Das Märchen von Hitlers Papst - David G. Dalin - E-Book

Das Märchen von Hitlers Papst E-Book

David G. Dalin

0,0

Beschreibung

Spätestens seit dem Erscheinen von Rolf Hochhuths "Der Stellvertreter" (1963) haftet Eugenio Pacelli (1876–1958), ab 1939 als Papst Pius XII. Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche, der Ruch des heimlichen Antisemiten und Kollaborateurs mit dem nationalsozialistischen Regime an. Derartige Vorwürfe reißen auch von Historikerseite seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht ab. Das vorliegende Buch ist eine Antwort auf die 1999 erschienene Anklageschrift "Pius XII. Der Papst, der geschwiegen hat", die im englischsprachigen Original "Hitler's Pope" (dt. "Hitlers Papst") betitelt war. Der Autor ist Fachmann für die Geschichte jüdisch-christlicher Beziehungen und will den verbreiteten Gerüchten um die Judenfeindlichkeit der Päpste allgemein, Pius' XII. im Besonderen und der katholischen Kirche insgesamt ein Ende bereiten. Sein weit aufgespannter historischer Überblick nimmt seinen Anfang bei Gregor I. im 6. Jahrhundert und zieht sich bis in unsere heutige Gegenwart. Schnell wird klar: Die in den 1990er-Jahren von Historikern wie Daniel Goldhagen neu entfachte Debatte um die Haltung Pius' im Angesicht von Weltkrieg, Nationalsozialismus und Judenverfolgung diente interessierten Kreisen in Wirklichkeit dazu, den amtierenden Papst Johannes Paul II. zu beschädigen, der sich für seine Seligsprechung starkgemacht hatte. Der Erledigung solcher Verdrehungen und einer Geschichtsdarstellung, "wie es wirklich gewesen ist" (Treitschke), ist Dalins mit Verve verfasste Schrift gewidmet. Sie schließt mit der ebenso leidenschaftlichen wie wohlbegründeten Forderung, Pius XII. den Titel eines "Gerechten unter den Völkern" zu verleihen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 324

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



David G. Dalin

DAS MÄRCHEN VON HITLERS PAPST

Wie Pius XII. Juden vor den Nazis rettete

Umschlaggestaltung: DSR – Digitalstudio Rypka, 8143 Dobl Umschlagabb. Vorderseite: WikiMedia Commons / Luis Fernández García

Aus dem Englischen ins Deutsche übertragen von Christoph Pollak.

Wir haben uns bemüht, bei den hier verwendeten Bildern die Rechteinhaber ausfindig zu machen. Falls es dessen ungeachtet Bildrechte geben sollte, die wir nicht recherchieren konnten, bitten wir um Nachricht an den Verlag. Berechtigte Ansprüche werden im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter https://www.dnb.de abrufbar.

Hinweis

Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz vor Verschmutzung verwendete Einschweißfolie ist aus Polyethylen chlor- und schwefelfrei hergestellt. Diese umweltfreundliche Folie verhält sich grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne kostenlos unser Verlagsverzeichnis zu:

Ares Verlag GmbH

Hofgasse 5 / Postfach 438

A-8011 Graz

Tel.: +43 (0)316/82 16 36

Fax: +43 (0)316/83 56 12

E-Mail: [email protected]

www.ares-verlag.com

ISBN 978-3-99081-117-7

eISBN 978-3-99081-135-1

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

Copyright © 2005 by David G. Dalin. Published by arrangement with Regnery Publishing, Inc.

© Copyright der deutschsprachigen Ausgabe by Ares Verlag, Graz 2023

Layout: Ecotext-Verlag Mag. G. Schneeweiß-Arnoldstein

Inhalt

Vorwort des Übersetzers

Das Märchen von „Hitlers Papst“ und seine Bedeutung

Der Rufmord

Die Verteidigung eines Papstes

Päpste als Freunde der Juden

Die Anfänge des päpstlichen Schutzes

Bonifatius IX., Martin V. und die Juden

Die Päpste der Renaissance und die Juden

Die Ritualmordlegende

Päpste und Juden im 20. Jahrhundert

„Ein großer Papst und Friedensstifter“: Pius XI. und die Juden

Der künftige Papst

Eugenio Pacelli und die Juden

Ein künftiger Papst in Deutschland

Der Brief aus München

Pacelli und die Juden

Pacelli und Pater Coughlin

Ein Kardinal im Angesicht des Nationalsozialismus

Pius XI. und sein „judenfreundlicher“ Kardinal

Ein Gerechter unter den Völkern: Papst Pius XII. und der Holocaust

Die Papstwahl Pius’ XII.

Der Papst schützt jüdische Gelehrte

Der Papst, der nicht geschwiegen hat

Hitler exkommunizieren

Rom unter der nationalsozialistischen Besatzung

Der Klerus eilt den Juden zu Hilfe

Das Zeugnis von Tibor Baranski

Katholische Helden

Castel Gandolfo und die Rettung der römischen Juden

Die Deportation der ungarischen und rumänischen Juden

Angelo Roncalli und die Juden

Die Deportation der Juden aus der Slowakei

In Gedenken an Pius XII.: Lob aus der jüdischen Gemeinde

Fazit: Pius XII. als „Gerechter unter den Völkern“

Die liberalen Medien und der Kulturkampf

Hitlers Papst und der Kulturkampf in Hollywood

Mel Gibson und der Kulturkampf

Hitlers Mufti: Muslimischer Antisemitismus und der fortwährende islamische Krieg gegen die Juden

In Hitlers Diensten: Mohammed Amin al-Husseini, der Großmufti von Jerusalem

Der Mufti und seine Schützlinge: al-Husseini, Jassir Arafat und das Erbe des islamischen Terrorismus

Der Vater des modernen Terrorismus

Das lange Vermächtnis der muslimischen antisemitischen Literatur

Johannes Paul II. und die päpstliche Verurteilung des Antisemitismus

Eine einsame Stimme in der Wildnis: Johannes Paul II. und der neue muslimische Antisemitismus

Apologeten des Bösen: liberale Papstkritiker und der neue muslimische Antisemitismus

Die Wiederherstellung der Wahrheit

Danksagung

Anmerkungen

Register

Vorwort des Übersetzers

65 Jahre nach dem Ableben von Pius XII. und 60 Jahre nach der Erstaufführung von Hochhuths „Stellvertreter“ erscheint es angebracht, die Gewißheiten der Zeitzeugen, die seit den 1960er Jahren unter einer Lawine von fiktionalen und halbfiktionalen Medienerzeugnissen verschüttet wurden, in Erinnerung zu rufen. Insbesondere in Österreich haben zwei Generationen von Theaterbesuchern und Literaturfreunden die Werke von Thomas Bernhard rezipiert, von denen kaum eines ohne den Topos der katholisch-nationalsozialistischen Verkommenheit der Gesellschaft der Alpenrepublik ausgekommen ist. Nicht nur deshalb ist heutzutage im deutschsprachigen Raum von der Rolle von Papst Pius XII. und der katholischen Kirche während des Zweiten Weltkrieges jene Auffassung vorherrschend, derzufolge beiden eine egoistische Gleichgültigkeit und eine ideelle Komplizenschaft in bezug auf die nationalsozialistischen Verbrechen anzulasten sei. Nach der Lektüre von Rabbi Dalins Arbeit werden Sie sehen: So war es nicht.

Dalin gelingt es, mit seinem facettenreich vorgetragenen Text jenes Bild wieder zurechtzurücken, das auch das Ergebnis davon ist, daß sich so mancher dazu berufen fühlt, über das historische Verhalten anderer mit dem Wissen von heute zu urteilen, ohne selbst den Bedrohungen und Ungewißheiten der realen Akteure ausgesetzt gewesen zu sein. In Vermengung mit einer (kirchen-)politischen Agenda ist dann in weiterer Folge dem Ausmaß von Zerrbildern kaum mehr eine Grenze gesetzt. Hierin liegt auch die Stärke von Dalins Bericht, weil er die Kontroverse um die Rolle von Pius XII. in den Kontext der medien- und gesellschaftspolitischen Strömungen seit den 1960er Jahren setzt. Für das daraus erwachsene Plädoyer für das Wirken der Päpste des 20. Jahrhunderts sind Katholiken dem Rabbiner zu ewigem Dank verpflichtet. In Abwandlung der Bemerkung des damaligen Bischofs von Mantua, Giuseppe Sarto, dem späteren Papst Pius X., ist man verleitet, zu sagen: Um ehrlich zu sein, insofern es die Wahrhaftigkeit betrifft, ist Rabbi Dalin der beste Katholik (siehe unten, „Päpste und Juden im 20. Jahrhundert“).

Für gläubige Katholiken hat das Übel in der Welt seinen Sinn darin, daß der Mensch seine Liebe zu Gott und zu seinem Nächsten zeigt, indem er seine Freiheit dazu nutzt, sich für das Gute und gegen das Böse zu entscheiden, und bereit ist, dafür Leid und Bestrafung in Kauf zu nehmen. Nur so kommt er „zu jenem unaussprechlichen Gastmahl, wo Gott mit seinem Sohn und dem Heiligen Geist, seinen Heiligen das wahre Licht ist, volles Genügen, ewige Freude, vollendetes Glück und vollkommene Seligkeit“ (Thomas von Aquin, Kommuniongebet).

Folgt man dem Ergebnis von Dalins Arbeit, hat die Kirche jene Prüfung bestanden, die ihr die nationalsozialistische Herrschaft auferlegt hatte. Es scheint ganz so, daß die alte „lex orandi“ der Kirche jenen Felsen verlieh, auf dem sie gemäß der Verheißung gebaut werden sollte. Beispielhaft sei daran erinnert, daß die traditionelle Meßordnung, die bis Anfang der 1960er Jahre weltweit – und daher auch in allen Gebieten, die unter nationalsozialistischer Herrschaft gestanden hatten – uneingeschränkte Geltung hatte, am Ende eines jeden Gottesdiensts die Verlesung des „Schlußevangeliums“, also des Prologs des Johannesevangeliums, vorsah. In den katholischen Kirchen im gesamten Dritten Reich – wie auch überall sonst – verlas daher der Priester den Gläubigen teilweise täglich, zumindest aber jeden Sonntag und zu jedem katholischen Hochfest, am Ende der heiligen Messe den folgenden Text, den sie in ihrem „Schott – Volksmissale“ lateinisch und deutsch mitlesen konnten:

IN principio erat Verbum et Verbum erat apud Deum, et Deus erat Verbum. […] Quotquot autem receperunt eum, dedit eis potestatem filios Dei fieri; his qui credunt in nomine eius, qui non ex sanquinibus, neque ex voluntate viri, sed ex deo nati sunt. (Genuflectit dicens) ET VERBUM CARO FACTUM EST, et habitavit in nobis; et vidimus gloriam eius gloriam quasi Unigenti a Patre, plenum gratiae et veritatis.

Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. […] Allen aber, die Ihn aufnahmen, gab er Macht, Kinder Gottes zu werden, all denen, die an Seinen Namen glauben, die nicht aus dem Blute, nicht aus dem Verlangen des Fleisches, noch aus dem Wollen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind. (Hier machen alle eine Kniebeuge.) UND DAS WORT IST FLEISCH GEWORDEN und hat unter uns gewohnt. Und wir haben Seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit.

Die Gläubigen antworteten darauf mit „Deo gratias“ bzw. „Dank sei Gott“.

Ich lade die Leser ein, sich selbst ein Bild darüber zu machen, ob die Kirche in ihrer heutigen Verfaßtheit unter auch nur ansatzweise ähnlichen Umständen die Standhaftigkeit hätte, an einer derart gegen den Zeitgeist gerichteten Glaubenswahrheit festzuhalten, und ob anzunehmen ist, daß sie bei einem künftigen Erwachen des Widersachers den Geboten Gottes und der apostolischen Tradition jene Treue erweisen wird, von der Rabbi Dalin in seiner Arbeit über Pius XII. berichtet.

Das Märchen von „Hitlers Papst“ und seine Bedeutung

60 Jahre nach dem Holocaust erscheint es angesichts des unter islamischen Fundamentalisten virulenten und bei säkularisierten Europäern rasch ansteigenden Antisemitismus als Ironie, daß ausgerechnet liberale Medien im Westen versuchen, Pius XII. (und sogar die katholische Kirche als Ganzes) des Antisemitismus zu beschuldigen. Niemand glaubte das damals. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis mindestens fünf Jahre nach seinem Tod im Jahr 1958 genoß Pius XII. eine beneidenswerte Reputation unter Christen wie unter Juden. Er wurde gepriesen als der „beseelte moralische Prophet des Sieges“ und „genoß nahezu überall Beifall für seine Hilfe für die europäischen Juden“. Er war, wie es ein Historiker treffend formuliert hat, „allseits von Katholiken und Nichtkatholiken gepriesen als der geistige Anführer nicht nur des Katholizismus, sondern der westlichen Zivilisation insgesamt“1. Im Jahr 1951 konnte ihn der bedeutende britische Schriftsteller (und liberale Katholik) Graham Greene als jenen Papst preisen, „von dem viele von uns glauben werden, daß er zu den größten gehören wird“2, eine Einschätzung, die von vielen Katholiken und Juden geteilt wurde, die dem Papst für seine zahlreichen Anstrengungen, das Leben von Juden während des Zweiten Weltkrieges zu schützen, Hochachtung entgegenbrachten.

Der Rufmord

Der rhetorische Feldzug gegen das Verhalten des Papstes während des Krieges begann als leicht zu durchschauende kommunistische Agitprop gegen den entschieden antikommunistischen Pontifex. Die Verleumdung nahm mit der Premiere des Theaterstücks „Der Stellvertreter“ von Rolf Hochhuth, einem jungen, linken Deutschen (und früheren Mitglied der Hitlerjugend), im Jahr 1963 wieder Fahrt auf. Hochhuth verunglimpfte Eugenio Pacelli (der im Jahr 1939 Papst Pius XII. geworden war) als Nazikollaborateur und als eiskalten, ehrgeizigen Pontifex, der sich moralischer Feigheit und unentschuldbarer Untätigkeit schuldig gemacht haben sollte, während die Juden Europas von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Beworben als das „kontroversiellste Stück seiner Zeit“ war „Der Stellvertreter“ fiktional, hochgradig polemisch und bot keinerlei historischen Beleg. Nichtsdestotrotz wurde es zur Sensation und entfachte eine hitzige Kontroverse in den Medien und in der Intelligenzija.3

Dies geschah vor 40 Jahren – warum besteht der Mythos nach wie vor? Warum ist das wichtig? Wichtig ist das zunächst einmal wegen unserer Pflicht zur Wahrheit, wichtig ist es außerdem, weil die Auseinandersetzung um die Reputation von Pius XII. einen der bedeutendsten historischen Konflikte im Kulturkampf darstellt. Eine zunehmend linksorientierte intellektuelle Klasse möchte nicht nur den traditionellen Katholizismus, sondern das Christentum insgesamt und sogar das Judentum anschwärzen. Es ist kein Zufall, daß einige der extremsten Kritiker des Papstes – beispielsweise James Carroll, Autor von „Constantine’s Sword“, oder Garry Wills, Autor von „Papal Sin“ – ebenfalls zu den größten Kritikern von Johannes Paul II. gehörten.

Nur sehr wenige aktuelle Bücher über Pius XII. und den Holocaust beschäftigen sich tatsächlich mit dem Papst der Kriegszeit und der Shoah. Die liberalen Bestseller, die den Papst und die katholische Kirche angreifen, sind in Wirklichkeit Teil der innerkatholischen Auseinandersetzung über die aktuelle Ausrichtung der Kirche selbst. Der Holocaust ist schlicht und einfach der größte verfügbare Prügel, mit dem liberale Katholiken das Papsttum diskreditieren und damit die traditionelle katholische Lehre – speziell in Themen der Sexualmoral einschließlich Abtreibung, Empfängnisverhütung und der Rolle von Frauen in der Kirche – attackieren können. Die papstfeindliche Polemik von Exseminaristen wie Garry Wills und John Cornwell, dem Autor von „Pius XII. Der Papst, der geschwiegen hat“, engl. „Hitler’s Pope“, von ehemaligen Priestern wie James Carroll oder von anderen abgefallenen oder verärgerten liberalen Katholiken nutzt die Tragödie des jüdischen Volkes während des Holocausts aus, um ihre eigene politische Agenda voranzubringen, mit der heute Änderungen in der Kirche erzwungen werden sollen.

Dieser Kaperung des Holocausts ist entgegenzutreten. Die Wahrheit über Pius XII. – die von den Mainstreammedien geflissentlich ignoriert wird, während man aus mangelhaft recherchierten Darstellungen Bestseller macht – muß wiederhergestellt werden. Der liberale Kulturkampf gegen die Tradition, in dem die Kontroverse um Pius XII. ein Schauplatz ist, muß als das angesehen werden, was er ist: ein Angriff auf die katholische Kirche und traditionelle Religion.

Es ist erstaunlich, daß die extreme Form, die die Angriffe auf die katholische Kirche angenommen haben, so selten kommentiert wird, obwohl die Herstellung von den Katholizismus attackierenden Büchern und Artikeln zu einem Dauergeschäft der Mainstreammedien geworden ist. Ein Beispiel dafür ist die Ausgabe der „New Republic“ vom 21. Jänner 2002, in der Daniel Goldhagens Aufsatz „What Would Jesus Have Done?“ („Was hätte Jesus getan?“) erschienen ist. Dabei handelte es sich um einen der haßerfülltesten Angriffe auf die katholische Kirche (und insbesondere Pius XII.), der jemals in einer großen amerikanischen Zeitschrift erschienen ist. Die „New Republic“ widmete Goldhagens antikatholischer Tirade beispiellose 24 Seiten und brachte sie als Titelgeschichte.

Im Herbst 2002 dehnte Goldhagen seinen Aufsatz auf ein ganzes Buch aus. In „A Moral Reckoning. The Role of the Catholic Church in the Holocaust and Its Unfulfilled Duty of Repair“ (dt. „Die katholische Kirche und der Holocaust“) griff er die Kirche erneut an und goß weiteres Öl in die lodernde Kontroverse um die Rolle des Vatikans während des Holocausts.4

Kontroversen sind Goldhagen nicht fremd. Im Jahr 1996 sorgte er mit der Veröffentlichung von „Hitlers willige Vollstrecker“ für eine internationale Sensation, das Werk genoß breite Medienpräsenz, verblieb viele Wochen auf der Bestsellerliste der „New York Times“ und bot eine bemerkenswert einfache und plumpe Erklärung für den Holocaust: Die Schuld sei den gewöhnlichen Deutschen und ihrer einzigartig bösartigen Form des Antisemitismus zu geben, dessen Ziel die Vernichtung der Juden gewesen sei. Der Holocaust, so erklärte Goldhagen, sei einem mörderischen bzw. „eliminatorischen“ Antisemitismus zuzuschreiben, der im deutschen Volk weit verbreitet und intrinsischer Teil des deutschen Charakters sei. Zur nationalsozialistischen Vernichtung der Juden habe es also kommen können, weil die deutliche Mehrheit des deutschen Volkes bereits vorher darauf eingestellt gewesen sei, Juden zu töten. Daher wurde sie zu willigen und begeisterten Anhängern der nationalsozialistischen Führung bei deren erfolgreichen Bemühungen, die „Endlösung“ in die Wege zu leiten. Während Goldhagen damit international berühmt wurde, wurde seine vereinfachende Argumentation von ernst zu nehmenden Historikern umfassend kritisiert.5

In seinem neueren Buch sind Goldhagens historisches Verständnis und seine Interpretation des Antisemitismus erneut bemerkenswert schlicht und ebenso unehrlich und irreführend. In „A Moral Reckoning“ verurteilt Goldhagen das Christentum und speziell die katholische Kirche als Hauptursache für antiken, mittelalterlichen und modernen Antisemitismus.

Ebenso wie „Hitlers willige Vollstrecker“ ist sein neueres Buch voll von faktischen Fehlern, historischen Fehlinterpretationen und der Unterdrückung eindeutiger Belege, die seiner Argumentation widersprechen. Beispielsweise sind zahlreiche Daten, die er für die Einrichtung europäischer Ghettos angibt, unrichtig.6 So wurde das Ghetto in Rom, einer der tragischsten Meilensteine in der Geschichte katholisch-jüdischer Beziehungen, 1556 errichtet und nicht, wie Goldhagen angibt, 1555. Ebenso wurde das Ghetto in Venedig 1517 und nicht 1516 (Goldhagen) sowie jenes in Frankfurt 1462 und nicht 1460 errichtet. Mit der Datierung des Wiener Ghettos auf 1570 liegt Goldhagen um mehr als 50 Jahre daneben, da das Wiener Judentum nicht vor 1626 in ein Ghetto gezwungen wurde.

In „A Moral Reckoning“ fokussiert sich Goldhagen auf Pius XII. als Symbol katholischer Boshaftigkeit und wiederholt so gut wie jede Anschuldigung, die je gegen diesen vorgebracht worden ist, einschließlich der unhaltbarsten. In seiner Verurteilung von Pius XII. als Antisemit und Kollaborateur des nationalsozialistischen Deutschland beschränkt sich Goldhagens Tirade nicht allein auf Pius. Goldhagens verantwortungslose Brandrede gipfelt in einer Attacke auf Johannes Paul II. und die heutige Kirche, in der die historische Rolle Johannes Pauls II. als Freund des jüdischen Volkes heruntergespielt oder komplett ignoriert wird, eines Papstes, der mehr als jeder vor ihm dafür getan hat, eine neue und nie dagewesene Ära katholisch-jüdischen Dialoges und der Versöhnung in Gang zu setzen.

Darüber hinaus setzt Goldhagen das Christentum mit Antisemitismus gleich. Er erklärt, „die Hauptverantwortung für das Hervorbringen des im Westen dauerhaft verbreiteten Hasses liegt beim Christentum und ganz besonders bei der katholischen Kirche“7. Damit ignoriert er geflissentlich den Antisemitismus des atheistischen Sowjetrußland und die Tatsache, daß die Nationalsozialisten, die den Holocaust begingen, sowohl antichristlich als auch antisemitisch waren.

Für Goldhagen wie auch für Carroll oder andere Kritiker des Papstes stellt der Antisemitismus einen zentralen katholischen Wert dar, der auch die Quelle des europäischen Antisemitismus ist. Tatsächlich verwirft Goldhagen das Neue Testament und das daraus abgeleitete katholische Denken als inhärent antisemitisch, das „offensichtlich eine integrale Beziehung zur Genese des Holocaust“8 beinhalte. Goldhagen betrachtet Pius XII. unterstellten Antisemitismus als etwas Erwartbares, da er „in einer von Grund auf antisemitischen Kirchenhierarchie aufgestiegen [sei], einer institutionellen Kultur, angetrieben von der Auffassung, daß alle Juden Christusmörder und für viele angebliche Übel der Moderne verantwortlich seien.“9

Wie der jüdische Gelehrte Michael Berenbaum bemerkt hat, „unterschlägt Goldhagen sämtliche ausgleichenden Traditionen der Toleranz“10, die es im römisch-katholischen Denken gab und gibt. Er stellt die frühen Kirchenlehrer, die zur Toleranz gegenüber den Juden aufgerufen haben, unrichtig dar, und seine Verzerrung der Ansichten des hl. Augustinus zu den Juden und dem Judentum ist besonders haarsträubend. Ebenso ist Goldhagens nicht belegbare Behauptung, daß „es keinen Unterschied zwischen dem kirchlichen Antisemitismus und seinem Ausläufer, dem europäischen Antisemitismus“, der zum Holocaust geführt habe, gebe, für jemanden mit geschichtswissenschaftlichem Anspruch erstaunlich einfältig und obendrein falsch.

Goldhagens Buch hat trotz seiner völligen Ermangelung jedweder wissenschaftlich gebotenen Neutralität einen festen Platz in der Liste der antikatholischen Literatur gefunden, wie es auch Paul Blanshard 1949 mit seiner Panikmache in „American Freedom and Catholic Power“ gelungen ist. Blanshards Buch war ein mehrmals aufgelegtes Standardwerk für antikatholische, evangelikale Leser. Goldhagens Buch wurde eines von mehreren Standardwerken für säkulare Linke, deren Haß auf den Katholizismus auf dessen Widerstand gegen die Abtreibung, Schwulenrechte, das Frauenpriestertum und den Rest der liberalen Agenda beruht. Wenn, wie es der jüdische Theologe Will Herberg einmal formuliert hat, „der Antikatholizismus der Antisemitismus der säkularen jüdischen Intellektuellen“ ist, dann ist Goldhagen der antisemitischste der jüdischen Papstkritiker des Papstes.

Goldhagens Forderung, daß die katholische Kirche, wie wir sie kennen, als Schande und Gefahr für uns alle abgeschafft werden solle, möge als Warnung für alle Menschen des Glaubens dienen, welcher Haß säkulare Herzen antreibt, die traditionelle Religion zu beseitigen. Daß ein derartiges Werk in antikatholischen Kreisen seine Leser findet, ist keine große Überraschung – daß aber Medienhäuser wie Knopf und ein großes liberales Magazin wie „New Republic“ derartiges verbreiten, ist ein intellektueller und medialer Skandal.

Der intellektuelle Boden, der diesen Skandal ermöglichte, war der Mythos von „Hitlers Papst“, den die Mainstreammedien bereitwillig als Wahrheit propagierten. Als Cornwells „Hitler’s Pope“ im Jahr 1999 erschien, wurde es ein internationaler Bestseller. Cornwell prangerte Pius XII. als den „gefährlichsten Kirchenmann der modernen Geschichte“ an, ohne den „Hitler niemals in der Lage gewesen wäre, den Holocaust voranzutreiben“. Die Leser von Cornwells Bestseller wurden dazu verleitet, zu glauben, daß Pacelli bereits vor seinem päpstlichen Amtsantritt ein ergebener Anhänger und Unterstützer von Adolf Hitler gewesen sei. Tatsächlich war er, wie wir im folgenden sehen werden, einer der frühesten und konsequentesten Kritiker.

Auszüge von „Hitler’s Pope“ erschienen in „Vanity Fair“ und in der Londoner „Sunday Times“. Die meisten liberalen Rezensenten und Kommentatoren unterstützten Cornwells Behauptungen kritiklos, offenbar ohne deren Stichhaltigkeit zu überprüfen. Cornwell wurde zu einer gefragten Berühmtheit im Kreislauf aus Lesungen, Talkshows und Signierstunden, und die Fernsehsendung „60 Minutes“ widmete ihm ein schmeichelhaftes Porträt.

Cornwell zog seine Behauptungen später zurück, was aber nicht auf den Druck der Mainstreammedien zurückzuführen war, die seine unverifizierten (und religionsfeindlichen) Schlussfolgerungen freudig verbreitet hatten.11 Der Autor Eugene Fisher, promoviert in hebräischer Kultur- und Erziehungswissenschaft, beklagte in dem Zusammenhang: „Es zeichnet ein trauriges Bild der säkularen Medien, feststellen zu müssen, dass diese unverhohlen antikatholische Tirade jemals veröffentlicht und auch noch zu einem Beststeller aufgebauscht wurde.“12

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß in letzter Zeit Bücher von katholischen Gelehrten wie Ronald J. Rychlak, Pierre Blet, Margherita Marchione, Ralph McInerny, Justus George Lawler oder Jose Sanchez erschienen sind, die Pius XII. verteidigen. Sie bieten wohldokumentierte Berichte über päpstliche Anstrengungen, während des Holocaust Juden zu schützen und zu verstecken, und zeigen weiters, wie die Diplomatie des Papstes und Rettungsaktionen des Vatikans hunderttausende Juden und andere unschuldige Opfer vor dem Nationalsozialismus gerettet haben. Aber diese Bücher wurden – trotz ihrer umfassenden Belege – von den liberalen Mainstreammedien nahezu ignoriert und erschienen nicht bei bekannten Verlagen, sondern in katholischen Nischenhäusern. Die Bücher gelangten nicht auf Bestsellerlisten, tatsächlich sind sie nicht einmal in großen Buchhandlungen leicht zu finden.13

Das Herausragendste dieser Werke, nämlich Rychlaks „Hitler, the War and the Pope“ – die bislang tiefgreifendste, am besten recherchierte und lesbarste Studie –, liefert Punkt für Punkt eine überzeugende Widerlegung von Cornwells Behauptungen. „The Defamation of Pius XII.“ von Ralph McInerny, einem angesehenen Professor für mittelalterliche christliche Philosophie an der Universität von Notre Dame, wurde ebenfalls praktisch ignoriert. Anders als die Werke von Cornwell, Wills und Carroll wurden diese wissenschaftlich fundierten Verteidigungen von Pius niemals von der „New York Times“, der „New York Review of Books“ oder der „New Republic“ besprochen. Im Ergebnis wurde dem Mythos von „Hitlers Papst“ damit das Mäntelchen wissenschaftlicher Allgemeingültigkeit umgehängt, während die Wahrheit über Pius XII. als Verteidiger der Juden in der Zeit ihrer größten Not als bloßes Plädoyer einer katholischen Minderheit abgetan wurde.

Dies ist auch dann der Fall, wenn die Anschuldigungen gegen den Papst offensichtlich hysterische Ausmaße annehmen, wie beispielsweise in Cornwells „sensationslüsterner und unzuverlässiger“ Darstellung in „Hitler’s Pope“. Wie Eugene Fischer festhielt, ist darin „Pacelli nicht nur für Hitlers triumphalen Aufstieg in den 1930er Jahren allein verantwortlich, sondern auch noch für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs! […] Das nationalsozialistische Deutschland wird aus der Verantwortung entlassen, und nahezu sämtliches Leid des 20. Jahrhunderts wird einem einzelnen italienischen Katholiken angelastet.“14

Andere Rezensenten haben Cornwells schlampige Arbeitsweise bemängelt, ohne aber den Mythos anzukratzen. Beispielsweise hat der jüdische Historiker William D. Rubenstein, eine anerkannte Größe in der Holocaustforschung, „Hitler’s Pope“ als „böswilliges Beispiel von Diffamierung und Rufmord“15 charakterisiert. Eine der vernichtendsten Kritiken kam von Kenneth L. Woodward, einem Kolumnisten bei „Newsweek“ und dort für das Religionsressort verantwortlich, der Cornwells Buch als „klassisches Beispiel dafür“ bezeichnete, „was passiert, wenn sich ein schlecht gerüsteter Journalist auf das Feld nüchterner Wissenschaftlichkeit begibt. […] er verwendet fast ausschließlich Sekundärquellen von Pacellis schärfsten Kritikern. Faktische Fehler und Mißachtung des Kontextes tauchen beinahe auf jeder Seite auf. Cornwell stellt alle Motive [Pius’] in Frage, aber hinterfragt nie jene, die eine Geschichte erzählen. So etwas ist Pseudowissenschaft.“16 Das ist wahr, aber der Mythos von Hitlers Papst ist für Liberale, die das Papsttum, das Christentum und die traditionelle Religion anschwärzen wollen, einfach ein zu praktisches Mittel. Der Historiker Philip Jenkins liegt richtig, wenn er sagt, daß „‚Hitler’s Pope‘ nur als eine Serie von Tiefschlägen gegen die moderne katholische Kirche und speziell gegen das Pontifikat von Johannes Paul II. verstanden werden“17 könne.

In „Papal Sin“ trifft der Angriff von Garry Wills nicht nur Pius XII. im Zusammenhang mit dem Holocaust, sondern er weitet diesen auch auf Johannes Paul II. als Erben und Verteidiger der (laut Untertitel) „Strukturen der Täuschung“ der Kirche aus. In seinem Folgewerk „Why I Am a Catholic“ verurteilt Wills das gesamte mittelalterliche und moderne Papsttum. Philip Jenkins bemerkt dazu, daß das zweite Vatikanische Konzil nach Ansicht von Wills „einen kurzen Lichtblick der liberalen Aufklärung darstellte, aber die Dunkelheit der Hölle erneut in der Form von Johannes Paul II. herabgekommen sei, den Wills als gutgläubigen Größenwahnsinnigen bezeichnet“ und der noch sündhafter sei als Pius XII.18 Obschon sie das Papsttum als „Institution voller Fehler“19 angreifen, betrachtet sich Wills wie Cornwell als Teil einer liberalen, aber „loyalen Opposition“ innerhalb des konservativen Pontifikates von Johannes Paul II. Naheliegenderweise steht die Loyalität dieser Opposition in Frage, wenn sie Johannes Paul II. vorwirft, die traditionelle Lehre der Kirche zum priesterlichen Zölibat, der Empfängnisverhütung, der Abtreibung, der Homosexualität, der Priesterweihe von Frauen, der Unfehlbarkeit des Papstes, der Realpräsenz in der Eucharistie, der Apostelnachfolge, der unbefleckten Empfängnis, der Himmelfahrt Mariens und dem Lehramt selbst aufrechtzuerhalten. Wills fordert ein Ende des Priestertums „in jener Form, wie es über die Jahrhunderte bekannt war“, während er die Priesterweihe für Frauen, die Abschaffung des priesterlichen Zölibats und ein Ende jeglicher Autorität des Papstes befürwortet.

Wie es einer der Kritiker von Wills kürzlich formulierte, „haben wir mit Wills einen Katholiken, aber seine Angriffe auf die Kirche sind so grundlegend, daß die Frage bleibt, was dieser Begrifff überhaupt bedeutet“20. Tatsächlich ist Wills in seinen Angriffen auf die Kirche derart extrem, daß ihn sogar seine ideologischen Freunde zur Rede gestellt haben. In einem Beitrag für die „New York Times“ schloß sich der liberale Philosoph Richard Rorty Wills Empfehlung, die „päpstliche Tyrannei umzustürzen“, an, schloß daraus aber, daß, wenn Wills damit tatsächlich recht haben sollte, „nicht klar [sei], wozu wir eine Kirche Christi überhaupt benötigen“.21

Eamon Duffy von der Universität Cambridge, der weltweit vermutlich bedeutendste Kenner der Geschichte des Papsttums, schrieb in einer scharfen, beißenden Kritik an Wills in „Commonweal“:

Es liegt etwas abstoßend Illiberales in Wills zorniger liberaler Selbstsicherheit, seiner umfassenden und unqualifizierten Überzeugung, daß jeder richtig denkende Katholik mit ihm übereinstimmen müsse und daß die Ansichten, die er ablehnt, nur durch Gewaltherrschaft und intellektuellen Kleister zusammengehalten werden könnten. Jedes Thema, das er angeht, ist für ihn ein klarer Fall, und er findet in den Standardwerken von Bibelkommentierungen und der populärwissenschaftlichen Geschichte unwiderlegbare Beweise für die Richtigkeit seiner Ansichten. Die Argumente der Kirche sind nicht, so wie Wills sie darstellt, schon auf den ersten Blick lächerlich. Er bemüht sich kaum, die Argumentationen und Begründungen, die die Kirche anbietet, vorzustellen, sondern widmet sich der Auflehnung gegen die Schlußfolgerungen.22

Ralph McInerny, herausragender Philosoph und Essayist an der Universität von Notre Dame, hat argumentiert, daß die Motivation der liberalen katholischen Kritiker von Pius XII. im Haß auf Johannes Paul II. zu suchen sei, insbesondere im Haß auf dessen Widerstand gegen die „Kultur des Todes“, die sich ganz besonders im Verlangen nach frei zugänglicher Abtreibung zeige, die viele liberale Kritiker von Pius XII. (wie auch von Johannes Paul II.) offen unterstützen. McInerny entgeht nicht die Ironie, die darin liegt, daß die Verleumder von Pius XII. „diesen dafür angreifen, daß er nicht mehr getan hat, um gegen Hitlers ‚Endlösung‘ Widerstand zu leisten, und sie selbst gleichzeitig das unterstützen, was viele als die ‚Endlösung‘ der heutigen unerwünschten Schwangerschaft betrachten“23. Er entblößt ihre moralische Inkonsequenz schonungslos.

Die liberalen Kritiker argumentieren, daß Pius XII. und die katholische Kirche die Schuld am Holocaust zu tragen hätten. Darüber hinaus seien der Kirche weitere Aspekte anzulasten, für die der verstorbene Johannes Paul II. stellvertretend steht. Johannes Pauls II. Bestätigung traditioneller Kirchenlehren gehe Hand in Hand mit dem Pius XII. unterstellten Antisemitismus; das Bestehen des Vatikans auf die päpstliche Autorität gehe unmittelbar zurück auf deren Komplizenschaft mit der nationalsozialistischen Vernichtung der Juden.

Das ist ein monströser moralischer Vergleich und ein Mißbrauch des Holocausts, den Juden ablehnen müssen. Der Holocaust kann nicht legitimerweise in einer derartigen Debatte für parteiische Zwecke benutzt werden. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn ein solches Ansinnen die Bezeugungen von Holocaustüberlebenden herabwürdigt, die Pius XII. für seine Anstrengungen zu ihren Gunsten Anerkennung gezollt haben. Es ist außerdem ein abscheulicher Rufmord, Schuld, die bei Hitler und den Nationalsozialisten liegt, einem Papst anzulasten, der ein Freund der Juden war und sich Hitler und den Nationalsozialisten widersetzte. Was auch immer Juden betreffend des römischen Katholizismus empfinden, sie haben eine Pflicht, Argumente zurückzuweisen, die den Holocaust dazu mißbrauchen, einen liberalen Kulturkampf gegen die katholische Kirche zu führen, der, wenn er erfolgreich ist, wegen der unbändigen Geringschätzung der liberalen Kritiker für religiöse Traditionen und Wahrheit die Grundlagen sowohl des Christentums wie auch des Judentums untergraben würde.

Die Verteidigung eines Papstes

Daß einige mittelalterliche wie moderne Päpste judenfeindlich waren, ist eine historische Tatsache. Es ist auch wahr, daß Pius XII. in der Vergangenheit jüdische Gegner hatte. Im Jahr 1964 publizierte beispielsweise Guenter Lewy „Die katholische Kirche und das Dritte Reich“, Saul Friedländer ergänzte dies 1965 um „Pius XII. und das Dritte Reich“. Beide Werke behaupteten, daß Pius’ Antikommunismus diesen dazu verleitet habe, Hitler als Bollwerk gegen die Sowjetunion zu unterstützen. Die Wissenschaftlichkeit – oder historische Analyse – beider Bücher wurde ernsthaft in Zweifel gezogen, und Livia Rothkirchen, die angesehene Historikerin des slowakischen Judentums in Yad Vashem, Israels Holocaustgedenkstätte und -museum in Jerusalem, schrieb eine einprägsame und vernichtende Kritik zu Friedländers Buch.

Für jeden jüdischen Gegner wurde Pius XII. jedoch mit einem jüdischen Verteidiger gesegnet. An erster Stelle ist der israelische Historiker und Diplomat Pinchas Lapide zu nennen, der israelischer Konsul in Mailand gewesen war und mit zahlreichen italienischen Holocaustüberlebenden gesprochen hatte. In seiner akribischen und umfassenden Arbeit „Rom und die Juden“ von 1967 argumentierte Lapide überzeugend, daß Pius XII. „maßgeblich daran beteiligt [gewesen sei], mindestens 700.000, möglicherweise bis zu 860.000 Juden vor dem sicheren Tod durch die Nationalsozialisten zu retten“. Lapides Werk bleibt die maßgebliche Arbeit eines jüdischen Gelehrten zu diesem Thema.

Joseph L. Lichten, der Vertreter der Anti-Defamation League in Rom, schrieb 1963 eine einflußreiche und häufig zitierte Monographie mit dem Titel „A Question of Judgement“, um die falschen und infamen Unterstellungen in Hochhuths Stück „Der Stellvertreter“ zu widerlegen und gleichzeitig die hohe Meinung, die jüdische Führer während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg von Pius XII. hatten, für die Nachwelt zu dokumentieren.

Jeno Levai, der große ungarische jüdische Historiker, war von dem Vorwurf des päpstlichen „Schweigens“ derart verärgert, daß er eine 1968 unter dem Titel „Hungarian Jewry and the Papacy. Pius XII Did Not Remain Silent“ auf Englisch erschienene Streitschrift verfaßte, zu der Robert M.W. Kempner, der stellvertretende Chefankläger der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, Vorwort und Epilog beisteuerte. 1938 hatte Jeno Levai Eugenio Pacelli als den damaligen Außenstaatssekretär des Vatikans erleben können, als dieser in Budapest eine Reihe flammender Stellungnahmen gegen den Nationalsozialismus und den Kommunismus abgab. Jahre später, als die Vorwürfe gegen Pacelli erstmals erhoben wurden, sprang Levai, der einer der führenden Holocaustforscher Europas geworden war, zur Verteidigung des Papstes in die Bresche.

Levais meisterhafte Arbeit, die traurigerweise von den meisten Kritikern des Papstes ignoriert wird, widerlegt alle Hauptvorwürfe gegen Pius XII. unter Fokus auf die jüdischen Erfahrungen in Ungarn. Unter Verwendung kirchlicher und staatlicher Archive in Ungarn zeigt Levai, wie der päpstliche Nuntius und die Bischöfe „auf Anweisung des Papstes wiederholt intervenierten“, und daß es in Folge dieser Anordnungen „im Herbst 1944 praktisch keine kirchliche Institution in Ungarn gab, in der verfolgte Juden nicht Zuflucht gefunden hätten“.24

Die überzeugende Einleitung und der Epilog, die Robert M.W. Kempner zu Levais Arbeit verfaßt hat, sind für sich genommen bemerkenswert. Als stellvertretender US-Chefankläger in Nürnberg zögerte Kempner nicht, jene, die Pius XII. verleumdeten, mit jenen Revisionisten zu vergleichen, die den vollen Umfang des Holocausts leugnen:

In den letzten Jahren gab es keinen Mangel an weit hergeholten oder böswilligen Versuchen, diese historische Tatsache zu verschleiern oder verzerrt zu interpretieren […]. Wir sind hier nun mit einer anderen vorsätzlichen oder zumindest grob fahrlässig angewandten Methode konfrontiert, die darauf abzielt, die Schuld jener zu verkleinern, die die wahren Schuldigen sind. Dies geschieht, indem die Schuld für den Holocaust nicht auf Hitler als die zentrale Figur des Vernichtungssystems fokussiert wird, sondern auf den Papst Pius XII., indem in Printmedien und im Theater eine neue Theorie verbreitet wird: Pius XII. habe nie einen entschlossenen Protest gegen Hitlers „Endlösung der Judenfrage“ geäußert, und deshalb habe die Katastrophe das heute bekannte Ausmaß angenommen. Sowohl die Prämisse als auch die daraus abgeleiteten Schlußfolgerungen sind gleichermaßen haltlos. Die Archive des Vatikans, der Diözesanämter und des Auswärtigen Amts Ribbentrops enthalten eine ganze Reihe von Protesten – direkte und indirekte, diplomatische und öffentliche, geheime und offene.25

Im Epilog zu Levais Werk fügte Kempner hinzu:

Ich selbst bin absolut vertraut mit […] der wichtigen Rolle der katholischen Kirche im Kampf gegen die „Endlösung in Ungarn“ und habe dies immer betont, unter anderem in meinem Buch „Eichmann und Komplizen“. Weder Rolf Hochhuths Theaterstück […] noch die Bücher von Guenter Lewy und Saul Friedländer liefern irgendeinen Grund, diese Ansicht zu ändern. Die Kirchendokumente, die im vorliegenden Buch von Levai erstmals veröffentlicht werden, […] bekräftigen meine positive Meinung über die Einstellung des Vatikans zu jener Zeit und des Papstes Pius XII., für den ich seit der Zeit seines Aufenthaltes in Berlin den größten Respekt hatte.26

Mehrere jüdische Gelehrte haben Pius seit der Veröffentlichung von „Hitler’s Pope“ und den darauffolgenden Angriffen in Schutz genommen. Michael Tagliacozzo, der beste Kenner – und selbst Überlebender – der Massenfestnahmen der Juden Roms, hat die Rolle von Pius während der nationalsozialistischen Besatzung vehement verteidigt. Er hat nachgewiesen, daß Pius selbst wesentlich dazu beigetragen hat, das Leben von rund 5000 römischen Juden zu retten, die auf Anweisung des Papstes im Vatikan und zahlreichen Klöstern und Konventen in Rom Schutz fanden. Nachdem er den Terror der nationalsozialistischen Besatzung von Rom am eigenen Leib erlebt und die betreffenden Originaldokumente studiert hatte, hatte Tagliacozzo nichts als Lob für Pius XII. „Ich weiß, daß viele Papst Pacelli kritisieren“, sagte er in einem Interview. „Ich habe eine Mappe mit dem Titel ‚Verunglimpfungen von Pius XII.‘ auf meinem Tisch in Israel, aber mein Urteil kann nur positiv ausfallen. Papst Pacelli war der einzige, der einschritt, um die Deportation der Juden am 16. Oktober 1943 zu behindern, und er tat sehr viel, um Tausende von uns zu verstecken und zu retten.“27 Nach Tagliacozzo belegen die relevanten italienischen Archive zum Holocaust klar, daß die Proteste und Maßnahmen von Pius XII. für die Rettung von 80 Prozent der Juden Roms entscheidend waren.28 Richard Breitman (der einzige Historiker, dem es gestattet wurde, streng geheime amerikanische Spionagedokumente aus dem Zweiten Weltkrieg einzusehen) hielt fest, daß Geheimdokumente das Ausmaß beweisen würden, wie sehr „Hitler dem Heiligen Stuhl mißtraute, weil dieser Juden versteckte“29. Einiges davon, wie beispielsweise der Befehl an die SS, den Papst zu entführen, ist öffentlich bekannt. Es gibt zahlreiche weitere dokumentierte Korrespondenzen von Nationalsozialisten, die die Ansicht des hochrangigen nationalsozialistischen Funktionärs Reinhard Heydrich teilten, der seinen Untergebenen im späten Frühjahr 1942 erklärte: „Wir sollten nicht vergessen, daß der Papst in Rom auf lange Sicht ein größerer Feind des Nationalsozialismus ist als Churchill oder Roosevelt.“30

Sir Martin Gilbert war ein weiterer ausdrücklicher jüdischer Verteidiger von Pius XII. Gilbert, der gefeierte offizielle Biograph von Winston Churchill, war einer der herausragendsten und anerkanntesten Historiker und Biographen unserer Zeit. Er schrieb zahlreiche hochgelobte Arbeiten, wie „Das jüdische Jahrhundert“, „Auschwitz und die Alliierten“ und „Endlösung. Die Vertreibung und Vernichtung der Juden“. Diese Werke sind unverzichtbar für jeden, der in der Holocaustforschung aktiv ist.

Gilbert dokumentierte, wie Pius XII. (über Radio Vatikan) einer der ersten war, die öffentlich die nationalsozialistischen Grausamkeiten verurteilten und für die Juden Europas das Wort ergriffen. In einem späteren Buch „The Righteous. The Unsung Heroes of the Holocaust“ erzählte er von den Leistungen außergewöhnlicher Katholiken, die unter der Anleitung von Pius XII. unter großen Gefahren für sich selbst und ihre Kirche an zahlreichen Orten im von den Nationalsozialisten besetzten Europa Juden retteten. Insgesamt, so schätzte Gilbert, haben verschiedene christliche Kirchen während des Holocausts bis zu einer halben Million jüdische Leben gerettet, und die Mehrheit davon wurde vom Klerus und den Laien der katholischen Kirche – der in den besetzten Gebieten vorherrschenden Religion – gerettet. Als er in einem Interview gefragt wurde, ob er der vom Vatikan im Jahr 1998 veröffentlichten Schätzung, derzufolge Pius XII. „persönlich oder durch seine Vertreter“ bei der Rettung von hunderttausenden jüdischen Leben eine direkte Rolle gespielt habe, zustimme, antwortete Gilbert: „Ja, hunderttausende Juden [wurden] von der katholischen Kirche unter der Leitung und mit der Unterstützung von Papst Pius XII. gerettet, […] meiner Meinung nach ist [diese Schätzung] absolut korrekt.“31

Eines der Hauptargumente von Gilbert, daß nämlich Pius XII. nicht nur den katholischen Diplomaten, dem Klerus und den Laien Leitlinien und Inspiration gegeben, sondern sich auch selbst in Rettungsmaßnahmen engagiert habe, wird von den Kritikern des Papstes schlicht und einfach ignoriert. In einer Rede zum Thema „Christen und der Holocaust“, die er im Church House in London hielt, erklärte Gilbert: „Der Papst höchstpersönlich […] gab am Vorabend der deutschen Deportation der Juden Roms die Anweisung, die Zufluchtsorte der Vatikanstadt für alle Juden zu öffnen, die sie erreichen konnten. […] In Folge dieses Befehls des Papstes und aufgrund der raschen Reaktion des katholischen Klerus wurden von den 6800 Juden Roms nur 1015 tatsächlich deportiert. Diese Aktion des Papstes, von der ich in den aktuellen Debatten im ‚J’accuse-Stil‘ noch nichts gehört habe, hat mehr als 4000 Leben gerettet.“32

Für jüdische Verantwortungsträger einer früheren Generation wäre die Vorstellung, daß Pius XII. als „Hitlers Papst“ verleumdet werden könnte, schockierend gewesen. Am Ende des Zweiten Weltkriegs und noch Jahrzehnte danach wurde Pius XII. von wichtigen jüdischen Persönlichkeiten durchgehend gelobt: Dazu zählen der Nobelpreisträger und Physiker Albert Einstein, Chaim Weizmann, Israels erster Präsident, Golda Meir und Moshe Sharett, israelische Ministerpräsidenten, Rabbi Isaac Herzog, der Oberrabbiner von Israel, und Dr. Alexandre Safran, der Oberrabbiner von Rumänien. Jüdische Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens überschütteten Pius XII. mit Lob für seinen Einsatz für den Schutz der Juden während des Zweiten Weltkriegs.

Seit 1962 zeichnet Yad Vashem, die israelische Holocaustgedenkstätte, als „Gerechte unter den Völkern“ jene Nichtjuden aus, die während des Holocaust jüdische Leben gerettet haben. Millionen Menschen sahen Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ über Oskar Schindler, einen deutschen katholischen Industriellen, der die Leben von 1200 Juden gerettet hat. Viele haben auch von Raoul Wallenberg gehört, dem jungen schwedischen Diplomaten, dem die Rettung von zehntausenden Juden in Budapest zugerechnet wird, sowie von Monsignor Angelo Rotta, dem heroischen Botschafter des Vatikans in Ungarn. Andere katholische Priester, wie Kardinal Pietro Palazzini, wurden ebenfalls auf ähnliche Weise von Israel geehrt. Ich werde in diesem Buch darlegen, warum Pius XII. ebenso als „Gerechter unter den Völkern“ ausgezeichnet werden sollte; kein anderer Papst in der Geschichte hat jemals zuvor so umfassendes Lob von Juden erhalten, wie es bei Pius für seine Rolle bei der Rettung von Juden während des Holocausts der Fall gewesen ist.

Dieses Buch wird das Märchen von „Hitlers Papst“ entlarven und damit auch den Makel entfernen, mit dem liberale Katholiken ihre eigene Kirche befleckt haben, die im übrigen auch nicht die Quelle des nationalsozialistischen Antisemitismus ist. In Wirklichkeit, wie im folgenden Kapitel ausgeführt, gab es seit zumindest dem 14. Jahrhundert eine Tradition päpstlicher Unterstützung für Europas Juden, eine philosemitische Tradition übrigens, die bis in unsere heutige Zeit mit Benedikt XVI. hineinreicht. Bei seiner Amtseinführung am 24. April 2005 weitete Papst Benedikt, der frühere Kardinal Ratzinger, seine Grüße eigens aus auf die „Brüder und Schwestern des jüdischen Volkes, mit denen wir durch ein großartiges spirituelles Erbe verbunden sind, das in Gottes unwiderruflichen Versprechen wurzelt“33.

Pius XII. und insbesondere Johannes Paul II. waren beispielhafte Erben dieser langen und ehrwürdigen philosemitischen Tradition in den Beziehungen zwischen dem Papst und dem Judentum, die von katholischen wie von jüdischen Kritikern des Papstes ignoriert oder in Abrede gestellt wird. Eine historisch genaue Bewertung der Rolle von Pius XII. während des Holocausts führt zum exakten Gegenteil der Schlußfolgerung Cornwells: Pius XII. war nicht „Hitlers Papst“, sondern ein Beschützer und Freund des jüdischen Volkes zu einem Zeitpunkt in der Geschichte, an dem es am meisten darauf ankam.

Wie wir weiters sehen werden, hatte Hitler in der Tat einen loyalen Kleriker in seiner Entourage. Es war nicht der Papst, sondern Amin al-Husseini, der fanatisch antisemitische Großmufti von Jerusalem, Führer der radikalen islamischen Fundamentalisten in Palästina, Anführer bei den Massenmorden des Jahres 1929 an den Juden in Hebron, Mentor von Jassir Arafat und Vorbild für zahlreiche anderen arabischen Führer. Amin al-Husseini war ein erklärter Verbündeter von Hitler, traf diesen mehrere Male und verlangte wiederholt die Zerstörung des europäischen Judentums. Es ist außerdem der radikale Islam – Hitlers offenkundiger Verbündeter im Zweiten Weltkrieg – und nicht die katholische Kirche, der heute Juden bedroht.