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Bestsellerautorin Julie Caplin lädt ein zu prickelndem Champagner, butterweichen Croissants und französischem Charme … Die junge Eventmanagerin Hattie braucht dringend neue Inspiration. Denn mit gebrochenem Herzen und dem Kopf voller Sorgen lassen sich keine fröhlichen Feste organisieren. Als sich ihr die Möglichkeit bietet, den Sommer über in Frankreich zu arbeiten, packt sie ihre Koffer schneller, als ein Sektkorken knallen kann. Auf einem wunderschönen Weingut in der Champagne soll sie eine große Hochzeit planen. Außerdem freut sie sich auf neue kulinarische Highlights und sommerliche Ausflüge. Mit einem romantischen Abenteuer rechnet Hattie nicht. Doch dann begegnet sie dem Sohn der Winzerfamilie. Luc ist sehr charmant, und er plant, mit seinen Reben erstmals wieder Champagner zu produzieren. Aber das Weingut für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen, hält er für keine gute Idee. Hattie muss sich mächtig ins Zeug legen, um ihn zu überzeugen. Und zwar nicht nur von ihren Ideen … Band 10 der Romantic Escapes-Reihe – ein Wohlfühlroman mit allem, was das Herz begehrt: eine romantische Liebesgeschichte, liebenswürdige Figuren und viel Lokalkolorit.
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Julie Caplin
Roman
Sie saß hier mit einem gut aussehenden Mann und würde gleich ein köstliches Essen genießen. Das Leben war schön. Jetzt war nicht die Zeit, um über die Zukunft nachzugrübeln. Sie wollte diesen Sommer genießen, und das würde sie verflixt noch mal auch tun.
Die junge Eventmanagerin Hattie braucht dringend neue Inspiration. Denn mit gebrochenem Herzen und dem Kopf voller Sorgen lassen sich keine fröhlichen Feste organisieren. Als sich ihr die Möglichkeit bietet, den Sommer über in Frankreich zu arbeiten, packt sie ihre Koffer schneller, als ein Sektkorken knallen kann. Auf einem wunderschönen Weingut in der Champagne soll sie eine große Hochzeit planen. Außerdem freut sie sich auf neue kulinarische Highlights und sommerliche Ausflüge. Mit einem romantischen Abenteuer rechnet Hattie nicht. Doch dann begegnet sie dem Sohn der Winzerfamilie. Luc ist sehr charmant, und er plant, mit seinen Reben erstmals wieder Champagner zu produzieren. Aber das Weingut für Veranstaltungen zur Verfügung zu stellen, hält er für keine gute Idee. Hattie muss sich mächtig ins Zeug legen, um ihn zu überzeugen. Und zwar nicht nur von ihren Ideen …
Julie Caplin lebt im Südosten Englands, liebt Reisen und gutes Essen. Als PR-Agentin hat sie in zahlreichen Großstädten auf der ganzen Welt gelebt und gearbeitet. Mittlerweile widmet sie sich komplett dem Schreiben. Mit ihrer Romantic-Escapes-Reihe landet sie regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschienen die Bände «Die kleine Bucht in Kroatien» und «Das kleine Schloss in Schottland». Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großes Lesevergnügen.
Christiane Steen ist Programmleiterin und Übersetzerin. Sie lebt in Hamburg.
Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel «The French Chateau Dream» bei One More Chapter/HarperCollins Publishers, London.
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, April 2024
Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg
«The French Chateau Dream» Copyright © 2023 by Julie Caplin
Redaktion Nadia Al Kureischi
Covergestaltung FAVORITBUERO, München
Coverabbildung Shutterstock
ISBN 978-3-644-01998-0
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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Dieses Buch ist all jenen gewidmet, die sich mit schwierigen Familienthemen herumschlagen müssen – möge es für euch ein Licht am Ende des Tunnels geben.
Hattie lachte vor Glück laut auf, dann stellte sie den Motor ab und blieb noch einen Moment im Auto sitzen, um das Gebäude vor sich in Ruhe in Augenschein zu nehmen. Es übertraf all ihre Erwartungen. Die strahlende Nachmittagssonne ließ die hellen Steinmauern und weißen Mauerkronen leuchten, sodass sie selbst hinter ihrer Sonnenbrille blinzeln musste. In Wahrheit hatte sie gar nicht recht gewusst, was sie erwarten würde, aber definitiv nicht diese beeindruckende Fassade des Châteaus Saint Martin! Das Schloss war prachtvoll, majestätisch, märchenhaft, und es würde für die nächsten zwei Monate ihr Zuhause sein.
Es kam ihr wie ein Wunder vor, dass sie sich heute Morgen aus dem grau bedeckten Surrey aufgemacht hatte und nach nur sechs Stunden im strahlenden Sonnenschein angekommen war, wo alles um sie herum in voller Blütenpracht stand. Es fühlte sich an, als käme sie gerade aus dem Winterschlaf, und ihre spontane Freude war bestimmt ein gutes Omen. In den letzten Monaten hatte sie nur wenig zu lachen gehabt. Zu sehr war sie damit beschäftigt gewesen, sich irgendwie durchs Leben zu kämpfen.
Jetzt aber wollte sie raus und den Moment genießen. Sie öffnete die Wagentür und kletterte hinaus. In der warmen, duftenden Luft wurden ihre Sinne sogleich daran erinnert, dass sie nicht mehr in England war. Eine Reihe von Kirschbäumen, die neben der Auffahrt wuchsen, explodierten förmlich vor rosa Blüten, und hier und da flatterten die Blütenblätter wie Konfetti durch die Luft, so als wollten sie sagen: Das hier ist der perfekte Ort für eine Hochzeitsfeier.
Beinahe hätte sie sich in den Arm gekniffen, um sicherzugehen, dass sie nicht träumte. Die letzte Woche war furchtbar gewesen, und sie war immer noch nicht sicher, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, Chris und ihren Job aufzugeben. Doch in dem Moment, als der Autozug Folkestone verließ und sie unter dem Kanal hindurchfuhr, hatte es sich so angefühlt, als verabschiede sie sich körperlich von ihrem alten Leben. Sie musste sich auf das Hier und Jetzt konzentrieren, auch wenn sie die nächsten Wochen hart würde arbeiten müssen. Sie hatte eine Menge zu beweisen, und Scheitern war keine Option. Zugegeben, sie war vielleicht nicht die erste Wahl als Hochzeitsplanerin ihrer Cousine Gabby gewesen, doch jetzt hatte sie den Job. Und es würde ein Erfolg werden, was es sie auch kosten mochte.
Im Lauf der letzten Jahre hatte sie sich als Assistentin in das Hochzeitsgeschäft eingearbeitet – ja, vielleicht hatte sie ihrem Onkel gegenüber ein klein wenig übertrieben, was ihre Erfahrungen anging, doch sie hatte eine Menge gelernt, während sie Telefonate beantwortete, Treffen vereinbarte und die Rechnungen überwies.
Sie nahm ihre Reisetasche aus dem Wagen, holte tief Luft und roch den frischen Duft von Rosmarin und Majoran, der aus dem Beet neben ihr aufstieg. Ein Neuanfang, Hattie. Ein Neuanfang. Sie hob das Kinn und schaute wieder zum Schloss.
Wenn es drinnen ebenso spektakulär aussah, würde Gabby eine fantastische Hochzeit bekommen. Das Setting war wunderschön, genau wie die traumhafte Landschaft, durch die Hattie von Reims nach Saint Martin gefahren war. Die sanften Hügel waren mit gleichmäßigen Reihen leuchtend grüner Weinstöcke bedeckt, die sich wellenförmig über die Konturen des Landes zogen. Diese nicht enden wollenden Linien, die sich über Hügel und Felder in die Ferne erstreckten, wurden nur von knorrigen Stümpfen unterbrochen, die das junge Blätterdach stützen.
Der Anblick faszinierte Hattie. Die Weinstöcke waren viel kleiner, als sie es sich vorgestellt hatte – aber was wusste sie schon von Wein, außer dass er aus Trauben gemacht wurde und ihr schmeckte? Vielleicht konnte sie ein wenig darüber lernen, wo sie schon mal hier war, auch wenn sie das Thema immer etwas einschüchterte. Ihr Onkel Alexander hielt die Hälfte der Anteile an einem Weinunternehmen in London und brachte immer hochklassige Weine mit zu ihren Eltern.
Als allerdings seine Überweisung auf ihr Konto eingegangen war, hätte Hattie sich beinahe an ihrem Kaffee verschluckt. Die Anzahl von Nullen hatte ihr Schwindel verursacht und sie gleichzeitig fast high gemacht. Offenbar spielte Geld für die Hochzeit seiner Tochter keine Rolle.
Er hatte ihr gesagt, sie hätte für den Tag der Trauzeremonie im Schloss völlig freie Hand, auch wenn er bereits ein ganzes Hotel für die Gäste und die Angehörigen der Braut gebucht hatte. Man hatte ihr außerdem gesagt, dass es vor Ort eine Haushälterin gab, sie aber weiteres Hilfspersonal anheuern dürfe, wenn sie es für sinnvoll hielt. Hattie hatte in ihrem ganzen Leben noch niemanden angestellt, und auch wenn der Gedanke sie nicht beunruhigte, wollte sie im Moment nicht für andere verantwortlich sein müssen. Das war sie schon viel zu lange gewesen.
Während sie bewundernd zum Haus hinüberschaute, öffnete sich die Haustür, und ein großer Mann trat auf die Türschwelle.
«Wollten Sie noch mal klopfen oder den ganzen Tag da stehen und darauf hoffen, dass sich die Tür von selbst öffnet?» Sein Englisch war trotz des deutlichen französischen Akzents perfekt. Und seinem amüsierten Gesichtsausdruck nach fand er ihre törichte Bewunderung des glanzvollen Hauses sehr unterhaltsam.
Hattie wurde rot und hob mit königlicher Geste die Hand. Sie würde sich von niemandem einschüchtern lassen. Sie war Hattie Carter-Jones, und sie war hier, um ihre Arbeit zu erledigen.
Doch als sie mit ihrer Reisetasche näher trat, setzte ihr Herz einen Schlag aus. Du liebe Güte, was um alles in der Welt taten die hier ins Wasser? Der Mann in der Tür hatte die unglaublichsten blauen Augen und die dichtesten, dunkelsten Wimpern, die sie je gesehen hatte, und dazu einen Kopf voller zurückgeworfener dunkler Locken. Er trug dunkelrosa Shorts, unter denen lange, muskulöse Beine hervorragten.
Hattie öffnete den Mund, doch nichts kam heraus.
«Kann ich Ihnen helfen?», fragte er. «Haben Sie sich verlaufen?»
Der Mann zog eine Augenbraue hoch, und sie wusste, dass er seine Wirkung auf Menschen genau kannte. Sie musste absolut dämlich aussehen, wie sie ihn so anstarrte.
«Äh … hi!», sagte sie schließlich. Bei dem Versuch, ihre Stimme in den Griff zu bekommen, rutschte sie allerdings eine Oktave tiefer als sonst. «Bonjour. Ich bin Hattie.»
«Hattie?» Grinsend ließ er das H weg, was unheimlich sexy klang und ihr einen Schauer über den Körper jagte. «Süß.»
Meinte er ihren Namen oder sie? Das brachte sie nur noch mehr durcheinander.
«Nun, eigentlich ist es Harriet, aber die meisten nennen mich Hattie, was mir deutlich lieber ist, weil … ich weiß nicht, finden Sie nicht auch, dass Harriet ein bisschen klingt wie eine jungfräuliche alte Tante oder irgendwas total Verstaubtes?» Sie plapperte einfach drauflos, und er versuchte nicht einmal, seine Belustigung über ihren verbalen Erguss zu verbergen. Dann merkte sie, dass sie vermutlich viel zu schnell redete und auch noch von etwas, das man nicht so leicht verstand.
Kurzerhand machte sie ein paar Schritte vor und streckte ihre Hand aus.
Er nahm sie, und Hattie schüttelte seine Hand mit festem Druck, in dem Versuch, etwas Würde zurückzugewinnen, was allerdings völlig hoffnungslos war, da seine Hand gegen ihre riesig wirkte.
Dieses verdammte Lächeln auf seinem Gesicht vertiefte sich, als wüsste er wieder genau, was er da tat. Sie fühlte sich wie eine kleine Fliege, die von einer Zeitung getroffen worden war.
«Luc Brémont.»
Gott, allein wie er seinen Namen mit diesem hinreißenden Akzent aussprach, machte sie innerlich ganz wuschig.
Wieder stand sie da wie eine hirnlose Idiotin. Sie musste sich wirklich zusammenreißen. Es war beinahe, als müsste sie sich nach einer langen Abwesenheit erst wieder an die Realität gewöhnen.
«Also, kann ich Ihnen helfen?», fragte er.
«Ich … arbeite hier … Ich bin die Hochzeitsplanerin.»
«Die Hochzeitsplanerin?» Er starrte sie mit verwirrtem Ausdruck an.
Gab es so etwas in Frankreich nicht? «L’organisateur de mariage?»
«Ich weiß, was eine Hochzeitsplanerin ist», sagte er mit einem Blick, der deutlich machen sollte, dass er kein Idiot war. «Ich hätte nur erwartet, dass Sie Ihre Ankunft ankündigen.»
«Ich habe angerufen.»
«Wann?»
Wieso war das wichtig? Glaubte er ihr etwa nicht? Sie hob das Kinn. «Vor zwei Tagen.»
Er zog die Augenbrauen hoch.
«Ich habe mit einer Frau gesprochen.» Im Nachhinein musste Hattie zugeben, dass die Frau ziemlich kurz angebunden gewesen war, trotz Hatties hilflosem Gestotter durch ihre vorbereitete Google-Übersetzung von Je suis l’organisateur de mariage. J’arriverai dans deux jours. «Ich habe mich angekündigt. Sogar auf Französisch», fügte sie entrüstet hinzu, weil sie nicht wollte, dass er sie für eine dieser hochmütigen Personen hielt, die erwarteten, dass alle Welt Englisch sprach.
«Hmm.» Über Lucs hübsches Gesicht huschte ein kurzes Stirnrunzeln, als wäre er immer noch nicht überzeugt.
«Doch, habe ich wirklich. Ich wäre nicht einfach aufgetaucht.»
«Die Hochzeit ist erst in zwei Monaten.»
«Das stimmt, aber es braucht ja auch ein wenig Vorbereitung», sagte sie knapp. Sie wollte nicht zugeben, dass sie etwas voreilig gehandelt hatte. Aber als Chris sie vor die Wahl gestellt hatte, er oder Frankreich, war sie mit beiden Füßen in die Luke gesprungen, die sich ihr zur Flucht auftat. Sie würde sicherlich nicht zugeben, dass sie praktisch umgehend ins Auto gesprungen war. Denn für die Hochzeitsagentur Bliss, bei der sie arbeitete, liefen die Geschäfte gerade nicht gut, und wie sie richtig vermutet hatte, hatte man sie nur zu gern ziehen lassen.
Sie lächelte Luc gewinnend an. «Ich hoffe, das ist kein Problem. Soweit ich weiß, ist das Château für die nächsten zwei Monate gebucht worden. Sie haben hier wirklich ein wunderschönes …» Konnte sie es «Heim» nennen? Gab es wirklich Menschen, die an Orten wie diesen wohnten? «… einen wunderschönen Ort.» Und was für ein Glück sie hatte, dass sie die nächsten zwei Monate hier wohnen würde.
«Ja, es ist ein wunderschöner Ort», stimmte er zu, doch seine schönen Augen verdunkelten sich. «Aber ich weiß nicht, ob Sie gemerkt haben …» Er machte eine kleine Pause. «… dass es auch ein aktives Weingut ist. Und das Haus meiner Familie. Mein Vater hat nur zugestimmt, das Château zu vermieten, weil Monsieur Carter-Jones ein alter und sehr guter Freund von ihm ist.»
Diese höfliche Erinnerung machte Hattie nachdenklich. Eine Horde von Partygästen, die durchs Haus strömten, während er hier arbeiten wollte, war vermutlich nicht das, was er unter Vergnügen verstand, aber die eigentliche Hochzeit war ja nur einen Tag lang, und die Gäste würden die Woche im Hotel übernachten. Ihr Onkel hatte sogar mehrere Eurostar-Abteile gebucht, damit einige Gäste nur für diesen einen Tag anreisen konnten. «Ich scheue keine Kosten» beschrieb nicht annähernd sein Credo für diese Hochzeit.
«Sind Sie nur übers Wochenende hier?», fragte er mit hoffnungsvollem Blick auf die Reisetasche in ihrer Hand.
«Nein», antwortete sie bestimmt.
«Sie haben wenig Gepäck.»
Hattie lachte. «Von wegen.» Sie schaute zurück zum Auto, wo noch ein Koffer wartete.
«Ah.» Er verstand schnell. «Brauchen Sie Hilfe?»
«Nein. Nein, alles gut», erwiderte sie. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie würde irgendwelche Portiersdienste von ihm erwarten – dafür war sie viel zu eigenständig. «Es tut mir leid, dass Sie mich nicht erwartet haben. Aber ich brauche niemanden, der mir hilft oder so.»
«Wie Sie wollen», sagte er trocken.
Sie runzelte die Stirn. War er jetzt beleidigt? Allmählich reichte es ihr, ständig auf Zehenspitzen um fragile männliche Egos herumzuschleichen. Das hatte sie lange genug getan.
«Das», sagte sie entschieden, «war als Friedensangebot gemeint. Es tut mir leid, dass ich mich nicht deutlicher angekündigt habe, aber hier bin ich nun.» Er würde damit klarkommen müssen.
Zu ihrer Überraschung schenkte er ihr ein so charmantes und strahlendes Lächeln, dass ihre Nervenenden knisterten. Dann ging er zu ihrem Auto, öffnete den Kofferraum und zog ihren Koffer heraus, als wiege er nicht mehr als ein Federkissen. Die Muskeln in seinen kräftigen Armen traten hervor, und sie spürte, wie sich etwas tief in ihrem Bauch anspannte.
«Kein Problem», sagte er und warf ihr über die Schulter noch ein Lächeln zu. «Ich sollte mich wohl entschuldigen. Wir haben so etwas noch nie gemacht, unser Weingut für eine Hochzeit zu vermieten. Ich schätze also, wir müssen uns alle irgendwie einspielen.»
Und als er an ihr vorüberging, fügte er hinzu: «Kommen Sie rein.»
Sie folgte ihm in die breite, luftige Eingangshalle, deren sanftgelbe Wände durch das Sonnenlicht einen goldenen Schein erhielten. Die Blumen, die in einer riesigen Vase auf einem eleganten Konsolentisch standen, erfüllten die Luft mit einem Duft nach Sommerglück. Einen Moment lang stand Hattie nur da und spürte eine plötzliche Heiterkeit in sich aufsteigen.
Sie sah sich um. Eine breite weiße Marmortreppe, die an einer Seite von kunstvollem Maßwerk aus schwarzem und goldfarbenem Eisen eingefasst wurde, schwang sich aus dem oberen Stock in die Halle, und die gerundeten und geglätteten Stufen ergossen sich hier unten wie die Schleppe eines Hochzeitskleides. Auch wenn die Halle nur spärlich möbliert war, besaß alles eine exquisite Qualität, auch die goldgefassten Tische mit ihren schmalen Beinen, die an den Wänden standen, oder die eleganten Jugendstil-Statuen gertenschlanker Frauen aus Bronze, die die Blicke mit ihrer zarten Schönheit auf sich zogen.
«Das ist …» Sprachlos schaute sie ihn an. Vermutlich traten ihr gerade die Augen aus dem Kopf. Das hier war ein wirklich vornehmes Haus. Es war schwer vorstellbar, dass hier Menschen tatsächlich wohnten.
«Hübsch, oder?», fragte Luc mit einem Augenzwinkern und schritt schnell in den hinteren Teil des Hauses.
Sie eilte ihm nach und bewunderte dabei den Sitz seiner Shorts, die seinen Hintern ziemlich hübsch einfassten. Und auch wenn das eigentlich ein total unangemessener Gedanke war: Dieser Luc war echt heiß. Natürlich spielte er völlig außerhalb ihrer Liga. Sie dachte an ihren Ex-Freund Chris mit seinen gammeligen Heavy-Metal-T-Shirts und den schlabberigen Jogginghosen – und seufzte innerlich. Er war nicht immer so herumgelaufen. Als sie zur Uni gingen, hatte er seine Button-down-Hemden geliebt. Aber das schwindende Niveau seines Kleidungsstandards spiegelte den Schwund seiner Lebensfreude. Hätte sie ihm deutlicher sagen sollen, dass er sich besser anziehen sollte? Aber man konnte auch nicht ständig am anderen herumkritisieren. Sie hatte sich schon die ganze Zeit wie eine Nervensäge gefühlt. Aber die Trennung fühlte sich immer noch frisch und nicht abgeschlossen an. Und obwohl es das war, was sie wollte, hatte Hattie Schuldgefühle.
Luc bog in einen langen Flur ab, der parallel zur Frontseite durch das ganze Haus zu führen schien. Sie gelangten in eine riesige Küche, die erkennbar das Herz des Hauses war. Mehrere gut gealterte Holzbalken durchzogen die Decke, von der drei große antike Glaslampen herabhingen. Alles andere, darunter die beiden Anrichten, der lange Frühstückstresen und der Esstisch mit seinen zwölf Sitzplätzen, bestand aus wunderschön abgestimmten Schattierungen von Weiß und Grau, mit Ausnahme der hellen Kupferpfannen, die von einer Stange über dem großen, grafitgrauen Edelstahlherd hingen. Trotz der geschmackvollen Einrichtung strahlte der Raum eine gemütliche Wärme aus und schien geradezu zum Sitzen und Verweilen einzuladen. Als Hattie dort im hellen Sonnenlicht stand, das durch die bodentiefen Fenster mit Blick auf einen hübschen Innenhof hereindrang, breitete sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln aus.
«Das ist ja ein Traum», sagte sie.
«Gut. Es wäre ja auch schade, wenn es Ihnen nicht gefallen würde, wo Sie so lange bleiben wollen.»
Gott, waren alle Franzosen so direkt?, fragte sie sich. Obwohl seine Worte von einem neckenden Grinsen abgemildert wurden.
«Hätten Sie gern einen Kaffee, oder trinken Sie eher Tee?»
«Nicht alle Briten trinken den ganzen Tag Tee, wissen Sie?» Hattie spürte, wie ihr eigentliches Selbst sich wieder heraustraute. Es sah ihr gar nicht ähnlich, sich von irgendjemandem einschüchtern zu lassen. Vielleicht lag es daran, dass sie sich hier wie ein Fisch an Land fühlte. So vollkommen außerhalb ihrer Komfortzone.
«Ich habe eine Weile in London gelebt», erklärte Luc. «Und alle meine Mitbewohner haben diesen grauenvollen Instantkaffee getrunken.» Er schauderte gespielt. «Es war die reinste Folter.»
«Manche von uns trinken auch ordentlichen Kaffee», antwortete sie lächelnd. «Und ich mag tatsächlich gar keinen Tee, sehr zum Leidwesen meiner Familie – sie scheinen alle praktisch davon zu leben. Aber mir ist ein ordentlicher Kaffee lieber.»
«Ich mag Sie jetzt schon.»
Selbst wenn er es nur so dahinsagte, fing ihr Herz trotzdem an zu flattern.
«Kaffee steht hier.» Er öffnete einen Schrank und deutete auf ein großes Glas mit Kaffeebohnen. «Bitte bedienen Sie sich, wann immer Sie wollen. Die Kaffeemühle ist da drüben. Die Cafetière hier drin. Die Milch steht im Kühlschrank, und die Tassen sind alle in der Anrichte dort.»
«Super», sagte Hattie mit unbeschwertem Lächeln. Er machte ihr gerade ziemlich deutlich, dass sie sich schon selbst helfen musste. Und das würde sie auch sogleich tun. Sie trat vor, um sich den Behälter mit den Kaffeebohnen zu nehmen, denn sie hatte seit Calais nicht mehr angehalten und hätte für einen Kaffee morden können. Leider hatte sie nicht damit gerechnet, dass Luc zur gleichen Zeit nach dem Glas griff, sodass sie mit der Nase direkt gegen sein Kinn stieß.
«Au!», quiekte sie, und vor Schmerz schossen ihr die Tränen in die Augen. Wieso tat ein Schlag gegen die Nase eigentlich so weh?
«Oh! Das tut mir leid», sagte er und hob erschrocken die Hände. Sein französischer Akzent war auf einmal viel deutlicher.
«Nein, ed bar beine Schuld», brachte sie heraus. Vorsichtig befühlte sie ihre Nase.
«Setzen Sie sich.» Er nahm sie am Arm und führte sie zu einem der Küchenstühle.
«Bir geht’s gut», sagte sie. Als sie jedoch ihre Nase vorsichtig zusammendrückte, spürte sie, wie es aus einem Nasenloch warm herauströpfelte. Panisch machte sie sich los und drehte sich hastig zur Spüle, wobei sie Luc fest auf den Fuß trat. Aber das Letzte, was sie wollte, war, überall Blut zu verteilen.
«Dorry!», sagte sie, während ihr mehr und mehr Blut in die geöffnete Hand lief. Sie schoss an ihm vorbei und schaffte es gerade noch rechtzeitig zum breiten weißen Spülbecken.
Hellrote Tropfen fielen auf das weiße Porzellan und explodierten im dünnen Wasserfilm der Oberfläche wie dystopische Blumen. Bei dem Anblick ergriff sie eine heftige Übelkeit, und sie spannte die Bauchmuskeln an, um gegen die Panik anzukämpfen.
«Hier.» Er hielt ihr ein Stück Küchenpapier unter die Nase.
Hastig griff sie danach und zog dabei seine Hand mit in Richtung ihres Gesichts, während sie ihm gleichzeitig mit dem Ellenbogen in die Rippen stieß.
«Dorry!», sagte sie erneut. Himmel, konnte es noch schlimmer werden? Sie schaute nach unten und merkte sofort, dass das ein Fehler war. In ihrem Kopf vernahm sie plötzlich einen hohen Piepton. Die roten Tropfen fielen stetig hinab und blühten im Becken auf wie Pfingstrosen. Bitte, bitte nicht in Ohnmacht fallen.
Oh-oh … Ihr Kopf fühlte sich ganz schwummerig an, als wäre er gar nicht richtig da. Und dann war auf einmal gar nichts mehr richtig da …
Vor den Augen eines gut aussehenden Franzosen wieder zu sich zu kommen, stand eigentlich ganz oben in den Top Ten der Fantasien – es sei denn, man war mit Blut bekleckert und hatte sich vorher zur absoluten Idiotin gemacht.
Hattie blinzelte zu Luc auf und lächelte verträumt, denn was hätte sie sonst tun sollen? Er sah einfach umwerfend aus. So umwerfend, dass er vermutlich mit Supermodels ausging oder mit erfolgreichen Powerfrauen, die schon ihren ersten Umsatz gemacht hatten, bevor sie morgens Make-up auflegten.
«Sind Sie wieder da?», fragte er mit besorgtem Ausdruck.
Vielleicht sollte sie öfter in Ohnmacht fallen, dachte Hattie. Es war ziemlich schön, zur Abwechslung einmal diejenige zu sein, um die man sich kümmerte.
«Ich … ich glaube schon», sagte sie mit schwacher Stimme und versuchte, sich aus seinen Armen zu lösen, denn ganz im Ernst: Daran war sie einfach nicht gewöhnt. Aber die schnelle Bewegung war ein Fehler, denn ihr Kopf schien noch immer nicht richtig mit ihrem Körper verbunden zu sein. Schon wurde ihr wieder ganz schummerig.
«Halten Sie still. Ich habe Sie.»
Und das tat er wirklich. Seine Stimme mit diesem göttlichen französischen Akzent war soooo beruhigend … doch die Situation hätte nicht peinlicher sein können: Hattie lag auf dem Fußboden, Kopf und Schultern auf seinem Schoß, während er ihr ein zerknülltes Haushaltspapier an die Nase drückte. Zum Glück schien ihr Nasenbluten aufgehört zu haben. Oh Gott, sie schämte sich so. In dieser Position konnte sie nur in eine Richtung sehen, und das war zu ihm hoch. Das war alles ein wenig zu nah und intim. Außerdem schien sie irgendwie einen Schwarm leichtsinniger Schmetterlinge in ihrem Bauch ausgebrütet zu haben, die jedes Mal, wenn er mit diesen lebhaften blauen Augen besorgt auf sie herabschaute, in ihr aufstoben.
«Denken Sie, Sie können aufstehen?»
«Geben Sie mir noch einen Moment?» Sie fühlte sich wie ein gestrandeter, orientierungsloser Käfer, den man in eine Waschmaschine geworfen und nach dem Schleudergang wieder ausgespuckt hatte. «Ihr Englisch ist übrigens sehr gut», sagte sie. Oder hatte sie das schon gesagt?
«Danke.»
«Es ist wirklich sehr, sehr gut», meinte sie, und ihr war klar, dass sie es bloß sagte, um überhaupt etwas zu sagen und nicht mit irgendetwas Dummem herauszuplatzen.
«Ich habe wie gesagt in London gelebt. Erst als Student, danach habe ich dort im Geschäft meines Vaters gearbeitet.» Er bewegte sich leicht. «Geht es Ihnen langsam besser?»
«Mmm. Ja. Entschuldigen Sie.» Er hatte vermutlich Besseres zu tun, als mit einer hilfsbedürftigen Frau auf dem Küchenboden zu sitzen.
«Sie sollten vorsichtig aufstehen», sagte er und half ihr, sich aufzurichten. Dann stand er auf und zog sie auf die Füße.
Einen Moment lang schwankte Hattie, weil ihr wieder schwindelig wurde, woraufhin Luc sie einfach hochnahm und zu einem der Küchenstühle trug, um sie vorsichtig darauf abzusetzen.
War es schlimm, dass sie es genoss, getragen zu werden?
«Ich mache Ihnen einen Kaffee, und dann sage ich wohl lieber unserer Haushälterin Solange Bescheid, dass Sie hier sind. Sie wird sich große Vorwürfe machen, dass sie Ihr Zimmer noch gar nicht fertig machen konnte.»
«Oh. Verzeihung.» Wieder einmal fühlte Hattie sich verpflichtet, sich zu entschuldigen.
«Das sagen Sie oft», meinte er prompt, und sie betrachtete fasziniert sein schiefes Grinsen.
«Entschul–» Sie lächelte, als seine Augen aufblitzten, und spürte eine seltsame Wallung in ihrer Brust.
«Sagen Sie, werde ich eigentlich ausziehen müssen?», fragte er.
«Äh … ich …» Sie hatte keine Ahnung. Das war ihr noch gar nicht in den Sinn gekommen. «Ich glaube nicht. Bestimmt nicht bis zur Hochzeit. So weit im Voraus habe ich noch gar nicht gedacht. Aber ich will Sie natürlich nicht aus Ihrem eigenen Haus werfen. Ich habe keine Ahnung, auf was man sich verständigt hat. Es gibt ja keinen Vertrag, oder?» Sie merkte, dass sie sich doch ein wenig leichtfertig in dieses Abenteuer gestürzt hatte.
Aber als sie gehört hatte, dass die Hochzeitsplanerin ihrer Cousine Gabby mitten in den laufenden Vorbereitungen abgesprungen war, hatte sie sofort angeboten einzuspringen – so verzweifelt war sie gewesen, einen Ausweg aus ihrer persönlichen Grube zu finden, die tiefer war als der Marianengraben.
Luc lächelte schief. «Nicht, dass ich wüsste. Es ist eine Absprache zwischen Alexander und meinem Vater. Die beiden machen offensichtlich schon über zwanzig Jahre Geschäfte miteinander, also warum sollte es Probleme geben? Mir wäre es aber natürlich lieber, wenn ich nicht aus meinem eigenen Haus ausziehen müsste.»
«Natürlich», sagte sie. Es war ein großes Anwesen, es würde wohl genügend Platz geben. Sie wunderte sich ohnehin, dass die Gäste der Braut nicht hier wohnen sollten. Aber für die ursprüngliche Hochzeitsplanerin wäre das aus England heraus wohl zu viel Organisation gewesen, wie Hattie herausgehört hatte. Die Frau kannte das Château ja auch gar nicht. Hattie hatte sowieso den Eindruck gewonnen, die Hochzeitsplanerin war grundsätzlich nicht besonders begeistert davon gewesen, dass man den Veranstaltungsort – ein Herrenhaus in Surrey – gegen ein französisches Château getauscht hatte.
«Und was ist mit der Haushälterin?», fragte Hattie. «Wohnt sie auch hier?»
«Solange? Sie hat ihre eigene Wohnung. Es ist ein renovierter Anbau im alten Stallgebäude. Mein Vater schien es offensichtlich nicht für nötig zu halten, sie über dieses Arrangement zu informieren. Und ich habe ihr auch noch nichts von der Hochzeit erzählt.» Er schürzte die Lippen und schien den Gedanken nicht besonders zu mögen. «Ich würde vorschlagen, dass Sie nicht zu viel Unterstützung von ihr erwarten. Sie hat bereits genug damit zu tun, sich um das Haus hier zu kümmern, und das macht sie ganz allein.»
«Okay», sagte Hattie und hatte sofort eine Art Hausdrachen vor Augen, die es rundweg ablehnen würde, wenn man sie um Hilfe bat.
«Also, ich weiß nicht so recht, wie das Protokoll ist. Ich kann Ihnen einen Schlüssel geben.» Er drehte sich um und kramte in einer Schublade in der großen, weiß gestrichenen Anrichte, dann reichte er ihr einen langen, schwarzen Eisenschlüssel. Sie starrte das Ding an. Er war nicht gerade für Handtaschen geeignet.
Luc deutete ihren Gesichtsausdruck richtig. «Schon okay, wir schließen die Haustür selten ab, außer wir sind länger weg. Es ist eher symbolisch. Damit Sie überall durchs Haus gehen können und Ihren Freiraum haben.»
«Tja, es ist ja nicht so, als wäre hier nicht genügend Platz. Ziemlich unwahrscheinlich, dass wir ständig übereinander stolpern werden.»
«Sind Sie da sicher?», fragte er mit neckisch hochgezogener Augenbraue. Er hob seinen Fuß und rieb ihn mit einer übertrieben schmerzvollen Grimasse.
«Entschuldigung. Normalerweise bin ich nicht so tollpatschig. Es war nur … Sie haben mich so … ü-ü-überrascht.» Entsetzt realisierte sie, dass sie beinahe ‹überwältigt› gesagt hätte.
«Normalerweise fallen mir Frauen nicht zu Füßen, Hattie.»
Sie wünschte, er würde ihren Namen nicht auf diese supersexy Weise aussprechen. Jedes Mal, wenn er das H wegließ, konnte sie kaum noch klar denken.
«Ach nein?», fragte sie und dachte gleich darauf, dass sie das lieber nicht laut hätte sagen sollen.
«Nein, normalerweise nicht.» Er fuhr sich durch die Haare. «Geht es Ihnen jetzt besser? Ich war nämlich eigentlich auf dem Weg zum Weinberg.» Er schaute auf seine Armbanduhr. «Ich hätte vor einer halben Stunde da sein sollen.»
Sie nickte. Sie würde sich nicht wieder entschuldigen. Es fing an, sie selbst zu nerven.
«Ich habe daher leider keine Zeit, Sie herumzuführen. Vielleicht können Sie sich einfach ein Zimmer aussuchen und …» Er zuckte die Achseln. «Mein Zimmer ist ganz oben unterm Dach. Falls Sie mich irgendwie brauchen.»
Hattie kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, doch sein argloses, freundliches Lächeln verriet nichts. War ihm gar nicht bewusst, wie zweideutig sein Angebot klang? Sie war nicht sicher. Dieser charmante Franzose brachte sie ganz durcheinander.
Luc marschierte in Richtung Weinberg und stampfte dabei mit einer Mischung aus Wut und Verärgerung über den harten Boden. Er würde seinen Vater umbringen, langsam und qualvoll. Nach all den Jahren hatte er den alten Bastard endlich dazu überredet, dass er das Ruder übernehmen konnte, und dann halste er ihm einen Zirkus auf.
Er war selbst erst vor ein paar Stunden angekommen und hatte noch nicht einmal die Gelegenheit gehabt, seine Tasche auszupacken. Diese Möchtegern-Hochzeitsplanerin hatte ihn völlig durcheinandergebracht mit ihren strahlenden braunen Augen und ihrem bereitwilligen Lächeln … Es kam ihm vor, als würde er sie schon längst kennen.
Aber so süß sie auch war – und sie war wirklich sehr süß –, er brauchte keinen zusätzlichen Stress wie eine Hochzeit in seinem Haus. Und das alles noch mit zweimonatiger Belagerung vorweg. Wie konnte sein Vater ihm das nur antun?
Na, eine Sache war klar: Er würde sich nicht dazu überreden lassen mitzuhelfen. Die süße Hattie konnte das schön allein machen. Unwillkürlich musste er an Solange denken. Jep, Hattie war definitiv auf sich allein gestellt.
Bei seinem letzten Besuch war Solange noch in tiefer Trauer um ihren Ehemann gewesen – ein schwieriger Charakter, aber es schien, als hätte er ihre ganze Lebensenergie mit sich in den Tod genommen, sodass sie mittlerweile eher einem Geist glich, der im Château herumschwebte. Luc schüttelte den Kopf, denn ihm gefiel die Richtung seiner Gedanken nicht.
Hoffentlich war sein Vater nicht der Meinung, dass Hochzeiten eine gute Einnahmequelle wären, und öffnete das Château für weitere Events dieser Art. Was, wenn er beschloss, auch noch die Zimmer zu vermieten? Luc blieb vor der Kellerei, einem Backsteingebäude, stehen. Er erinnerte sich noch gut an sein allererstes Mal hier. Seine wunderbare Großtante Marthe hatte ihn als kleinen Jungen mit hierhergenommen. Sie war die treibende Kraft hinter dem Champagner von Saint Martin gewesen. Wie so viele der weiblichen Pioniere der Champagnerherstellung – darunter die legendäre Madame Clicquot – hatte seine Tante das Werk ihres Mannes fortgesetzt, nachdem dieser im Krieg gestorben war. Erst vor fünfzehn Jahren, mit achtzig, hatte Marthe nach einem Schlaganfall aufgehört.
Schon in jungen Jahren hatte sie in ihm Bewunderung für die Bedeutung des Weinguts und der Geschichte der Gewölbe darunter geweckt, die Jahrhunderte zuvor von römischen Sklaven für die Gewinnung von Kalk gegraben worden waren. Die Keller waren das perfekte Lager für den gärenden Champagner, denn hier herrschte eine konstant kühle Temperatur und genau die richtige Feuchtigkeit.
«Luc!»
Er drehte sich um und sah seinen Freund Alphonse lachend auf sich zu eilen.
Als Vigneron des Weingutes war Alphonse für das Gedeihen der Trauben verantwortlich. Ein Strom fröhlicher Worte ergoss sich aus seinem Mund. «Luc, wie schön, dich zu sehen.» Er legte beide Hände auf Lucs Schulter. «Endlich bist du da.»
«Endlich?», antwortete Luc. «Ich habe dir doch erst heute Morgen geschrieben, dass ich komme!»
«Ja, mal wieder einer deiner Kurzbesuche bei Marthe. Hast du sie schon gesehen?»
«Noch nicht. Ich muss erst noch ihren Brandy besorgen.»
Alphonse lachte. «Kaum zu glauben, dass sie bald sechsundneunzig wird. Sie wird uns noch alle überleben, so konserviert, wie ihre Organe sind.» Er legte den Kopf zur Seite. «Und wie lange bleibst du diesmal hier?»
Luc grinste ihn breit an. Er freute sich darauf, seinem Freund die Neuigkeiten zu erzählen. «Eine Weile.»
«Das ist gut. Und wie lange dauert diese Weile diesmal?»
Luc wartete einen Moment, bevor er die Bombe platzen ließ: «Lange genug, um Wein zu machen. Wir werden den besten Champagner produzieren, den Saint Martin je hatte.»
Alphonse starrte ihn an und blinzelte, als müsste er jedes Wort einzeln verarbeiten.
«Du machst Witze! Ehrlich? Das kann ja nicht wahr sein!» Sein Gesicht leuchtete auf, und er warf Luc die Arme um den Körper und presste ihn an sich. Mit seiner breiten Brust und den kräftigen Armen eines Herkules war Alphonse beinahe doppelt so breit wie Luc. Seine langen Zottelhaare kitzelten Lucs Nase. «Du hast den alten Mann also endlich überredet!»
«Wir haben uns geeinigt.» Luc beschloss, Alphonse nicht zu erzählen, dass die Zukunft der Champagnerproduktion von einer einzigen Weinlese abhing. Seit Marthe nicht mehr arbeitete, waren die Trauben jedes Jahr an eine örtliche Kooperative verkauft worden. Doch das würde sich jetzt ändern. «Es gibt da noch ein paar Überlegungen, aber die sollen uns nicht stören.» Er würde Alphonse später von der anstehenden Hochzeit erzählen. Jetzt konnten sie erst einmal ihren Plan umsetzen, auf Saint Martin wieder selbst Champagner zu produzieren, den sie geschmiedet hatten, seit die Produktion hier zum Erliegen gekommen war.
«Das müssen wir feiern», sagte Alphonse. «Ich habe die perfekte Flasche dafür. Weiß Maman schon, dass du da bist?»
«Noch nicht. Im Haus habe ich sie nicht gesehen. Wie geht es Solange?»
Alphonse presste die Lippen zusammen und zuckte vage die Schultern. «Keine Veränderung.»
Luc antwortete nicht. Sie machten sich beide Sorgen um Solange. Seit dem Tod von Alphonse’ Vater vor zwei Jahren hatte sie sich sehr verändert. Luc wollte nicht bohren. Alphonse war nie gut mit seinem Vater klargekommen, obwohl sie Seite an Seite in den Weinbergen von Saint Martin gearbeitet hatten. Vielleicht war das der Grund, weshalb er und Luc trotz ihrer so unterschiedlichen Herkunft Freunde geworden waren. Keiner von ihnen hatte eine wirkliche Vaterfigur gehabt. Nicht dass Männer viel über solche Dinge sprachen, doch die Gemeinsamkeit verband sie.
Alphonse schlug ihm auf den Rücken. «Du wirst dich jetzt bestimmt umsehen wollen.» Er schob Luc ins Gebäude. «Komm, es hat sich nichts verändert.»
Die große Halle fühlte sich seltsam leer und verlassen an, obwohl eine Menge Gerätschaften für die Weinlese, den Rebenbeschnitt und die Pflege der Stöcke hier gelagert wurde. Es gab große, grüne Kisten, die wie Legotürme übereinandergestapelt worden waren, und an den Wänden lagen Scheren, Lederhandschuhe und Werkzeuggürtel säuberlich angeordnet. Hier war zwar schon lange kein Champagner in großem Stil mehr produziert worden, aber Alphonse hatte den Weinberg und die Keller in tadellosem Zustand gehalten.
«Willst du die Gewölbe sehen?», fragte er.
«Wie hast du das bloß erraten?», fragte Luc spöttisch.
«Ich kann deinen Eifer sehen – du bist wie ein Jagdhund, der eine Spur aufgenommen hat. Warte nur, bis wir unsere ersten Flaschen abgefüllt haben, dann schläfst du da unten wie ein zufriedenes Baby.»
«Du kennst mich wirklich gut. Aber es wird noch eine Weile dauern, bis wir unseren ersten Jahrgang abfüllen.»
«Ja, aber es wird ein großartiger Tag sein.» Alphonse grinste und ging voran zu der breiten Treppe, die hinunter zu den Kellern führte. «Wir könnten hier auch Führungen anbieten. Das sieht doch sehr romantisch aus.» Er deutete auf die elegante Wendeltreppe der mit Ziegeln eingefassten Kalkstufen und seufzte. «Ich schätze, es gibt aber wohl kein Budget für einen Aufzug?»
Luc lachte. «Wenn wir so erfolgreich sind wie Taittinger, dann vielleicht. Außerdem dachte ich, dass diese schöne Treppe Teil unseres Logos sein könnte. Ich bringe sie vielleicht mit aufs Etikett.»
«Auf das Etikett!» Alphonse sah ihn entsetzt an. «Ein Bild auf dem Etikett? Nein! Das macht man nicht. Denk an Taittinger, Moët, Bollinger, Veuve Clicquot.»
«Genau. Die sehen alle ähnlich aus. Wenn Saint Martin ein Erfolg werden soll, dann müssen wir uns davon abheben. Denk an die Weine der Neuen Welt und an ihre Etiketten.»
Alphonse schnaubte.
Versöhnlich hob Luc die Hand. Er wollte keinen Streit anfangen, von dem er wusste, dass er zu keinem Ergebnis kommen würde. Er hatte bereits einen schweren Weg vor sich, weil er neue Methoden und Verfahren einführen wollte. Er musste seine Kräfte bündeln und wollte sich nicht gleich am ersten Tag mit Alphonse streiten.
«Es ist nur eine Idee. Von Etiketten und Flaschen sind wir noch weit entfernt. Erst mal brauchen wir eine gute Weinernte, und ich weiß, dass du das im Griff hast.»
«Ha! Allerdings. Ich kann es kaum erwarten, diesem Idioten Gilles Roban zu sagen, dass er dieses Jahr keine einzige unserer Trauben bekommt.» Er rieb sich genüsslich die Hände. «Weiß Marthe es schon?»
«Noch nicht. Ich gehe heute Nachmittag zu ihr und überbringe ihr die gute Nachricht. Ich will sie auch zur Vergangenheit von Saint Martin befragen. Sie kennt so viele Geschichten. Mit ihrem Wissen könnten wir mehr über diesen Ort erzählen. Die Historie der Keller ist gut fürs Marketing.» Luc sah sich oben auf den Treppen um. «Wenn wir genug Geld haben, wäre es gut, den Zugang hier unten zu verbessern.»
Die Gewölbe von Saint Martin hatten im Laufe der Jahre eine wechselvolle Geschichte erlebt und im Ersten wie im Zweiten Weltkrieg der örtlichen Bevölkerung und den Mitgliedern des Adels Zuflucht geboten.
«Es gibt das Gerücht, dass Marthe in der Résistance gewesen ist und einen Mann mit bloßen Händen getötet hat», meinte Alphonse. «Es würde mich nicht überraschen, aber sie hat es weder abgestritten noch zugegeben, sondern einfach niemals darüber gesprochen.»
Luc konnte sich gut vorstellen, dass seine toughe, drahtige Großtante ohne Zögern getan hatte, was getan werden musste.
Sie stiegen in die schwach beleuchteten Gewölbe hinab, und Luc bekam eine Gänsehaut. Er wünschte, er hätte daran gedacht, sich einen Pulli mitzubringen. Die warme Frühlingssonne hatte ihn heute Morgen dazu verleitet, nur ein langärmeliges T-Shirt anzuziehen.
Vor ihnen befanden sich Weinregale, in denen die Flaschen für den zweiten Gärungsprozess lagerten. Die dunklen Holzregale, die seit einigen Jahren nur noch mit Flaschen für den Eigenbedarf gefüllt waren, standen wie Wachsoldaten schweigend und still im Dämmerlicht. Trotz der kargen Umgebung, des dunklen Holzes vor den weißen Kalkwänden und der kühlen Feuchtigkeit liebte Luc es hier unten. Dies war ein magischer Ort, an dem aus Traubensaft etwas völlig anderes entstand – eine zauberhafte Transformation, unterstützt von Naturwissenschaft, doch eine, deren Ergebnis man niemals ganz vorhersehen konnte. Es gab so viele Faktoren, die das Endprodukt beeinflussten: das Wetter, die Ernte, der Beschnitt – und das betraf nur die Trauben. Der Wein wurde auf dem Weinberg geboren, sagte man, auf dem Boden. Die Umgebung, die Erde, das Wetter, die Ausrichtung und Lage des Hanges, ob er gut bewässert und genährt wurde … all das spielte eine Rolle.
Es waren die Prinzipien der Weinherstellung, mit denen Luc aufgewachsen war, doch seine Reisen nach Neuseeland und Australien hatten ihn umdenken lassen. Der Besuch bei den Herstellern großer Weine auf der anderen Seite der Erdkugel hatte ihm die Augen geöffnet und ihn gelehrt, dass auch der Winzer selbst einen erheblichen Einfluss haben konnte. Es würde sicher etwas dauern, Alphonse davon zu überzeugen. Der Vigneron war in der Champagnerregion aufgewachsen. Außerdem ahnte Luc, was Marthe von seinen Ideen halten würde, sie würde seine Pläne vermutlich als zu radikal abtun.
Nachdem die beiden Männer die Keller inspiziert hatten, kehrten sie durchgefroren an die Oberfläche zurück. Luc hielt sein Gesicht in die Sonne und war dankbar für die Wärme. Er musste an seinen neuen Gast im Haus denken, daran, wie Hattie auf dem Vorplatz des Schlosses den hellen Sonnenschein genossen hatte, als hätte sie seit Monaten keine Sonne gesehen. Wie das Licht ihre dunkelblonden Haare hatte aufleuchten lassen und den Hauch von Sommersprossen auf ihrem Gesicht … Sommersprossen, die danach zu betteln schienen, geküsst zu werden.
«Ich habe ein gutes Gefühl für dieses Jahr», sagte Alphonse.
«Gut», erwiderte Luc. «Denn du weißt ja, dass ich ein paar Sachen ändern will.»
«Wunderbar.» Alphonse rieb sich die Hände. «Wir werden großartigen Wein machen. Beten wir für gutes Wetter und eine hervorragende Ernte. Komm mit zu Maman und iss was mit uns. Ich hole den Champagner.»
Luc schaute auf seine Uhr. Es war halb sechs. Seine Großtante würde er vielleicht doch besser erst am nächsten Morgen besuchen.
«Yvette hat auch Neuigkeiten.»
«Yvette?» Alphonse’ Schwester war der Fluch seines jungen Lebens gewesen, weil sie wild entschlossen gewesen war, seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. Luc hoffte, dass sie mittlerweile das Interesse an ihm verloren hatte.
«Ja.» Alphonse grinste verschmitzt. «Sie ist wieder zu Hause.»
Hattie kam sich vor wie Belle in Die Schöne und das Biest, als sie die Doppeltüren aufdrückte und in den riesigen Ballsaal trat. Die Marmorfliesen schienen sich endlos vor ihr auszubreiten. Eine Reihe hoher Fenster war bedeckt von halb geschlossenen Läden, die den hellen Sonnenschein dämpften und ein schattiges Halbdunkel in den Raum warfen.
Die Stille überwältigte sie und verstärkte das unangenehme Gefühl, ein Eindringling zu sein. Sie musste dieses Gefühl dringend abschütteln und aufhören, so eingeschüchtert zu sein, aber es kam ihr einfach nicht richtig vor, so allein in einem fremden Anwesen herumzustreunen.
Kurzerhand ging sie zu den Fenstern, öffnete sie und stieß die Läden auf. Als das Licht in den Saal strömte, beleuchtete es den feinen Staub, der vom Stoff aufstob. Ihre Nase kribbelte, gleich würde sie niesen müssen. Wie der Strahl einer Taschenlampe schnitt der Sonnenstrahl durch das Dämmerlicht und offenbarte den wahren Zustand des Saals. Ins Auge stachen ihr jetzt die schmuddeligen Läufer, die matte, pflegebedürftige Oberfläche von Holzmöbeln und der allgemeine Eindruck von Verfall. Hattie hätte sich nicht gewundert, wenn sich in diesem Moment eine Figur aus einem Roman von Charles Dickens von der ausgeblichenen Chaiselongue vor ihr erhoben hätte, dessen ehemals dunkelgrüner Samtbezug einen breiten ausgeblichenen Streifen auf Sitz und Rückenlehne aufwies. Sie runzelte die Stirn. Das elegante Möbelstück mit seinen geschwungenen Holzbeinen und dem geschnitzten Rahmen musste einmal wunderschön gewesen sein. Als sie mit der Hand über den Stoff fuhr, stob eine weitere Staubwolke auf, und diesmal musste sie wirklich niesen.
Erneut schaute sie sich kurz um und beschloss dann, erst einmal weiterzugehen und später zurückzukehren.
Vermutlich wurde ein Raum von dieser Größe heute nur selten benutzt, darum war er wohl so vernachlässigt. Mit ein bisschen – na gut, einer Menge – Politur und Staubwedel konnte es durchaus etwas werden. Der Saal wäre perfekt für den Hochzeitsempfang. Sie stellte sich den Raum mit Dutzenden von runden, feierlich gedeckten Tischen vor, die später zur Seite geschoben wurden, um die Tanzfläche frei zu machen.
Als sie den Raum verließ, ohne die Fensterläden wieder zu schließen, drückte sie neben der Tür auf den Lichtschalter und schaute zu den vier prächtigen Kronleuchtern hinauf. Nur ein paar Glühbirnen flammten vereinzelt auf, sie waren mit so viel Staub bedeckt, dass sie nur ein halbherziges Licht warfen – die überwiegende Zahl der Kronleuchterkerzen jedoch war kaputt.
Als Nächstes kam Hattie in einen Raum, der einmal ein wunderschönes Esszimmer gewesen sein musste. Bei seinem Anblick sank ihr das Herz. Würde das ganze Schloss etwa so aussehen? Was tat die Haushälterin hier eigentlich? Oder wurden in einem Gebäude dieser Größe einfach nur einige wenige Räume benutzt? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Luc und seine Familie oft hier drin aßen, hatten sie doch diese wunderbare Küche.
Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Hattie den riesigen Mahagonitisch, dessen Glanz ebenfalls mit einer Staubschicht bedeckt war, während die Hälfte der Tischfläche unter Stapeln vergilbter Decken verschwand, die unordentlich übereinanderlagen. Auf ein paar ebenso vernachlässigt wirkenden Anrichten stand massenhaft Porzellangeschirr: hohe Stapel von Tellern, Untertassen, Suppenschüsseln sowie übereinandergestellte Tassen, schief wie der Turm von Pisa, dazu haufenweise kostbare Servierplatten und Saucieren, alles in verschiedenen Farben und Mustern: Petrolblau, Dunkelgrün, mit fein gemalten Blumenmustern und kostbaren Goldrändern.
Hattie nahm einen zarten Teller von dem Stapel und blies vorsichtig darüber, dann fuhr sie mit dem Finger über die schmutzige Oberfläche. Darunter kamen ein goldenes Spitzenmuster am Rand und verschlungene blassrosa Blüten in der Mitte zum Vorschein. Sie drehte den Teller um. Limoges. Sie nahm einen anderen und betrachtete den Stempel auf der Unterseite – Meissen. Sie pfiff leise. Es gab mindestens ein Dutzend passende Sets mit Gedecken für zwanzig oder mehr Personen. Und es sah aus, als hätte man diese Kostbarkeiten einfach auf die Seite geräumt.
Hattie schüttelte den Kopf. Ihre Vorfreude und ihr Glücksgefühl schwanden. Wenn das ganze Haus sich ihr so präsentierte, dann hatte sie noch unverhältnismäßig viel Arbeit vor sich. Hier wäre eine ganze Armee von Putzleuten nötig. Aber es konnte unmöglich überall so aussehen, sagte sie sich. Das hier waren ungenutzte Räume. Die Familie musste wohl die kleineren Zimmer benutzen.
Als sie den anderen Flügel des Hauses erreichte, kam sie in einen eleganten kleinen Salon, in dem ein hellblaues, seidengepolstertes Sofa vor einem offenen Kamin stand. Blaue Blumentapeten schmückten die Wände. Der Raum war sehr feminin und schick eingerichtet, und sie konnte sich gut vorstellen, hier am Nachmittag ihren Kaffee zu trinken. Ein Spiegel hing über dem Kamin, und auf dem weißen, geschnitzten Kaminsims standen einige staubfreie Schmuckgegenstände. An der Wand in einer Ecke des Zimmers hing über einem hübschen, bemalten Tisch eine sehr kleine Feder- und Tuschezeichnung mit einem Jungen im Grundschulalter darauf. Hattie stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. Das hier ging schon eher in die richtige Richtung. Vielleicht konnte Gabby diesen Raum als Vorzimmer nutzen, um mit ihren Brautjungfern und ihrer Mutter vor der Trauung ein Glas Champagner zu trinken.
Doch der zufriedenstellende Eindruck wurde schnell wieder zunichtegemacht, als Hattie weiterging. Sie überprüfte mehrere Empfangsräume, von denen jeder einzelne gründlich gereinigt werden musste. Dann entdeckte sie eine atemberaubende Bibliothek mit dunklen, deckenhohen Holzregalen voller jahrhundertealter verstaubter Bücher, ein paar riesigen, tiefen Sofas, die man auch als Betten hätte benutzen können, und einer wundervoll verschnörkelten Wendeltreppe, die dringend eine Bienenwachspolitur benötigte. Der letzte Raum, den sie betrat, war ein hübscher Salon mit winzigen Sofas und Stühlen, die mit Moiréseide gepolstert waren, sowie feinbeinigen Intarsientischen, die so aussahen, als gehörten sie zu einer Jane-Austen-Filmkulisse.
Hattie musste sich beinahe zwingen, die Treppe hinaufzugehen, denn sie fürchtete sich vor dem, was sie in den nächsten drei Stockwerken noch erwarten würde.
Als sie schließlich die Zimmer unter dem Dach erreichte, war sie den Tränen nahe. Das Haus war voller schöner Möbel sowie prächtiger, wenn auch verblichener Stoffe, aber es barg auch die kunstvollsten Spinnweben, die sie je in ihrem Leben gesehen hatte. Sie war unendlich dankbar, dass sie die Zimmer nicht für die Gäste würde herrichten müssen. Es wäre die reinste Herkulesaufgabe gewesen.
Luc hatte gesagt, sein Zimmer sei hier oben, und einen Moment lang wunderte sie sich über seine Wahl. Dies waren früher sicher die Räume für die Bediensteten gewesen, und vermutlich waren sie noch stärker vernachlässigt. Es gab zwei Zimmer am Ende des Dachstuhls. Sie öffnete die Tür eines der Räume und war angenehm überrascht: Die schlichten weißen Wände waren mit ein paar Postern verziert, ein Mansardenfenster führte auf einen kleinen Balkon hinaus. Die breiten Holzdielen waren geschliffen und poliert worden, und das Zimmer war bequem möbliert: mit einem Kingsize-Bett unter der Dachschräge und mehreren Bücherregalen, in denen auch ein paar Modellautos und das Lego-Modell eines Star-Wars-Raumschiffs standen – nach ihrer Erinnerung war es der Millennium Falcon –, zusammen mit einigen bekannten Figuren. Dies hier war offensichtlich Lucs Zimmer, und nach den Inhalten seiner Regale zu urteilen, war es auch schon immer sein Zimmer gewesen. Sie lächelte beim Anblick der Kinderbücher, darunter Saint-Exupérys Der kleine Prinz, ein paar Bände von Babar der Elefant sowie ein Werk, das sie dank der Netflix-Serie Lupin erkannte: Arsène Lupin, Gentleman-Cambrioleur. Es gab auch ein paar aktuellere Bücher – Thriller, wie sie annahm, da sie Worte wie mort und noir auf einigen der Titel entzifferte.
Luc war ordentlich. Nirgendwo lagen Kleidungsstücke herum, außer einem hellblauen Sweatshirt, das über einem Stuhl im Erker lag. Auf dem schlichten Schreibtisch mit der Gelenk-Lampe standen mehrere große, gebundene Bücher, von denen ein paar aufgeschlagen waren und Bilder von Trauben und Weinreben zeigten. Vermutlich Nachschlagewerke. Als Hattie auf die Hochglanzseiten starrte, merkte sie auf einmal, dass sie hier gerade in Lucs Privatsphäre eindrang. Eilig zog sie sich zurück und ging in das Zimmer nebenan.
Sobald sie es betrat, wusste sie, dass sie in diesem Raum wohnen würde, solange sie auf dem Schloss war. Es war ein Abbild von Lucs Zimmer, und sie wurde sofort vom Balkon und der Aussicht über das Tal angezogen. Sie trat hinaus, schritt um den kleinen Terrassentisch herum, lehnte sich an die weiße Steinbrüstung und blickte hinab über die Gärten. Ein Stück Blau fing ihren Blick auf, und sie beugte sich vor. Sie konnte gerade so den Rand eines Swimmingpools erkennen sowie ein paar Liegestühle auf einer der Terrassen unterhalb der in den Hügel gebauten Gärten. Das würde sie sich irgendwann einmal genauer anschauen. Ein morgendliches Bad wäre sicher ein schöner Start in den Tag. Was sie daran erinnerte, dass sie noch ihr Gepäck heraufbringen musste.
Obwohl der Balkon das große Plus des Zimmers war, gefiel ihr das schlichte, schmiedeeiserne Bett ebenso wie die Nachttische aus weiß gestrichenem Holz auf ihren spindeldürren Beinen und der gemütliche Lehnsessel. Die schrägen Decken waren lichtdurchflutet, und vom Bett aus konnte sie das satte Grün der Landschaft am Horizont sehen. Als Bonus gab es ein Bad mit einer begehbaren Dusche unter der scharfen Neigung des Daches. Sie mochte die Schlichtheit des Raumes und den leichten Zugang zu Balkon und frischer Luft.
Sie stieß einen langen Seufzer aus und spürte, wie sich etwas in ihr löste. Zu lange hatte sie sich eingezwängt gefühlt, wie eine Legehenne, die ihre Flügel nicht ausbreiten konnte. Hier würde sie in der Lage sein, ihre Schwingen zu testen und zu wachsen. Zum ersten Mal seit Langem schaute sie nach vorn, nach draußen, nicht nach innen.
Nachdem sie ihr Gepäck die Treppe hinaufgeschleppt hatte, packte sie schnell aus und beschloss dann, ihren Arbeitsplatz mit Laptop und Notizbuch in der Bibliothek einzurichten. Das schien der geeignete Ort dafür zu sein, und wenn es Luc recht war, würde sie den Raum zu ihrem Büro machen. Dies hier war immerhin sein Zuhause, und sie wollte ihm nicht das Gefühl geben, dass sie alles für sich vereinnahmte.
Als Luc im Anbau des Stallgebäudes die Tür zu Solanges Küche aufstieß, saß diese am Tisch und starrte aus dem Fenster. Sie hatte abgenommen und sah noch blasser aus als sonst, doch als sie ihn entdeckte, leuchtete ihr Gesicht auf.
«Luc! Was für eine schöne Überraschung. Weiß Alphonse, dass du hier bist?»
Luc lachte. «Er hat mir die gleiche Frage gestellt. Ich habe Neuigkeiten!»
«Welche?» Solange war nur halb so groß wie ihr Sohn, und seit Luc sie kannte, war sie seiner Überzeugung nach kein bisschen gealtert. Sie musste jetzt Anfang fünfzig sein, ihre olivfarbene Haut war faltenlos, und in ihren dunklen Haaren war keine Spur von Grau. Nur ihre hellbraunen Augen, die sonst immer fröhlich gefunkelt hatten, wirkten überschattet.
«Alphonse holt gerade eine besondere Flasche, um zu feiern.»
«Dann müssen es wirklich sehr gute Neuigkeiten sein», sagte sie nüchtern. «Er ist sonst ein richtiger Knauser mit diesem Champagner.» Sie stieß einen ermatteten Seufzer aus und stand mit scheinbar großer Anstrengung auf. «Hast du was gegessen? Ich war heute Morgen auf dem Markt.»
«Nein, ich hatte noch keine Zeit», sagte er und bekam sofort Schuldgefühle. Er hätte nicht so ehrlich antworten sollen. Solange sah aus, als wäre ihr überhaupt nicht danach, jetzt etwas zu essen zuzubereiten. «Wenn er kommt, erzähle ich dir von … allem.»
Sie nickte. «Hast du Marthe schon gesehen?»
«Nein, ich gehe morgen Vormittag hin.»
«Im Keller ist Brandy.» Sie schenkte ihm ein schwaches Lächeln.
«Ich glaube, sie akzeptiert überhaupt nur deshalb Besuch, weil wir ihr die harten Sachen mitbringen», scherzte Luc.
«Natürlich», antwortete Solange. «Möchtest du denn etwas essen?» Sie wedelte unbestimmt in Richtung Kühlschrank.
«Nein, alles gut», sagte er, doch sein Magen strafte ihn umgehend Lügen, indem er protestierend knurrte.
Mit einem weiteren Seufzer schüttelte sie den Kopf. «Setz dich in den Hof.»
«Ich möchte dir aber keine Mühe machen …»
Sie schürzte die Lippen, dann straffte sie den Rücken durch, und in ihre Augen trat ein überraschend stählerner Funken. «Der Tag ist noch nicht gekommen, an dem ich keinen Teller mit Essen mehr zusammenbringen kann, Luc Brémont …» Und mit mehr Energie als zuvor scheuchte sie ihn nach draußen.
Ein paar Minuten später kam sie mit einem Tablett heraus, auf dem ein Teller mit Käse, ein Korb mit rustikalem Weißbrot, eine kleine Schüssel Oliven und einige Scheiben dunkler Salami lagen, dazu drei Champagnergläser, die sie auf den Bistrotisch im Schatten einer Glyzinie stellte, die kurz vor der Blüte stand.
«Und bevor du irgendetwas sagst: Ich mag diese Champagnerschalen, auch wenn du sie bestimmt altmodisch findest, genau wie Alphonse.» Diese traditionellen Gläser waren in der Tat schon lange außer Mode gekommen. «Der Champagner wird nicht lange genug darin sein, aber manchmal …», fuhr sie wehmütig und mit träumerischem Ausdruck fort, «macht es einen froh, schöne Dinge zu benutzen anstatt praktischer Dinge.»
Luc lächelte. Solange hatte schon immer viel Wert auf Ästhetik gelegt.
Als ihr Handy piepte, holte sie es aus der Tasche und schaute kurz aufs Display.
«Yvette ist auf dem Weg», sagte sie. «Alphonse hat geschrieben, dass er sie über deinen Besuch informiert hat. Ich hole eine weitere Champagnerschale.»
Luc lächelte pflichtschuldig, allerdings nicht ohne eine Spur von Panik.
«Luc!»
Ein paar Minuten später stand er auf, um Yvette zu begrüßen, die sich in seine Arme warf. Er war dankbar, dass sie nach ihrer Mutter kam und nicht so gebaut war wie ihr Bruder.
«Yvette.»
Sie umfasste sein Gesicht mit einer gebräunten Hand. «Du bist immer noch so hübsch.»
«Danke, du auch», sagte er und nahm mit Erleichterung wahr, dass nicht nur ihre Augen funkelten, sondern auch ein Diamant an ihrem Finger. Das waren offensichtlich ihre Neuigkeiten.
«Wer ist denn der Glückliche?», fragte er und deutete auf den Ring.
Sie hielt die Hand in die Höhe. «Bernard. Ich weiß nicht, ob du dich noch an ihn erinnerst. Er war eine Klasse über mir.»
Luc schüttelte den Kopf. Er war auf ein Internat gegangen, und auch wenn er seine Ferien immer hier verbracht hatte, kannte er, abgesehen von Alphonse und Yvette, nicht viele der Kinder aus dem Ort.
«Na, du wirst ihn bald kennenlernen. Diese Woche ist er in der Bretagne. Maman und ich fahren morgen für eine Woche zu ihm. Dann musst du dich allein durchschlagen.»
Solange nickte. «Das tut mir so leid, Luc», sagte sie entschuldigend. «Hätte ich gewusst, dass du kommst …»
Schuldgefühle nagten an ihm. Er hätte sie wirklich von seiner Ankunft informieren sollen. «Das ist kein Problem. Immerhin hast du mir das Kochen beigebracht. Und von Marthe habe ich ja auch einiges gelernt.»
«Siehst du, Maman», erklärte Yvette, «er ist jetzt ein großer Junge.» Sie sah ihn unverwandt an. «Und was gibt es von dir Neues, Luc? Wie lange bleibst du diesmal?» Ihre Stimme hatte einen leicht spöttischen Tonfall und erinnerte ihn daran, dass sie früher Gefühle für ihn gehabt hatte und er immer am Ende des Sommers verschwunden war.
Bevor er antworten konnte, kam Alphonse, im Arm eine dunkelgrüne Flasche, die er so vorsichtig hielt wie eine Mutter ihr erstgeborenes Kind.
«Ich bleibe eine Weile», sagte er schnell. Dann gab er feierlich bekannt: «Mein Vater hat endlich eingewilligt, dass wir Champagner produzieren.»
Yvette klatschte vor Begeisterung in die Hände. «Oh, Luc, das sind ja fantastische Neuigkeiten! Marthe wird sich so freuen. Es bricht ihr das Herz, dass die Trauben an Gilles Roban verkauft werden. Auch ich würde zu gern dabei sein, wenn du ihm erzählst, dass er die diesjährige Ernte nicht bekommt. Letztes Jahr hat er Marthe betrogen und viel zu wenig bezahlt.»
«Ich freue mich auch darauf», sagte Alphonse. «Er hat mir schon in den Ohren gelegen, dass wir endlich die Preise festlegen. Er meinte, wenn wir uns früh auf einen guten Preis einigen, würde er mehr Trauben kaufen.»
«Ja, und den Preis kann ich mir genau vorstellen», fauchte Yvette. «Er ist ein Scharlatan.»
Alphonse schüttelte den Kopf. «Er ist Geschäftsmann.»
«Der andere ausnutzt», ergänzte seine Schwester. «Ich traue ihm kein bisschen.»
Luc lachte. «Du machst dir also immer noch überall Freunde, ja?», neckte er.
Yvette schüttelte ihre dichten roten Locken, die zu ihrer energischen Persönlichkeit passten. «Er ist ein Prolet. Es wird so schön sein, wenn hier wieder ein Brémont Champagner macht.»
«Dann lasst uns mal diese Flasche öffnen», sagte Alphonse. «Es ist ein 2014er!» Er wackelte mit den Augenbrauen. «Ich habe die Flasche für eine ganz besondere Gelegenheit aufbewahrt. Und ich finde, die Aussicht auf einen neuen Saint-Martin-Champagner ist die beste Gelegenheit.»
Luc richtete sich erwartungsvoll auf. 2014 war ein sehr guter Jahrgang gewesen mit einer langen Reifephase. Er freute sich darauf, den Champagner zu probieren.
Alphonse warf seiner Mutter einen kurzen Blick zu, als er den Korken öffnete, doch er sagte wohlweislich nichts zu den Gläsern.
Als die prickelnde goldene Flüssigkeit in die zarten Champagnerschalen geflossen war, griff Luc nach einem der Gläser, die, wie er wusste, seit über hundert Jahren im Familienbesitz waren, roch ausgiebig daran und nahm einen Schluck. Er ließ die Flüssigkeit über seine Zunge laufen, genoss das Prickeln der Bläschen und den süßen Geschmack mit der subtilen Note von Zitrusfrüchten und Honigmelone.
«Sehr gut», sagte er. «Zum Wohl!»
«Er ist hervorragend», meinte Yvette, nachdem auch sie probiert hatte. «Allerdings ist mir aufgefallen, dass mein Bruder ihn zu meiner Verlobung nicht geöffnet hat.»
«Lucs Rückkehr ist wichtiger», neckte Alphonse. Und als sie sich ärgerte, beschloss Luc, schnell das Thema zu wechseln.
«Wie geht es Marthe?»
«Ich habe sie gestern besucht», antwortete Solange. «Es geht ihr sehr gut. Sie kommandiert natürlich alle herum, scheucht die Pfleger hierhin und dorthin, und alle tun, was sie will.»
«Ich kann nicht glauben, dass sie dort glücklich ist», sagte Yvette. Sie breitete ihre Hände aus. «Das hier ist doch ihr Zuhause. Sie sollte hier sein.»
Das stimmte so nicht ganz – das Schloss war das Erbe von Lucs Vater, aber er hatte Marthe, seiner angeheirateten Tante, erlaubt, weiterhin dort zu wohnen, auch wenn er die Champagnerproduktion in großem Stil nach ihrem Schlaganfall eingestellt hatte, weil er sich nicht auch noch damit beschäftigen wollte.