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Seit Ariana, Ronny, Carl und Elinn die rätselhaften blauen Türme entdeckt haben, ist der Mars in aller Munde: Wer hat die Türme erbaut und wozu? Wissenschaftler und Journalisten reisen an, um dem Geheimnis auf den Grund zu gehen. Die Marssiedlung wächst rasant und mit den Raumschiffen von der Erde kommen nicht nur Freunde des Marsprojekts. Die vier Freunde kommen einem Saboteur in die Quere - und finden Hilfe von unerwarteter Seite …
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Seitenzahl: 378
Titel
Andreas Eschbach
Das Marsprojekt
__________
Die blauen Türme
Impressum
Erste Veröffentlichung als E-Book 2012© 2005 by Arena Verlag GmbH, WürzburgAlle Rechte vorbehaltenDieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische AgenturSchlück GmbH, 30827 GarbsenUmschlaggestaltung: Constanze SpenglerISBN 978-3-401-80048-6www.arena-verlag.deMitreden unter forum.arena-verlag.dewww.eschbach-lesen.de
1. Auf dem Weg zum Mars
Der Flug zum Mars war das Langweiligste, was Urs Pigrato in seinem ganzen Leben mitgemacht hatte. Unglaublich langweilig. Zum Schreien öde. Wenn er das geahnt hätte…!
Zugegeben: Selbst dann hätte er nichts dagegen tun können. Denn seine Mutter hatte entschieden, dass sie zum Mars fliegen würden, und seine Mutter war eine Frau, der man nicht so leicht widersprach.
Los ging es einigermaßen aufregend. Praktisch von einem Tag auf den anderen. Urs kam von der Schule nach Hause und erfuhr, dass sie auf den Mars umziehen würden. Und zwar sofort. Es war fast, als müssten sie vor irgendetwas fliehen.
»Unsinn«, sagte Mutter und reichte ihm eine kleine rote Plastikbox mit Deckel. »Wir müssen einfach nur das Raumschiff kriegen.« Sie legte ihm ein Merkblatt der Raumfahrtbehörde auf die Box. »Du darfst so viel mitnehmen, wie hier reinpasst, maximal zwanzig Kilogramm. Und um 16 Uhr 30 müssen wir am Flughafen sein.«
»Was?! Das ist ja schon in drei Stunden!«
»Zwei Stunden und 55 Minuten, um genau zu sein.«
»Aber ich… Meine Freunde! Von denen muss ich mich doch wenigstens verabschieden!«
»Dann beeil dich.«
Er beeilte sich. Telefonierte alle zusammen, während er die lächerlich kleine Box voll packte. Sie trafen sich noch einmal in der Mall, dem großen Einkaufszentrum um die Ecke, und es kam ihnen allen vor wie ein böser Traum. Als er zurückkam, sprach Mutter mit einem Mann im Anzug, der sich »um alles mit der Wohnung und so weiter kümmern würde«. Urs nutzte die letzten zehn Minuten, seine Box noch einmal umzupacken. Dann kam das Taxi und kurz darauf saßen sie in einem Zubringerflug, der sie von Genf über Korsika, Sizilien und das Mittelmeer direkt zum Raumflughafen Barqah brachte.
Als sie am Weltraumbahnhof landeten, war es schon dunkel. Endlose Reihen von Scheinwerfern beleuchteten Betonboden, soweit das Auge reichte. Ein Bus fuhr sie an Shuttles vorbei, riesigen, schon von weitem nach Treibstoff stinkenden Maschinen, die auf den ersten Blick wenig Vertrauen erweckend aussahen. Die Düsen waren schwarz angelaufen und auf der zerkratzten, schrundigen Außenhaut war jeweils mindestens ein Drittel der Hitzekacheln durch welche in anderer Farbe ersetzt. »Keine Sorge«, meinte einer vom Raumhafenpersonal, als er ihre Blicke bemerkte. »Die sind erprobt und bewährt. Auf die alten Kähne ist Verlass.«
Am Check-in stellte sich heraus, dass sie völlig umsonst Hektik gemacht hatten. Der Flug zum Mars würde erst fünf Tage später starten als vorgesehen, weil es Probleme mit der Ausrüstung gab und noch nicht alle Passagiere da waren. So blieb ihnen das Ausbildungsprogramm nicht erspart, das für Raumreisende vorgeschrieben war: Verhalten in Notfällen, Umgang mit Andruckliegen, Atemmasken und Luftschleusen und so weiter. Am Schluss gab es eine richtige Prüfung und es hieß, wer durchfalle, dürfe nicht mitfliegen.
Endlich der Start ihres Shuttles. Eine übermächtige Kraft presste sie in die Liegen, während es um sie herum donnerte und toste. Die Erde wurde kleiner und kleiner unter ihnen und schließlich zu jener zerbrechlich aussehenden weißblauen Sphäre, die man von Fotos her kannte und die doch so anders wirkte, wenn man sie in Wirklichkeit sah. Wie eine gewaltige Kugel aus Glas, über der sie schwerelos dahinschwebten.
McAuliffe Station, der große Weltraumbahnhof! Ein chaotisches Treiben, Reisende vom Mond zur Erde und von der Erde zum Mond oder zu den anderen Raumstationen. Trubel. Bewegung. Die bewundernden, manchmal neidischen Blicke, wenn man erzählte, dass man zum Mars unterwegs war. »Zum Mars, sieh mal an«, sagten viele und nickten achtungsvoll mit dem Kopf. Zum Mars, das war immer noch etwas Besonderes.
Schließlich ging es los. Die BUZZ ALDRIN, eines der ersten Raumschiffe mit dem neu entwickelten Fusionsantrieb, startete – um drei Monate lang durch die Leere zu fliegen!
Drei. Monate. Lang.
Urs hatte sich nicht vorstellen können, wie es sein würde, drei Monate lang faulenzen zu müssen, nichts zu tun zu haben, überall nur im Weg zu sein. Die ALDRIN war eng. »Wir sind kein Passagierschiff, Madam«, sagte ein brummiger Astronaut zu seiner Mutter, als sie sich beschwerte, wie klein die Kabinen seien. In den Gängen kamen kaum zwei Leute aneinander vorbei. Das Essen war synthetisch und schmeckte wie Kleister oder jedenfalls wie Urs sich vorstellte, dass Kleister schmecken musste. Und es gab nichts zu tun, rein gar nichts. Nur warten, dass die Zeit verging und man endlich ankam.
Die einzige Abwechslung war die vorgeschriebene Gymnastik, bei der man sich dauernd entweder den Kopf oder den Ellbogen irgendwo anstieß. Dauerlauf auf der Stelle, mit Fitnesscomputer am Handgelenk, der Zeit und Puls und so weiter kontrollierte und mit Säuselstimme mahnte, wenn man sich nicht genug anstrengte. Nachdem sie einen Teil des Weges zum Mars zurückgelegt hatten, musste man sich für das Training mit Gummiseilen am Boden anbinden. Das Raumschiff rotierte nämlich um seine Achse, um eine Art künstliche Schwerkraft herzustellen, und diese Rotation wurde im Lauf des Fluges allmählich verringert. Bis sie auf dem Mars ankamen, sollten sich alle Passagiere an die dort herrschende Schwerkraft gewöhnt haben, gerade mal ein Drittel der Schwerkraft auf der Erde. Schon auf halber Strecke fühlte Urs sich leicht wie eine Feder.
Ja, und immer wieder mussten sie sich untersuchen lassen, um zu überwachen, wie gut oder schlecht der Körper mit dem erzwungenen Faulenzen zurechtkam. Urs’ Mutter war alles andere als begeistert. »Eine Reise stelle ich mir anders vor«, protestierte sie beim Bordarzt, einem dicken, gemütlichen Mann aus Pakistan. »Ich bin doch keine Dose oder irgendein Stück Fracht.«
»Ich kann auch nichts machen«, erwiderte der Arzt ruhig. »Drei Monate bis zum Mars ist immerhin Rekordzeit. Die großen Transporter brauchen vier.«
»Auf denen reist es sich aber auch ganz anders«, behauptete Mutter. Doch der Arzt gab ihr nur Recht und ging wieder.
Gut, es gab Bücher. Elektronische natürlich nur, dafür zehntausende davon. Das meiste allerdings altes Zeug; die aktuell angesagten Titel konnte sich die Weltraumbehörde offenbar nicht leisten. Filme gab es auch, aber die waren noch älter und langweiliger. Urs zog es vor, in den Stunden bis zum Ablauf der Mindestwachzeit durch das Schiff zu streifen. Das war nicht gern gesehen, also stellte er es so an, dass man ihn möglichst wenig sah.
Er dagegen sah viel. Er beobachtete die Wissenschaftler, wie sie über ihren Computern saßen, die Köpfe zusammensteckten und in verhaltenem Ton diskutierten, wenn sie nicht gerade in Sprachmodule murmelten oder auf Tastaturen herumtippten. Ab und zu hörte Urs beeindruckend klingende Satzfetzen. »…vielleicht verbirgt sich die Funktionalität auf submolekularer Ebene?«, sagte einer einmal, und ein anderer erwiderte: »Sie reden von Quanteneffekten?« Ein älterer Mann brummelte etwas von »Kultstätte«, worauf ihn eine lockenhaarige Wissenschaftlerin anzischte und meinte: »Das ist ja wohl eine Allerweltserklärung, die überhaupt nichts erklärt.«
Urs wusste, worum es in den Gesprächen ging. Nicht weil er verstand, wovon die Rede war, sondern weil es nur eine Sache gab, um die es gehen konnte. Auf dem Mars war vor wenigen Wochen eine geheimnisvolle technische Anlage entdeckt worden: zwei blaue Türme in der marsianischen Wüste. Man hatte keine Ahnung, wer sie erbaut hatte und wozu. Aber es gab keinen Zweifel, dass es sich um Hinterlassenschaften Außerirdischer handelte, und da man wusste, dass es auf dem Mars auch in der Vergangenheit nie höheres Leben gegeben hatte, musste man sogar davon ausgehen, dass es Wesen aus einem anderen Sonnensystem gewesen waren, die die Türme errichtet hatten.
Das hatte natürlich für enormen Aufruhr auf der Erde gesorgt. Die ALDRIN war das erste Schiff, das Forscher und zusätzliches Gerät zum Mars brachte, um die dortigen Wissenschaftler zu unterstützen.
Dass Urs unterwegs zum Mars war, hatte einen anderen Grund: Sein Vater war nämlich zurzeit als Statthalter der Erdregierung auf dem Mars abkommandiert. Nach der Entdeckung der Türme war seine Dienstzeit um weitere sechs Jahre verlängert worden und daraufhin hatte Urs’ Mutter ein Machtwort gesprochen. »Eine Familie kann nicht acht Jahre lang voneinander getrennt leben!«, hatte sie gesagt und bei der Weltraumbehörde die sofortige Übersiedlung zum Mars verlangt.
Und deshalb waren sie nun unterwegs.
Obwohl es die längsten drei Monate seines Lebens waren, ging selbst die Zeit an Bord dieser dröhnenden Sardinenbüchse von einem Raumschiff vorüber. Sie näherten sich dem Mars. Vom Beobachtungsfenster im Bug aus konnte man ihn inzwischen mit bloßem Auge sehen, eine große Kugel in der Schwärze des Alls, eine Kugel aus rötlich goldenem Stein, staubverhangen und matt glänzend, irgendwie alt und müde aussehend.
Urs starrte hinab auf den roten Planeten und fragte sich, wie es sein würde, dort die nächsten Jahre zu verbringen. Im Moment lebten knapp über zweihundert Menschen auf dem Mars, zum größten Teil in der Marssiedlung. Es gab zwar noch eine Forschungsstation der Asiatischen Allianz, doch die war vergleichsweise klein. Auf der Erde wurde viel über die Marssiedlung geschrieben und diskutiert, allerdings kannte Urs sie hauptsächlich aus den Erzählungen seines Vaters. Der selber auch nie zum Mars gewollt hatte. Einmal – Urs war da wie alt gewesen? Fünf oder sechs? – waren ein paar Marssiedler bei ihnen zu Hause zu Besuch gewesen, und Urs erinnerte sich, wie Vater abgewunken und gesagt hatte: »Lasst gut sein; keine zehn Pferde bringen mich auf den Mars.«
Und vor zwei Jahren war er dann doch gegangen.
Zweihundert Menschen. Obwohl schon feststand, dass es mehr werden würden in den nächsten Monaten, waren von den zweihundert Siedlern nur ganze vier in seinem Alter. Carl und Elinn Faggan. Ariana DeJones. Ronny Penderton. Jeder auf der Erde kannte diese Namen und die meisten kannten auch die Gesichter dazu. Die Presse nannte sie die Marskinder.
Dass er sie einmal persönlich kennen lernen würde, hätte sich Urs nie träumen lassen. Hoffentlich würden sie miteinander klarkommen. Aber wenn sie nur zu fünft waren, würden sie wohl oder übel zusammenhalten müssen.
»Wir haben noch ein Problem«, sagte Carl. Er schaute ernst drein, wie immer, wenn es ein Problem gab.
Ariana hatte heute überhaupt keine Lust auf Probleme. »Noch eines?«, fragte sie.
»Ja«, nickte Carl. »Es heißt Urs Pigrato.«
Wie immer, wenn es wichtige Dinge zu besprechen gab, saßen sie in ihrem Versteck zusammen, der altenStation. Die hieß so, weil sie das Überbleibsel der Unterkunft war, in der die Mitglieder der ersten Marsexpedition gelebt hatten. Sie hatten damals Treibstofftanks in den Boden vergraben, zu behelfsmäßigen Wohnungen umgebaut und von dort aus ihre ersten Expeditionen gestartet. Das stand so in den Geschichtsbüchern. Aber dass diese Bauten noch existierten, war in Vergessenheit geraten. Die Marskinder hatten den Zugang vor Jahren durch Zufall gefunden: In einer dunklen Ecke der mit allen möglichen Dingen voll gestopften Abstellräume, die seit jeher ein aufregender Spielplatz gewesen waren, hatten sie ein rostiges Schott entdeckt, das anders ausgesehen hatte als alle anderen Durchgänge der Siedlung. Man musste ein Handrad drehen, um es zu öffnen, und dahinter war ein schmaler, mehrfach gewundener Gang ohne Beleuchtung zum Vorschein gekommen. Sie hatten sich Lampen besorgt, waren seinem Verlauf gefolgt und direkt in die alte Station gelangt. Sogar alte Poster von 2055 hatten noch an den Wänden gehangen.
Sie hatten beschlossen, dass diese Räume das ideale Geheimversteck waren, und den Zugang hinter allerhand Bauteilen versteckt, die nicht mehr benötigt, aber trotzdem aufbewahrt wurden. Man warf auf dem Mars nichts weg, denn alles konnte irgendwann wieder von Nutzen sein.
Die erste Frage der heutigen Krisensitzung war gewesen, wie lange der Zugang noch versteckt bleiben würde, bei all den wilden Bauarbeiten, die in der Siedlung im Gange waren, seit man wusste, dass jede Menge Leute von der Erde kommen würde. Wissenschaftler vor allem. Wissenschaftler waren zwar in der Regel genügsame Leute, trotzdem mussten sie irgendwo schlafen, und zu essen brauchten sie auch. Entsprechend war die Marssiedlung seit drei Monaten eine einzige Baustelle.
Zum Glück war Carls und Elinns Mutter die stellvertretende Bauleiterin, sodass sie immer auf dem Laufenden blieben. Heute Morgen hatte sie beiläufig erzählt, man werde, sobald die neuen Techniker von der Erde da seien, auch die zweite Ziegelmaschine wieder aufstellen: Das war Alarmstufe Rot! Denn es war die flache Wanne eben dieser Maschine, die das geheime Schott abdeckte.
Und nun das zweite Problem: Urs Pigrato.
»Wieso Urs?«, wunderte sich Ronny. »Ich dachte, Pigrato heißt mit Vornamen Tom?«
»Ich rede von seinem Sohn«, erwiderte Carl. »Pigratos Frau und sein Sohn sind an Bord der BUZZ ALDRIN, die in ein paar Tagen die Umlaufbahn um den Mars erreicht.«
Ronny drehte sich zu Ariana um. »Ach ja, genau! Diese Bazille, vor der uns dein Vater gewarnt hat.«
Ariana verzog das Gesicht. »Dad hat uns nur von ihm erzählt. Mehr nicht. Er hat ja nicht mal gewusst, wie er heißt.« Sie sah Carl an. »Woher weißt du das denn?«
»Er steht auf der Ankunftsliste, ganz einfach. Und die ist seit zwei Wochen abrufbar.«
Ariana zuckte mit den Schultern. »Urs. Was ist das überhaupt für ein Name?«
Als Elinn sich leicht vorbeugte, sahen alle sofort zu ihr hin. Elinn war immer sehr ruhig gewesen, aber in den letzten Wochen war sie so still geworden, fast schon nicht mehr anwesend, dass jede ihrer Äußerungen den Charakter von etwas Sensationellem hatte.
»Was ist mit ihm?«, wollte sie wissen.
Carl räusperte sich. »Mehr weiß ich auch nicht über ihn. Seinen Namen und dass er fünfzehn Jahre alt ist. In unserem Alter also. Das heißt, wir werden ihm nicht aus dem Weg gehen können. Er wird mit uns zusammen Schulaufgaben machen, vermutlich sogar Stationsarbeiten bekommen, genau wie wir auch.«
Ronny riss die Augen auf. »Bestimmt will sein Vater, dass er uns ausspioniert.«
»Genau«, nickte Carl. Er machte eine Geste, die die alte Station umfasste. »Und wenn Pigrato erfährt, dass unser Versteck hier ist, außerhalb der Sicherheitssysteme der Siedlung, dann ist der Zugang einen Tag später zugemauert, wetten?«
Die anderen nickten finster. Sie hatten seit zwei Jahren unter dem strengen Statthalter zu leiden, der nie einen Hehl daraus gemacht hatte, dass seiner Meinung nach Kinder auf dem Mars nichts verloren hatten.
Und nun brachte er seinen eigenen Sohn her? Wie passte denn das zusammen?
»Aber was sollen wir deiner Meinung nach machen?«, fragte Ariana. »So tun, als ob er nicht da wäre? Ihn vergraulen? Oder was?«
Carl schüttelte den Kopf. »Wie lange, glaubst du, könnten wir so etwas durchhalten?«
»Zwei Tage. Dann würden unsere Eltern davon erfahren und uns eine Standpauke halten, dass uns Hören und Sehen vergeht.«
»Eben.« Carl zog einen Karton hervor, der bis jetzt unbeachtet zwischen zwei metallenen Schränken gestanden hatte, und grinste siegessicher. »Aber niemand wird uns Vorwürfe machen, wenn wir uns endlich mal so richtig aufs Lernen konzentrieren, oder?« Er hob den Deckel ab und holte etwas heraus: einen Kopfhörer. Dick, unverkennbar alt, deutlich angestaubt. »Hier. Die kann man an Stelle der Lautsprecher einstöpseln. Die perfekte Ausrede, nicht mit ihm reden zu müssen, wenn er im Schulraum auftaucht. Und außerhalb davon gehen wir ihm einfach aus dem Weg.«
»Galaktisch!«, hauchte Ronny und nahm ihm den Hörer aus der Hand. »Der sieht ja aus wie in den ganz alten Filmen.«
Ariana runzelte die Stirn. »Fleißig lernen? Wie lange willst du das durchhalten?«
»Pigrato hat immer gesagt, Kinder hätten auf dem Mars nichts zu suchen. Also nehme ich mal an, seine Familie wird wieder mit der ALDRIN zurückfliegen oder spätestens mit einem der beiden Transporter, die in zwei Wochen kommen.« Carl nahm Ronny den Kopfhörer wieder aus der Hand und legte ihn zurück in die Box. »Wir sind einfach höflich zu ihm, bleiben auf Distanz, reden so wenig wie möglich mit ihm. Nur ein paar Wochen. Bis wir ihn wieder los sind.«
»Von mir erfährt der kein Sterbenswörtchen«, versprach Ronny.
Carl stellte den Karton auf einen Stuhl und wischte sich die Hände ab. »Und jetzt sollten wir uns um eine neue Tarnung für den Eingang kümmern. Ich habe gedacht, wenn wir statt der Blechwanne einen der Schränke davorschieben, die Rückwand herausnehmen und dann ein neues Schloss einbauen…«
Der Mann schloss sorgfältig die Tür seiner Kabine, die winzig war wie alle Kabinen an Bord der BUZZ ALDRIN. Er schaltete seinen Computer ein und wartete, bis die aktuellen E-Mails geladen waren. Die Liste war kurz, und die meisten Nachrichten betrafen dienstliche Angelegenheiten. Lediglich eine war offensichtlich privater Natur. Kurzer Gruß von Lauras Hochzeit stand im Betreff und es handelte sich um eine Video-Mail. Der Mann öffnete sie.
Eine Gruppe ausgelassener, festlich gekleideter und offenbar leicht angeheiterter Menschen erschien auf dem Bildschirm. Sie winkten heftig in die Kamera, und jemand rief: »Alles Gute auf dem Mars!« Dann war es schon vorbei, und das Video fror mit dem letzten Bild ein.
Der Mann zog das Kabel ab, das seinen Computer mit dem Bordnetz verband, vergewisserte sich noch einmal, dass die Tür abgeschlossen war, und übertrug das Video in ein Programm, das wie ein Bildbearbeitungsprogramm aussah. Er drückte einige Tasten. Das Programm fragte ein Passwort ab, das er sehr sorgfältig eingab. Dann wartete er, bis die in dem Video verborgene geheime Nachricht entschlüsselt war und auf dem Schirm angezeigt wurde.
Nachdenvorliegenden Daten isteinBombenanschlag aufdieblauen Türme nicht Erfolg versprechend.Das Materialscheintsogut wie unzerstörbar zu sein.Sie werdendie ForschergruppenaufanderenWegen stoppen müssen. Wir arbeiten anentsprechendenPlänen.Warten Sie auf jeden Fall weitereAnweisungen ab, eheSieaktivwerden.
Der Mann las die Zeilen mehrmals, nickte dann nachdenklich und löschte alles – das Video ebenso wie die Nachricht selbst. Dann schaltete er den Computer aus und legte sich schlafen.
Durch ein winziges Bullauge war der Mars zu sehen, groß, rostrot und sehr, sehr nahe.
2. Landung auf dem Roten Planeten
Vor dem dunklen Schlupfloch am Ende der Nabe hingen eine Frau und ein Mann in der Schwerelosigkeit, je einen Fuß locker in einem Haltegriff eingehakt, beide in der grauen Montur der Besatzung. Die Frau rief Namen von ihrem Lesegerät auf und gemeinsam halfen sie dem oder der Betreffenden den Raumanzug richtig zu schließen, ehe es hinüberging in das Landeshuttle, das sie auf den Mars hinunterbringen würde.
Es war das erste Mal in seinem Leben, dass Urs einen Raumanzug trug. Auf McAuliffe Station hatte kein Mensch einen getragen, da war es zugegangen wie auf einem normalen Flughafen. Während der Vorbereitungen in Barqah hatte man sie mit einem Laserscanner vermessen und irgendwann auf dem Flug war dann dieser Anzug aufgetaucht, schneeweiß, weich wie Seide und mit seinem Namen auf der Brust. Maßgeschneidert, wie es aussah. Aber niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihnen den Umgang damit zu erklären. »Später«, hatte es immer geheißen.
Eigenartig, so ein Ding anzuhaben. Es umschloss einen von allen Seiten und fühlte sich an wie eine gepolsterte Jacke, bloß am ganzen Körper. Man fühlte sich dick und unbeweglich. Und die Verschlüsse mussten eine Wissenschaft für sich sein, er hatte jedenfalls keinen zugekriegt und seine Mutter auch nicht. Den Helm trug man, wie es aussah, an einem Haken am Gürtel; dort baumelte das sperrige Teil und knallte alle paar Augenblicke gegen einen der Helme der anderen, die alle auch keine erfahrenen Raumfahrer waren und sich unsicher an die Haltegriffe klammerten.
»Pigrato, Marciela? Pigrato, Urs?«, rief die Frau endlich.
»Hier!«, hob Mutter die Hand und nickte Urs zu, voranzugehen.
Urs stieß sich von seinem Griff ab, erwischte auch tatsächlich den nächsten, den er angepeilt hatte, und hangelte sich so zum Ende des Raumes durch. Er fand, dass er das schon ziemlich gut hinbekam.
»Hallo«, nickte ihm der Mann zu, als er zum Stillstand kam. »Dann wollen wir dich mal einpacken.« Er bückte sich hinab und schloss mit zwei raschen Handbewegungen die Verschlüsse, die die Hosenbeine mit den Stiefeln verbanden.
Urs hatte aufgepasst, aber nicht mitbekommen, wie er das machte. »Können Sie mir das noch mal zeigen?«
»Dafür ist leider keine Zeit«, meinte der Mann. Er hatte einen dünnen Kinnbart und sprach mit leichtem mexikanischem Akzent. »Aber nach einem Monat auf dem Mars kannst du das im Schlaf, glaub mir.« Zwei weitere Handgriffe und die Handschuhe schienen mit den Ärmeln verschmolzen zu sein. »Und bitte umdrehen.«
Urs drehte sich um. Aus den Augenwinkeln sah er, wie der Mann eine Sauerstoffpatrone aus einer Halterung neben sich an der Wand nahm, dann spürte er, wie sie hinten in das Versorgungsteil seines Anzugs eingesetzt wurde. Es zischte kurz, irgendetwas in dem Anzug bewegte sich, dann sagte der Mann: »Alles klar.«
Die Frau sah Urs an und deutete auf den Durchstieg. »An Bord mit dir.«
»Was ist mit dem Helm?«, fragte Urs. »Muss ich den nicht auch aufsetzen?«
»Erst nach der Landung. Oder im Notfall. Tu ihn bitte in das Fach über deinem Sitz.« Sie sah auf ihre Liste. »Du hast Platz zwölf. Freu dich, das ist ein Fensterplatz.«
Die Kabine war eng. Die Liegesitze hatten dicke Anschnallgurte. Immer drei davon waren nebeneinander montiert, ähnlich wie in dem Shuttle zur Raumstation. Bloß waren diese viel schmaler und hatten längliche Aussparungen, in die das Versorgungssystem auf dem Rücken der Raumanzüge genau hineinpasste. Rasend unbequem, man saß wie festgenagelt.
»Jetzt haben wir es ja hoffentlich bald überstanden«, meinte Mutter, nachdem sie sich ebenfalls festgeschnallt hatte. Sie deutete auf das Fenster. »Wie ist das? Sieht man da was?«
Urs verrenkte den Hals, um hinauszuspähen. Fenster war eine reichlich übertriebene Bezeichnung; es war ein Guckloch, kaum so groß wie seine Hand. Und alles, was zu sehen war, waren Sterne, die kalt und starr im schwarzen Nichts strahlten. »Nein«, sagte Urs. »Bloß Weltraum.«
Ein Mann mit ungekämmten blonden Haaren und einer Menge Muttermalen im Gesicht, den Urs öfter bei den Wissenschaftlern gesehen hatte, bekam den Platz neben Mutter und fing sofort ein Gespräch mit ihr an. »Miss Pigrato, nicht wahr? Habe ich das doch eben richtig gehört.« Er verrenkte sich, um ihr die behandschuhte Hand zu schütteln. »Wir sind uns noch nicht begegnet, kaum zu glauben, oder? Mein Name ist Wim Van Leer, ich bin Journalist.«
»Ach, wirklich?«, wunderte sich Mutter. »Sie werden sicher über diese fremden Bauwerke berichten, oder?«
»Ja, aber nicht nur. Beispielsweise würde ich Sie gerne einmal ausführlicher interviewen. Sobald Sie sich eingelebt haben, natürlich.«
»Ein Interview? Mit mir? Was wollen Sie mich denn fragen?«
»Oh, ich denke, als Frau des Statthalters der Erdregierung auf dem Mars haben Sie allerhand zu erzählen…«
Und so weiter und so weiter. Das übliche Geschwätz von Erwachsenen. Urs schaltete die Ohren auf Durchzug und äugte wieder hinaus ins All.
Das Shuttle drehte sich mit dem Raumschiff und nun kam etwas Großes, Orangerotes ins Blickfeld: der Mars selbst, riesig, zerschrunden und völlig wolkenlos. Rostig wirkende Ebenen, dunkelgraue Flecken und jede Menge Krater. Da – das mussten die berühmten Valles Marineris sein, die auffälligste Formation auf dem Roten Planeten. Eine gigantische Schlucht, tausende von Kilometern lang. Sie sah aus, als habe einst ein riesiges Raubtier seine Fänge in den Mars geschlagen und Stücke davon herausgerissen.
Geheimnisvoll. Urs konnte es kaum erwarten, dass das Shuttle startete. Auf einmal war er sich sicher, dass ihm eine aufregende Zeit bevorstand.
Ariana lümmelte auf dem Schreibtischsessel ihres Vaters, drehte ihn einmal rechts herum, dann wieder links herum. Links herum gab es ein leises, quietschendes Geräusch, rechts herum nicht. Interessant.
»Wieso habe ich bloß das Gefühl, dass dir langweilig ist?« Vater stand vor den weit geöffneten Türen seiner Arzneischränke und sortierte abgelaufene Medikamente aus.
»Weil es so ist«, sagte Ariana. »Hier ist einfach nichts los.«
Dr. DeJones musterte eine Tube und stellte sie wieder zurück. »Ja, erfreulicherweise sind die Leute so gesund, dass sich in der Krankenstation bloß Staub ansammelt. Und da du den dankenswerterweise schon gewischt hast, bleibt tatsächlich nicht mehr viel für dich zu tun. Das hier mit den Medikamenten muss ich selber machen, leider.«
Ariana drehte sich mit dem Sessel einmal ganz herum. »Das meine ich nicht. Ich meine nicht die Krankenstation. Ich meine den ganzen Mars. Es ist einfach öde hier.«
»Findest du?« Vater schüttelte ein paar Tabletten aus einem Glasfläschchen in einen kleinen roten Sammelbehälter, legte das Fläschchen selbst in eine blaue Box und zerriss anschließend den Karton, um die Schnipsel in einen dritten Behälter zu werfen, eine große gelbe Schachtel. Recycling war auf dem Mars keine Frage des Umweltschutzes, sondern des Überlebens. »Ich frage mich allerdings, was eigentlich passieren muss, damit du das Gefühl bekommst, es sei etwas los. Zum Beispiel kommen in den nächsten paar Tagen über achtzig neue Leute in die Siedlung – Wissenschaftler, Techniker, was weiß ich. Nimm dazu die Funde im Daedalia Planum, die blauen Türme auf dem Löwenkopf, bei denen es sich eindeutig um nicht von Menschen gebaute Maschinen handelt… Also, wenn du mich fragst, wird das hier auf absehbare Zeit der interessanteste Ort im ganzen Sonnensystem sein.«
Ariana drehte wieder links herum. Quietsch. »Was habe ich von den Türmen? Da dürfen wir sowieso nicht hin. Obwohl wir bei der Entdeckung dabei waren.«
»Du meine Güte. Da müssen sich jetzt eben Spezialisten darum kümmern. So läuft das nun mal.«
»Schon klar. Aber das heißt unterm Strich, dass es weitergeht wie immer.«
Vater seufzte. »Wir führen diese Diskussion seit einiger Zeit ungefähr alle vier Wochen, und es ist auch immer das Gleiche. Du sagst, es ist nichts los, ich erinnere dich daran, dass sehr wohl etwas los ist. Soll das auch so weitergehen?«
Ariana schwieg. Dr. DeJones schloss eine Tür und widmete sich dem nächsten Fach.
»Wie ist das eigentlich mit dem Raumschiff?«, fragte sie nach einer Weile. »Wie lange bleibt das hier, ehe es zur Erde zurückfliegt?«
»Die BUZZ ALDRIN? Die bleibt jetzt, glaube ich, drei Wochen. In zwei Wochen kommen noch die GANDHI und die KING, die neunundzwanzig Tage bleiben und dann zurückfliegen.«
Ariana schob die Schreibtischunterlage umher, versuchte, sie haargenau an der Tischkante auszurichten. »Aber zurück fliegen die doch alle weitgehend leer, oder?«
»Ich denke schon.«
Pause. Man hörte nur das Rascheln der Medikamentenschachteln.
»Findest du eigentlich nicht«, fragte Ariana, »dass es Zeit für mich wäre, mal was anderes zu sehen als immer nur den Mars?«
Vater hielt inne. Er stellte einen Karton zurück, drehte sich um, lehnte sich gegen die Arbeitsfläche des Arzneischranks, nahm die Brille ab und begann seine Nasenwurzel zu massieren. »Willst du mich gerade fragen, was ich davon halten würde, wenn du zur Erde gehst?«
»Was würdest du denn davon halten?«
»Und wie stellst du dir das vor?«
»Ich könnte bei Mom wohnen und dort zur Schule gehen.«
»Was meint sie denn dazu?«
»Weiß ich nicht. Ich habe sie noch nicht gefragt.«
Er setzte die Brille wieder auf und widmete sich erneut seinen Schachteln. »Dann schlage ich vor, dass du das zuallererst einmal tust.«
»Und dir wäre es vollkommen egal? Ob ich hier bei dir lebe oder bei Mom auf der Erde?«
Vater seufzte wieder. »Egal wird mir das sicher nicht sein. Aber in erster Linie will ich, dass du glücklich bist. Und wenn sich herausstellen sollte, dass du auf der Erde glücklicher sein wirst als hier, dann hast du natürlich meinen Segen.« Er musterte eine Schachtel, als habe er dergleichen noch nie gesehen. »Immerhin hatte ich jetzt acht Jahre lang das Vergnügen, dich ganz für mich allein zu haben. Vielleicht ist es nur gerecht, wenn deine Mutter auch einmal etwas von dir hat.«
Ariana schwenkte unschlüssig mit dem Sessel hin und her. »Ich kann sie ja mal fragen, was sie meint.«
Er drehte sich um, verschränkte die Arme. »Eins muss dir aber klar sein: Der Flug zur Erde wird kein Problem sein – erst recht jetzt nicht, wo so viele Schiffe unterwegs sind, dass man die ganze Station damit evakuieren könnte –, wohl aber der Rückflug. Ich wette, dass die Flüge zum Mars auf Jahre hinaus ausgebucht sind. Das heißt, falls es dir auf der Erde doch nicht so gut gefallen sollte, wirst du nicht ohne weiteres zurückkommen können. Also überlege es dir gut.«
Die Tür zum Raumschiff wurde geschlossen und ein großes, massiv aussehendes Handrad gedreht, um sie zu verriegeln. Jemand sagte »Achtung!« und im nächsten Moment dröhnte ein knallender, metallischer Laut durch das Shuttle. Draußen bewegten sich die Sterne. Es war zu spüren, wie der ganze gewaltige Körper des Landeboots sich drehte, und man hörte fauchende Geräusche, als die Steuertriebwerke gezündet wurden, um es in die richtige Lage zu bringen.
Dann kam eine Durchsage: »Meine Damen und Herren, hier spricht Ihr Pilot. Wir beginnen jetzt mit dem Abstieg auf die Marsoberfläche, die wir in zwanzig Minuten erreichen werden. Bitte lehnen Sie sich zurück und achten Sie darauf, dass Sie Ihre Zunge nicht zwischen den Zähnen haben, denn im Verlauf des Landeanflugs können jederzeit starke Bremsmanöver notwendig werden. Vielen Dank.«
»Die Zunge nicht zwischen den Zähnen…?«, hörte Urs jemanden sagen. »An was die nicht alles denken.«
»Los geht’s!«, rief ein anderer aufgekratzt.
Als hätte es auf diese Aufforderung gewartet, zündete das große Triebwerk. Der Andruck presste sie alle in die Sitze. Aber nur für ein paar Sekunden, dann war wieder Stille. Durch das winzige Fenster sah Urs den Mars, der schräg über ihnen zu hängen schien wie eine riesige, rostige Eisenkugel.
Eine Weile passierte nichts weiter. In der Kabine herrschte gespannte Stille. Dann hörte man wieder die kurzen Schubstöße der Steuertriebwerke; sie klangen, als klopfe jemand mit einem großen Gummihammer von außen auf die Hülle. Draußen schwenkte der Mars herum, bis er ordentlich unterhalb des Shuttles zu sehen war, wie es sich gehörte.
Und ja – er begann näher zu kommen.
Zuerst glaubte Urs sich das Geräusch nur einzubilden, aber nach und nach wurde es unüberhörbar: ein unheimliches, leises Fauchen und Heulen, als schrien auf der anderen Seite der Hülle tausende verzweifelter Geister. Das hieß vermutlich, dass sie gerade in die dünne Atmosphäre des Mars eintauchten. Das große Triebwerk arbeitete nun öfter und offenbar in eine andere Richtung, denn sie wurden jedes Mal heftig nach vorn in die Gurte geschleudert.
Urs spähte zum Fenster hinaus. Oh, là là, das war aber schon ziemlich nahe alles, oder? Und sie bewegten sich noch verdammt schnell, wenn man bedachte, dass das Shuttle demnächst da unten aufsetzen sollte… Steine, überall nur Steine. Wie hatte Mutter nur auf die Idee kommen können, ihn hierher zu schleppen? War es auf der Erde nicht schön genug gewesen?
Also, allmählich wurde es Zeit, dass der Pilot mal bremste. Oder sonst irgendwas machte. Wirklich, man sah inzwischen jeden Stein da unten, jede Schlucht und jeden verdammten nadelspitzen Felsen. Vielleicht wäre es allmählich angebracht, die Helme aufzusetzen, nur so für alle Fälle…?
Da, das Triebwerk. Ein mörderischer Ruck, der die ganze Kabine gemeinschaftlich aufstöhnen ließ. Und dann plötzlich nur noch eine Bewegung abwärts, wie ein Fahrstuhl, und endlich das sanfte, knirschende Geräusch, mit dem die Landebeine aufsetzten.
Urs atmete tief durch. Gut, das war also geschafft. Gerade rechtzeitig, ehe er angefangen hätte sich ernsthafte Sorgen zu machen. Er spähte hinaus. Oder war das doch eine Notlandung geworden? Ringsum war nur Wüste zu sehen. Keine Spur von irgendeinem Bauwerk, das nach Marsstation aussah.
3. Zwischen Mars und Erde
Die Tür zum Schulungsraum wurde aufgestoßen und ein kleiner Rollwagen hereingeschoben. Darauf stand ein Computer samt Bildschirm.
»So, Freunde«, meinte der Mann, der den Wagen schob, ein glatzköpfiger Computerspezialist namens Jed Latimer, »technischer Nachschub für eure gute Stube. Aufstellen könnt ihr das selber, oder? Wir haben unten noch eine Zillion Dinge zu erledigen. Bis übermorgen kommen achtzig neue Leute, aber bis jetzt haben wir nur dreiundvierzig Wohnungen bezugsfertig. Peinlich, was?«
Carl sah von seinem Lernprogramm auf, dankbar für die Unterbrechung. »He, unsere Mutter ist Bauleiterin. Das hören wir seit Wochen jeden Morgen und jeden Abend.«
»Ach so, na klar.« Latimer stellte die Gerätschaften auf den Boden. »Dann wisst ihr ja Bescheid. Und tschüss!« Die Tür klappte wieder zu.
Carl und Elinn sahen einander an.
»Wo sind eigentlich die anderen?«, fragte Carl. Jetzt mussten sie dem Pigrato-Sprössling auch noch den Bildschirm aufstellen, also ehrlich!
Elinn strich sich das widerspenstige rostrote Haar zum hundertsten Mal an diesem Morgen aus der Stirn. »Ronny hat sich zu den Rovern gemeldet, obwohl er mit seinen Lektionen fast zwei Monate im Rückstand ist. Und wo Ariana ist, weiß ich nicht. Ich glaube, ihr Vater wollte, dass sie ihm hilft die Krankenstation sauber zu machen.«
»Irgend so was hätte ich mir auch ausdenken sollen. Das Schulzeug ist so was von langweilig…« Carl sah aus dem Fenster. Unten machten sich die Rover startbereit und da war tatsächlich Ronny unter den anderen Gestalten in Raumanzügen, die um die Fahrzeuge herumgingen, die Radaufhängungen checkten und was sonst so zu tun war. Ronny war erst dreizehn, aber er konnte alles steuern, was einen Steuerknüppel hatte. Erst recht einen Rover, der so konstruiert war, dass jeder ihn fahren konnte.
»Also gut«, meinte Carl und stand auf. »Wo tun wir ihn denn hin, den Spion von der Erde?« Er sah sich in dem kleinen Schulungsraum um. Einen zusätzlichen Tisch und einen Stuhl hatten sie schon heute Morgen vorgefunden, als sie angekommen waren. »Am besten nach nebenan, würde ich sagen, oder?«
Elinn sagte nichts. Sie sah nur verträumt aus dem Fenster und war mit ihren Gedanken mal wieder ganz woanders.
»Schon gut.« Carl schob den Tisch an die Stirnseite der beiden anderen, an denen sie sich bisher zu viert gegenübergesessen waren. Wenn sie demnächst zu fünft hier saßen, würden sie eben in einer Art Halbkreis sitzen. Der Bildschirm war schnell aufgestellt, Schreibtablett und Tastatur funktionierten ohnehin drahtlos. Mit einem satten Klicken glitt das Kabel in die Steckdose, aus der Strom und Daten gleichzeitig flossen. Carl schaltete ein. Yep, tat alles.
»Schau«, sagte Elinn. Carl wandte den Kopf. Seine Schwester deutete zum Himmel. Hoch oben in der milchbraunen Himmelskuppel leuchtete ein kleiner, sich rasch bewegender Punkt auf.
»Das Shuttle«, nickte Carl. »Es landet gleich.«
Unten setzten sich die Rover in Bewegung.
»Okay, alle aufstehen, bitte«, hieß es, nachdem die Gurte von selbst aufgeschnappt waren. »Nehmen Sie die Helme aus den Fächern. Wir helfen Ihnen sie aufzusetzen.«
Urs beugte sich zu dem kleinen Fenster, sah hinaus. Was sollte denn das? Hier war doch nichts. Mussten sie jetzt etwa zur Marssiedlung laufen? Das fing ja gut an.
Auf einmal kam ihm alles wieder ganz und gar verrückt vor. Was suchte er eigentlich hier, auf dem Mars?! Er hatte sich wohl gefühlt zu Hause, hatte jede Menge Freunde gehabt und jede Menge Spaß. Und nun war alles weg, vorbei, von einem Tag auf den anderen. Nur weil seine Mutter sich das mit dem Mars in den Kopf gesetzt hatte. Was konnte er, bitte schön, dafür, dass sein Vater auf dem Mars arbeitete? Zwang ihn doch niemand. Und seinen Mails zufolge gefiel es ihm hier ja auch nicht, also warum kündigte er nicht einfach und suchte sich einen anderen Job?
Es ging langsam voran. Die Leute von der Besatzung kontrollierten bei jedem noch einmal alle Verschlüsse, befestigten dann die Helme und prüften noch einmal alles, ehe man in die Schleuse geschickt wurde. Immer wenn drei Personen in der Schleuse waren, wurde sie eingeschaltet. Ein fieser, hoher Laut nervte, während die Luft abgesaugt wurde, man hörte die Leute aussteigen, und dann zischte es, weil sich die Kammer erneut mit Luft füllte.
»Okay, junger Mann, jetzt du.« Der Mann mit dem Kinnbart checkte ihn ab und fand offenbar alles zufrieden stellend. »Jetzt den Helm.«
Ein eigenartiges Gefühl, plötzlich dieses Ding auf dem Kopf zu haben. Eine große, gläserne Blase. Klar, er hatte den Helm zum Spaß aufgesetzt, nachdem man ihnen die Raumanzüge in die Kabine gereicht hatte. Aber jetzt galt es; jetzt musste alles funktionieren.
Der Helm rastete hörbar im Halsring ein. Gleich darauf beschlug er von innen. Na, toll.
»Murmel murmel«, hörte er den Mann aus weiter Ferne und wie unter meterdicken Decken hervor, »murmel murmel wir gleich.« Im nächsten Moment spürte Urs einen Hauch kühler Luft um sein Gesicht, und der Beschlag verschwand. Er hörte auch wieder, was um ihn herum gesprochen wurde. Offenbar hatte der Anzug Außenmikrofone.
Er betrat die Schleuse zusammen mit seiner Mutter, die dreinsah, als sei ihr das alles auch etwas unheimlich, und dem Journalisten, der sie den ganzen Flug über zugesülzt hatte. Das Schott fuhr zu, man hörte Verschlüsse einrasten, dann jaulte die Pumpe wieder los.
Oha, so fühlte sich das also an! Der Raumanzug begann, sich aufzublähen, je weiter der Druck in der Schleuse sank. Urs wurde leicht mulmig zu Mute. Ihm war, als wickle ihn jemand in dicke Decken, immer noch eine Lage und noch eine. Und so sollte er jetzt gleich eine Leiter runterklettern?
Die Außentür ging auf. Mattes Licht kam herein. Urs war der Erste, der hinaustrat auf den kleinen Gitterbalkon, den man zusammen mit der Leiter ausgeklappt hatte. Von den Triebwerken stiegen immer noch helle Schwaden auf.
Wow, was für ein Anblick! Endlose Weite ringsherum, Geröll, Steine, Sand… Urs hatte das Gefühl, zu träumen. Am unteren Ende standen die anderen versammelt, alle in ihren prallen weißen Raumanzügen. Einer hüpfte umher, kickte ein paar Steine durch die Gegend, aber es sah reichlich unbeholfen aus.
Nun sah Urs auch die Fahrzeuge, die sich mit einem Affentempo dem Shuttle näherten. Sie sahen aus wie große, dicke Käfer mit aufgeblähten Köpfen, die auf riesigen Ballonreifen fuhren.
»Na, wie wäre es damit, die Leiter runterzusteigen?«, vernahm Urs eine Stimme hinter sich. Es war der Journalist, der gerne auch aus der Schleuse herausgekommen wäre, aber nicht konnte, weil Urs und seine Mutter den Balkon blockierten.
Unten kam das erste der Fahrzeuge neben der Gruppe der Wartenden zum Stillstand. Urs traute seinen Augen nicht: Am Steuer saß ein Junge, der kaum älter als dreizehn sein konnte!
Allerhand. Das war jetzt wieder ziemlich abgefahren. Er begann vorsichtig die Leiter hinabzusteigen.
Also, was würde sie schreiben? Zunächst die E-Mail-Adresse, klar. Dann: Liebe Mutter! Oder war das zu gestelzt, zu sehr in Richtung Sehr geehrte Frau Mutter? Weg damit. Besser so: Hi Mom,ich bin’s, deine Tochter.
Ariana hielt inne, überlegte. Vielleicht war es nicht gut, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Immerhin lag die letzte Mail an ihre Mutter schon eine ziemliche Weile zurück. Monate. Oder noch länger.
Sie rief die Liste ihrer Mails auf, filterte die heraus, die sie mit ihrer Mutter gewechselt hatte. Oh weia. In ihrer letzten Mail hatte sie sich für ihr Geburtstagsgeschenk bedankt, die Kette mit den roten Steinen, die sie sowieso nie trug. Und die hatte sie zu ihrem dreizehnten Geburtstag bekommen. Zum vierzehnten war nur eine Grußmail gekommen, aber sie hatte komplett vergessen darauf zu antworten.
Man konnte sich wohl schlecht nach fast zwei Jahren melden und sagen, Hi Mom, übrigens, ich ziehe jetzt zu dir! Das ging wirklich nicht.
Besser, sie schrieb erst einmal ein paar Mails einfach so. Um den Kontakt wieder herzustellen.
Sie starrte die grau gestrichene Wand des Terminalraums an, als wolle sie herausfinden, ob starre Blicke Löcher in Farbe hinterließen. Gar nicht so einfach.
Hi Mom, ich bin’s, deine Tochter. Ich wollte mich mal wiedermelden und dir ein bisschen erzählen, was hier so vor sich geht.Tut mir Leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe …
Nein. Zweimal »melden«. Und überhaupt, es war blöd, eine Mail mit einer Entschuldigung anzufangen, dass man so lange nichts geschrieben hatte, und dann von nichts anderem zu reden als von den Gründen dafür.
Hi Mom, hier ist deine dich liebende Tochter, die du auf demMars zurückgelassen hast …
Das klang, als wolle sie ihr Schuldgefühle machen. Obwohl – vielleicht wollte sie das ja auch? Mom und Dad waren gemeinsam zum Mars gekommen, hatten ein Kind gekriegt – sie –, und dann hatte Mom es nicht mehr ausgehalten als Marssiedlerin und war zur Erde zurückgekehrt. Dad war geblieben. Und sie auch. Angeblich hatte man sie gefragt, und sie habe gesagt, sie wolle bleiben. Ariana erinnerte sich nicht mehr daran, aber ihr Vater pflegte sie nicht zu belügen, nicht einmal in kleinen Dingen.
Seltsam. Warum war Dad damals eigentlich nicht zusammen mit seiner Frau zur Erde zurückgegangen? Ihr dämmerte, dass es da noch andere Gründe gegeben haben musste als bloße Unverträglichkeit zwischen ihrer Mutter und dem Mars.
Was wusste sie eigentlich über Mom? Dass sie jetzt in Flagstaff, Arizona, lebte, einer kleinen Stadt auf dem nordamerikanischen Kontinent. So viel wusste Ariana, auch wenn sie ansonsten gnadenlos schlecht war in Geografie: Flagstaff lag in der Nähe des Grand Canyon, dem irdischen kleinen Bruder der Valles Marineris: ein lang gezogenes System atemberaubender Schluchten und Täler. Und sie wusste aus dem Geschichtsunterricht, dass in Flagstaff das erste Observatorium eigens für die Beobachtung des Mars gestanden hatte. Ein Mann namens Percival Lowell hatte es im Jahre 1893 errichtet und den Mars dann fünfzehn Jahre lang beobachtet, in der Hoffnung, Anzeichen intelligenten Lebens darauf zu entdecken.
Das war natürlich Zufall. Mom lebte in Flagstaff, weil… weil…
Eigentlich hatte sie keine Ahnung, warum ihre Mutter ausgerechnet in Flagstaff lebte. Mit Moms Eltern konnte das nichts zu tun haben; die lebten an der Atlantikküste, in der Nähe von Atlanta.
Hmm. Ariana löschte alles wieder. Sie würde die Mail ein andermal schreiben. Sie musste erst noch ein bisschen darüber nachdenken.
Wie die anderen kletterte auch Urs auf die Ladefläche eines der Fahrzeuge und kam sich schrecklich unbeholfen dabei vor. Zu allem Überfluss drückte und zwickte der Raumanzug an allen Ecken und Enden. Maßgeschneidert? Ha!
In seinem Empfangssystem gingen die Stimmen durcheinander. Immerhin war es erstaunlich gut konstruiert: Es berücksichtigte, aus welcher Entfernung ein Funksignal kam und wie weit es entfernt war, und spielte die entsprechende Stimme so in die Lautsprecher ein, dass man das Gefühl bekam, den Betreffenden ohne technische Hilfe zu hören. Gelesen hatte Urs schon davon, aber es war interessant, das mal selber zu erleben.
»Alle an Bord?«, kam die Durchsage von dem Jungen, der das Fahrzeug steuerte. Das musste dieser Ronald Penderton sein, genannt Ronny. Er war als einziges der Marskinder nicht auf dem Mars geboren, sondern hatte die Reise zusammen mit seinen Eltern im zarten Alter von vier Monaten angetreten. In den Büchern, die Rekorde und ähnliches Zeug verzeichneten, wurde er als jüngster Raumfahrer aller Zeiten aufgeführt.
»Okay, es geht los«, krähte die Stimme. »Alles gut festhalten!«
Und es ging los. Mit einem Ruck sauste das schneeweiße Mobil vorwärts, hüpfte über Steine und Bodenspalten hinweg und preschte auf den Horizont zu. Die anderen Fahrzeuge folgten. Man tat gut daran, sich festzuhalten, wirklich wahr!
»Ganz schönes Tempo«, sagte jemand.
»Das ist noch gar nichts«, meldete sich Ronny gut gelaunt. »Sie sollten mal dabei sein, wenn ich wirklich schnell fahre!«
Der Mann, der neben Urs saß, verdrehte die Augen. »Du meine Güte«, hörte er ihn murmeln. »Das hätten wir uns mal erlauben sollen in dem Alter.«
Eine andere behandschuhte Hand legte sich auf Urs’ Unterarm. Es war Mutter, die ihn mit leuchtenden Augen ansah. »Na?«, meinte sie. »Ist das ein Abenteuer oder nicht?«
Urs musterte sie verwundert. So hatte er sie ja noch nie erlebt oder jedenfalls schon lange nicht mehr. »Na ja«, erwiderte er gedehnt. »Jedenfalls ist es besser als der Flug.«
Sie versetzte ihm einen halb ärgerlichen, halb amüsierten Klaps. »Du alter Miesepeter. Es war höchste Zeit, dass du mal rauskommst aus diesem behüteten Stadtleben.«
Sie überquerten einen kleinen Hügel und da endlich sah Urs die Marssiedlung. Eine metallisch glänzende Konstruktion aus kugelförmigen Modulen und röhrenartigen Verbindungsschächten, gekrönt von gewaltigen Antennen aller Art und umschlossen von einem halbkreisförmigen Ringwall, der aussah wie ein zur Hälfte eingeebneter Kraterwulst.
Und hinter dem Ringwall …
… leuchtete etwas. Geradezu magisch.
»Was ist denn das?«, murmelte Urs. Er kniff die Augen zusammen, versuchte Konturen zu erkennen. Ein silbriges Schimmern stieg hinter dem Kamm des halbrunden Hügels auf, etwas, das heller leuchtete als es reines Silber getan hätte …
Das Fahrzeug machte einen Schlenker, um einer Bodenvertiefung auszuweichen, fuhr dabei eine kleine Erhebung hinauf und von der höchsten Stelle aus sah Urs endlose Reihen praller Blasen, die im Licht der matten Sonne schimmerten wie Perlmutt.
»Das sind die Treibhäuser«, sagte der Journalist. Wie hatte der noch mal geheißen? Wim Van Leer. Klugscheißer Van Leer. »Dort wächst fast alles, was wir von jetzt an zu essen bekommen werden.«
»Wieso nur ›fast‹ alles?«
»Es gibt noch Anlagen unter der Oberfläche. Zuchttanks für Fische, Pilzkulturen, solches Zeug.«
»Pilze?« Urs verzog das Gesicht. »Ich mag keine Pilze.«
»Dann, mein Lieber«, sagte Klugscheißer Van Leer scheißfreundlich, »kommen schwere Zeiten auf dich zu. Die Küche der Marssiedler ist nämlich berühmt für ihre Pilzrezepte. Nirgendwo im bekannten Universum werden so viele verschiedene Pilzsorten regelmäßig verzehrt wie hier.«
»Danke für die Auskunft«, knurrte Urs und hoffte, dass der Typ jetzt den Mund halten würde.
Aber er fing gerade erst an. Faselte von der Bedeutung der Marssiedlung für die technische Entwicklung der Menschheit, von den vielen Erfindungen, die man für die Besiedlung des Mars gemacht hatte und die jetzt allen zu Gute kämen, das ganze übliche Geschwätz eben, wie man es immer im Fernsehen hörte, wenn es mal wieder darum ging, ob die Raumfahrt zu teuer war oder nicht. In den letzten Monaten hatte es solche Diskussionen bis zum Abwinken gegeben und das Thema stand Urs bis hier.
Sie näherten sich der Station. Der größte Teil davon, das wusste Urs natürlich, lag unter der Oberfläche. Die Bauten hier oben enthielten nur technische Anlagen, einige Labors und Computerräume, Werkstätten zur Instandhaltung der Fahrzeuge und Raumanzüge und dergleichen. Das eigentliche Leben fand wenigstens dreißig Meter unter der Oberfläche statt.
Das Fahrzeug beschrieb vor einer der großen Schleusen eine enge Kurve und kam abrupt zum Stillstand. »Mars City«, sagte die helle Stimme aus dem Cockpit. »Bitte alles aussteigen, die Fahrt endet hier.«
»Und herzlich willkommen in der Marssiedlung«, rief eine andere Stimme, die aus der Station selber zu kommen schien und die Urs schon lange nicht mehr gehört hatte: die Stimme seines Vaters!
»Bonjour papa!«, rief er.
Ein hörbares Luftschnappen. »Bonjour mon fils!«, antwortete sein Vater ihm. »Marciela? Bist du auch da?«
»Sì«, schniefte Mutter mit merklicher Rührung. »Sono quì.«
Urs schluckte. Au weia, das würde jetzt gleich rührselig werden. Wenn Mutter ins Italienische fiel, dann waren Tränen fällig.