Trilogie der Streitenden Reiche - Band 3: Der Stein der Gnade - Catherine O'Donell - E-Book
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Trilogie der Streitenden Reiche - Band 3: Der Stein der Gnade E-Book

Catherine O'Donell

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Beschreibung

Das magische Finale: „Der Stein der Gnade“, dritter Roman der TRILOGIE DER STREITENDEN REICHE von Catherine O‘Donell, jetzt als eBook bei dotbooks. Nur wer reinen Herzens ist, kann größte Opfer bringen … Sein Name wird mit Blut geschrieben: Sanor, der dunkle Gott, ist aus seinem langen Schlaf erwacht und sprengt nun auch die letzten Ketten, die ihn Jahrhunderte fesselten. Nur eine kann sich ihm auf seinem Eroberungszug noch entgegenstellen: Eirion, Kind der drei Welten, die Prinzessin aus dem magischen Volk der Schwäne, aufgewachsen bei den Menschen und diesen in Liebe verbunden. Doch was ist ihre wichtigste Waffe im letzten Kampf gegen das Böse: der geheimnisvolle Stein der Gnade oder ihr Mut, der sie selbst in dunkelsten Stunden nicht verlässt? Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Der Stein der Gnade“, dritter Roman der TRILOGIE DER STREITENDEN REICHE von Catherine O‘Donell. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Über dieses Buch:

Nur wer reinen Herzens ist, kann größte Opfer bringen … Sein Name wird mit Blut geschrieben: Sanor, der dunkle Gott, ist aus seinem langen Schlaf erwacht und sprengt nun auch die letzten Ketten, die ihn Jahrhunderte fesselten. Nur eine kann sich ihm auf seinem Eroberungszug noch entgegenstellen: Eirion, Kind der drei Welten, die Prinzessin aus dem magischen Volk der Schwäne, aufgewachsen bei den Menschen und diesen in Liebe verbunden. Doch was ist ihre wichtigste Waffe im letzten Kampf gegen das Böse: der geheimnisvolle Stein der Gnade oder ihr Mut, der sie selbst in dunkelsten Stunden nicht verlässt?

Über die Autorin:

Catherine O’Donell ist ein Pseudonym, unter dem eine bekannte Übersetzerin und Autorin von historischen Romanen ihre Fantasyromane veröffentlicht. Sie lebt und arbeitet in Nordrhein-Westfalen.

Catherine O’Donells TRILOGIE DER STREITENDEN REICHE umfasst die folgenden Romane:

Der verbotene See

Das Land der zwei Könige

Der Stein der Gnade

***

Neuausgabe Januar 2015

Copyright © der Originalausgabe 2004 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Copyright © der Neuausgabe 2015 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Nele Schütz Design, München, unter Verwendung eines Bildmotivs von Thinkstock

ISBN 978-3-95520-669-7

***

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Catherine O‘Donell

Die Trilogie der Streitenden Reiche

Dritter Roman: Der Stein der Gnade

dotbooks.

Die Götter wollen nicht verehrt, sie wollen geliebt werden.

WAS BISHER GESCHAH

Gwenlian, Prinzessin des Reiches Fiann, hat König Uisnach geheiratet, den Herrscher des rivalisierenden Landes Caernadon. Die Verbindung, die beiden Ländern Frieden bringen soll, erweist sich für Gwenlian als Fehler, denn Uisnach wendet sich mehr und mehr von ihr ab und zeugt gar mit einer Magd jenen Thronerben, den Gwenlian ihm nicht geben kann. Für Gwenlian, die magiekundige Priesterin der Göttin, ist das Leben in Caernadon wenig erfreulich. Die Kirche des Gottes Fál duldet keine Magie, und der Rat der Hexer wacht über die Einhaltung dieses Gebotes. Nichtsdestotrotz beginnt sich Magie zu regen im Reich Caernadon – und es ist eine üble Form ohne Gestalt und Namen, die lediglich feinfühlige und eingeweihte Menschen wie Gwenlian wahrnehmen können.

Eines Tages bringt die junge Bäuerin Marte ein Findelkind zu Gwenlian, das diese als Tochter annimmt und dem sie den Namen Eirion gibt. Damit Eirion akzeptiert wird, muss Gwenlian gar einen Bund mit den einflussreichen Hohepriester Marban eingehen. Marban sieht in Eirion Kräfte am Werk, die er beizeiten für sich selbst nutzen könnte. In der Tat ist Eirion kein gewöhnliches Mädchen: Sie heißt in Wirklichkeit Anu und ist die Tochter des Schwanenkönigspaares Nuria und Olfros, der Herrscher von Anguli, des letzten der Sieben Reiche der Unschuld, das bis zum heutigen Tag überlebt hat. Und sie ist dazu ausersehen, der Ausbreitung des Bösen in der Welt der Dinge, in den Reichen Caernadon und Fiann, entgegenzutreten.

Verbindungen zwischen dem Reich der Dinge und dem Verbotenen See des Schwanenreiches sind untersagt, dennoch gibt es für Königin Nuria keine andere Möglichkeit, als ihre Tochter in die Menschenwelt zu entlassen, denn das Böse, das sich dort unmerklich ausbreitet, bedroht auch das letzte intakte Reich der Sieben, das sich vor undenkbar langer Zeit den Plänen des bösen Gottes Sanor entziehen konnte. Sanor hat durch seine Intrigen vor Äonen bereits die sechs anderen Reiche der Unschuld zerstört, das der Feen, der Bergelfen, der Sumpfleute, der Schattentrolle und der Niav, sogar das seinen eigenen Volks, der Faune, bevor er selbst gebannt werden konnte.

Der Schwanenmensch Lado hat nun bereits die Grenze Angulis übertreten und mit einer Menschenfrau ein Kind gezeugt, den Knaben Arild – eine Affäre, die ihn die Zugehörigkeit zum Schwanenvolk kostet: Er wird verstoßen.

Gwenlian, deren Magie nach Jahren der Unterdrückung wieder erwacht, bildet insgeheim Frauen zu Priesterinnen der Göttin aus, denn sie weiß, dass nur diese in der Lage sein werden, dem aus dem Norden heraufziehenden Bösen etwas entgegenzusetzen. Auch Eirion erfährt eine solche Ausbildung, ebenso wie Mattes Kinder Diann und Tarannis. Diann wurde gezeugt, als Marte eine Nacht mit dem mysteriösen, zauberischen Selall verbracht hat, und das störrische Mädchen macht Marte bald Sorgen.

Während der pestilenzartige Gestank aus den nördlichen Sümpfen immer stärker nach Caernadon hineinweht und unnatürliche Stürme das Land beuteln, stirbt im Reich Fiann die Königin, und Gwenlians Schwester Brenna reißt den Thron an sich. Sie hält nichts von Frieden und will zudem eine persönliche Schmach bereinigen: Gwenlian hat ihr damals Uisnach als Ehemann weggenommen. Es kommt zum Krieg zwischen Fiann und Caernadon, in dem Fiann wegen seiner Magie überlegen ist. Bald marschiert Brennas Armee auf Caernadon, der Rat der Hexer ist machtlos, und es sind nun Gwenlian und ihre Priesterinnen, die das Land retten müssen. In einem magischen Duell tötet Gwenlian Brenna, wird dabei aber selbst tödlich verletzt. Bei einem Anschlag auf Eirion, Gwenlians wichtigste Helferin, stirbt Martes Sohn Tarannis. König Uisnach wird von einem fanatischen Fál-Priester ermordet, der nicht dulden kann, dass der Herrscher Hilfe von Priesterinnen annimmt.

Die Ausbreitung des Bösen vergiftet die Herzen der Menschen, und die magischen Kinder, jene Wesen zwischen Menschen- und Schwanenwelt, müssen in Sicherheit gebracht werden, denn auf ihnen lastet die Verantwortung, die Harmonie einst wiederherzustellen: Arild und Lado übertreten die Grenze zum Verbotenen See, und auch Eirion begibt sich mit ihrem Falken Barko auf die Reise in jenes Land, aus dem sie selbst stammt.

Unterdessen lässt Priester Marban sich zum König ausrufen, nachdem er alle Konkurrenten aus dem Feld geschlagen hat. Er zehrt heimlich vom Purpurnen Feuer, einer Magie, durch die der verbannte Gott Sanor zu ihm spricht und ihm die Jugend bewahrt. Die Hexe Rikka, eine mit Marban verbündete abtrünnige Fianna, hemmt Eirions Reise nach Anguli mit bösem Zauber, jedoch wird das Mädchen gerettet von der Kätnerin Salba aus Lemmas, die sie aufnimmt. Aber die Sitten in Lemmas sind rau. Marban hat mit der Verbreitung der Droge Santax weite Teile der Bevölkerung unter Kontrolle gebracht.

Während des Lemmas-Marktes wird Eirion von pöbelnden Wächtern angegriffen. Ihr Falke Barko kann sie vor dem Schlimmsten bewahren, jedoch wird Eirion nun der Hexerei verdächtigt. Mit Hilfe von Salba und weiterer Frauen kann sie die Vorwürfe vorerst abstreifen, und Salba bringt sie in Kontakt zu Zigeunern, die gerade in der Stadt lagern. Hier lebt die mysteriöse alte Radscha, eine Magierin unbekannter Herkunft, die in Eirion die geweissagte Tochter der drei Welten erkennt, jenes Wesen, welches das erneute Vordringen des Gottes Sanor, des Einen und Ersten, verhindern kann. Tatsächlich ist Eirion mit drei Welten verbunden: der Angulis, wo sie geboren wurde, der Caernadons und der Fianns, woher ihre Ziehmutter Gwenlian kam. Radscha stellt Eirion Tork zur Seite, einen jungen Einsiedler, in den Eirion sich verliebt. Tork ist der letzte Hüter des Steins der Gnade, eines magischen Artefakts aus uralter Vergangenheit, das Eirion die Macht verleihen soll, ihrer Bestimmung gerecht zu werden.

Tork bringt Eirion rechtzeitig aus Lemmas fort, ehe die Jünger des Gottes Fál sie doch noch als Hexe aburteilen können. Einer weiteren Attacke Rikkas können sie ebenso entgehen, bevor Tork Eirion auf einem Handelsschiff den Fluss Ank hinauf bis nach Anguli bringt, wohin Eirion jedoch nur allein gehen kann. In Luba startet Rikka eine neue, raffinierte Attacke. Mattes Tochter Diann, eine aggressive, scharfzüngige junge Frau, gezeugt von dem ominösen Selall, hat sich von ihrer Mutter losgesagt und ist in die Dienste Rikkas getreten. Diese benutzt sie nun, um auf magischem Weg über die Linien der Macht nach Luba zu reisen, Eirion den Stein der Gnade zu stehlen und ihn gegen eine Attrappe auszutauschen.

Rikka benutzt nun den Stein, um den verbannten Gott Sanor aus seinem Gefängnis zu befreien, dem Za'mar-a, einer zu einem steinernen Baum erstarrten Quelle der Magie, deren Macht allein in der Lage war, das Böse jahrtausendelang gefangen zu halten. Drei dieser Quellen gibt es in der Welt, und nur eine ist noch nicht unter Sanors Kontrolle. Sie liegt in der Wüstenoase Buláll – und von ihr zehren die Priesterinnen der Fianna.

Marban muss feststellen, dass das Purpurne Feuer erloschen ist und nicht mehr mit ihm spricht. Er entwickelt des Weiteren ein starkes Interesse für Ila, eine neue Sklavin Rikkas, die von geheimnisvoller Abstammung ist. Den Zudringlichkeiten Marbans erwehrt sich Ila noch durch ein Schlafmittel, das ihn aufhält, aber die Vorräte gehen zur Neige.

Eirion trifft auf Lados Sohn Arild, der sie nach Anguli führt. Als sie in den Grotten der Seelen, dem Zugang zu Anguli, die Kraft des Steins der Gnade ausprobieren will, rührt dieser sich nicht. Eirion verbringt eine Liebesnacht mit Tork, ehe die beiden sich trennen müssen.

Aber auch in Anguli haben sich die Dinge verändert. Missgunst und Fehlverhalten haben dazu geführt, dass die Autorität von Schwanenkönig Olfros und seiner Gattin Nuria geschwächt wurde. Die beiden Wortführer der Opposition, Bibiana und Nimu, wollen König und Königin absetzen, aber es hat sich etwas ereignet, das aller Aufmerksamkeit bedarf: Eine Gruppe junger Unzufriedener hat sich aus Anguli fortgestohlen, um in der Welt der Dinge ihr Glück zu versuchen. Die Gefahr ist groß, dass sie durch ihr Auftreten in der Menschenwelt auf die Existenz Angulis aufmerksam machen und es so der endgültigen Zerstörung anheim geben.

Derweil ist der zornige Sanor erwacht und schart ein Heer aus Geistern und alten Vertrauten, den Faunen, um sich. Seine wichtigsten Ziele sind die Eroberung der Quelle von Buláll und die Ausschaltung Eirions.

PROLOG

Im Jahr 2089 nach Fál, dem Jahr 816 nach der Neugründung des Alten Reiches unter Eirion, Einerin der Reiche und Bewahrerin des Friedens, Hohepriesterin und Königin in der Nachfolge des Kasseidengeschlechts, Statthalterin der Neuen Göttin, deren Kommen dem Ork Nuado verheißen ist.

***

Eirion spricht:

Die Wüste. Sanfte Dünenriesen, so weit der Blick reicht. Gleißendes Licht, so viel das Auge ertragen kann. Und Weite – so viel Weite, wie die menschliche Seele zu erfassen es wagt. Sandzikaden zirpen ihren unirdischen Gesang, Wüstenuhus gleiten mit lautlosem Flügelschlag über das Land, flüchtige kleine Schatten in dieser golden schimmernden Welt. Hier und da ertönt der dünne, heisere Ruf eines hungrigen Schakals, eindringliche Mahnung, dass auch hier noch das Gesetz des Stärkeren gilt, dass der Friede der Wüste ein trügerischer ist. Nirgendwo liegen Tod und Leben so dicht beieinander wie hier.

Und hierhin habe ich mich zurückgezogen, um meine Chronik zu vollenden. Nur hier, wo die Stimmen von Wind und Sand, von Meer und Ewigkeit zu mir sprechen, ist mein Geist so frei und klar, dass ich von den furchtbaren und von den schönen Dingen jener Zeit erzählen kann, ohne befürchten zu müssen, dass mein eigener Kummer und mein eigenes Urteil mich blind machen gegen die vielen Gesichter der Wahrheit.

Die Amtsgeschäfte in Neu-Léth habe ich für die Dauer meiner Abwesenheit in die Hände der erfahrenen, verlässlichen Priesterinnen des Hohen Rats gelegt, die mein volles Vertrauen genießen. Offiziell bin ich hier, um den Bau des Neuen Tempels für die Göttin zu überwachen und ihn in allen Phasen seiner Fertigstellung mit meiner Magie zu begleiten, damit die Göttin eines Tages darin Wohnung nehmen möge.

Der Neue Tempel ... Ein trauriges Lächeln legt sich über meine Züge, ein Lächeln, das in den Augen schmerzt. Denn ich weiß, wie nutzlos dieser Tempel sein wird. So nutzlos, wie alle Tempel es sind. Aber die Menschen wollen solche Bauten, weil sie glauben, ihren Göttern dort näher zu sein.

O ihr Narren! Als brauchten die Götter Steine und Mörtel, um gegenwärtig zu sein! Strahlend und weiß erheben sich die Mauern des Neuen Tempels in den Himmel, als wollten sie den Mond und die Sterne umarmen. Doch sie werden niemals zu ihnen hinaufreichen, so wenig wie die Pracht ihrer Altäre in den Seelen der Menschen jenen wunderbaren Widerhall wecken wird, den die Schönheit eines einzelnen Blattes, das aus einer Knospe bricht, zu erzeugen vermag.

Aber die Menschen werden noch lange Tempel und Kirchen bauen und Gott in der Dunkelheit suchen, weil sie ihn im hellen Licht der Sonne und den silbernen Strahlen des Mondes nicht erkennen.

Und ich gebe ihnen, was sie wollen, wider besseres Wissen und obwohl ich lange dagegen gekämpft habe. Selbst in den Reihen der Priesterinnen ernte ich nur Unverständnis, wenn ich sage, dass das Göttliche – welchen Namen sie ihm auch geben – nicht mit steinernen Kirchen verehrt werden will, sondern mit dem Leben und dem Alltag eines jeden Einzelnen von uns. Jedes frohe Lied ist Gebet, jedes freundliche Wort, das der Wind von einem Menschen zum anderen trägt, ist Huldigung. Jedes Brot, das mit Liebe gebacken wird, ist Opfergabe. Und überall dort, wo ein Mensch schweigend und ehrfürchtig zu den Sternen aufblickt, ist Gott Gegenwart.

Aber die Menschen sind noch nicht reif für dieses größte und letzte Mysterium des Lebens, und so werde ich ihnen also einen weiteren Tempel geben. Vielleicht können die meisten von ihnen die Nähe des Göttlichen auch nur in der gezähmten, sicheren Umfriedung hoher Mauern ertragen, weil es in seiner gewaltigen, ungezähmten Wildheit das Fassungsvermögen ihrer Seelen übersteigt.

Eines Tages ... vielleicht eines Tages.

Der Neue Tempel wird an dem Ort gebaut, an dem drei Gebiete der Wüste zusammenstoßen, die ich besonders liebe: das Meer der Tausend Stimmen, das Blaue Labyrinth und der Garten der Götter. Es war eine egoistische Entscheidung, denn ich werde oft hier sein.

Die Sonne, ein glühender, roter Ball, steht jetzt dicht über dem Horizont, und mit dem Abend werden immer neue Stimmen laut. Die Arbeiter, die in den heißen Mittagsstunden geruht haben, nehmen ihr Werk mit neuem Elan wieder auf. Es sind starke, gesunde Männer, die einen guten Lohn für ihre Mühe erhalten; Sklaven gibt es schon lange nicht mehr, weder in Fiann noch andernorts auf dem Ork Nuado.

Ich sitze mit untergeschlagenen Beinen im Sand, und immer wieder streifen mich besorgte Blicke der jungen Priesterschülerinnen, die das Missgeschick haben, mich in diesen Wochen bedienen zu müssen. Ich nenne es ein Missgeschick, weil sie selbst es so empfinden. Sosehr ich die Wüste liebe, so wenig ist es mir bisher gelungen, diese Begeisterung auch in anderen zu entfachen. Die jungen Frauen, die alle in der Sicherheit ihrer Städte fernab des Wüstensandes aufgewachsen sind, fürchten indes weniger um sich selbst als um mich, weil ich alle Vorsichtsmaßnahmen außer Acht lasse, die sie für lebenswichtig halten. So benutze ich keins der großen, steifen Sitzkissen aus den Schneiderwerkstätten Neu-Léths. Sie werden aus einem speziellen, undurchlässigen Material genäht, das weder die Giftzähne der zahlreichen Schlangenarten der Wüste durchdringen noch der Stachel eines Skorpions. Aber ich liebe das Gefühl des weichen, atmenden Sandes unter mir – und ich weiß, dass kein Tier der Wüste mir jemals ein Leid antun würde. Denn hier, im ganzen Gebiet zwischen dem Großen Schweigen im Norden und dem Land des Durstes im äußersten Südwesten, ist noch die alte Magie wirksam, und die Tiere, die hier ihren Ursprung haben, erkennen mich als Teil dieser Magie und achten mein Leben so wie das ihre. Einzig von den wenigen überlebenden Suscha-Tigern, die vor allem nachts hungrig das Land durchstreifen, droht mir Gefahr, denn sie entspringen nicht der Wüste und befolgen kein Gesetz als das ihre. Es sind wunderschöne Geschöpfe, die Suscha-Tiger, seltsam und sehr alt – so alt wie die Zeit selbst vielleicht. Wer weiß? Ich habe sie nur einmal aus der Nähe gesehen, und es war ein wahrhaft Ehrfurcht gebietender Anblick, den sie boten. Eine schweigende, wachsame Phalanx von Kriegern, fast mannshoch, mit bronzefarbenem Fell und einem dolchscharfen Horn auf der Stirn. Und sie hatten sich der Führung eines Mannes unterstellt, den ich nur allzu gut kannte ...

Aber das gehört nicht hierher, und diese Abschweifung mahnt mich, den Faden meiner Geschichte wieder aufzunehmen und mit meiner Chronik fortzufahren. Denn ich spüre, dass nicht mehr viel Zeit bleibt, bevor ein neuer Kampf beginnen wird – und es wird ein furchtbarer Kampf werden, auch das sagt mir mein Gefühl.

Nun denn.

Die Sonne ist jetzt nur noch ein schmaler, goldener Streifen, der am Horizont mit dem unendlichen Sandmeer der Wüste verschmilzt. Aus ihren letzten Strahlen webe ich ein Netz aus Licht und werfe es über die Tempelstätte, damit die Arbeiter in den kühlen Stunden des Abends ihr Werk fortsetzen können. Sie werden in dem weißen, körperlosen Licht, dessen Magie mich meine wunderbare Freundin Radscha gelehrt hat, bis zum Sonnenaufgang arbeiten und sich dann niederlegen, um zu ruhen, während ihre Kameraden ihr Werk fortsetzen. Die Männer arbeiten in zwei Schichten, denn es soll eine ganze Tempelstadt hier in der Wüste entstehen, und sie soll bis zum Fest der Regenbogengöttin in sechs Monaten fertig gestellt sein.

Vom Lagerplatz der Handwerker trägt der Abendwind vertraute Gesänge zu mir herüber; einige junge Zigeuner haben sich den Arbeitern angeschlossen, und ihre leisen, sehnsüchtigen Lieder berühren meine Seele stets auf eine besondere Art. Ich glaube nicht, dass sie bis zur Fertigstellung des Tempels bleiben werden; es hält sie niemals lange an einem Ort, und ich weiß, ich werde es bedauern, wenn sie weiterziehen, denn so wie die Wüste bedeuten auch die Zigeuner ein Stück Heimat für mich. Wie die Wüste scheinen sie dem Leben selbst näher zu sein, jener Urkraft des Lebens, die Wahrhaftigkeit und Wahrheit bedeutet und die es mir auf seltsame Weise erleichtert, ruhigen Sinnes meine Geschichte zu erzählen.

Von einem ihrer Lagerfeuer stieben jetzt Funken in den dunklen Himmel auf; der Ruf des Schakals weht körperlos und geisterhaft über die Wüste, die Zimmerleute der Nachtschicht hämmern ein Holzgerüst für den nördlichen Glockenturm des Tempels ... Und meine Gedanken lösen sich vom Hier und Heute und treten einmal mehr die Reise durch Raum und Zeit an, um den geheimen Ort der Vergangenheit zu besuchen.

KAPITEL 1

Im Jahr 1002, in Tarlin

Marban, der sich jetzt König der Vereinten Reiche von Caernadon und Sonniana nannte, atmete tief den kühlen Morgenwind ein, der über die Zinnen von Burg Tarlin wehte. Doch wie erwartet brachte ihm das keine Erleichterung. Der Gestank des Bitterklees klebte in seinen Lungen und floss mit seinem Blut durch seinen Körper. Vier Mal in den letzten Monaten hatte der Gestank Tarlin heimgesucht, jedes Mal spät am Abend, um sich dann mit den ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages wieder zu zerstreuen. Und er schien in der Burg selbst seinen Ursprung zu haben, denn nirgendwo war der Geruch so durchdringend wie dort. Als der Ekel erregende Pesthauch sich zum zweiten Mal über die Stadt legte, hatte Marban von seinen Soldaten jeden Winkel der Burg durchsuchen lassen. Doch die Männer hatten nichts gefunden – auch nicht beim dritten Mal und auch nicht in der vergangenen Nacht ...

Marban schlug mit der Faust auf das Geländer der Brustwehr und zuckte zusammen. Ein stechender Schmerz, von dem er wusste, dass er den Namen »Gicht« trug, fuhr ihm bis in die Schulter hinauf. Übelkeit wollte in ihm aufsteigen, die Übelkeit ohnmächtiger Angst, doch er kämpfte diese Regung mit unbarmherziger Disziplin nieder. Seit das Purpurne Feuer vor etwa vier Monaten erloschen war, holten die Jahre, die er anderen gestohlen hatte, ihn mit Macht ein. Und obwohl er in jeder freien Minute mit der kleinen schwarzen Öllampe experimentiert und jede ihm verfügbare Magie zu Hilfe genommen hatte, blieb das Purpurne Feuer stumm. Nur ein einziges Mal hatte er geglaubt, eine Reaktion bei der Öllampe zu spüren, einen Funken Leben, der sich in dem bauchigen kleinen Gefäß regte. Es mochte reiner Zufall gewesen sein, dass jene seltsame weiße Seide bei diesem Experiment auf seinem Pult gelegen hatte. Und vielleicht war es auch tatsächlich nicht mehr als ein Zufall, denn es geschah kein zweites Mal. Schließlich hatte er in seiner Verzweiflung sogar versucht, das Purpurne Feuer wie eine ganz gewöhnliche Öllampe zu benutzen – er hatte die kostbarsten Öle, die auf Burg Tarlin zu finden waren, in den kleinen Behälter gefüllt und geduldig einen brennenden Holzspan an den Docht gehalten –, aber die Öllampe verweigerte ihm selbst diesen alltäglichen Dienst. Dieses letzte Experiment hatte dem König von Caernadon und Sonniana jedoch keineswegs den Mut genommen – vielmehr war seine Hoffnung gewachsen, als der ölgetränkte Docht sich stets aufs Neue der Flamme widersetzte. Das Purpurne Feuer hatte seine Magie also nicht gänzlich verloren; aus irgendeinem Grund verwehrte es ihm nur plötzlich den Gehorsam. Und es gab für ihn keinen Zweifel daran, welchen Namen dieser Grund trug.

Marban wandte den Blick nach Norden, wo jenseits der Provinz Orra die Sümpfe der Verlorenen begannen. Und im Herzen dieser Sümpfe lag Mara, ein Ort, den er nie mit eigenen Augen gesehen hatte und der doch seit vielen Jahren sein Denken beherrschte. Was war geschehen in Mara? Wo, wenn nicht dort, war Sanor, der jetzt seit Monaten mit ihm spielte wie eine fette, satte Katze mit einer Maus, die sie nur zum Vergnügen quälte?

Wieder schlug Marban auf das Geländer, und diesmal trieb ihm der Schmerz die Tränen in die Augen und raubte ihm den Atem. Beim allmächtigen Fál! Seine Knochen waren so trocken und brüchig wie die eines Greises. Stöhnend rieb er sich die dünn gewordenen Finger – und fuhr jäh herum.

Ein Laut, der beinahe wie ein Kichern klang, bösartig und vertraut, hatte ihn aufgeschreckt.

»Fühlt Ihr Euch heute Morgen nicht wohl, König von Caernadon und Sonniana?«

Ein hoch gewachsener Fremder stand vor ihm, so nah, dass er nur die Hand hätte auszustrecken brauchen, um ihn zu berühren. Der Mann überragte ihn um Haupteslänge. Er trug ein enges, grünes Wams, das sich über seinem ungewöhnlich muskulösen Körper spannte, als werde es bei der ersten unbedachten Bewegung bersten. Auch seine Beinkleider waren geradezu obszön eng geschnitten und zeichneten sein übergroßes Geschlecht nach.

»Wie kannst du es wagen«, fuhr Marban auf, »dich deinem König zu nähern, ohne ...«

Das Wort erstarb ihm in der Kehle. Eine widerliche, stinkende Wolke flog auf ihn zu und hüllte ihn ein wie ein erstickendes Tuch. Entsetzt sprang er zurück und prallte schmerzhaft gegen das eiserne Geländer der Brustwehr.

Und dann begriff er.

»Du!«, stieß er hervor, einen Moment lang außer Stande, seine Gedanken zu sammeln.

Das vertraute Lachen antwortete ihm, ein Lachen wie das Zischen einer Schlange. Das Bild des Fremden schimmerte kurz, die wilden schwarzen Haare, die ihm bis auf die Schultern reichten, schienen sich zusammenzuziehen und gleichzeitig wie geschmolzenes Harz seinen ganzen Körper hinunterzufließen, bis ein dunkles, bläuliches Fell seine Arme überzog, sein Wams verdrängte und schließlich bis zu den Füßen hinunterwogte. Bis zu den Füßen ...

Mit weit aufgerissenen Augen sah Marban zu, wie das Fell über die Knöchel des Mannes kroch und seine Füße sich unerträglich krümmten, unmöglich, unmenschlich ...

Wie unter Zwang ließ Marban den Blick von den drei gebogenen Krallen, die an die Stelle der Zehen getreten waren, wieder nach oben wandern. Schwarze, feucht glänzende Schwingen hingen von den ausgestreckten Armen des Fremden herab, flatterten wie große, lederne Tücher im Morgenwind. Die Ohren der Kreatur schienen mit dem Kopf verschmolzen zu sein; dafür wuchsen über seinen Schläfen jetzt spitze, in sich gedrehte Hörner aus dem Schädel. Ohne es zu wollen, flog Marbans Blick noch einmal am Körper des anderen herunter und verharrte auf dem gewaltigen, erigierten Etwas, das aus seinen Lenden ragte.

Wieder erklang das unangenehme Lachen des Mannes, der sich der Eine und Erste nannte, dann schimmerte seine Gestalt aufs Neue, und so schnell, als wäre sein Anblick nur ein Trugbild der Sonne gewesen, hatte er wieder seine menschliche Gestalt übergestreift.

»Hast du genug gesehen, König von Caernadon und Sonniana«, erkundigte er sich mit katzenhafter Freundlichkeit, »oder möchtest du dich noch ein Weilchen länger an meinen besonderen Vorzügen ergötzen?«

Marban atmete vorsichtig ein und stellte zu seiner Erleichterung fest, dass der überwältigende Gestank des Bitterklees sich zerstreut hatte. Er füllte seine Lungen mit frischer Morgenluft, dann zog er, so arrogant er es vermochte, die Augenbrauen in die Höhe. Aber noch ehe er Sanors dreiste Unterstellung entrüstet zurückweisen konnte, legte der Eine und Erste den Kopf in den Nacken und ließ sein Gelächter über den Wehrgang schallen, dass Marban befürchtete, es müsse bis hinunter nach Tarlin-Stadt zu hören sein.

»Erspar mir deine Empörung, König«, erklärte Sanor höhnisch. »Glaubst du, es sei mir in all den Jahren unserer geschätzten Freundschaft entgangen, dass ein gut gebauter Knabe dich mindestens so sehr beflügelt wie eine Frau mit breiten Hüften und vollen Brüsten?« Sanor hob die Hand, um jeden Protest von Seiten Marbans im Keim zu ersticken, und Marban begriff, dass er nicht noch einmal den Fehler machen durfte, den Einen und Ersten zu unterschätzen. Mochte Sanor ruhig wissen, dass er ab und zu nichts gegen einen schönen jungen Mann einzuwenden hatte – was schadete es? Es gab weitaus wichtigere Angelegenheiten zu besprechen.

Marban zuckte geringschätzig mit den Schultern. »Ich nehme an, du bist nicht den weiten Weg von Mara nach Tarlin gekommen, um dich mit mir über meine Neigungen zu unterhalten?«

Das spöttische Grinsen verschwand aus Sanors Zügen, und Marban richtete sich ein wenig höher auf.

Vorsicht!, ermahnte er sich. Es würde seiner Sache nicht dienen, den Einen und Ersten zu erzürnen; andererseits durfte er keine Schwäche zeigen, denn diese Eigenschaft schätzte Sanor bei seinen Verbündeten nicht; so viel hatte er in den langen Jahren ihrer »geschätzten Freundschaft« begriffen.

Einen Herzschlag lang maßen sich die beiden Männer mit Blicken. Aus den Augenwinkeln sah Marban zwei Diener mit Kehrbesen und Schaufel um die Ecke des Wehrgangs kommen, um ihren allmorgendlichen Rundgang dort zu machen. Mit einer schroffen Handbewegung schickte er die beiden weg. Im gleichen Augenblick trug der Wind aus der anderen Richtung Bruchstücke eines Gesprächs zu ihnen herüber – es musste inzwischen die Zeit des Wachwechsels sein, und in Kürze würde es auf dem Wehrgang von Soldaten nur so wimmeln.

Marban sah ihn abwartend an. »Nun, König von Caernadon und Sonniana, willst du dir nicht anhören, was ich zu sagen habe?«

Heiseres Gelächter wurde laut, raue Männerstimmen kamen näher.

Marban biss die Zähne zusammen und zeigte mit dem Kopf auf den dunklen Treppenaufgang, der in die Burg hinunterführte. »Was immer es ist«, erwiderte er knapp, »es wird warten müssen, bis wir in meiner Amtsstube sind.«

***

Im gleichen Augenblick, als er seine Amtsstube betrat, wusste Marban, dass es ein Fehler gewesen war, hierher zu kommen. Auf seinem Pult stand noch immer das Purpurne Feuer, mit dem er auch am vergangenen Abend wieder experimentiert hatte. Daneben lagen schwarze Kerzen, Spiegel und andere Artefakte, denen frühere Magier Zauberkräfte zugeschrieben hatten, die ihm, Marban, jedoch nicht viel nutzten, da sein Zugriff auf ihre Magie trotz all seiner Bemühungen immer noch viel zu gering war.

Vor allem aber lag dieses kleine Häufchen weißen Stoffs auf seinem Pult, auf das er in den letzten Wochen so viel Hoffnung gesetzt hatte ...

Es war unmöglich, irgendetwas von alledem vor Sanor zu verbergen, der unmittelbar nach ihm eintrat, und Marban unterdrückte jede Regung, es auch nur zu versuchen. Stattdessen ging er mit langen, entschlossenen Schritten um den Tisch herum zu dem Lehnstuhl, auf dem schon Uisnach gesessen hatte und vor ihm dessen Vater und Großvater. Auch wenn Marban es vorgezogen hätte, Sanor nichts von seinen verzweifelten Experimenten mit dem Purpurnen Feuer sehen zu lassen, so gab ihm dieser Raum, den schon der große Ahud benutzt hatte, ein wenig von seiner Zuversicht zurück. Er war kein Niemand, der um ein Almosen bettelte! Er war Marban, Priester des All-Einen Gottes und König der Vereinten Reiche von Caernadon und Sonniana – und er besaß noch immer einen Trumpf, von dem diese ... diese Kreatur nichts ahnte.

»Nimm Platz«, sagte er herablassend an Sanor gewandt, während er sich auf dem beinernen Stuhl der Ahuden niederließ.

Doch Sanor machte keine Anstalten, dieser Aufforderung Folge zu leisten. Stattdessen griff er versonnen nach der kleinen Öllampe in der Mitte des Pults und drehte sie zwischen den Fingern. Dann ließ er den Blick langsam über das Sammelsurium magischer Artefakte wandern, die um das Purpurne Feuer versammelt waren. »Schwarze Kerzen, doppelte Spiegel, ein Kelch ...« Er sah auf. »Was sagen denn deine Hexer zu so viel Magie?«, fragte er. Und fügte hinzu: »Falls du mit diesen Dingen umzugehen weißt?« Dann stockte er plötzlich, und Marban folgte seinem Blick.

Mit angewiderter Miene hob der Eine und Erste das unscheinbare Häufchen Stoff auf. Meter um Meter floss die hauchdünne weiße Seide von seinen Fingern zu Boden. »Woher hast du das?«, fragte er scharf.

Marban blinzelte mit gespieltem Erstaunen. »Einer meiner Kapitäne hat es aus dem Norden mitgebracht«, erwiderte er beiläufig. »Es ist im Augenblick sehr beliebt bei den vornehmen Damen in Caernadon. Aber ich nehme nicht an, dass du dich für die neueste Mode hierzulande interessierst, mein Freund und Gefährte?«

Zum ersten Mal spürte Marban so etwas wie Unsicherheit bei dem Einen und Ersten. Vielleicht war es doch nicht so verkehrt gewesen, ihn diese Dinge sehen zu lassen? Mit schmalen Augen beobachtete Marban, wie Sanor die seltsame weiße Seide zu Boden fallen ließ.

»Einer deiner Kapitäne hat den Stoff mitgebracht, sagst du?«, wiederholte Sanor. »Ich würde den Mann gern sprechen.« Sanor ließ sich auf den Stuhl auf der anderen Seite des Pults sinken und streckte lässig seine langen Beine aus.

»Das wird leider nicht so bald möglich sein«, erwiderte Marban. »Er ist vor einigen Tagen mit einem neuen Auftrag wieder aufgebrochen.«

»In welche Richtung?« Sanor ahmte den gleichgültigen Tonfall gekonnt nach, aber Marban ließ sich nicht so leicht täuschen.

»Nach Süden«, log er – und hatte das unangenehme Gefühl, dass Sanor Kapitän Mo überall suchen würde, nur nicht im Süden. »Aber noch einmal, mein geschätzter Freund«, sprach er – eine Spur zu hastig – weiter. »Interessierst du dich wirklich so sehr für modischen Tand?«

»Nicht mehr als du, König von Caernadon.« Sanor zeigte mit dem Kinn auf das Purpurne Feuer. »Bereitet mein kleines Geschenk dir etwa Kopfzerbrechen?«, setzte er unvermittelt hinzu.

»Dein Geschenk!«, fuhr Marban auf.

»Du bezweifelst es?« Sanor lachte leise. Dann beugte er sich vor, streckte die Hand aus und hielt sie einen Moment lang über die kleine Öllampe.

Marban sog scharf die Luft ein.

Eine purpurne Flamme züngelte unter Sanors Fingern in die Höhe.

Marban musste sich beherrschen, um nicht gierig und verzweifelt nach dem magischen Artefakt zu greifen, das für ihn den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeutete. Schnell senkte er die Lider.

»Zweifelst du noch immer, mein ... Freund?«

Plötzlich durchfuhr ein heißer Strom Marbans Körper, ein Strom, von dem er wusste, dass er das Leben selbst war. Seine Lenden pulsierten, und das Bild der schönen, unnahbaren Sklavin, die Rikka als Zofe diente, stieg in ihm auf.

***

Nach jenem verheerenden ersten Beisammensein gleich nach Ilas Ankunft in Tarlin hatte Markan sich ihr nur noch ein einziges Mal genähert, mit demselben niederschmetternden Ergebnis: Er war eingeschlafen, bevor die Lakaien den letzten Gang abgetragen hatten. Danach hatte er es nicht mehr gewagt, sie in seine Gemächer zu rufen, aus Angst, seine Männlichkeit könne ihn ein drittes Mal im Stich lassen.

Und jetzt, mit dem Wiedererwachen des Purpurnen Feuers, kehrte das Verlangen nach ihr mit solcher Heftigkeit zurück, dass er beinahe bereit war, alles andere darüber zu vergessen. So übermächtig war seine Erregung, dass er das plötzliche Aufflackern des Erstaunens in Sanors Augen nicht einmal bemerkte. Marban krampfte die Finger um die Armlehnen seines Stuhls, damit der scharfe Schmerz der Gicht jenes andere, unerträglichere Brennen für einen Augenblick beiseite schöbe.

Doch der erwartete Schmerz blieb aus. Stattdessen spürte er, dass das kostbare, mit Elfenbein ausgelegte Holz der Armlehnen unter der Kraft seiner Finger zu brechen drohte.

»Ja, König von Caernadon und Sonniana«, erklang wie aus weiter Ferne die kalte, leblose Stimme des Einen und Ersten. »So könnte es sein. So könnte es wieder für dich sein. Eine Kleinigkeit für mich, ein Atemzug, oder noch nicht einmal das.«

Sanor lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und das Purpurne Feuer erlosch. Doch noch bevor Marban das Ersterben der Flamme sah, spürte er, wie die pulsierende Kraft zuerst aus seinen Lenden abfloss, dann aus seinem ganzen Körper. Machtvoller, als alle Worte es vermocht hätten, hatte ihm diese kleine Demonstration gezeigt, wie viel für ihn auf dem Spiel stand.

Vorsichtig atmete er durch die Nase aus. Sein Mund war plötzlich zu trocken, um zu sprechen, und entsetzliche Sekunden verstrichen, während er um Fassung rang. Die Hitze seines Verlangens hatte sich wie ein mit winzigen, scharfen Widerhaken bewehrter Dorn in seinen Körper und seinen Geist gebohrt, und auch wenn seine Lenden ihre Kraft bereits wieder verloren hatten, würde die Erinnerung ihn weiter quälen, weiter ... und weiter ...

Endlich hatte er sich hinreichend gefasst, um sprechen zu können, auch wenn er wusste, dass seine Stimme bei den ersten Worten zittern würde.

»Nein, ich zweifle nicht mehr«, sagte er leise. »Was verlangst du von mir, damit ich dein ... Geschenk zurückbekomme?«

»Ah ja.« Sanor lehnte sich noch weiter auf seinem Stuhl zurück. »Immerhin stellst du endlich die richtigen Fragen. Was ich verlange ...« Der Eine und Erste sah Marban abschätzend an, und dieser verächtliche Blick genügte dem Priester, uni sich vollends wieder zu fangen. Wer Schwäche zeigte, wurde gnadenlos ausgebeutet, das wusste niemand besser als er.

»Ich denke nicht, dass du hierher gekommen wärst, mein geschätzter Freund«, sagte er und verspürte eine leise Genugtuung darüber, dass seine Stimme jetzt wieder vollkommen ruhig klang, »wenn es da nicht auch etwas gäbe, das du von mir willst.«

KAPITEL 2

Sanftes Morgenlicht vermischte sich mit dem Schein der Kerzen, die das königliche Boudoir erhellten. Rikka lehnte sich mit einem leisen Seufzer auf ihrem hohen Frisierstuhl zurück und ließ ihren Blick müßig durch den Raum schweifen. Diese Gemächer hatten früher einmal Gwenlian gehört, der sie selbst in den letzten Monaten vor ihrem Tod im »Kampf der Königinnen« als Zofe gedient hatte. Jetzt erinnerte nichts mehr in diesen Räumen an deren ehemalige Bewohnerin. Kräftige Farben und scharfe Kontraste hatten die weichen Pastelltöne Gwenlians verdrängt, und an die Stelle der bequemen weichen Sessel, die Besucher zum Verweilen eingeladen hatten, waren steife, leichte Sofas mit geraden Rückenlehnen getreten. Gwenlian hatte immer ein offenes Ohr und ein mitfühlendes Herz für die Kümmernisse der einfachen Leute gehabt – und tatsächlich waren in den ersten Wochen, nachdem sie Gwenlians Platz so demonstrativ für sich beansprucht hatte, nicht wenige dieser Menschen auch zu ihr gekommen. Mit einem grimmigen kleinen Lächeln dachte Rikka an die kurzen Begegnungen zurück. Sie hatte keine Mühe gehabt, dem jungen Stallburschen klar zu machen, dass sie nicht die Absicht hatte, die Eltern seiner Liebsten, einer Krämerstochter aus Tarlin-Stadt, aufzusuchen, um ihnen zu erklären, dass der junge Mann zwar unter ihrem Stand sei, aber anstellig und klug und dass es ihrer Tochter das Herz brechen würde, wenn sie einen anderen als ihn zum Manne nehmen müsse. Gleichermaßen kurz war ihr Gespräch mit einer Weberin ausgefallen, die ihr achtes Kind erwartete, ein letztes Geschenk ihres Gatten, bevor dieser im Krieg gefallen war. Es gab Hunderte von Witwen allein in Tarlin, die mit ihren Kindern verhungerten. Aber wie immer in Zeiten großer Not würden nur die Stärksten überleben – und die neue Generation würde ein guter Nährboden für die Zukunft sein. Welchen Sinn hatte es, den Verlierern und den ewig Scheiternden die Hand zu reichen, damit sie ihre Schwäche an ihre Kinder weitergeben konnten und auch diese wieder nur zu Ballast für die neue Zeit wurden? Die zaghaften Vorstöße der Verzweifelten waren immer seltener geworden, und nach wenigen Wochen war der Besucherstrom fast vollends verebbt. Und das war gut so, denn es gab weitaus wichtigere Dinge, die ihre Aufmerksamkeit verlangten.

Auch jetzt verweilte Rikka nicht lange bei diesen Erinnerungen. Sie fühlte sich angenehm belebt nach der Nacht, die hinter ihr lag, auch wenn Sanor ihr kaum Zeit zum Schlafen gelassen hatte. Erst kurz vor Sonnenaufgang war seine schier unersättliche Gier gestillt gewesen, und er hatte sie wie immer ohne viele Worte verlassen, was sie bei seinen früheren Besuchen stets verärgert hatte. An diesem Morgen jedoch war sie es durchaus zufrieden gewesen, ihn ziehen zu lassen, denn er hatte ihr endlich die Nachricht gebracht, auf die sie so lange – viel zu lange – gewartet hatte. Es hatte begonnen ...

Während Ila mit gleichmäßigen, fließenden Bewegungen die Bürste Strähne für Strähne durch ihr Haar zog – eine Berührung, die sich unter den langen, makellosen Fingern ihrer Zofe wie ein Streicheln anfühlte –, überkam Rikka eine süße Schläfrigkeit, und ohne dass es ihr selbst bewusst war, glitt sie in einen Traum hinüber, von dem sie in dem Augenblick zwischen Schlafen und Wachen instinktiv erfasste, dass es nicht ihr Traum war.

Sie befand sich an einem Ort, den sie noch nie gesehen hatte, den sie aber bis in seine kleinste Einzelheit überdeutlich wahrnahm. Es war Nacht, und kühle blaue Steinriesen ragten um sie herum auf. Jeder dieser Felsen unterschied sich in tausendfacher Weise von allen anderen – und doch waren sie alle gleich. Es gab ungezählte Wege in diesem seltsamen Gebirge, die alle in verschiedene Richtungen führten und am Ende doch alle dasselbe Ziel hatten – alle bis auf einen. Sie wusste, dass sie eigentlich Furcht hätte empfinden müssen, aber sie fühlte sich vollkommen sicher an diesem Ort. Hier war ihre Heimat, hier der einzige Friede, den sie jemals finden würde. Ein Gefühl des Glücks, so tief und rein, wie sie es nie gekannt hatte, erfüllte ihr ganzes Sein. Sie war endlich angekommen, nach all dieser Zeit endlich am Ziel.

Mit stiller Gewissheit machte sie den ersten Schritt auf einem der hundert Wege um sie herum, dem einzigen Weg, der nicht in die Irre führte ...

Ein scharfes, disharmonisches Geräusch zerriss das dünne Gewebe ihres gestohlenen Traums, und Rikka fuhr erschrocken aus dem Schlaf auf.

Einen Augenblick lang glaubte sie, in einen neuen, nicht minder bizarren Traum hineingeraten zu sein, denn was sie sah, war unmöglich, vollkommen unmöglich.

»Was hast du getan?« Dianns Stimme war ein heiseres Zischen und die Worte kaum verständlich.

Rikka sah die junge Frau, unter deren Augen dunkle Ringe der Erschöpfung lagen, ungläubig an. Sie spürte, dass selbst Ila, die normalerweise durch nichts aus der Ruhe zu bringen war, erschrocken zurückwich. Dianns Kleider waren verdreckt und zerrissen, und in ihren Augen stand blanker Hass. Rikka zögerte nur kurz, dann gewann sie zumindest äußerlich ihre Fassung wieder. Sie sprang auf und ging mit ausgestreckten Armen auf das Mädchen zu.

»Diann!«, rief sie aus. »Bei der Göttin, du bist zurückgekommen! Ich fürchtete schon, ich hätte dich für immer verloren.« Sie wollte die junge Frau in ihre Arme ziehen, doch Diann schüttelte sie ab. »Was hast du getan?«, wiederholte Diann mit einer Stimme, die Rikka kaum erkannte.

Sie hob beschwichtigend die Hände, versuchte aber nicht noch einmal, das Mädchen zu berühren. Dianns bäurisches, kantiges Gesicht war geisterhaft blass, ihr schwarzes Haar hing ihr wirr und verfilzt über die Schultern, und ihr Kleid bestand tatsächlich nur noch aus Lumpen, die sie nur mehr notdürftig bedeckten. Sie sah aus, als sei sie durch die Hölle gegangen – und das war sie wohl auch.

»Du musst Schreckliches durchgemacht haben«, sagte Rikka mitleidig. »Mein armes Kind!« Dann fügte sie, ohne sich umzudrehen, an Ila gewandt hinzu: »Lass uns allein. Du kannst mich später frisieren.« Während Ila auf ihre Kammer zuging, rückte Rikka mit einer einzigen geschickten Bewegung eins der eleganten, unbequemen Sofas näher an den Kamin heran, in dem das Feuer der Nacht nur noch schwach brannte. »Komm her und setz dich erst einmal«, sagte sie einladend. »Du siehst furchtbar aus!«

Kaum hatte sie diese letzten Worte ausgesprochen, bereute sie sie auch schon.

Dianns Augen blitzten trotz ihrer Erschöpfung zornig auf. »Ist das der Grund, warum du mich loswerden wolltest?«, stieß sie hervor. »Du erträgst nichts Hässliches und Unvollkommenes in deiner Nähe, nicht wahr? Das ist der Grund!« Diann machte keine Anstalten, sich zu setzen, sondern trat drohend einen Schritt auf Rikka zu.

Eine Woge sauren Schweißes schlug Rikka entgegen, doch sie zwang sich, ihren Abscheu zu unterdrücken. Genauso wenig gestattete sie sich, bei der äußeren Erscheinung des Mädchens zu verweilen, das sich in diesem bis ins kleinste Detail auf gefällige Schönheit bedachten Raum in der Tat wie ein plumper, widerwärtiger Käfer auf einer frischen Rosenblüte ausnahm. Doch Dianns wenig einnehmendes Äußeres war keineswegs der Grund gewesen, warum sie versucht hatte, das Mädchen auf den Linien der Macht zu »verlieren«.

Aber Diann war zurückgekommen – etwas, das absolut unmöglich war. Die einzige Magie, über die sie gebot, war die der Gannafrauen, nicht mehr als eine Spielerei und gerade genug, um einfache Krankheiten zu heilen oder die Gedankenrede zu praktizieren. Es war unmöglich – undenkbar –, dass eine dieser einfältigen Frauen mit der komplexen, dunklen Magie fertig wurde, die auf den Linien der Macht herrschte. Diann hätte niemals zurückkehren dürfen!

Aber das war nicht der richtige Zeitpunkt, um eine Erklärung für dieses unwahrscheinliche Geschehen zu suchen. »Was für ein Unsinn«, sagte Rikka mit ruhiger Autorität und ohne einen Anflug von Vorwurf oder Tadel in der Stimme. »Du bist überreizt und offensichtlich am Ende deiner Kräfte.« Während sie sprach, überschlugen sich ihre Gedanken, und um Zeit zu gewinnen, griff sie nach dem Schürhaken, um das Feuer im Kamin neu zu entfachen. Als die Flammen nicht sofort auf ihre Bemühungen reagierten, formte sie mit den Lippen einen einfachen kleinen Zauber, der augenblicklich die gewünschte Wirkung zeigte. Im Nu loderte ein helles Feuer auf, dem sie mit einigen gut getrockneten Holzscheiten zusätzliche Nahrung gab. Als sie sich Diann wieder zuwandte, wusste sie, was sie zu tun hatte.

Diann stand immer noch steif mitten im Raum, und Rikka sah, dass sie heftig zitterte und ihre Lippen eine ungesunde, bläuliche Farbe hatten.

»Du hast furchtbar gefroren auf den Linien der Macht, nicht wahr?«, fragte Rikka besorgt, und die ungewohnte Mütterlichkeit in ihrer Stimme erschütterte Dianns feindselige Haltung zumindest ein wenig. Die ersten Tränen bildeten sich in ihren Augen, wie Rikka befriedigt feststellte. Doch noch war ihr Widerstand nicht vollends gebrochen, der Zweifel nicht endgültig zerstreut, auch das spürte Rikka.

»Ich hole dir eine Decke«, sagte sie leise. Dann ging sie in den großen Nebenraum, in dem früher Gwenlian geschlafen hatte, wählte eine warme, aber schlichte Decke aus, die sie selbst niemals benutzte, und kehrte in das Boudoir zurück. Wie zufällig streifte sie dabei die halb geöffneten Vorhänge vor dem Südfenster – dem einzigen Fenster, durch das helles Tageslicht in den Raum gedrungen war – und zog sie zu. Mit einem unhörbaren Seufzer der Erleichterung trat sie vor Diann hin, und diesmal wehrte die junge Frau sie nicht ab, als Rikka sie am Arm nahm, mit sanfter Gewalt zu dem Sofa am Kamin zog und fürsorglich in die wollene Decke hüllte. Auf den Linien der Macht herrschte eine unerbittliche Kälte, und wenn man zu lange dort verweilte, gefror das Blut selbst zu Eis. Und Diann hatte nur ein leichtes, ärmelloses Sommerkleid getragen ...

»Ich weiß, was du durchgemacht hast«, flüsterte sie, nachdem sie sich vor Diann hingekniet hatte. Dann begann sie, langsam und methodisch die klammen Hände des Mädchens zu massieren, damit das Blut dort wieder zirkulierte. »Ich weiß es«, sprach sie sanft weiter, »weil ich es selbst erlebt habe.«

Diann hob den Kopf, eine winzige Bewegung, die ihr jedoch unendlich schwer zu fallen schien. Mit einer Mischung aus Trotz und Verzweiflung sah sie Rikka an.

»O ja«, erwiderte diese. »Ich habe dich gesucht, nächtelang ...« Sie schauderte und schloss einen Moment lang die Augen, als überwältige sie die Erinnerung an schreckliche Stunden. »Du dummes Kind«, sagte sie schließlich. »Glaubst du wirklich, ich hätte dich jemals mit Absicht dort zurückgelassen? Ich weiß nicht, wie das passieren konnte – du warst plötzlich nicht mehr an meiner Seite. Es war ein Albtraum ...«

Die Tränen, die Diann bisher mühsam zurückgehalten hatte, brachen sich endlich Bahn. Rikka entspannte sich. Jetzt, nachdem nur noch das warme Licht von Feuer und Kerzen den Raum erhellte und sie damit Zugriff auf ihre ganz besondere Magie erhielt, würde es ihr ein Leichtes sein, Diann von ihrer Unschuld zu überzeugen. Sie erhob sich anmutig aus ihrer knienden Position, dann ließ sie sich neben Diann auf dem Sofa nieder und zog die weinende junge Frau in ihre Arme.

Während sie sie sanft hin- und herwiegte, ihr abwechselnd übers Haar strich oder liebevoll die Tränen vom Gesicht wischte, dachte sie fieberhaft nach.

Diann war in den Monaten seit Ilas Erscheinen nicht nur überflüssig für sie geworden, sondern auch unerträglich lästig. Mit ihrer kindischen Eifersucht auf Ila und ihrem ständigen Genörgel hatte sie sie Tag für Tag in Rage gebracht. Ihr Versuch, das dumme Geschöpf zu seiner Mutter, Marte, zurückzuschicken, war auf hartnäckigen Widerstand gestoßen. Sie hatte Diann jedoch auch nicht direkt befehlen können, die Burg zu verlassen: Das Mädchen wusste zu viel.

Natürlich hätte sich jederzeit ein Unfall arrangieren lassen oder sogar eine tödliche Krankheit, aber Diann war Mattes Tochter, und Marte würde ihren Tod nicht hinnehmen, ohne Fragen zu stellen. Marte war jetzt die Anführerin der Gannafrauen, und Rikka machte nicht den Fehler, ihren Einfluss in Tarlin zu unterschätzen.

Nein, es war in jeder Hinsicht das Einfachste gewesen – und das Einfachste war oft auch das Sicherste –, das Mädchen spurlos verschwinden zu lassen. Marte hätte den Rest ihres Lebens damit verbringen können, nach ihrer Tochter zu suchen, ohne sie zu finden, und Fragen zu stellen, ohne auch nur einen winzigen Fingerzeig auf ihren Verbleib zu bekommen. Und wo könnte ein gewöhnliches sterbliches Wesen gründlicher verloren gehen als auf den Linien der Macht?

Nur dass Diann eben nicht verloren gegangen war ... Und das machte Rikka Sorgen; es musste eine Erklärung dafür geben, doch von den Möglichkeiten, die Rikka in den Sinn kamen, gefiel ihr eine noch weniger als die andere. Außer den Eingeweihten, die in jahrelanger, mühsamer Arbeit diese Kunst erlernt hatten und selbst dann nur um den Preis hoher Opfer sich ihrer bedienen konnten – außer ihnen gab es nur noch eine Meine Gruppe von Menschen, die ohne Preis oder Opfer, ohne die Zucht langer Jahre des Lernens diese Magie für sich nutzen konnten – aber das war in Dianns Fall unmöglich. Rikka lachte laut auf und kaschierte die Regung mit einem Husten. Was für eine lächerliche Idee, dieser rohe Bauerntrampel könne ... Rikkas Gedanken brachen ab. Es musste noch eine dritte Erklärung geben, die sie bisher nur übersehen hatte. Sie warf den Kopf in den Nacken und lachte. Diann, die Tochter einer Ziegenmagd und eines Herumtreibers – eine Unsterbliche! Was für ein köstlicher Witz. Das – und dieser seltsame Ausdruck in Dianns Augen, der ihr sagte, dass sie entgegen ihren Erwartungen die Zweifel des Mädchens keineswegs endgültig zerstreut hatte.

KAPITEL 3

Es schienen mehrere Minuten vergangen zu sein, während deren Sanor nur schweigend dagesessen und ihn angestarrt hatte. Marban hielt seinem Blick stand, ohne zu blinzeln. Doch es war nicht der Eine und Erste, den er sah. Vor seinem inneren Auge war ein Bild emporgewachsen, das ihm neue Kraft verlieh. Er hielt sich zäh an diesem Bild fest, denn es war der einzige wirkliche Trumpf, der noch in seinem Spiel verblieben war. Und es war ein Trumpf, der stechen würde. Wenn er nur diesen einen Gedanken im Sinn behalten konnte, konnte er das Spiel immer noch gewinnen. Äußerlich vollkommen gefasst, sah er Sanor weiter unverwandt an.

Plötzlich warf der Eine und Erste den Kopf in den Nacken und stieß ein kurzes, hartes Lachen aus. Nur das Zucken eines Muskels in Marbans Gesicht verriet sein Erschrecken über diesen unerwarteten Laut, dann hatte er sich wieder in der Gewalt.

»Na schön, König von Caernadon«, sagte Sanor belustigt. »Der Wolf hat seine Zähne also doch noch nicht ganz verloren. Das gefällt mir.«

Marban versagte sich jeden Kommentar zu diesem zweifelhaften Kompliment. Er zwang sich, in flachen, tiefen Zügen ein- und auszuatmen, zwang sich, das Bild festzuhalten, das seine einzige Rettung bedeutete. Zwang sich, nicht an das Pulsieren seiner Lenden zu denken, das das kurze Aufflackern des Purpurnen Feuers mit sich gebracht hatte. Denn Gier, wenn sie nicht von Vernunft beherrscht und gemäßigt wurde, bedeutete Schwäche, und Schwäche, selbst die kleinste Schwäche, bedeutete in seinem Fall den Untergang.

Als Marban weiter hartnäckig schwieg, zuckte Sanor die Achseln. »Wie du willst, König«, sagte er. »Lassen wir also die Spielchen und Spiegelfechtereien. Es soll mir recht sein. Meine Zeit ist kostbar – gerade jetzt« Er zeigte mit dem Kopf auf das Purpurne Feuer, das nun wieder kalt und leblos zwischen ihnen auf dem Pult stand. »Du begehrst die Kraft dieser kleinen Öllampe.« Es war eine Feststellung, keine Frage, und Marban machte sich nicht die Mühe, darauf zu antworten. »Nun, du kannst sie haben«, fuhr Sanor fort. Dann hielt er abermals inne, um Marbans Reaktion zu beobachten.

Marban schluckte. Sein Mund war plötzlich trocken geworden, und seine Atmung drohte außer Kontrolle zu geraten. Mit einem Mal schien es unerträglich schwül im Raum zu sein. Marban widerstand der Versuchung, sein Halstuch zu lockern. Wieder über die Kraft der Jugend zu gebieten, morgens aufzustehen, ohne dass die vom langen Liegen steif gewordenen Glieder schmerzten ... Und Ila! Er spürte, wie ihm der Schweiß aus allen Poren drang.

Diesmal jedoch entging ihm Sanors Tun nicht. Das Eindringen des Einen und Ersten in seine Gedanken wirkte wie ein Eimer kalten Wassers auf seine erhitzte Fantasie.

Sanor hob die Hände und zog sich aus dem Bewusstsein des Priesters zurück. »Es interessiert mich nicht, was du mit der Kraft anfängst, die das Purpurne Feuer dir geben wird«, erklärte er beiläufig. »Mich interessiert nur, dass du deinen Teil unseres Handels einhalten wirst.«

Marban verschränkte die Hände ineinander und drängte jeden Gedanken an den kostbaren Trumpf, der ihn im Spiel halten sollte, beiseite. Er wollte nicht, dass Sanor dieses Bild in ihm fand und so von seinem Geheimnis erfuhr – noch nicht.

»Was ist das für ein Handel, den du mir vorschlagen willst?«, fragte er barsch. »Welchen Preis verlangst du? Die Kathedrale – und die Macht, die sie verbirgt?«

»Die Kathedrale könnte ich mir auch ohne deine Hilfe nehmen, wie du dir sicher denken kannst«, erwiderte der Eine und Erste mit einem unverhohlen drohenden Unterton in der Stimme. »Nein, was ich will, ist etwas anderes. Ich will deine Armee – so viele Männer, wie du zusammenbekommen kannst.«

Marban zog überrascht die Augenbrauen hoch. »Ich dachte, du verfügst selbst über eine Armee von beträchtlicher Streitkraft?«

»Meine Armee ...« Sanor lachte leise. »In der Tat, ich habe eine Armee, und sie kann mehr ausrichten, als hundert Armeen aus Fleisch und Blut es sich jemals erhoffen könnten.« Er stieß ein leises, unangenehmes Lachen aus. »Gestern hat sie ihre Schlagkraft zum ersten Mal unter Beweis gestellt – und meine kühnsten Erwartungen übertroffen.«

Marban schluckte trocken. Die Erwähnung einer Armee, die »nicht aus Fleisch und Blut« war, entsetzte ihn. Trotz all seiner eigenen Experimente mit der Magie war ein Teil von ihm immer noch tief im Denken der Fálianer verhaftet, die die magischen Künste aus ganzem Herzen fürchteten und verabscheuten. »Wenn das so ist, wozu brauchst du dann noch meine Soldaten?«, sagte er langsam.

Sanor kicherte leise, ein kaltes, freudloses Geräusch. »Ich brauche deine Männer nicht als Soldaten«, erklärte er mit unerträglicher Arroganz. »Es gibt nichts, was sie im Kampf ausrichten könnten, das meine ... Männer nicht hundert Mal besser erledigen würden.«

Marban hatte das kurze Zögern Sanors vor dem Wort »Männer« wahrgenommen, und seine Beklommenheit wuchs. »Wenn du keine Soldaten brauchst, was willst du dann mit meiner Armee?«

»Ich brauche deine Leute nicht für den Kampf, sondern ...« Sanor erwiderte Marbans Blick mit unverhohlener Belustigung. »Ich brauche sie als Träger.«

Das Gefühl zu ersticken war jetzt so überwältigend, dass Marban sich nicht länger darum scherte, was Sanor von ihm denken mochte. Er musste dieses Halstuch einfach lockern. Und er musste seine nächste Frage stellen, auch wenn er sich sicher war, dass er die Antwort darauf lieber nicht hören wollte. Er griff sich an den Hals und zerrte an dem Knoten im Nacken, der unter seinen nervösen Fingern noch strammer wurde. »Als Träger?«, wiederholte er mit geheucheltem Erstaunen. »Und was, bitte, sollen sie tragen?«

Sanor beobachtete Marbans fruchtlose Bemühungen kurz, dann erklärte er, als erstaune ihn die Unwissenheit des Priesters: »Wasser natürlich.«

»Wasser?« Marban traute seinen Ohren nicht.

»Wasser«, bekräftigte Sanor. »Das Einzige, was meine ... Männer benötigen, um zu – hm, sagen wir, um zu existieren.«

Die Hitze im Raum war unerträglich. Marban stand auf, um das Fenster zu öffnen und Zeit zu gewinnen. Bevor er sich wieder auf seinen Platz setzte, hatte er den Entschluss getroffen, vorerst keine Fragen nach der Natur dieser seltsamen Armee zu stellen, die keinen anderen Proviant zu benötigen schien als Wasser.

Nachdem er das Fenster geöffnet hatte, setzte Marban sich wieder auf seinen Platz, rückte seinen Stuhl ein wenig zurück und schlug die Beine übereinander. Jetzt, da ein schwacher Luftzug durch den Raum ging und nachdem es ihm endlich gelungen war, dieses verdammte Halstuch loszuwerden, fühlte er sich der Situation deutlich besser gewachsen.

»Ich verstehe«, sagte er, auch wenn das von der Wahrheit weit entfernt war. »Ich überlasse dir meine Armee – wozu auch immer –, und im Gegenzug dazu gibst du mir das Purpurne Feuer zurück. Habe ich das richtig verstanden?«

Sanor nickte, und Marban sprach unverzüglich weiter. »Das genügt mir nicht. Ich will mehr. Ich will deine Zusage, dass ich König von Caernadon bleibe – bis an mein Lebensende, was, mit dem Purpurnen Feuer in meinem Besitz, in einiger Entfernung liegen dürfte.«

Diesmal Mang Sanors Lachen ehrlich erheitert. »Ich glaube nicht, dass du in der Position bist, mit mir zu feilschen, Priester.«

Doch Marban ließ ihn nicht aussprechen, sondern fuhr unbeirrt fort. »Ich werde König von Caernadon bleiben, und wenn du Fiann erobert hast, was zweifellos deine Absicht ist, will ich auch die Krone des Alten Reiches.« Marban ignorierte den ungläubigen Ausruf des Einen und Ersten. »Ich weiß, dass es dir nicht um die Art Macht geht, nach der es mich verlangt, daher denke ich, dass es uns gelingen wird, uns zur beiderseitigen Zufriedenheit ... zu arrangieren.«

Marban hatte gesagt, was er zu sagen hatte, und sah den Einen und Ersten jetzt herausfordernd an.

»Lächerlich!«, rief Sanor aus, und Marban stellte befriedigt fest, dass es ihm gelungen war, seinen Gast aus der Fassung zu bringen.

»Lächerlich«, wiederholte Sanor. »Ich sage es noch einmal, Priester, du bist nicht in der Position, Forderungen zu stellen. Ich hätte gute Lust ...«

»Nein«, fiel Marban ihm ins Wort. »Lass das lieber sein. Es wäre immerhin möglich, dass du es irgendwann bereuen könntest, mir gedroht zu haben. Um unserer künftigen Zusammenarbeit willen, mein Freund, lass dir einen Rat geben.«

Sanor sog scharf die Luft ein, und Marban befürchtete einen Augenblick lang, sein Spiel überreizt zu haben. Aber dann sah er sie wieder vor sich und lehnte sich entspannt zurück.

»In der Tat«, begann er erneut zu sprechen, »ich denke, es ist ein kluger Rat, den ich dir geben will. Ziehe niemals voreilige Schlüsse; bevor du dich vergewissert hast, dass dein ... Gegner ... nicht einen Trumpf in seinem Blatt hält, mit dem er dir eine unangenehme Überraschung bereiten könnte.«

Sanor schnaubte verächtlich. »Du bist ein Nichts, Priester«, zischte er, »ein Wurm. Und ich habe noch nie einen Wurm gesehen, der einen Trumpf besessen hätte, mit dem er mir drohen könnte.«

»Was nur beweist, dass ich kein Wurm sein kann, nicht wahr, mein Freund und Gefährte?«, entgegnete Marban liebenswürdig. »Aber wie du selbst vorhin so trefflich bemerkt hast, lassen wir die Spielchen und Spiegelfechtereien. Denn auch meine Zeit ist kostbar.« Marban beugte sich vor und stützte die Ellbogen auf das Pult vor sich. »Ich besitze eine Waffe – eine mächtige Waffe –, die selbst für dich und deinesgleichen eine Gefahr darstellt – oder einen ungeheuren Vorteil, je nachdem, ob diese Waffe gegen dich gerichtet oder von dir benutzt werden wird.«

Marban meinte, einen flüchtigen Ausdruck der Erleichterung in Sanors Zügen zu entdecken, und die Haltung seines Gegenübers entspannte sich merklich. »Wenn du von dem Stein der Gnade sprichst, Priester, muss ich dich enttäuschen. Ich weiß zufällig, dass diese Waffe sich gewiss nicht in deinem Besitz befindet.«

Marban biss die Zähne zusammen. Also doch! Er hatte geahnt, dass Rikka ihn betrog. Aber dies war nicht der. richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken. »Nein, ich spreche zufällig nicht vom Stein der Gnade«, stieß er heiser hervor. »Was ich meine, ist allerdings vielleicht ebenso alt wie der Stein – und ebenso gefährlich.«

Diesmal machte sich Sanor nicht einmal die Mühe, die Behauptung des Priesters mit einem Lachen zu beantworten. »Es gibt nichts«, sagte er mit abgrundtiefer Verachtung, »nichts, das so alt oder so gefährlich – oder so mächtig – wäre wie der Stein der Gnade.«

Marban spitzte die Lippen. »Mir scheint, mein Freund und Gefährte, dass du der Welt tatsächlich zu lange fern warst. Du musst viel vergessen haben, wenn du dich nicht einmal mehr an sie erinnerst ...«

»An sie«, wiederholte Sanor verständnislos.

»Denk zurück, mein Freund – mein Partner«, erwiderte Marban. »Denk weit, weit zurück. Eine Kreatur ... Die einzige Kreatur auf dem Ork Nuado, die ihr Unsterblichen fürchten musstet.«

Ein Dämmern des Begreifens flackerte auf Sanors Zügen auf, seine Augen weiteten sich, und Marban glaubte zu sehen, dass sein Gesicht unter seiner kräftigen Bräune blass wurde.

»Die Tiger«, stieß der Eine und Erste heiser hervor. »Was weißt du über die Tiger?«

Bevor Marban jedoch antworten konnte, erklang ein leises Klopfen an der Tür. Der Eine und Erste bedeutete Marban mit einem kurzen Kopfschütteln, dass er jetzt keine Störung ihres Gesprächs wünsche, aber Marban ignorierte diese Geste ebenso wie die Übelkeit, die in ihm aufgekeimt war.

»Herein!«, rief er mit mühsam beherrschter Stimme.

Ein Lakai trat durch die schwere Eichentür und verbeugte sich unbeholfen. Er war kleinwüchsig und von grotesker Hässlichkeit, und seine linke Schulter war zu einem Buckel verwachsen, der ihm bis ans Ohr hinaufreichte. »Mein König«, begann der Mann, an dem die elegante schwarze Livree geradezu lächerlich wirkte, zu sprechen, bevor er sich vollends wieder erhoben hatte. Er war erst seit kurzem auf der Burg in Dienst und noch unsicher, was die Etikette seines neuen, nie erwarteten Standes in solchen Situationen verlangte. Marban seufzte leise. Die hohen Verluste durch den Krieg und die Notwendigkeit, alle einigermaßen kräftigen Männer in die Armee zu pressen, ließen ihm nicht mehr viel Auswahl, was die Dienerschaft betraf.

»Was gibt es?«, fuhr er den Unglücklichen barsch an. »Steh er nicht einfach so da, um zu gaffen!«

Der Bucklige riss sich zusammen. »Mein König«, wiederholte er, »Ihr habt befohlen, dass man Euch sofort Meldung machen solle, wenn Kapitän Mos Schiff im Hafen einläuft ...«

Weiter kam er nicht. »Schon gut«, unterbrach Marban ihn heftig. »Das ist jetzt nicht wichtig.« Und als der Mann keine Anstalten machte, sich zurückzuziehen, was er ohne ein weiteres Wort seines Herrn eigentlich hätte tun müssen, fügte Marban scharf hinzu: »Er kann jetzt gehen!«

Der bucklige Diener versuchte erschrocken, sich gleichzeitig zu verbeugen und rückwärts zur Tür zu bewegen. In seiner Nervosität und vielleicht auch, weil die hochhackigen, engen Schuhe, die zu seiner Livree gehörten, noch ungewohnt für ihn waren, stolperte er über seine eigenen Füße und fiel der Länge nach zu Boden. Zwei Soldaten, die wie immer vor dem königlichen Empfangsraum Wache gestanden hatten, kamen bei dem Lärm mit gezückten Schwertern und ohne vorher anzuklopfen hereingestürzt.

Marban sog scharf die Luft ein. Er spürte Sanors Spott so deutlich, wie er den Geruch des Bitterklees wahrnehmen konnte, wann immer es dem Einen und Ersten gefiel, diesen zu verströmen. Was für ein König war das, der von buckligen Tölpeln bedient wurde? Nicht genug, dass der Mann von Kapitän Mos Rückkehr geplappert hatte – etwas, das Sanor nicht zu erfahren brauchte –, er hatte ihn auch noch vor den Augen des anderen herabgesetzt.

»Schafft ihn weg«, zischte er den Soldaten zu, die dem Buckligen inzwischen wieder auf die Beine geholfen hatten. »Bringt ihn in den Burghof. Dreißig Peitschenhiebe für seine Unverschämtheit.«

Ein Wimmern, das eher zu einem Tier als zu einem Menschen zu gehören schien, erregte von neuem Marbans Zorn. Er hob den Kopf, und sein Blick kreuzte den Sanors. Was er in den Augen des anderen sah, überraschte ihn – und weckte gleichzeitig seinen Abscheu. »Wartet«, befahl er den Soldaten, die bereits Anstalten machten, den greinenden Buckligen mit vereinten Kräften aus dem Raum zu schleifen. »Ich denke, wir ... ich will mir das Spektakel nicht entgehen lassen. Kettet ihn an den Pranger, wo alle ihn sehen können. Seine Strafe kann bis zum Abend warten.«

Der Bucklige stöhnte auf und hätte sich vor Marban auf die Knie geworfen, hätten die Soldaten ihn nicht mit unerbittlichem Griff aufrecht gehalten.