Das kleine Schloss in Schottland - Julie Caplin - E-Book + Hörbuch
BESTSELLER

Das kleine Schloss in Schottland Hörbuch

Julie Caplin

4,8

Beschreibung

Bestsellerautorin Julie Caplin öffnet uns die Türen zu einem Wintertraum in den schottischen Highlands. Izzy McBride hätte nie damit gerechnet, von ihrem Großonkel ein Schloss zu erben. In der Vorweihnachtszeit reist sie nach Schottland – nur um festzustellen, dass es sich bei dem Anwesen um eine einzige Baustelle handelt. Es wird viel Zeit und Geld kosten, bis daraus ein einladendes Bed&Breakfast wird. Denn genau das ist der Plan von Izzys übereifriger Mutter. Und damit etwas Geld in die Kasse fließt, hat diese bereits ein Zimmer an den gut aussehenden Autor Ross Adair vermietet. Für Izzy ein Wettlauf gegen die Zeit. Denn während sich der erste Schnee über die schottischen Highlands legt, versucht sie, das Anwesen zu einem gemütlichen Ort zu machen – bevor sie über die Feiertage einschneien … Ein Wohlfühlroman mit allem, was das Herz begehrt: eine charmante Liebesgeschichte, liebenswürdige Figuren und viel Lokalkolorit!

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Zeit:10 Std. 40 min

Sprecher:Hannah Baus
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JulRul23

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Es war die beste Geschichte die ich je gehört habe
00
aberthoud

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Ein Aufsteller Buch die Protagonistin sieht durch eine einzigartige positive Brille gratuliere Dankeschön
00



Juli Caplin

Das kleine Schloss in Schottland

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Christiane Steen

 

Über dieses Buch

Das frühe Abendlicht tauchte die Umgebung in goldenen Schein. Mit einer Mischung aus Stolz und Aufgeregtheit schaute Izzy auf die rauen Mauern von Kinlochleven Castle. Es war nun ihr Zuhause – zumindest so lange, wie sie verhindern konnte, dass ihnen das Dach auf den Kopf fiel.

 

Izzy McBride hätte nie damit gerechnet, von ihrem Großonkel ein Schloss in Schottland zu erben. In der Vorweihnachtszeit zieht sie mit ihrer Mutter nach Kinlochleven Castle – nur um festzustellen, dass es noch viel Zeit und Geld kosten wird, daraus ein einladendes Hotel zu machen. Trotzdem hat Izzys übereifrige Mutter bereits ein Zimmer an den gut aussehenden Autor Ross vermietet. Er sucht Ruhe und ländliche Idylle zum Schreiben. Für Izzy eine große Herausforderung. Denn während sie versucht, das Anwesen in einen gemütlichen Ort zu verwandeln, legt sich der erste Schnee über die schottischen Highlands. Und Ross verhält sich mehr als geheimnisvoll …

Vita

Julie Caplin lebt im Südosten Englands, liebt Reisen und gutes Essen. Die Arbeit als PR-Agentin führte sie in die unterschiedlichsten Städte und eröffnete ihr so farbenfrohe Kulissen für ihre Romane. Mittlerweile widmet sie sich ganz dem Schreiben. In der Romantic-Escapes-Reihe sind zuletzt die Spiegel-Bestseller «Das kleine Cottage in Irland» und «Die kleine Bucht in Kroatien» erschienen. Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großes Lesevergnügen.

 

Christiane Steen ist Programmleiterin und Übersetzerin. Sie lebt in Hamburg.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «The Christmas Castle in Scotland» bei HarperCollins Publishers, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, November 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«The Christmas Castle in Scotland» Copyright © 2022 by Julie Caplin

Die Übersetzung des Gedichts von Robert Burns auf S. 405 stammt von Wilhelm Gerhard

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01412-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

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www.rowohlt.de

Für Donna – aus unendlich vielen Gründen

Kapitel 1

Oktober

Als Izzy ihr Gepäck aus dem Kofferraum holte, hörte sie eine Fahne flattern, begleitet vom Chor der klirrenden Metallhaken, die gegen die Stange stießen, und dem Schrei eines Bussards, der hoch über ihrem Kopf am Himmel schwebte. Sie schaute am Fahnenmast empor und stutzte irritiert, denn aus irgendeinem Grund prangte dort eine Piratenflagge – auf halbmast. Und das hier auf einem Schloss. Alles klar. Ihre Mutter folgte eigenen Gesetzen.

Stöhnend schleppte sie ihren Koffer die Steinstufen hinauf, die in der Mitte ganz glatt getreten waren, drückte die schwere, eisenbeschlagene Holztür auf und trat in die uneben geflieste Eingangshalle, die vom Echo Hunderter alter Geschichten widerhallte. Seit sechs Wochen war sie nicht mehr hier gewesen.

Ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht aus. Sie, Izzy McBride, war nun die offizielle Eigentümerin von Kinlochleven Castle. Ausgerechnet sie! Was um alles in der Welt hatte sich Großonkel Bill bloß dabei gedacht? Es war auf jeden Fall ein ganz schöner Schreck gewesen. Alle hatten erwartet, dass er das Schloss an seinen Cousin von der Ostküste vererben würde. Zum Glück hatte der aber keinerlei Groll gezeigt, als Izzy ihn auf Bills Beerdigung traf.

Jetzt brauchte sie erst mal einen Tee. Ihre Rückreise von Irland, wo sie die letzten sechs Wochen an der berühmten Kochschule Killorgally verbringen durfte, hatte vierundzwanzig Stunden gedauert. Daher sehnte sie sich nach einem großen Becher Tee und einem dieser unfassbar überteuerten Shortbreads, die sie am Flughafen von Edinburgh gekauft hatte. Denn wie sie ihre Mutter kannte, waren die Küchenschränke sicher leer. Xanthe war keine Köchin und interessierte sich auch nicht für Essen. Sie lebte meist von Zigaretten, Gin und Salat.

Zu Izzys Überraschung nahm sie bei ihrem Eintreten ins Schloss Essensgerüche wahr. Vielleicht hatte sie ihrer Mutter doch unrecht getan? Sie folgte dem Duft bis zum Ende eines langen, getäfelten Flurs und öffnete die Küchentür.

«Hi, Mum! Hast du etwa –» Beim Anblick eines breiten Rückens, der am großen schwarzen Rayburn-Herd stand, blieben ihr die Worte im Hals stecken. Die Gestalt drehte sich um, und Izzy erblickte einen großen und ziemlich derangiert aussehenden Mann in verblichenen Jeans und dickem Pullover. Ein Wollschal war mehrmals um seinen Hals geschlungen. Und er hatte die blauesten Augen, die sie je außerhalb eines TV-Bildschirms gesehen hatte.

«Hallo», sagte er und schob sich mit einer Hand die Strähnen seiner ungekämmten Haare aus dem Gesicht, während er mit einem Holzlöffel in der anderen in einer Kasserolle herumrührte.

«Wow! Sie haben ihn angekriegt», sagte sie und deutete mit dem Kopf auf das Monster von Küchenofen, den sie noch nie hatte anzünden können.

«Ja», sagte er lächelnd. «Auch wenn ich mich erst mal auf YouTube schlaumachen musste.»

Izzy nickte und wünschte, sie hätte es selbst so gemacht, als sie das erste Mal vor dem Ding gestanden hatte. Aber irgendwie hätte es sich wie Schummeln angefühlt. Und nun sollte es der Besitzerin eines schottischen Schlosses doch erst recht möglich sein, ihren Herd eigenmächtig anzuzünden.

«Entschuldigung, aber wer sind Sie eigentlich?», fragte sie ein wenig zu direkt, aber schließlich kam es nicht jeden Tag vor, dass man in sein Haus kam und einen – abgesehen von dem schlunzigen Beinahe-Bart – absolut umwerfend gut aussehenden Fremden in der Küche vorfand. Izzy gab seinen bezirzenden blauen Augen die Schuld daran, dass sie so forsch war.

Der Mann zog eine Augenbraue in die Höhe. Es wirkte gekonnt.

«Ich bin Ross Strathallan. Und wer sind Sie?»

Viel zu lange starrte sie ihn an, während ihr Hirn, das immer noch ganz durcheinander war von der Reise und von diesen blauen Augen, langsam zu Brei wurde. «Ich bin McBride … ich meine, Izzy. Also, Izzy McBride.»

Seine Augenbrauen vollführten dieses Ich-bin-nicht-sicher-was-das-alles-soll-aber-ich-spiele-gern-mit-Dingsbums. «Nett, Sie kennenzulernen, McBride.» Dann wandte er sich wieder seinem Topf zu.

«Ähm, entschuldigen Sie bitte», stotterte Izzy, die sein komplettes Desinteresse an ihrer Person völlig aus der Fassung brachte. Sie war vielleicht eine Weile weg gewesen, aber das hier war immer noch ihr Zuhause, und sie hatte keine Ahnung, was dieser Ross Strathallan, wer immer er auch war, in ihrer Küche zu suchen hatte.

«Ja?», antwortete er, als böte er ihr seine Hilfe an. Er wirkte total entspannt, sowohl in der Situation als auch mit sich selbst. Offenbar war er einer dieser übertrieben selbstbewussten, von sich überzeugten Männer, die sich in ihrer eigenen Haut pudelwohl fühlten. Doch gleichzeitig spürte Izzy eine gewisse Reserviertheit, als ob er sich von der Welt abschirmte.

Sie wollte nicht unhöflich klingen, aber was zum Teufel machte er hier? In ihrer Küche? Das hier war ihr Reich, das Herz des Schlosses. In Irland hatte es sie am Ende gejuckt, endlich wieder nach Hause zu kommen, ihre Küche in Beschlag zu nehmen und das Gelernte endlich anwenden zu können, bis sie irgendwann zahlende Gäste haben würden. Und jetzt einen Fremden hier zu sehen, in ihrem Zuhause … Das ging doch einfach nicht!

«Was machen Sie hier?» Die Worte klangen ungewöhnlich scharf. Normalerweise war sie viel geduldiger – bei einer Mutter wie ihrer musste sie das auch sein.

Wieder zog er seine Augenbraue auf diese verdammt irritierende Weise in die Höhe. «Ich mache mir etwas zu essen.» Er hob den Löffel, um ihr die gebackenen Bohnen zu zeigen.

Sie beschloss, wegen des Essens nicht laut zu schnauben, aber dort, wo sie die letzten Wochen verbracht hatte, zählten gebackene Bohnen nicht als Mahlzeit. Die Leiterin der Kochschule in Irland, Adrienne Byrne, wäre entsetzt gewesen.

«Wieso?», fragte sie.

«Weil ich Hunger habe», sagte er langsam und betont, als spräche er mit einer Schwachsinnigen.

Sie starrte ihn. Versuchte er etwa, witzig zu sein? Sie stieß einen genervten Seufzer aus, dann schenkte sie ihm ein künstliches Lächeln. «Ja, aber wieso kochen Sie in dieser Küche? In diesem Haus? Was haben Sie hier zu suchen?»

«Ich wohne hier», sagte er, als wäre das offensichtlich.

«Nein, tun Sie nicht», sagte sie.

«Doch.»

«Das können Sie nicht.»

«Doch, ich kann.»

«Seit wann? Ich meine, … Nein!» Sie hob ihre Hand. «Sagen Sie nichts. Sie können hier nicht bleiben.» Auch wenn sie ihn unter anderen Umständen sicherlich nicht einfach rausgeworfen hätte. Es war etwas Solides und Verlässliches und Unerschütterliches an ihm, selbst ohne sein gutes Aussehen und seinen Rugbyspieler-Körper. Normalerweise stand sie nicht auf diesen Typ Mann, jedenfalls nicht im echten Leben. Heimlich pflegte sie aber ziemlich heiße Fantasien über Jamie Fraser aus der Serie Outlander.

«Da bin ich anderer Ansicht», erwiderte er. «Wieso reden Sie nicht mit meiner Vermieterin Xanthe?»

«Vermieterin?» Izzys Stimme schraubte sich in die Höhe. «Sie hat Sie hier einziehen lassen? Wann? Und wie?»

«Nun, so wie es die meisten Leute machen. Mit ein paar Kartons und Koffern. Oh, und einer Zimmerpflanze.» Seine Lippen zuckten amüsiert, sodass sie ihn am liebsten geboxt hätte, auch wenn ihr Schlag wie der einer schlaffen Zeichentrickfigur vermutlich an seiner steinharten Brust abprallen würde. Nicht, dass sie in ihrem Leben schon irgendwen geboxt hätte, und sie hatte auch nie das Bedürfnis danach gespürt – außer das eine Mal, als Philip ihr verkündet hatte, dass er verlobt war. Aber mit diesem Thema wollte sie sich jetzt ganz sicher nicht beschäftigen.

«Ich hätte es ahnen müssen …», murmelte sie. «Und wie lange haben Sie vor zu bleiben?»

«Drei Monate.»

Izzy machte große Augen.

«Vermutlich länger. Allerdings habe ich unter der Voraussetzung gebucht, dass ich hier absolute Ruhe habe.» Spöttisch kniff er die Augen zusammen und wandte sich wieder um. Er nahm eine der beiden Toastscheiben, die auf der Grillplatte des Herds rösteten, und legte sie auf einen Teller, bevor er den halben Inhalt der Kasserolle – ungefähr die Menge einer ganzen Dose gebackener Bohnen – darüberkippte. Dann nahm er seinen Teller, setzte sich an den Tisch, lehnte einen E-Reader gegen einen Teebecher und begann zu essen.

Erneut starrte sie ihn an. «Drei Monate? Das geht nicht. Also, ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber Sie können nicht hierbleiben. Wir sind noch überhaupt nicht auf Gäste eingestellt. Sie müssen ausziehen.»

«Wie gesagt, ich würde vorschlagen, Sie klären das mit Xanthe», sagte er mit nervenaufreibender Gelassenheit, ohne sie weiter zu beachten.

«Das werde ich», sagte Izzy und klang dabei wie ein bockiges Kleinkind.

Sie würde ihre Mutter umbringen! Was zur Hölle hatte sie sich dabei gedacht? Sie waren noch gar nicht auf zahlende Gäste eingestellt – und erst recht nicht auf solche, die selbst kochten. Das hier war schließlich keine verdammte Jugendherberge oder billige Absteige. Zugegeben, es lag noch ein Berg an Arbeit vor ihr. Aber die Küche sollte ihr gemütliches Reich werden, abgetrennt vom Rest des Hauses. Ein Ort, an dem sie sich austoben konnte und ihre Ruhe haben würde, ganz besonders vor ihrer Mutter. Und nun schien sich dieser Kerl hier häuslich einrichten zu wollen. Damit war Izzy überhaupt nicht einverstanden.

Doch sie war erschöpft und hungrig, und die Bohnen rochen trotz allem gut. Sie rümpfte die Nase, ging an ihm vorbei und nahm sich einen Teller aus dem Schrank. Dann griff sie nach dem anderen Toast und lud sich den Rest der Bohnen aus dem Topf auf. Sie ignorierte seinen überraschten Blick, setzte sich ihm gegenüber und begann zu essen. Das hier war ihre Küche, und sie würde sich ganz sicher nicht daraus vertreiben lassen.

«Bedienen Sie sich ruhig», sagte er mit empörtem Blick auf ihren Teller.

«Vielen Dank.»

«Möchten Sie vielleicht noch eine Dose? Die können Sie dann einfach von meiner Rechnung abziehen.»

Izzy ließ ihre Gabel auf den Teller fallen und blickte ihn gequält an. Oh Gott, wie peinlich! Sie hatte angenommen, dass in dem Betrag, den er ihrer Mutter zahlte, zumindest die Mahlzeiten enthalten waren. War Xanthe wirklich derartig schamlos?

Sie war so wütend, dass es sinnlos wäre, jetzt gleich mit ihrer Mutter zu sprechen. Das würde ihren Blutdruck nur in eine gefährliche Höhe treiben. Stattdessen stürmte sie zurück in die Eingangshalle, vorbei an dem Hirschgeweih und den Angelruten, die die Wände zierten, bis zur Veranda. Sie brauchte dringend frische Luft.

Kurzerhand zog sie sich eine Wachsjacke an, schob sich durch die schwere Holztür und stapfte auf die Kiesauffahrt. Dort hielt sie kurz an und holte tief Luft, dann schritt sie zwischen den beschnittenen Bäumen und Büschen in den Park und in Richtung des nahe gelegenen Moores.

Die Sonne stand schon tief am Himmel, vermutlich würde es nur noch eine Stunde hell sein. Der sich ankündigende Sonnenuntergang hatte die Wolken bereits rosa gefärbt, doch das war Izzy egal. Seit ihrem Aufenthalt in Irland hatte sie gelernt, dass Essen zwar den Körper ernährte, doch dass es einzig und allein der Aufenthalt in der Natur war, das Einssein mit ihr, das die Seele nährte. Und genau das brauchte sie jetzt, sie musste einfach draußen an der frischen Luft sein.

Nachdem sie zwanzig Minuten schnellen Schrittes gegangen war, blieb sie stehen, um zu Atem zu kommen. Sie drehte sich um und schaute den Hang hinab, den sie erklommen hatte.

Das frühe Abendlicht tauchte die Umgebung nun in goldenen Schein, der sich harmonisch mit den herbstlichen Farben aus Rostbraun, Orange und Rot mischte. Bei diesem Anblick spürte sie einen freudigen Stich im Herzen, und ihr Ärger von vorhin verflog. Mit einer Mischung aus Stolz und Aufgeregtheit schaute sie auf die rauen Mauern von Kinlochleven Castle, das sich zwischen den braunen, gelben und blassrosa Herbstbäumen erhob. Dahinter bewachten rötliche, mit Farn bewachsene Hügel den Horizont. Der idyllische Eindruck der gesamten Szenerie wurde von dem perfekten Spiegelbild, das sich im glasklaren Loch Leven zeigte, noch gesteigert.

Die markanten, schindelgedeckten Kegeldächer, die Türmchen und Zinnen gaben dem schottischen Adelsschloss aus dem neunzehnten Jahrhundert eine majestätische Erscheinung und erinnerten in ihrer Pracht an ein vergangenes Zeitalter. Es war nun ihr Zuhause – zumindest so lange, wie sie verhindern konnte, dass ihnen das Dach auf den Kopf fiel. Doch sie war fest entschlossen, selbst wenn es sie ihren letzten Penny kosten würde.

Izzy ließ sich auf einen umgestürzten Baumstamm sinken, stützte das Kinn in eine Hand und betrachtete das wunderschöne Erbe, das von nun an unter ihrem Schutz stand. Sie musste das Gebäude für zukünftige Generationen erhalten, aber sie musste auch dafür sorgen, dass das Schloss Geld abwarf. Ihr Großonkel war strikt dagegen gewesen, einen Teil des Landes zu verkaufen, deshalb hatte er es ihr und nicht ihrer Mutter oder seinem Cousin vererbt. Das Anwesen in ein kleines privates Hotel umzuwandeln, schien die einzige Lösung, wie sich das Schloss finanzieren ließ.

Natürlich gab es noch eine Menge zu tun, aber die schwierigste Aufgabe würde sein, Xanthe unter Kontrolle zu halten. Ganz offensichtlich war es bereits mit ihr durchgegangen, und sie hatte einem vollkommen Fremden ein Zimmer vermietet. Izzys Mutter gehörte einfach zu den Menschen, die schon losrennen wollten, bevor sie überhaupt sicheren Stand hatten, und das am liebsten mit olympischer Rekordgeschwindigkeit. Es war jedem ein Rätsel, woher Izzy ihren gesunden Menschenverstand geerbt hatte, denn ihr Vater schien nicht viel besser gewesen zu sein. Er war bei einem Unfall gestorben, genauer gesagt bei einem Traktorrennen auf der Straße vor ihrem Haus, als Izzy gerade mal fünf Jahre alt gewesen war.

Aber genug der Grübelei. Sie schaute auf ihr Handy. In der WhatsApp-Gruppe, die sie in ihrem Kochkurs in Irland eingerichtet hatten, häuften sich bereits die Antworten auf ihre Nachricht von vorhin.

Izzy: Ich bin zu Hause. Fürchterliche Reise, aber so schön, wieder da zu sein.

Jason: Bin zurück im Job, und mein Boss lässt schon wieder die Peitsche knallen. Kaum zu glauben, aber ich vermisse Killorgally jetzt schon.

Fliss: Hoffe, dein neues Projekt läuft gut, Izzy. Viel Glück!

Jason: Sag Bescheid, wann wir kommen können. Bin noch nie in einem Schloss gewesen.

Hannah: Viel Glück beim Kochen!

Sie lächelte. Von den Teilnehmern würde sie alle vermissen, aber besonders Hannah, Fliss und Jason, die ihr altersmäßig am nächsten waren.

Izzy stand auf und atmete noch einmal tief aus. Jetzt, wo sie sich etwas beruhigt hatte, würde sie ihre Mutter aufsuchen und herausfinden, was es mit diesem Ross Strathallan auf sich hatte – und wie schnell sie ihn wieder loswerden und ihre Küche zurückerobern konnte.

Kapitel 2

Zu ihrer Erleichterung war die Küche leer, als sie zurückkam. Doch gerade als sie dankbar ihren ersten Schluck Tee trank, ging die Tür auf, und ein drahtiger Mann mit grau melierten Haaren, die von ein paar rot verblichenen Strähnen durchzogen wurden, kam herein.

«Ah, Kleines, du bist wieder da. Ich hab vorhin schon das Auto auf der Straße gesehen.»

«Duncan, wie geht es dir?» Izzy war erfreut, ihn zu sehen. Seit über zwanzig Jahren arbeitete er schon im Schloss, und er sollte eigentlich längst in Rente sein, doch er hatte Izzy angeboten, ihr bei allen Fragen rund um das Anwesen und seine Geschichte zur Seite zu stehen.

«Nicht schlecht, nicht schlecht. Wie war’s denn in Irland?»

«Ziemlich gut, ich werde mich beim Kochen jedenfalls nicht blamieren. Hoffentlich.» Sie grinste. «Möchtest du auch eine Tasse Tee?»

«Jep. Ich muss dir sowieso eine Menge erzählen.» Er wiegte den Kopf und schnalzte.

«Okay.» Sie holte eine Tasse und goss ihm Tee ein, dann setzten sie sich beide an den Tisch.

«Ich habe den Kostenvoranschlag für die Reparatur vom Dach bekommen.»

«Das ist toll, danke, Duncan.» Sie lächelte ihn an. Sie hatten vor sechs Wochen darüber gesprochen, und sie war dankbar, dass er sich während ihrer Abwesenheit darum gekümmert hatte.

Er lächelte seltsam gequält zurück. «Wenn du den Preis erfährst, bist du vermutlich nicht mehr so froh darüber. Das Dach ist etwas schlimmer dran, als wir dachten.»

«Oh! Wie viel schlimmer?», fragte Izzy und umklammerte ihre Tasse, als könnte ihr die Wärme etwas Trost spenden.

Duncan verzog den Mund.

«Sag es mir lieber gleich.»

«Das wird mindestens zwanzigtausend kosten.»

Augenblicklich drehte sich ihr der Magen um. «Das ist viel Geld.»

«Wir können es erst noch ein bisschen flicken, aber das gesamte Dach über dem Ostflügel muss erneuert werden.»

Izzy nickte wie betäubt und unterdrückte ihre Übelkeit.

«Nun, die Hennen legen fleißig Eier», erklärte Duncan lapidar. «Also werden wir wenigstens nicht verhungern.»

«Na super», sagte sie mit einem schwachen Lächeln.

«Es ist jedenfalls gut, dass du wieder da bist, Kleines.» Er zwinkerte ihr aufmunternd zu, doch dann fiel ein Schatten über sein Gesicht. «Sehr gut sogar. Xanthe hat mich die letzten Wochen ganz schön herumgescheucht, und ich bin froh, wenn ich mal eine Atempause kriege.»

Izzy schaute ihn mitfühlend an und überlegte, was ihre Mutter bloß noch alles angestellt haben mochte. «Ich werde am besten mal zu ihr gehen. Ich habe sie noch gar nicht gesehen.»

«Sie hat sich nicht verändert», sagte Duncan und presste die Lippen zu einem Strich zusammen.

 

Als Izzy wenig später in die Haupthalle trat, schallte ihr eine Stimme so laut wie ein Nebelhorn vom oberen Stockwerk entgegen. «Izzy, Schatz, du bist wieder da!»

Ihre Mutter beugte sich über die hölzerne Balustrade und winkte ihr erhaben zu, als sei sie die Queen auf der königlichen Jacht Britannia, die gerade vor Anker ging.

«Ja, Xanthe, ich bin wieder da», murmelte Izzy, während ihre Mutter die Stufen hinuntereilte, wobei sie fast über den lilafarbenen Chiffonstoff stolperte, der um ihre Beine flatterte.

Am Fuße der Treppe umfasste sie Izzys Schultern und stach ihr mit ihrem federigen Haarschmuck, der wie ein exotischer Vogel auf den feuerroten Locken hockte, beinahe das Auge aus. «Liebling, was hast du denn für Schatten unter den Augen? Wir müssen dir Gurkenscheiben besorgen.»

«Warum war da vorhin ein fremder Mann in der Küche?»

Ihre Mutter sog an ihrer paillettenbesetzten Zigarettenspitze und blies den Rauch aus. Dann grinste sie Izzy verschmitzt an. «Netter Anblick, was? Diese Schultern! Er hat was von Jamie Fraser, finde ich. Ich dachte, wir könnten ihn behalten.»

Izzy prustete los. Ihre Mutter war komplett verrückt, aber es hatte gar keinen Sinn, sich mit ihr zu streiten. Das hatte sie schon vor langer Zeit gelernt.

«Du bist unverbesserlich, Mum. Also, was macht er hier? Er glaubt, dass er drei Monate im Schloss wohnen kann.»

«Ja!» Xanthe sah sehr zufrieden mit sich aus. «Mrs. McPherson, die bei der Post arbeitet – die mit diesen Zähnen, du weißt schon … Apropos, meinst du, es gibt hier einen Zahnarzt? Meine eine Füllung fühlt sich etwas locker an und –»

«Was wolltest du von Mrs. McPherson erzählen?»

Izzy seufzte. Ihre Mutter war ganz groß darin, den Faden zu verlieren.

«Na ja, sie war diejenige, die uns den Professor vor ein paar Wochen geschickt hat. Sie wusste von unseren Plänen … na ja, natürlich wusste sie es. Sie arbeitet bei der Post, und die wissen ja immer alles, stimmt’s? Jedenfalls hat sie ihm erzählt, dass wir hier ein Hotel eröffnen wollen, und er wollte irgendwo unterkommen, wo es ruhig ist. Er schreibt nämlich ein Buch. Und da wir gerade keine anderen Gäste haben, dachte ich, das wäre doch gut für die Kasse.»

Professor? Izzy biss die Zähne aufeinander. «Aber wir haben noch keine Gäste, weil wir noch nicht auf Gäste vorbereitet sind!»

«Quatsch, Süße. Wir haben Zimmer, und damit ist es gut. Du solltest mal sehen, was ich mit dem Salon angestellt habe, während du weg warst. Außerdem ist unser Gast vollkommen einverstanden damit, sich selbst zu versorgen. Ohnehin sehe ich ihn kaum. Und das ist eigentlich schade, wo er so ein hübscher Anblick ist.»

«Darum geht es doch nicht.» Izzy schluckte.

«Aber er hat gesagt, wir würden gar nicht merken, dass er hier ist.» Die sowieso schon laute Stimme ihrer Mutter drehte noch ein paar Dezibel mehr auf. «Er ist Schriftsteller. Ein Geschichtsprofessor im Sabbatjahr. Ehrlich, Liebling, er verbringt den ganzen Tag in seinem Zimmer, geht spazieren und ist dann wieder den ganzen Abend oben. Schrecklich langweilig. Ich vermute, dass er zu diesen großen, dunklen Grüblertypen gehört. Stille Wasser und so weiter, du weißt schon. Aber meinst du nicht auch, dass unter diesem zurückhaltenden Äußeren vielleicht große Leidenschaft brodelt? Jedenfalls macht er wirklich keine Mühe. Und jetzt komm und schau dir an, was ich geschafft habe.»

Bevor Izzy auch nur ein Wort erwidern konnte, schwebte ihre Mutter in ihrer lilafarbenen Wolke davon. Mit entnervtem Seufzen folgte sie ihr durch die Halle in den nördlichen Korridor und einen weiteren Gang hinunter, der mit einem ziemlich zerschlissenen Teppich in Karomuster ausgelegt war – teilweise war er mit grau glänzendem Klebeband am Boden festgeklebt.

Das alte Teil musste ganz dringend ersetzt werden, dachte Izzy, bevor jemand über die ausgefransten Ränder stolperte und sich den Hals brach. Ein weiterer Grund, weshalb sie noch keine Gäste beherbergen konnten. Die Gesundheit und Sicherheit der Gäste waren zurzeit einfach noch nicht zu garantieren.

«Oh, und noch was, Mum: Wieso weht am Turm eine Fahne mit Totenschädel und gekreuzten Knochen?», fragte sie, als sie ihre Mutter eingeholt hatte.

«Ist das nicht lustig? Ich habe sie in einer der Kommoden auf dem Dachboden gefunden und dachte, wieso nicht? Dann wissen die Nachbarn gleich, dass wir jetzt hier sind.»

Izzy lächelte schief. Das war typisch Xanthe.

«Ta-daa!», rief ihre Mutter und drückte eine Tür am Ende des Ganges auf.

Izzy trat in den Salon, der mit seinen vier großen Fenstern den Loch überblickte. Zwei weitere Fenster befanden sich am Ende des Raumes. Das Licht hier drin war herrlich, doch leider hatte man deshalb auch immer die verblichene Farbe der Wände überdeutlich sehen können, genauso wie die große Ansammlung von Spinnweben an der staubigen Stuckdecke oder die sonnenverblichenen Polstermöbel.

Aber all das war nun verschwunden.

«Oh, Wahnsinn!», rief Izzy. «Das sieht ja toll aus!»

Ihre Mutter hatte den Raum komplett überholt. Die Wände waren in geschmackvollem Mintgrün gestrichen – bestimmt trug die Farbe einen Namen wie ‹Waldsalbei› oder ‹Dünengras›, dachte sie. Die Decke war weiß getüncht worden, und rechts und links der Raffrollos aus vertraut wirkenden, kostbaren Stoffen hingen Vorhänge. Izzy erkannte auch ein paar der Bilder und Antiquitäten wieder, die aus anderen Teilen des Schlosses hergebracht worden waren, um aus dem Salon einen gemütlichen, geschmackvollen Raum zu machen.

«Ich weiß», sagte Xanthe selbstzufrieden.

«Wie hast du …?» Ihre Mutter war zwar sehr kreativ, aber praktisch veranlagt war sie nicht. Wenn sie sich allerdings etwas in den Kopf setzte, konnte sie ziemlich stur und entschlossen sein – besonders, wenn sie jemandem etwas beweisen wollte.

«Ich habe Duncan aus seinem Büro gelockt, und er hat mir geholfen, die Möbel umzustellen.» Izzy starrte sie an. Daher wirkte der gute Mann so erschöpft. «Findest du die Überwürfe nicht herrlich? Fühl mal, sie sind so weich. Ich habe sie aus ein paar alten Decken gemacht, die ich in den Kisten auf dem Dachboden gefunden habe. Es war herrlich, dort herumzukramen. Ich muss schon sagen, damals hat man den Haushalt wirklich gut geführt. Alles war zusammen mit Mottenkugeln eingepackt. Die Raffrollos habe ich aus den Vorhängen von einem der Schlafzimmer genäht. Sie waren nur am Rand ausgeblichen, darum konnte ich fast den ganzen Stoff verwenden. Und die Schals sind bloß zur Dekoration, ich habe sie aus den Originalvorhängen gemacht und nur die Sonnenschäden abgeschnitten. Hübsch, oder?»

«Ja, allerdings», musste Izzy zugeben. «Und sehr sparsam. Das hast du wirklich toll gemacht, Mum.»

«Sparsam ist mein zweiter Vorname, und ansonsten heiße ich Xanthe, Liebling», verbesserte sie ihre Mutter.

Izzy ging geflissentlich darüber hinweg. «Der Raum sieht aus wie neu.» Sie betrachtete die makellosen Wände noch einmal genauer. «Hast du hier gestrichen?»

Xanthe lachte. «Du liebe Güte, nein. Ich habe mir jemanden geholt, Liebling.» Sie wedelte mit ihren lackierten Fingernägeln. «Der Kerl hat ziemlich gute Arbeit gemacht, auch wenn ich erst noch jemanden bestellen musste, der die Wände neu verputzt.»

Izzy schluckte. «Ah. Und was hat das gekostet?» Sie schob ihre Hände in die Taschen ihrer Jeanshose und verzog den Mund zu einem bemühten Lächeln. Schließlich hatten sie schon mal darüber gesprochen: Diese Arbeiten wollte Izzy selbst erledigen, damit sie Geld sparten – na ja, vielleicht nicht gerade Wände verputzen, aber Risse auffüllen, streichen und solche Sachen.

Ihre Mutter sah für Izzys Gefühl ein wenig zu selbstzufrieden aus.

«Ich weiß, was du denkst. Wir können es uns nicht leisten, aber …» Sie tippte sich an die Nase. «Du vergisst etwas.»

Izzy schaute ihre Mutter fragend an. «Was?»

«Professor Strathallan hat für den ersten Monat im Voraus bezahlt.»

Was war bloß aus den typischen Professoren geworden? Diesen notorisch klammen Männern in Cordjacken mit Ellenbogenschützern? Nicht abschweifen, Izzy, ermahnte sie sich.

«Mit seinem Geld konnte ich die Farbe und das Verputzen wunderbar bezahlen.» Xanthe hob überheblich das Kinn. «Und es kommt noch mehr Geld rein.»

Izzy schloss die Augen. Sie fürchtete sich davor zu erfahren, wie wenig Miete ihre Mutter verlangt hatte. Denn von Geld hatte sie wirklich keine Ahnung, es rann ihr schneller als Wasser durch die Finger. Vermutlich würde die Miete kaum die Heizkosten für sein Zimmer decken. Was noch ein Grund mehr war, ihn wieder wegzuschicken. Sie würden sonst noch Geld dabei verlieren.

Izzy öffnete die Augen. «Also, wie viel hast du von ihm verlangt?», fragte sie, als wäre sie eigentlich kaum daran interessiert.

«Fünfhundert Pfund.»

«Fünfhundert Pfund für drei Monate?»

«Sei nicht albern, Schatz. Für wie dumm hältst du mich? Das ist für eine Woche.»

«Was?!», quiekte Izzy und riss überrascht die Augen auf.

«Ja, zweitausend im Voraus für den ersten Monat. Ich dachte, das ist angemessen. Immerhin hat er ein Schloss fast ganz für sich allein. Und …» Xanthe warf sich in die Brust. «Wir brauchten schließlich das Geld, oder nicht? Außerdem habe ich –»

«Aber wir kochen nicht mal für ihn!» Izzy fühlte, wie ihr die Schamröte ins Gesicht stieg.

Ihre Mutter zuckte mit den Schultern. «Das scheint ihn nicht zu stören. Solange er nur seine Ruhe hat. Das war ihm am allerwichtigsten, also habe ich ihn ganz am Ende des Westkorridors untergebracht. Du weißt doch, das Zimmer mit diesem grässlichen Bild von den röhrenden Hirschen.»

Izzy sagte einen Moment gar nichts, dann musste sie unwillkürlich lachen. Ihre Mutter war wirklich immer für eine Überraschung gut, und wenn der Mann mit der Höhe der Miete einverstanden gewesen war, war es gerade wirklich nicht an ihr, das Geld abzulehnen. Verdammt, sie würde sich bei ihm entschuldigen und ihn mindestens bis zum Ende dieses Monats hier wohnen lassen müssen. Aber länger konnte er nicht bleiben, dafür gab es zu viel zu tun. Er würde ständig im Weg sein, und spätestens wenn die Bauarbeiten begannen, wäre es mit der Ruhe vorbei.

«Ehrlich, Izzy, ich weiß nicht, warum du mich für derartig unfähig hältst.» Die Feder von Xanthes Kopfschmuck wackelte hin und her und unterstrich ihre Empörung.

Izzy schob einen Arm durch den ihrer Mutter. «Ich halte dich für großartig, und dieser Raum sieht toll aus. Wo sollten wir deiner Meinung nach weitermachen?»

«Ah», sagte Xanthe mit einem schelmischen Lächeln. «Komm und schau dir das Esszimmer an. Ich muss dir noch was zeigen. Ich habe dieses schreckliche ausgestopfte Wiesel entsorgt.»

 

«Wow! Einfach nur wow», sagte Izzy, als sie wenig später mit großen Augen das wunderschön gestaltete Esszimmer betrachtete.

Xanthe grinste mit dem zufriedenen Stolz eines Pfaus, der seine ganze Federpracht zeigt. «Gut, oder?»

Sie hatte nicht nur eine erlesene Sammlung an glänzend polierten Möbeln zusammengetragen, sondern außerdem die lange Tafel mit einem weißen Tischtuch überzogen und für zwanzig Personen eingedeckt: mit glitzernden Kristallgläsern, glänzendem Silberbesteck und zarten Porzellantellern, auf denen frisch gestärkte Damastservietten lagen. Dunkelgrüne Vorhänge umrahmten die beiden großen Flügelfenster, und Xanthe hatte sogar neue Fensterpolster genäht. In der Mitte des Tisches hatte sie vergoldete Tannenzapfen und Kerzen zwischen Efeuranken drapiert, und an den Tischenden prangten die beiden goldenen Hirschkandelaber, in denen kleine weiße Kerzen steckten.

«Wow! Xanthe, das sieht umwerfend aus. Als wäre schon Weihnachten.»

«Ich weiß, ich habe dafür auch viele Likes auf meiner Instagram-Seite bekommen. Wir sind bereit für unsere Weihnachtsbuchungen, denke ich.»

Izzy hob die Augenbrauen. «Nächstes Jahr vielleicht. Für dieses Jahr ist es zu früh. Es gibt noch so viel zu tun. Denk nur dran, wie viele Gästezimmer wir renovieren müssen.»

«Isabel Margaret Mary McBride! Manchmal denke ich, du hast zu viele Gene von meiner Großmutter geerbt – die alte Krähe war genauso miesepetrig.»

«Vielleicht war sie einfach nur vernünftig?» Izzy verdrehte die Augen.

«Unsinn! Wo ist nur dein Sinn fürs Abenteuer?»

«Xanthe, wir sind noch nicht vorbereitet auf Weihnachtsgäste!»

Xanthe schwebte im Zimmer herum und fummelte an einer der Kerzen am Kandelaber, dann machte sie sich an den anderen in der Mitte des Tisches zu schaffen. «Und was, wenn sie fünfundzwanzig dafür zahlen würden?»

«Fünfundzwanzig was?»

«Tausend», stieß Xanthe entnervt aus.

«Dann würde ich sagen, dass sie komplett verrückt sind.» Für so viel Geld würden die Leute ein Catering vom Niveau eines Sternehauses erwarten und dazu teuerste Getränke.

«Verrückt oder nicht –» Ihre Mutter drehte sich mit dramatischer Geste herum und wedelte gefährlich mit einem brennenden Streichholz in der Luft. «Ich habe noch weitere fantastische Neuigkeiten. «Willst du sie hören?» Ihre Augen glänzten vor beinahe fiebriger Aufregung.

«Was hören?», fragte Izzy, in deren Kopf sich die Kosten summierten. Von Professor Strathallans Geld konnte nicht mehr viel übrig sein.

Xanthe verschränkte die Arme und sah extrem zufrieden mit sich aus, was Izzy umgehend mit einem Gefühl der Vorahnung erfüllte.

«Ich habe das Schloss über Weihnachten vermietet.»

«Du hast was?» Izzy richtete sich kerzengerade auf. «Das hast du nicht.»

«Habe ich sehr wohl.»

Izzy starrte ihre Mutter fassungslos an. «Erzähl mir nicht, dass irgendein Millionär deine Posts auf Instagram gesehen hat, um uns fünfundzwanzigtausend Pfund für einen Weihnachtsaufenthalt zu bieten.»

Verärgerung und Triumph spiegelten sich auf dem Gesicht ihrer Mutter. «Tatsächlich, Miss Oberschlau, ist es ganz genau so.»

Izzy verengte ihre Augen zu schmalen Schlitzen.

«Ja, wirklich, Liebes. Die Assistentin eines gewissen Mr. Carter-Jones hat mir geschrieben und gesagt, Kinlochleven Castle wäre genau der Ort, nach dem sie gesucht hätten. Also habe ich geantwortet, dass …» Ihr Mund zuckte kurz bei der Erinnerung. «Dass es sehr exklusiv sei und nur für einen fünfstelligen Betrag die Woche zu haben wäre. Sie hat gefragt, ob wir es für fünfundzwanzigtausend machen würden, da habe ich Ja gesagt.»

Izzy fühlte, wie ihre Knie weich wurden. «F-f-fünfundzwanzig … t-tausend Pfund? Du … du machst doch Witze!»

«Nein, tue ich nicht.»

«Aber wir können doch niemals –»

«Ehrlich, Izzy, manche Leute sind auch niemals zufrieden. Du hast gesagt, wir brauchen Geld, also habe ich mich darum gekümmert, dass wir welches bekommen, und jetzt hast du damit auch wieder ein Problem. Was willst du eigentlich?»

«Mum! … Xanthe, für das Geld werden sie einen noblen Sechssterne-Luxusaufenthalt erwarten.» Izzy schüttelte den Kopf. «Und du bist sicher, das ist kein Scherz?»

«Izzy, selbst du musst doch vom Reichtum der Carter-Jones gehört haben. Alexander Carter-Jones macht in Boxershorts, weißt du. Ziemlich passend für Schottland, der Heimat des Kilts, unter dem die meisten Männer, die ich kenne, alles frei hängen lassen … Jedenfalls hat seine Frau offenbar schottische Vorfahren, und das war immer ihr Traum. Ich habe seiner Assistentin gesagt, wir bräuchten eine Anzahlung von siebentausend, um die Buchung zu garantieren, und der Mann hat heute Morgen überwiesen.»

«Was?!» Izzy blinzelte ihre Mutter an. «Wirklich?»

«Ja, du Ungläubige.» Sie strahlte ihre Tochter an. «Wir können das Geld für die Gästezimmer verwenden. Ich habe die hübschesten Tapeten gesehen …»

«Mum, Weihnachten ist schon in sechs Wochen. Das ist nicht genügend Zeit.»

«Ach, sei nicht albern. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Sicher können wir jemanden aus dem Dorf anstellen, der uns bei der Renovierung und beim Putzen hilft, wenn es denn sein muss.»

Izzy biss sich auf die Lippen. «Wie viele Leute werden denn kommen?» Schon drehten sich ihre Gedanken um all die Dinge, die noch zu tun waren.

«Im Moment sind es noch vier, aber sie haben gesagt, vielleicht kommen noch ein oder zwei mehr.» Mit diesen Worten wirbelte ihre Mutter herum. «Also, ich lasse dich dann jetzt mal allein. Cheerio!»

Nachdem ihre Mutter in einer Wolke aus Parfüm und Befriedigung hinausgerauscht war, starrte Izzy noch eine Weile auf die Tür. Fünfundzwanzigtausend Pfund. Das war viel Geld. Auf jeden Fall genug, um das Dach zu reparieren und ein paar Renovierungsarbeiten zu bezahlen, falls Xanthe das Geld nicht schon für die Tapeten ausgegeben hatte. Ihnen blieben sechs Wochen. Ungläubig schüttelte Izzy den Kopf. Mit dem Geld der Carter-Jones und der Miete von Ross Strathallan könnten sie es vielleicht wirklich schaffen …

Kapitel 3

Izzy tippte nervös mit dem Fuß auf und schaute auf die Uhr. In der Hand hielt sie Stift und Block. Sie hatte gehofft, Professor Strathallan gleich morgens zu treffen, doch leider war das einzige Lebenszeichen von ihm ein noch warmer Teekessel auf dem Herd und eine abgespülte Müslischale auf dem Abtropfgitter, woraus sie schließen konnte, dass er ganz offensichtlich Frühaufsteher war.

Er schien außerdem ruhig, unauffällig und sehr selbstständig zu sein – so ganz ohne Zimmerservice. Das machte die exorbitante Summe, die Xanthe von ihm verlangt hatte, in Izzys Augen noch beschämender. Für diesen Preis sollten sie einen besseren Service anbieten. Aber sie mussten sich darauf konzentrieren, das Schloss in Schuss zu bringen und zu renovieren, ohne sich auch noch um einen Gast kümmern zu müssen.

Entschlossen legte Izzy Notizblock und Stift beiseite, eilte aus der Küche und lief die Treppe hinauf, vorbei an leicht vergilbten eingerahmten Porträts von steif dastehenden Männern mit ihren Ehefrauen, die alle mit strenger Miene auf sie herabsahen – alles Menschen, die vor ihr in diesem Schloss gewohnt hatten. Sie ging den Flur zu Strathallans Zimmer hinunter und blieb einen Augenblick zögernd vor seiner Tür stehen. Aber der Mann war ja offensichtlich schon aufgestanden, sie würde ihn also nicht aufwecken.

Selbstbewusst klopfte sie mit den Knöcheln fest gegen das polierte Türholz. Sie wartete, doch niemand antwortete. War er nicht im Zimmer? Vielleicht war er spazieren gegangen? Sie klopfte ein zweites Mal und wartete erneut auf Antwort. Als sich nichts regte, rief sie: «Mr. Strathallan?»

Nichts.

Sie klopfte ein drittes Mal und wollte gerade wieder gehen, als sie von drinnen ein deutliches Knallen vernahm und ein lautes «Herrgott noch mal!».

Ups. Er klang nicht besonders erfreut.

Schon bereute sie, ihn gestört zu haben, besonders weil sie ihm sagen musste, dass sie nicht länger für Ruhe garantieren konnten und er deshalb abreisen musste. Die massive Tür wurde aufgerissen, und Ross Strathallan stand mit gerunzelter Stirn vor ihr. Er schien vor Anspannung zu vibrieren, seine dunklen Brauen waren zu zwei wütenden Strichen zusammengezogen. Beinahe wäre sie zurückgewichen.

«Was wollen Sie?», fragte er und zog die Worte derartig zusammen, dass sie einen Augenblick brauchte, um zu verstehen, was er meinte. Sie war so überrascht, dass sie um Worte rang.

«Ich … äh …»

Seine dunkelblauen Augen durchbohrten sie förmlich, sodass sie unbehaglich von einem Bein auf das andere trat und sich vorkam wie eine Teenagerin, die nicht wusste, wohin mit sich.

«Ja?», blaffte er. «Ich arbeite. Gibt es etwas Dringendes?»

«Äh, nein», quiekte sie mit der Souveränität eines gewürgten Meerschweinchens.

«Ich hatte doch ziemlich deutlich gemacht, Miss McBride, dass ich nicht gestört werden will. Deshalb bin ich hierhergekommen, und deshalb bezahle ich ein Vermögen. Für Ruhe und Frieden.» Seine Betonung der beiden Worte war unmissverständlich. Er warf ihr einen finsteren Blick zu und schüttelte dann den Kopf, als wäre es sein Schicksal, sich nur mit Idioten herumschlagen zu müssen.

Izzy stand einfach nur stumm da, während er die Tür vor ihrer Nase wieder zumachte.

«Also, das ist doch …», murmelte sie, als sie endlich einen Gedanken fassen konnte. Wie unverschämt!

 

Zehn Minuten später stürmte sie mit einem Thermosbecher Tee über den gepflasterten Hof ins Büro mit dem großspurigen Namen «Schlossverwaltung». Duncan würde eine Tasse Tee niemals ablehnen, und sie musste raus aus dem Haus. Im Kopf formulierte sie mit jedem ihrer wütenden Schritte ein höflich-kühles Kündigungsschreiben, das sie mit größter Freude noch heute unter der Türschwelle ihres Gasts hindurchschieben würde.

Lieber Herr Professor Strathallan, mit Bedauern …

Nein, sie bedauerte es keineswegs.

Lieber Herr Professor Strathallan, ich muss Sie bitten, Ihr Zimmer bis zum Monatsende …

Nein, auch nicht. Sie wollte ihn nicht bitten, sondern es anordnen.

Lieber Herr Professor Strathallan, bitte verstehen Sie dieses Schreiben als Aufforderung, Ihr Zimmer zum Ende des Monats zu räumen.

Eigentlich sollte sie ‹umgehend› daraus machen, aber das wäre nicht sehr professionell. Tatsächlich würde es ziemlich hysterisch klingen.

Vielleicht so: Lieber Herr Professor Strathallan, bitte verstehen Sie dieses Schreiben als Aufforderung, Ihr Zimmer bis Freitag zu räumen.

Ja, das war besser. Zufrieden, dass sie die richtige Formulierung gefunden hatte, drückte Izzy die Tür zum Verwalterbüro auf und trat ein.

Ein leicht muffiger Geruch empfing sie. Der Raum präsentierte ein ziemliches Durcheinander aus Papieren, alten Fotos und nicht identifizierbaren Geräten und Eisenwaren, deren ursprüngliche Verwendung sie nur erahnen konnte. Obwohl das alles hier Duncans Reich war, liebte sie diesen Geist von Historie und wie alles von Generation zu Generation weitergegeben worden war. Izzy hatte Duncan erst kurz vor ihrer Abreise nach Irland kennengelernt, doch sie hatte schnell eine Zuneigung zu dem älteren Mann entwickelt. Im Gegenzug schien er ihren Eifer zu schätzen, alles lernen und tun zu wollen, um das Anwesen zu erhalten. Er bezog eine Rente aus dem Nachlass, der zum Glück gut angelegt war, und durfte so lange in seinem Cottage leben, wie er wollte.

«Morgen, Duncan.»

«Ah, Isabel.» Er schaute von einem altmodischen Buch auf, in dem er gerade mithilfe einer Lupe gelesen hatte.

Izzy hatte schon bei einem früheren Besuch festgestellt, dass er eine Lesebrille bräuchte, doch er hatte es glatt abgestritten und gemeint, er könne gut genug sehen. Und tatsächlich besaß er ein außerordentliches Sehvermögen für die Ferne. Er konnte einen Hirsch aus einer Meile Entfernung in den Farngewächsen auf dem Hügel erkennen.

«Ich hab vom Hofladen was für dich herschicken lassen.» Er deutete auf eine Kiste voller Lebensmittel und Gemüse, die auf dem Tisch stand. «Wollte sie gleich rüberbringen. Dachte, deine Mutter wird vielleicht nicht dran denken.»

«Danke, Duncan, das hilft mir sehr. Ich muss bald mal vorbeifahren und mir einen Überblick über ihr Angebot verschaffen.» Sie warf einen schnellen Blick auf das Gemüse. Stolz wurde ihr klar, dass sie mit diesen Zutaten ihre neuen Kochkünste demonstrieren könnte. Es juckte ihr förmlich in den Fingern, endlich anzufangen. «Ich könnte uns eine Suppe zum Mittagessen kochen. Wenn du auch welche magst, dann lasse ich den Topf auf dem Herd stehen, und du nimmst dir einfach vom Essen, wann immer du willst.»

Sie hatte das Gefühl, dass man sich eine lange Zeit schon nicht um Duncan gekümmert hatte, und ihr gefiel die Vorstellung, dass sie etwas für ihn tun konnte.

«Danke, Kleines. Das ist sehr nett von dir. Hab schon lange keine selbst gekochte Suppe mehr gegessen.» Er strahlte sie an, und sie freute sich, dass sie ihm den Vorschlag gemacht hatte. «Also, wo willst du beginnen?»

«Am Anfang?» Izzy lächelte ihn vorsichtig an und betrachtete den Stapel Papiere neben seinem Ellenbogen. Vermutlich alles Rechnungen. «Aber wusstest du, dass Xanthe bereits Gäste angenommen hat? Dabei müssen wir doch mit der Renovierung der Zimmer anfangen!»

«Ach, mach dir mal keine Sorgen, wir schaffen das schon.»

Geduldig ging Duncan in den nächsten zwei Stunden alles mit ihr durch, auch die ausstehenden Futterrechnungen für die Hochlandrinder, die bis auf zwei, von denen Duncan sich nicht hatte trennen können, alle verkauft waren. Er hatte Dolly und Reba als Kälber aufgezogen, und sie waren für ihn praktisch zu Haustieren geworden. Als er darum gebeten hatte, sie zu behalten, hatte Izzy hinter seiner nüchternen Art erkennen können, wie viel die Tiere ihm bedeuteten. Xanthe hatte gewitzelt, dass es wahrscheinlich gut wäre, ein Rinderpaar zu behalten, damit sie immer ein Steak hätten, falls sie mit ihrem Schlossprojekt scheiterten. Izzy wand sich innerlich bei der Erinnerung an Duncans entsetzten Blick, den er Xanthe zugeworfen hatte. Wie immer hatte ihre Mutter überhaupt nicht gemerkt, wie unangebracht ihre Bemerkung war.

Als Izzy schließlich mit der Kiste voller Einkäufe zurück zum Haus ging, rief Duncan ihr nach: «Eins habe ich noch vergessen. Es gibt da ein paar wilde Camper, die sich am Loch eingerichtet haben. Sie wirkten ganz nett und ordentlich. Bisher haben sie keinen Müll rumliegen lassen, und sie machen keinen Ärger, aber ich dachte, du solltest es wissen.»

«Danke, Duncan. Vielleicht gehe ich später mal hin und besuche sie.»

Anders als im Rest des Vereinigten Königreichs war wildes Campen in Schottland erlaubt, und jeder hatte Zugang zu Land, das nicht eingezäunt war. Izzy fand das eigentlich ziemlich schön – als sie das Schloss geerbt hatte, war das einzig unangenehme Gefühl für sie gewesen, dass sie jetzt Grundbesitzerin war. Das Land gehörte doch eigentlich allen, oder nicht? Genau wie den Tieren, die darauf lebten. Grundbesitz war ein Privileg, das sie niemals für selbstverständlich halten würde.

Kapitel 4

«Da bist du ja.» Kaum war eine Stunde später Izzy aus dem kleinen Arbeitszimmer getreten, das sie sich eingerichtet hatte, hüpfte Xanthe auf sie zu, als hätte sie schon darauf gewartet, dass ihre Tochter endlich aus der Tür kam. Tatsächlich hatte Izzy sich den restlichen Vormittag in ihrem Büro versteckt, aber jetzt konnte sie es kaum erwarten, in die Küche zu kommen. Ihr knurrte bereits der Magen.

Sie schaute auf ihr Handy, ob es auf ihre Frage an die Killorgally-Kochgruppe hin schon eine Antwort gab. Ich habe hier eine Tonne Karotten. Irgendwelche Rezeptvorschläge?

Ihre Freundin Fliss hatte bisher als Einzige reagiert: Hier das Rezept für eine Karotten-Ingwer-Suppe. Perfekt für einen Herbsttag.

«Liebes, ich habe beschlossen, mit dem Morgenzimmer anzufangen», gab Xanthe bekannt, als würde sie dem Publikum in einem voll besetzten Auditorium eine große Ankündigung machen, anstatt im Flur mit ihrer Tochter zu reden. «Die Gäste werden mehr als einen Salon benötigen. Außerdem habe ich entschieden, welcher der Räume das Schlafzimmer für die Carter-Jones sein soll.»

«Toll», sagte Izzy, doch sie hörte gar nicht richtig zu, in Gedanken war sie schon beim Kochen.

 

Sie folgte dem Rezept von Fliss und wählte eine Handvoll Karotten aus, um daraus Suppe zu kochen. Da sie keine Zeit hatte, eine frische Gemüsebrühe zuzubereiten, musste fürs Erste ein Brühwürfel herhalten. Die leicht zuzubereitende Karotten-Ingwer-Suppe würde sie wärmen und wunderbar zu dem Brot schmecken, das sie am Vortag gebacken hatte. Sie konnte immer noch nicht glauben, wie einfach es war, selbst zu backen. Bevor sie den Kochkurs besucht hatte, war Brot für sie einfach etwas gewesen, das aus dem Supermarkt kam. Dabei schmeckte selbst gebackenes Brot so viel besser, und sie beabsichtigte, in Zukunft mit verschiedenen Sorten Mehl zu experimentieren. Wenn das Hotel erst einmal eröffnet war, wollte sie zum Mittagessen immer eine saisonale Tagessuppe mit hausgemachtem Brot und Käse aus der Region anbieten – oder alternativ eine Brotzeit für die Wanderer abpacken, die einen Ausflug machen wollten.

Sie schaltete das Radio ein und summte zu dem Song, in dem die Proclaimers fünfhundert Meilen wanderten, während sie die Karotten putzte und in Scheiben schnitt und dabei den frischen Kräuterduft des Brühwürfels einatmete, den sie mit kochendem Wasser übergossen hatte.

Gedankenverloren arbeitete sie vor sich hin, bewegte sich leichtfüßig um den großen Kieferntisch, der die eine Hälfte des Raumes belegte.

«Mh. Das riecht gut.»

Izzy wirbelte herum. Sie hatte gar nicht gehört, dass jemand hereingekommen war.

«Oh, Professor Strathallan», sagte sie mit einem zurückhaltenden Kopfnicken, denn sie wusste nicht, wie sie ihm nach seinem ruppigen Verhalten am Morgen begegnen sollte.

Unwillig verzog er das Gesicht. «Nennen Sie mich Ross. ‹Professor Strathallan› klingt wie ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert.»

«Wie Sie wünschen», sagte sie und klang dabei schrecklich devot, beinahe wie eine Dienstbotin aus Downton Abbey. In ihrem ganzen Leben hatte sie noch nie ‹Wie Sie wünschen› zu jemandem gesagt!

Er hob seine ausdrucksvollen Augenbrauen. «Das war sehr formell.»

«Auch nicht formeller als Miss McBride.»

«Ach ja. Sie wollten vorhin mit mir sprechen.»

Izzy drehte ihm den Rücken zu und tat so, als würde sie die Suppe umrühren, während sie versuchte, sich zu sammeln. Eigentlich konnte sie ihn unmöglich rauswerfen, denn sie brauchte sein Geld, wie ihr das Gespräch mit Duncan deutlich gemacht hatte, als sie vorhin über den Rechnungen saßen. Aber es fiel ihr zunehmend schwer, freundlich zu ihm zu sein. Sie holte tief Luft und setzte ein Lächeln auf.

«Tatsächlich wollte ich mich für gestern bei Ihnen entschuldigen. Xanthe hatte mich nicht darüber informiert, dass sie ein Zimmer vermietet hatte. Ich hatte keine Ahnung, wer Sie waren.»

«Ah, das erklärt die Sache, Miss McBride.»

Als sie ihn wegen ihres Namens korrigieren wollte, fing sie wieder an zu stottern. «Ich heiße McBride … also McBride, Izzy. Ich meine, Izzy McBride.» Wieso übte er bloß diese Wirkung auf sie aus?

«Okay, McBride, Izzy. Ich akzeptiere, dass Sie gestern nicht wussten, wer ich war und was ich in Ihrer Küche zu suchen hatte.»

Izzy unterdrückte das Bedürfnis, ‹Wie großzügig von Ihnen› zu sagen, bevor er weitersprach.

«Xanthe kam mir gleich etwas impulsiv vor.»

«Mmm, das kann man wohl sagen.» Izzy schürzte die Lippen bei seiner vorsichtigen Bemerkung. Sie sollte versuchen, ihn auf ihre Seite zu bringen und wieder die Oberhand zu erlangen. «Schauen Sie, ich habe überlegt, ob Sie gern mit uns essen würden, jetzt, wo ich wieder da bin. Ich muss sowieso jeden Tag kochen und –» Sie unterbrach sich und schenkte ihm ein gezwungenes Lächeln. «Mein Repertoire ist auch etwas größer als aufgewärmte Bohnen auf Toast.»

«Das ist auch nicht schwer.» Er grinste. «Hören Sie, ich möchte wirklich nicht unhöflich sein, aber ich würde nur ungern auf anderer Leute Zeiten Rücksicht nehmen müssen. Ich bin zum Arbeiten hergekommen, und ich möchte nicht unterbrechen müssen, nur weil es Essen gibt.» Sein Lächeln wirkte nun etwas gezwungen. «Aber ich bin sehr dankbar für Ihr Angebot. Mit meinen Mahlzeiten aus Nudeln mit Tomatensoße und Bohnen auf Toast fühle ich mich zwar wie zu Studentenzeiten, aber sie sind schnell und einfach zuzubereiten.»

«Ich habe gesehen, dass schon einige Dosen in der Gelben Tonne liegen.»

Er zog eine Grimasse und zuckte mit den Schultern.

Izzy runzelte die Stirn. Auch wenn er ziemlich bescheiden war und immer alles ordentlich wegräumte, fühlte es sich nicht richtig an, dass er so ein kärgliches Mahl zu sich nahm, wenn sie doch kochen konnte und außerdem üben wollte.

«Okay», sagte Izzy, «wie wäre es, wenn ich Ihnen immer etwas übrig lasse und Sie essen es einfach dann, wenn es Ihnen passt? Zu Mittag wird immer ein Topf Suppe auf dem Herd stehen, und Sie bedienen sich einfach davon, und auch von dem Brot. Und zum Abendessen lasse ich Ihnen eine Portion übrig, die Sie sich auf dem Herd warm machen können.»

Er überlegte nicht lange. «Danke, das klingt gut.»

«Tja, man sagt, der Weg zum Herzen eines Mannes geht durch seinen Magen», plapperte Izzy drauflos – und hätte sich am liebsten gleich auf die Zunge gebissen.

«Nicht bei mir», sagte er mit todernstem Gesicht, während er seine Brieftasche herauszog. «Wie viel verlangen Sie für die Mahlzeiten?»

Seine Frage ärgerte sie. «Ich finde, Sie bezahlen schon genug», sagte sie etwas zu schmallippig.

«Da haben Sie allerdings recht. Xanthe ist eine harte Geschäftsfrau, aber sie hat mir absolute Ruhe garantiert. Ich werde nicht gern gestört, wenn ich arbeite.»

«Das habe ich gemerkt», erwiderte Izzy spöttisch.

Wieder hob er eine dunkle Augenbraue. «Ich werde mich nicht dafür entschuldigen. Ich bezahle für dieses Privileg.»

Izzy nickte und fragte sich, ob er wohl auch dann noch bleiben wollen würde, wenn sie erst mal mit der Renovierung anfingen. Einige der Arbeiten würden sicherlich laut werden.

«Auch wenn dieser Blick aus meinem Fenster … er ist jeden Penny wert.»

Sie lächelte ihn an. «Ja, oder? Es ist so ein wunderschöner Ort, man hat praktisch aus jedem Fenster einen herrlichen Ausblick. Ich freue mich schon darauf, die verschiedenen Jahreszeiten hier zu erleben.»

Er nickte wissend, und Izzy spürte, wie ihr Puls beim Anblick der kleinen Fältchen, die sich um seine Augen gebildet hatten, schneller schlug.

«Ja, nur das Licht lenkt manchmal etwas ab, wenn ich eigentlich arbeiten will.»

«Xanthe hat gesagt, Sie schreiben ein Buch.»

«Ja.»

Auch wenn sein Ton nicht gerade dazu einlud, weitere Fragen zu stellen, fragte sie trotzdem und redete sich dabei ein, dass sie ja nur höflich war. «Was für eine Sorte Buch ist es denn?»

«Ach, nichts besonders Interessantes», sagte er, und sein Gesicht nahm einen bemüht gleichgültigen Ausdruck an, der Izzy sofort das Gefühl gab, dass er nicht die Wahrheit sagte. «Ein … äh, Geschichtsbuch. Ich unterrichte eigentlich in Edinburgh an der Uni, aber ich habe ein Sabbatjahr genommen, um dieses Buch zu schreiben.»

«Welche Epoche?», fragte sie und betrachtete ihn nach seiner eher ausweichenden Antwort nur noch aufmerksamer.

«Das Schottland der Jakobiten, natürlich», sagte er und wirkte beinahe verlegen.

«Ah, Bonnie Prince Charlie – der ‹hübsche Prinz Charlie›?»

«Genau.»

«Ich glaube, mein Großonkel hat erzählt, dass der hübsche Prinz mal hier gewohnt hat. Haben Sie deshalb hier gebucht?»

Ross schnaubte. «Wenn man all diesen Legenden glauben will, dann hat der Mann in jedem Schloss Schottlands gewohnt.»

«Ein bisschen wie bei Mary, der Königin von Schottland.»

«Ja. Die beiden waren ziemliche … Herumtreiber.»

«Ist das ein historischer Ausdruck?», fragte Izzy belustigt.

«Nicht offiziell. Und nein, ich habe hier gebucht, weil die Dame in der Post sagte, das Schloss stünde so gut wie leer. Ich wusste, dann würden mir die vielen Fragen erspart bleiben, woran ich schreibe.»

«Na danke, das war deutlich», meinte Izzy verschnupft.

«Nein, ich will es Ihnen nur erklären, McBride Izzy.» Er grinste sie überraschend an, und sein Gesicht leuchtete richtiggehend auf – was ihn ärgerlicherweise noch attraktiver machte. Verdammt, wenn seine Augen so glitzerten und seine Lachfältchen so zur Geltung kamen, gerieten ihre Hormone direkt in Wallung.

«Wenn man irgendwo ist und die Leute wissen, dass man Schriftsteller ist, dann fragen sie, was man denn gerade schreibt. Und dann erzählen sie einem, dass sie selbst auch immer schon daran gedacht hätten, ein Buch zu schreiben, und dass man dieses Buch doch vielleicht für sie schreiben könnte, und dann könnte man sich die Einnahmen teilen. Und wenn ich Pech habe, bitten sie mich, ihr Werk zu lesen. Aber wenn ich sage, dass ich staubtrockene Geschichtsbücher schreibe, fühlen sich die meisten Leute abgeschreckt.»

«Schlau», sagte Izzy und widmete sich wieder dem Essen. «Die Suppe ist in ein paar Minuten fertig. Möchten Sie warten, oder wollen Sie später noch mal vorbeikommen?» Sobald die Karotten weich gekocht waren, würde sie alles pürieren. «Und wollen Sie in der Zwischenzeit vielleicht eine Tasse Tee?»

Er stand einen Moment unschlüssig da und schien zu überlegen. «Ich sage Ihnen was, McBride Izzy: Ich mache den Tee, während ich auf die Suppe warte. Ich kenne mich ja schon etwas aus.»

Sie lächelte und dachte, dass das wohl einem Friedensangebot am nächsten kam – und dass sie das ausnutzen sollte. Sie nickte.

«Wo wohnen Sie eigentlich, wenn Sie nicht hier sind?»

«Edinburgh», sagte er, während er zwei Becher aus dem Schrank holte.

Sie wollte nicht genauer nachfragen, um nicht zu neugierig zu wirken, schließlich war er mit persönlichen Informationen nicht gerade freigebig. Sie selbst war immer ziemlich offen, und deshalb sagte sie jetzt: «Ich habe mal eine Weile in Edinburgh gelebt. Letzten Sommer habe ich beim Festival gearbeitet.»

Er hob die Augenbrauen. «Das war sicher … interessant.»

«So kann man es auch nennen», sagte sie und seufzte unvermittelt bei dem Gedanken an jene Zeit, die sie nämlich vor allem damit verschwendet hatte, darauf zu warten, dass Philip sie bemerkte. «Aber ich liebe die Festival-Zeit, es ist etwas ganz Besonderes. Es herrscht eine solche Energie in der Stadt. Und ich finde es großartig, die Royal Mile hinabzuschlendern, wo alle einem Flyer in die Hand drücken und versuchen, einen zu einer ihrer Shows zu überreden.»

«Ja, ein paar der Shows sind toll. Ich gehe auch immer mal hin, so viel Kreativität liegt in der Luft.»

«Und es ist eine wunderschöne Stadt. Ich habe sehr gern da gewohnt.»

«Sind Sie weggezogen, weil Sie hier leben wollten?»

«Nein.» Sie drehte ihm den Rücken zu und griff nach dem Pürierstab. Sie wollte sich ihm gegenüber auch nicht zu sehr öffnen und ihm erzählen, dass sie erst vor vier Monaten weggezogen war – nach drei Jahren unerwiderter Liebe. Weil sie endlich erkannt hatte, dass sie für Philip nichts als eine Liebschaft war und er sich niemals ganz für sie entscheiden würde.

Der Krach des Pürierstabs machte klar, dass die Unterhaltung damit beendet war, und schon bald trabte Duncan durch die Tür und lenkte sie beide ab.

«Das duftet so, als wäre ich gerade rechtzeitig gekommen», meinte er. Dann setzte er sich ächzend an den Tisch. «Diese Frau bringt mich noch um. Ich habe ihr jetzt unzählige Stühle in den dritten Stock raufgeschleppt und –» Er stockte. «Oh. Hallo, Ross.»

«Duncan.»

«Ihr kennt euch schon, ja?», fragte Izzy höflich.

«Der Mann ist doch schon seit zwei Wochen hier», meinte Duncan. «Und viel auf Erkundungen unterwegs.»

«Ich gehe einfach gern spazieren, das hilft mir beim Schreiben … Klärt meine Gedanken.»