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Examensarbeit aus dem Jahr 2004 im Fachbereich Politik - Politische Systeme allgemein und im Vergleich, Note: 2,0, Freie Universität Berlin (JWB (Journalisten-Weiterbildung) am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften), Sprache: Deutsch, Abstract: Vor dem Hintergrund der demografischen und sozioökonomischen Entwicklungen zählt die Sicherung der sozialen Systeme zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Ein Geburtenrückgang und eine parallel ansteigende Lebenserwartung führen sukzessive zur Überalterung der Gesellschaft. Die Renten sind in der jetzigen Form und Höhe keineswegs mehr sicher. Während heute zwei Erwerbstätige für eine Altersrente aufkommen, muss im Jahre 2030 jeder Erwerbstätige etwa eine Rente finanzieren. Ohne Erhöhung der Beitragssätze könnte der demografischen Entwicklung nur mit erheblicher Kürzung der Rentenansprüche Rechnung getragen werden. Dies aber würde die Rentner zum einen um den Lohn ihrer erbrachten Lebensleistung bringen und sie zum anderen an den Rand der Armut drängen. Schon jetzt bewegen sich die ausgezahlten Renten vor allem von Frauen am und unter dem Existenzminimum. Seit Jahren debattieren die Politiker um die Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Reformen folgten auf Reformen. Bislang ist es jedoch keiner Reform gelungen, die Zukunftsfähigkeit des deutschen Rentenversicherungssystems dauerhaft zu sichern. Immer wieder ging und geht es vor allem um die Konsolidierung des Systems und eine Anpassung an die veränderten Bedingungen. Die Regierung hält im Wesentlichen weiter an der gesetzlichen umlagefinanzierten Rentenversicherung in ihren bestehenden Grundzügen und Strukturen und ihrer übergeordneten Bedeutung gegenüber der Privatvorsorge fest. Modelle, die eine Abkehr von der Dominanz der Umlagefinanzierung hin zu weit mehr Kapitaldeckung beinhalten, werden immer wieder in die Diskussion eingebracht. Als besonders vorbildlich und beispielgebend wird dabei gern die Schweiz zitiert. Dennoch finden die Verfechter eines solchen 3-Säulen-Modells in Deutschland offenbar kaum Gehör. Aber woran liegt das? Das Buch arbeitet heraus, wie sich die beiden Altersvorsorgesysteme unterscheiden und was für oder gegen eine mögliche Veränderung der deutschen Rentenversicherung nach dem Schweizer Vorbild spricht. Die Autorin untersucht, ob sich Elemente im Schweizer System finden lassen, die nicht nur ins deutsche übertragbar, sondern auch für die Probleme in Deutschland adäquate Lösungsansätze und zu den neuen Reformansätzen der Bundesregierung bislang unberücksichtigte Alternativen oder ergänzende Optionen sind.
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AVG-Angestelltenversichertengesetz AHV-Alters-und Hinterlassenenversicherung AK
-Ausgleichskassen
BfA-Bundesversicherungsanstaltfür Angestellte BG-Bundesgesetz(Schweiz) BmAS-Bundesministeriumfür Arbeit und Sozialordnung BmGS-Bundesministeriumfür Gesundheit und Soziale Sicherung BVA-Bundesversicherungsamt BVG-BG über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge BSV-Bundesamt für Sozialversicherung DBW-Deutscher Beamtenwirtschaftsring DGB-Deutscher Gewerkschaftsbund DZA-DeutschesZentrum für Altersfragen EDI-EidgenössischesDepartement des Innern EL-Ergänzungsleistungzur AHV/IV EO-Erwerbsersatzordnungfür Wehr und Zivilschutzpflichtige gRV-gesetzlicheRentenversicherung IV-Invalidenversicherung RVO
-Reichsversicherungsordnung
SFr-SchweizerFranken SGB
-Sozialgesetzbuch
Tsp
-Tagesspiegel
VE-Vorsorgeeinrichtungen
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ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS
AVG-Angestelltenversichertengesetz AHV-Alters- und Hinterlassenenversicherung AK-Ausgleichskassen BfA-Bundesversicherungsanstalt für Angestellte BG-Bundesgesetz (Schweiz) BmAS-Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung BmGS-Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung BVA-Bundesversicherungsamt BVG-BG über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge BSV-Bundesamt für Sozialversicherung DBW-Deutscher Beamtenwirtschaftsring DGB-Deutscher Gewerkschaftsbund DZA-Deutsches Zentrum für Altersfragen EDI-Eidgenössisches Departement des Innern EL-Ergänzungsleistung zur AHV/IV EO-Erwerbsersatzordnung für Wehr und Zivilschutzpflichtige gRV-gesetzliche Rentenversicherung IV-Invalidenversicherung RVO-Reichsversicherungsordnung SFr-Schweizer Franken SGB-Sozialgesetzbuch Tsp-Tagesspiegel VE-Vorsorgeeinrichtungen
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Vor dem Hintergrund der demographischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen zählt die Sicherung der sozialen Systeme zu den größten Herausforderungen unserer Zeit. Ein anhaltender Geburtenrückgang und eine parallel ansteigende Lebenserwartung führten und führen sukzessive zur Überalterung der Gesellschaft. Damit gerät das deutsche, umlagefinanzierte Rentensystem in eine tiefe Krise. Die Renten sind, anders als der frühere Bundesarbeits- und -sozialminister Norbert Blüm verkündete, in der jetzigen Form und Höhe keineswegs mehr so sicher. Während heute zwei Erwerbstätige für eine Altersrente aufkommen, muss im Jahre 2030 jeder Erwerbstätige etwa eine Rente finanzieren (Maier/Zandonella, S. 33). Sollen die Renten weiter so gewährt werden wie bisher, wäre dies nur mit einer schmerzlichen Erhöhung der Beitragslast zu leisten. Bliebe es stattdessen bei den Beitragssätzen (Anhang, S. 4), könnte der demographischen Entwicklung nur mit erheblicher Kürzung der Rentenansprüche Rechnung getragen werden. Dies aber würde die Rentner zum einen um den Lohn ihrer erbrachten Lebensleistung bringen und sie zum anderen an den Rand der Armut drängen.
Seit Jahren debattieren die Politiker um die Zukunftsfähigkeit der gesetzlichen Rentenversicherung. Reformen folgten auf Reformen. Eine der wichtigsten war nach dem Rentenanpassungsgsesetz 1972 (Anhang, S. 10) die Rentenreform 1992, die bereits 1989 verabschiedet worden war (Anhang, S. 11). Ihr folgten eine Anhebung der vorgezogenen Altersgrenzen (Anhang, S. 1) auf das 65. Lebensjahr, eine Modifizierung der Rentenanpassung und eine Rückführung beitragsfreier Zeiten (Anhang, S. 3). Die so genannten versicherungsfremden Leistungen (Anhang, S. 15) sollten durch Steuermittel finanziert und die Rentenkasse entlastet werden. Doch auch dies führte nicht zu einer dauerhaften Lösung. Die Belastungen der Rentenversicherung durch die Wiedervereinigung und die hohe Arbeitslosigkeit Mitte der 90er Jahre machten eine weitere Reform notwendig. So wurde nur fünf Jahre später das nächste Rentenreformgesetz verabschiedet. 1999 trat es in Kraft (Anhang, S.11). Erstmals sollten auch die demographischen Entwicklungen stärker Berücksichtigung finden. Um der
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zunehmenden Lebenserwartung und damit verbundenen Verlängerung der Rentenlaufzeiten gerecht zu werden, sollte ein demographischer Faktor in der Rentenformel (Anhang, S. 11) die Mehrausgaben durch eine niedrigere Anpassung der Renten zum Teil wieder ausgleichen (BmGS, 2003a, S 103). Der demographische Faktor hätte zu einer erheblichen Senkung des Nettorentenniveaus geführt und war deshalb umstritten. Als eines der ersten Gesetzesvorhaben beschloss die im Herbst 1998 gewählte Koalition aus SPD und Bündnis 90/Die Grünen die Aussetzung des demographischen Faktors, verpasste zunächst aber die Entwicklung eines tragfähigen Gegenmodells (Reinhard, 2001a, S. 37). Ihren vorübergehenden Abschluss fanden die Reformmaßnahmen dann in der Rentenreform 2001 (Anhang, S.12), in deren Fokus eine Dämpfung des Beitragssatzanstiegs, insbesondere bis zum Jahr 2010 stand. Der Gesetzgeber legte fest, dass bei Erreichen oder Überschreiten eines Beitragssatzes von 20 Prozent bis zum Jahr 2020 und von 22 Prozent bis zum Jahr 2030 die Politik Maßnahmen zum Gegensteuern vorzuschlagen hat. Gleichzeitig entschied die Regierung, nun doch das Rentenniveau zu senken und legte mit der Riester-Rente den Grundstein für den eigenverantwortlichen Aufbau einer zusätzlichen kapitalgedeckten Altersvorsorge (vgl. BmGS, 2003a, S. 66). Doch auch das war nicht das Ende der Diskussion. Durch die schwierige konjunkturelle Lage und die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit steht das deutsche Rentensystem vor neuen Problemen. Die Rürup-Kommission unter Leitung des Professors für Finanz- und Wirtschaftspolitik, Bert Rürup, trat an, um „Vorschläge für eine nachhaltige Finanzierung und Weiterentwicklung der Sozialversicherung zu entwickeln. Mit der Vorgabe, die Generationengerechtigkeit zu gewährleisten, den eingeschlagenen Weg des Ausbaus der kapitalgedeckten Ergänzungssysteme weiterzuführen und Ihre Wirkungen zu überprüfen sowie den Beitragssatz von 22 Prozent bis zum Jahr 2030 nicht zu überschreiten, hat die Kommission ihre Zukunftsoptionen für die Sicherung der sozialen Systeme vorgelegt. Neben der Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre bezog die Kommission auch den demographischen Faktor wieder in ihre Überlegungen ein und plädierte schließlich für den Einbau eines so genannten Nachhaltigkeitsfaktors (Anhang, S. 8) ins System (BmGS, 2003a, S. 103). Nach intensiver Debatte in den Parteien und zwischen Regierung und Opposition hat das Kabinett im Dezember den Entwurf zum so genannten Rentenversicherungs-Nachhaltigkeitsgesetz
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verabschiedet, das 2005 in Kraft treten soll. Auf den vorgeschlagenen Nachhaltigkeitsfaktor, der die Rentenanpassungsformel modifizieren soll, konnte sich das Kabinett dabei einigen. Ferner sollen die Frühverrentung gestoppt, die Riester-Rente vereinfacht und sich ab 2009 längere Studienzeiten nicht mehr auf die Rentenhöhe auswirken (BmGS, 2003f, S. 2/3). Bislang ist es jedoch keiner Reform gelungen, die Zukunftsfähigkeit des deutschen Rentenversicherungssystems dauerhaft zu sichern. Und wie schon in den Jahren zuvor, geht es auch bei der jüngsten Reform vor allem um die Konsolidierung des Systems und eine Anpassung an die veränderten Bedingungen. Die Regierung hält im wesentlichen weiter an der gesetzlichen umlagefinanzierten Rentenversicherung in ihren bestehenden Grundzügen und Strukturen und ihrer übergeordneten Bedeutung gegenüber der Privatvorsorge fest. Es gibt aber auch Rentenexperten, die die Zukunftsfähigkeit dieser Maßnahmen bezweifeln undseitlangem eine grundlegendere Reform fordern. Kurt Biedenkopf und Meinhard Miegel beispielsweise favorisieren eine steuerfinanzierte Grundrente. Aber auch andere Modelle, die im wesentlichen eine Abkehr von der Dominanz der Umlagefinanzierung hin zu weit mehr Kapitaldeckung beinhalten, werden immer wieder in die Diskussion eingebracht (vgl. Hinrichs, S.7). Als besonders vorbildlich und beispielgebend wird dabei gern die Schweiz zitiert. So schreibt der Spiegel in seiner Februar-Ausgabe 07/2001: „Wenn Ökonomen das Land mit dem besten Rentensystem küren müssten, würde sich eine klare Mehrheit für die Schweiz entscheiden.“ (Sauga, S. 94). Dennoch finden die Verfechter eines solchen Modells in Deutschland offenbar kaum Gehör. Aber woran liegt das?
Ziel der Arbeit ist es, herauszuarbeiten, wie sich die beiden Altersvorsorgesysteme unterscheiden und was für oder gegen eine mögliche Veränderung der deutschen Rentenversicherung nach dem Schweizer Vorbild spricht. Ich möchte dabei vor allem untersuchen, ob sich Elemente im Schweizer System finden lassen, die nicht nur ins deutsche übertragbar, sondern auch für die Probleme in Deutschland adäquate Lösungsansätze und zu den Vorschlägen der Rürup-Kommission und neuen Reformansätzen der Bundesregierung bislang unberücksichtigte Alternativen oder ergänzende Optionen sind. In einem sich anschließenden joumalistischen Artikel, der für eine überregionale Zeitung oder ein Magazin, etwa dem Spiegel, gedacht ist, sollen sich die gewonnenen Erkenntnisse
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widerspiegeln. Vor allem ist der Text zur Aufklärung der Allgemeinheit und insbesondere der künftigen Rentnergeneration gedacht. Er soll auf die aktuelle Situation eingehen und die Probleme der deutschen Rentenversicherung schildern, Erfordernisse und Notwendigkeiten zur Zukunftssicherung des Rentensystems aufzeigen und nicht zuletzt mögliche aus dem Vergleich abgeleitete Lösungsansätze umreißen und zur Diskussion stellen.
Der beschriebenen Fragestellung werde ich mich mittels Politikfeldanalyse im Bereich Sozialpolitik nähern. Frei nach der Definition von Thomas S. Dye (1976) „Policy Analysis is what governements do, why they do it and what difference it makes“ (Schubert, S. 3) werde ich diesbezüglich die beiden Staaten Deutschland und die Schweiz vergleichen. Es handelt sich dabei um zwei in ihren sozialpolitischen Grundzügen und Zielrichtungen ähnliche europäische Wohlfahrtsstaaten, die jedoch bei der Ausgestaltung der Altersvorsorge zu unterschiedlichen politischen Ergebnissen kommen. Die Frage ist dabei nicht vordergründig, welches das bessere System von beiden ist, sondern inwiefern das Modell der Schweiz für die Lösung der gegenwärtigen und künftigen sozial- bzw. rentenpolitischen Probleme wirkungsvolle Elemente enthält, die auf die Verhältnisse in Deutschland anwendbar sind. Zur Klärung dieser Frage, wird sich die Arbeit mit den Inhalten der Sozial- und dabei vor allem der Rentenversicherungen auseinandersetzen und Gemeinsamkeiten sowie Unterschiede in den Systemen darstellen und versuchen zu erklären. Neben der Suche nach Lösungen werde ich dabei sowohl einen historischen und einen normativen, als auch im Rahmen der Möglichkeiten einen technischen Bezug herstellen. Mit dem kurzen Rückblick in die Historie der Systeme soll gezeigt werden, wie die Altersvorsorgesysteme in den beiden Ländern entstanden sind und welche Rolle die Geschichte nicht nur bei der Entscheidung für die verschiedenen Lösungswege, sondern auch der Aufrechterhaltung der Rentenversicherungssysteme spielte und spielt. Ich werde ferner erarbeiten, zu welchen rentenpolitischen Lösungen die Schweiz im Detail gekommen ist und wie diese praktisch umgesetzt worden sind. Sofern sich aus dem System der Schweiz alternative Lösungen zu den umgesetzten und geplanten Maßnahmen in Deutschland ableiten lassen,
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werde ich diese darstellen und untersuchen, inwieweit sie im Rahmen der rentenpolitischen Ziele zukunftsfähige Optionen sind. Die Arbeit soll demnach nicht nur interaktionsorientiert, sondern auch problemorientiert sein und will zur sach-adäquaten Lösung politisch-inhaltlicher Fragen der Rentenpolitik beitragen (vgl. Schubert, S.6).
Neben der Einleitung gliedert sich die Arbeit in vier weitere Abschnitte. Der folgende Teil widmet sich den Grundlagen der sozialen Sicherung. Ich werde als Einführung zunächst kurz zentrale Begriffe aus dem Bereich der Sozialpolitik erläutern und die beiden Länder danach entsprechend ihres Sozialstaatstypus einordnen. Ich werde ferner auf die Entstehungsgeschichte der Sozialversicherungssysteme eingehen und kurz die jeweilige Struktur beschreiben. Daran anschließen soll sich ein knapper wissenschaftlicher Diskurs zu den Chancen sozialpolitischer Veränderungen. Ich werde darstellen, welche Rahmenbedingungen gegeben und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um Lösungsansätze anderer Staaten in die eigenen Systeme zu übertragen. Daran anknüpfend werde ich diesbezüglich die Situation in Deutschland untersuchen und die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen als eine dieser Voraussetzungen in den beiden Ländern vergleichen.
Der dritte Abschnitt der Arbeit befasst sich im Detail mit dem Rentenversicherungsystem der Schweiz. Es wird gezeigt, wie das System organisiert ist, wie es funktioniert, wer es finanziert. Ich werde zunächst auf die Inhalte der einzelnen Säulen eingehen und den Aufbau und die praktische Umsetzung der gesetzlichen Rentenversicherung sowie der Betriebs- und Eigenvorsorge erläutern und dabei herausarbeiten, inwieweit das System in seinen einzelnen Elementen der Sicherung dieser Ziele Rechnung trägt. Auch in der Schweiz haben die demographischen und sozio-ökonomischen Entwicklungen unterschiedliche Auswirkungen auf das Altersvorsorge-System. Ich werde diese beschreiben und schildern, wie die Schweiz ihr System zukunfähig gestalten will.
Der sich daran anschließenden Abschnitt wird das deutsche Rentenversicherungssystem in die Betrachtung einbeziehen. Analog zu den in Abschnitt drei analysierten Schwerpunkten sollen
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systematisch die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in den Altersvorsorgesystemen herausgearbeitet werden.
Es soll dabei vor allem gezeigt werden, wie sich beide Systeme hinsichtlich der Struktur und Organisation, Finanzierung und Entwicklung unterscheiden und welche Vorzüge das eine gegenüber dem anderen System bietet.
Auf den Ergebnissen dieses Abschnitts baut im wesentlichen der folgende und letzte Teil der Arbeit auf. Ausgehend von den zuvor noch einmal dargestellten spezifischen Problemen des Rentenversicherungssystems in Deutschland werde ich prüfen, ob und welche Lösungsansätze sich aus dem Modell der Schweiz ergeben und sofern möglich, inwieweit sie ins deutsche System übertragbar sind. Ganz am Ende wird eine Zusammenfassung der zusammengetragenen Optionen und die Beantwortung der Fragestellung stehen.
Das Sozialstaatsprinzip ist ein gemeinsames Element westlicher Demokratien und gilt somit gleichermaßen auch für Deutschland und die Schweiz. Dabei meint Sozialstaat einen Staat, der seine rechtliche, gesellschaftliche und soziale Ordnung nach den Grundsätzen der sozialen Sicherheit, Gleichheit und Gerechtigkeit gestaltet (Maier/Zandonella, S. 5). Er umfasst alle Institutionen, Regulierungen und Verfahren, die die marktliche Steuerung von Arbeitsmarkt, Einkommensverteilung und Lebensbedingungen ergänzen und korrigieren (Ziegelmayer, S. 70). In diesem Prozess kommt dem Staat eine aktive Rolle zu. Seine Kernelemente greifen über den Bereich der sozialen Sicherung (Anhang, S. 13) hinaus und stehen in wechselseitiger Beziehung zum Gesundheitswesen und den sozialen Diensten, zur Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik, zum Tarifvertragswesen und zur Ausgestaltung des Steuerrechts (ebenda).
Vor dem Hintergrund der Stabilisierung der Gesellschaft verfolgen soziale Sicherungssysteme im wesentlichen drei Hauptziele, die in den einzelnen Nationen unterschiedlich stark gewichtet
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sind. Insbesondere geht es dabei darum, die Menschen gegen soziale Risiken, wie Armut oder Existenzbedrohung, abzusichern (Engelen-Kefer, S. 131) sowie Chancengleichheit und materielle Teilhabe zu gewährleisten (Ziegelmeyer, S. 70). Während sich einige Länder dabei mit einer Mindestsicherung begnügen und durch rechtliche Garantien ein bestimmtes Existenzminimum für alle Bürger sicherstellen, streben andere Staaten eine Grundsicherung und einen angemessenen Existenzbedarf für ihre Bürger an. Noch weiter geht die Regelsicherung, die die Leistung in eine angemessene Relation zu dem bisher gewohnten Lebensstandard bringt (Orth, S. 100). Durch Versicherungs- und Vorsorgesysteme für Krankheit, Invalidität, Arbeitslosigkeit und Alter, die je nach Typ unterschiedlich ausgestaltet sein können, sollen die Ziele erreicht werden. Ein Minimum an sozialer Chancengleichheit wird ergänzend durch Fördermaßnahmen für benachteiligte Gruppen sichergestellt (Maier/Zandonella, S. 7).
Je nach Ziel und Funktionsvorstellungen lassen sich Sozialstaaten in unterschiedliche Typen unterteilen. Nach den Vorstellungen von Titmus und seinen „models of social policy“ sind dies das „residual welfare model“, „industriel achievement performence model“ und das „institutional redistributive model“ (Talos, S. 10). Auf dieser Grundlage hat Esping-Andersen seine „welfahre state regimes-Konstruktion“ entwickelt. Er unterscheidet nach Ausmaß der sozialen Rechte und nach Art der sozialen Sicherung verbunden mit der sozialen Struktur. Je nachdem, welches Verhältnis und welchen Stellenwert Staat, Markt und Familie im System der sozialen Sicherung haben, gliedert er Wohlfahrtstaaten in konservative, sozial-demokratische und liberale Typen (ebenda, S. 11). Konservative Typen sind vordergründig erwerbsarbeits- und berufsgruppenorientiert und haben die Kompensation des Ausfalls von Markteinkommen bei Krankheit, Unfall, Alter oder Arbeitslosigkeit zum Ziel. Das sozial-demokratische Modell betont bei einem Teil der Leistungen den Universalismus und erweitert auf Basis der Staatsbürgerschaft den Adressatenkreis. Das liberale Modell setzt vollständig auf die Rolle des freien Marktes und der Familie bei einem hohen Anteil von Fürsorgeleistungen auf niedrigem Niveau (ebenda). Reine Formen sind selten. Das deutsche Sozialversicherungssystem ist betont
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konservativ, vereint aber auch sozialdemokratische und liberale Elemente. Das Schweizer System ist ein Mischtypus, der schwergewichtig liberale, aber auch konservative und partiell sozialdemokratische Züge trägt (Obinger, S. 255).
2.1.3.1. Versicherungs- und Solidaritätsprinzip
Bei der Gestaltung der sozialen Sicherung kann der Sozialstaat im wesentlichen auf drei Grundformen zurückgreifen: dem Versicherungs-, Versorgungs- und Fürsorgeprinzip. Das Versicherungsprinzip ist grundsätzlich eine Art Selbsthilfe, die allerdings dadurch eingeschränkt wird, dass neben den Versicherten auch Arbeitgeber und die öffentliche Hand Beiträge an die Sozialversicherung zahlen (Orth, S. 99). Sie ist als Schutz vor einer Gefahr gedacht, die in der Regel mit einem Einkommensverlust verbunden ist, beispielsweise einer Krankheit, Unfall oder Arbeitslosigkeit (Rossi/Sartoris, S. 82). In einem solchen Bedürfnis- oder Notfall wird die zuvor festgelegte Leistung ausgezahlt.