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Hans will nicht mehr leben. Zu festgefahren und öde ist seine Welt in dem kleinen Bahnwärterhaus in Ostösterreich. Genau hat er vor Augen, wie er sterben möchte: auf dem Küchenboden liegend, von seiner Frau entdeckt. Eben so wie die Comicfigur auf seiner Lieblingspostkarte: "Du tot in der Küche Hans? So kenn ich dich gar nicht!" Auf der Suche nach einer Frau, die das letzte Mosaiksteinchen in seinem Sterbeszenario sein soll, schaltet Hans eine Zeitungsannonce. EIN ROMAN ALS ROADMOVIE Damit platzt Elvina in sein Leben: laut, schrill, exaltiert und ebenso bunt wie die Stifte, mit denen sie Hans' Postkarte ausmalt. Ohne zu fragen, legt sie sich zu Hans auf den Küchenboden und färbt seine Welt neu ein. Sie ist so anders als Hans, und doch verbindet die beiden die Sehnsucht nach Aufbruch und Glück. Elvina überredet Hans zu einem Roadtrip und sie beginnen eine Reise, die beide mit Fragen konfrontiert, von denen sie nicht wissen, ob sie die Antworten darauf überhaupt kennen wollen. Bis sie letztlich in einem roten Haus mit grünem Dach an der spanischen Küste ihr Ziel erreichen: das Ziel des stillen, zarten, intimen Glücks. SCHNÖRKELLOSE LIEBESGESCHICHTE ÜBER DAS KLEINE GROSSE GLÜCK Bernhard Aichner erzählt mit enormem Tempo und ohne Kitsch eine wundervolle Liebesgeschichte. Wie mit einer Kamera hält er das Leben von Hans und Elvina in präzisen Schnappschüssen fest und schafft es auf einzigartige Weise, das Nötigste über das Glück festzuhalten.
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Seitenzahl: 113
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Bernhard Aichner
Das Nötigste über das Glück
Roman
Glück ist Liebe, nichts anderes.
Wer lieben kann, ist glücklich.
Hermann Hesse
Da war dieser Witz an der Klowand. In seiner Lieblingsbar, eine alte Postkarte. Gezeichnet. Ein Mann liegt mit offenem Mund am Boden und eine Frau kommt in den Raum. Aus ihrem Mund eine Sprechblase: Du tot in der Küche, Hans? So kenn ich dich gar nicht!
Er musste innerlich lachen. Weil auch er Hans hieß. Mit einem breiten Grinsen stand er da und starrte auf die Postkarte. Er lachte über diese Frau. Über diese Ehrlichkeit, diese Logik. Der Hans auf der Karte war einfach tot. Das war neu für sie, aufregend, das hat sie noch nie gesehen. Den toten Hans. Zum ersten Mal. Den hat noch keiner gesehen. Wie er so dalag. Wie er so tot war, der Hans.
Der echte Hans hat die Postkarte mitgenommen. Von der Klowand in sein Schlafzimmer. Wenn er aufwachte, hing sie an der weißen Wand. Sonst war da nichts. Nur der Witz immer wieder für Stunden. Er hat kein Bild länger angesehen in seinem Leben, er kannte es auswendig, jeden Strich, jeden Punkt vom Postkartenhans. Und von der Frau mit der Sprechblase. Wenn er wach lag, dachte er oft nach über sie, wer sie war, woran sie gedacht hatte, kurz vorher, bevor sie ins Zimmer gekommen war. Ob sie ihn geliebt hatte, den Hans, ob sie traurig war. Und was sie dann tat. Nachdem sie begriffen hatte, dass er einfach liegen bleiben würde auf dem Küchenboden.
Der echte Hans überlegte, ob die Frau etwas essen, ob sie sich hinsetzen und ihn anstarren würde mit Brot im Mund. Er sah sie vor sich, wie sie schmatzte, Kaffee trank und hinunterschaute auf ihren toten Hans. Vielleicht saß sie dann neben ihm und fuhr mit der Hand über sein Gesicht. Mit ihren kleinen Fingern über seinen Mund, die Lippen nach. Vielleicht blies sie ihm Atem in die Augen, weil sie die so nicht kannte. Vielleicht lag sie neben ihm und fühlte, wie er kalt wurde. Vielleicht legte sie sich auf ihn, wärmte ihn, streichelte ihn, biss in sein Ohr, spuckte in sein Auge und schaute zu, wie der Speichel verrann, wie ein kleiner See wurde, und wie er austrocknete nach Stunden. Vielleicht beschimpfte sie ihn. Vielleicht weinte sie auch. Brach zusammen. Vielleicht ging sie aber auch einkaufen und ließ sich danach Wasser in der Badewanne ein. Alles Mögliche stellte er sich vor, während er schlaflos in seinem Bett lag. Mitten in den Nächten die Postkarte. Diese Frau.
Auf der Zeichnung hatte sie einen Schlafrock an. Er nur seine Unterhose. Haare auf seinem Bauch, auf den Beinen, keine Schönheit war er. So wie der echte Hans. Auch ihm war mit den Jahren ein Fell gewachsen, auch er trug Unterhosen mit Streifen. Ähnlich waren sie sich. Nur bewegte er sich. Auf der Postkarte stand immer alles still. Bei ihm nicht. Immer war da sein Leben, sobald die Augen aufgingen, war es da und quälte ihn. Es ging nicht weg. Es blieb einfach da. Egal, ob es weh tat. Ein Scheißleben war das.
Tagelang im Bett. Keine Kraft mehr, sich dagegenzustellen, sich zu wehren. Gegen diese Ohnmacht, die ihn in die Laken drückte. So lange hat er darüber nachgedacht. Über das Sterben. Wie einfach es wäre. Licht aus. Ende. Am Boden liegen bleiben wie der Postkartenhans. Er fragte sich, wie der wohl gestorben war. Ob er einfach umgefallen war. Ob sein Herz einfach aufgehört hatte zu schlagen. Einmal hatte er noch ausgeatmet, dann war da nichts mehr. Es war dunkel, keine Sorgen mehr, still war alles. Da war nur die Frau, die sich über ihn beugte und ihm ins Ohr biss, in sein Auge spuckte, ihn berührte, wärmte, sich auf ihn legte und auf ihm liegen blieb. Jemand, der kam und sich um ihn kümmerte. Egal wie.
In Hans wuchs die Sehnsucht. Das Schicksal mit dem Postkartenhans zu teilen, so zu enden wie er. Gefunden zu werden von einer Frau. Ihr Flüstern, wenn sie fragte: Du tot in der Küche, Hans? Ihre Haut, die näherkam. Ihr Mund. Wie sehr er es sich wünschte. Aber da war keine Frau im Schlafrock. Keine. Nicht in seiner Küche. Er lag wach, schaute die Postkarte an, diesen glücklichen Hans, wie er alles hatte. Immer wieder schaltete er das Licht aus und hoffte, dass ihn wenigstens die Träume in Ruhe lassen würden. Weil nur der Schlaf war ein bisschen wie das Glück vom Postkartenhans.
Oft hat er einfach nur gewartet. In seinem kleinen Bahnwärterhaus allein. Gewartet, dass etwas passierte, dass ein Flugzeug auf das kleine Haus fiel. Dass ein Erdbeben in seinen Wald kam. Aber nichts. Kein Unglück beendete das seine. Lange nicht. Alles blieb, wie es war. Bis er irgendwann diese Anzeige aufgab. Er wollte nicht mehr länger warten, er konnte nicht mehr. Hans machte die Tür auf und ließ sie in sein Leben.
Eine Fremde. Sie kam drei Mal in der Woche. Sie war schön und sie schnitt Zwiebeln in seiner Küche, von heute auf morgen war sie da. Elvina. Dieser Name. Wie sie sprach. Was sie sagte. Er fragte sie, ob sie sich vorstellen könnte, noch zu bleiben, wenn sie fertig war mit Putzen und Kochen und Waschen, und was sonst noch war. Irgendetwas in ihm trieb ihn, zwang ihn, er wollte nicht, dass sie wegging von ihm. Er hat sie darum gebeten und sie hat ja gesagt. Drei Mal in der Woche haben sie miteinander gegessen. Lange und ohne Ziel, einfach schön war es. Irgendwann war sich Hans sicher. Er hat sie angeschaut und sich gedacht, dass sie ihn finden sollte. Sie war perfekt.
Nach einem langen Abend hat er ihr den Witz gezeigt. Er hatte sich nicht überlegt, was sie sagen würde, er hatte keine Angst vor ihrer Reaktion. Trotzdem war er überrascht. Wie selbstverständlich sie es hinnahm. Ohne sich zu wundern, fragte sie, welche Farbe der Schlafrock haben sollte. Da war kein Entsetzen, keine Angst, ungerührt fragte sie ihn, wann es denn so weit sein sollte. Sie ist da gesessen mit Hühnerflügeln im Mund und hat ja gesagt, sie würde gerne in sein Auge spucken und zusehen, wie die Spucke trocknete. Auch auf ihn legen würde sie sich. Und in sein Ohr beißen. Wann sie denn kommen sollte, hat sie gefragt. Wann er denn sterben wollte.
Ungerührt. Elvina schaute in sein Gesicht und er wusste nicht, welcher Tag gut war zum Sterben. Eigentlich jeder, dachte er. Aber sich für einen entscheiden. Und wie, ohne dass es blutete überall. Einfach umfallen wie der Postkartenhans. Aber man fällt nicht einfach um, nur weil die Zugehfrau kommt. So dachte er, während sie ihm gegenübersaß und sich die fettigen Finger ableckte. Die Knochen von dem Huhn auf einem Haufen vor ihr. Wann soll ich nun kommen, fragte sie wieder. Und er sagte Mittwoch. Weil Mittwoch nicht besser war als Montag. Sie hat ja gesagt, ist aufgestanden, hat abgespült, ihn auf die Stirn geküsst und ist gegangen. Bis Mittwoch, sagte sie noch. Dann war er wieder allein. So wie die Jahre zuvor.
Die Tage waren lang. Er hat nicht gearbeitet. Nur überlegt, wie er es machen sollte. Tot sein am Mittwoch. Vier Tage ist er im Bett gelegen und hat auf den Postkartenhans gestarrt, sich überlegt, wie es passieren sollte. Er hat an Gift gedacht. Tabletten, Schlafmittel, er wollte einfach einschlafen am Küchenboden. Warten, bis sie kam. Die Zugehfrau im Schlafrock. Wie oft er es vor sich gesehen hat. Schlaflos im Dunkel. Die Gedanken an Elvina und der Blick auf die Postkarte an der Wand. Nur das Licht der Straßenlaterne, das ins Zimmer fiel. Und der Mund vom Postkartenhans, der offen stand. Wie er aufgerissen war, leicht verzerrt, als ob er Schmerzen gehabt hätte kurz vorher. Das war ihm nie aufgefallen. Dem Hans auf dem Bild hatte etwas weh getan. Die Striche verrieten es. Sein Herz vielleicht, irgendetwas hatte ihn in die Knie gezwungen, ihn niedergestreckt. Zum ersten Mal dachte er es. Dass er es vielleicht gar nicht wollte. Sterben.
Er war durcheinander. Dem Postkartenhans hatte etwas weh getan. Seit Monaten kannte er diese Zeichnung, aber erst jetzt las er sie richtig. Erschrocken machte er die Augen zu. Er lag in seinem Bett. Und er dachte zum ersten Mal über den Postkartenhans nach. Wie der wohl gewesen war. Was er sich gewünscht hatte. Wovon er geträumt hatte. Die ganze Nacht lag er wach und fragte sich, ob es richtig war. Ob er sie anrufen und ihr sagen sollte, dass es nur ein Scherz gewesen war. Die Stunden bis Mittwoch waren unangenehm lang, die Zeit tat fast weh. Alle Vorbereitungen waren getroffen, es gab nichts mehr zu tun. Nur warten. Er hatte einen Entsafter gekauft, Obst und Schnaps. Einen Cocktail zum Schluss, dachte er. Dann hinlegen und aus. In der gestreiften Unterhose am Mittwoch.
Er war lange im Bad. Dann in der Küche. Obst zerschneiden, Tabletten mit dem Mörser zerstampfen, Eis zerhacken, entsaften. Er hatte ein schönes Glas gekauft und sich die Nägel lackiert. Das wollte er immer schon. Rote Nägel am Fuß. Dann saß er da. Das Glas gefüllt vor sich. Frisch gebadet. Die Haare gewaschen. Es fiel ihm schwer. Er starrte auf den Saft im Glas, er schaute dem Eis beim Schmelzen zu. Hans zögerte. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Die Zugehfrau, er musste es trinken, sie würde bald kommen. Elvina. In einem Schluck, erfrischend bestimmt, dann schnell auf den Boden legen. Die Augen zumachen und warten, bis der Mund aufging. So einfach.
Er roch daran. Es roch nach Obst und Saft und Schnaps. Trotzdem konnte er es nicht, hatte zu viel Angst. Den ganzen Nachmittag lang. Immer wieder zerhackte er neues Eis, goss Flüssigkeit ab, entsaftete Pfirsiche, er tat noch mehr Schlafmittel dazu und starrte wieder auf das Glas. So als müsste er es heimlich tun, nahm er die Schnapsflasche und trank. Es brannte, die Zeit wurde immer weniger. Sie würde bald da sein. Bis zum Schluss haderte er, konnte es nicht tun. Bis zum Schluss nicht. Er hörte die Haustür, er hob das Glas, er hörte, wie sie die Tür verriegelte von innen. Er musste endlich handeln. Es trinken, in langen Schlucken verschwinden, bevor sie in den Raum kam. Leise bewegte er sich, er hörte, wie sie sich auszog, er hob das Glas und setzte an. Seine Lippen, die das Eis berührten. Und das Rascheln draußen. Sie würde jetzt kommen. Jetzt. Deshalb nahm er das Glas und stellte es so schnell er konnte in den Schrank. Dann legte er sich hin.
Augen zu. Feige Sau, dachte er. Am Küchenboden wie tot. Er bewegte sich nicht, atmete so flach es ging. Auch wenn sein Herz laut war wie lange nicht mehr. Nichts regte sich. Sie stand in der Tür, er hörte ihre Füße hinter sich auf den Fliesen. Wie sie stehenblieb. Wie ihr Mund aufging. Diese zwei Sätze, die sie sagte. Alles so, wie er es sich gewünscht hatte. Er hielt den Atem an. Ein Zug fuhr draußen durch den Wald. Und verschwand wieder. Ein paar Augenblicke lang stand alles still. Wie auf der Postkarte war es. Zehn Sekunden lang. Zwanzig. Dann kam sie näher. Sie ging um ihn herum. Er atmete, so flach es ging. Nicht bewegen.
Elvina im Schlafrock. Er spürte, wie sie sich neben ihn setzte. Sich über ihn beugte. Ihr Atmen. Ganz nah war es. Er spürte ihren Oberschenkel an seinem Arm. Er dachte an den Postkartenhans. Er dachte an das Glas im Schrank, er dachte daran, wie sie jetzt aussah, was ihr Gesicht machte. Dann spürte er es. Wie sein Auge feucht wurde. Wie sie ihren Speichel langsam in seine Augenhöhle rinnen ließ. Er hörte, wie sie ihn sammelte im Mund, er hörte, wie sie die Lippen spitzte und wie es aus ihrem Mund rann. Wie es seine Haut berührte. Er bewegte sich nicht. Blieb liegen. Es passierte einfach. Alles.
Wie sie in sein Auge blies. Wellen auf dem kleinen See. Der Speichel trieb hin und her. Sie entdeckte ihn. Kreiste über ihm, sie schlich sich an, kroch langsam in ihn hinein. Er konnte sie riechen, ihre Haut, ihren Mund, sie kam immer näher. Ihr Atem wurde lauter, er kam an sein Ohr. Sie flüsterte nicht, sie atmete nur. Laut. Dann die Lippen, und wie sie zubiss. Sein Ohrläppchen brannte. Sie saugte daran. Immer noch bemühte er sich, so zu tun, als wäre er der Postkartenhans. Immer noch der Versuch, das Leben in ihm zu verbergen. Es zu fesseln, zu knebeln, es abzutöten. Da war nur ein leises Stöhnen, ein Zucken, als sie noch einmal zubiss und sich ihre Zunge in seiner Ohrmuschel verlor.
Warm war es plötzlich. Ihr Mund, der sich auf seine Augenhöhle legte. Die Zunge, die ihren Speichel zurücknahm. Langsam, liebevoll, Hans atmete. Laut jetzt. Er war so unendlich froh, dass das Glas im Schrank stand, er war neugierig, er spürte sie überall, er wollte sie sehen, wollte sich bewegen, er wollte die Augen aufreißen und sie berühren. Sie ansehen. Spüren. Da legte sie sich auf ihn. Küsste ihn. Sein Gesicht. Die Stirn, die Wangen, liebevoll und lange. Bis sein Mund aufging. Und die Augen. Und auch sonst alles. Da war er im Glück, der Hans.
Elvina ist noch an diesem Tag bei ihm eingezogen. Sie hatte ihren Koffer schon mitgebracht. Hans hat sich darüber gewundert, warum sie sich so sicher gewesen war, dass er das alles überleben würde. Ich wäre auch sonst eingezogen, hat sie geantwortet und ihn angelacht. Und Hans hat sich noch mehr gewundert. Aber das Wundern hat ihm gut getan. Das Traurige an ihm ist verschwunden. Und lange nicht mehr wiedergekommen.