nachdenken gebrauchen. Da draußen wartete eine ganze Welt auf sie. Vielleicht war jetzt der Moment gekommen, sich wie Hannah Zeit für sich zu nehmen.

 

«Hallo, Hannah.»

«Huch, was ist los? Was willst du?», fragte ihre Schwester misstrauisch.

«Wieso fragst du?» Mina war leicht gekränkt. Sie saß auf dem Rand ihres Bettes und betrachtete den ziemlich bescheidenen Kleiderhaufen, den sie in ihren Koffer packen wollte.

«Weil du ‹Hallo› gesagt hast und meinen Namen. Normalerweise redest du gleich drauflos, als wären wir mitten im Gespräch. Was ich sehr liebenswert finde. Aber wenn du ‹Hallo, Hannah› sagst, dann weiß ich, dass du was von mir willst.»

«Na ja, jetzt, wo du es sagst … Könntest du mich Donnerstagnachmittag zum Flughafen fahren?»

«Moment mal: Flughafen. Donnerstag. Meinst du diesen Donnerstag, also in zwei Tagen?» Sie stöhnte. «Was ist passiert?»

«Weißt du noch, als du gesagt hast, es wäre eine blöde Idee, Haarentferner in Simons Shampooflasche zu tun?»

«Oh Gott, du hast das nicht wirklich getan», rief Hannah entsetzt.

«Nein, warte. Habe ich nicht. Ich habe mich beherrscht.»

«Gott sei Dank.»

«Und mich stattdessen für die blaue Haarfarbe entschieden.»

«Oh, verdammt, Mina! Wieso tust du so etwas? Ehrlich. Konsequenzen – weißt du noch, was das ist?»

«Ja, und diesmal hat mir die Personalabteilung ganz schön die Leviten gelesen. Weil Simon sich über mich beschwert hat.»

«Dieser schleimige Kerl. Das hat doch nichts mit –»