Die kleine Bucht in Kroatien - Julie Caplin - E-Book
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Die kleine Bucht in Kroatien E-Book

Julie Caplin

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Beschreibung

Sommer, Sonne, Sehnsuchtslektüre – Julie Caplins Bücher machen einfach glücklich. Als Maddie über ihre gute Freundin Nina das Angebot erhält, im Sommer ein paar Wochen an der Adria zu arbeiten, denkt sie nicht lange nach. Kurzerhand packt sie die Koffer und tauscht das verregnete Birmingham gegen die Sommersonne Kroatiens ein. Auf einem kleinen Boot soll sie für das leibliche Wohl der Gäste sorgen. Doch das Schiff entpuppt sich als Luxusyacht und die Urlauber als reichlich versnobt. Zum Glück ist auch Ninas Bruder an Bord – Nick verhält sich Maddie gegenüber allerdings nicht besonders höflich. Er scheint ihre Verbindung am liebsten verheimlichen zu wollen. Erst als die beiden in einer malerischen Bucht unerwartet Zeit zu zweit verbringen, entdecken Maddie und Nick, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie ahnen … Ein neuer Band der «Romantic Escapes»-Reihe von Spiegel-Bestsellerautorin Julie Caplin: ein traumhaftes Adria-Setting, eine turbulente Liebesgeschichte und viele Seiten zum Wegträumen.

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Seitenzahl: 512

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Julie Caplin

Die kleine Bucht in Kroatien

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Christiane Steen

 

Über dieses Buch

Sie hielt oben auf der Treppe inne, um die Aussicht zu genießen. Während der Wind ihr Haar durcheinanderwirbelte, wärmte die Sonne die Haut an ihren Armen und Beinen mit herrlichem Glühen. Das war das Leben. Darum ging es ihr. Das wollte sie spüren!

 

Als Maddie über ihre gute Freundin Nina das Angebot erhält, im Sommer ein paar Wochen an der Adria zu arbeiten, packt sie sofort die Koffer und tauscht das verregnete Birmingham gegen die Sommersonne Kroatiens ein. Auf einem kleinen Boot soll sie für das leibliche Wohl der Gäste sorgen. Doch das Schiff entpuppt sich als Luxusjacht und die Urlauber als reichlich versnobt. Zu Maddies Enttäuschung verhält sich auch Ninas Bruder Nick ihr gegenüber nicht besonders höflich. Erst als die beiden in einer malerischen Bucht unerwartet Zeit zu zweit verbringen, entdecken Maddie und Nick, dass sie mehr gemeinsam haben, als sie ahnen …

Vita

Julie Caplin lebt im Südosten Englands, liebt Reisen und gutes Essen. Als PR-Agentin hat sie in diversen Großstädten gelebt und gearbeitet. Mittlerweile widmet sie sich ganz dem Schreiben. In der Romantic-Escapes-Reihe sind zuletzt die Spiegel-Bestseller erschienen: «Das kleine Chalet in der Schweiz» und «Das kleine Cottage in Irland». Die Romane sind auch unabhängig voneinander ein großes Lesevergnügen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2019 unter dem Titel «The Secret Cove in Croatia» bei HarperCollins Publishers, London.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«The Secret Cove in Croatia» Copyright © 2019 by Julie Caplin

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung FAVORITBUERO, München

Coverabbildung Shutterstock

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01647-7

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Für Gordana Sikora-Presecki, die mir Kroatien zeigte –

und mir inspirierende Fotos schickte, als wir eigentlich arbeiten sollten!

Kapitel 1

Northumberland

Nick kuschelte sich tiefer in den Kragen seines Mantels, dankbar für den dicken Tweedstoff. Das Material schützte ihn vor dem steifen Nordwind, der um den Ausläufer der zerklüfteten Hügellandschaft pfiff. Beim Anblick der beiden weiblichen Models, die in der Kälte zitterten, verzog er seine Lippen zu einem mitfühlenden Lächeln.

Heute trugen sie bunte Wollponchos – im Pucci-Stil, wie man ihm erklärt hatte, was auch immer das hieß. Seiner Meinung nach sahen sie aus, als wären auf ihnen mehrere Farbtöpfe explodiert, aber er war ja kein Modeexperte. Zu den Outfits gehörten schicke schottische Wollmützen, die sie schief auf den Köpfen trugen, dazu gestreifte Wollschals, die man ihnen mehrfach um die eleganten schlanken Hälse gewickelt hatte und die in der Brise wehten wie tibetische Gebetsfahnen. Die frierenden Mädchen, die darauf warteten, dass der Fotograf die nächste Aufnahme vorbereitete, schienen hier genauso fehl am Platz zu sein wie zwei tropische Vögel.

Normalerweise hatte Nick das karge Moor morgens um halb acht für sich allein. Und hätten seine Schwägerinnen beim gestrigen Abendessen Dan und Jonathon nicht mit diesen bohrenden Blicken getadelt, dann wären heute hier oben mit Nicks Zwillingsbrüdern sogar noch mehr Menschen anwesend.

«Tara, stell dich da auf den Felsen in die Sonne!», wies der Fotograf eines der Models ruppig an. Sein Gesichtsausdruck lag hinter dunklen buschigen Augenbrauen und einem schwarz glänzenden Bart biblischen Ausmaßes verborgen – ein starker Kontrast zu seinem kahlen Kopf.

Das musste Nick diesem Model lassen: Sobald sich die Frau namens Tara vor die unerbittliche Linse stellte, hörte sie auf zu zittern und nahm eine professionelle Haltung ein, als würde ihr die eisige Kälte überhaupt nichts ausmachen. Mit schmalem Gesicht schaute sie leidenschaftslos über das Tal und schien das sich vor ihr ausbreitende sattgrüne Gras, das die Konturen des Hügels weich zeichnete, gar nicht wahrzunehmen, ebenso wenig wie die Sonne, die auf dem fernen Meer an der fünf Meilen entfernten Mündung des Tals glitzerte. Etwas zog sich bei ihrem Anblick in Nicks Innerem zusammen – wie sie dort auf dem Felsvorsprung stand, ein Knie gebeugt … sie wirkte zart, zerbrechlich, fast feenhaft, mit makellosem Teint und goldener Haarmähne, die von rotgoldenen Strähnen durchzogen war – wie Goldfäden, die in der Frühlingssonne schimmerten. Es fehlte nicht viel, und sie würde in ein anderes Reich entschwinden.

Nick lachte leise auf. Was für eine seltsame Vorstellung. Er schalt sich dafür, dieses Verlangen und den Wunsch, sie vor der Kälte zu beschützen, in sich zugelassen zu haben. Im Vergleich zu ihr kam er sich wie ein stabiles Zugpferd vor, das seinem Arbeitsalltag stoisch nachging, während sie zart und unerreichbar, so fern wie die Sterne, schien. Sie entstammte einer anderen Welt. Einer Welt, die eine Million Meilen von dieser abgelegenen Farm und der Dorfgemeinschaft entfernt war, in der er jeden kannte und jeder ihn, und das seit seiner Geburt. Sein Zuhause. Das war es immer gewesen und würde es immer sein. Er verzog den Mund. Was sollte er auch woanders? Das hier war alles, was er je gekannt hatte und wohl auch je kennenlernen würde.

«Nick, können Sie eins der Schafe in den Vordergrund bringen?», rief ihm der Assistent des Fotografen im Befehlston zu und wedelte mit dem Finger in Richtung der Stelle, wo das Tier gewünscht wurde.

«Klar.» Nick pfiff nach seinem Border Collie Rex, ohne sich die Mühe zu machen, den Mann zu korrigieren. Er hatte es gestern schon mehrmals zu erklären versucht, aber offenbar war niemand an dem Unterschied zwischen einem Schaf – eigentlich Mutterschaf – und einem Lamm interessiert. Ihnen ging es nur darum, diese niedlichen, sechs Wochen alten Tiere – Lämmer – mit im Bild zu haben. Die waren natürlich fotogener als die zotteligen Schafe mit ihrer erdverkrusteten, verfilzten Wolle, die bald geschoren werden musste.

Seit die Firma British Wool ihn gefragt hatte, ob sie ihren Prospekt auf den Hadley-Ländereien fotografieren dürfte, natürlich gegen Bezahlung, waren seine Tage … nun, abwechslungsreich geworden. Wer hätte gedacht, dass ein paar Fotos so viel Aufwand bedeuten konnten? Vor zwei Tagen hatten zwei Lastwagen stangenweise Bekleidung und massenweise Fotografieausrüstung angekarrt, als sollte die gesamte Bevölkerung von Bowden Rigg abgelichtet werden. Danach fuhren drei Taxis eine Entourage aus vier Models, zwei Stylisten, zwei Garderobieren, dem Fotografen, seinem Assistenten, einer Kreativdirektorin, einer persönlichen Assistentin und zwei der Auftraggeber von British Wool vom Bahnhof Carlisle herüber.

Rex kreiste eines der Lämmer ein, bis es mähte und ins Bild sprang, was dem Model ein Lächeln entlockte. «Oh, ist das nicht süß?»

«Es wäre noch verdammt süßer, wenn es jetzt mal still stehen könnte», knurrte der Fotograf und spähte durch die Linse.

Auf einen kurzen Pfiff und ein paar leise Kommandos trieb Rex das unruhige Lamm an seinen Platz. Nick beobachtete beeindruckt, wie Tara ihren Kopf in die eine, dann in die andere Richtung neigte und ihren Körper drehte, um die Kleidungsstücke bestmöglich zu präsentieren. Zu seiner Überraschung wandte sie ihre schläfrigen Mandelaugen auf einmal in seine Richtung und schaute ihn mit sinnlichem Lächeln an.

«Ja, Tara. Genau dieser Blick. Wunderbar. Genau so. Leg den Kopf nach rechts und schau Nick weiter an. Ja, genau so. Du willst ihn unbedingt. Ich liebe es!»

Ein verruchtes Funkeln leuchtete in den Augen des Models auf, und Nick spürte, wie er bis zu den Haarwurzeln errötete und die Hitze in seinem Körper aufwallte. Er schluckte und widerstand dem Drang, den Kopf einzuziehen. Stattdessen begegnete er ihrem leicht spöttischen Blick mit gehobener Augenbraue und seinem eigenen feurigen Blick. Nick Hadley hatte zur Verzweiflung seiner Mutter zwar noch nicht die richtige Frau gefunden, aber das hieß nicht, dass er wie ein Mönch lebte und keinen Spaß hatte.

Tara grinste zurück und stemmte dann nach den Anweisungen des Fotografen die Hände in die Hüften, warf den Kopf zurück – wieder mit diesem fernen, unnahbaren Blick. Nick fühlte sich plötzlich wie das fünfte Rad am Wagen, eigentlich hatte er massenhaft Dinge zu tun und sollte nicht hier herumstehen wie …

«Okay, Tara, mach kurz Pause!», rief der Fotograf dem Model zu.

Als Nick das Lamm zurück zur Herde führen wollte, trat Tara an den Rand des Felsens. «Fang mich!», rief sie und sprang.

Überrascht machte Nick einen Schritt nach vorn und fing sie, den zierlichen Schmetterling, in seinen Armen auf. Sie wog praktisch nichts, und als sie vor Begeisterung jubelte, als hätte er etwas ganz Besonderes vollbracht, fühlte er sich idiotischerweise tatsächlich wie ein Superheld. Vorsichtig stellte er sie auf dem Boden ab und befreite sich von ihrem Poncho und Schal.

«Sicher gelandet.» Er lächelte sie an.

«Ein richtiger Mann», hauchte sie, und er musste fast über diese absurde Bemerkung lachen, aber der wissende, anzügliche Blick in ihren Augen ließ ihn stocken.

«Zumindest, als ich das letzte Mal nachgeschaut habe», sagte er selbstsicher. Jetzt war es an ihr, rot zu werden. «Du wohnst im Dorf, im Gasthaus George, richtig?»

Sie nickte. «Ist ziemlich schlicht, aber ich habe schon schlimmer gewohnt.»

«Abendessen?», fragte Nick.

«Ist das eine Frage oder eine Feststellung?», antwortete Tara mit schüchternem Blick, doch um ihren Mund spielte ein Lächeln.

«Im Gutshaus gibt es ein vorzügliches Restaurant. Ich könnte dich um halb acht abholen.»

«Sagen wir acht, dann haben wir eine Verabredung», antwortete Tara. Es klang, als sei sie es gewohnt, ihren Willen durchzusetzen.

 

Verdammt, es war schon nach sechs Uhr. Heute hatte er für seine Arbeit länger gebraucht als geplant. Leider konnte man die Aufgaben auf der Farm nicht aufschieben, auch die nicht, die er wegen des Fotoshootings hintanstellen musste.

In der Küche des Farmhauses empfing ihn der Duft von Würstchen und Yorkshire Pudding aus dem Aga-Ofen und das vertraute Geräusch von Reden und Lachen wie eine familiäre Umarmung. Gail, die Frau seines älteren Bruders Dan, deckte den großen Kieferntisch in der Mitte des Raums. Sie sah auf und schenkte Nick ein warmes Lächeln. Er mochte seine Schwägerinnen, auch wenn er immer noch nicht begriff, wie die Zwillinge Dan und Jonathon die beiden davon überzeugt hatten, dass sie gute Ehemänner abgeben würden. Aber er war ja auch mit ihnen aufgewachsen, die beiden Frauen nicht.

«Hey, Nick», rief Dan von der Kommode herüber, wo er sich gerade durch verschiedene Netz- und Aufladekabel wühlte. Er kümmerte sich neuerdings um den Social-Media-Auftritt der Farm. «Langer Tag.»

Er nickte.

Mit dreiunddreißig aß er genau wie der Rest der Familie immer in der Küche seiner Eltern – zum Teil aus purer Faulheit, aber auch weil dieser warme, geschäftige Raum schon so lange zu seinem Leben gehörte. Doch sosehr er seine Familie liebte, war er auch dankbar für sein eigenes kleines Cottage am Rand der Farm, die ihm als Junggesellen die nötige Privatsphäre bot, besonders da seine Mutter so sehr darauf bedacht war, dass er endlich unter die Haube kam.

«Hey, Mum!», wandte er sich an sie. «Entschuldige, aber ich bin eben erst mit der Arbeit fertig geworden, und heute Abend gehe ich aus.»

«Wunderbar», sagte Jonathon mit Blick auf den Würstchen-Auflauf, den ihre Mutter gerade aus dem Ofen zog. «Dann bleiben mehr Würstchen für mich.»

«Hast du denn nicht noch Zeit für einen kleinen Bissen? Der Auflauf ist gerade fertig.» Sie lächelte Nick an.

«Oder er verzieht sich jetzt einfach in den Pub und lässt uns die Würstchen», sagte Jonathon, der an seiner Mutter vorbeidrängelte und sich dabei ein Stück von dem knusprigen Yorkshire Pudding stibitzte.

Sie gab ihm einen Klaps auf die Finger.

«Ja, ich bin auch für mehr Würstchen», stimmte Dan seinem Zwillingsbruder zu. «Verzieh dich in den Pub.»

«Es gibt genug für alle», sagte Lynda Hadley kopfschüttelnd. «Ehrlich, Jungs, man könnte meinen, ich hätte euch euer ganzes Leben hungern lassen. Ich brauche nur noch zwei Minuten, und euer Vater wird auch gleich da sein.»

«Nein, ehrlich, Mum, ich habe keine Zeit. Ich habe mich noch nicht mal frisch gemacht.» Nick wollte wirklich schnell los.

«Aber wann wirst du essen? Du bist doch schon seit frühmorgens auf den Beinen, und ich wette, du hast heute Mittag nur ein Sandwich gegessen. Im Pub gibt’s doch nichts Vernünftiges.»

«Ich gehe essen», sagte er auf dem Weg zur Tür.

In diesem Moment kam sein Vater herein, warf die Autoschlüssel auf den Tisch und zog seine Frau für einen schnellen Kuss zu sich heran. «’n Abend. Ich bin gerade im Dorf gewesen. Hab gehört, du isst heute im Gutshof Bodenbroke, Nick?» Er zog die Augenbrauen hoch und schaute seinen Sohn mit wissendem Blick an.

Nick hätte beinahe aufgestöhnt. Danke, Dad, schön, dass du mich reinreitest.

«Gutshof Bodenbroke», wiederholte Jonathon und ließ sich mit verschränkten Armen grinsend gegen den Türrahmen fallen. «Wie schick. Ein Date also. Wer ist denn diese Woche die Glückliche?» Er runzelte die Stirn. «Ich dachte, du hättest mit dieser angeberischen Pferdetante Schluss gemacht.»

«Ihr Name ist Henrietta», sagte Nick mürrisch. «Und ich treffe sie nicht mehr.»

«Hat ja nicht lange gehalten», meinte Gail mit frechem Grinsen.

Nick zuckte die Schultern und machte noch einen Schritt in Richtung Tür, in der Hoffnung, dass Jonathon sie freigab. «Es war einvernehmlich.»

«Und wann hast du die Neue klargemacht?», fragte Dan, der schließlich ein Netzkabel für den Laptop gefunden hatte und es einstöpselte. Er sah ihn plötzlich interessiert an.

«Heute», meinte Nick trocken. «Können wir die Befragung jetzt bitte beenden? Ich muss duschen und mich umziehen.»

Er hatte schon die Hand auf den Türgriff gelegt, als Dan plötzlich krähte: «Es ist eine von diesen Fotofrauen aus London, stimmt’s? Du warst doch den ganzen Tag auf Starbridge Fell. Du schlauer Fuchs. Du hast eine von ihnen gefragt.»

Jonathon lachte und blockierte wieder die Tür. «Was? Und sie hat Ja gesagt?»

Nick richtete sich auf. «Und wieso sollte sie nicht?», fragte er, bereute allerdings die Kränkung in seiner Stimme.

«Du spielst außerhalb deiner Liga, was?», neckte Dan. «Welche von ihnen ist es? Eine von den Garderobieren? Die Blonde – wie heißt sie noch … Georgina?»

Nick schüttelte den Kopf.

«Was, die Dunkelhaarige?»

«Keine von ihnen.» Nick bemühte sich um einen neutralen Gesichtsausdruck.

«Na, wer denn dann?», fragte Jonathon und runzelte nachdenklich die Stirn. «Die Stylistin ist verheiratet, genauso wie die persönliche Assistentin und die –»

«Alter Schwede, du hast doch nicht etwa ein Model an Land gezogen, oder?», unterbrach Dan ihn und tat so, als würde er rückwärts straucheln, wobei er gegen einen Stuhl rempelte, der quietschend über den gefliesten Fußboden rutschte.

Gail und Cath schüttelten beide den Kopf über Dans Theatralik, und dann sagte Gail mit frechem Grinsen: «Und wieso denn nicht? Seien wir doch mal ehrlich, Nick sieht von euch dreien nun mal am besten aus.»

Dan griff sich an die Brust. «Ich bin getroffen, liebste Ehefrau. Ich dachte, ich wäre der Hübscheste von uns.»

«Du bist der hübscheste meiner Ehemänner», neckte sie und zwinkerte Nick zu, der für ihre Ablenkung dankbar war.

Leider ließ Jonathon nicht locker.

«Ehrlich? Welches Model?»

Nick seufzte, aber er wusste, wenn er nicht kapitulierte, würde er zu spät kommen. «Ich gehe mit Tara aus. Wir haben uns unterhalten. Wir wollen nur zusammen essen. Herrgott, ich will sie ja nicht fragen, ob sie mich heiraten will oder so was. Ende der Woche ist sie sowieso wieder weg. Und ich bin immer noch hier.» Seine Stimme hob sich. Er merkte, dass er sich lächerlich machte, darum griff er nach der Klinke, riss die Tür auf und ignorierte das kollektive Nach-Luft-Schnappen seiner Familie.

 

«Wow, das ist ja wirklich hübsch hier», sagte Tara mit Blick auf die moderne Einrichtung, die Beleuchtung im Retro-Stil und die teuren Tapeten, die angeblich über zweihundert Pfund pro Rolle gekostet hatten. «Fast wie in London», fügte sie verschwörerisch flüsternd hinzu.

Nick hob sein Weinglas und nahm einen Schluck. «Wir leben hier nicht völlig hinter dem Mond.»

«Das sehe ich.» Tara musterte ihn ziemlich unverhohlen von oben bis unten.

Von dem Moment an, als er sie vom George abgeholt hatte, war sie in Flirtlaune gewesen, was eine große Erleichterung für ihn war. Auf dem Weg zu ihr hatte er in letzter Minute noch Panik bekommen. Über was um Himmels willen sollte er den ganzen Abend mit ihr reden?

Aber darüber hätte er sich keine Sorgen zu machen brauchen – als er ihrem zarten Körper beim Einsteigen in seinen Lastwagen half, hatte sie gemurmelt: «Oh, wie männlich», und es sich auf dem Sitz bequem gemacht. «Ich glaube, ich kenne niemanden, der einen Laster fährt», hatte sie dann gemeint und war mit den Händen über die Armatur gefahren, während er den Motor startete. Nach wenigen Meilen lag ihre Hand auf seinem Oberschenkel, und den Rest der Strecke musste er sich zusammenreißen, um nicht wie ein aufgedrehter Teenager auf seinem Sitz herumzurutschen.

Tara trug einen fließenden Hosenanzug aus Chiffon mit winzigen Trägern, die so locker saßen, dass jeder bemerkte, dass sie keinen BH trug. Ihre Füße steckten in gefährlich hohen Absätzen, wodurch ihre Beine endlos lang wirkten und Nicks Puls auf Hochtouren gebracht wurde. Er konnte nichts dagegen tun. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte. Ihre glänzenden Haare hatte sie zu einem unordentlichen Knoten hochgesteckt, aus dem mehrere lockige Strähnen um ihren alabasterweißen glatten Hals herabfielen.

Herrgott, reiß dich zusammen, Mann – sie ist eine Frau aus Fleisch und Blut, keine verdammte griechische Statue.

«Wie lange modelst du schon?», fragte er und zwang sich zu einer Unterhaltung, um sie nicht nur anzustarren.

«Zehn Jahre.» Sie verzog das Gesicht. «Ich bin alt.»

«Sei nicht albern.» Er lachte. «Du bist doch höchstens sechsundzwanzig oder siebenundzwanzig.»

«Siebenundzwanzig», flüsterte sie und schaute sich im Restaurant um. «Aber verrat es keinem. In diesem Business ist das schon ziemlich alt. Wobei ich auch bereit bin, etwas Neues zu machen. Etwas mit mehr Bedeutung, verstehst du? Ich wäre gern Botschafterin. Du weißt schon, den Planeten retten, Plastik vermeiden, so was.»

«Klingt sehr edelmütig», neckte er sie.

Er sah, wie sich ihre Nackenmuskeln anspannten.

«Ich meine es ernst. Ich engagiere mich sehr für die Probleme, die unseren Planeten betreffen. Die Menge an Plastik im Meer ist schlimm. Das ist ein Riesenthema. Da sterben Tiere.» Sie starrte ihn an.

«Entschuldigung, ich wollte dein Engagement gar nicht kleinreden. Ich habe dich bloß aufgezogen – eine schlechte Angewohnheit, wenn man mit Brüdern aufwächst.»

Sie nahm seine Entschuldigung mit anmutigem Kopfneigen an. «Wir müssen unseren Planeten retten.»

«Das stimmt», gab er zu, da sie das Thema nicht loszulassen schien. «Ich muss allerdings zugeben, dass ich mich eher mit Dingen beschäftige, die mich persönlich betreffen.» Er lächelte selbstkritisch. «Das ist natürlich etwas selbstsüchtig. Aber wir erleben jetzt schon die Auswirkungen des Klimawandels auf die Jahreszeiten.» Der letzte heiße und trockene Sommer hatte das Weideland, auf dem die Schafe grasten, stark angegriffen. Daher mussten sie nach neuen Unternehmenszweigen suchen, wie Fotoshootings. Schöner Nebeneffekt dabei: Ihre Farm würde durch die Veröffentlichung bekannter werden als bisher. «Also, was genau würdest du gern machen?»

Tara zuckte die Schultern. «Ich möchte Markenbotschafterin werden. Du weißt schon, das Gesicht einer Kampagne sein. Fotostrecken, um auf die Umweltzerstörung aufmerksam zu machen. Ich warte bloß auf das richtige Angebot.»

Er nickte, ohne wirklich zu verstehen, wovon sie sprach. Er hatte keine Ahnung, wie solche Sachen abliefen. Einen Augenblick schwiegen sie, bis der Kellner kam, um ihre Bestellung aufzunehmen.

«Ich hätte gern das Rindermedaillon», sagte Tara und fügte zu Nicks Überraschung hinzu: «Und kann ich dazu Fritten bekommen?»

«Wir servieren pommes frites», sagte der Kellner mit steifem Ton, und Nick hätte beinahe gelacht. Er spielte jeden Donnerstag mit ihm Karten, und da war er alles andere als steif.

«Perfekt», sagte Tara.

Als der Kellner Nicks Bestellung für das Entenconfit mit Gemüse der Saison aufgenommen hatte und verschwunden war, sagte Nick: «Jetzt hast du gerade das Vorurteil widerlegt, dass Models nie etwas anderes essen als Salat und Karotten.»

Tara warf sich die Haare über die Schulter. «Ich habe einen fabelhaften Stoffwechsel. Ich kann essen, was ich will.» Es klang beinahe, als wolle sie sich verteidigen.

Nick lächelte. «Das ist gut zu wissen, denn das Essen hier ist hervorragend.»

Tara nickte, dann arrangierte sie das Besteck mehrfach um.

«Hast du noch Geschwister?», fragte Nick, um das Schweigen zu füllen.

Sie schüttelte den Kopf und lächelte traurig. «Ich bin allein. Meine Eltern haben mich erst spät bekommen. Meine Mutter ist dabei fast gestorben, darum haben sie entschieden, es nicht noch mal zu versuchen. Ich soll ein hübsches Kind gewesen sein, sodass sie ganz froh über diesen Entschluss waren, weil sie nicht gewusst hätten, ob sie das noch einmal so hinbekommen hätten.» Tara lachte hell, legte den Kopf auf die Seite und schaute ihn an. «Natürlich ist das totaler Quatsch. Alle Eltern finden, dass ihre Babys perfekt sind, oder?»

Nick lachte. «Da solltest du mal mit meiner Mutter sprechen. Sie macht sich keine Illusionen über ihre Kinder, aber sie hat ja auch fünf.»

«Fünf! Du liebe Güte.» Tara riss die Augen auf. «Gott, das ist wirklich viel. Deine arme Mutter. Das muss ihre Figur komplett ruiniert haben.»

Nicks Mutter hätte sich über diese Bemerkung totgelacht. Sie liebte all ihre Kinder und machte sich bestimmt keine Gedanken um ihre Figur. «Ich glaube, da ist sie anderer Meinung.»

«Sehen deine Geschwister alle so gut aus wie du?» Tara schlug sich die Hand auf den Mund, als wäre ihr das Kompliment einfach so rausgerutscht. Beschämt schaute sie auf den Tisch.

Nick lachte und dachte an das Gespräch zwischen Gail und Dan, kurz bevor er gegangen war. «Ich habe drei Brüder und eine Schwester. Und ich glaube, wir sind uns alle einig, dass unsere kleine Schwester am besten aussieht.»

«Oh.» Tara wirkte überrascht. «Was machst du denn so, wenn du gerade nichts mit den Schafen zu tun hast?», fragte sie.

«Wenn ich kann, dann nehme ich mir gern mal eine Auszeit von der Farm. Meine Schwester lebt in Paris und –»

«Oh, ich liebe Paris! Ich war für die Pariser Fashion Shows da. Dieses Jahr bin ich für Dior gelaufen. So eine tolle Stadt. Wann warst du zuletzt da?»

Also sprachen sie über Paris, und Nick kramte alles hervor, an das er sich durch seine zwei Besuche erinnerte, bis das Essen kam. Es waren schöne Erinnerungen, und sein Fernweh wuchs. Vor allem, als er von der ihm völlig unbekannten Welt des Jetset-Lebens mehr erfuhr.

Tara hatte tatsächlich einen gesunden Appetit und schaufelte, als wäre sie am Verhungern.

«Du hattest wirklich Hunger», sagte er mit Blick auf ihren leeren Teller, als er sein Essen aufgegessen hatte.

«Ich war ja auch den ganzen Tag an der frischen Luft», fauchte sie. Erneut klang es, als müsse sie sich verteidigen.

«Ich hatte keine Ahnung, dass das Modeln so harte Arbeit ist», meinte Nick. Sie war es ganz offensichtlich nicht gewohnt, ein bisschen aufgezogen zu werden, so wie er es von seiner Familie kannte. Er sollte sich merken, dass sie keine große Familie hatte. Er wollte sie nicht kränken. Und was verstand er schon vom Modeln?

«Das ist nichts für jeden. Die meisten Leute wissen nicht, wie hart das ist. Alle denken, wir stellen uns bloß hin und lassen uns ein bisschen knipsen, und das war’s.»

Der Kellner kam und räumte ihre Teller ab, dann kehrte er mit der Dessertkarte zurück. «Hätten Sie gern noch etwas?», fragte er.

«Ich lieber nicht», sagte Tara und betrachtete die Karte, während ihre Zunge zwischen ihren Lippen hervorlugte. «Willst du etwas bestellen?»

«Ich habe keinen großen Hang zu Süßigkeiten.»

Sie sah enttäuscht aus.

«Aber vielleicht könnten wir uns etwas teilen?», schlug er vor.

«Ja, die Profiteroles. Die liebe ich», sagte sie schnell.

Nick bestellte das Dessert mit zwei Löffeln, auch wenn das nicht notwendig gewesen wäre, denn obwohl der Teller wenig später direkt vor ihm stand, hatte Tara das weiche sahnegefüllte Gebäck mit schnellen Löffelschlägen alleine verzehrt.

«Ich habe ewig keine Schokolade mehr gegessen. Ich hatte vergessen, wie köstlich sie schmeckt. Es ist so ein sinnlicher Genuss, findest du nicht?» Sie tauchte ihren Löffel in den Rest der Schokoladensauce und leckte ihn mit langen Zungenschlägen ab, wobei sie Nick die ganze Zeit ansah. Dann stöhnte sie leise. «Diese seidige Textur auf der Zunge.» Sie fuhr mit ihrer Zunge am Griff des Löffels auf und ab, und ihre dunklen, sinnlichen Augen versprachen Nick Dinge, die ihn auf seinem Stuhl hin und her rutschen ließen. Er war froh, dass die Tischdecke seine Körpermitte verdeckte.

Als der Kellner den Dessertteller wegräumte, war Nick mehr als bereit, den Kaffee abzulehnen und Tara direkt ins George zurückzubringen. Nach den Signalen, die sie ihm gesendet hatte, nahm er an, dass es ihr genauso ging, doch in diesem Moment stand sie auf und warf ihre Serviette auf den Tisch.

«Könntest du mir einen Espresso bestellen? Ich muss kurz auf die Toilette und mich frisch machen.»

«Okay», sagte er, bestellte für sich selbst einen Cappuccino und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er spürte, wie seine erhitzte Haut abkühlte. Er zog sein Handy hervor und scrollte kurz durch seine Facebooknachrichten, dann lächelte er. Er hatte eine Nachricht von seiner Schwester Nina.

Schokoladenhimmel lautete die Beschriftung eines Fotos von einem perfekten Schokoladenéclair, darüber bildeten ihre Zeigefinger und Daumen ein Herz.

Gott, wie würde Tara das wohl schmecken, und wie würde er bloß reagieren, wenn sie das mit Sinnlichkeit aß?

Sieht lecker aus!, schrieb er zurück und schaute sich die Bilder an. Seit Nina nach Paris gegangen war, um eine Patisserie zu leiten, und dort mit ihrem Freund Sebastian zusammenwohnte, der auch Nicks bester Freund war, war sie sozusagen die Königin der Éclairs und überhaupt aller Süßigkeiten geworden. Vielleicht könnte er Tara ja eines Tages mal mit zu ihr bringen. Er hatte den Verdacht, dass Tara das gefallen würde.

Er kommentierte ein paar Fotos, likte ein paar andere und stellte dann fest, dass ganze fünfzehn Minuten verstrichen waren, seit Tara sich entschuldigt hatte. Sie war doch wohl nicht einfach gegangen, oder? Nein, bestimmt nicht. Trotz seiner Befürchtungen vor der Verabredung schien sie an ihm interessiert zu sein. Er wollte nicht angeberisch sein, aber mit Frauen kam er gut klar. Die meisten Dates liefen gut, manchmal mehr als gut, abgesehen von dem einen Mal, wo er sich auf ein Blind Date mit einer von Gails Freundinnen eingelassen hatte. Sie hatte sich als beste Freundin von einer seiner Ex-Freundinnen entpuppt. Das war ziemlich furchtbar gewesen.

Gerade überlegte er, ob er Tara suchen sollte, da kehrte sie mit glänzenden Augen und lächelndem Gesicht zurück, glitt auf ihren Stuhl und nahm einen Schluck Espresso, als wäre sie nie weg gewesen.

«Ist alles in Ordnung?», fragte Nick besorgt.

Tara nickte nur und lächelte ihn irritiert an. «Ja, wieso?»

«Schon gut.» Manche Frauen vergaßen Zeit und Raum. Und Nick gefiel das, weil es ihn daran erinnerte, dass das Leben seinen eigenen Rhythmus hatte. Und doch: Sie sah verändert aus. So zerbrechlich.

«Uh, der Espresso ist kalt», sagte sie und verzog das Gesicht.

«Möchtest du einen neuen?», fragte Nick gelassen, denn er wollte ihr kein schlechtes Gewissen machen.

«Nein, schon okay. Es ist schon ziemlich spät.» Sie schaute auf ihre Uhr und schenkte ihm dann ein schönes, bedauerndes Lächeln. «Du musst mich jetzt zurück zum Hotel bringen. Ich fürchte, ich brauche meinen Schönheitsschlaf. Ich kann morgen nicht mit verquollenen Augen auftauchen.»

«Dann frage ich nach der Rechnung», sagte Nick und hakte nicht weiter nach, als er Taras verletzlichen Blick sah. Sie war nicht zum Vergnügen hier, ihr Job war anstrengend, sie brauchte ihren Schlaf. Auch wenn er nicht begriff, an welchem Punkt sich die Stimmung zwischen ihnen so verändert hatte.

Kapitel 2

London

Maddie umfasste die Knie mit ihren Händen, damit sie endlich aufhörten zu zittern, während Henry Compton-Barnes – mit Fliege und Lederflicken an den Ellenbogen seines Jacketts – ihre Bilder betrachtete. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis der Galerist endlich den Blick hob. Seine zwei Assistentinnen hörte sie aus dem vorderen Ladenraum glockenhell lachen, es klang affektiert.

«Professor Gregory ist ein guter Freund von mir, und Sie kamen mit den besten Empfehlungen. Daher will ich ganz ehrlich mit Ihnen sein.» Sein Mund verzog sich zu einem Strich des Bedauerns. «Technisch gesehen sind die Bilder sehr gut. Sie sind sehr genau ausgeführt. Die Details sind in der Tat hervorragend.»

Trotz seiner Worte erwartete Maddie bereits das «Aber», das gleich kommen würde.

«Nun, was ich in einem Bild suche … für diese Galerie …» Er schüttelte den Kopf. «Diese hier haben keine Originalität. Kein Flair. Es fehlt dieses gewisse Etwas, das Undefinierbare, das ein Kunstwerk herausstellt. Was ich suche, ist etwas, das einmalig ist. Etwas, das man als originäres Werk wiedererkennt, das nur der Künstler oder die Künstlerin auf diese Weise hätte malen können. Ich vergleiche es gern mit einem Sänger, jemanden wie – verzeihen Sie mir, ich bin nun mal deutlich älter – jemand wie Carly Simon, zum Beispiel. Man hört ihre Stimme, und man weiß sofort, dass sie es ist. Ihre Stimme ist wie eine Unterschrift – einzigartig. Und das ist es, was ich in einem Gemälde suche. Die hier sind gut, sehr gut, aber wo ist Ihre Seele darin? Darf ich Ihnen einen Rat geben, Maddie? Vergessen Sie alles, was man Ihnen beigebracht hat oder was Sie zu wissen glauben – brechen Sie die Regeln. Machen Sie neue Erfahrungen, fahren Sie weg, gönnen Sie sich einen Tapetenwechsel, aber vor allem: Malen Sie aus dem Herzen.»

 

Malen Sie aus dem Herzen. Maddie verdrehte die Augen und stellte sich ein Herz im Stil von Salvador Dalí in einer Wüstenszenerie vor, aufgespießt von einem riesigen Pinsel, von dem rote Tropfen auf den hellgelben Sand tropften. Malen Sie aus dem Herzen. Was zum Teufel sollte das heißen? Hatte irgendjemand Picasso gesagt, er solle aus dem Herzen malen? Rodin? Van Gogh? Sie verzog das Gesicht. Sie saß im Costa, schlürfte ihren Kaffee und bedauerte jetzt schon den Impuls, ihren Frust in einem viel zu teuren Cappuccino zu ertränken.

«Du meine Güte», sagte jemand verächtlich und ließ sich am Tisch hinter ihr nieder. «Was für eine Aufschneiderin. Was hat sich Henry bloß dabei gedacht?» Maddie erkannte die Stimme in ihrem Rücken. Es war eine der affektiert lachenden Assistentinnen aus der Galerie.

«Was, diese Frau, die gerade da war? Ich dachte erst, sie hätte sich verkleidet. Du weißt schon, Toulouse-Lautrec.»

Das nun folgende Lachen der beiden Assistentinnen erschütterte Maddie bis in die Knochen. Rasch versteckte sie ihre Filzmütze unter der Tischplatte.

«Er hat einem Freund einen Gefallen getan. Das hat er mir jedenfalls gesagt, als er den Termin bestätigte.»

«Hat er sie genommen? Gott, die Galerie würde ziemlich schnell Pleite machen.»

«So, wie sie aussah, als sie ging, glaube ich eher, dass er ziemlich deutlich war. Ich hätte ihm gleich sagen können, dass er seine Zeit vergeudet, schon als sie ankam. Ich meine, ernsthaft, hast du gehört, wie sie geredet hat?»

Wieder das schallende Lachen. «So gewöhnlich. Wie eine Proletin.»

Die beiden Frauen lachten mit boshafter Arroganz, während Maddie spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. Sie nahm ihre Mütze, setzte sie sich fest auf den Kopf und drehte sich um. Eine der Frauen sah auf und hatte zumindest den Anstand, sie entsetzt anzustarren.

«Das Problem mit Proletinnen ist ja leider«, sagte Maddie im Plauderton, «dass sie so gar keine Klasse haben, dass sie einfach ihre Meinung sagen und nichts darauf geben, was oberflächliche Schicksen wie Sie beide denken. Nicht alle sind in reiche Familien hineingeboren, und ehrlich gesagt, wenn Sie so über Menschen sprechen, dann bezweifle ich, dass Ihr Elternhaus wirklich so ehrenwert ist. Schämen Sie sich.»

Zufrieden mit dem Anblick der beiden Frauen, die sie mit offenem Mund anstarrten, verließ Maddie erhobenen Hauptes das Café.

 

Das letzte Wort zu haben, ließ sie jedoch nur kurz triumphieren, es änderte leider nichts an der Tatsache, dass sie bei ihrem Versuch gescheitert war, sich eine Tür zu einer Londoner Galerie zu öffnen. Zudem hatte sie damit ihren einzigen beruflichen Kontakt aufgebraucht.

Maddie starrte auf die Abfahrtstafel im Bahnhof Euston. Noch zwei Stunden, bis ihr Zug abfuhr. Zurück nach Birmingham und zu einer weiteren Diskussion mit ihrer Mutter über ein weiteres gescheitertes «Vorstellungsgespräch». Maddie hatte niemandem erzählt, was sie wirklich in London tat.

Seufzend scrollte sie durch ihren WhatsApp-Feed.

Dringend. Dringend. Dringend. Suchst du immer noch nach einem Job? Es ist zwar nur vorübergehend, aber es ist auf dem Kontinent, und sie brauchen jemanden. Europa! Ruf mich an. Nx

Die Nachricht von ihrer Freundin Nina brachte sie zum Lächeln. Sie hatten sich in Paris kennengelernt, wo Maddie ihr Auslandsstudienjahr verbracht hatte. Und weil sie viele Gemeinsamkeiten hatten, waren sie schnell Freundinnen geworden. Beide kamen aus großen Familien – wie Nina hatte Maddie noch vier Geschwister, und auch wenn beide diese Gemeinschaft vermissten, so genossen sie durchaus, etwas weniger von der Familie absorbiert zu werden.

Das Schlüsselwort in Ninas Nachricht war «Europa» – es klang wie ein Sirenenruf. Maddie sehnte sich danach, so weit wie möglich von zu Hause wegzukommen. Seit ihrer Zeit in Frankreich letztes Jahr hatte sie das Gefühl, nicht mehr richtig hineinzupassen.

«Okay, worum geht es da?», fragte sie, als Nina den Anruf beim ersten Klingeln entgegennahm. «Wo in Europa? Und was? Ist es eine Weinlese?»

«Etwas viel Schickeres.» Ninas Stimme vibrierte praktisch vor Begeisterung. «Es ist in Kroatien. Nick hat gerade mit uns telefoniert. Seine neue Freundin will mit ihm eine Wahnsinnsreise machen: Ein paar Leute haben wohl eine Jacht gemietet … aber die Frau, die als Haushälterin an Bord sein sollte, hat abgesagt, und es geht schon in drei Tagen los. Du musst nichts anderes tun als ein bisschen sauber machen und kochen. Dich eben um die Gäste kümmern. Und es sind bloß eine Handvoll Leute, sagt mein Bruder. Kleine Runde.»

«Ich bin dabei», sagte Maddie, ohne zu zögern, obwohl sie noch nie in etwas Größerem als auf einem Tretboot auf dem Wasser gewesen war. Dank des Unterrichts bei Ninas Freund Sebastian, der Koch war, hatte sie innerhalb von sechs Monaten eine Menge in der Küche gelernt. Ihre Kochkünste hatten sich enorm verbessert, wenn man bedachte, dass ihr Repertoire vorher nur aus Kartoffelauflauf und Hammeleintopf bestanden hatte. Außerdem – lebten im Urlaub nicht alle von Salat und Eiscreme?

Nina quiekte begeistert. «Toll! Dann musst du jetzt diesen Typ in Kroatien anrufen. Ich schicke dir gleich seine Nummer. Oh, du wirst so einen Spaß haben! Zweieinhalb Wochen in Kroatien! Ich bin richtig neidisch.»

Maddie quiekte ebenfalls. «Das ist so cool. Tausend Dank, Nina. Und ich freue mich so darauf, deinen Bruder kennenzulernen. Ich habe das Gefühl, als ob ich Nick praktisch schon kenne.»

Kapitel 3

Kroatien

Wow.» Maddie ließ ihre Leinentasche auf den Anleger fallen. Alle hatten ihr gesagt, sie solle sich lieber auf klaustrophobische Bedingungen einstellen, weil es auf einem Boot fürchterlich eng sei. Doch die schienen alle keine Ahnung zu haben. Dieses Boot war riesig. Sie zog ihr Handy hervor und verglich den Namen, der hinten auf dem Boot stand, noch mal mit den Infos auf ihrem Handy. Nein, alles stimmte – Avanturista, Split, das war ihr Boot.

Hier würde sie also die nächsten zweieinhalb Wochen verbringen? Nun, hallo, schönes Boot und tausend Dank! Sie vollführte einen kleinen Freudentanz in ihrem flotten Outfit, einem blau-weiß gestreiften T-Shirt und roter Caprihose – also, zumindest fand sie sich flott, auch wenn die Hose tatsächlich ziemlich grellrot war, was sie beim Kauf übersehen hatte.

Sie machte ein schnelles Foto vom Boot und tippte dann eine Nachricht.

Nina, schau dir mal bitte dieses Boot an! Das ist der Hammer. Ich liebe dich! 1000 Dank, dass du mich dazu überredet hast. Jetzt freue ich mich doppelt, dass ich beim Kochkurs aufgepasst habe. Weißt du noch, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind? Ich war die Königin von zerkochtem Essen und verbrannten Kuchen – und jetzt schau mich an! Freue mich sehr, deinen Bruder kennenzulernen.

Maddie xxx

Sie wäre ganz zufrieden damit gewesen, einfach in der herrlichen Sonne am Kai zu sitzen und das Boot anzuschauen, aber sie war ja zum Arbeiten hier, auch wenn es sich gar nicht so anfühlte. Seit der Bus vom Flughafen sie am lebhaften Fährhafen abgesetzt hatte, fühlte sie sich wie im Urlaub. Die Abfahrtstafeln der Jadrolinija-Linie zeigten an, dass die Fähren nach Hvar, Jelsa, Stari Grad, Supetar, Bol, Milna, Dubrovnik, Korčula und Ancona fuhren – verheißungsvoll klingende Orte. Sie grinste. Sie war definitiv nicht mehr in Birmingham. Dann erst hatte sie festgestellt, dass sie völlig falsch war und sie den ganzen Weg zurück bis zum Jachthafen gehen musste, was nicht gerade der perfekte Start für ein Crew-Mitglied war, aber bei diesem Wetter hatte ihr der Weg nichts ausgemacht.

Nach diesem Jahr, das sie – zurück aus Paris – wieder zu Hause verbracht hatte, fühlten sich Sonnenschein, die Aussicht und die Gerüche jetzt einfach himmlisch an. Sie zeigten ihr, dass sie endlich wieder weit weg von den Midlands war. Sie liebte ihre Familie, aber sie genoss ebenso den Abstand zu ihr. Es war anstrengend, immer für alles verantwortlich zu sein. Ihre Schwestern, Brüder und ihre Mutter waren so schrecklich unorganisiert. Es war, wie eine Horde Katzen zu hüten, und sie waren nicht einmal dankbar dafür. Theresa, die ihr vom Alter am nächsten stand, hatte sie eine bestimmerische Ziege genannt und ihr erklärt, dass sie alle wunderbar zurechtgekommen waren während ihrer Zeit in Frankreich. Was jeder, der Augen im Kopf hatte, als eine Lüge entlarven konnte, denn bei ihrer Rückkehr hatte Maddie das Haus im totalen Chaos vorgefunden. Brendans Schuhsammlung hatte sich verdreifacht, und Theresa hätte ihren eigenen Schminksalon eröffnen können mit der Menge an Make-up, die sie sich zugelegt hatte – wovon wohl einiges geklaut war, wie Maddie vermutete. Woher hätte sie das Geld dafür haben sollen? Und sie lebten alle von ungesunden Fertig-Nudelgerichten.

In diesem Moment tauchte ein Mann mit mehreren gestreiften Tragetaschen auf, und bevor sie etwas sagen konnte, war er schon auf das Boot gesprungen.

«Hi!», rief sie. «Ich bin Maddie. Das neue Crew-Mitglied.»

Ein piratenhaftes Lächeln zeigte sich auf dem durch einen buschigen schwarzen Bart eingerahmten Gesicht. «Willkommen an Bord. Ich bin Ivan, der Skipper. Wir haben telefoniert», sagte er mit deutlichem Akzent und unterstrich seine Worte mit der entsprechenden Geste, indem er die Hand ans Ohr legte und Daumen und kleinen Finger abspreizte.

Maddie sprang ebenfalls an Bord.

«Nett, dich kennenzulernen.» Er streckte einen gebräunten, dicht behaarten Unterarm aus und schüttelte ihre Hand mit sehr festem Griff. «Komm, ich führe dich herum.»

Ohne einen Blick über die Schulter zu werfen, ob sie ihm folgte, zog Ivan eine Tür auf und trat ein. Dass Maddie sicheren Boden verlassen hatte, war nicht zu leugnen – das Boot schwankte leicht im Wasser. Aber an Seekrankheit würde sie nicht einmal denken. Vorsichtig folgte sie Ivan unter Deck und einen Flur entlang, der einmal der Länge nach durchs Boot verlief. Die Wände, der Boden und die Decke waren mit festem, hochpoliertem Walnussholz ausgekleidet und wirkten dadurch etwas beengend, aber Maddie war sicher, dass sie sich daran gewöhnen würde.

«Das sind die Kabinen», sagte Ivan und deutete auf mehrere Türen, die vom Korridor abgingen, bis sie am anderen Ende auf fünf Stufen stießen. Links vom Treppenabsatz befand sich eine Tür, während eine weitere Treppe nach oben und draußen führte.

«Kombüse», sagte er mit einem Kopfnicken nach links und führte sie hinein. Der beste Freund ihres Bruders Brendan, der sich ein wenig mit Booten auskannte, hatte zu ihr gesagt, sie solle sich das Ganze ungefähr so vorstellen wie einen Wohnwagen auf dem Wasser. Maddie hatte öfter Ferien auf einem Campingplatz in Filey an der Küste von Yorkshire verbracht, darum hatte sie in der Kombüse ein paar Gasplatten erwartet und einen winzigen Kühlschrank, der unter der Theke versteckt war, sowie winzige Schränkchen, die in jede mögliche Ecke eingebaut waren. Doch diese Küche hier war eine Offenbarung, denn sie glich einer, die man sonst nur in teuren Einfamilienhäusern fand – wenn auch wesentlich kleiner. Sie hatte sogar einen Herd mit fünf Gasplatten und einer Grillfläche.

«Wow.» Maddie ließ ihren Blick durch die Küche schweifen.

Ihre Hoffnung, auf der Reise viel Salat und schlicht zubereitetes Fleisch zu servieren und selbst ein wenig das Urlaubsgefühl auf dem Boot genießen zu können, löste sich in Luft auf. Herrje, erwarteten die Gäste bei dieser Ausstattung etwa Essen im Stil von kompliziertem Cordon bleu? Ihre Kochkünste mochten sich in den letzten Jahren verbessert haben, aber sie würde in absehbarer Zeit sicher keinen Michelin-Stern gewinnen. Gott sei Dank war sie künstlerisch veranlagt, präsentieren konnte sie, zumal Sebastian ihr ein paar Tricks beigebracht hatte, mit denen sie ihre einfachen Kochkünste kaschieren konnte.

«Nett, was?» Ivan stellte die Tüten ab. «Ich habe ein paar Sachen besorgt, bevor die Gäste kommen. Ab jetzt bist du aber allein für das Essen zuständig. Welche Erfahrungen bringst du mit?»

Maddie grinste ihn selbstbewusst an. «Keine, aber ich kann kochen, putzen, und gut mit Menschen umgehen. Ich wurde zwar in letzter Minute gebucht, aber keine Sorge, ich arbeite hart.»

Ivan nickte.

«Wann kommen denn die Gäste?», fragte Maddie und betrachtete die großen Kühlschränke aus Edelstahl und die Arbeitsfläche aus Marmor.

«Morgen. Du hast genug Zeit, um alles vorzubereiten. Ich dachte schon, ich müsste meine Großmutter mit an Bord nehmen, damit sie hier kocht. Ich bin sehr froh, dass du es geschafft hast.»

Maddie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. «Ausgezeichnet», sagte sie viel selbstbewusster, als sie sich fühlte, aber wie schwierig konnte es schon werden? Sie würde eine semiperfekte Köchin und gut im Housekeeping sein, solange man nicht von ihr verlangte, das Schiff zu steuern, war alles gut.

«Vieles hier ist mir neu.» Sie deutete mit der Hand durch die Küche. «Aber ich lerne schnell.»

«Das meiste ist einfach …» Er hielt inne. «Allerdings … Sie wollten nicht für weitere Besatzungsmitglieder bezahlen, also musst du mir hin und wieder aushelfen.» Er grinste. «Die Segel benutzen wir nicht. Das Boot fährt hauptsächlich mit Motor. Aber du wirst lernen müssen, wie man das Beiboot fährt.»

«Das Beiboot? Oh, okay. Toll!», sagte sie, als würde sie so etwas ständig tun. «Das ist das kleine Boot, das an der Seite festgezurrt wurde, oder?»

«Ja, auf so einer Reise ist es manchmal schwierig, an beliebten Orten anzulegen, also werfen wir weiter draußen den Anker und fahren die Gäste hin und her. Es ist eine Art Wassertaxi.» Er zuckte mit den Schultern. «Sie rufen einfach an, wenn sie abgeholt werden wollen. Promis mögen diese Privatsphäre.»

«Oh, Promis?» Maddie riss die Augen auf. «Weißt du, wer an Bord sein wird?»

Ivan warf den Kopf zurück und lachte. «Erst, wenn sie da sind. Mein Freund hat mal den totalen Schock gekommen, weil plötzlich Beyoncé und Jay-Z auf dem Boot auftauchten, auf dem er Skipper war.»

Maddie stieß einen Pfiff aus – sie hatte bisher gar nicht darüber nachgedacht, wer außer Nick noch alles an Bord sein könnte.

«Sie müssen viel Geld haben. Dieses Boot zu chartern, kostet sechstausend Euro am Tag.» Er kniff die Augen mit plötzlicher Autorität zusammen. «Aber ich bin der Skipper. Ich fahre das Boot. Ich bin hier der Boss. Du bist die …» Er zögerte, da ihm anscheinend das richtige Wort nicht einfiel. «Du sorgst dich um ihr Wohl.» Und auch wenn seine Augen glitzerten, hatte Maddie den Eindruck, dass er es ganz ernst meinte.

«So, was ist mit den Zimmern?», fragte Maddie, die gern ihr eigenes gesehen hätte.

«Diese Gulet hat acht Gästekabinen.»

«Gulet?»

«Eine Gulet ist ein bestimmter Typ Jacht, mit zwei bis drei Masten und mehreren Decks. Sie sind typisch für Kroatien oder die Türkei. Diese hier hat zwei Masten.» Maddie nickte, als hätte sie irgendeine Ahnung, wovon er da redete. Ivan schenkte ihr wieder dieses kurze, charmante Lächeln. «Dieser Trip wird einfach. Es sind nur sechs Gäste. Eigentlich passen hier viel mehr Leute rauf.»

«Wow, nur sechs Leute auf diesem großen Boot.»

Ivan verdrehte die Augen. «Keine Ahnung, wieso sie so ein großes Boot gechartert haben.» Er zuckte die Achseln. «Manche Leute haben Geld … Aber das macht es uns leichter. Besonders dir. Weniger Leute, die essen wollen. Weniger Kabinen zu putzen. Weniger Betten zu beziehen.»

Das würde einfach werden. Maddie dachte an ihr Zuhause, an ihre Brüder und Schwestern. Sie alle waren, einschließlich ihrer Mutter, komplett unorganisiert. Für sechs Leute zu kochen, zu putzen und hinter allen herzuräumen, war Maddie gewohnt.

«Hier ist ein Handbuch für die Crew.» Ivan bückte sich, öffnete eine Schublade und zog einen königsblauen Ringordner heraus, auf dem das Logo der Charterfirma prangte. «Regeln und Anweisungen. Die Arbeitszeiten sind variabel …» Er hob mit fatalistischem Gesichtsausdruck die Schultern. «Eigentlich hat man auch Freizeit, aber einer von uns muss von morgens bis abends abrufbereit sein, bis die Gäste im Bett sind. Das hängt immer von den Leuten ab. Manche bleiben gern an Bord, andere schauen sich lieber die Gegend an und machen Tagesausflüge. Heute haben wir es noch ruhig. Morgen wird es anstrengend, wenn alle ankommen. Aber jetzt zeige ich dir erst mal deine Kabine.» Er warf einen Blick auf seine klobige Armbanduhr. «Heute Abend fahre ich nach Hause nach Split. Willst du mitkommen?»

Sie nickte begeistert.

 

Maddie packte schnell ihren Seesack aus. Bei dem Gedanken, allein für das Boot verantwortlich zu sein, überlief sie ein aufgeregter Schauer. Ab sofort sollte sie das Schiff Gulet nennen, das klang viel professioneller.

Ihre Kabine befand sich auf dem Hauptdeck, zusammen mit Ivans Kabine und zwei Gästekabinen, und: Sie hatte ihr eigenes Bad. Ein echter Luxus, auch wenn es so klein war, dass sie gleichzeitig pinkeln und duschen konnte. Auf dem Bett lagen ein paar frisch gewaschene hellblaue T-Shirts mit aufgedrucktem Firmenlogo. Eine Art Uniform, vermutete sie. Man hatte sie gebeten, marineblaue Shorts mitzubringen und im Dienst zu tragen, was ja anscheinend die ganze Zeit sein konnte. Obwohl es sich hier in Kroatien auf dieser herrlichen Jacht kein bisschen wie Arbeit anfühlte. Nun, noch nicht.

Sie zog die Kabinentür zu und ging mit dem Handbuch unter dem Arm zur Reling. Sie hielt ihr Gesicht in die Sonne und schaute über den Jachthafen. Keine einzige Wolke trübte den Himmel, und um vier Uhr nachmittags war es immer noch sehr warm. Birminghams grauer Himmel von heute Morgen schien Welten entfernt zu sein, ihr beengtes Haus mit den drei Schlafzimmern würde mindestens fünf Mal auf diese Jacht passen. Ivan hätte ihre Kabine vielleicht als klein bezeichnet, aber im Vergleich zu dem Zimmer, das sie sich mit ihrer Schwester Theresa teilte, und ihrem Badezimmer zu Hause war es der reinste Luxus.

Ein Pärchen, das auf der Promenade entlangspazierte, blieb stehen und bewunderte die Jacht. Maddie tat, als würde sie sie nicht sehen, und stellte sich einen Moment lang vor, sie wäre Gast auf der Jacht und würde die neidischen Blicke genießen. Womit der Mann, der das Boot gechartert hatte, wohl seinen Lebensunterhalt verdiente, um diese enorme Miete zahlen zu können?

Diese Jacht war nicht einmal annähernd die größte im Hafen, auch wenn sie ihre nächsten Nachbarn in den Schatten stellte. Da drüben auf der anderen Seite des Hafens lagen wirklich beeindruckende Schiffe. Ivan hatte ihr Roman Abramowitschs Jacht gezeigt, ein elegantes sechsstöckiges Schiff, ausgestattet mit so vielen Satelliten und Antennen, dass es eher einem Kriegsschiff oder einem kleinen Kreuzfahrtschiff glich, und eine andere nicht ganz so große Jacht ein paar Liegeplätze weiter war von Dua Lipa für den Sommer gechartert worden.

Jenseits des Hafens lag die Stadt Split – eine Ansammlung von Terrakottadächern, die sich auf einen schmalen Landstreifen drängten, begrenzt von einer Reihe grauer, mit Geröll bedeckter Felshügel, die steil emporragten und in einer scharfen Linie parallel zur Küste verliefen, so weit das Auge reichte.

Mit einem Freudenhüpfer riss sich Maddie von der Aussicht los, um das Deck zu erkunden. Auf dieser Ebene gab es einen überdachten Essbereich am abgerundeten hinteren Ende des Bootes – für den es irgendeinen nautischen Begriff gab. Bug? Heck? Sie ließ ihre Hand über die Flaschen einer kleinen, gut bestückten Bar gleiten, die an der Seite versteckt war. Dahinter führten Stufen hinauf zum Oberdeck, die sie eilig hinaufstieg. Oh, wie herrlich! Mehrere luxuriöse Liegestühle aus Holz mit dick gepolsterten Kissen in dem vertrauten Marineblau waren um das kleine Mitteldeck angeordnet, von denen sie einen im Geist gleich für sich reservierte. Ja, ein kleiner Gin Tonic hier oben wäre zu schön.

Ivan hatte ihr gesagt, dass die Gäste am nächsten Tag nicht vor fünf Uhr dreißig einchecken würden und dass er sie an der Rezeption des Jachthafens treffen und dann an Bord bringen würde. Das gäbe ihr die einmalige Gelegenheit, ein Sonnenbad zu nehmen, bevor alle eintrafen.

Auf dem Hauptdeck befand sich neben den vier Kabinen auch ein überdachter Loungebereich mit tiefen weißen Ledersitzen voller teuer wirkender blauer und weißer Kissen mit Ikat-Print sowie schwarzen Beistelltischen mit Marmorplatten. Zu einem schattigen Bereich mit einem großen Tisch hin öffnete sich die Lounge. Maddie durchquerte sie, ging auf ein weiteres Deck hinaus und stieß einen leisen Pfiff aus – ein Jacuzzi und noch mehr Sonnenliegen. Eine weitere Treppe brachte sie hinunter auf das Unterdeck mit den sechs weiteren Kabinen.

Nachdem sie ihr kleines Reich mit größtem Vergnügen erkundet hatte, beschloss Maddie, sich einen Gin Tonic zu gönnen und das Handbuch für die Besatzung zu lesen, bevor sie nach Split fuhr, um sich dort mit Ivan zu treffen, der bereits zu seiner Familie gefahren war. Er hatte ihr auf einer Landkarte einen Kreis eingezeichnet und ihr gesagt, sie solle ihn anrufen, wenn sie dorthin käme, weil sie die Wohnung seiner Familie sonst niemals finden würde.

 

In Split herrschte lebendiger Trubel. Maddie hatte sich extra viel Zeit genommen und schlenderte die überfüllte Promenade entlang. Eine Band spielte. Die Musiker waren nicht mehr ganz jung, aber sie spielten enthusiastische Stücke der Rolling Stones, von ZZ Top und Steve Harley – Lieblingslieder von Maddies Mutter. Es war verlockend, mit der ausgelassenen Menge da vorne mitzutanzen, aber dann stellte sich Maddie ihre Mutter vor, wie sie kettenrauchend in Lederjacke mit dem Fuß stampfen, die Haare hin und her schleudern und ihre Kippenasche achtlos und ohne Respekt vor ihrem Umfeld um sich verteilen würde … Außerdem musste sie zu Ivan und wollte nicht zu spät kommen.

Auf ihrem Weg kam Maddie an vielen Restaurants vorbei, aus denen köstliche Gerüche strömten, während die Kellner mit hochgehaltenen Tabletts schnell und effizient um die Tische huschten. Zu ihrer Linken glitzerte das Meer in der tief stehenden Sonne so unglaublich blau, dass es ihr in den Fingern juckte, einen Pinsel zu nehmen und den Anblick in einem Gemälde festzuhalten. Sie hatte ihre Aquarellstifte und ihr Skizzenbuch in ihrer Kabine verstaut, in der Hoffnung, die Utensilien hervorzuholen, sollte sie ein paar Tage freihaben, aber nach der Lektüre des Handbuchs war das wohl unwahrscheinlich. Vor ihr lag der belebte Fährhafen, in dem Schlangen von Autos darauf warteten, an Bord zu kommen, während ein weiterer Strom gerade angekommener Autos von der Fähre hinunterwollte, um das Land zu erkunden. Eine große weiße Fähre tuckerte hinaus in Richtung der Inseln, die in der Ferne zu sehen waren. Dies war das Tor zu den Inseln Dalmatiens, und sie konnte es kaum erwarten, in See zu stechen und sie mit eigenen Augen zu sehen.

Die Stadt pulsierte vor Lebendigkeit, war erfüllt von diesem südeuropäischen Duft, diesem savoir-vivre, dieser herrlich warmen Luft. Und Maddie genoss es. Sie hatte das Leben in Paris, den kosmopolitischen Lebensstil ein Jahr lang vermisst. Und nun bot sich ihr die Chance, etwas Ähnliches erneut zu erleben!

 

«Willkommen, Freundin von Ivan. Kommen Sie, kommen Sie.»

Maddie hatte die Menschenmenge in den engen Gassen hinter sich gelassen und trat nun über ausgetretene Steinstufen in die kühle Ruhe des alten Hauses. Neugierig betrachtete sie die ummauerten Fenster und den hohen Türbogen. Ivans Wohnung lag inmitten eines Labyrinths aus Straßen innerhalb der Mauern des Diokletianspalast-Komplexes, der noch auf die Römer zurückging. Den Palast hatte sie auf dem Weg hierher kurz gesehen. Es war, als betrete man eine andere Zeit.

«Das ist meine Großmutter Vesna. Sie spricht nur ein bisschen Englisch», sagte Ivan.

«Hallo», sagte Maddie und lächelte, während die kleine Frau sie mit ihren freundlichen Augen musterte, bevor sie sie durch die Tür zog und sie hinter Maddie schloss.

Maddie übergab Vesna den Blumenstrauß, den sie auf dem Markt um die Ecke gekauft hatte. Der Strauß löste bei der drahtigen Dame ein Lächeln und eine Flut von Kroatisch aus.

«Und das hier ist meine Frau, Zita», sagte Ivan mit warmer Stimme, als eine dunkelhaarige Frau aus einem Zimmer kam. Er gab ihr einen Kuss. Maddie schätzte sie auf Anfang vierzig, obwohl es bei ihrer makellosen olivfarbenen Haut schwer zu sagen war.

«Danke für die Einladung», sagte Maddie, die sich ein wenig unwohl damit fühlte, in die Familie einzudringen.

«Gesellschaft ist immer gut», erwiderte Zita mit breitem Lächeln. «Du bist herzlich willkommen. Meine Oma und meine Mama sind heute hier. Sie freuen sich darauf, dich kennenzulernen.»

«Wirklich?», fragte Maddie und schaute Ivan fragend an.

Zita lachte. «Wir mögen Gesellschaft und die Ausrede, zusammen zu essen und zu feiern. Wir lieben unser Essen, und wir lieben unsere Familie hier in Kroatien.»

«Wow, dein Englisch ist wirklich sehr gut.»

Zita warf sich das lange schwarzbraune Haar über die Schulter. Sie war eine auffallend schöne Frau mit ihren dunklen Augen und den kräftigen Gesichtszügen, und wenn sie sprach, tanzte ihr Gesicht vor Lebendigkeit.

«Ich habe in London studiert, an der UCL. Dort habe ich Ivan kennengelernt. Wir haben einige Jahre dort gearbeitet und kamen dann zurück nach Split, und dann hat Ivan das Boot gekauft. Er vermietet es an die Charterfirma, fährt aber auch für sie als Skipper. Ich arbeite am Flughafen, da kann ich mein Englisch nutzen. Jedes Jahr wird der Flughafen voller und voller.»

Maddie folgte ihr in die Küche, wo Vesna und eine andere, hochgewachsene Frau wie zwei spleenige Professorinnen über zwei große Pfannen wachten und Gewürze und Lorbeerblätter aus einem Glasgefäß hineinwarfen. Die beiden unterhielten sich angeregt, lächelten Maddie schüchtern zu und tätschelten einem kleinen Jungen den Kopf, sobald er in ihre Reichweite kam. Er schoss mit Besteck durch einen Durchgang bis zu einem langen Tisch.

«Das ist meine Mutter Tonka, und das ist Bartul, unser Sohn. Er hilft Oma Tonka immer gern. Oma und Mama freuen sich, dass du Interesse an kroatischem Essen hast, wie Ivan gesagt hat.» Zita sprach ein paar schnelle Worte auf Kroatisch, und Tonka drehte sich um und antwortete, wobei sie auf die dampfende Pfanne vor sich deutete.

«Sie hofft, du magst Fisch. Sie möchte dir ein traditionelles Fischgericht zeigen.»

«Kannst du ihr sagen, dass ich es sehr gern lernen möchte, aber nicht viel von Fisch verstehe?»

Als Zita übersetzte, schaute Vesna entsetzt drein.

Wieder übersetzte Zita: «‹Aber du wohnst doch auf einer Insel›, sagt sie.» Alle lachten darüber.

Vesna winkte Maddie zu sich, nahm eine Plastikflasche und goss einen großzügigen Schuss der dunkelgrünen Flüssigkeit in eine Bratpfanne.

«Ist das Olivenöl?», fragte Maddie und betrachtete ein Regal mit verschiedenen Flaschen in unterschiedlichen Größen, die alle ähnliche Flüssigkeiten zu enthalten schienen.

Zita nickte und reichte ihr die Flasche. «Riech mal.»

Der unverwechselbare, fruchtige Geruch von Oliven schlug Maddie entgegen. «Wow, das riecht gut. So frisch. Wie … na ja, wie echte Oliven eben. Man hat sofort vor Augen, wie sie gepresst werden.»

«Die haben wir letzten Oktober gepflückt.» Zita neigte mit einem Hauch von Stolz den Kopf. «Hier besitzt jede Familie ihr eigenes Stück Land mit Olivenbäumen. Wir haben ein Grundstück auf der Insel Brač, oben in den Hügeln. Im Herbst fährt die ganze Familie für eine Woche hin, und alle helfen bei der Ernte. Und dann wird das Öl in einer örtlichen Genossenschaft gepresst. Du musst eine Flasche mit zum Boot nehmen.»

«Danke, das wäre toll», sagte Maddie und dachte an die vielen schönen Gerichte, die sie damit verfeinern konnte.

«Und du musst ein Glas Wein probieren.» Zita deutete auf eine Reihe riesiger Glasgefäße, die hinter einem Türbogen verborgen waren.

«Wow.» Maddie betrachtete die bauchigen Gefäße mit den traditionellen Korbgeflechten, in denen tiefroter Wein leuchtete. «Habt ihr den auch selbst hergestellt?»

Zita nickte. «Ein Cousin von Ivan produziert ihn.»

«Hier, probier mal.» Ivan füllte Weingläser aus einem Krug und drückte Maddie eins in die Hand.

«Ich kenne mich mit Wein nicht gut aus», sagte Maddie und kostete vorsichtig.

«Du brauchst nur zu wissen, ob er dir schmeckt», sagte Ivan und hob sein Glas. «Živilli.»

«Živilli», sagte Zita.

«Mmm.» Der Wein schmeckte Maddie wirklich gut.

Zita nahm einen Schluck. «Der dalmatinische Rotwein ist sehr gut. Wir haben viele Sorten. Den Weißen bekommt man im Restaurant oft mit Wasser vermischt. Das mögen die Touristen nicht, sie wollen keinen verwässerten Wein.» Sie zuckte die Schultern. «Ivan und ich trinken am liebsten Rotwein. Du musst auch ein paar Flaschen mitnehmen.»

Maddie bekam eine Schürze und wurde zum Ofen geführt, wo Tonka begonnen hatte, Fischstücke zu braten. Die improvisierte Kochstunde bestand aus viel Zeichensprache und Gelächter, als Tonka und Vesna versuchten, Maddie die Zubereitung des Gerichts zu erklären. Danach zeigten sie Maddie zu ihrer Überraschung, wie man frische Pasta zubereitet.

«Ich dachte, Pasta ist italienisch», sagte sie zu Zita.

«Italien ist nicht weit, und unsere Geschichte ist sehr eng mit Italien verflochten. Die Venezianer herrschten hier über dreihundert Jahre. Wir essen viel Pasta, als Hauptgericht aber nur mit Fleisch und Schalentieren, nicht mit Fisch. Den Fischeintöpfen fügen wir Režanci hinzu, Fadennudeln, und meine Mutter hat ihre eigene spezielle Zutat – die sie dir ganz bestimmt verraten wird.» Zitas Augen funkelten belustigt.

Tonka war eine engagierte Lehrerin und klopfte Maddie in regelmäßigen Abständen auf die Schulter, während Vesna danebenstand und zustimmend nickte.

«Mmm, das schmeckt fantastisch», meinte Maddie, als Tonka ihr einen Löffel von dem Brujet anbot. Das Gericht hatte zwar keine aufwändigen Zutaten, doch der duftende, frische Geschmack machte es außergewöhnlich. «Ich bin mir nicht sicher, ob ich das so gut hinkriegen werde», sagte Maddie, zog eine Grimasse und deutete auf sich selbst, sehr zur Belustigung von Tonka, die ihr wieder auf die Schulter klopfte und beruhigend nickte, wobei sie auf den Fisch und die Kräuter deutete.

«Mama sagt, wenn du guten frischen Fisch vom Markt nimmst und reichlich Kräuter, dann kann nichts schiefgehen», übersetzte Zita.

Maddie bedankte sich lächelnd bei der älteren Frau. «Das denkt sie. Aber zumindest weiß ich jetzt, welchen Fisch ich auswählen muss.» Mit Zitas Hilfe hatte sie eine ganze Liste mit Fischen zusammengestellt, die sie auf dem Markt kaufen wollte, und dazu verschiedene Rezepte von Tonka, die sie mit fuchtelndem Holzlöffel diktiert und die Zita unter Vesnas wachsamem Blick übersetzt hatte. Es war echte Teamarbeit gewesen.

Zita schüttelte ihre Hand und schaute auf. «Mama will dir noch ein paar letzte Handgriffe zeigen. Darauf kannst du dir etwas einbilden. Manche dieser Rezepte sind gut gehütete Geheimnisse, und das hier hat sie noch nicht einmal mir verraten.»

«Komm, komm», sagte Vesna und deutete zum Tisch, wo sie die Fischbrühe in Suppenteller verteilte.

Maddie saß zwischen Tonka und Zita und lauschte der Flut an kroatischen Wörtern, die Zita hier und da übersetzte, um sie einzubeziehen.

«Mama erzählt gerade von ihrer Nachbarin, die sie auf dem Markt getroffen hat. Die hat Probleme mit ihrem Sohn. Er baut zurzeit das obere Geschoss im Haus seiner Mutter in eine Wohnung für sich und seine Frau um, aber er hat mittendrin aufgehört, und jetzt läuft das Wasser die Wände hinunter.»

Tonka schüttelte den Kopf und sprach mit dramatisch verdrehten Augen weiter. Zita kicherte. «Offenbar ist er Klempner.»

«Ups», meinte Maddie. «Vermutlich nicht der beste.»

Zita übersetzte, und Tonka lachte begeistert.

«In Kroatien ist es üblich, dass Familien große Häuser besitzen und die nächste Generation in das oberste Stockwerk zieht», erklärte Zita.

«Gott, bin ich froh, dass wir das bei uns zu Hause nicht so machen», sagte Maddie und schauderte.

Trotz der Sprachbarriere konnte sich Maddie an keinen Abend erinnern, an dem sie sich so willkommen gefühlt hatte.

Sie wusste, dass keiner aus ihrer Familie bereit gewesen wäre, den Fisch zu probieren, oder wenn doch, dann hätten sie ihn mit großem Misstrauen beäugt, denn zu Hause gab es Fisch nur im Teig und mit Erbsen und Pommes frites aus der Frittenbude.

«Gut, ja?», fragte Vesna.

Maddie nickte. «Sehr.» Sie tätschelte sich den Bauch wie Pu der Bär, und alle strahlten. «Wenn ich auch nur eins meiner Gerichte so gut hinkriege, bin ich sehr glücklich. Aber wenn ich nicht weiterkomme, kann Ivan mir ja vielleicht helfen.»

Zita kicherte, übersetzte für ihre Mutter und Ivans Großmutter, und es trat eine bedeutungsschwangere Pause ein, bevor alle drei Frauen in schallendes Gelächter ausbrachen.

«Das wäre dann wohl ein Nein», meinte Maddie und stimmte in das Gelächter ein, während Ivan den Kopf schüttelte.

«Ich bin der Kapitän des Schiffes.» Er zwinkerte ihr zu. «Ich koche nicht.»

Kapitel 4

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