Das lange Wochenende - Jan Eik - E-Book

Das lange Wochenende E-Book

Jan Eik

0,0

Beschreibung

Dieses turbulente Wochenende beginnt an einem Donnerstagnachmittag in Berlin reichlich vorzeitig, und Gerd weiß noch nicht, was ihm bevorsteht, als er mit seiner letzten Eroberung, der rothaarigen Petra, auf dem Sozius zur Datsche hinausfährt - oder er ahnt nur das Angenehme davon, denn sein Rotfuchs interessiert ihn im Augenblick hundertmal mehr als sein verschwundener Onkel. LESEPROBE: Petra schien an den euphorischen Worten der Serviererin gelinde zu zweifeln, während sie sich in dem Konsum-Etablissement umguckte. Sie suchte wohl die Schönheit, die Carola zum Hierbleiben animierte; sie erblickte aber nur Rodek, und der konnte ein Mädchen wahrhaftig eher zum Weglaufen verleiten. Sein massiger Schädel hatte die Farbe von verdünntem Johannisbeermost angenommen, obwohl das bestimmt eine Flüssigkeit ist, die Franz sein Lebtag noch nicht probiert hat. Er steht auf Kognak, wie er und seine zwei, drei Spezialbrüder ihre Lieblingsmarke Spezi getauft hatten. Mir fiel ein, dass Rodek sehr wohl der Trinker des zweiten Mostrichglases in Kurts Küche gewesen sein konnte. Franz Rodek musste von Opa Christian notgedrungen ablassen, weil der sich mühsam erhoben hatte und mit winzigen Altmännerschritten die Gaststube durchquerte. Die Türschwelle bereitete ihm erhebliche Schwierigkeiten, und der Spacke von unserem Tisch sprang auf, um ihm zu helfen. Opa Christian winkte ab, doch der Junge sagte: „Die hohen Stufen draußen schaffen Sie alleine nicht." „Nej, nej, min Jonge", antwortete der Alte, „ich geh ja man bloß schiffen." Außer Petra und dem Mädchen mit dem sehr engen Pullover fand kein Mensch etwas an der Antwort. Die Grappenthiner kennen ihren Dorfältesten, der einstmals ein großer Pferde- und Leuteschinder war und der nun allabendlich im Konsum saß und — quasi als späte Sühne — Kaffee trinken musste, weil der Schnaps nicht gut für seine Krankheit war. Kopfschüttelnd kehrte der Spacke zu uns zurück, doch an seinem Platz war inzwischen Rodek angelangt, starrte uns der Reihe nach grimmig an und brüllte: „Wo ist mein Bier?" „Guten Abend", sagte ich, und für Petra fügte ich hinzu: „Herr Rodek." Er musterte mich drohend. „Dich kenne ich", brüllte er. Ich hatte den Kerl noch niemals leise sprechen hören. „Na sicher", sagte ich. „Dein Bier habe ich trotzdem nicht getrunken."

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 253

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Impressum

Jan Eik

Das lange Wochenende

ISBN 978-3-95655-425-4 (E-Book)

Die Druckausgabe erschien erstmals 1975 im Verlag Neues Leben Berlin.

Gestaltung des Titelbildes: Ernst Franta

© 2015 EDITION digital®Pekrul & Sohn GbR Godern Alte Dorfstraße 2 b 19065 Pinnow Tel.: 03860 505788 E-Mail: [email protected] Internet: http://www.ddrautoren.de

Die Handlung und alle Personen sind frei erfunden. Wer sich zu erkennen glaubt, ist selbst schuld.

Für Ute

1. Kapitel

Ich rekelte mich träge auf der Decke und betrachtete sie von der Seite. Sie gefiel mir; der blaue Bikini saß wirklich überall straff und schnitt nirgends in ihr weißes Fleisch. Dennoch war sie nicht etwa dürr. Sah einwandfrei aus, das Mädchen, besonders wenn der Schatten dieser Freundin nicht auf sie fiel, die ihr sonst nicht von der Fahne wich.

Ich hatte die beiden ungefähr drei Wochen zuvor zum ersten Mal hier am See gesehen und aus den Klauen zudringlicher Halbstarker befreien müssen, die allerlei über rote Haare rumzublödeln wussten. Dabei gibt es gegen rote Haare nichts einzuwenden. Und ein Rot war es eigentlich auch gar nicht, mehr so ein heller Ton, wie feine Kupferlitze ohne Isolierung.

Sie hieß Petra, und an jenem späten Mittag trabte sie also zum ersten Mal allein hier an und nahm auf meiner Decke Platz. Wir hatten gebadet, und während ich nun dabei war, meine in drei Wochen gereiften Pläne bezüglich ihrer Realisierung zu durchdenken, schüttelte sie plötzlich ihre Kupfermähne wild um sich und sagte: „Man müsste etwas richtig Verrücktes anstellen!"

Dagegen war so wenig einzuwenden wie gegen rote Haare und gegen das ganze Mädchen. Mit dieser Kupfermaid etwas Verrücktes zu veranstalten — das entsprach durchaus meinen Absichten und meinem Geschmack auch. Zur Sicherheit fragte ich: „Was nennst du denn wirklich verrückt?"

„Irgendetwas Überraschendes. Woran kein Mensch denkt", erklärte sie voll tiefer Logik. Sie studierte übrigens Mathematik.

Na schön, der ganze Nachmittag lag noch vor uns, und der Abend, und — na eben Zeit genug, um herauszubekommen, wovon sie sich überraschen ließ, und woran kein Mensch denkt. Vorerst erhob ich mich zu einer kleinen Vorstellung. Sie saß zu meinen Füßen und blickte erwartungsvoll zu mir auf. Ich ließ mich in den Liegestütz fallen. Hier, auf dem abgefressenen Gras des Seeufers, wirkte das trotz meiner Größe nicht besonders, aber ich konnte es auch auf Straßenpflaster und Kneipendielen. Als ich noch jung war und zu Hause wohnte, hatte ich es so lange geübt, bis den Leuten unter uns die Stuckrosette in die Erbsen fiel.

Petra lächelte. „Schön, das hatte ich nicht erwartet. Ich hielt dich für zu träge."

„Du wirst mich noch in meiner voll entfalteten Aktivität kennenlernen", sagte ich und machte einige Liegestütze. Sie gelangen leidlich. Außerdem war das eine günstige Perspektive, um ihre glatten milchigen Schenkel bis hin zum untersten Rand ihres Bikini zu betrachten, und ich tat es ausgiebig. Das war weit eher angenehm als wirklich verrückt — mal sehen, wie sie reagierte.

Sie blickte sich unbefangen um. Die strahlende Junisonne beschien den See mit seinen kahlen Ufern und all die vielen Leute, denen das Badeverbot gleichgütig war. Viel zu viele Leute, und Petra empfand es wohl ebenso, sie sagte: „Man müsste einfach aufstehen und losgehen. Einfach so, an nichts denken dabei …

Ich sprang auf und zog sie an der Hand zu mir hoch. „Dann komm", sagte ich. Sie guckte mich an, und ich bereute meine Aufforderung nicht. Wir taten beide, als dächten wir an nichts dabei ...

Im Gebüsch zog sie sich in drei Minuten an und stand neben meinem fliegenden Pfeil, bevor ich selbst den letzten Reißverschluss zugezurrt hatte.

Selbst für halbe Kraftfahrzeuge wie meine antike MZ haben Frauen etwas übrig: es ist ein Spiegel dran. Sie kämmte sich ungefähr dreieinhalb Jahre, und ich hatte Zeit festzustellen, dass sie auch angezogen ausgesprochen brauchbar aussah, obwohl ihre Kleidung nur aus Kordlevis und einem unförmigen heufarbenen Rollkragenpullover bestand. Aber das Heu passte zum Kupfer.

Wir donnerten zur Chaussee hinauf. Sie war so nett, sich nicht an dem blöden Sitzbankgurt, sondern an mir festzuhalten. Ich bog stadteinwärts ab. Ihr Griff lockerte sich merklich, bis ich an der Tankstelle die Chaussee verließ. Getankt hatte ich glücklicherweise; es hätte uns jetzt beim Verrücktsein aufgehalten.

„Du dachtest wohl, es ginge in Richtung Ostkreuz?", fragte ich über die Schulter. Ich hatte erwähnt, dass ich in der Gegend wohne.

Sie antwortete nicht.

Wir zuckelten eine Weile durch ein widerwärtiges Gewirr gleichberechtigter Nebenstraßen, bevor wir auf eine menschliche Schnellstraße gerieten und ich wenigstens im dritten fahren konnte. Als wir uns dem Kontrollpunkt näherten, erkundigte ich mich: „Hast du deinen Ausweis bei dir?"

„Nein."

Ich hielt neben einer Telefonzelle.

„Ist das so schlimm?", fragte sie.

Drüben am Kontrollhäuschen war der Schlagbaum geöffnet, ein gelangweilter Volkspolizist lehnte daran und winkte lustlos den Fahrzeugen. „Vermutlich nicht", sagte ich. „Aber ich muss noch mal telefonieren."

„Urlaub von Heim und Herd erbitten?"

„Wenigstens meinen sechs Kindern einen Abschiedsgruß. Darf ich?"

Das Telefon funktionierte wunderbarerweise, und Paul meldete sich sofort. „Paul", fragte ich laut, „wie viel Überstunden habe ich eigentlich in diesem Monat?"

„Nöle mich nicht voll", antwortete er. „Und brülle nicht grundlos! Schließlich ist Halbjahresabschluss."

„Entschuldige. Ich dachte, es wäre Januar." Ich dämpfte meine Stimme. „Hast du schon jemanden für die Sonderschicht?"

Ich hörte ihn unwillig grunzen.

„Dann schreibe mich auf."

„Und deswegen rufst du kurz vor Feierabend an?"

„Deswegen auch."

„Und?", fragte er misstrauisch, er kennt mich eben.

„Und weil ich morgen einen freien Tag benötige."

„In der Frühschicht vorhin konntest du mir das nicht sagen, wie?"

„Wieso", fragte ich scheinheilig, „warst du etwa bei uns drüben in der Halle?"

„Schön", sagte er schnaufend, „wozu brauchst du gerade am Freitag einen freien Tag?"

„Ach, wissen Sie, Herr Abteilungsvorstand, persönliche Gründe zwingen mich in Anbetracht familiärer Ereignisse —“

„Ja, ja, ich weiß, dein Meerschweinchen hat Junge gekriegt oder der Erbonkel ist gestorben — ihr findet ja immer etwas!"

Ich sah durch die zerbrochene Scheibe hinüber zu meiner MZ, an der in höchst anmutiger Pose das Mädchen Petra lehnte. Hoffentlich schmiss sie mir den alten Ofen nicht um.

„Hör mal", sagte ich zu Paul, „von Mensch zu Mensch gesprochen: Sie hat rote Haare und Sommerprossen — aber nicht viel.“

„Haare?"

„Sommersprossen!"

Paul lachte hämisch. „Vermutlich willst du irgendwo eine Mucke machen. Du brauchst doch immer Geld für deinen Katalyt-Starfighter."

„Es heißt Mugge, nicht Mucke. Musikalisches Gelegenheitsgeschäft. Außerdem solltest du an die goldene Handwerkerregel denken: Privatarbeit geht vor Katastropheneinsatz! Und Montag siehst du mich zur Spätschicht — wenn du ausnahmsweise bei uns vorbeikommen solltest."

„Von deiner Sorte möchte ich zwei haben", sagte er, und ich war so gemein, ihm die Pointe zu verderben: „Aber du hast zweiundachtzig, du Armer. — Schönes Wochenende!" Ich hängte ein.

Petra rief ich freudig zu: „Mutti hat es erlaubt!"

„Heißt deine Mutter schon immer Paul?"

„Es war ein Kommilitone, weißt du", sagte ich geziert — mit Paul zusammen hatte ich tatsächlich fernstudiert, unser Plauderton klingt danach. Immerhin ist Paul mein Chef.

Petra verstand die Anspielung. Ihre Freundin Gaby hatte sich bereits als Studentin zu erkennen gegeben, bevor ich noch den ersten Blick auf sie geworfen hatte. Einen zweiten fand ich ohnehin überflüssig.

Der Polizist winkte uns freundlich zu. Ich winkte zurück. Petra fragte: „Kennst du ihn?"

„Ich fahre hier dreimal täglich mit einer Braut durch."

„Darum ist die Straße schon so abgenutzt."

Ich gab ziemlich heftig Gas. Sie klammerte sich herrlich an mir fest.

Auf der Autobahn konnte mein alter Dampfer endlich zeigen, was noch in ihm steckte. Petra kannte die Gegend nicht; sie brauchte nicht zu wissen, wohin der Ritt gehen sollte, und so antwortete ich auf alle ihre Fragen mit einem meiner klügsten Gemeinplätze: „Kleine Mädchen dürfen alles essen, aber nicht alles wissen."

„Und große Mädchen?", brüllte sie in mein Ohr.

„Die dürfen nicht mehr alles essen; sie werden sonst zu dick!"

Sie griff sich naheliegenderweise eine meiner Bauchfalten. „Das ist ein Haltungsfehler, weißt du", erklärte ich. „Da hat der Lehrer nicht aufgepasst, dass ich immer gerade sitze."

„Das solltest du dem Wirt deiner Eckkneipe erzählen, wenn er dir das siebente Bier hinstellt."

Für eine Nichtberlinerin war sie reichlich schlagfertig. Sie sächselte überhaupt nur so viel, dass es noch hübsch klang. Ich teile das Berliner Vorurteil gegen die Südelbier nur bedingt. Dicke alte Frauen über Dreißig von dort treten kaum lauter und aufdringlicher auf als die umfangreichen Berlinerinnen, die früher sonntags im Unterrock am Müggelsee saßen. Ich war schon seit acht Jahren nicht mehr am Müggelsee gewesen, aber nicht wegen der alten Frauen. Glücklicherweise gibt es ja auch junge Frauen über Vierzig, und es sollte gar nicht mehr lange dauern, bis ich einer ins Haus lief.

Dieses Mädchen Petra spürte ich seit beinahe einer Stunde angenehm nahe hinter mir. Eine Brücke über die Autobahn kam in Sicht, ich verlangsamte rechtzeitig das Tempo. Sie fragte: „Und nun?"

„Nun biegen wir rechts ab in den dunklen Tann", sagte ich und fuhr einen kaum erkennbaren Pfad hinauf zur Straße.

„Ist das nicht verboten, hier einfach raufzufahren?"

„Hast du nicht von deinem Ortsbürgermeister die Sondergenehmigung, heute etwas Verrücktes zu tun?"

Die Straße wand sich durch ein Dorf, und die Maschine durfte zeigen, was alles an ihr klapperte. Erst auf einem festgefahrenen Sandweg beruhigte sie sich wieder. Eine freundliche Häuseransammlung stellte eins von den 97 Dörfern namens Buchholz dar. Am Dorfteich bog ich links in Richtung auf ein schütteres Kiefernwäldchen ein, das sich bald zu einem echten Wald mauserte. Auf diesem Weg konnten wir an mein Ziel gelangen, ohne dass Petra einen Wegweiser oder ein Ortseingangsschild zu sehen bekam und ohne dass mich einer der Grappenthiner Dorfbewohner mit ihr sah ... Das heißt, die Dorfbewohner waren mir natürlich gleichgültig, die sagten allenfalls: Diesmal mit 'ner Rothaarigen; aber mit den Bewohnerinnen war das ein eigen Ding. Bei zweien oder dreien war es mir nicht absolut gleichgültig; oder eigentlich nur bei einer — der vom vorigen Jahr. Meine Jugendliebe Lucie war längst verheiratet und hatte zwei Kinder — rothaarige übrigens, wie mir einfiel. Sie bekam so einen richtigen Lehrerinnenblick, wenn sie mich mal mit einer Frau sah.

Ob Carola gerade eins ihrer Gastspiele im Dorf gab, wusste ich nicht; hin und wieder tauchte sie in der Konsum-Kneipe als Serviererin auf, doch jetzt war Juni, und da ging sie sicher schon an der Ostsee „in die Urlauber", wie sie das nannte.

Blieb die Friseurin ...

Im Wald begegnete uns niemand. Wir fuhren an einem Feld entlang, auf dem in diesem Jahr Roggen stand, schon einen halben Meter hoch.

„Schön hier", sagte Petra, und dann: „Sieh mal, ein See!“

„Tatsächlich", sagte ich erstaunt, „mit richtigem Wasser."

Dicht am Ufer führte ein festgefahrener schwarzer Pfad entlang zu einer moorigen, mit Knüppeln und Reisig mühsam befestigten Überfahrt. Ein Rinnsal sickerte den Feldrain herunter.

Jemand, der hier nicht Bescheid wusste, musste vor nicht allzu langer Zeit versucht haben, von der anderen Seite her mit dem Auto durchzukommen; in den tiefen Spuren, die er beim Hin- und Hermanöverieren und beim Wenden hinterlassen hatte, stand schwarzes Wasser. Vorsichtig fuhr ich durch das Modderloch.

Der Weg stieg etwas an und verbreiterte sich. Der See verschwand hinter Bäumen und Ufergehölz. Links am Hang wuchsen Kiefernkuscheln und Birken. Ein Stück weiter begann auf der Seeseite ein sehr ordentlich aussehender Maschendrahtzaun mit Stacheldrahtabschluss und Pfählen in Betonsockeln, alles mit Silberbronze bepinselt. Man sah, dass der Besitzer ein Deutscher mit viel Zeit sein musste.

Das Haus machte den gleichen Eindruck. Es war sauber verputzt, der seltsam geformte Dachfirst und die Fenster weiß lackiert, und die Haustür sah aus, als hätte Fritz Kühn ausnahmsweise in Holz gearbeitet.

Neben dem Haus stand eine Mauer mit schräger Ziegelkrone und einem Durchgang mit Rundbogen, durch den man nur eine hohe Hecke sah. Ich hielt vor dieser neuromanischen Mauerpforte an der Zauntür.

„Hübsch, nicht?", sagte ich.

Petra musterte alles eingehend — das pompöse Haus, die alberne Mauer, den gepflegten Rasen mit den drei düsteren Edeltannen, die noch zu jung waren, um das Haus richtig zu verdunkeln. „Schauspieler oder Klempner", sagte sie.

„Wollen mal sehen." Ich ließ Petra auf dem Motorrad sitzen, stieg vom Bock und ging zum Tor, packte es mit der rechten Hand und zog mit der linken kurz und kräftig am Zaunpfahl daneben.

Das Tor sprang auf.

„Wollen Gnädigste abzusitzen geruhen?", fragte ich.

Petra schien etwas irritiert zu sein.

2. Kapitel

Von der Wasser- und Wiesenseite sah das Haus mit der hohen Terrasse, von der eine Freitreppe hinunterführte, ein bisschen nach Sanssouci-Verschnitt aus, zumal zwei frisch lackierte Türen aus einem halbkreisförmigen Anbau auf die Terrasse führten. Im Augenblick waren Türen und Fenster allerdings durch — wie konnte es anders sein — weiß lackierte Sonnenschutz-Läden geschlossen. Der Pinselfan selbst schien also nicht zu Hause zu sein. Für den Augenblick dachte ich: Um so besser!

Petra schien beeindruckt, ich glaubte es ihr anzusehen, obwohl sie natürlich die durch nichts zu beeindruckende Dame von Welt vorzustellen suchte. Nur dieses heufarbene Rollkragenunikum, das um sie herumhing, passte nicht ganz dazu.

„Was meinst du, wollen wir es von der Terrasse aus knacken, oder genügt uns die Hütte da unten?"

„Du bist total verrückt", sagte sie.

„Auf deinen ausdrücklichen Wunsch."

„Was willst du denn hier machen?", fragte sie ein bisschen verschreckt. Mädchen sind eben nie so stoisch, wie es ihr Gesichtsausdruck vorgibt, wenn genügend Männer in der Gegend sind.

„Hmm — vielleicht diese komische Remise da drüben aufbiegen. Hast du'n paar Schlüssel bei dir?"

Ich hatte sie überzeugt, dass ich ganz schön verrückt war, und immerhin spielte sie mit: Aus ihrer Tasche kramte sie ein Schlüsselbund hervor. Ich ging den Plattenweg zu dem Häuschen hinunter, das links in der Nähe des Zauns stand, klinkte an der verschlossenen Tür und begann, die Schlüssel auszuprobieren. Das Schloss hatte eine Einbausicherung; es ließ sich ganz leicht aufschließen. Ich sagte: „Früher auf den Burgen und so hatten sie bloß Holzriegel — die waren genauso zuverlässig." Und dabei steckte ich ganz unauffällig meinen Schlüssel wieder ein.

Es roch nach ungelüfteter Laube, als ich die Tür aufstieß. Petra war mir mit langsamen, ja vorsichtigen Schritten gefolgt, sie machte ein Gesicht, das — altmodisch ausgedrückt — beklommen aussah. Ich reichte ihr das Schlüsselbund zurück und lud mir dann plötzlich das ganze Mädchen mit einer nicht einmal bedeutenden Kraftanstrengung auf, indem ich sie in den Kniekehlen und um die Schultern packte.

„Du bist wirklich vollständig verrückt", sagte sie, und ich antwortete wahrheitsgemäß: „Im Augenblick nur nach dir, mein Engel", und trug sie über die Schwelle. Lange genug hatten wir uns mit den unumgänglichen Nebensächlichkeiten aufgehalten, allmählich hatte ich Lust auf eine andere Rolle als die des Gentleman-Einbrechers und Petra schien nicht abgeneigt zu einem Duo. Ob ich allerdings als erster Liebhaber brillieren konnte, schien mir beinahe so zweifelhaft wie Petras Eignung zur jugendlichen Naiven.

Die abgestandene Luft in der winzigen Diele passte leider nicht so recht zu meinem fanfanischen Schauangriff. Außerdem lässt sich eine Schiebetür nicht besonders gut öffnen, wenn man eine Dame auf dem Arm hat; das hatte ich nicht bedacht. Notgedrungen stellte ich sie also zurück auf ihre ausgelatschten Fransen-Clarks und ging allein ins Zimmer, zog die Jalousien hoch und öffnete die vordere Tür.

„Schön", sagte Petra und guckte hinunter zum See, der mit seinem grünschwarzblauen Waldrand am anderen Ufer vor uns lag. Weit rechts von der Badestelle drang Lärm herüber. Sie nahm ruhig meine Hand von ihrer Schulter und drehte sich um. Offensichtlich hatte ich einen falschen Ansatz gewählt.

„Immerhin beweist du Geschmack beim Einbrechen", sagte sie und schaute sich aufmerksam um. Der Raum war nicht sehr groß, die untere Hälfte der weiß gekalkten Wände hatte ich mit Kiefernholz verschönt. Getäfelt würde besser klingen, aber die

Bretter waren nur mit der Lötlampe patiniert und angenagelt. Das Ganze sah ein bisschen nach Goldbroiler-Gaststätte aus, zu den drei Bierfässchen mit Lederpolstern — pro Lederrest 6.50 — um den gewollt rustikalen Tisch fehlte nur noch die grüne Speisekarte mit dem KIM-Huhn. Am besten wirkten Großmutters altes Vertiko und der Regulator darüber. Petra stieß das Pendel an, und das Ding tackerte los. Mein Rotschwänzchen ließ sich auf einem der Fässer nieder und sagte: „Einwandfrei!"

Mir wäre lieber gewesen, sie hätte es sich auf der Liege bequem gemacht, aber es war ja noch früh am Tag. Ich ging erst einmal ins Küchenkabuff, da musste noch Bier liegen. Ich nahm zwei Flaschen, dazu vom Wandbrett im Zimmer zwei von diesen irdenen Kunstgewerbe-Krügen aus der Gurkentopffabrik, und stellte alles auf den Tisch.

In dem Vertiko steckte meine Museums-Elektronik: eine uralte Smaragd-Bandheule und ein selbst gefertigter Empfänger aus meiner Lehrzeit. Die Lautsprecher hatte ich unter der Liege und in einer der Deckenbalkenattrappen installiert. Damals gab es noch keine Stereofonie, deshalb lag die Hörschneise ein wenig schräg, zur Musik passend gewissermaßen, als ich den Riemen auf die Orgel schmiss und die Firehouse-Five plus Two loshupte. Von Zeit zu Zeit stehe ich auf solche happy music, wenn es auch bloß Klamotten-Dixieland ist und kein seriöser New-Orleans-Jazz, wie ich ihn eigentlich schätze. Wobei seriös geschmeichelt ist: die Musik erklang vorzugsweise in Bordellen. Da war also happy music zur glücklichen Stunde angemessener; Petra hörte sowieso nicht zu. Sie lehnte am Torpfosten und blickte auf den See. „Klasse hat es dein Kommilitone Paul hier", sagte sie.

Ich ließ es vorerst dabei. „Ja", sagte ich, „und da oben in dem nachgemachten Schloss wohnt sein Opa."

„Der Klempner."

„Als Schauspieler habe ich ihn nie erlebt. Übrigens weiß ich nicht, ob nach den strengen Ansichten deiner Freundin Gaby Paul als echter Kommilitone gilt. Wir haben nur an einer ordinären Ingenieurschule voneinander abgeschrieben."

„Hast du Minderwertigkeitskomplexe?"

„Bei deiner Generation immer."

Sie lachte. „Armer alter Mann."

Ich öffnete zu Petras Erstaunen die Bierflaschen mittels einer imposanten Holzkeule — mit einer versteckten Holzschraube an der Unterseite —, goss uns ein und nahm einen durstigen Zug. Dann holte ich mir ein neues Bier.

„Hej, hej!", sagte sie. „Du musst heute noch fahren!"

„Wohin?"

Ich guckte sie eine ganze Weile über den Rand des Bierseidels hinweg an, bevor ich fragte: „Warst du nicht die Dame, die etwas richtig Verrücktes erleben wollte?"

Sie sah mich auch an. Ihre Augen waren grünlich grau, und sie hatte wirklich nur ganz wenige Sommersprossen. Als ich auf sie zuging, sagte sie: „Ich habe morgen Vorlesung ..."

Es klang nicht sehr überzeugend. Sie war zwar Studentin, aber beim Küssen musste sie kurz vor der Habilitation stehen. Und im Verlauf meines weiteren Forschungsstudiums machte ich eine Entdeckung: unter diesem heufarbenen Unpullover nahmen die Tatsachen greifbar Gestalt an. Sie trug nämlich keinen BH.

3. Kapitel

 Eine Entdeckung ganz anderer Art machte ich drei Stunden später, als ich die MZ in den Raum unter der Schlossterrasse schob. Es sah nach einem Gewitter aus, und der pinselfreudige Hausherr war anscheinend noch immer nicht heimgekehrt. Mir sollte das egal sein — doch eigenartigerweise stand das Moped an seinem Platz gegenüber dem Zentralheizungsofen, und ohne diese automatisch zu kuppelnde Schwalbe aus Suhl flog er normalerweise keinen Steinwurf weit vom Haus weg.

Also ging ich vorsichtshalber durch den Keller nach oben, rief: „Onkel Kurt?“, aber nichts rührte sich. Na, er konnte überall sein: im Wald, im Dorf, im Sägewerk, in der Kneipe — das war es wohl: in der Kneipe. Er trank nicht oft, aber ab und an nahm er schon mal einen zur Brust, und es sprach für ihn, dass er dann die Automatik im Stall ließ.

In der Küche standen zwei Mostrichgläser auf dem Tisch, das eine noch daumenbreit gefüllt. In der Flasche im Kühlschrank war auch nicht viel mehr. Ich spülte das leere Glas aus und goss ein. Kalt ließ sich das Zeug ohne Schüttelfrost trinken.

Auf dem Propangasherd vertrockneten ein paar gekochte Kartoffeln, und in einem anderen Topf schwamm eine undefinierbare braune Substanz, die ein schmutziges Glas daneben hochstaplerisch zum feinen Schweinegulasch deklarierte.

Im Brotkasten lagen zwei Hälften Brot; ich nahm die größere und dazu ein Stück Butter aus dem Kühlschrank. Morgen früh würde ich einkaufen müssen. Der Alte gab es mir zwar gern, aber ich wollte nicht auch noch anfangen, ihm die Lebensmittel wegzufressen.

Durch den Keller kehrte ich zurück in mein Haus, denn natürlich war es mein Haus, in dem Petra im Augenblick wohl mehr auf das Abendbrot als auf mich wartete. Immerhin langte sie mir um den Hals und nicht nach dem Brot, als ich reinkam. Das Haus war früher nur so etwas wie ein Stall mit einem Heuboden gewesen; ich konnte mich noch daran erinnern, dass Onkel Kurt eine Ziege und später ein Schwein darin gehalten hatte, das seltsamerweise „Kasperle" hieß. In jenem blöden Sommer vor acht Jahren, als ich auf die Idee gekommen war zu heiraten, genügte meiner sichtbar wachsenden Familie die Dachkemenate über dem Sanssouci-Rundbau nicht mehr, und ich begann, den Ziegenstall in einen Bungalow umzufunktionieren. Onkel Kurt überließ ihn mir so großzügig, wie er mir gegenüber immer war, obwohl er gegen meine Frau von Anfang an etwas hatte. Er pflegte zu sagen: Heirate, und du lachst dich dot. Guck dir an, was aus mir geworden ist.

Ich fand, es war nichts Schlechtes aus ihm geworden und bemerkte pietätlos: Ich dachte, den Arm hast du im Krieg verloren. Glücklicherweise war er nie übelnehmerisch, jedenfalls nicht zu mir.

Ich lachte mich auch nicht tot; nach drei Jahren lachte ich überhaupt ein bisschen seltener. Erst vor dem zweiten Termin lachten Ingrid und ich nach langer Zeit einmal — zum letzten Mal — gemeinsam, als wir nämlich in dem kahlen Gerichtsflur saßen und die beiden vor uns, Ahlfänger gegen Ahlfänger, sich um den ehemals ehelichen Esstisch derartig in die Wolle kriegten, dass die Richterin die Protokollantin rausschickte, die schüchtern um Ruhe bat.

Zum Abendbrot tranken wir die letzten beiden Flaschen Bier, und ich sagte: „Drüben im Keller ist noch genügend Rotwein, wenn du magst."

„Es regnet schon", sagte Petra, „und außerdem geht das über Mundraub hinaus, was du an Pauls Opa begehst."

„Ach, der ist reich. Hat mal in Kalifornien Gold gebuddelt oder so was."

„Erzähle lieber, wer dieser kalifornische Goldklempner wirklich ist, dem das alles gehört", sagte Petra ernst.

„Meinem Onkel Kurt. Die Villa hat er nach dem Krieg als Brandruine übernommen. Wie du siehst, hat er etwas daraus gemacht. Das hier war der Ziegenstall."

„Sehr geschmackvoll."

Mir war nicht ganz klar, wie sie das meinte.

Der Regen klatschte in Schwaden gegen die Fensterfront. Durch die Lüftungsklappe über der Tür sprühte es bis zu uns.

„Komm, setzen wir uns lieber auf die Liege", sagte ich.

Diese Liege war ein zwei- bis dreischläfriges flaches Monstrum und hatte als besondere Attraktion unter der Mitte ein fünftes Bein. Ich lehnte ein Kissen gegen die kieferne Wandverkleidung; wir fläzten uns bequem hin und guckten uns das Gewitter an.

Nach einer Weile fragte Petra: „Ist die Gitarre eine Attrappe?"

Ich holte das Holz von der Wand über uns. Das Ding ist für die Wand besser geeignet als zum Spielen, es klingt nicht besonders. Petra zupfte darauf herum und klopfte so ein paar Harmonien. Es sollte wohl „Wenn die Liebe nicht wär" oder etwas Ähnliches sein.

„Singeklub", sagte ich.

„Hast du etwas gegen Singeklubs?"

„Ich habe nicht einmal was gegen die Heilsarmee, obwohl die ein bisschen flotter ist", sagte ich provokatorisch; ich kenne die Heilsarmee überhaupt nicht.

„Ich bin auch in einer Singegruppe", sagte Petra.

„Hoffentlich warst du nicht auch an dem Leistungsvergleich bei uns im Kultursaal beteiligt, wo siebzehn verschiedene Gruppen in der gleichen Tonart wissen wollten, wo du stehst — helahelahelu. Mit deren Feuer hättest du keine ‚Junge Welt' entzündet, die eine Wintersaison auf dem Ofen hinter sich hat. Munter wurden die erst, als wir hinterher einen spielten!"

„Und was spielt ihr?" Ihre Stimme klang ein bisschen streitlustig; ich hatte wohl einen empfindlichen Punkt getroffen. Hoffentlich war sie nicht auch noch aus dem Erzgebirge. Ich kann den Text vom Vugelbeerbaam nicht.

„Nachgemachten New-Orleans-Jazz", sagte ich.

„Armstrong und so was?"

„Auch", äußerte ich ungenau, weil ich aus Erfahrung weiß, wie wenig Zweck es hat, in solchen Fällen über Johnny St. Cyr, Freddie Keppard und all die Leute zu referieren, auf die ich echt stehe.

„Dann spiele mal was", sagte Petra großzügig.

Ich richtete ein Weilchen an der Klampfe herum und begann mit einem komplizierten Blues-Vorspiel. Es gelang wider Erwarten, zumal sie ja nicht wissen konnte, wie so etwas klingen muss. Dann stieg ich zum Wetter passend ein; „I gets the Blues now when it rains", und ich gab mir Mühe.

Petra sagte anerkennend: „Ziemlich weltlich für die Heilsarmee", und kuschelte sich an mich, so weit die Gitarre das zuließ.

„Und das Englisch ist ein bisschen verschwommen."

Ich hatte nicht die Absicht, mit ihr eine Diskussion über die negroiden Dialekte der amerikanischen Südstaaten zu führen. Ich sang einfach noch einen Blues: „Keep your hands off her", und sie merkte hoffentlich, dass ich ihretwegen aus ,long black curly hair' ,long red smooth hair' machte. Ihr Kupfer war nun mal nicht lockig.

Bis auf die Beanstandung des Englisch-Idioms kam mein Gesinge anscheinend an. Sie fragte: „Wo hast du das her?"

„Von einem alten Blues-Sänger. Big Bill Broonzy — neulich gab es eine Platte von ihm."

„Von Jazz und Blues und derartigen Sachen habe ich keine Ahnung. Bei uns an der Penne waren sie mehr für Volkstanz. Aber ich werde mir deine Band mal anhören."

Ich lachte. „Zu spät. Heute brauchst du eine Gitarre und lange Haare — so lang wie deine mindestens —, einen LKW voll Importelektronik und einen eigenen Beleuchter. Dann kannst du vielleicht irgendwo im ,Wilden Schwan' eine Schau abziehen."

„Und was ist aus eurer Gruppe geworden?"

„Lauter biedere Familienväter. Ich war immerhin der Jüngste, und ich werde nie den Tag vergessen, an dem wir in einem Kulturhaus die Schießbude aufbauten, der Trommler und ich. Der war sechsundzwanzig. Ein paar Jugendliche kamen zu uns herauf und guckten zu und fragten ein bisschen was, und nachher verkündeten sie unten im Saal: Ej, Keule, haste schon die Bänd gesehen? — Lauter alte Männer!"

An ihren Schulterbewegungen merkte ich, das Petra lachte. „Wie alt bist du armer Greis denn wirklich?", fragte sie.

„Was schätzt man in Studentenkreisen?"

„Deinen abgeklärten Reden nach: etwa dreiundsechzig. Und sonst — vielleicht achtzehneinhalb ..."

„Achtundzwanzig!", sagte ich langsam, und es schien mir selbst ein biblisches Alter zu sein. „Mit so einem alten Mann hast du sicher noch nie geschlafen."

Sie antwortete nicht.

Ich legte die Gitarre zur Seite.

Für unendlich lange Zeit waren wir uns in beinahe beängstigender Vollkommenheit einig, wie ich sie doch gesucht und nach so vielen halben und viertel Enttäuschungen gar nicht mehr erwartet hatte. Von ihr ging etwas ungeheuer Beruhigendes aus, das mich wieder und wieder erregte, und sie blieb keineswegs still dabei. In einer Wohnung mit normalen Wänden musste dieses einmalige Mädchen auch noch für die Nachbarn eine wahre Freude bedeuten.

Hier gab es keine Nachbarn; Kurts Haus stand Lichtjahre entfernt von uns irgendwo in der lärmenden Finsternis. Das Gewitter war um vieles lauter als mein Flüstern und Petras Kehllaute, die ungeahnte Kraftreserven in mir weckten. Nach Dr. Luthers altdeutschem Rezept hatten wir die zweite Woche unserer Liebe längst hinter uns, und doch erzitterte meine kupferne Göttin, als meine Hand auf ihrer Haut entlangglitt, bis uns die Vorfreude auf das dritte Wochenende überströmte.

Der gute Martin hatte eben nur eine Nonne und keine Mathematikstudentin erprobt.

4. Kapitel

Gewitter sind anscheinend notorische Nichtschwimmer, Gewässer überqueren sie nur mühsam, und unserem Gewitter schien es in der Gegend zu gefallen. Der Regen rauschte anheimelnd auf das Dach und auf die Bäume des nahen Waldes, und unversehens war ich ein bisschen eingeduselt, für Minuten nur — ungefähr für zweihundert, meinte Petra. Doch sie verzieh mir sogar das Schnarchen. Was für eine Frau!

Fernes Aufleuchten und gedämpfter Donner verrieten, dass das Gewitter noch existierte. So wie wir waren, liefen wir über die nasse Wiese zum Steg hinunter.

„Wenn jetzt dein Onkel kommt", wisperte Petra.

„Dann wird er sicher blind."

Sie kniff mich in den Arm.

„Und was wird er morgen früh sagen?"

„Der Scheißkerl hat den ganzen Schnaps ausgesoffen."

„Wann denn?"

„Vorhin in der Küche."

„Und was wird er meinetwegen sagen?"

„Dunnerslag, wat ne smucke Deern!"

„Spricht er denn Platt?"

„Findest du das platt?"

Natürlich sprach Onkel Kurt nicht Platt. Und Bemerkungen über meine Damenbesuche hatte er sich bereits vor langer Zeit abgewöhnt. Ich hatte ihm sanft beigebracht, dass ich auf diesbezügliche Kritik nicht stand.

Die Luft war wie Petras Haut, weich und seidig, und das Wasser unterschied sich kaum davon. Wir schwammen ein ganzes Stück auf den See hinaus. Seine Oberfläche schien nicht unebener als ein gewöhnlicher Spiegel, nur wir beide brachten Unordnung in den Schliff, sodass der Mond scheibchenweise auf dem Wasser zu tanzen begann. Wir konnten gar kein Ende finden mit unserer Schwimmerei, aber schließlich kletterten wir doch die Leiter wieder hinauf und setzten uns auf den Steg. In dem Kunststoffkahn zu unseren Füßen stand das Regenwasser.

„Ob dein Onkel noch nicht gemerkt hat, dass wir hier sind?", fragte Petra.

„Bis jetzt ist er noch gar nicht da. Und ich kann mir nicht einmal denken, wo er sein könnte. Es ist mindestens halb zwei, und die Kneipe macht beispielsweise um zwölf zu."

„Und du bist sicher, dass er nicht längst schläft?"

„Fast. Da rechts, das ist sein Schlafzimmer. Die Fensterläden sind zu, damit es drinnen am Tage kühl bleibt. Aber nachts steht im Sommer wie im Winter alles offen. Nur ein Gazefenster ist drin, wegen der Viecher."

„Vielleicht hat er ein bisschen viel getrunken und den Fensterladen deswegen nicht mehr aufgemacht. Oder er hat bei dem Gewitter den Weg nicht gefunden."

„So blau hatte ich ihn noch nie erlebt. Doch möglicherweise hatte ihn der Regen wirklich aufgehalten."

„Lebt er allein in dem großen Haus?"

„So groß ist das nicht. Bis auf einen mittleren Tanzsaal mit einem urigen Kamin ist da nicht viel Platz. Ich zeige dir das morgen mal. Die Mansarde über dem Rundbau war früher meine Ferienhöhle, bevor er mir den Ziegenstall vererbte."

In seinem Schloss wohnte Onkel Kurt ganz allein. Er hing an dem Palais. Seine Ehe hatte den mühseligen Aufbau allerdings nicht überstanden, die Frau war ihm schon achtundvierzig durchgegangen, zu ihrer ostpreußischen Sippe nach Holstein; und der Sohn war einige Jahre später auch in Richtung Abendrot gewandert.

„Und er lebt hier so ganz ohne Frau?"

Ich drückte Petra an mich. Sie war schon reichlich kühl.

„Ich hätte es nicht ausgehalten", sagte ich, „bei ihm habe ich mir niemals Sorgen darum gemacht."

„Einer in der Familie schlägt eben immer aus der Art", sagte Petra.

5. Kapitel

Ich gebe zu, dass ich mir nach dieser ereignisreichen Nacht reichlich spät Sorgen zu machen begann: vormittags gegen elf, als ich wegen der Frühstücksmarmelade hinüber ins Haus ging und dort alles unverändert fand. Wo mochte er nur sein?

Petra versuchte mich zu beruhigen. „Sieh mal, wenn in Berlin seit gestern Nachmittag jemand nach dir sucht — für den bist du doch auch verschwunden!"

„Alle Welt weiß, dass ich hier eine Datsche habe. — Aber wie ist das eigentlich bei dir? Gibt deine holde Gaby keine Vermisstenanzeige auf?"

Sie zuckte mit den Schultern. „Möglich."

„Ich denke, ihr wohnt zusammen bei so einer fürchterlichen Wirtin."

„Hmm."

„Was ist los, habt ihr euch gezankt?"

„Vielleicht ein bisschen ..."

„Mit deiner Gaby könnte ich mich auch zanken, stundenlang!"

Petra nestelte an meinem ausrangierten Campinghemd herum; nur schwer hatte sie sich überreden lassen, wegen der Hitze auf den Heupullover zu verzichten. Sie blinzelte mich schräg an und sagte: „Es war deinetwegen."

„Meinetwegen?"

„Sag bloß, du hast nie gemerkt, dass sie scharf auf dich ist!"

„Gott schütze mich vor Sturm und Wind und Mädchen, die wie Gaby sind!", variierte ich einen alten Seglerspruch.

„Ach, tu doch nicht so, als hättest du nie ihren Busen angeguckt!"

„Hat sie einen? "

Sie trat mit dem nackten Fuß nach mir. Nach der Kneiferei stellte das eine ausgesprochene Abwechslung dar. „Du Heuchler!"

Na schön, diese Gaby hatte einen bemerkenswerten Busen, aber sie verdarb einem selbst daran die Freude mit ihrem Gerede. Sie hielt sich für ungeheuer oberschlau. Einsteins persönliche Stellvertreterin oder so was. Und selbst den hätte sie belehrt, und wenn es beim Violinspiel gewesen wäre.

Dabei habe ich nicht das Geringste gegen wirklich intelligente Mädchen, ganz im Gegenteil. So gewollt naive, bei denen man den Leim mit dreieinhalb Standardbemerkungen über ihre schönen Augen warm hat, konnten mich höchstens in meiner frühen Jugend animieren. Aber solche Intelligenzbolzen, die ein paar aufgeschnappte Brocken halb verstanden haben und damit das Universum erklären, erinnern mich immer an einen bestimmten Typ von Fachidioten, die unter Ingenieuren leider auch nicht selten sind - egal, ob Männchen oder Weibchen. Intelligenz und Lebenserfahrung sind eben sehr unterschiedliche Dinge, und jemand kann siebenstellige Logarithmen im Kopf haben und dennoch zu dusslig sein, im Konsum Kartoffeln zu kaufen, wie mein Freund Paul zu sagen pflegt.

Petra riss mich aus meinen empirio-philosophischen Denkkonstruktionen. „Träumst du noch immer von Gabys Busen?"

„Oh, wie ich den versäumten Gelegenheiten nachtrauere!"

„Also wäre es dir lieber gewesen, sie wäre an meiner Stelle allein zum See gekommen?"

„Ja", sagte ich und reckte mich. „Wie produktiv würde ich jetzt arbeiten ..."

„Sie war der Meinung, ich ginge überhaupt nur deinetwegen zum See."

„Interessant. Bist du so männertoll?"