Das Lied von Wasser und Wind: Die komplette Trilogie in einem Band - Catherine O'Donell - E-Book
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Das Lied von Wasser und Wind: Die komplette Trilogie in einem Band E-Book

Catherine O'Donell

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Beschreibung

Das magische Fantasy-Abenteuer der Schwanenprinzessin Eirion: »Das Lied von Wasser und Wind« von Catherine O’Donell jetzt als eBook bei dotbooks. Verborgen hinter den Nebeln lebt seit Anbeginn der Zeit das magische Volk der Schwäne. Nun aber regt sich eine uralte Macht in der Welt der Menschen, die alles Leben vernichten will. Nur ein Kind aus der königlichen Blutlinie des Schwanenfürsten kann dies verhindern – und so muss seine Tochter Eirion das größte Opfer bringen: Sie muss ihre Magie aufgeben, um unter den Menschen leben zu können … und über sie zu wachen. Als schließlich der dunkle Gott aus seinem langen Schlaf erwacht, scheint es so, als müsste Eirion sich nicht allein dem Bösen stellen – aber kann sie dem geheimnisvollen Einsiedler, der ihr Herz schneller schlagen lässt, und dem schönen Schwanensohn Arild wirklich vertrauen? Catherine O'Donell verleiht dem Mythos Schwanensee in dieser epischen Fantasy-Saga ein zauberhaftes neues Gewand! »Das Lied von Wasser und Wind« vereint die drei Einzelbände der »Trilogie der Streitenden Reiche«: »Der verbotene See«, »Das Land der zwei Könige« und »Der Stein der Gnade«. Jetzt als ebook kaufen und genießen: Catherine O’Donells Fantasy-Trilogie »Das Lied von Wasser und Wind«. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 1816

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Über dieses Buch:

Verborgen hinter den Nebeln lebt seit Anbeginn der Zeit das magische Volk der Schwäne. Nun aber regt sich eine uralte Macht in der Welt der Menschen, die alles Leben vernichten will. Nur ein Kind aus der königlichen Blutlinie des Schwanenfürsten kann dies verhindern – und so muss seine Tochter Eirion das größte Opfer bringen: Sie muss ihre Magie aufgeben, um unter den Menschen leben zu können … und über sie zu wachen. Als schließlich der dunkle Gott aus seinem langen Schlaf erwacht, scheint es so, als müsste Eirion sich nicht allein dem Bösen stellen – aber kann sie dem geheimnisvollen Einsiedler, der ihr Herz schneller schlagen lässt, und dem schönen Schwanensohn Arild wirklich vertrauen?

Catherine O'Donell verleiht dem Mythos Schwanensee in dieser epischen Fantasy-Saga ein zauberhaftes neues Gewand! »Das Lied von Wasser und Wind« vereint die drei Einzelbände der »Trilogie der Streitenden Reiche«: »Der verbotene See«, »Das Land der zwei Könige« und »Der Stein der Gnade«.

Über die Autorin:

Catherine O’Donell ist ein Pseudonym, unter dem eine bekannte Übersetzerin und Autorin von historischen Romanen ihre Fantasyromane veröffentlicht. Sie lebt und arbeitet in Nordrhein-Westfalen.

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eBook-Sammelband-Originalausgabe Juli 2019

Copyright © der Sammelband-Originalausgabe 2019 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Originalausgabe von Der verbotene See 2002 bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Originalausgaben von Das Land der zwei Könige und Der Stein der Gnade 2002, 2004 Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgaben der Einzelbände 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildes von Shutterstock/tomertu

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ae)

ISBN 978-3-96148-806-3

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Catherine O'Donell

Das Lied von Wasser und Wind

Die komplette Trilogie in einem Band

dotbooks.

Erster Teil: Der verbotene See

Alle Wege sind ein Weg.

Aus den Geheimen Schriften der Kasseiden-Priesterinnen über die »Kleinen Mysterien«

PROLOG

Vor langer Zeit, als die Welt noch eins war mit Himmel und Sternen, mit Feuer und Donner, als die Große Mutter über alles Lebendige ihre Hand hielt und die Sieben Reiche der Unschuld noch unberührt waren, erging eine Prophezeiung für einen Tag in unendlicher Ferne, wenn von den Sieben nur noch eines übrig wäre und auch diesem Gefahr drohte.

Ein Kind, so hieß es, harrt im Nebel der Zeiten der Stunde, da die Welt seiner am dringendsten bedarf Alle Gaben und alle Irrtümer der Menschen schlummern in diesem Kind, das Dunkle wie das Helle, die Kraft zur Liebe wie zum Hass. Es wird den Menschen geben, was sie wollen, hieß es weiter, und ihnen nehmen, was sie am wenigsten missen möchten. Es wird säen und ernten, und das oft in umgekehrter Reihenfolge. Viele werden es hassen, doch die es lieben, werden bereitwillig ihr Leben für das Kind geben. Die meisten aber werden es fürchten.

Doch wehe! Wer es wagt, das Kind seiner Bestimmung zu entfremden, aus Torheit oder aus Liebe, der wird den Untergang alles Lebenden herbeiführen!

Die Prophezeiung geriet in Vergessenheit, denn es herrschten Friede und Güte, so viele Äonen lang, dass niemand auf dem Ork Nuado sich etwas anderes vorstellen konnte. Doch das Leben blieb nicht, was es war.

Aus dem Nebel der Unschuld erwachten die Völker langsam zu Wissen und Begehren. Und so entstanden erst Bruderzwiste, dann blutige Kriege. Jahrhunderte vergingen, Jahrtausende. Die Reiche der Unschuld starben, eines nach dem anderen: die Feen und Sumpfleute, die geflügelten Faune, Bergelfen, Schattentrolle und selbst die Niav, die in allen Farben leuchtenden, sanften Bewohner der Drei Meere. Sie alle verloren mit der Unschuld ihre Heimat – und am Ende auch ihr Leben. Schließlich blieb von den Sieben Reichen nur noch eines übrig, im Verborgenen, fern der Menschen und, wie viele meinten, auch fern der Zeit: Anguli, der Verbotene See, auf dem die Schwanenmenschen leben ...

KAPITEL 1

Anguli, 984 nach Fál, dem Jahr 7892 des Zweiten Zeitalters

Olfros glitt durch den grauen Nebel, mit dem jeder Morgen das Reich Anguli begrüßte. Der Schwanenkönig hatte die ganze Nacht kein Auge zugetan, sondern in seiner Menschengestalt auf der Heiligen Insel im Herzen des Sees den Rat der Götter gesucht. Früher einmal waren sie für jeden Bewohner Ork Nuados mühelos erreichbar gewesen. Doch diese Zeiten schienen für immer dahin zu sein.

Olfros seufzte, und der leise Klagelaut fand ein Echo im Spiel der Wellen um ihn herum. Ja, hier in Anguli standen die Dinge noch in Einklang miteinander, die Welt der Laute und die der Bilder, die Sphären von Wissen, Ahnen und Fühlen. Doch auch hier geriet die natürliche Ordnung langsam aus den Fugen, das musste Olfros sich eingestehen. Sein Zaudern war der beste Beweis dafür.

Er zog seine mächtigen, trotz der Jahre noch immer schneeweißen Schwingen enger an den Leib, als suche er Schutz in seinem eigenen Körper. Nein, es gab keinen Zweifel, und es durfte kein weiteres Zögern geben. Das Kind, das ihm unter dem letzten runden Mond geboren worden war und auf das er und Nuria, seine Königin und Seelengefährtin, viele hundert Jahre geduldig gewartet hatten, dieses Kind würden sie nun nicht aufwachsen sehen. Es musste das Reich Anguli verlassen, denn es war ihre einzige Hoffnung auf Rettung. Die fernen Götter, die in diesen Zeiten nur noch so selten zu ihm sprachen, hatten es verfügt: Seine Tochter war das Kind der drei Welten, das von Anbeginn der Zeit in der Dimension zwischen Sein und Nichtsein dieses Tages geharrt hatte.

Mit schwerem Herzen, aber ohne seine Fahrt zu verlangsamen, änderte Olfros mit einer eleganten, unbewussten Bewegung seiner Füße die Richtung und steuerte das seichte, dicht bewachsene Nordufer an. Im trockenen Geäst saß dort Nuria mit ihrer kleinen Tochter. Nur ein leises Plätschern, das seinen sonst lautlosen Weg begleitete, verriet Olfros' Erregung.

»Nuria!«

Die kleinen, federzarten Blätter der Wassereiben raschelten erschrocken, als Olfros das Ufer hinaufging, ohne rechtzeitig seine menschliche Gestalt anzunehmen. Die Spitzen seiner großen Flügel wirbelten den feinen Sand auf, der am Ufer des Verbotenen Sees so ganz anders war als überall sonst auf der Welt, ein klebriger, feiner Goldstaub. Durch Olfros' Unachtsamkeit stoben nun unzählige Körnchen zwischen die empfindlichen Federn seines weißen Gewands; flüchtig dachte er daran, dass es ihn später viele Stunden kosten würde, die winzigen Goldkörner zu entfernen, die kitzelten und brannten, bis man das ganze Gefieder in mühsamer Kleinarbeit gereinigt hatte. Normalerweise achtete er darauf, dass so etwas nicht passierte.

Verspätet schlüpfte Olfros in seine andere Gestalt und stand im nächsten Augenblick als ein hoch gewachsener, kräftiger Mann vor seiner Gemahlin. Wie alle Schwäne besaß er lange, geschmeidige Gliedmaßen, die er mit selbstverständlicher Würde zu bewegen wusste. Die durchwachte Nacht hatte ihn jedoch Kraft gekostet, und die winzigen Falten, die sein Gesicht durchzogen, traten heute deutlicher zu Tage als sonst. Sein von Silberfäden durchzogenes schneeweißes Haar schimmerte feucht.

»Nuria«, sagte er noch einmal, und seine heisere Stimme machte ihm selbst Angst.

Nuria, die schon viele Jahrhunderte Königin von Anguli war, hatte Olfros' Näherkommen nicht bemerkt, nicht einmal das Raunen der Eiben gehört, so vertieft war sie in den Anblick ihres Kindes. Warm und geborgen in ihrem Lager, das in einer flachen, mit Tang, Schilf und Binsen ausgelegten Mulde halb Bett, halb Nest war, lag Nuria da, einen Arm schützend um ihre kleine Tochter gelegt.

»Olfros?« Sie blickte mit einem warmen Lächeln auf, als ihr Gemahl und Seelengefährte einige Zweige beiseite schob, um sich zu ihnen zu gesellen. Aber dann erstarrte ihre Miene. Die bronzegoldene Stirnlocke, die sie unter allen Schwanenfrauen – selbst den um Jahrhunderte jüngeren – zu einer besonderen Schönheit machte, störte sie plötzlich, und sie strich sie sich mit zitternden Fingern aus dem Gesicht. Sie erhob sich halb, doch ihre Beine gaben unter ihr nach.

»O Nuria.« Es schien, als sei es nicht mehr nötig, etwas zu erklären, doch als Olfros sich endlich mit schwerfälligen Bewegungen erhob, hatte die Sonne schon lange ihren Zenit überschritten, und der Nachmittag lag wie ein erstickendes Tuch über Anguli.

Er hatte Nuria keinen Trost geben können. Und er hatte ihr nicht gesagt, dass auch sein Herz eng vor Kummer war. Was geschehen musste, war ein Teil des großen Plans der Welt, und er und Nuria waren nur Werkzeuge in den Händen ihrer Götter.

Olfros konnte die stumme Anklage in Nurias Augen nicht länger ertragen, ging zum See hinunter und legte seine menschliche Gestalt wieder ab.

Die Sonne vollendete ungerührt ihren Lauf, als sei dies ein Tag wie tausend andere, auf den eine Nacht wie alle Nächte folgen würde. Doch diese Nacht würde nicht sein wie alle. In dieser Nacht, wenn er seine menschliche Gestalt annahm, würde er seine Tochter den Ank hinunterschicken, den gewaltigen Fluss, der ins Land seiner Feinde führte – denn Feinde waren die Menschen in Caernadon von jetzt an für ihn. Caernadon, das ihm seine Tochter nahm. Caernadon, wo man ihr Lachen hören würde, wenn sie zum ersten Mal in einen Tausendstern pustete und zusah, wie die unzähligen kleinen Samenschirmchen im Wind davonstoben. Caernadon, wo man ihr Haar hinter ihr herflattern sehen würde, wenn sie ihrem ersten Schmetterling nachjagte. Caernadon, für das sie ihre Unsterblichkeit verlieren musste, damit sie diese unwürdigen Menschen retten konnte, die mit ihren Kriegen und ihrer Torheit doch nichts anderes verdienten als den Untergang.

Aber es geht nicht nur um Caernadon, ermahnte Olfros sich, um seiner Verbitterung Herr zu werden. Ebenso wenig wie es um Fiann ging, das Land des Alten Reiches, wo die Menschen schon lange nicht mehr für ihre Götter kämpften, sondern nur noch für ihren dummen Stolz und das fruchtbare Land im Herzen Caernadons. Wenn er seine Tochter opferte, dann gewiss nicht für die beiden Streitenden Reiche, die mit ihren Kriegen dem Verbotenen See bereits gefährlich nahe gerückt waren.

***

Der Mond stand hoch und voll am Himmel. Fast hätte man meinen können, es sei ein Zwillingsmond, denn er fand ein exaktes Spiegelbild im See. Dieser lag gespenstisch ruhig da denn auch die Welt um ihn herum war in Reglosigkeit erstarrt.

Sie waren alle zum Flussdelta im Westen von Anguli gekommen. Hier entsprang die Heilige Quelle, deren Wasser den Schwänen das ewige Leben schenkte.

Alle, die im letzten Mond mit ihr die Geburt ihrer Tochter gefeiert hatten, waren nun um sie versammelt. Schweigend erwartete Nuria zusammen mit ihren Gefährten – nicht Untertanen, denn kein Schwan war dem anderen untertan – den Augenblick der Verwandlung.

Wie oft hatte sie diesem Moment entgegengefiebert, wenn der Mond aufging und ihr menschliches Ich ohne ihr Zutun ihren Körper übernahm. Wenn sie durch den Wald laufen konnte, wenn der Wind ihre nackte Haut streichelte. Wenn die Liebe einen so ganz anderen Geschmack annahm ... Nie wieder, das wusste sie, nie wieder werde ich die Verwandlung mit derselben unschuldigen Freude empfangen wie früher. Von jetzt an wird sie unauslöschlich ein Teil dieses Kummers sein.

Sie spürte kaum, wie ihr Körper sich wandelte, als der Mond seinen höchsten Stand erreichte, wie ihre Flügel sich streckten, schmaler wurden, zu zierlichen, geraden Fingern ausliefen. Sie sah nur das Kind, ein vollkommenes kleines Menschenwesen jetzt, mit dem gleichen daunenzarten Haar, das allen Schwänen in ihrer Menschengestalt gemeinsam war. Aber das Haar war nicht weiß wie das der meisten anderen Schwäne, sondern bronzegolden, so wie die eine Strähne, die Nuria von allen anderen Frauen ihres Volkes unterschied.

»Bei Wind und bei Feuer«, hörte sie wie aus weiter Ferne Olfros' Stimme. Er war nackt, wie es bei dergleichen Ritualen Sitte war, und stand mit zum Himmel gereckten Armen vor ihrer Tochter, nur mit Mondlicht bekleidet und mit dem fließenden, seidigen Schwanenhaar, das ihm bis weit über die muskulösen Schultern fiel. »Bei den Mächten des ewigen Gestern und der Hoffnung eines neuen Morgen ...« Olfros verharrte kurz, und ein Raunen ging durch die Umstehenden. Die treuen Freunde trugen nun alle ihre Menschengestalt. Nuria sah einen nach dem anderen an, alle, die gekommen waren, um in dieser schweren Stunde an ihrer Seite zu sein. Anea und Savas standen am weitesten entfernt, unbeabsichtigt wohl, aber sie waren einander seit Jahrhunderten schon mehr als genug. Ein flüchtiger Stich der Eifersucht durchzuckte Nuria. Und ich? Ich habe Olfros immer mit anderen teilen müssen – und nun wird mir auch noch mein Kind genommen! Sie zwang sich, nicht lange bei den Liebenden zu verweilen, und ließ ihren Blick weiterwandern, als könne sie den Abschied damit hinauszögern. Da bei den alten Eiben waren Ergar und Malea, die sich erst kurz zuvor gefunden hatten, und dort Kola und neben ihm seine Mutter, Bibiana Ganna, Vilja, Lamar, und weiter unten am Seeufer, wie immer ein wenig am Rande, Lado. Keiner fehlte heute Nacht.

Ein Bann schien über der Lichtung zwischen See und Eiben zu liegen, und die Stille schmerzte. Endlich räusperte Olfros sich.

»Meine Tochter ...«

Nuria war zu sehr mit ihrem eigenen Kummer beschäftigt, um zu hören, dass Olfros' Stimme beinahe brach, als er sein Kind ansprach.

»Tochter von Nuria und Olfros. Hiermit weihe ich dich den Göttern des Schicksals. Du wirst den anderen Weg gehen, den Weg, den schon so lange keiner der unseren mehr gegangen ist, dass wir dir nicht einmal einen Rat mitgeben können – nur unsere Achtung und unseren tiefen Respekt, die dich begleiten werden, solange du lebst.«

Nuria hörte nicht die Wärme in seiner Stimme. Nur, dass er von Achtung und Respekt sprach, nicht von Liebe. Respekt? Achtung? Was soll ein Säugling mit Achtung? Ein ungewohntes Brennen trat in Nurias Augen. Das kleine Mädchen, das in einem erst in der vergangenen Nacht geflochtenen Weidenkorb lag, schlief tief und fest.

»Tochter«, fuhr Olfros fort. »Bei Wind und bei Feuer, bei Meer und Sturm, dies ist der Weg, den die Götter dir bestimmt haben. Geh und erfülle deine Verheißung.«

Nuria sah den hilflosen Blick ihres Seelengefährten nicht. Olfros drückte die Schultern durch und sprach die Worte, die Nuria niemals hatte hören wollen. »Kraft meines Amtes als König von Anguli, kraft der Macht der Schöpfung und des Rechts der Vaterschaft, banne ich dich in den Körper, den du in dieser Stunde trägst.« Er tauchte die Hand in das heilige Wasser und benetzte damit die Stirn seiner Tochter. »Um des Plans willen, den die Götter für unsere Welt ersonnen haben, wirst du sterblich sein, um als Sterbliche unter Sterblichen deine Bestimmung zu leben. Zum Wohle von Anguli erkläre ich dich für frei von der Bindung an deine Eltern und den Wurzeln in diesem Land.«

Ein unbekanntes Gefühl erfasste Nuria; eine Feuerspur schien sich über ihr Gesicht zu ergießen, und sie erschrak. Hatte Olfros nicht nur ihr Kind, sondern auch sie selbst von Anguli verbannt, dass sie jetzt schon sengende Trauer zerfraß? Doch dann begriff sie, dass das Feuer in ihrem Gesicht eine Träne sein musste. Verwundert und einen Augenblick von ihrem Kummer abgelenkt, berührte sie ihre Wange.

»Und so geh, geh im Namen der Götter!« Olfros' Worte wirkten wie ein Sturm auf den stillen See, und hungrige Wellen begannen, sich gegen das Ufer zu werfen.

Ein seltsames, filigranes Gebilde, das wie eine durchsichtige Schneeflocke aussah, schmolz auf Nurias Fingerspitzen. Verwundert sah sie darauf, denn dies war das eine, das ihnen als unsterbliche Wesen normalerweise verwehrt blieb: die Gabe der Tränen. Und wieder schnitt das Feuer sich eine Bahn über ihr Gesicht. Hände, die sie noch nie in ihrem Leben gesehen zu haben glaubte, griffen nach ihrem Kind, und Nuria schrie ...

Noch während ihr Schrei bis in den letzten Winkel von Anguli drang, schienen jedoch zwei Dinge gleichzeitig zu geschehen: Eine zweite Träne verwandelte sich auf Nurias Wange in ein schneeflockengleiches Gebilde und schwebte unendlich sachte zu ihrer schlafenden Tochter hinunter, tanzte in der Luft, verharrte einen Herzschlag lang über ihrem kleinen Gesicht und setzte sich dann wie eine letzte Liebkosung auf eines ihrer Augenlider. Aber statt unter der Wärme ihrer Haut zu schmelzen, wuchs die Schneeflocke, bis sie das Kind wie eine unsichtbare Wolke einhüllte, während es in dem geflochtenen Korb von den gierigen Wellen langsam davongezogen wurde.

Nuria wusste jetzt, was sie tun musste. Sie würde sich nicht einem fremden Willen unterwerfen, einer Gottheit, die sie schon lange nicht mehr verstand und an deren Weisheit zu zweifeln sie allen Grund hatte. Ein schneller Blick zu den anderen – nein, nur sie allein konnte diese seltsame Wolke sehen, als eine mächtige Welle ihr Kind bereits in Richtung des Flusses Ank trug. Ohne länger zu zögern wob Nuria aus ihren Tränen, die große Macht hatten, weil sie die Tränen eines Schwans und einer Mutter waren, einen sehr alten, sehr gefährlichen Zauber und fügte Olfros' Worten lautlos eine eigene Beschwörung hinzu.

Liebe und Torheit – eine Prophezeiung, die beinahe so alt war wie die Welt selbst, warnte jeden, der es wissen wollte, vor dem Unheil, das aus diesen Gefühlen erwachsen konnte. Liebe und Torheit, Nurias Zauber war beides.

Und der Korb aus jungen, frischen Weiden tanzte auf den Wellen, folgte der Strömung des Flusses, weg vom Verbotenen See, hin nach Caernadon, wo eine andere Frau in dieser Nacht genauso heiße Tränen weinte wie Nuria.

***

Der alte Fischer zog sein Netz ein, aber er war nicht bei der Sache, und um ein Haar wäre die ganze Arbeit umsonst gewesen.

»He, Bauka !« Der Mann, der ganz vorn auf dem Boot stand, war sichtlich ungehalten. Die Sonne brannte ihm in den Nacken, und seine Muskeln schrien nach dem wohlverdienten Feierabend.

»Pass doch auf, Alter!« Sie waren schon vor dem ersten Morgengrauen auf dem Fluss gewesen, und Alarich wollte nach Hause, wo nicht nur wie sonst immer seine Frau und sein Mittagessen auf ihn warteten, sondern auch noch die Aussicht auf das große Fest, das er nicht versäumen wollte. »Wo hast du denn deine Augen?«

Der alte Bauka blickte unverwandt zu einem Punkt zwischen den Felsen unter dem steilen Ufer. Er hob seine schwielige Hand und beschloss, sich nicht von dem jungen Narren in die Schranken weisen zu lassen. Wer war es denn, der die guten Fischgründe kannte, der genau wusste, wo die Lachse laichten und wo man auch in mageren Zeiten immer noch einen Aal aus dem Wasser ziehen konnte? Die jungen Männer mochten härtere Muskeln haben, aber er und die anderen Alten hatten das Wissen, das ihnen die Netze füllte. »Fahrt zu den Mormonfelsen hinüber«, rief er mit befehlsgewohnter Stimme den vier Ruderern zu, die ihm ohne Widerrede gehorchten.

»Bauka! Wir wollen endlich hier fertig werden!« Alarichs nörgelnde Stimme drang kaum noch in seine Gedanken. Bauka kniff die Augen zusammen, um in dem grellen Sonnenlicht überhaupt etwas erkennen zu können. Er hielt den Atem an.

Dort, bei den Mormonfelsen, war ein liebevoll geflochtener Weidenkorb angeschwemmt worden. Und in dem Korb regte sich etwas ...

KAPITEL 2

»Im Jahr 6908 nach Beginn des 2. Zeitalters, dem 17. Jahr der Regentschaft der Gottkönigin Brenna IX. aus dem Geschlecht der Kasseiden, erschien Fál auf dem Ork Nuado. Er kam in die Welt der Dinge, um den Sterblichen das Licht zu bringen. Er, der geboren wurde aus keinem Mann, aus keiner Frau, in seiner Kindheit behütet und aufgezogen von Mijas, dem Schmied, und dessen Frau Rosmerta, lebt und wirkt in uns weiter durch das Wort des Ritters Bleidwan, seines getreulichen Gefährten und Chronisten.«

Aus der Einleitung zu den »Heiligen Chroniken« von Ritter Bleidwan

***

Gwenlian, Gemahlin des Königs Uisnach und Tochter aus dem Geschlecht der Kasseiden, stand auf dem nördlichen Bergfried ihrer Burg und blickte auf den silbernen Fluss hinab, der ihr gleichzeitig Gefängnis und Verheißung war. Er kam aus dem hohen Norden und führte auf verschlungenen Wegen bis an den Rand der Wüste, wo er eine Biegung nach Westen machte und zurück nach Caernadon floss. Und dort, wo nichts mehr zu spüren war von seiner lebensspendenden Fruchtbarkeit, wo neun Monate im Jahr mörderische, staubige Hitze alles Leben lähmte, wo Vulkane den Menschen niemals Ruhe ließen und giftige Schlangen selbst in die Häuser der Reichen vordrangen, war einst Gwenlians Zuhause gewesen, Fiann. Sie wusste, dass ihr der Weg dorthin für immer versperrt sein würde, denn was sie getan hatte, war unverzeihlich.

Gwenlian hielt das Gesicht in den lauen, würzigen Morgenwind, der zu Tarlin gehörte wie die Wehrtürme und Torhäuser, wie die Rosenbüsche und der Duft des reifenden Hafers im Sommer. Tarlin – die mächtige Königsburg im Herzen Caernadons, wegen ihrer alabasternen Dächer auch die Strahlende genannt, war in den langen Jahren ihrer einsamen Jugend Gwenlians geheimster Traum gewesen, ein verbotener Traum, denn die Strahlende lag in Feindesland. Doch dann hatte sich wie ein Adler mit gebrochenen Flügeln ein unsicherer Friede über den Kontinent gebreitet, und Uisnach war im Palast ihrer Mutter, der Königin von Fiann, erschienen und hatte um ihre Schwester Brenna geworben. Aber nicht Brenna, sondern sie, Gwenlian, war vor sechs Jahren als Braut nach Tarlin gekommen.

Eine Wolke schob sich vor die Sonne; ihr Schatten wanderte über den Wassergraben bis zu den dahinter liegenden Weiden. Gwenlian fröstelte. Sechs Sommer hatte sie diese Weiden grün werden sehen, sechs Herbstmonde, die gelbe, harte Getreidestoppeln auf den Äckern rechts und links hinterließen, sechs lange Winter, die mit grauer Trostlosigkeit über das Land kamen. Und sechsmal war in dieser Zeit, frühlingsgleich, in ihrem Körper ein zartes Leben erwacht, nur um allzu bald wieder vertrieben zu werden.

Nach ihrer letzten Fehlgeburt vor fünf Monaten war Uisnach nicht mehr in ihrem Schlafgemach erschienen, und sein Blick, der so viel Wärme enthalten konnte, war jetzt kalt und abweisend, wenn er sie streifte. In der letzten Nacht hatte er wieder nicht bei ihr gelegen, und sie wusste, dass er die Stunden zwischen Mondaufgang und Morgen im Gemach ihrer Kammerfrau Elana verbracht hatte. Der Verdacht, vor dem sie so lange Monate wie eine Närrin die Augen verschlossen hatte, ließ sich jetzt nicht mehr leugnen. Elana war vor sechs Wochen Mutter eines gesunden Knaben geworden.

Gwenlian strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht, die gar nicht da war – eine Geste, die ihr nicht bewusst war und mit der sie seit Mädchentagen ihre Gefühle zu verbergen suchte, sogar vor sich selbst.

Sie ging einige Schritte weiter, um die Ecke des Wehrgangs herum, und zeichnete mit der Hand den Schwung des sonnengewärmten, glänzenden Geländers nach, in dem sie flüchtig ihr eigenes Gesicht sah. Sie konnte das alte Blut, das in ihren Adern floss, wahrhaftig nicht leugnen: Ihre Augen waren fast so schwarz wie ihr Haar, und beides hatte, je nachdem, wie das Licht darauf fiel, einen bläulichen oder violetten Schimmer. In Fiann hatte sie ihr hüftlanges Haar häufig offen getragen oder zu einem glatten Zopf geflochten, aber in ihrer neuen Heimat galt das eine als dirnenhaft, das andere als bäurisch. Allmorgendlich unterzog sie sich daher der Qual, ihr Haar zu einer komplizierten Frisur aufstecken zu lassen, um wenigstens in dieser Hinsicht wie eine ehrenwerte Frau von Caernadon auszusehen. Obwohl weder ihre Frisur noch ihre Kleidung sie zu einer solchen machten, denn nicht einmal das milde Klima Caernadons hatte ihrer Haut die Bräune ganz nehmen können, die ihre Hofdamen jeden Morgen mit dicker Schminke überdecken würden, wenn sie es zuließe. Und nichts konnte den ungewöhnlichen Schnitt ihrer Augen verbergen, die wie große, dunkle Mandeln über den hohen Wangenknochen ihr Gesicht beherrschten. Auch ihre Größe – oder vielmehr der Mangel derselben – hob sie unter den Frauen hervor. Sie war klein und sehr zierlich, täuschend zierlich, denn sie besaß mehr körperliche Kraft als jede ihrer Kammerfrauen und war als Reiterin den meisten Männern ebenbürtig.

Gwenlian verweilte jedoch nicht lange bei dem Anblick ihres Gesichts, das sie zu sehr an das ihrer Schwester Brenna erinnerte, sondern blickte mit einem gezwungenen Lächeln auf die bunten Bilder, die sich ihr auf dieser Seite der Burg, der Westseite, darboten.

Tief unter ihr lag das blühende, fruchtbare Land mit seinen sanften Wölbungen und den vielen kleinen Wasserläufen, die der Region ihren Namen gegeben hatten: das Land der Tausend Bäche. Doch heute hätte ein anderer Name besser gepasst: das Land der Tausend Zelte. Uisnach hatte »zur Ehre seines Landes und zur Übung seiner Ritter« zum Turnier gerufen, und aus allen Teilen des Reiches waren sie hergeströmt: die Ritter und Knappen, die Spielmänner und Barden, die Händler und Kesselflicker und viel einfaches Volk aus der näheren Umgebung. Ein Wald bunter Zelte war seit dem Morgengrauen im Schatten der Burg emporgewachsen, und überall herrschte ein geschäftiges, lärmendes Hin und Her. Selbst aus dieser Entfernung konnte Gwenlian das Hämmern der Zimmerleute hören, die unten die Tribünen für die Zuschauer aufbauten, in der Mitte den erhöhten Ehrenplatz für den König und sein Gefolge.

Gwenlian atmete tief ein, doch von den Verlockungen der Düfte, die sich dort zwischen den Festzelten mischten, war so hoch oben auf dem Bergfried nichts zu spüren. Gedankenlos öffnete sie, wie sie es in Fiann schon als Kind von vier Jahren gelernt hatte, ihre Sinne für die Welt um sich herum. Der Geruchssinn war am leichtesten zu beherrschen; sie brauchte sich nicht einmal besonders zu konzentrieren, um diesen simplen Zauber zu beschwören.

Im nächsten Augenblick schon tat sich ihr eine ganze Welt der Köstlichkeiten auf: der hefige Geruch von frischem Brot umfing sie als Erstes, dann der feine Duft von Ambrawein, der in schweren Bronzezubern über kleinem Feuer gewärmt wurde – mit Honig für die Damen und scharfem, zerstoßenen Tardiskraut für die Herren – und dann die in Honigkruste gebratenen Fasane. Gwenlian ließ ihre Neugier weiterschweifen. Erbsbrei für die armen Bauern, die sich kein Fleisch leisten konnten, aber trotzdem nach etwas Handfesterem verlangten als Brot und Süßigkeiten. Dann roch sie ein über offenem Feuer geröstetes Spanferkel und gleich daneben im eigenen Saft gegarte Kapaune aus einer der Bergprovinzen. Aber auch weniger erfreuliche Gerüche drangen zu Gwenlian hin: der saure Schweiß derer, die die harte Arbeit taten; die versteckten, aber nichtsdestoweniger unvermeidlichen Abtritte ...

Von den Gerüchen war es nur ein winziger Schritt zu einem weiteren, mächtigeren Zauber. Eine wohlige Schwere bemächtigte sich Gwenlians, ein Gefühl, das ebenso vertraut wie verboten war. Nur ein kleiner Schritt, nur eine kaum wahrnehmbare Anstrengung, um Augen und Ohren aufzuschließen für die Bilder und Klänge dort auf dem Festplatz ... so harmlos ... Niemand nahm Schaden ... Und wen scherte es schon, wenn sie wegen Zauberei vor die Hohe Ferne gestellt und wie eine unerwünschte Katze ertränkt wurde! Uisnach würde froh sein, eine neue Frau nehmen zu können, die ihm endlich den ersehnten legitimen Erben schenkte. Nein, von Uisnach hätte sie wohl kaum mehr Schutz zu erwarten, anders als damals, vor fünf Jahren, als sie bei einem vor Schmerz schreienden Küchenmädchen einen unter einem Kutschrad zertrümmerten Knochen hatte zusammenwachsen lassen – und man ihr dafür sofort den Prozess machen wollte.

An die Stelle des nächtlichen Kummers und der Verlorenheit traten jetzt Trotz und Stolz. Bei der Göttin! Es war so ein harmloses Vergnügen, das sie sich da gönnen wollte, und sie hatte in letzter Zeit wahrhaftig wenig Vergnügen gekannt! Gwenlian fuhr sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, schloss die Augen und richtete ihre Konzentration auf jene Kraft in ihrem Innern, die seit Jahren ungenutzt geblieben war. Mit einem leisen Seufzer trat sie vollends in das Leben am Fuß der Burg ein. Die großen Prunkzelte waren ihr Ziel, denn auch wenn sie es sich selbst nicht eingestand, war es nicht nur Zufall, dass sie gerade heute das Gesicht heraufbeschwor.

Mühelos fand sie ihre Orientierung auf dem mehrere Hektar messenden Platz. Dort war ein Zelt mit einem Wappen auf hellblauem Grund. Gwenlian durchdrang freudig das straff gespannte Tuch und prallte im nächsten Augenblick erschrocken zurück.

»Siehe, das ist der Stab Fáls, der das Verderben der Welt hinwegnimmt und Licht schafft, wo vorher Dunkel war.«

Ein Priester in der schwarzen Kutte der Anhänger des Gottes Fál stand in dem schmucklos ausgestatteten Zelt. Der Heilige Stab, der mit rot gefärbter Seide auf seinen Rücken gestickt war, wies ihn als einen hohen Würdenträger seines Standes aus. Er war einer der Männer, die das Volk »Hexer« nannte, weil sie als Einzige zur Abwehr von Zaubern selbst Magie praktizieren durften.

»Allmächtiger Fál, der du die Welt durchmessen hast«, antwortete der vor ihm kniende Ritter mit demütig gesenktem Kopf.

Gwenlian schluckte trocken. Was für eine grenzenlose Dummheit sie begangen hatte! Auf Hexerei stand in Caernadon die Todesstrafe. Und so unschuldig der Zauber des Sehens und Hörens war, er galt hier zweifellos als ketzerischer Verstoß gegen Sitte und Moral. Doch sie hatte Glück: Der Geistliche war zu sehr auf die Anrufung seines Gottes konzentriert, des einen Gottes, in dessen Namen der Glaube an die Göttin und ihre geheimen Künste in Caernadon vor langer Zeit schon verboten worden war.

»... der du Meer und Wüste getrotzt«, setzte der Priester mit dünner Stimme den Wechselgesang fort.

»Segne mich mit deiner göttlichen Allmacht und schenke mir die Kraft und die Weisheit, in diesem Turnier zu siegen.« Der Ritter senkte seinen Kopf noch ein wenig tiefer, um sich Fáls Gnade umso würdiger zu erweisen. Gwenlian zog spöttisch die Augenbrauen in die Höhe. Was für ein törichter Gott, der seine Gnade von Unterwürfigkeit statt von Stolz abhängig machte, von geschlossenen Augen statt von klarem Blick.

»Elahá, so sei es.«

Gwenlian zog sich aus dem Zelt zurück. Die kleine Begebenheit, die sie zuerst so erschreckt hatte, erfüllte sie nun mit einem neuen, trotzigen Selbstvertrauen. Allzu leicht vergaß sie hier, umgeben von Menschen fremden Glaubens, was es bedeutete, eine Tochter des Alten Reiches zu sein, der großen Mysterien kundig und eingeweiht in die heiligsten Künste.

Heiter setzte sie ihre Suche fort. Auch im nächsten Zelt, das sie betrat, waren zwei Männer zugegen, jüngere diesmal, beinahe noch Knaben.

»... und als wir im letzten Erntemond gegen die Sonnianer geritten sind, haben wir uns einmal drei Tage und drei Nächte in einer Bärenhöhle versteckt.« Der Sprecher, der den Harnisch seines Herrn für das Turnier auf Hochglanz zu bringen hatte, wischte nur lässig hie und da mit seinem Lappen über eine bereits blank polierte Stelle und überließ die eigentliche, schweißtreibende Arbeit seinem Kameraden, der ihm ehrfürchtig zuhörte.

»Meinst du, ich darf im nächsten Jahr mit euch kommen, wenn ihr wieder auszieht?«, fragte er eifrig. Er blickte nur kurz von dem schweren Brustpanzer auf, dann neigte er wieder den Kopf, um weiterzuputzen. Der andere Junge lachte auf. »Mein Lieber, die Sonnianer sind Wilde! Da nimmt man keine Kinder mit, wenn man sie in ihre Schranken weisen will!«

Jetzt sah Gwenlian, dass der Größere von beiden eine rote Kordel um sein Alltagsgewand aus ungebleichter Wolle trug, das Zeichen der Knappen. Der andere trug ein ähnliches Gewand, aber mit einer weißen Kordel – weiß wie die Unschuld des Kindes –, die ihn als Pagen auswies. Er tat Gwenlian ein wenig Leid, denn er würde es nicht leicht haben bei diesem großsprecherischen Faulpelz, der eifersüchtig über seine Rechte wachte.

Gwenlian wanderte weiter. Eine Gruppe von Spielleuten erprobte ihre Instrumente, und ein wunderbar leichtherziges Flötenspiel begleitete sie zum nächsten Zelt. Ihr Atem beschleunigte sich. Es musste die Musik sein, die so berauschend war wie warmer Honigwein in einer Sommernacht, in der der Mond niemals zu scheinen aufhört.

Auch vor dem nächsten Zelt flatterte an einem hohen, in die Erde gerammten Bronzepfahl ein Wappen mit hellblauem Grund. Mit einem ihr selbst nicht bewussten Zögern drang Gwenlian durch das straff gespannte Leintuch. Nur ein einziger Mann stand dort, in gebeugter Haltung, einen schön geschmiedeten Helm mit Visiergitter in Händen. Gwenlian bewegte sich vorsichtig an ihm vorbei, um sein Gesicht sehen zu können. Er war noch größer als Uisnach, und sein Haar war noch blonder – es hatte die Farbe des Rapses, wenn er im Spätsommer seine ganze Pracht entfaltete, eine Haarfarbe, wie sie sie nur bei den Menschen aus dem hohen Norden des Reiches gesehen hatte, wo eine von Uisnachs kleineren Hofburgen lag. Jedes Jahr im Herbst fuhren sie zur Jagd für einige Wochen nach Orra, wo Graf Konall, der Besitzer dieses Zelts, ihr Nachbar war.

Der blonde junge Mann richtete sich auf und rieb sich den schmerzenden Nacken. Seine Augen waren selbst in dem gedämpften Licht des Zelts von einem strahlenden Blau, aber es war nicht die intensive Farbe dieser Augen, die die Menschen sofort für Graf Konall einnahm, es war seine überschäumende Lebensfreude, eine Heiterkeit, die wie ein Funke auf andere überspringen und ein Feuer des Frohsinns entzünden konnte.

Gwenlian sah zu, wie Konall mit beinahe zärtlicher Sorgfalt die lederne Helmzier aufsteckte, an die er, wenn er dies wünschte, im Turnier ein Helmtuch in den Farben seiner Dame binden konnte. Etwas an dieser Geste war ihr vage vertraut, aber der Eindruck verflog, bevor sie ihn zu fassen vermochte, wie der Duft einer Blume, die zu weit entfernt stand, um ihres Parfüms ganz habhaft zu werden.

Von draußen wehte noch immer die feine Musik der Flöten und Zimbeln herein, zu der sich inzwischen noch ein Dudelsack gesellt hatte. Dies war mehr als nur ein Erproben der Instrumente; die Musiker hatten sich offensichtlich von ihrem eigenen Schwung dazu hinreißen lassen, einige der beschwingten Tanzlieder zu spielen, die zum Ausklang des Tages, wenn der König und seine Gäste sich zurückgezogen hatten und draußen die ersten Feuer angezündet wurden, auf das einfache Volk warteten.

Gwenlian vergaß für einen Augenblick ihren Kummer, vergaß sogar die bittere Erkenntnis der vergangenen Nacht dass sie Elana nicht den Mann neidete, sondern nur das Kind, das er gezeugt hatte. Sie dachte nicht mehr an Uisnach, an ihre Ehe, deren Feuer unwiederbringlich erloschen war, sondern gab sich ganz dem herrlichen Gefühl der Körperlosigkeit hin. Ohne Erdenschwere, nur mit allen Sinnen die Schönheit in sich aufnehmen zu können: sehen, hören, riechen, fühlen, schweben ...

Der Tastsinn war von allen Sinnen der schwierigste, vor allem, wenn man einen anderen Menschen berühren wollte, ohne dass dieser mehr als einen angenehmen Lufthauch wahrnahm. Ein feines, verräterisches Leuchten legte sich um Gwenlian oben auf dem Turm, als sie den altvertrauten und doch halb vergessenen Zauber heraufbeschwor.

Seine Haut war warm und trocken, und die winzigen Härchen auf seinen kräftigen Armen kitzelten. Hätte sie in diesem Zustand eine Stimme besessen, hätte sie leise gelacht.

Dann veränderte sich plötzlich etwas.

Ein schriller Missklang durchdrang das Gewebe aus Licht, das Gwenlian umfangen hielt. Ein kurzer, heftiger Schmerz durchfuhr ihren Körper, und sie schrie auf. Das Seltsamste schien ihr in diesem Augenblick, dass sie ihre eigene Stimme hörte. Das konnte nicht sein!

Die wohlige Wärme entglitt ihr, das Bild Konalls, der sich verwundert aufrichtete, zerfiel, zerbrach, barst ... die Farben lösten sich voneinander ... ein Splitter saugte alles Rot in dem Bild auf, ein anderer alles Grüne ... und jeder Splitter formte sich zu einer Lanze, die sich ihr in die Augen bohrte, ins Gehirn.

Gwenlian schrie.

Große Göttin ... deinen Schutz erflehe ich ... mögen alle Klänge, Lichter und Strahlen ... sich nicht im Antlitz des Feindes ... vereinen ... Alte Anrufungen der Regenbogengöttin flogen bruchstückhaft durch ihren Geist. Möge ich alle Lichter als meine eigenen Lichter erkennen ... Große Göttin, die du mich als deine Tochter angenommen hast ...

Aber es war zu spät. Das Undenkbare war geschehen. Sie war in dem Land, das seit fast tausend Jahren gegen die Zauber des Alten Glaubens kämpfte, von dem unverkennbaren Leuchten der Magie überrascht worden.

Während Gwenlian auf dem plötzlich erkalteten Stein des Bergfrieds langsam zusammenbrach, flammte ein furchtbares Bild in ihrer Erinnerung auf, das sie immer wieder in ihren schlimmsten Albträumen heimsuchte: Kurz nach ihrer Ankunft auf Tarlin war eine alte Sennefrau bei einem Wachstumszauber überrascht worden. Man hatte sie keineswegs wie eine Katze ertränkt, sondern als Verbrecherin gebrandmarkt und öffentlich gefoltert. Die alte, weise Frau hatte um Gnade gefleht, gegen ihre Fesseln gekämpft, geschrien und geweint und am Ende nur noch kraftlos in ihren Ketten gehangen, bis nach stundenlangem Martyrium das Leben aus ihrem Körper entwich.

Die Hände, die sich nach Gwenlian ausstreckten, bohrten sich wie Krallen in das weiche Fleisch ihrer Oberarme, und sie öffnete abermals den Mund, um zu schreien. Etwas Weiches, widerlich Bitteres wurde ihr zwischen die Lippen gepresst, dann fiel sie in einen langen schwarzen Tunnel der Bewusstlosigkeit.

***

Das kleine Fischerboot tanzte in den Wellen, die an den Felsen leckten und ihre gischtigen Finger nach dem durchnässten Korb ausstreckten. Wie durch ein Wunder hatte er sich in einem Felsspalt verfangen.

»Näher heran!«, rief der alte Fischer, dessen Rücken von mehr als sechs Jahrzehnten gebeugt, dessen Wille jedoch ungebrochen war. Als Bauka das Zögern der vier Ruderer spürte, richtete er sich auf, obwohl dabei jeder Wirbel seines Kreuzes ächzend protestierte. Er drehte sich um, so dass er den Männern ins Gesicht sehen konnte.

»Näher an den Felsen!«

Obwohl die Sonne ihm direkt in die Augen schien, erlaubte er sich kein Blinzeln, keinen Wimpernschlag.

»Bauka, lass uns abdrehen.« Alarich, der eines Tages Baukas Nachfolger sein würde, da ihm selbst keine Söhne vergönnt gewesen waren, sah jetzt ebenfalls, dass sich in diesem Korb etwas bewegte, aber wenn er in seinem Leben eine Lektion gelernt hatte, dann die, dass man sich mit unnötiger Einmischung nur Ärger einhandelte. »Es ist zu gefährlich. Du riskierst das Boot, wenn du noch näher an die Felsen heranfährst. Man weiß an dieser Stelle nie, wo sie unter Wasser verlaufen.«

Bauka versuchte, in dem immer heftiger schwankenden Boot das Gleichgewicht zu halten. Es wäre viel leichter gewesen, wenn er jetzt nach der Reling greifen könnte, die nur zwei Handspannen entfernt Sicherheit und Halt bot. Aber damit hätte er auch seine Schwäche eingestanden. Die Sonne bohrte sich gnadenlos in seine Augen, aber der jüngere Mann vermied es geschickt, sich vor ihn zu stellen und ihm Schatten zu spenden. Und plötzlich ging es um viel mehr als um einen mit blitzenden weißen Tüchern ausgelegten Weidenkorb zwischen zwei schroffen Felsen, in dem ein alter Mann eine Bewegung gesehen zu haben glaubte.

Alarich machte einen Schritt auf den Alten zu, und das kleine Boot schwankte noch heftiger.

KAPITEL 3

»Elahá, ich sage euch, wenn in keinem Haus und keiner Hütte mehr ein Feuer für die Götzen der falschen Götter brennt, dann werden Friede und ewige Dauer euer sein!

Bannt alle Magie aus euren Häusern und aus euren Herzen, denn sie ist der Quell alles Bösen! Vernichtet die Schriften, zerstört die Zeichen, zermalmt jene, die sich den geheimen Künsten verschrieben haben!

Wählt in jeder Generation vier mal fünf eurer besten Männer aus, die stark und weise genug sind, schwere Bürde zu tragen, reinigt ihren Geist und lasst nur sie zum Wohl von Volk und Land die Magie erlernen, auf dass sie euch zu schützen wissen gegen alle Feinde, die die Hexerei als ihr Schwert am Gürtel führen.

Vier mal fünf Männer, keinen mehr, keinen weniger: Für Norden und Süden, für Osten und Westen. Das sind die vier Winde, die Abträgliches und Schädliches zu euch hertragen können. Und für jeden der Winde braucht ihr fünf Wächter:

Für die Luft, die das Element des Geistes ist.

Für das Feuer, das das Element der Leidenschaften ist.

Für die Erde, die das Element der Heilung ist.

Für das Wasser, das das Element der Harmonie ist.

Für den Raum, das Element, das nichts ist und in dem alles ist.

Elahá, ich sage euch, vier mal fünf Wächter sollt ihr haben, keinen mehr, keinen weniger. Dann wird mein Friede mit euch sein, und ihr werdet eines Tages wieder mit mir vereint sein.«

Auszug aus der »Heiligen Chronik« von Ritter Bleidwan

***

Majestät! Meine Königin!« Wie aus weiter Ferne drangen Wortfetzen an Gwenlians Ohr. Die viel zu plötzliche Rückkehr aus der Welt tief unter ihr und der panische Schrecken ihrer Entdeckung hatten sie in eine bleierne Ohnmacht sinken lassen, aus der sie nur mühsam und widerwillig erwachte.

»Meine Königin, was habt Ihr getan?«

Ein raues Flüstern, das sie nicht zuordnen konnte.

Aus den Farb- und Klangsplittern, in die die Welt um sie herum zerbrochen war, fügten sich mit der Behäbigkeit eines längst ergrauten Bären erst Worte, dann Bilder zusammen, die jedoch in ihrem jetzigen Zustand keinen Sinn für sie ergaben.

Der Himmel über ihr war so blau, so blau ... Wann hatte sie den Himmel über Fiann je so strahlend und so sanft gesehen? Wo war das vielfarbige, hypnotische Flirren, das stets wie eine Glocke über dem trockenen Land lag und Mensch und Tier in seinen warmen Armen hielt? Warum hörte sie als Erstes den Gesang von Vögeln und nicht das hohe Klagen der Wüstenzikaden, das die Tage und Nächte in Fiann begleitete wie der eigene Herzschlag jeden Atemzug? Und was war das für eine seltsame Frau, die sich da über sie beugte, mit einem Gesicht so rund wie ein Pfannkuchen und Augen so hell wie der Bernstein, den sie aus der Hochebene bekamen? Solche Augen hatte niemand in Fiann.

»Majestät! Meine Königin? Heiliger Fál, du Gott des Lebens, erbarme dich ...« Ein Schluchzen machte die Worte, die von der Frau über ihr kamen, beinahe unverständlich. Aber nur beinahe.

Fál? Fál!

Gwenlian kehrte jäh in die Wirklichkeit zurück. Plötzlich ergab alles Seltsame einen Sinn. Die Züge der rundlichen Frau, die sie in den Armen wiegte, durchdrangen den Nebel ihrer Gedanken, und ihre Augen wurden wieder klar. Die Frau, die sie hielt, sah es und entfernte das parfümierte Leintuch, das sie ihr in den Mund gestopft hatte, um den Schrei zu ersticken. Das also war der Quell dieses abscheulich bitteren Geschmacks gewesen.

»Issa ... Issa!«, flüsterte Gwenlian .mühsam, als sie endlich wieder sprechen konnte.

»Oh, Fál sei gedankt, der schreckliche Zauber hat Euch nicht getötet!« Die alte Frau, die ihr seit ihrer Ankunft auf Burg Tarlin als Zofe diente, wischte sich verstohlen eine Träne aus den Augen.

Gwenlian richtete sich auf. Sie hatte sich den linken Ellbogen im Fallen an der rauen Mauer aufgeschürft, und auch ohne dass sie aufzustehen versuchte, spürte sie, dass sie sich den Knöchel leicht verstaucht hatte. Nach und nach fiel jedoch der Schwindel der viel zu schnellen Geistreise vom Festplatz hinauf zu ihrem Körper auf dem Bergfried von ihr ab.

Voller Angst sah sie zu der alten Zofe auf. Sie war in all den Jahren immer freundlich und gütig gewesen, aber Gwenlian wusste auch, dass sie eine fromme Anhängerin ihres Gottes war. Wie würde Issa auf ihre verbotene Zauberei reagieren? Sie konnte es unmöglich übersehen haben, da in Caernadon niemand auch nur den kleinsten Zauber herbeirufen konnte, ohne dass ein verräterisches Leuchten seine Gestalt einhüllte. Verflucht sollte diese Schutzmaßnahme der magiefeindlichen Priester sein, die im Volksmund als Hexer bekannt waren.

Es waren insgesamt zwanzig Männer, die in vier wohlversteckten Tempeln bereitsaßen, um in ganz Caernadon jeden Verstoß gegen das Magieverbot sofort zu entlarven. Zu ihrem Bedauern konnten sie zwar nicht verhindern, dass sich jemand in ihrem Land der Zauberei schuldig machte, aber sie konnten dafür sorgen, dass die verbotene Kunst nicht gänzlich unerkannt ausgeübt wurde. Schon die harmloseste, spielerische Magie wurde als ein helles Schimmern sichtbar, das die Körperumrisse des Magiers verschwimmen ließ. Dies war auch der bedauernswerten Sennefrau zum Verhängnis geworden – und so war sie selbst soeben entdeckt worden.

Issa gab Gwenlian unaufgefordert die Antwort auf die Frage, die sie nicht zu stellen wagte. »Meine Königin«, seufzte sie, nun selbst mit zitternden Gliedern. »Wie könnt Ihr nur so unvorsichtig sein! Denkt nur, was für ein Unglück es gewesen wäre, hätte Euch ein anderer als ich gefunden!«

Gwenlian schloss die Augen und ließ sich mit einem leisen Aufatmen in die Arme ihrer alten Zofe zurücksinken. Issas Worte konnten nur eines bedeuten. Obwohl sie auf ihren Lippen noch den bitteren Geschmack der Todesangst schmeckte, wusste sie, dass ihre Dienerin sie nicht verraten würde. Aber das hieß noch lange nicht, dass sie auch vor ihrem Tadel sicher war.

Während die beiden Frauen, eine auf die andere gestützt, durch die langen, gemauerten Gänge der Burg zurückhumpelten, bestürmte die Alte Gwenlian mit Vorwürfen und Ermahnungen, bis ihr am Ende erneut schwindlig wurde. Issa gab erst Ruhe, als sie in das belebtere Innere der Burg kamen, wo sie damit rechnen musste, hinter jeder Biegung der dunklen Korridore auf unsichtbare Lauscher zu treffen.

In Gwenlians Gemächern brannten trotz der hellen Tagesstunde zahlreiche Kerzen, weil die kleinen Öffnungen im Mauerwerk des Frauenturms selbst in dieser Höhe eher Schießscharten glichen als Fenstern und daher nur wenig Licht durchließen. Als sie die mit rotem Samt beschlagene Doppeltür zu ihrem Empfangsraum aufstieß, erwartete sie dort die unvermeidliche Schar der Kammerfrauen, die angesichts der Blässe der Königin sofort wie ein aufgescheuchter Bienenschwarm zu summen begannen. Und wie kleine Insekten fielen sie dann auch über sie her. Oh, wie Gwenlian das hasste! Die eine zog an ihrem Ärmel – wusste die Göttin, was sie damit wollte –, die Nächste machte sich an den abscheulichen Rüschen um ihren Hals zu schaffen, dass ihr die Luft zum Atmen noch enger wurde, und eine Dritte – die Schlimmste von allen, die unansehnliche, hagere Mergusia – zerrte an ihrem Mieder, als wolle sie ihr die Rippen brechen.

Gwenlian hatte das gleiche Bedürfnis, das sie als Kind verspürt hatte, wenn ihre Lehrerinnen sie den an sich harmlosen, aber aufdringlichen Bienen ausgesetzt hatten, die Fiann mit köstlichem Honig und Nektar versorgten. Aus dem Nektar stellte man Weine aller Arten her und die wunderbarsten Süßigkeiten, für die sie als Kind wie auch als junge Frau so manches Ungemach ertragen hätte. Trotzdem – umschwirrt von Hunderten emsiger Bienen, wollte sie nur noch um sich schlagen. Aber sie hielt still, denn sie wusste, dass alles andere ein Zeichen von Schwäche und Torheit gewesen wäre und obendrein gefährlich – denn die Bienen konnten, wenn man sie zu sehr reizte, ihre Stacheln benutzen, und einige davon waren mit einem Gift gefüllt, das zu töten vermochte. Und man würde sich nie ganz sicher sein, welche von ihnen sich als tödlich erweisen konnte.

Mit der eisernen Disziplin, die sie ihrer Ausbildung zur Magierin verdankte, biss Gwenlian die Zähne zusammen, kämpfte gegen den gallebitteren Geschmack des Zorns in ihrem Mund und zwang sich zu einem flachen, tiefen Atem, der ihren fliegenden Herzschlag endlich beruhigte.

Es dauerte nur wenige Sekunden, bis sie sich ihrer Stimme gewiss sein konnte, obwohl die Tortur ihr wie eine kleine Ewigkeit erschien. Dann aber erklärte sie mit einer Selbstsicherheit, die nur Fassade war: »Es ist nichts, meine Damen, wirklich. Nichts von Bedeutung. Nur eine kleine Unpässlichkeit.«

Als sie die wissenden Blicke sah, die ihre Kammerfrauen daraufhin tauschten, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Große Göttin, jetzt würden die Bienen ausschwärmen und ihr dummes Gesumm bis in die letzten Winkel der Burg tragen, und vor dem Abend würde sie überall diese Blicke erdulden müssen. Die Königin trägt wieder ein Kind, würde es heißen. Die Königin ist wieder in gesegneten Umständen, Fál sei gepriesen. Und: Ob es wohl diesmal zu einem glücklichen Ende führen wird? Ob sie diesmal ihrer Pflicht genüge tun und dem König den ersehnten und für das Reich dringend benötigten Erben schenken wird?

Diese Blicke waren schon schwer genug zu ertragen gewesen, bevor die hübsche, blutjunge Kammerfrau Elana Uisnach einen Sohn geboren und diesem einen hochfahrenden Namen gegeben hatte – Bleidwan, nach dem in Caernadon als heilig erachteten Chronisten des Gottes Fál. Niemanden schien es zu interessieren, dass es ein illegitimes Kind war, das niemals den Thron würde besteigen dürfen. Aber vielleicht war auch gerade dies der Grund, warum Gwenlian zunehmend Ungeduld und Missbilligung, wenn nicht gar Verachtung in den Augen der Frauen um sich herum lesen konnte.

Gwenlian schüttelte kaum merklich den Kopf, als könne sie damit den Gedanken vertreiben.

»Nein, Mergusia«, wandte sie sich direkt an die Frau vor ihr, die mit ihren fünfundzwanzig Jahren bereits das übelste Klatschmaul von allen war und von der sie obendrein fürchtete, dass ihr Stachel vielleicht das tödlichste Gift von allen enthielt. »Es ist nicht, wie ihr denkt. Was niemand mehr bedauert als ich.« Sie hob die Hände und zwang sich zu einem unbeschwerten Lächeln. »Ich war auf dem Bergfried wohl zu lange der Mittagssonne ausgesetzt, und mir ist schwindlig geworden.« Als könnte einem Kind des glutheißen Fiann, einem Kind der Wüsten und Vulkane, in diesem lächerlich zahmen Sommer die Sonne etwas anhaben! Aber was wussten diese Frauen schon von der Welt außerhalb ihres kleinen, beschränkten Lebenskreises? Für sie war es durchaus nachvollziehbar, dass man dies schon als »Hitze« empfand.

An alle Frauen gewandt, fuhr sie betont heiter fort: »Aber ich habe vom Bergfried aus gesehen, wie weit die Vorbereitungen für das Turnier schon gediehen sind.« Sie blickte strahlend in die Runde. »Und ich wünsche meine Damen zur Eröffnung der Zeremonien in der Stunde des Pferdes in ihrem edelsten Hofstaat zu sehen. Ihr dürft euch daher zurückziehen, um euch umzukleiden.«

Mit einer gewissen Befriedigung beobachtete Gwenlian, wie die Frauen, die sie soeben noch wie giftige Bienen geängstigt hatten, sich in eine Schar dummer Gänse verwandelten, die schnatternd und plappernd davonstoben. Vielleicht hatte sie ja Glück, und sie vergaßen in dem allgemeinen Aufruhr des Festes, das Gerücht über eine neue Schwangerschaft der Königin unters Volk zu bringen.

Von den Frauen blieb einzig Issa zurück. Als die letzte Kammerdame gegangen war und die schwere, reich geschnitzte Holztür sich mit einem leisen Knarren hinter ihr schloss, machte die alte Zofe sich daran, ihrer Herrin aus dem langen Kleid zu helfen, um ihr das prunkvollere Festgewand anzulegen, das zwölf Näherinnen eigens für diesen Tag in wochenlanger Arbeit angefertigt hatten.

Trotzdem bereitete es seiner Trägerin keine Freude, auch wenn sie das niemals hätte .zugeben dürfen. Die engen, mit hohen Rüschenkragen besetzten Kleider, die die Edelfrauen in Caernadon trugen, waren Gwenlian ebenso fremd wie abstoßend geblieben. Als Tochter Fianns war sie, trotz aller Einschränkungen, die ihr vornehmer Stand mit sich gebracht hatte, doch ein hohes Maß an Freiheit gewöhnt, und sie sehnte sich schmerzlich nach den weiten, auf Bequemlichkeit und schlichte Eleganz bedachten Gewändern ihrer Heimat zurück. Aber es half alles nichts.

Und trotzdem: Während Issa ihr Schicht um Schicht die ungeliebten Kleidungsstücke anlegte und dabei weiter unablässig über ihre Torheit oben auf dem Bergfried schimpfte, ging mit Gwenlian eine Veränderung vor.

Sechs Jahre lang hatte sie versucht, ihrem geliebten Uisnach eine gute Frau zu sein. Sechs Jahre hatte sie sich bemüht, das fremde Hofzeremoniell zu bewältigen, sich in die Sitten und Gebräuche Caernadons einzufügen, in denen die Frau im Gegensatz zu ihrer Heimat so wenig galt. Sechs Jahre hatte sie gehofft und gebetet – zu dem fremden Gott, der ihr so wenig sagte, und zu ihren eigenen Göttern, die ihr in diesem Land bei Androhung eines grausamen Todes verboten waren. Es waren sechs leere, vergebliche Jahre gewesen.

Issa gürtete hinter ihr das weiße, erstickend eng an den Körper geschnürte Hemd, das ihre zwar zierliche, aber doch sehr weibliche Figur betonte. Der Pelzbesatz war aus Hermelin, weiß, wunderbar weich und sehr kostbar. »Wenn nun eine der anderen Frauen statt meiner Euch suchen gegangen wäre ...« Issa, die liebe Seele, hatte sich immer noch nicht beruhigt. Wie gut es tat, dass sie wenigstens eine Freundin auf dieser Burg an ihrer Seite wusste, auch wenn sie eine Biene ohne Stachel war. Issa würde sie nicht verraten, aber sie würde ihr auch niemals helfen oder irgendein »heidnisches« Tun unterstützen.

Während ihre Zofe die ebenfalls engen, mit winzigen, schillernden Perlen aus dem Lirischen Meer besetzten Manschetten um ihre schlanken Handgelenke schloss, wuchs in Gwenlian eine seltsame Gewissheit. Das schreckliche Gefühl der Hilflosigkeit auf dem Bergfried, der Abgrund der Todesangst, hatte sie aus einem jahrelangen Dämmerschlaf gerissen. Wieder erschien mit überdeutlicher Klarheit das Bild der sterbenden Sennerin vor ihren Augen, und sie wusste, dass heute etwas zu Ende gegangen war: Die Frau, die sie sechs Jahre lang zu sein versucht hatte, gab es nicht mehr. Die brave Ehefrau, die gesetzestreue Caernadonerin war oben auf dem Bergfried in den Armen einer alten, treuen Zofe gestorben. Gwenlian 'ahrd Oda, Tochter des uralten Kasseidengeschlechts, war in die Welt der Lebenden zurückgekehrt!

Mit einem unbestimmten, nach innen gewandten Lächeln ließ Gwenlian es zu, dass Issa ihr das dunkelblaue Gewand aus fließender Kokondaseide über den Kopf zog. Die Silberfäden, mit denen es von der Halsborte bis zum Saum durchwirkt war, fingen das unruhige Licht der Kerzen in Gwenlians Gemach auf und warfen es tausendfach zurück.

***

Baukas Wadenmuskeln zitterten. Sein Mund war so trocken wie der Sand der Steppe, die sie vom Land des Feindes trennte, und das Lecken der Wellen an den hohen Felsen vermischte sich mit dem Dröhnen des Herzschlags in seinen Ohren zu einer schaurigen Sphärenmusik.

»Etwas mehr backbord!«, rief er, und keiner der Männer in dem auf und ab tanzenden Boot hätte geahnt, wie viel Mühe es ihn kostete, mit seiner am Gaumen klebenden Zunge etwas anderes als ein Krächzen herauszubringen. »Ja, so ist es gut. Und jetzt in Lee die Riemen einziehen. Behaltet die Position bei!«

Alarich stand am Heck mit einer Hakenstange bereit, um den Korb ins Boot zu ziehen. Ein gewagtes Manöver, das sie leicht alle um ihren Lebensunterhalt bringen konnte, falls das Boot an den Felsen zerschellte, aber Bauka spürte mit allen Sinnen, dass es die Mühe lohnte, diesen kleinen Korb zu bergen. Dass er ihn bergen musste.

Zeitlebens hatte er sich gegen diese weibische, noch dazu gefährliche Gabe des Zweiten Gesichts gewehrt, die von Mutter, Großmutter und Urgroßmutter auf ihn gekommen war und die er selbst an seine Tochter Marte weitergegeben hatte. Meist war es ihm gelungen, sich taub zu stellen gegen die Stimme in seinem Innern, denn er war schließlich ein Mann und von seinem Vater zum rechten Glauben erzogen worden. Aber doch übte diese unglückselige Gabe einen so unwiderstehlichen Zwang aus, dass ihm gar nichts anderes übrig blieb, als ihr zu gehorchen.

Er wusste, was in dem Korb sein würde, noch bevor Alarich ihm das feucht gewordene Weidengeflecht mit verächtlicher Miene in den Arm legte, hatte es im selben Augenblick gewusst, als er das helle Leuchten der weißen Leinentücher zwischen den gewitterschwarzen Felsen aufblitzen sah.

»Es ist ein Kind«, sagte er zu den Ruderern, und seine eigene Stimme klang fremd in seinen Ohren.

***

Marte saß mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoß in einem bequemen Schaukelstuhl am Fenster, so dass das durch hohe Eichen gefilterte Mittagslicht sie beide wärmte. Das Kind war in ihrem Arm eingeschlafen, und sie löste den kleinen, zahnlosen Mund, der schon so fest zupacken konnte, von ihrer Brust. Dann lehnte sie sich zufrieden zurück.

Kein Mann sollte ihre Ruhe stören, kein Mann ihr Leben in andere Bahnen lenken als die, die sie selbst ihm geben wollte. Der Gesang der Vögel, die in ihrem kleinen Wald ungestört von Jägern und Narren ihre Küken aufziehen konnten, erfüllte den Raum, ein vielgestaltiges Zirpen und Jubilieren. Es war wie das Licht, das durch das Fenster fiel – heiter, klar und niemals käuflich. Es war wie Marte selbst.

Die Frauen im Dorf hatten ihr nachgesehen, als das Kind ihren Leib zu runden begann, manche mit mitleidigem Blick, andere mit unverhohlener Häme. Keine von ihnen hätte je verstanden, dass sie dieses Kind bekam, weil sie es wollte. Sie hatte den Zeitpunkt und den Mann, den sie für diese Schwangerschaft brauchte, selbst gewählt, so wie sie von klein auf ihre eigene Wahl zu treffen gelernt hatte.

Gewiss – ein Schatten legte sich über ihre Züge –, ihr Vater ängstigte sich um sie, und das war ihr einziger Kummer. Sie konnte auch ihm nicht begreiflich machen, dass sie es so gewollt hatte.

Das Kind auf ihrem Schoß regte sich im Schlaf. Die winzigen Fäuste geballt, das ganze runzlige Gesichtchen verzogen, reckte es sich genüsslich. Marte lächelte. Sie hatte im letzten Jahr ihren dreißigsten Sommer erlebt – ein Alter, in dem die anderen Frauen im Dorf bereits ausgezehrt waren von den vielen Kindern, die sie ihren herrschsüchtigen Männern gebären mussten –, und gewusst, dass es für sie an der Zeit war. Sie hatte nur noch auf einen Mann gewartet, der sauber und freundlich wirkte und nur auf der Durchreise im Dorf weilte, so dass er nie von dem Kind erfahren würde.

Vorsichtig, um ihren Sohn nicht zu wecken, erhob sie sich und legte den Kleinen in die einfache hölzerne Wiege, die ihr Vater ihr gezimmert hatte. Dann knöpfte sie sich das frische, weiße Leinenmieder zu und machte sich summend wieder an die Arbeit.

Als sie gerade den massigen Holzschlegel aufnahm, um die Milch ihrer Ziegen zu feinem, säuerlichen Quark zu rühren, klopfte es an der Tür, und ihr Vater trat ein.

»Marte, Kind ...«

Sie spürte die versteckte Frage in seiner Begrüßung und ließ seufzend den Schlegel wieder in die Milch sinken. Der schwere Rührlöffel versank mit einem leisen Schmatzen in der zähen Masse.

»Mach dir keine Hoffnungen, Vater. Ich bin allein. Komm, setz dich«, sagte sie, denn sie sah, wie müde er war.

Bauka blickte zur Tür, als könne er sich nicht recht entscheiden, was er tun sollte. Marte, die sein Zögern falsch deutete, schwankte zwischen Ärger und Mitleid. »Ja, Vater, Ege war hier. Und er ist schon wieder gegangen.« Sie zog dem alten Mann einen hohen Küchenstuhl heraus und dann einen Schemel für sich selbst.

Bauka zwinkerte kurz, dann fiel es ihm wieder ein, und einen Augenblick lang vergaß er sogar das Kind draußen in seinem Korb. Seit Marte ein junges Mädchen war, sorgte er sich um sie. Und wenn er davon sprach, sagte sie nur: »Ach Vater, Väterchen«, wie sie ihn in zärtlichen Augenblicken nannte, »Angst willst du also haben? Na, wenn du deine Angst nun einmal zum Leben brauchst, dann ängstige dich um die wirklich wichtigen Dinge, um die das Angsthaben sich lohnt.« Und wenn sie dann sprach, zu ihm oder zu anderen, so klar, so unverblümt in ihrer Rede, dann wurde ihm manchmal wirklich himmelangst um sie.

Bauka betrachtete seine Tochter schweigend: Groß und kräftig war sie, wie die meisten Frauen in Caernadon, aber dabei weder zu hager noch zu dick, sondern mit einer Figur, um die sie viel beneidet wurde. Mit ihren braunen Haaren und Augen wäre ihr Gesicht normalerweise eher unauffällig gewesen, eines von jener Sorte, die man leicht wieder vergaß. Aber bei Marte war nichts so einfach, wie man auf den ersten Blick hätte hoffen dürfen. Sie hatte ein Muttermal – viele Menschen hatten solche Male, die man »Hexenkuss« nannte und die im Allgemeinen nicht weiter auffielen. Aber Martes Hexenkuss prangte, dunkel und herausfordernd, auf ihrer Stirn, mitten zwischen den Augen und verlieh ihrem Gesicht etwas Ungewöhnliches, das vielen Menschen Angst machte. Es war, als sei seine Tochter bereits bei ihrer Geburt besonders gezeichnet worden.

Und nun hatte sie vor zwei Wochen ein Kind geboren Jungfer Marte hatte ein Kind geboren! Und Jungfer Marte trug den Kopf noch höher denn je. Und als zwei oder drei brave Männer, die eine Frau für ihren Hausstand brauchten und daher verzweifelt genug waren, sich von einer entehrten Frau mit einem in Schande empfangenen Balg nicht abschrecken zu lassen, ihr Anträge machten, hatte Marte sie alle – sehr höflich, aber sehr unmissverständlich – abgewiesen. Und nun auch noch Ege! Es war zum Verzweifeln. Oder wäre es gewesen, wäre Marte nicht eben – Marte.

»Ege ist ein guter Mann«, sagte er lahm und ohne wirkliche Hoffnung.

»Ja, Vater, ich weiß. Und er wird für eine andere Frau sicher einmal einen ordentlichen Gatten abgeben.« Sie legte ihm sanft eine Hand aufs Knie, und wie immer verscheuchte ihre Berührung für kurze Augenblicke sogar den Schmerz der Gicht aus seinen Gliedern.

Plötzlich richtete Marte sich auf. »Was war das?«

Das Kind! Ein neuerlicher Schreck fuhr Bauka in die Glieder. »Marte ...«, stammelte er. »Ich wusste nicht, was ich tun sollte.« Er zuckte hilflos die Achseln und zeigte zur Tür.

Marte wartete nicht, bis ihr Vater den großen hellen Raum, aus dem ihre Hütte bestand, durchquert hatte. Mit schnellen Schritten war sie zur Tür hinaus und bückte sich nach dem Korb, der im Schatten des überhängenden Strohdachs stand und aus dem jetzt ein vertrautes, zorniges Brüllen kam.