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Eine Fremdsprache zu lernen ist viel einfacher, als allgemein angenommen. Ihr Talent oder Alter hat keinen Einfluss darauf. Relevant ist allerdings, dass Sie genau wissen, was Sie machen und wie Sie lernen sollten. Das Pionier-Prinzip bietet Ihnen eine leicht verständliche und nutzerfreundliche Anleitung, mit der Sie jede Fremdsprache erlernen können. Es ist eine Do-It-Yourself - Methode, bespricht aber auch die Probleme des klassischen Fremdsprachenunterrichts, zeigt die Hintergründe der Abläufe beim Lernen im Gehirn und hilft Ihnen die bestmöglichen Resultate in kurzer Zeit zu erzielen. Autor David Weber hat das Fremdsprachenlernen über zehn Jahre erforscht, seine eigenen und andere Lernansätze miteinander verglichen und hat im Verlauf dieser Forschungen mehrere Sprachen (Englisch, Französisch, Vietnamesisch, Thai u. a.) fließend zu sprechen gelernt. Das Pionier-Prinzip ist das Resultat seiner Forschungen und die Methode, mit welcher auch Sie eine Fremdsprache einfach und erfolgreich lernen können. Mit dem Pionier-Prinzip hat David Weber jenes Buch geschrieben, das er selber gerne gelesen hätte, als er anfing, sich mit dem Erlernen fremder Sprachen auseinanderzusetzen.
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Seitenzahl: 218
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Umschlag: Markus Bieri
Illustrationen: Matthias Wehle
Vorwort:
Vom Suchen und Versuchen
Das Pionier-Prinzip
Lernen und Üben
Gliederung des Buches
Teil I: Vorurteile abbauen
Kapitel 1:
Der Tanz der Honigbienen
Lernen als Überlebenshilfe
Das Alter ist irrelevant
Ein Kind braucht mehr Zeit
Kapitel 2: Carl Benz‘ erstes Auto
Kapitel 3: Die kollektiv legasthenische Gesellschaft
Kapitel 4: Ein anderer Ansatz
Teil II: Selber lernen macht schlau
Kapitel 5:
Stöbern (Lehrmittel)
Die verschiedenen Lehrmittel
Auch in der Schule lernt man selber
Die CD ist das Modell
Licht am Ende des Tunnels
Einen Lehrgang kaufen
Kapitel 6:
Die U-Bahn in Prag (Schritt 1: Passiv-Hören)
Die Hitparade
Passiv-Hören als Werkzeug
Passiv-Hören für alle
Kapitel 7:
Die Elstern in Nachbars Garten (Schritt 2: Aktiv-Hören 1)
Sprachmelodie und Klangbild
Terminator
Aktiv-Hören 1, Übung
Kapitel 8:
«Anna sein Person Wasser was» (Schritt 3: Dekodieren)
Die sinngemässe Übersetzung generiert Probleme
Ein Blick ins Herz der Sprache
Das A und O der Dekodierung
Der Wert der ungefähren Übersetzung
Die Macht des Eindrucks
Kapitel 9:
It’s me saussage – es ist mir Wurst (Schritt 4: Aktiv-Hören mit Dekodierung)
Zielsprachig denken
Aktiv-Hören mit Dekodierung
Kapitel 10:
Vom Hören Sagen (Schritt 5: Sprechen)
Sprechen – aber richtig
Zuhören und Nachahmen
Kapitel 11:
Der Ja-Aber-Effekt (Schritt 6: Repetition 1)
Definition von Karteikarten und ihr Einsatzgebiet
Eine grosse alte Rumpelkammer
Synapsen
Mehrkanaliges Lernen
Auffrischen
Kapitel 12:
Kartenspiele (Schritt 6: Repetition 2)
Aufbau der Karteikarten
Im Kontext
Die Karten korrekt
Der Link zur Grammatik
Persönliche Karten
Kapitel 13: Vom Teufel in den Details (Schritt 6: Repetition 3)
Kapitel 14:
Vom Leitnerkasten zur Pionierbox (Schritt 6: Repetition 4)
Der originale Leitnerkasten
Der Karteikasten spart Zeit
Lernen durch Wiederholung
Kapitel 15:
Goldwaschen
Visitenkarten als Vorstufe zur Pionierbox
Sätze angeln
Goldwaschen
Freudenspender
Eselsbrücken
Die Waschmaschine
Kapitel 16:
Wiederholungen
Teil III: Eile mit Weile
Kapitel 17:
Silben
Die kleinste sprachliche Einheit
Lernen Sie Silben
Kapitel 18:
Die tödliche Dosis (Grammatik)
Grammatik und Sprachgefühl
Grammatiktortur
Das Sprachgefühl entsteht von selbst
Grammatik als Werkzeug
Zuerst die Sprache, dann die Grammatik
Kapitel 19:
Trashcards
Die verdammten Wörterlisten
Die Pflastersteine auf dem Weg zur Hölle
Trashcards und Kontext
Kapitel 20:
In fliegenden Klassenzimmern
Unterricht nach autodidaktischen Methoden
Der Normal-Sprachunterricht
Die internationale Lautschrift
Leseverständnis
Lernen trotz Lehrmitteln
Kapitel 21:
Film und Fernsehen
Vorabendserien
Spielfilme
Nachrichten
Kapitel 22:
Pistolen und Rosen (Musik)
Vor- und Nachteile von Liedern als Sprachlehrmittel
Die Cloze Technik
Kapitel 23:
Bücher und Zeitungen
Geschriebene Sprache ist nicht gesprochene Sprache
Bücherlesen als Lerndisziplin
Lesen Sie Bücher, wenn Sie die Sprache beherrschen
Zeitunglesen
Kapitel 24:
Gurken verkaufen (Slang)
Meine Strasse in Hanoi
Schimpfwörter
Sprichwörter
Drive Slowly – Don’t Kill the Kids – Wait for the Teacher
Kapitel 25:
Meister, die vom Himmel fallen
Selbstgespräche
Übersetzen
Ausgewählte Situationen
Die SimulGAN Technik
Kapitel 26: Für Verrückte
Teil IV: Crash-Kurs
Kapitel 27:
Der Crash-Kurs
Starthilfe
Benötigte Materialien
Der Crash-Kurs
Nachwort: Von gebrochenen Regeln
Anhang 1: GER – Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen
Anhang 2: Literaturverzeichnis
Anhang 3: Danksagung
Glaubt man einem guten Freund von mir, so habe ich absolut kein Talent für Fremdsprachen. «Ich habe drei Jahre neben David im Französisch gesessen», verkündete er einmal, als ich auf mein offensichtliches Talent für Fremdsprachen angesprochen wurde, «und glaubt mir, dieser Typ konnte in Paris nicht einmal einen Kaffee bestellen.»
Mein früherer Mitschüler hat recht. Zu Anfang der Berufsmittelschule war ich im Französisch auf einem guten Anfängerniveau. Aber Französisch-Unterricht hatte ich schon seit der fünften Klasse gehabt. Zusammen mit dem zehnten Schuljahr waren das sechs Jahre Französisch. Nach weiteren drei Jahren Berufsmittelschule konnte ich mich schlecht und recht in der Sprache unterhalten, lernte aber flüssiges Sprechen erst Jahre später, nachdem ich die Sprache mit meinen eigenen Methoden aufgearbeitet hatte.
Ich werde oft gefragt, wie ich es geschafft habe, mehrere Sprachen fliessend zu sprechen und weshalb es scheint, ich würde eine neue mühelos aufnehmen.
Dieser Frage folgt normalerweise die Annahme, dass ich ausserordentlich talentiert sein müsse, wenn es um Fremdsprachen geht. Ich habe diese Fragen lange Zeit nicht beantwortet. Nicht, weil es ein Geheimnis wäre, sondern nur deshalb, weil an meinem Lernen ein ganzes Programm angeknüpft ist und es viel zu lange dauern würde, dieses in einer kurzen Antwort darzulegen. Dazu kommt, dass sich das Gespräch jeweils schnell anderen Dingen zuwendet, sobald jeder seine zwei Tipps zum Sprachenlernen abgegeben hat. Mir war das recht, denn lange Zeit wusste ich selber nicht so genau, was ich tat.
Ich war ein Reisender, seit ich mich erinnern kann. Zuerst im Wohnmobil meiner Eltern, später, als Teenager per Interrail quer durch Europa. Ich war fasziniert von anderen Kulturen und fremden Sprachen. Nach Abschluss einer Lehre zum Möbelschreiner mit Berufsmaturität bin ich jahrelang durch Länder wie Neuseeland, Thailand und Südkorea gereist. Nach einer langen Reise per Zug, zu Fuss und per Velo durch Russland, die Mongolei und China kam ich in Vietnam an, wo ich noch immer wohne. Ich unterrichte Englisch und Vietnamesisch als Fremdsprache und mache Übersetzungen.
Wohin es mich auch verschlug, versuchte ich immer wenigstens ein bisschen von der Sprache zu lernen. Und weil sich das so schwierig gestaltete, begann ich bald über das Lernen an sich nachzudenken. Daraus ergab sich ein Mosaik aus Hirnforschung, Lernpsychologie, praktischen Methoden und Lernmodellen gepaart mit der kompletten Absenz derselben in Schulbüchern und Lehrplänen. Vor allem zum Thema Fremdspracherwerb schien es niemanden zu geben, der mir hätte Auskunft geben können. Einmal abgesehen von Büchern mit einigen gut gemeinten Tipps und Tricks, von denen ich die meisten beim Lernen selber schon anwandte.
Also machte ich mich daran, mich selber im Fremdspracherwerb zu unterrichten. Ich beobachtete mich beim Lernen, verglich meine Resultate und Einsichten mit den gängigen lerntheoretischen Modellen und las alles, was ich zum Thema finden konnte. Ich begann alles, was ich für gegeben ansah, zu hinterfragen. Ich beobachtete meine Schüler und Lehrerkollegen, ich untersuchte Schulbücher und Lehrmaterialien und probierte jeden Ansatz in der Praxis aus. Auf diese Weise entwickelte sich nach und nach eine Methode, mit der jeder, unabhängig von Alter oder Talent, in kurzer Zeit jede erdenkliche Fremdsprache erlernen kann.
Das war übrigens nicht mein Ziel. Da ich eine faule Person bin, war mein Ziel, einen Weg zu finden, der mir persönlich helfen sollte, jede beliebige Sprache mit so wenig Aufwand wie möglich zu lernen. Ich wollte ein volles Programm. Nicht nur eine Anhäufung gut gemeinter Tipps, sondern ein Programm, über das ich mit jeder Sprache fertigwerden konnte. Dass dabei ein Programm herauskam, mit dem jeder schneller lernen kann, war zwar nicht meine Absicht aber es war das Resultat meiner Arbeit. Und so machte ich mich daran, das Buch zu schreiben, von dem ich mir gewünscht hätte, ich hätte es gelesen, als ich mich daran machte, intensiv Fremdsprachen zu erlernen.
Dies ist keine wissenschaftliche Abhandlung. Es ist auch nicht das letzte Buch in einer Reihe von pseudowissenschaftlichen Schriften über eine neue und wissenschaftlich unterlegte Lernmethode. Es ist eher als Werkzeugkasten zu verstehen. Ein Versuch, die Werkzeuge, welche uns die Natur und Schulbücher mitgegeben haben, bestmöglich zu nutzen. Es ist ein praktischer Ansatz.
Aber wie solide ist das Pionier-Prinzip wissenschaftlich gesehen?
Ich glaube, dass der erste Beruf, den wir erlernen, unsere Sichtweisen im weiteren Verlauf des Lebens bestimmen. Ich begann meine Schreinerlehre mit 16 Jahren. Ich wurde ein Handwerker, ein Praktiker, der sich für Werkzeuge und ihre Anwendung begeistert und es ist der Schreiner in mir, welcher diese Frage beantwortet.
Natürlich interessiere ich mich für Gehirnforschung und ihre Auswirkung auf das Lernen. Aber man sollte diese Resultate immer in der praktischen Anwendung testen. Mit meinen Methoden haben meine Schüler und ich durchs Band weg einiges schneller gelernt als mit den Methoden, denen sich die meisten Schulen und Kurse bedienen. Ich glaube, dass das Pionier-Prinzip einer wissenschaftlichen Untersuchung standhalten würde, aber ich glaube auch, dass die Frage an sich überflüssig ist. Denn wenn Sie mit diesem Programm besser und schneller lernen können als mit anderen Ansätzen, dann ist es gleichgültig, was die theoretische Lernpsychologie dazu zu sagen weiss.
Ein weiterer Punkt ist wichtig. Wenn man an Kurse, Schulen und Fremdspracherwerb denkt, dann behandelt man normalerweise zwei verschiedene Dinge als eines: Lernen und Üben. In den meisten Klassen, wie auch theoretischen Werken, redet man von Lernen, wenn man eigentlich Üben meint. Der Unterschied ist klein, aber wichtig.
Lernen heisst:
Neues Vokabular und unbekannte grammatikalische Strukturen aufnehmen.
Üben heisst:
Vokabular und grammatikalische Strukturen anwenden, nachdem sie gelernt wurden.
Dieses Buch geht zum Teil auf das Thema Üben ein, aber es beschreibt primär einen Ansatz zum Lernen. Es geht darum, so viele Wörter und Strukturen anzuhäufen, dass das spätere Üben von einer guten Basis aus geschehen kann. Der Übergang vom Lernen zum Üben ist natürlich fliessend, wie Sie im dritten Teil dieses Buches feststellen werden, aber das Hauptgewicht liegt definitiv beim Lernen.
Teil I: Vorurteile abbauen
Der erste Teil des Buches soll helfen, Vorurteile gegenüber dem Fremdspracherwerb abzubauen. Er zeigt auf, wie sich schulischer Unterricht gestaltet und warum so viele Menschen Schwierigkeiten damit haben. Ein Abriss der relevanten Entwicklungen der Lernpsychologie der letzten hundert Jahre ist ein Thema und wie sich diese Erkenntnisse auf den Fremdspracherwerb auswirken.
Teil II: Selber lernen macht schlau
Der zweite Teil beschäftigt sich mit den grundlegenden Techniken. Ich stelle hier auch die verschiedenen Lernmaterialien mit ihren Vor- und Nachteilen vor. Ein Anfänger kann hier bereits einsteigen. Aber auch Fortgeschrittenen oder Personen, die eine einst gelernte Sprache auffrischen wollen, lege ich diesen Teil ans Herz. Er befasst sich nicht nur mit der grundlegenden Technik, sondern auch mit den Vorgängen, die beim Lernen im Gehirn stattfinden. Er beschreibt, wie alles zusammenhängt und weshalb weiterführende Techniken für Fortgeschrittene nach denselben Mustern funktionieren.
Teil III: Eile mit Weile
Der dritte Teil ist eine Hilfe für Leute, die einen Kurs besuchen, in der Schule eine Fremdsprache lernen müssen oder schon weiter fortgeschritten sind. Er zeigt, wie man aus weniger guten Materialien trotzdem das Maximum herausholen kann, wie man sich als Schüler auf die nächsten Lektionen vorbereiten sollte und wie man Lehrmittel selber herstellen kann. Es gibt Beiträge zum Video-Learning, Bücher lesen und Nachrichten sehen in der Zielsprache.
Teil IV: Crash-Kurs
Der vierte und letzte Teil ist eine Kurzanleitung für Anfänger, 30 Minuten täglich, 6 Mal wöchentlich über einen Zeitraum von drei Monaten. Ich habe mich lange mit Lernmethoden auseinander gesetzt und viele Bücher zum Thema gelesen. Wobei es konkret zum Sprachenlernen eine verhältnismässig kleine Auswahl gibt. Was mich störte war, dass ich nirgends eine klare Anleitung mit Zeitangaben, vorgeschlagener Wortanzahl, Wiederholungen und so weiter finden konnte. Das will ich in diesem Teil nachholen. Natürlich muss jeder
Lernende sein eigenes Tempo und die eigenen Vorlieben finden, doch das geschieht nach einer Weile ganz von selbst. Aber da aller Anfang schwer ist, soll dieser Teil ein Anstoss sein, der für den Anfang einen Rahmen setzt.
Ich verstehe diesen Kurs als eine Schablone, in der Sie sich, strikt nach Vorgaben, mit den Lernmethoden auseinandersetzen können. Strikt nach Vorgaben deshalb, weil einige der beschriebenen Techniken eine Angewöhnungszeit brauchen und man sich auf spezielle Effekte konditionieren sollte. Während dieser Zeit werden Sie merken, was für Sie persönlich am besten funktioniert und diese Teile werden Sie hinterher ausbauen können, wodurch Ihr eigener, ganz persönlicher Lernstil entsteht.
Daraus ergibt sich auch der Name der Methode: das Pionier-Prinzip. Ich wünsche, dass Sie selber zum Pionier werden und Ihre eigene Methode für sich selber herausfiltern können.
«Ich habe kein Talent zum Sprachenlernen», ist die mit Abstand häufigste Ausrede, weshalb viele keine Fremdsprache erwerben. Sie klingt logisch. Schon in der Schule gab es Mitschüler mit Talent für Mathe, Sport oder Geometrie und solche, die nicht talentiert waren.
Soweit mir bekannt ist, geht man im Fremdspracherwerb meistens von Talent aus. Wenige Autoren vertreten die Meinung, dass das Talent eine untergeordnete Rolle spielt. Die meisten dieser Autoren sind Personen, die gleich mehrere Sprachen fliessend beherrschen. Ich persönlich glaube, dass es gar kein Talent für Sprachen gibt oder braucht.
Unglaubliche Behauptung, ich weiss. Aber überlegen wir uns doch einmal, wie viele Menschen auf der Welt eine Sprache sprechen. Abgesehen von Stummen und Mönchen mit Schweigegelübden eigentlich alle. Und weder bei den Stummen noch bei den Mönchen ist es eine Frage des Talents. Auch Leute mit niedrigem IQ können sprechen. Oder Menschen mit geistigen Behinderungen, Lernschwächen oder Gedächtnisverlust.
Kinder, welche sich normal entwickeln, erreichen mit 18 Monaten die 50-Wort-Marke, sprechen einfache Sätze mit zwei Jahren und haben ab fünf Jahren wenig Probleme mit der Verständigung. Überall, auf der ganzen Welt. Auch in Ländern mit schwierigen Sprachen.
Wir haben alle schon einmal eine Sprache gelernt. Oft behauptet man zwar, dass die Muttersprache nicht zählt, aber niemand kann leugnen, sie gelernt zu haben. Natürlich mag das soziale Umfeld eine Rolle spielen, wenn es darum geht, wie weit man es mit der Sprache bringt, aber das Talent sie zu lernen, hatten wir alle.
Denkt man an Kinder, die aus anderen Ländern adoptiert wurden oder immigriert sind, kann man den Unterschied zum einheimischen Akzent bald nicht mehr feststellen. Wäre ich als Kind von Iranern adoptiert worden, spräche ich heute perfektes Farsi und zwar ohne schweizerdeutschen Akzent. Im menschlichen Gehirn ist keine bestimmte Sprache eingebaut. Was genetisch veranlagt ist, ist die Fähigkeit zu lernen und das Sprechen-Werkzeug, also die Stimmbänder, Zunge und alle anderen Sprechorgane. Das ist aber auch schon alles. Trotzdem klingt meine anfängliche Behauptung, es gäbe überhaupt gar kein Talent zum Fremdspracherwerb, unglaubwürdig. Deshalb versuche ich einen anthropologischen Ansatz. Nun bin ich weder Anthropologe noch Biologe noch Soziologe, aber ich gebe mein Bestes.
Der Schlüssel für das Überleben der menschlichen Rasse liegt in der Fähigkeit zu lernen. Wir haben keine Krallen oder Fänge, wir können nicht fliegen, superschnell rennen können wir auch nicht und die Säbelzahntiger der Steinzeit liessen sich nicht von schlechtem Atem vertreiben. Also suchten die frühen Menschen Schutz in der Gruppe. Und wie jedes Lebewesen, das in Rudeln, Meuten, Herden, Schulen oder Familien lebt, mussten wir uns miteinander verständigen. Hunde verständigen sich über Körpersprache, Bienen drücken sich in geheimnisvollen Tanzmustern aus, Ameisen versprühen Geruchspheromone, Menschen sprechen. Der Wille, sich mit anderen zu verständigen ist angeboren, also ein Instinkt und ein Instinkt ist ein Werkzeug, das einem die Natur zum Überleben mitgibt.
Angenommen, ein junger Wolf kann sich nicht mit seinem Rudel verständigen. Im spielerischen Herumbalgen mit den Geschwistern bietet der Schwächere die Kehle an. Unser Wolf kann die Körpersprache nicht interpretieren. Er beisst zu. So richtig fest. Unser Wolf ist gefährlich für den Fortbestand des Rudels. Er wird verstossen und auf sich selber gestellt, wird er bald sterben.
Ein Instinkt ist angeboren. Vielleicht muss man dazulernen, vielleicht kann man ihn ausprägen, aber grundsätzlich ist er vorhanden. Denken Sie an andere Instinkte. Appetit, Harndrang, sexuelle Erregung, schlafen, all das ist überlebenswichtig. Können wir nicht essen oder hätten die physischen Werkzeuge dafür nicht, würden wir sterben. Wären wir nicht erregt beim Anblick attraktiver Personen, gäbe es keine Nachkommen, und ich will gar nicht wissen, wie die Sauerei aussehen würde, würden wir nicht merken, dass wir aufs Klo müssten. Die Sprache spielt in derselben Liga. Ohne Verständigungsmöglichkeit kein soziales Gefüge und ohne soziales Gefüge wären unsere Vorfahren Einzelgänger gewesen und alle von Löwen und Wildschweinen gefressen worden.
Wenn also Sprache oder besser gesagt, die physische Voraussetzung, sprechen zu können und der Wille, eine Sprache zu lernen, ein Instinkt ist, dann kann es dabei kein Talent geben. Genauso wenig wie es ein Talent zum Essen gibt. Oder schlafen. Oder Sex. Gut, Sex mag Empfindungssache sein, aber das grundsätzliche Wissen um die Mechanik sowie der Drang zur Fortpflanzung sind angeboren. Mag sein, dass es Ameisen gibt, welche die Pheromone gekonnter versprühen, mag sein, dass einige Bienen besser tanzen oder Hunde geschliffener bellen können als andere, aber ich bezweifle, dass dies einen wesentlichen Unterschied ausmacht.
Das zweite grosse Vorurteil ist das Alter. Man sei halt schon zu alt, jetzt noch eine Sprache zu lernen. Das hätte man als Kind tun sollen. Ich habe sogar schon einmal die Behauptung gehört, dass sich das Sprachzentrum im Gehirn des Erwachsenen zurückbilde. Dass Kinder eine fremde Sprache schneller aufschnappen als Erwachsene ist klar. Aber das hat weniger mit dem Alter zu tun als vielmehr mit dem Umfeld. Ein Neugeborenes braucht konstante Pflege, 24 Stunden am Tag. Bei dieser Pflege neigen wir dazu, mit dem Kind zu sprechen. Vom ersten Tag an ist das Kind von Sprache umgeben und ist physisch, mangels genügender Entwicklung der Sprechorgane, zum Zuhören gezwungen. Es dauert Monate, bis es selber zu sprechen beginnt.
In der Schule, in einem fremden Land, lernt es die fremde Sprache relativ schnell, aber nur dann, wenn es wenig Kontakt zu anderen Kindern hat, welche seine Muttersprache sprechen. Ich ging gemeinsam mit vielen Albanern zur Schule. Die meisten konnten sich auch nach zwei, drei Jahren noch nicht im Dialekt unterhalten, weil sie immer in Gruppen mit anderen Albanern waren.
Ein Nachbar meiner Eltern wuchs in Korea auf, gibt aber Englisch als Muttersprache an, obwohl seine Eltern Deutsche sind. Überlegt man sich warum, ist die Antwort einfach. Der Tag hat 24 Stunden. Davon verschläft man acht. Weitere acht Stunden ist Schule, im Falle des Nachbarn auf Englisch. Zählt man Mittagspause, Hausaufgaben, Schulweg und ausserschulische Aktivitäten dazu, blieb für Deutsch als Muttersprache gar nicht so viel Zeit übrig. Dass der Nachbar Englisch als Muttersprache angibt, ist nur natürlich.
In der Schule lernt man vielleicht drei mal fünfzig Minuten die Woche Französisch. In einer Klasse voll mit Leuten, die die eigene Muttersprache sprechen. Dazu kommen allzu oft hoffnungslos veraltete Lehrmethoden und Lehrmittel (siehe Kapitel 2: Carl Benz‘ erstes Auto). Wen wundert’s, dass man unter diesen Umständen wenig lernt?
Zudem haben wir nur das Gefühl, das Kind würde die Sprache schneller lernen. Nehmen Sie das Beispiel mit den drei Französisch-Stunden pro Woche und rechnen es gegen das Kleinkind auf, sieht das Verhältnis völlig anders aus. Nehmen wir an, dass das Kind am Tag zwölf Stunden schläft ansonsten über einen Zeitraum von drei Jahren konstant von der Muttersprache umgeben ist (das nennt sich Passiv-Hören, siehe Kapitel 6: Die U-Bahn in Prag), dann macht das ein Total von 12 Stunden mal 365 Tage mal 3 Jahre gleich 13140 Stunden. Der Schüler, welcher während dreier Jahre zu 40 Schulwochen drei Stunden die Woche von der Sprache umgeben ist kommt auf ein Total von 360 Stunden. Das Kleinkind knackt mit drei Jahren die 400-Wörter-Grenze, während vom Schüler über denselben Zeitraum das Level B2 bis C1 GER (siehe Anhang 1: GER - Der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen) erwartet wird, also zwischen 2000 bis 4000 Wörtern.
Könnte man als Erwachsener die Bedingungen des Kleinkindes perfekt nachmachen, also Monate lang 12 Stunden am Tag zuhören aber bis ins zweite Jahr nicht sprechen, dann würde man eine zweite Muttersprache erlernen und zwar völlig unabhängig vom Alter. Zu alt kann man meiner Meinung nach nicht sein. Im Gegenteil. Während ein Kleinkind fast fünf Jahre braucht, um sich korrekt und verständlich auszudrücken, schaffen das Erwachsene in einem Bruchteil der Zeit, sofern sie wissen wie.
Vera F. Birkenbihl schreibt in ihrem Buch, Sprachenlernen leicht gemacht! (siehe Anhang 2: Literaturverzeichnis):
Ein Kind, welches zum ersten Mal begreift, was mit dem Wort Ehrlichkeit gemeint ist, hat jetzt auch das Konzept (Ehrlichkeit) gelernt. Der Erwachsene aber kennt diese Idee, die hinter dem Wort steht, bereits, so dass alle Ideen (Begriffe), die auch in seiner Muttersprache vorkommen, weit schneller gelernt werden können als von einem Kind, dem die darunterliegenden Ideen selbst noch fremd sind!
Das Kleinkind lernt zwei Sachen gleichzeitig, während der Erwachsene schon einen Schritt weiter ist. Das Kind lernt das Wort und zeitgleich dessen Bedeutung, also das Konzept, das dieses Wort beschreibt. So weiss es nicht, was ein Baum ist und lernt das Konzept zusammen mit dem Wort. Wobei Konzepte wie Ehrlichkeit, feucht oder Ungeheuer natürlich schwieriger sind. Ein Erwachsener kennt das jeweilige Konzept. Er weiss, was ein Baum ist und muss nur den fremdsprachigen Code dafür lernen. Grundsätzlich haben wir also den Kleinkindern einiges voraus, vor allem wenn es uns gelingt, ein geeignetes Umfeld zu kreieren. Sollte ich Recht haben mit meiner Behauptung, dass Sprachenlernen ein Instinkt sei und dass Alter keine Rolle spiele, dann ist alles, was fehlt, die richtige Technik.
Personen, die sich mit Lernmethoden und Lernpsychologie auseinandergesetzt haben, sind sich einig: herkömmliche Lernmethoden, die mit Grammatik und Vokabellernen arbeiten, sind falsch. Einige komplett falsch, andere hoffnungslos veraltet.
Ein Beispiel dafür ist Hermann Ebbinghaus (1850-1909). Seine Vergessens-Kurve untersuchte, wie viel Neugelerntes in welcher Zeit vergessen wird. Zwar ist seine Theorie nicht mehr auf dem neusten Stand, wenn man allgemein von Bildung spricht, aber auf dem Gebiet des Fremdsprachenerwerbs ist sie immer noch von Bedeutung. Ebbinghaus hat sinnlose Silben auswendig gelernt und untersucht, wie lange er sie behalten konnte. Nach 20 Minuten wusste er noch 66 Prozent, nach einem Tag 34 und nach 6 Tagen waren es noch 23 Prozent. Die Resultate seiner Forschung sind der Grund warum manche Lehrer eine erste kurze Wiederholung nach 20 Minuten empfehlen.
In der Physik lernt man selten sinnlose Silben. In Geschichte auch nicht. Gebiete wie Anatomie oder Botanik gehen schon eher in diese Richtung. Aber eine Fremdsprache besteht zunächst nur aus sinnlosen Silben. In welchem Schulzimmer werden nicht neue Vokabeln von der Wandtafel ins Heft kopiert? Welcher Schüler sitzt nicht abends vor einer Liste mit neuen Wörtern und versucht krampfhaft, diese im Gedächtnis zu behalten?
Die Lernpsychologie spricht seit Jahrzehnten davon, dass zusammenhangsloses Vokabellernen keinen Sinn macht. Eigentlich wüssten wir es seit über einem Jahrhundert. Trotzdem hat sich unser Bild von Vokabel- und Grammatiklernen beim Fremdsprachenerwerb wenig verändert. Schliesslich wissen wir alle, was ein Lehrer macht und wie der Unterricht auszusehen hat.
Aber zwei Details vergisst man dabei gerne: Erstens hat sich unser Umfeld stark verändert. Was ich oder meine Eltern und Grosseltern in der Schule lernen mussten, steht in keinem Verhältnis zu der Menge, die auf heutige Kinder zukommt. Der Faktor Zeit, und damit Zeit sparen sowie die Zeit effizient nutzen, wird immer wichtiger. Zweitens, auf anderen Gebieten werden Erkenntnisse aus der Forschung so schnell wie möglich umgesetzt, während Schulen Neues nur widerstrebend aufnehmen.
Ein Beispiel: Das erste serienmässig hergestellte Auto der Welt war der Patent-Motorwagen von Benz. Höchstgeschwindigkeit 20 km/h, 1,5 PS. Der Sprung vom mit Muskelkraft betriebenen Wagen zum Automobil. Aber ist es dabei geblieben? Hat sich die Menschheit gesagt: «Toll, die nächsten hundert Jahre brauchen wir nichts Neues mehr?»
Verstehen Sie mich nicht falsch. Auch in der Lernpsychologie hat es Fortschritte gegeben, die es ins tägliche Leben geschafft haben. Die gründlichste Veränderung der letzten zwanzig Jahre war wohl die Einführung des Zielsprachigen Klassenzimmers (auch die Natürliche Methode genannt), das heisst, dass im Englischunterricht nur Englisch gesprochen wird.
Erfunden hat dieses System der Pädagoge Maximilian Delphinius Berlitz (1852-1921). Eigentlich ist er darüber gestolpert. Bis anhin wurde vor allem nach dem traditionellen Grammatik-Übersetzungs-Ansatz unterrichtet, also mit Grammatiktafel und Wörterbuch. Als jedoch sein Assistent für den Französischunterricht in den USA ankam, stellte es sich heraus, dass dieser nur Französisch sprach. Dummerweise musste Berlitz zu der Zeit das Bett hüten und hatte keine andere Wahl, als den Assistenten alleine unterrichten zu lassen. Zu Berlitz‘ Erstaunen lernten seine Schüler aber viel schneller in diesem ersten zielsprachigen Klassenzimmer.
Berlitz‘ Geschichte spielte sich um 1880 ab. Fast zeitgleich mit Karl Benz’ Patent Motorwagen. Während sich das Auto schnell weiterentwickelte und auch bald die ersten Rennwagen entstanden, entwickelte sich das zielsprachige Klassenzimmer nicht weiter. Im Gegenteil. Ausser in den Berlitz Schulen hat es gute hundert Jahre gedauert, bis man die Vorteile gegenüber altbekannten Methoden anerkannte und anwandte. Auf breiter Ebene weiterentwickelt wird aber auch diese Methode nicht. Der internationale Standard im Fremdsprachunterricht hat sein goldenes Ei gefunden, das in sich perfekt ist und keine Verbesserung gebrauchen kann.
Man stelle sich vor: Der erste Patent-Motorwagen von Benz (1885 gebaut) wäre 1980 zum ersten Mal verkauft worden und wir würden heute steif und fest behaupten, dass man nie schneller als zwanzig Kilometer pro Stunde werde fahren können.
Um die Situation noch etwas zu verschlimmern, drängt sich mir der Verdacht auf, dass Lehrer, Schulen und die Hersteller von Unterrichtsmaterialien nur die Hälfte der Dinge verstehen würden, die sie verstehen sollten. Durch die Installation des zielsprachigen Klassenzimmers wurde nämlich der Ruf nach zielsprachig muttersprachlichen Lehrern laut. Seit Berlitz weiss man, dass die Schüler ein Modell brauchen, um sich in ihrer Aussprache zu orientieren. Aber vom letzten Kapitel her wissen Sie, dass der Lehrer weder die Zeit noch die Möglichkeit hat, das Aussprachemodell der Schüler zu werden, geschweige denn, das Umfeld eines Kleinkindes zu imitieren. Selbst dann nicht, wenn er während der Lektion nonstop sprechen würde. Während wir also dem Lehrer die Verantwortung fürs Modellstehen aufbürden, finden wir es gleichzeitig empfehlenswert, die Sprechzeit des Lehrers (teacher talking time, TTT) zu verringern, damit die Schüler mehr Raum zum Mitmachen haben (student talking time, STT). Das ist zwar wichtig, um die Lektionen spannend zu gestalten, aber es überträgt die Rolle des Modells vom Lehrer auf die Mitschüler. Die simple Wahrheit ist, dass die Stimmen, die Sie am häufigsten hören, jene Stimmen sind, nach denen Sie Ihre Sprache modellieren. Wenn Sie also während der Lektion meistens Ihre Mitschüler hören, weil man die Sprechzeit des Lehrers verringern will, werden Sie Ihren Akzent an dem ihrer Mitschüler modellieren. Aus diesem Grund hören Sie auch in einem zielsprachigen Schulzimmer eine ganze Menge deutsche Akzente, ob der Lehrer nun muttersprachlich ist oder nicht.