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Die Zwillinge Annelise und Annemie könnten nicht verschiedener sein, trotzdem sind die beiden unzertrennlich. Das ändert sich, als mit Fräulein Gertrud ein neues Kindermädchen zur Familie kommt – während sich die brave Annemie gut mit ihr versteht, kann ihre wilde Schwester Annelise sich so gar nicht mit dem "Fräulein" anfreunden. Es kommt immer wieder zu Streitereien und der Haussegen hängt bald gehörig schief. Kann eine gemeinsame Reise die Wogen glätten?-
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Seitenzahl: 31
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Else Ury
Saga
Das neue Fräulein
Coverbild/Illustration: Shutterstock
Copyright © 1914, 2021 SAGA Egmont
Alle Rechte vorbehalten
ISBN: 9788726884425
1. E-Book-Ausgabe
Format: EPUB 3.0
Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit der Zustimmung vom Verlag gestattet.
Dieses Werk ist als historisches Dokument neu veröffentlicht worden. Die Sprache des Werkes entspricht der Zeit seiner Entstehung.
www.sagaegmont.com
Saga Egmont - ein Teil von Egmont, www.egmont.com
Sie sahen ganz gleich aus, die beiden Zwillingsschwestern Annemie und Anneli. Wenn sie des Abends in ihren Betten lagen und die Augen geschlossen hatten, konnte sie nicht einmal die Mutter unterscheiden. Dasselbe lichtbraune, krause Haargelock, die gleichen rosigen Wangen und genau dasselbe zierliche Näschen über den frischen Lippen.
Aber Muttchen mußte ganz genau, unter dem reizenden Bild, auf dem der kleine Hemdenmatz neben seiner ziemlich invaliden Puppenfamilie vor dem Bettchen kniete, um das Abendgebet zu sprechen, da schlief Annemie. Und gegenüber in den Kissen, aus denen ewig die Schnürsenkel herausgerissen waren, unter dem Bild mit dem von einer übermütigen Kinderschar bombardierten Schneemann, das war die Annelise. Jede der Schwestern hatte sich zum Geburtstag ihr Lieblingsbild wünschen dürfen, und da waren die verschiedenen Neigungen der elfjährigen Zwillinge so recht zum Ausdruck gekommen.
Am Tage, wenn ihre fröhlichen Stimmen durch Haus und Garten schallten, da brauchte man kein Unterscheidungsmerkmal, wenigstens kein äußerliches. Die am meisten tobte, am lautesten jubelte und am wildesten sprang, das war eben die Annelise. Annemie sah mit ihren Blauaugen stiller uns schüchterner in die Welt hinein, während in Annelises braunen Augensternen allerhand unnütze Teufelchen ihr Wesen trieben. Hier saß solch kleiner durchtriebener Schalk, dort machte sich Eigensinn und Trotz ziemlich breit, und öfters sprühte es auch wie Hochmut und Herrschsucht aus den dunklen Kinderaugen.
Die beiden Zwillingsschwestern waren unzertrennlich. Annemie liebte die lustige, lebhafte Annelise mit dem ganzen Gefühlsreichtum ihres warmen Herzens. Auch Annelise kannte nichts Lieberes als ihr Schwesterchen, aber sie beherrschte sie, war nicht immer verträglich und verlangte, daß die sanfte Annemie sich ihrem Willen fügte.
»Denn ich bin eine Stunde eher auf die Welt gekommen als du, folglich weiß ich es besser,« pflegte Annelise als letzten Trumpf stets anzuführen.
Heute saßen die Zwillinge still und friedlich in ihrem Zimmer. Es war ein reizendes Stübchen, das allgemein Begeisterung, ja auch ein klein wenig Neid bei sämtlichen Freundinnen erweckte. Die meisten von ihnen mußten noch im Kinderzimmer hausen. Wenn man doch auch keine kleineren Geschwister hätte, so daß man sein eigenes »Mädchenstübchen« bewohnen dürfte! Ja, wenn der Vater doch auch Baurat wäre und sich solche entzückende Villa mit Söllern und Türmchen bauen könnte, dachten die Freundinnen oft, wenn sie das schöne Heim der Schwestern verließen.
Die beiden braunen Krausköpfe waren tief über die Hefte gebeugt, die Federn kritzelten, das Papier raschelte, ab und zu unterbrach ein tiefer Seufzer von Annelises Lippen die Stille.
»Annemie, hast du das zweite Exempel schon heraus? – Gib's her, rasch, ich will es abschreiben. So dumm, mich mit der langweiligen Bruchrechnung herumzuquälen, flink, gib her!«
Annemie hielt das Löschblatt über ihre sauber geschriebene Seite und hob die Blauaugen bittend empor.
»Wir dürfen doch nicht. Vater hat erst neulich gesagt, abschreiben sei Betrug gegen den Lehrer und gegen uns selbst; bitte, Anneli, versuche es doch noch einmal,« sagte sie zögernd.
»Bloß damit ich eine schlechtere Nummer bekomme als du,« knurrte Annelise.
»Aber Anneli« – die Blauäugige streckte Ihr, ganz entsetzt über diese Zumutung, ihr Heft hin – »da, schreibe ab, aber denke nicht wieder so etwas Häßliches von mir.« Ihr zartes Gesicht war dunkelrot vor Erregung.