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Bürgerkrieg zerreißt das Reich Westeros, und der junge grausame König Joffrey Baratheon hält die Schwestern Sansa und Arya Stark als Geiseln, um ihren Bruder zur Treue zu zwingen. Während die ältere Sansa versuchen will, das beste aus der Situation zu machen, entscheidet sich Arya zur Flucht. Doch der Weg zu ihrer sicheren Heimat in Winterfell ist lang, und die verschiedenen Parteien, die im Bürgerkrieg aufeinanderprallen, sind nicht die einzige Gefahr für das junge Mädchen …
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Seitenzahl: 913
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Für John und Gail,in Erinnerung an das Fleisch und den Met,den wir teilten …
Die Binsen fühlten sich unter seinen nackten Füßen rau an. »Mein Vetter hat eine eigenartige Zeit für einen Besuch gewählt«, sagte Tyrion dem verschlafenen Podrick Payn, der zweifelsohne erwartet hatte, geröstet zu werden, weil er seinen Herrn geweckt hatte. »Führe ihn in mein Solar und teile ihm mit, ich sei in Kürze unten.«
Mitternacht musste längst vorüber sein, schätzte er angesichts der Dunkelheit vor seinem Fenster. Denkt Lancel, er würde mich wegen der späten Stunde müde und schwer von Begriff vorfinden?, fragte er sich. Nein, Lancel denkt überhaupt nicht, das übernimmt Cersei. Seine Schwester würde enttäuscht sein. Selbst im Bett arbeitete er noch, und zwar für gewöhnlich bis weit in die Morgenstunden hinein. Beim flackernden Licht einer Kerze las er, führte sich die Berichte von Varys’ Ohrenbläsern zu Gemüte und studierte Kleinfingers Geschäftsbücher, bis die Zahlen und Buchstaben vor seinen müden Augen tanzten.
Im Becken neben seinem Bett wusch er sich mit lauwarmem Wasser das Gesicht und ließ sich Zeit, während er, wegen der kalten Nachtluft fröstelnd, auf dem Abtritt hockte. Ser Lancel war sechzehn und nicht gerade für seine Geduld bekannt. Mochte er warten und dabei noch nervöser werden. Nachdem Tyrion sich entleert hatte, schlüpfte er in einen Morgenmantel und zerzauste sich das dünne flachsblonde Haar mit den Fingern, bis es aussah, als wäre er gerade aufgestanden.
Lancel schritt vor der Asche im Kamin auf und ab. Er war in ein grelles rotes Samtgewand mit schwarzem Seidenfutter gekleidet, dazu hingen ein juwelenbesetzter Dolch und eine vergoldete Scheide von seinem Schwertgürtel. »Vetter«, begrüßte Tyrion ihn. »Ihr besucht mich zu selten. Welchem Umstand habe ich dies unverdiente Vergnügen zu verdanken?«
»Ihre Gnaden, die Königin Regentin, hat mich geschickt, um Euch zu befehlen, Großmaester Pycelle freizulassen.« Ser Lancel zeigte Tyrion ein scharlachrotes Band, das Cerseis Löwensiegel in goldenem Wachs trug. »Hier ist die Vollmacht.«
»Tatsächlich.« Tyrion tat das Siegel mit einer Handbewegung ab. »Ich hoffe, meine Schwester überschätzt ihre Kräfte nicht, so kurz nach ihrer Erkrankung. Es wäre ein Jammer, wenn sie einen Rückfall erlitte.«
»Ihre Gnaden haben sich erholt«, erwiderte Ser Lancel knapp.
»Das klingt wie Musik in meinen Ohren.« Wenngleich mir diese Melodie nicht sonderlich gut gefällt. Ich hätte ihr eine größere Dosis geben sollen. Tyrion hatte gehofft, einige Tage länger von Cerseis Störungen verschont zu bleiben, dennoch war er über ihre Genesung nicht allzu sehr überrascht. Schließlich war sie Jaimes Zwillingsschwester. Er setzte ein freundliches Lächeln auf. »Pod, zünde das Feuer an, mir ist es hier ein wenig zu kalt. Trinkt Ihr einen Becher mit mir, Lancel? Ich finde, nach ein wenig gewürztem Wein schläft man besser ein.«
»Ich kann auch ohne Wein gut schlafen«, gab Lancel zurück. »Außerdem bin ich auf Geheiß Ihrer Gnaden gekommen und nicht, um mit Euch zu trinken, Gnom.«
Die Ritterschaft hatte den Jungen kühner werden lassen, ging es Tyrion durch den Kopf – und ebenso die traurige Rolle, die er bei dem Mord an Robert gespielt hatte. »Wein birgt so seine Gefahren.« Er lächelte, während er einschenkte. »Was Großmaester Pycelle angeht … wenn meine Schwester sich solche Sorgen um ihn macht, hätte ich gedacht, sie würde persönlich kommen. Stattdessen schickt sie Euch. Was soll ich davon halten?«
»Haltet davon, was Ihr wollt, solange Ihr den Gefangenen freilasst. Der Großmaester ist ein treuer Freund der Königin Regentin und steht unter ihrem persönlichen Schutz.« Ein Hohnlächeln huschte über die Lippen des Jungen; das Ganze machte ihm Spaß. Er lernt seine Lektionen von Cersei. »Ihre Gnaden werden dieser Gräueltat niemals zustimmen. Sie möchte Euch daran erinnern, dass sie Joffreys Regentin ist.«
»Und ich bin Joffreys Hand.«
»Die Hand dient«, teilte ihm der junge Ritter herablassend mit. »Die Regentin herrscht, bis der König das rechte Alter erreicht hat.«
»Vielleicht könntet Ihr mir das aufschreiben, damit ich es nicht vergesse.« Das Feuer im Kamin knisterte fröhlich. »Du darfst gehen, Pod«, sagte Tyrion zu seinem Knappen. Erst nachdem der Junge den Raum verlassen hatte, wandte er sich wieder an Lancel. »Noch etwas?«
»Ja. Ihre Gnaden bitten mich, Euch mitzuteilen, dass Ser Jaslyn Amwasser sich einem Befehl widersetzt hat, der im Namen des Königs erteilt wurde.«
Demnach hat Cersei Amwasser bereits befohlen, Pycelle freizulassen, und wurde abgewiesen. »Ich verstehe.«
»Sie besteht darauf, dass der Mann aus seinem Amt entfernt und wegen Verrats unter Arrest gestellt wird. Ich warne Euch …«
Tyrion setzte den Weinbecher ab. »Von Euch höre ich mir keine Warnungen an, Junge.«
»Ser«, beharrte Lancel steif. Er griff an sein Schwert. Vielleicht wollte er Tyrion daran erinnern, dass er eines trug. »Achtet darauf, wie Ihr mit mir sprecht, Gnom.« Zweifellos wollte er bedrohlich klingen, doch dieser absurde Flaum von einem Schnurrbart verdarb die ganze Wirkung.
»Oh, lasst die Finger von Eurem Schwert. Ich brauche nur zu schreien, und im nächsten Moment ist Shagga hier und bringt Euch um. Mit einer Axt, nicht mit einem Weinschlauch.«
Lancel errötete; war er wirklich so dumm zu glauben, seine Rolle bei Roberts Tod wäre unbemerkt geblieben? »Ich bin ein Ritter …«
»Das ist mir schon aufgefallen. Sagt mir – hat Cersei Euch zum Ritter geschlagen, bevor oder nachdem Ihr das Bett mit ihr geteilt habt?«
Das Flackern in Lancels grünen Augen genügte als Eingeständnis. Also hatte Varys ihm die Wahrheit gesagt. Nun, niemand kann behaupten, meine Schwester würde ihre Familie nicht lieben. »Was denn, keine Antwort? Keine weiteren Warnungen, Ser?«
»Ihr nehmt diese schmutzigen Anschuldigungen zurück, oder …«
»Bitte. Habt Ihr Euch schon einmal Gedanken darüber gemacht, was Joffrey tun wird, wenn ich ihm berichte, dass Ihr seinen Vater ermordet habt, um mit seiner Mutter zu schlafen?«
»So war es überhaupt nicht!«, protestierte Lancel entsetzt.
»Nein? Wie war es denn, bitte schön?«
»Die Königin hat mir den Starkwein gegeben! Euer eigener Vater Lord Tywin hat mir aufgetragen, alles zu tun, was sie mir befiehlt, als ich zum Knappen des Königs ernannt wurde.«
»Hat er Euch auch aufgetragen, sie zu vögeln?« Sieh ihn dir nur an. Nicht ganz so groß, kein so hübsches Gesicht, und sein Haar ist eher sandfarben und glänzt nicht wie gesponnenes Gold, dennoch … sogar ein schlechter Ersatz für Jaime ist besser als ein leeres Bett, nehme ich an. »Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.«
»Ich wollte nie … ich habe nur getan, was man mir sagte, ich …«
»… Ihr habt jede einzelne Minute verabscheut, wollt Ihr mir das einreden? Ein hoher Rang am Hof, Ritterschaft, und des Nachts macht meine Schwester die Beine für Euch breit. Oh ja, das muss schrecklich für Euch gewesen sein.« Tyrion erhob sich. »Wartet hier. Seine Gnaden werden das hören wollen.«
Lancels Trotz löste sich plötzlich in Luft auf. Der junge Ritter fiel wie ein verängstigter Knabe auf die Knie. »Gnade, Mylord, ich flehe Euch an.«
»Spart Euch das für Joffrey auf. Ihm gefällt es, angebettelt zu werden.«
»Mylord, es geschah nur auf Wunsch Eurer Schwester, der Königin, wie Ihr selbst gesagt habt, aber Seine Gnaden … er würde es nicht verstehen …«
»Soll ich dem König etwa die Wahrheit verschweigen?«
»Um meines Vaters willen! Ich verlasse die Stadt, und dann ist es, als wäre nichts passiert! Ich schwöre, ich werde die Sache beenden …«
Es fiel Tyrion schwer, sich das Lachen zu verkneifen. »Ich glaube nicht.«
Jetzt sah der Junge verwirrt aus. »Mylord?«
»Ihr habt mich gehört. Mein Vater hat Euch aufgetragen, meiner Schwester zu gehorchen? Sehr gut, gehorcht ihr. Bleibt an ihrer Seite, sorgt dafür, dass sie Euch weiterhin vertraut, und stellt sie so oft zufrieden, wie sie es begehrt. Niemand muss irgendetwas erfahren … solange Ihr mir die Treue haltet. Ich will wissen, was Cersei tut. Wohin sie geht, wen sie besucht, worüber sie spricht, was für Pläne sie ausheckt. Alles. Und Ihr werdet derjenige sein, der es mir erzählt, nicht wahr?«
»Ja, Mylord.« Lancel zögerte nicht eine Sekunde. Das gefiel Tyrion. »Das werde ich. Ich schwöre es. Wie Ihr befehlt.«
»Steht auf.« Tyrion füllte den zweiten Becher und drückte ihn dem Jungen in die Hand. »Trinken wir auf unser Abkommen. Ich verspreche, dass es in der Burg keine Keiler gibt.« Lancel hob den Becher und trank, wenn auch steif. »Lächelt, Vetter. Meine Schwester ist eine wunderschöne Frau, und Ihr tut alles nur zum Besten des Reiches. Ihr könntet bei dieser Angelegenheit viel gewinnen. Eine Ritterschaft ist gar nichts. Wenn Ihr Euch klug anstellt, werde ich Euch den Titel eines Lords verleihen.« Tyrion schwenkte den Wein in seinem Becher. »Auf jeden Fall muss Cersei Euch vertrauen. Geht zurück und sagt ihr, ich bitte sie um Verzeihung. Ihr hättet mich eingeschüchtert, ich wolle keinen Streit zwischen uns, und von nun an würde ich nichts mehr ohne ihre Zustimmung veranlassen.«
»Aber … ihre Forderungen …«
»Ach, Pycelle schenke ich ihr.«
»Wirklich?« Lancel war erstaunt.
Tyrion lächelte. »Ich lasse ihn morgen frei. Gern würde ich schwören, dass ihm kein einziges Haar gekrümmt wurde, doch entspricht das nicht ganz der Wahrheit. Immerhin geht es ihm nicht allzu schlecht, auch wenn ich mich für seine Robustheit nicht verbürgen mag. Die schwarzen Zellen sind kein gesunder Aufenthaltsort für einen Mann seines Alters. Mag Cersei ihn als Schoßhündchen behalten oder zur Mauer schicken, mir ist es einerlei, nur möchte ich ihn nicht mehr im Rat sehen.«
»Und Ser Jaslyn?«
»Erzähl meiner Schwester, Ihr glaubt, dass Ihr ihn auf Eure Seite ziehen könnt, wenn sie Euch nur ein wenig Zeit lässt. Das sollte sie für eine Weile zufrieden stellen.«
»Wie Ihr befehlt.« Lancel trank seinen Wein aus.
»Eines noch. Da König Robert tot ist, wäre es höchst peinlich, wenn seine trauernde Witwe plötzlich mit einem Kinde schwanger ginge.«
»Mylord, ich … wir … die Königin hat mir befohlen, nicht zu …« Seine Ohren nahmen das Scharlachrot der Lennisters an. »Ich ergieße meinen Samen auf ihren Bauch, Mylord.«
»Ein hübscher Bauch, daran will ich nicht zweifeln. Befeuchtet ihn, so oft Ihr wünscht … bloß achtet darauf, dass Euer Tau nirgendwo anders landet. Ich möchte keine weiteren Neffen, ist das klar?«
Ser Lancel verneigte sich steif und verließ den Raum.
Tyrion gestattete es sich, einen Augenblick lang Mitleid für den Jungen zu empfinden. Noch so ein Narr, und ein Schwächling dazu, aber was Cersei und ich ihm antun, hat er nicht verdient. Glücklicherweise hatte sein Onkel Kevan noch zwei weitere Söhne, denn dieser würde das Jahr vermutlich nicht überleben. Cersei würde ihn sofort töten lassen, wenn sie von dem Verrat erfuhr. Und falls die Götter Gnade gewährten und Cersei es aus welchem Grund auch immer nicht tat, hätte Lancels letztes Stündchen an dem Tag geschlagen, an dem Jaime Lennister nach Königsmund zurückkehrte. Die Frage war nur, ob Jaime ihn aus Eifersucht ermordete oder Cersei ihn umbrachte, damit Jaime erst gar nicht davon erfuhr. Tyrion würde sein Silber eher auf Cersei setzen.
Ruhelosigkeit hatte ihn gepackt, und er wusste, heute Nacht würde er keinen Schlaf mehr finden. Auf jeden Fall nicht hier. Podrick Payn schlief auf einem Stuhl vor dem Solar, und Tyrion rüttelte ihn an der Schulter. »Ruf Bronn, und dann lauf hinunter zu den Stallungen und lass zwei Pferde satteln.«
Der Knappe riss die verschlafenen Augen auf. »Pferde?«
»Diese großen braunen Tiere, die so gern Äpfel fressen. Bestimmt hast du schon einmal eins gesehen. Vier Beine und ein Schweif. Aber zuerst holst du Bronn.«
Der Söldner erschien kurze Zeit später. »Wer hat Euch denn in die Suppe gepisst?«, fragte er.
»Cersei, wie immer. Man sollte meinen, ich hätte mich inzwischen an diesen Geschmack gewöhnt, aber was soll’s. Meine liebe Schwester scheint mich mit Ned Stark zu verwechseln.«
»Ich habe gehört, der soll etwas größer gewesen sein.«
»Aber nicht mehr, nachdem Joff ihm den Kopf hat abschlagen lassen. Du solltest dich wärmer anziehen, die Nacht ist kalt.«
»Gehen wir aus?«
»Sind alle Söldner so schnell von Begriff wie du?«
Die Straßen der Stadt waren gefährlich, doch mit Bronn an seiner Seite fühlte sich Tyrion sicher. Die Wachen ließen ihn durch ein Seitentor in der Nordmauer hinaus, und sie ritten die Schattengasse hinunter zum Fuß von Aegons Hohem Hügel und dann weiter durch die Schweinestraße vorbei an geschlossenen Fensterläden und Fachwerkhäusern, deren Giebel sich so weit vorneigten, dass sie sich beinah berührten. Der Mond schien ihnen zu folgen und spielte hinter den Schornsteinen mit ihnen Verstecken. Außer einem alten Weib, das eine tote Katze am Schwanz trug, begegneten sie niemandem. Die Alte warf ihnen einen ängstlichen Blick zu, als fürchte sie, die beiden würden ihr Abendessen stehlen, und verschwand ohne ein Wort in einem düsteren Winkel.
Tyrion dachte über die Männer nach, die vor ihm die Hand gewesen waren und die unter Beweis gestellt hatten, dass sie es mit den Listen und Schlichen seiner Schwester nicht aufnehmen konnten. Wie denn auch? Solche Männer … zu ehrlich zum Leben, zu edel zum Scheißen. Cersei verschlingt solche Narren zum Frühstück. Meine Schwester kann man nur schlagen, indem man ihr Spielchen mitspielt, und darauf hätten sich die Herren Lords Stark und Arryn niemals eingelassen. Wen wunderte es da, dass beide tot waren, während sich Tyrion Lennister noch nie zuvor so lebendig gefühlt hatte. Mochten ihn seine verkrüppelten Beine auch zu einem grotesken Narren machen, den beim Erntetanz alle angafften, diesen Tanz beherrschte er.
Trotz der späten Stunde ging es im Bordell noch lebhaft zu. Chataya begrüßte ihn freundlich und geleitete die beiden in den Schankraum. Bronn ging mit einem dunkelhaarigen Mädchen aus Dorne nach oben, doch Alayaya hatte zu tun. »Sie wird sich freuen, dass Ihr hier seid«, sagte Chataya. »Ich lasse das Turmzimmer für Euch vorbereiten. Würde Mylord einen Becher Wein trinken, während er wartet?«
»Er würde«, antwortete er.
Der Wein war im Vergleich zu den edlen Tropfen vom Arbor, die ihm sonst eingeschenkt wurden, ein armseliges Gesöff. »Ihr müsst verzeihen, Mylord«, entschuldigte sich Chataya. »In letzter Zeit bekommt man keinen guten Wein mehr, gleich zu welchem Preis.«
»So ergeht es Euch gewiss nicht allein, fürchte ich.«
Chataya leistete ihm kurz Gesellschaft, ehe sie sich entschuldigte und davonschwebte. Eine wunderbare Frau, dachte Tyrion und sah ihr nach. Selten hatte er bei einer Hure derartige Eleganz und Würde erlebt. Sie selbst betrachtete sich eher als eine Art Priesterin. Vielleicht liegt darin das Geheimnis. Es geht nicht so sehr darum, was wir tun, sondern darum, warum wir es tun. Der Gedanke tröstete ihn.
Einige der anderen Gäste warfen ihm verstohlene Seitenblicke zu. Als er sich das letzte Mal aus der Burg gewagt hatte, hatte ihn ein Mann angespuckt … nun, er hatte es versucht. Stattdessen hatte er Bronn getroffen, und in Zukunft würde er ohne Zähne spucken müssen.
»Fühlen Mylord sich ungeliebt?« Reigen setzte sich auf seinen Schoß und knabberte an seinem Ohr. »Ich wüsste ein Mittel dagegen.«
Lächelnd schüttelte Tyrion den Kopf. »Du bist zu schön für Worte, Süße, aber ich habe mich an Alayayas Kuren gewöhnt.«
»Meine habt Ihr noch nicht probiert. Mylord wählen immer nur Yaya. Sie ist gut, aber ich bin besser, wollt Ihr es nicht ausprobieren?«
»Beim nächsten Mal vielleicht.« Zweifellos hatte Reigen etwas zu bieten. Sie war ein munteres Mädchen mit Sommersprossen und einer Stupsnase, und ihr dichtes rotes Haar hing ihr bis zur Hüfte herab. Doch Shae wartete auf ihn.
Kichernd schob sie die Hand zwischen seine Schenkel und liebkoste ihn durch die Hose. »Ich glaube, er will gar nicht bis zum nächsten Mal warten«, verkündete sie, »er will herauskommen und meine Sommersprossen zählen.«
»Reigen.« Alayaya stand in durchscheinende grüne Seide gehüllt, düster und kühl in der Tür. »Seine Lordschaft möchte zu mir.«
Tyrion löste sich sanft von dem anderen Mädchen und stand auf. Reigen schien es nichts auszumachen. »Nächstes Mal«, erinnerte sie ihn. Sie steckte einen Finger in den Mund und saugte daran.
Während ihn das schwarzhäutige Mädchen die Treppe hinaufführte, erklärte es: »Die arme Reigen. Sie hat noch vierzehn Tage Zeit, um Mylord zu verführen. Sonst verliert sie ihre schwarzen Perlen an Marei.«
Marei war ein kühles, blasses und zartes Mädchen. Tyrion war sie ein oder zwei Mal aufgefallen. Grüne Augen, Haut wie Porzellan, langes glattes, silbriges Haar, sehr hübsch, doch einfach zu ernst. »Es würde mir nicht gefallen, wenn das arme Mädchen meinetwegen seine Perlen verliert.«
»Dann nehmt sie nächstes Mal mit nach oben.«
»Vielleicht tue ich das.«
Sie lächelte. »Ich glaube nicht, Mylord.«
Sie hat Recht, dachte Tyrion, ich werde sie nicht mitnehmen. Shae ist zwar auch nur eine Hure, trotzdem bin ich ihr auf meine Weise treu.
Im Turmzimmer öffnete er die Tür zum Schrank und sah Alayaya neugierig an. »Was machst du eigentlich, während ich unterwegs bin?«
Sie räkelte sich wie eine schlanke schwarze Katze. »Schlafen. Ich bin viel ausgeruhter, seit Ihr begonnen habt, uns zu besuchen, Mylord. Und Marei lehrt uns Lesen, vielleicht werde ich mir bald die Zeit mit einem Buch vertreiben können.«
»Schlafen ist gut«, sagte er, »und Bücher sind noch besser.« Er drückte ihr einen raschen Kuss auf die Wange. Dann stieg er den Schacht hinunter und ging durch den Tunnel.
Als er den Stall auf seinem gescheckten Wallach verließ, hörte er Musik über den Dächern. Dass Menschen inmitten von Gemetzel und Hungersnot noch immer sangen, war schön. Er erinnerte sich an eine Melodie, und einen Augenblick konnte er fast Tysha hören, die sie ihm vor einem halben Leben vorgesungen hatte. Er zügelte das Pferd und lauschte. Die Melodie war falsch, die Worte konnte er nicht verstehen. Vielleicht war es ein anderes Lied. Warum nicht? Seine süße, unschuldige Tysha war von Anfang bis Ende eine Lüge gewesen, nur eine Hure, die sein Bruder Jaime bezahlt hatte, um ihn zum Mann zu machen.
Von Tysha habe ich mich inzwischen befreit. Sie hat mich mein halbes Leben verfolgt, doch jetzt brauche ich sie nicht mehr, nicht mehr als Alayaya oder Reigen oder Marei oder die Hunderte anderen, mit denen ich im Laufe der Jahre ins Bett gestiegen bin. Heute habe ich Shae. Shae.
Das Tor des Anwesens war verrammelt und verriegelt. Tyrion klopfte, bis die verzierte Bronzetürluke geöffnet wurde. »Ich bin es.« Der Mann, der ihm aufmachte, gehörte zu Varys’ besseren Funden, ein Braavosi mit Hasenscharte, schief stehenden Augen und einer ganzen Reihe von Dolchen. Tyrion wollte keine hübschen jungen Wachen für Shae. »Sucht mir hässliche, alte, vernarbte Kerle, die möglichst auch noch impotent sind«, hatte er dem Eunuchen aufgetragen. »Oder solche, die Jungen bevorzugen, meinetwegen auch Schafe.« Mit Schafliebhabern hatte Varys nicht aufwarten können, doch er hatte einen kastrierten Würger und zwei übel riechende Männer aus Ibben aufgetrieben, die ihre Äxte ebenso sehr liebten wie einander. Die anderen waren Söldner von solcher Anmut, wie sie nur ein Kerker entstehen lassen konnte, einer hässlicher als der andere. Varys hatte sie vor ihm aufmarschieren lassen und hatte schon gefürchtet, er sei zu weit gegangen, doch Shae beschwerte sich nie. Warum sollte sie auch? Sie hat sich auch über mich niemals beschwert, und ich bin abstoßender als alle ihre Wachen zusammen. Vielleicht bemerkt sie Hässlichkeit überhaupt nicht.
Trotzdem hätte Tyrion lieber einige seiner Clansmänner aus den Bergen eingesetzt; Chellas Schwarzohren vielleicht oder die Mondbrüder. Er vertraute ihrer eisernen Treue und ihrem Ehrgefühl mehr als der Gier der Söldner. Doch das Risiko war zu groß. Ganz Königsmund wusste, dass die Wildlinge zu ihm gehörten. Würde er die Schwarzohren hierherschicken, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt von der Konkubine der Hand des Königs erfuhr.
Einer der Männer aus Ibben nahm ihm das Pferd ab. »Hast du sie geweckt?«, fragte Tyrion.
»Nein, Mylord.«
»Gut.«
Das Feuer im Schlafzimmer war heruntergebrannt, doch im Raum war es noch warm. Shae hatte im Schlaf die Decke und Laken zur Seite geworfen. Nackt lag sie auf der Matratze, und die sanften Konturen ihres jungen Körpers zeichneten sich im schwachen Lichtschein ab. Jünger als Marei, süßer als Reigen, schöner als Alayaya. Sie ist alles, was ich brauche. Alles und mehr. Wie konnte eine Hure so rein und anmutig und unschuldig aussehen, fragte er sich.
Er hatte sie nicht stören wollen, doch allein ihr Anblick genügte, um seine Männlichkeit anschwellen zu lassen. So ließ er seine Kleidung auf den Boden fallen, kroch zu ihr ins Bett, drückte sanft ihre Beine auseinander und küsste sie zwischen die Schenkel. Sie murmelte etwas im Schlaf. Er küsste sie erneut, dann leckte er an ihrer geheimen Süße, weiter und weiter, bis sowohl sein Bart als auch ihre Scham feucht waren. Sie stöhnte leise und erschauerte. Er kletterte auf sie, drang in sie ein und kam fast sofort.
Sie hatte die Augen aufgeschlagen, lächelte, streichelte seinen Kopf und flüsterte: »Ich hatte gerade einen wunderschönen Traum, Mylord.«
Tyrion knabberte an ihrer kleinen, harten Brustwarze und legte den Kopf an ihre Schulter. Er zog sich nicht aus ihr zurück; oh, müsste er sich doch niemals aus ihr zurückziehen. »Das ist kein Traum«, versprach er ihr. Es ist wirklich, alles, dachte er, die Kriege, die Intrigen, das ganze große blutige Spiel, und ich mitten darin … ich, der Zwerg, das Ungeheuer, der, den sie verhöhnen und auslachen, doch jetzt halte ich die Macht in Händen, die Stadt, dieses Mädchen. Dafür wurde ich geboren, und mögen die Götter mir vergeben, aber ich liebe es über alles …
Und sie. Und sie.
Welche Namen Harren der Schwarze seinen Türmen auch gegeben haben mochte, sie waren seit langem vergessen. Heute hießen sie der Turm der Angst, der Witwenturm, der Klageturm, der Turm der Geister und der Königsbrandturm. Arya schlief in einer schmalen Nische in den höhlenartigen Gewölben unter dem Klageturm auf einem Strohbett. Sie hatte Wasser und ein Stück Seife und konnte sich waschen, wann immer sie wollte. Die Arbeit war hart, jedoch nicht härter, als jeden Tag meilenweit laufen zu müssen. Wiesel brauchte keine Würmer und Käfer zum Essen mehr zu suchen, wie es Arry hatte tun müssen; jeden Tag gab es Brot und Gerstensuppe mit Karotten und Rüben, und alle zwei Wochen sogar ein Stück Fleisch.
Heiße Pastete bekam sogar noch besseres Essen; er war dort gelandet, wo er hingehörte, in der Küche, einem runden Steingebäude mit kuppelförmigem Dach. Die Küche bildete eine Welt für sich. Arya nahm ihre Mahlzeiten mit Wies und ihren Kameraden in den Gewölben ein, doch manchmal wurde sie ausgewählt, um das Essen zu holen, und dann konnte sie sich kurz mit Heiße Pastete unterhalten. Er vergaß ständig, dass sie jetzt Wiesel hieß und nannte sie weiterhin Arry, obwohl sie ein Mädchen war, was nicht zu übersehen war. Einmal wollte er ihr ein Stück heiße Apfeltorte zustecken, doch stellte er sich dabei fürchterlich ungeschickt an, und zwei Köche bemerkten es. Sie nahmen ihm die Torte weg und verprügelten ihn mit einem großen Holzlöffel.
Gendry war in die Schmiede geschickt worden; Arya sah ihn nur selten. Was diejenigen betraf, mit denen sie ihren Dienst tun musste, so wollte sie ihre Namen gar nicht erst wissen. Das schmerzte dann nur noch ärger, wenn sie starben. Die meisten waren älter als sie und ließen sie in Ruhe.
Harrenhal war riesig, allerdings befand sich ein großer Teil der Burg in sehr schlechtem Zustand. Lady Whent hatte die Burg als Vasallin des Hauses Tully gehalten, doch sie benutzte nur die unteren Drittel von zweien der fünf Türme, und der Rest verfiel. Jetzt war sie geflohen, und der kleine Haushalt, den sie zurückgelassen hatte, schaffte es nicht, alle Ritter, Lords und hochgeborenen Gefangenen zu bedienen, die Lord Tywin hergebracht hatte, und so mussten sich die Lennisters neben dem Brandschatzen und der Vorratssuche auch um neues Personal kümmern. Gerüchten zufolge plante Lord Tywin, den alten Glanz von Harrenhal wiederherzustellen und es zu seinem neuen Sitz zu machen, wenn der Krieg vorbei war.
Wies ließ Arya Botengänge erledigen, Wasser und Essen holen, und manchmal musste sie in der Halle der Kaserne über der Waffenkammer bedienen, wo die Soldaten ihre Mahlzeiten einnahmen. Der größte Teil ihrer Arbeit bestand hingegen aus Putzen. Im untersten Stockwerk des Klageturms befanden sich Lagerräume und Getreidespeicher, in den beiden Stockwerken darüber hauste ein Teil der Soldaten, doch die Geschosse darüber waren seit achtzig Jahren nicht mehr benutzt worden. Jetzt hatte Lord Tywin befohlen, sie wieder bewohnbar zu machen. Fußböden mussten geschrubbt, Dreck von den Fenstern gewaschen, zerbrochene Stühle und verfaulte Betten hinausgeschleppt werden. Im obersten Stock hatten sich die riesigen Fledermäuse niedergelassen, die sich auf dem Wappen des Hauses Whent fanden, und in den Kellern lebten Ratten … und Geister, sagten manche, die Geister von Harren dem Schwarzen und seinen Söhnen.
Arya hielt das für dummes Geschwätz. Harren und seine Söhne waren im Königsbrandturm gestorben, deshalb trug der schließlich diesen Namen, warum sollten sie also den Hof überqueren, um hier zu spuken? Der Klageturm klagte nur, wenn der Wind von Norden her wehte, und dieses Geräusch entstand dadurch, dass die Luft durch die Risse blies, die sich durch die Hitze im Stein gebildet hatten. Falls es tatsächlich Gespenster in Harrenhal gab, so war sie noch nie von ihnen belästigt worden. Die Lebenden fürchtete sie wesentlich mehr, Wies und Ser Gregor Clegane und Lord Tywin Lennister selbst, der Gemächer im Königsbrandturm bezogen hatte, dem Größten und Mächtigsten der fünf Türme, obwohl er sich unter dem Gewicht des schlackigen Steins geneigt hatte und aussah wie eine riesige, halb geschmolzene Kerze.
Sie fragte sich, was Lord Tywin wohl tun würde, wenn sie einfach zu ihm marschierte und gestand, dass sie Arya Stark war; allerdings käme sie niemals nahe genug an ihn heran, um mit ihm zu sprechen, und glauben würde er ihr sowieso nicht. Zudem würde Wies sie hinterher grün und blau prügeln.
Auf seine eigene angeberische Art war Wies beinahe so Furcht einflößend wie Ser Gregor. Der Berg erschlug Menschen wie Fliegen, die meiste Zeit über schien er die Fliegen jedoch überhaupt nicht zu bemerken. Wies dagegen wusste immer, dass man da war und was man tat, und manchmal sogar, was man dachte. Bei der kleinsten Frechheit schlug er zu, und er hatte einen Hund, der beinahe ebenso gemein war wie er selbst, eine hässliche gescheckte Hündin, die schlimmer stank als alle Hunde, die Arya je gesehen hatte. Einmal hatte er den Köter auf einen Latrinenjungen gehetzt, der ihn verärgert hatte. Während Wies lachte, riss das Tier dem Jungen ein großes Stück Fleisch aus der Wade.
Er brauchte nur drei Tage, bis er einen Ehrenplatz in ihren nächtlichen Gebeten gefunden hatte. »Wies«, flüsterte sie. »Dunsen, Chiswyck, Polliver, Raff der Liebling. Der Kitzler und der Bluthund. Ser Gregor, Ser Amory, Ser Ilyn, Ser Meryn, König Joffrey, Königin Cersei.« Wenn sie auch nur einen von ihnen vergaß, wie sollte sie ihn dann wiederfinden, um ihn zu töten?
Unterwegs auf der Straße hatte sich Arya wie ein Schaf gefühlt, Harrenhal verwandelte sie in eine Maus. Sie war in ihrem kratzigen Wollkittel grau wie eine Maus, und wie eine Maus verkroch sie sich in den Nischen und Spalten und dunklen Löchern der Burg und huschte aus dem Weg, wenn sie den Mächtigen begegnete.
Manchmal dachte sie, alle in diesen dicken Mauern seien Mäuse, auch die Ritter und die großen Lords. Angesichts der Größe der Burg wirkte selbst Gregor Clegane klein. Harrenhal besaß eine drei Mal größere Grundfläche als Winterfell, und die Gebäude waren so riesig, dass man sie kaum mit ihrem Zuhause vergleichen konnte. In den Stallungen standen tausend Pferde, der Götterhain umfasste zwanzig Morgen, die Küchen waren so groß wie Winterfells Große Halle, und die Große Halle hier, die so hochtrabend Halle der Hundert Kamine hieß, obwohl es nur dreißig und ein paar mehr waren (Arya hatte sie zwei Mal gezählt und war beim ersten Mal auf dreiunddreißig, beim zweiten auf fünfunddreißig gekommen), war so riesig, dass Lord Tywin sein ganzes Heer zum Festmahl hätte einladen können, was er allerdings niemals tat. Mauern, Türen, Hallen, Stufen, einfach alles war gigantisch, was Arya an die Geschichten der Alten Nan über die Riesen jenseits der Mauer erinnerte.
Da die Lords und Ladys die kleinen grauen Mäuse unter ihren Füßen nicht bemerkten, hörte Arya viele Geheimnisse mit, wenn sie die Ohren aufsperrte, während sie ihrer Arbeit nachging. Die hübsche Pia aus der Vorratskammer war eine richtige Schlampe, die offensichtlich das Ziel hatte, sich durch die Betten sämtlicher Ritter der Burg zu schlafen. Die Frau des Kerkermeisters ging mit einem Kinde schwanger, dessen richtiger Vater jedoch entweder Ser Alyn Starkspeer oder ein Sänger namens Weißlächelnder Wat war. Lord Leffert spottete bei Tisch immer über die Gespenster, ließ jedoch nachts eine Kerze neben seinem Bett brennen. Ser Dunavers Knappe Jogel konnte im Schlaf sein Wasser nicht halten. Die Köche verabscheuten Ser Harys Swyft und spuckten immer in sein Essen. Einmal hatte sie Maester Tothmures Dienstmädchen belauscht, das ihrem Bruder von einem Brief erzählte, in dem es hieß, Joffrey sei ein Bastard, und er sei gar nicht der rechtmäßige König. »Lord Tywin hat ihm befohlen, den Brief zu verbrennen und solchen Unflat nie wieder auszusprechen«, flüsterte das Mädchen.
König Roberts Brüder Stannis und Renly waren nun ebenfalls in den Krieg gezogen, hörte sie. »Und beide sind jetzt Könige«, sagte Wies. »Im Reich gibt es mehr Könige als Ratten in dieser Burg.« Sogar Anhänger der Lennisters zweifelten, ob Joffrey sich lange auf dem Eisernen Thron würde halten können. »Der Junge hatte keine Armee außer den Goldröcken, und er wird von einem Eunuchen, einem Zwerg und einer Frau beherrscht«, hörte sie einen der geringeren Lords nach ein paar Bechern Wein murmeln. »Wie werden die sich schlagen, wenn es zur Schlacht kommt?« Ständig wurde über Beric Dondarrion geredet. Einmal sagte ein dicker Bogenschütze, er sei vom Blutigen Mummenschanz ermordet worden, doch die anderen lachten nur. »Lorch hat den Mann bei Toswasser getötet, und der Reitende Berg hat ihn schon zwei Mal erschlagen. Ich wette einen Silberhirschen, dass er auch diesmal nicht tot bleiben wird.«
Arya hatte bis vor zwei Wochen keine Ahnung gehabt, was der Blutige Mummenschanz war, bis die eigentümlichste Gruppe von Männern, die sie je gesehen hatte, in Harrenhal eintraf. Unter dem Banner einer schwarzen Ziege mit blutroten Hörnern ritten kupferfarbene Männer mit Glöckchen in den Zöpfen herein; Lanzenträger saßen auf schwarz-weiß gestreiften Pferden; Bogenschützen hatten gepuderte Wangen; dicke, haarige Kerle trugen verbeulte Schilde; braunhäutige Männer trugen Umhänge aus Federn; ein schmächtiger Narr war in grüne und rosafarbene Karos gekleidet; Schwertkämpfer hatten die fantastisch gegabelten Bärte grün und purpurn und silbern gefärbt; Speerträger zeigten auf den Wangen bunte Narben. Außerdem gehörten dazu noch ein schlanker Bursche in der Robe eines Septons, ein väterlicher Mann im Grau eines Maesters und ein kränklicher Kerl, an dessen Lederumhang lange blonde Haarsträhnen befestigt waren.
An ihrer Spitze ritt ein sehr großer, stockdürrer Mann mit ausgemergeltem Gesicht, das durch den zotteligen langen schwarzen Bart, der vom spitzen Kinn bis fast zur Hüfte reichte, noch länger wirkte. Der Helm, der am Sattelknauf hing, war aus schwarzem Stahl geschmiedet und wie ein Ziegenkopf geformt. Um den Hals trug er eine Kette, die aus vielen Münzen unterschiedlicher Größen, Formen und Metalle bestand, und sein Pferd war auch eines dieser seltsamen Schwarzweißen.
»Mit diesem Haufen willst du bestimmt nichts zu tun bekommen, Wiesel«, sagte Wies, als er bemerkte, dass sie den Mann mit dem Ziegenhelm beobachtete. Zwei seiner Trinkkumpane standen bei ihm, Waffenbrüder in Diensten von Lord Leffert.
»Wer ist das?«, fragte sie.
Einer der Soldaten lachte. »Das sind die Fußmänner, Mädchen. Die Zehen der Ziege. Lord Tywins Blutiger Mummenschanz.«
»Erbsen statt Hirn. Wenn sie die Haut abgezogen kriegt, kannst du die verdammten Treppen an ihrer Stelle schrubben«, sagte Wies. »Das sind Söldner, Wieselmädchen. Nennen sich die Tapferen Kameraden. Wag es nicht, sie bei diesem anderen Namen zu nennen, wenn sie in der Nähe sind, sonst ergeht’s dir übel. Der Ziegenhelm ist ihr Hauptmann, Lord Vargo Hoat.«
»Der ist kein verfickter Lord«, widersprach der zweite Soldat. »Ich habe gehört, wie Ser Amory das gesagt hat. Er ist bloß ein Söldner mit einem sabbernden Maul und einer zu hohen Meinung von sich selbst.«
»Klar«, meinte Wies, »aber sie sollte ihn besser Lord nennen, wenn sie in einem Stück bleiben will.«
Arya betrachtete Vargo Hoat erneut. Wie viele Ungeheuer hat Lord Tywin denn noch?
Die Tapferen Kameraden wurden im Witwenturm untergebracht, daher brauchte Arya sie nicht zu bedienen. Darüber war sie froh; in der Nacht ihrer Ankunft brach ein Streit zwischen den Söldnern und einigen Männern der Lennisters aus. Ser Harys Swyfts Knappe wurde dabei erstochen, und zwei vom Blutigen Mummenschanz trugen Verletzungen davon. Am nächsten Morgen ließ Lord Tywin beide zusammen mit einem von Lord Lyddens Bogenschützen an der Torhausmauer aufhängen. Wies erzählte, der Bogenschütze habe den Streit angefangen, weil er die Söldner mit Beric Dondarrion aufgezogen habe. Nachdem die Gehängten nicht mehr zappelten, umarmten sich Vargo Hoat und Ser Harys und küssten sich und schworen sich brüderliche Liebe, während Lord Tywin zusah. Arya fand Vargo Hoats Lispeln und Sabbern komisch, hütete sich jedoch zu lachen.
Der Blutige Mummenschanz blieb nicht lange in Harrenhal, doch ehe die Söldner wieder hinausritten, hörte Arya einen von ihnen sagen, eine Armee im Norden unter Roose Bolton habe bei der Rubinfurt am Trident Stellung bezogen. »Wenn er sie überquert, wird Lord Tywin ihn erneut zermalmen, wie am Grünen Arm«, erwiderte einer der Lennister-Bogenschützen, und seine Gefährten brüllten ihn nieder. »Bolton wird den Fluss niemals überqueren, nicht bis der Junge Wolf sich mit seinen wilden Nordmännern und den Wölfen von Schnellwasser aus in Marsch gesetzt hat.«
Dass ihr Bruder so nah war, hatte Arya nicht gewusst. Schnellwasser war wesentlich näher als Winterfell, obwohl sie keine Ahnung hatte, in welcher Richtung es von Harrenhal aus gesehen lag. Das könnte ich herausfinden, bestimmt, wenn ich nur irgendwie fliehen könnte. Beim Gedanken, Robb wiederzusehen, musste sie sich auf die Lippe beißen. Und Jon will ich sehen, und Bran und Rickon und Mutter. Sogar Sansa … ich werde sie küssen und sie wie eine richtige Dame um Verzeihung bitten. Das wird ihr gefallen.
Durch den Klatsch auf dem Hof erfuhr sie auch von den drei Dutzend Gefangenen im Turm der Angst, die während einer Schlacht am Grünen Arm des Trident gemacht worden waren. Die meisten durften sich in der Burg frei bewegen, nachdem sie geschworen hatten, nicht zu fliehen. Sie haben geschworen, nicht zu fliehen, dachte Arya, aber nicht, mir nicht bei der Flucht zu helfen.
Die Gefangenen aßen an ihrem eigenen Tisch in der Halle der Hundert Kamine und waren oft auf dem Hof zu sehen. Vier Brüder übten sich jeden Tag im Kampf, fochten mit Stangen und Holzschilden im Fließsteinhof. Drei von ihnen waren Freys vom Kreuzweg, der Vierte ihr Bastardbruder. Sie waren jedoch nur kurze Zeit da; eines Morgens trafen zwei weitere Brüder unter dem Banner des Waffenstillstands ein und brachten Truhen mit Gold, um die Ritter auszuzahlen, die sie gefangen genommen hatten. Die sechs Freys ritten gemeinsam zum Tor hinaus.
Niemand zahlte das Lösegeld für die Nordmannen. Ein fetter kleiner Lord triebe sich immer in der Küche herum, erzählte Heiße Pastete ihr, und sei auf kleine Häppchen aus. Sein Schnurrbart war so buschig, dass er den ganzen Mund bedeckte, und seine Mantelschnalle war ein Dreizack aus Silber und Saphiren. Er gehörte Lord Tywin, der grimmige, bärtige junge Mann hingegen, der so gern auf den Wehrgängen spazieren ging und einen schwarzen Mantel mit weißen Sonnen trug, war von einem Heckenritter gefangen genommen worden, der an ihm Geld verdienen wollte. Sansa hätte gewusst, wer er und auch der Fette waren, doch Arya hatte sich nie viel aus Titeln und Wappen gemacht. Wann immer Septa Mordane sich über die Geschichte dieses oder jenes Hauses ausgelassen hatte, hatte sie nur verträumt aus dem Fenster geschaut und das Ende der Stunde herbeigesehnt.
Allerdings erinnerte sie sich an Lord Cerwyn. Seine Ländereien lagen nahe bei Winterfell, deshalb hatten er und sein Sohn Cley sie oft besucht. Doch wie das Schicksal es wollte, war er der einzige Gefangene, der sich nie blicken ließ; er lag in einer Zelle des Turms im Bett und erholte sich von einer Verletzung. Tagelang überlegte Arya, wie sie sich an den Türwachen vorbeistehlen könnte, um ihn zu sehen. Wenn er sie erkannte, wäre er durch seine Ehre verpflichtet, ihr zu helfen. Ein Lord würde bestimmt Gold haben, das hatten sie alle; vielleicht würde er ein paar von Lord Tywins eigenen Söldnern bestechen, um sie nach Schnellwasser zu bringen. Vater hatte immer gesagt, für genügend Gold würden die meisten Söldner selbst ihre Mutter verkaufen.
Dann erblickte sie eines Morgens drei Frauen in den grauen Roben der Schweigenden Schwestern. Sie luden gerade einen Leichnam auf ihren Wagen. Der Tote war in einen Umhang aus feinster Seide gehüllt, der das Wappen der Streitaxt trug. Auf ihre Frage hin, wer das sei, erklärte eine der Wachen ihr, Lord Cerwyn sei gestorben. Die Worte trafen sie wie ein Tritt in den Bauch. Er hätte dir sowieso nicht helfen können, dachte sie, während die Schwestern den Wagen durch das Tor zogen. Er hätte dir nicht helfen können, du dumme Maus.
Danach hieß es wieder schrubben und umherhuschen und an Türen lauschen. Bald werde Lord Tywin nach Schnellwasser marschieren, hörte sie. Oder er werde in südlicher Richtung nach Rosengarten aufbrechen, was niemand erwartete. Nein, er müsse Königsmund verteidigen, denn Stannis stelle die größte Bedrohung dar. Er habe Gregor Clegane und Vargo Hoat ausgeschickt, um Roose Bolton zu vernichten und so die Gefahr in seinem Rücken zu bannen. Er habe Raben nach Hohenehr geschickt, weil er Lady Lysa Arryn ehelichen wolle und auf diese Weise das Grüne Tal zu gewinnen gedenke. Er habe eine Tonne Silber gekauft, aus dem magische Schwerter geschmiedet werden sollten, mit denen er die Warge der Starks niedermetzeln wolle. Nein, er habe Lady Stark vorgeschlagen, Frieden zu schließen, und der Königsmörder werde bald freigelassen.
Obwohl den ganzen Tag Raben eintrafen und abflogen, verbrachte Lord Tywin seine Zeit überwiegend hinter verschlossenen Türen beim Kriegsrat. Arya erhaschte manchmal einen Blick auf ihn, doch stets nur aus der Ferne – einmal ging er in Begleitung von drei Maestern und des dicken Gefangenen mit dem buschigen Schnurrbart auf der Mauer entlang, ein andermal ritt er mit seinen Gefolgsleuten hinaus, um die Lager zu inspizieren, doch meist stand er in einem Bogen der überdachten Galerie und beobachtete die Männer im Hof bei den Waffenübungen. Er stand einfach da und hielt die Hände über dem goldenen Heft seines Langschwerts gefaltet. Man sagte, Lord Tywin liebe Gold über alles; er scheiße sogar Gold, hörte sie einen Knappen scherzen. Der Lennister sah kräftig aus für einen alten Mann, seine goldenen Barthaare waren borstig, sein Kopf kahl. Etwas in seinem Gesicht erinnerte Arya an ihren Vater, obwohl die beiden sich ansonsten überhaupt nicht ähnelten. Er hat das Gesicht eines Lords, das ist alles, redete sie sich ein.
Ihre Hohe Mutter hatte einmal zu Vater gesagt, er solle sein Lordgesicht aufsetzen und sich um irgendeine Angelegenheit kümmern. Vater hatte darüber gelacht. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Lord Tywin jemals über etwas lachte.
Eines Nachmittags, während sie wartete, bis sie an der Reihe war, Wasser aus dem Brunnen zu holen, hörte sie die Angeln des Osttores knarren. Eine Gruppe Reiter ritt im Schritt unter dem Fallgitter hindurch. Als sie den Mantikor auf dem Schild ihres Anführers entdeckte, erfüllte sie schlagartig brennender Hass.
Im Tageslicht wirkte Ser Amory Lorch weniger Furcht einflößend als bei Fackelschein, trotzdem hatte er die Schweinsäuglein, an die sie sich erinnerte. Eine der Frauen erzählte, er und seine Männer seien um den ganzen See geritten, um Beric Dondarrion zu jagen und Aufrührer zu erschlagen. Wir waren keine Aufrührer, dachte Arya. Wir waren die Nachtwache; und die Nachtwache ergreift keine Partei. Jedenfalls hatte sich die Zahl der Soldaten verringert, und viele waren verletzt. Hoffentlich eitern ihre Wunden. Hoffentlich krepieren sie alle.
Dann sah sie die drei am Ende der Kolonne.
Rorge hatte einen schwarzen Halbhelm aufgesetzt, dessen Nasenschutz kaum erkennen ließ, dass er keine Nase mehr besaß. Beißer ritt schwerfällig neben ihm auf einem Schlachtross, das unter seinem Gewicht zusammenzubrechen drohte. Halb verheilte Brandwunden bedeckten seinen Körper und machten ihn noch hässlicher.
Doch Jaqen H’ghar lächelte wie immer. Seine Kleidung war noch immer zerlumpt und dreckig, doch er hatte sich gewaschen und sein Haar gekämmt. Es hing ihm bis auf die Schultern, rot und weiß und glänzend, und Arya hörte das bewundernde Kichern der Mädchen um sie herum.
Ich hätte sie alle im Feuer verrecken lassen sollen. Gendry hat das auch gesagt, und ich hätte auf ihn hören sollen. Wenn sie ihnen nicht die Axt zugeworfen hätte, wären sie alle tot. Einen Augenblick bekam sie es mit der Angst zu tun, doch sie ritten vorbei, ohne Interesse an ihr zu zeigen. Nur Jaqen H’ghar schaute einmal in ihre Richtung, und sein Blick schweifte über sie hinweg. Er erkennt mich nicht, dachte sie. Arry war ein wilder kleiner Junge mit einem Schwert, und ich bin nur eine graue Maus mit einem Eimer.
Den Rest des Tages über schrubbte sie Treppen im Klageturm. Am Abend waren ihre Hände wund und bluteten, und ihre Arme schmerzten und zitterten, als sie den Eimer zurück in den Keller schleppte. Zu erschöpft zum Essen, bat Arya Wies darum, sich zurückziehen zu dürfen, und krabbelte auf ihre Strohmatratze. »Wies«, gähnte sie. »Dunsen, Chiswyck, Polliver, Raff der Liebling. Der Kitzler und der Bluthund. Ser Gregor, Ser Amory, Ser Ilyn, Ser Meryn, König Joffrey, Königin Cersei.« Sie überlegte, ob sie ihrem Gebet drei weitere Namen hinzufügen sollte, entschied jedoch, dass sie dafür heute zu müde war.
In der Nacht träumte sie von Wölfen, die frei durch den Wald liefen, als sich eine starke Hand fest und unnachgiebig über ihren Mund legte wie ein warmer Stein. Sie erwachte sofort, wand und wehrte sich. »Das Mädchen sagt nichts«, flüsterte ihr eine scharfe Stimme ins Ohr. »Das Mädchen hält die Lippen geschlossen, niemand hört etwas, und Freunde können sich heimlich unterhalten. Ja?«
Mit klopfendem Herzen brachte Arya ein winziges Nicken zu Stande.
Jaqen H’ghar nahm seine Hand fort. Im Keller war es stockfinster, und sie konnte sein Gesicht, das nur wenige Zoll von ihrem entfernt war, nicht sehen. Doch sie konnte ihn riechen; seine Haut roch sauber und nach Seife, und er hatte sich Öl ins Haar geschmiert. »Der Junge wird zum Mädchen«, murmelte er.
»Ich war schon immer ein Mädchen. Ich dachte, du hättest mich nicht gesehen.«
»Der Mann sieht. Der Mann weiß.«
Sie erinnerte sich daran, dass sie ihn hasste. »Du hast mich erschreckt. Du bist jetzt einer von denen, ich hätte dich verbrennen lassen sollen. Was machst du hier? Geh weg, oder ich rufe nach Wies.«
»Der Mann bezahlt seine Schulden. Der Mann schuldet drei.«
»Drei?«
»Der Rote Gott will seinen Anteil, süßes Mädchen, und nur mit dem Tod kann man für das Leben zahlen. Das Mädchen hat ihm drei genommen, die schon sein waren. Das Mädchen muss ihm drei an ihrer Stelle geben. Sag die Namen, und der Mann wird den Rest erledigen.«
Er will mir helfen, erkannte Arya, und Hoffnung keimte in ihr auf. »Bring mich nach Schnellwasser, das ist nicht weit, wenn wir Pferde stehlen, könnten wir …«
Er legte ihr den Finger auf die Lippen. »Drei Leben sollst du von mir bekommen. Nicht mehr, nicht weniger. Drei, und wir sind quitt. Deshalb muss das Mädchen nachdenken.« Er küsste sie sanft aufs Haar. »Aber nicht zu lange.«
Als Arya den Kerzenstumpf neben ihrem Bett angezündet hatte, erinnerte nur noch ein schwacher Geruch an ihn, ein Hauch von Ingwer und Nelken in der Luft. Die Frau im nächsten Bett wälzte sich herum und beschwerte sich über das Licht, also blies Arya die Kerze aus. Sie schloss die Augen, und vor ihrem inneren Auge tanzten Gesichter. Joffrey und seine Mutter, Ilyn Payn und Meryn Trant und Sandor Clegane … doch die waren in Königsmund und Hunderte von Meilen entfernt, und Ser Gregor hatte nur ein paar Nächte in der Burg verbracht, ehe er wieder auszog, und Raff und Chiswyck und den Kitzler mitgenommen hatte. Ser Amory Lorch war hier, und den hasste sie beinahe so sehr. Nicht wahr? Ganz überzeugt war sie nicht. Und dann noch Wies.
Er kam in die engere Wahl, als sie am nächsten Morgen gähnte, weil sie so wenig geschlafen hatte. »Wiesel«, schnurrte Wies, »nächstes Mal, wenn du den Mund so weit aufsperrst, reiße ich dir die Zunge heraus und verfüttere sie an meinen Hund.« Er zog sie heftig am Ohr und trug ihr auf, sie solle mit den Treppen weitermachen. Heute Abend müssten sie bis zum dritten Absatz sauber sein.
Während der Arbeit dachte Arya darüber nach, wem sie den Tod wünschte. Sie stellte sich vor, Gesichter auf den Stufen zu sehen, und schrubbte fester, um sie auszulöschen. Die Starks lagen im Krieg mit den Lennisters, und sie war eine Stark, daher sollte sie so viele Lennisters wie möglich töten, das war es schließlich, was man im Krieg tat. Dennoch glaubte sie, es sei besser, Jaqen nicht zu vertrauen. Ich sollte sie mit eigener Hand umbringen. Wann immer Vater einen Mann zum Tode verurteilt hatte, hatte er ihn selbst hingerichtet, mit Eis, seinem Großschwert. »Wenn du einem Mann das Leben nehmen willst, bist du es ihm schuldig, ihm in die Augen zu blicken und seine letzten Worte zu hören«, hatte er Robb und Jon einmal erklärt.
Am nächsten Tag ging sie Jaqen H’ghar aus dem Weg, und am Tag darauf ebenso. Das fiel ihr nicht schwer. Sie war sehr klein, und Harrenhal war sehr groß und voller Orte, an denen sich eine Maus verstecken konnte.
Und dann kehrte Ser Gregor Clegane früher als erwartet zurück und trieb eine Herde Ziegen an Stelle von Gefangenen vor sich her. Lord Beric hatte ihn überfallen, und er hatte dabei vier Mann verloren, doch die, die Arya hasste, trafen unversehrt ein und nisteten sich im zweiten Stock des Klageturms ein. Wies kümmerte sich darum, dass sie zu trinken bekamen. »Dieser Haufen hat immer anständigen Durst«, murmelte er. »Wiesel, geh rauf und frage, ob jemand seine Kleider flicken lassen will, dann können sich die Frauen darum kümmern.«
Arya lief ihre geschrubbten Treppen hinauf. Niemand zollte ihr Beachtung, als sie eintrat. Chiswyck saß mit einem Horn Bier in der Hand am Feuer und erzählte eine seiner lustigen Geschichten. Sie wagte es nicht, ihn zu unterbrechen, denn damit würde sie nur eine blutige Lippe ernten.
»Nach dem Turnier der Hand, das war, bevor der Krieg begann«, sagte Chiswyck gerade, »waren wir auf dem Rückweg nach Westen, wir sieben und Ser Gregor. Raff war dabei, und der junge Joss Stillwald, der beim Turnier der Knappe des Sers gewesen war. Nun, wir sind an diesen Pissfluss gekommen, der wegen des Regenwetters Hochwasser führte. Die Furt war nicht zu passieren, aber in der Nähe lag ein Gasthaus, also sind wir dort eingekehrt. Der Ser hat den Wirt gerufen und ihm gesagt, er solle unsere Hörner immer nachfüllen, bis der Regen aufhört, und ihr hättet die Schweinsäuglein des Mannes beim Anblick des Silbers sehen sollen. Er holt uns also Bier, er und seine Tochter, und das Zeug ist dünn, braune Pisse, die mich nicht glücklich macht, und den Ser auch nicht. Die ganze Zeit redet dieser Wirt daher, er sei froh, weil wir da seien, bei diesem Regen sehe er nicht viele Gäste. Der Narr kann einfach das Maul nicht halten, obwohl der Ser kein Wort sagt und nur an diesen Ritter der Stiefmütterchen denkt, der ihn besiegt hat, und zwar mit einem fiesen Trick. Man sieht richtig, wie er die Lippen aufeinander presst, und ich und die anderen, wir wissen natürlich, dass wir schweigen müssen, aber dieser Wirt will schwatzen, er fragt Mylord sogar, wie es ihm im Turnier ergangen ist. Der Ser wirft ihm nur einen Blick zu.« Chiswyck kicherte, stürzte sein Bier hinunter und wischte sich den Schaum vom Mund. »Inzwischen bringt uns seine Tochter, ein fettes Ding von vielleicht achtzehn Jahren …«
»Eher dreizehn«, meinte Raff der Liebling.
»Mag sein, auf jeden Fall war sie nicht sehr hübsch anzuschauen, aber Eggon hat gesoffen und betätschelt sie, und ich selbst patsche auch ein bisschen an ihr herum. Raff meint zum jungen Stillwald, dass er das Mädchen mit nach oben nehmen soll, damit er endlich zum Mann wird, und ermutigt den Jungen nach Kräften. Schließlich greift Joss ihr unter den Rock, und sie schreit und lässt den Krug fallen und rennt in die Küche. Also, hier wäre die Geschichte eigentlich zu Ende, aber der alte Narr von Wirt geht doch glatt zu unserem Ser und bittet ihn, dafür zu sorgen, dass wir das Mädchen in Ruhe lassen, wo er doch ein gesalbter Ritter sei.
Ser Gregor hat unsere Späße bisher gar nicht beachtet, aber jetzt setzt er diesen Blick auf, den kennt ihr alle, und er befiehlt, dass das Mädchen zu ihm gebracht werden soll. Der alte Mann muss sie also aus der Küche zu uns hereinzerren und kann nur sich selbst die Schuld geben. Der Ser betrachtet sie und meint: ›Das ist also die Hure, um die du dir solche Sorgen machst‹, und dieser vertrottelte Dummkopf sagt: ›Meine Layna ist keine Hure, Ser‹, und zwar Gregor mitten ins Gesicht. Der Ser blinzelt nicht einmal und sagt nur: ›Ab jetzt schon‹, wirft dem Wirt ein Silberstück zu, reißt dem Mädel das Kleid vom Leib und nimmt sie mitten auf dem Tisch, vor den Augen ihres Vaters. Sie zappelt und schreit und windet sich wie ein Kaninchen. Den Blick des alten Wirtes müsst ihr euch vorstellen, ich habe gelacht, dass mir das Bier aus der Nase kam. Dann hört dieser Junge den Lärm, der Sohn, nehme ich an, und kommt aus dem Keller raufgerannt, also muss Raff ihm mit dem Dolch ein bisschen in den Bauch pieken. Inzwischen ist der Ser fertig und trinkt weiter, und wir anderen kommen an die Reihe. Tobbot, ihr kennt ihn ja, der dreht sie auf den Bauch und nimmt sie durch den Hintereingang. Als ich endlich dran bin, hat das Mädchen aufgehört, sich zu wehren, vielleicht hat sie ja am Ende noch Spaß dran gefunden, obwohl mich ein bisschen Zappeln nicht gestört hätte, um die Wahrheit zu sagen. Und jetzt kommt das Beste … nachdem wir alle durch sind, sagt der Ser dem alten Mann, er wolle sein Wechselgeld haben. Das Mädchen sei kein Silberstück wert gewesen … und verflucht, der Alte holt tatsächlich eine Hand voll Kupferstücke, bittet Mylord um Verzeihung, und dankt ihm für die Ehre.«
Die Männer brüllten und johlten, und Chiswyck lachte am lautesten über seine eigene Geschichte, bis ihm der Rotz aus der Nase in den verfilzten grauen Bart lief. Arya stand im Schatten des Treppenhauses und beobachtete ihn durch die offene Tür. Sie schlich zurück in den Keller, ohne ein Wort zu sagen. Als Wies herausfand, dass sie seinen Auftrag nicht ausgeführt hatte, zog er ihr die Hosen herunter und prügelte sie, bis ihr das Blut an den Beinen herunterlief, doch Arya schloss die Augen und dachte an das, was Syrio sie gelehrt hatte, und so spürte sie die Schläge kaum.
Zwei Nächte später schickte er sie in die Halle der Kaserne, um an den Tischen zu bedienen. Sie trug gerade einen Krug Wein herum und schenkte ein, als sie Jaqen H’ghar bemerkte, der auf der anderen Seite des Gangs beim Essen saß. Arya biss sich auf die Unterlippe und schaute sich vorsichtig um, ob Wies in der Nähe sei. Angst schneidet tiefer als ein Schwert, sprach sie sich selbst Mut zu.
Sie machte einen Schritt und noch einen, und mit jedem fühlte sie sich weniger wie eine Maus. Sie arbeitete sich die ganze Bank hinunter vor und füllte Weinbecher. Rorge saß rechts neben Jaqen; er war sturzbetrunken und nahm sie nicht zur Kenntnis. Arya beugte sich vor und flüsterte Jaqen ins Ohr: »Chiswyck.« Der Mann aus Lorath ließ sich nicht anmerken, ob er etwas gehört hatte.
Als ihr Krug leer war, eilte Arya hinunter in den Keller, um ihn am Fass neu zu füllen, und kehrte rasch nach oben zurück. Niemand war in der Zwischenzeit an Durst gestorben oder hatte ihre kurze Abwesenheit auch nur bemerkt.
Am nächsten Tag geschah nichts, und auch am darauffolgenden nicht, doch am dritten Tag ging Arya mit Wies zur Küche, um das Essen zu holen. »Einer der Männer des Reitenden Bergs ist gestern Nacht vom Wehrgang gefallen und hat sich das Genick gebrochen«, erzählte Wies einer der Köchinnen.
»War er betrunken?«, fragte die Frau.
»Nicht mehr als sonst. Manche sagen, es sei Harrens Geist gewesen, der ihn hinuntergestoßen hat.« Er schnaubte und deutete damit an, was er von solchen Bemerkungen hielt.
Harren war es nicht, hätte Arya am liebsten geschrien, ich war es. Sie hatte Chiswyck mit einem Flüstern getötet, und sie würde noch zwei weitere Männer umbringen, ehe sie fertig war. Ich bin der Geist von Harrenhal, dachte sie. Und an diesem Abend gab es einen Namen weniger zu hassen.
Der Treffpunkt war eine Wiese, die von bleichen grauen Pilzen und den rauen Stümpfen gefällter Bäume übersät war.
»Wir sind die Ersten, Mylady«, sagte Hallis Mollen und zügelte sein Pferd inmitten der Stümpfe, wo sie sich ganz allein zwischen den Armeen befanden. Das Schattenwolfbanner des Hauses Stark flatterte an der Lanze, die er hielt. Catelyn konnte das Meer zwar von hier aus nicht sehen, doch sie spürte, wie nah es war. Der Wind trug den schweren Geruch von Salz aus dem Osten heran.
Stannis Baratheons Männer hatten den Wald abgeholzt, um Belagerungstürme und Katapulte zu bauen. Catelyn fragte sich, wie alt die Bäume gewesen waren und ob Ned hier wohl gerastet hatte, als er sein Heer nach Süden geführt hatte, um die letzte Belagerung von Sturmkap zu beenden. An jenem Tag hatte er einen großen Sieg errungen, umso größer, da er unblutig gewonnen worden war.
Mögen die Götter geben, dass mir das Gleiche gelingt, betete Catelyn. Ihre Lehnsmänner glaubten, sie sei verrückt geworden, weil sie überhaupt hier erschien. »Dieser Kampf ist nicht der unsere, Mylady«, hatte Ser Wendel Manderly gesagt. »Ich weiß, der König würde nicht wünschen, dass sich seine Mutter einer solchen Gefahr aussetzt.«
»Uns allen droht Gefahr«, entgegnete sie, vielleicht ein wenig zu scharf. »Glaubt Ihr, ich wäre gern hier, Ser?« Ich gehöre nach Schnellwasser zu meinem sterbenden Vater, nach Winterfell zu meinen Söhnen. »Robb hat mich nach Süden geschickt, um an seiner Stelle zu sprechen, und das werde ich auch tun.« Zwischen diesen Brüdern einen Frieden zu schmieden, würde nicht leicht werden, das wusste Catelyn, doch zum Wohle des Reichs musste der Versuch unternommen werden.
Jenseits der vom Regen getränkten Felder und steinigen Anhöhen ragte die große Burg von Sturmkap mit dem Rücken zum Meer in den Himmel. Vor der Masse des hellgrauen Steins wirkte die Armee von Lord Stannis Baratheon klein und unbedeutend, wie Mäuse mit Bannern.
In den Liedern hieß es, Sturmkap sei in uralten Zeiten von Durran, dem ersten Sturmkönig errichtet worden, der die Liebe der schönen Elenei gewonnen hatte, der Tochter des Meergottes und der Windgöttin. In ihrer Hochzeitsnacht hatte Elenei ihre Jungfräulichkeit der Liebe eines Sterblichen geopfert und sich dadurch selbst zum Tode einer Sterblichen verurteilt, und ihre trauernden Eltern hatten ihrem Zorn freien Lauf gelassen und Wind und Wellen gegen Durrans Festung geworfen. Seine Freunde und Brüder und Hochzeitsgäste wurden von den einstürzenden Mauern erschlagen oder hinaus ins Meer geweht, doch Elenei barg Durran in ihren Armen, und so geschah ihm kein Leid. Und als endlich der Morgen graute, erklärte er den Göttern den Krieg und schwor, die Burg wieder aufzubauen.
Fünf weitere Burgen errichtete er, jede größer und mächtiger als die Letzte, nur um mit anzusehen, wie sie von den Stürmen aus der Sturmbucht zerschmettert wurden, die riesige Wassermauern vor sich her trieben. Seine Lords flehten ihn an, weiter im Binnenland zu bauen; seine Priester verlangten von ihm, er solle die Götter besänftigen, indem er Elenei dem Meer zurückgebe; sogar das Volk bat ihn einzulenken. Durran hörte auf keinen von ihnen. Er errichtete eine siebte Burg, die Mächtigste von allen. Manche behaupten, die Kinder des Waldes hätten ihm dabei geholfen und die Steine mit ihrer Magie behauen; andere sagten, ein kleiner Junge habe ihm erklärt, was er zu tun habe, ein Junge, der später zu Bran dem Erbauer heranwachsen sollte. Ganz gleich, wie man die Geschichte erzählte, am Schluss lief sie auf dasselbe hinaus. Obwohl die Götter Sturm auf Sturm gegen die siebte Burg schleuderten, trotzte sie den Winden, und Durran Götterfluch und die schöne Elenei lebten bis ans Ende ihrer Tage dort.
Götter vergessen nichts, und noch immer tosten die Orkane durch die Meerenge. Dennoch hielt Sturmkap Jahrhunderte und Jahrtausende stand, und es war eine Burg wie keine andere. Die große Außenmauer war über dreißig Meter hoch und weder von Schießscharten noch Seitentoren unterbrochen, überall rund und geschwungen, glatt. Die Steine waren so geschickt zusammengefügt, dass der Wind an keiner Ecke oder Ritze ansetzen konnte. Angeblich war die Mauer an ihrer dünnsten Stelle dreizehn Meter, auf der Seeseite fast fünfundzwanzig Meter dick, eine doppelte Steinwand, die im Inneren mit Sand und Geröll gefüllt war. Innerhalb des mächtigen Bollwerks waren Küchen und Ställe und Höfe vor Wind und Wellen geschützt. Es gab nur einen Turm, einen riesigen Rundturm, der zum Meer hin fensterlos war, und in dem die Vorratskammern, die Kaserne, die Festhalle und die Gemächer des Lords untergebracht waren und der von großen Zinnen gekrönt wurde, sodass er aus der Ferne aussah wie ein in die Höhe gereckter Arm, gekrönt von einer mit Nägeln gespickten Faust.
Die amerikanische Originalausgabe erschien 1996 unter dem Titel »A Clash of Kings« (Pages 332-728 + Appendix) bei Bantam Dell, a division of Random House, Inc., New York.
1. Auflage Taschenbuchausgabe Oktober 2011 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
Copyright © 1999 by George R. R. Martin
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2000 by Verlagsgruppe Random House GmbH Published in agreement with the author c/o Ralph M. Vicinanza, Ltd. All rights reserved Redaktion: Marie-Luise Bezzenberger Karten: Franz Vohwinkel UH · Herstellung: sam Satz: DTP Service Apel, Hannover
eISBN 978-3-641-04717-7
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