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Die Menschheit ist im 21. Jahrhundert angekommen, und keiner kennt sich mehr so richtig aus. Gut so, sagt Dirk von Gehlen, und nimmt all jenen den Wind aus den Segeln, die mit einfachen Antworten auf die immer komplexere Gegenwart reagieren. Denn Ratlosigkeit ist kein Problem, sondern der erste Schritt zu einer Lösung. Ein Buch für alle, die wissen wollen, wie man den Pessimismus mit Pragmatismus schlägt, warum es sinnvoll ist, täglich Fehler zu machen und wie Bill Gates doch noch Milliardär werden konnte, obwohl er einst sagte: »Das Internet ist nur ein Hype.«
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Ich widme dieses Buch allen Freundinnen und Freunden der Gegenwart – und der Zukunft unserer Kinder!
ISBN 978-3-492-97806-4
© Piper Verlag GmbH, München 2018
Covergestaltung: FAVORITBUERO, München
Covermotiv: www.dirkvongehlen.de/das-shruggie-prinzip
Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell
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»Dringlichkeit besteht immer.«
Tocotronic
»Erst die Hose, dann die Schuhe.«
Der Shruggie
Cover & Impressum
Motto
Vorwort
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des Vorworts
1 Die Zukunft war schon immer ungewiss – wir glauben allerdings (stets), aktuell sei es besonders schlimm
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 1. Kapitels
Shruggie-Regeln
2 Ein Perspektivenwechsel macht uns hoffnungsvoller – denn das Neue ist zunächst mal nicht besser oder schlechter, sondern vor allem gestaltbar
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 2. Kapitels
Shruggie-Regeln
Anmerkungen
3 Wir kommen weiter, wenn wir das annehmen, was wir haben, statt auf etwas Besseres zu warten
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 3. Kapitels
Shruggie-Regeln
4 Wir müssen uns klarmachen, wem unsere Angst nützt – und wie sie uns selber schadet
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 4. Kapitels
Shruggie-Regeln
5 Es kommt nicht selten anders, als man denkt – und der Zufall kann ein Freund sein
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 5. Kapitels
Shruggie-Regeln
6 Der Shruggie beweist: Leben heißt Veränderung
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 6. Kapitels
Shruggie-Regeln
7 Mit dem Shruggie kann Arbeit erfüllender sein
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 7. Kapitels
Shruggie-Regeln
8 Es macht Spaß, etwas Neues zu lernen
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 8. Kapitels
Shruggie-Regeln
9 Es gibt jemanden, der das Neue meistern wird – allerdings nur, wenn wir der nächsten Generation Freude am Neuen vermitteln
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 9. Kapitels
Shruggie-Regeln
10 Gelassenheit ist die beste Voraussetzung für Toleranz
tl;dr Die Shruggie-Zusammenfassung des 10. Kapitels
Die 30 Shruggie-Regeln
Dank
Die 125 Prinzip-Bücher, die dem Shruggie besonders gut gefallen haben
Verwendete und weiterführende Literatur
Internet- und Rundfunkquellen
Darf ich mich vorstellen? Man nennt mich den Shruggie
Mein Name kommt vom englischen Wort für »mit den Schultern zucken« (to shrug). Meine Schultern sind ursprünglich Schriftzeichen des japanischen Katakana-Alphabets. Irgendjemand im Internet kam irgendwann auf die Idee, sie neu zusammenzusetzen, sodass sie ein lächelndes Schulterzucken zeigen. Das Ergebnis bin ich: ein fröhliches, gelassenes und ein wenig ratloses Emoticon.
Ich bin nicht nur eine Vermenschlichung von Schriftzeichen (denn das bedeutet der Begriff Emoticon), ich bin auch ein Menschenfreund. Zynismus ist mir fremd. Ich stehe für Offenheit, Toleranz und die weltweite Verbindung über Sprach-, Kultur- und Religionsgrenzen hinweg. Denn ohne diese Verbindung gäbe es mich gar nicht. Deshalb lächle ich.
Ich gehöre niemandem, schon gar nicht dem Autor dieses Buchs. Ich entstamme dem Internet und der digitalen Kultur. Irgendjemand schrieb einmal, ich sei das perfekte Symbol für das Gefühl, online zu sein. Keine Ahnung, ob das stimmt. Aber meine Herkunft aus dem Internet hat mich Gleichmut gelehrt und gelassene Toleranz. Das vorliegende Buch ist ebenfalls ein Plädoyer für gelassene Toleranz. Sein Autor nennt diese Haltung »Das Pragmatismus-Prinzip« – und illustriert sie mit meinem fröhlichen, aber eben auch pragmatischen Schulterzucken, um zu zeigen, dass man vor dem Neuen, dem Fremden und Unklaren und auch vor der eigenen Überforderung keine Angst haben sollte. Denn sich zu sorgen löst keine Probleme.
Auch wenn ich verstehe, dass Sie es vielleicht albern finden, ein Buch, das in seinem Titel auf eine philosophische Denkrichtung Bezug nimmt, mit einem Emoticon-Cover zu versehen, möchte ich Sie trotzdem dazu einladen, sich auf seine Idee und den Shruggie als Mittler einzulassen. Denn es gibt weitaus absurdere Prinzip-Bücher. Glauben Sie nicht? Um das Prinzip der Prinzip-Bücher zu illustrieren, habe ich im Anhang meine 125 Lieblingstitel aufgelistet – und das ist nur eine Auswahl. Es scheint also ein Bedürfnis zu geben, sich Dinge mal prinzipiell vorzustellen. Und wenn nun dieses Buch mit mir erläutert, warum es womöglich besser wäre, aus Prinzip auf Prinzipien zu verzichten und pragmatisch zu werden, dann finde ich das gar nicht falsch – sondern schön paradox.
Denn das ist der wichtigste Unterschied zu all den anderen Büchern des Prinzip-Prinzips: dass dieses hier keinen Masterplan präsentiert und das Fehlen eines solchen sogar nicht als Problem, sondern als Ausgangspunkt für eine offene Gesellschaft beschreibt. Im Widerspruch zu all den anderen Prinzip-Büchern lautet die Aussage des Pragmatismus-Prinzips: Im Umgang mit dem Unübersichtlichen helfen gerade keine prinzipiellen Herangehensweisen, keine vorgefertigten immer gleichen Regeln, sondern die Bereitschaft, sich auf das einzulassen, was alle immer vermeiden wollen: die Ratlosigkeit und die daraus resultierende Überforderung. Ich verstehe »Das Pragmatismus-Prinzip« in diesem Sinne als Ratgeber zur Ratlosigkeit. Wir müssen lernen, Widersprüche, pragmatische Paradoxien, besser auszuhalten; Doppeldeutigkeiten zu akzeptieren, nicht dem ersten Eindruck zu trauen. Denn wäre alles nur eindeutig, dann könnte man in mir kein Emoticon erkennen und schon gar kein Symbol für eine Lebenshaltung. Ich wäre sehr einfach und sehr eindeutig nur eine unsinnige Ansammlung von Schriftzeichen. Zum Glück – nicht nur für mich – ist »einfach« und »eindeutig« vorbei ;-)
Deshalb sollten Sie auch nicht dem ersten Eindruck trauen, der Ihnen vielleicht nahelegt, ein Emoticon auf dem Buchcover verspreche einen albernen Inhalt. Dieses Buch ist unterhaltsam, aber nicht unfundiert. Es stellt die Idee des Shruggie in die Reihe des Pragmatismus, der Ende des 19. Jahrhunderts von den amerikanischen Philosophen William James und Charles Sanders Peirce begründet wurde und neues Interesse verdient. Der Begriff leitet sich vom griechischen pragma ab, was Handlung bedeutet – und auch für dieses Buch gilt: Es ist sehr pragmatisch, also handlungsorientiert.
Geben Sie sich aber auch bitte nicht der Vermutung hin, mein Schulterzucken als Ausdruck eines distanzierten Zynikers zu sehen. Mein Schulterzucken ist nicht resigniert oder boshaft. Mein Schulterzucken ist im besten Sinne irritierend gemeint: Es lädt im Geist des kritischen Rationalismus ein zu der unaufhörlichen Frage: Stimmt das denn?
Damit dies auch in diesem Buch gelingt und das Pragmatismus-Prinzip auch wirklich so fröhlich ratlos bleibt, wie ich mich fühle, habe ich darum gebeten, dieses Vorwort zu schreiben, und mir erlaubt, am Ende eines jeden Kapitels eine kurze Zusammenfassung anzufügen. Menschen, die viel online sind, kennen die Abkürzung tl;dr, was für too long; didn’t read steht (»zu lang; hab’s nicht gelesen«). Unter diesem Titel finden Sie meine Zusammenfassung – und wenn Sie wollen, können Sie natürlich auch die Teile vorher ganz pragmatisch überspringen.
Aber, bitte, bleiben Sie aufmerksam: Seien Sie sich auch dann nicht zu sicher, bleiben Sie skeptisch. Das einzige Prinzip, dem ich trauen würde, ist jenes des pragmatischen Zweifels: Denn vielleicht stimmt ja auch das Gegenteil.
Aber keine Sorge: Das ist keine alberne Idee von mir – und nicht mal dieses Buchs allein. Unter dem Oberbegriff »Pragmatismus-Prinzip« bündelt es Ideen, die schon existieren und die gegenwärtig immer wichtiger werden. Aspekte aus der agilen Software-Entwicklung, aus dem Design Thinking und der modernen Unternehmensführung (New Work) fügt es in eine Denktradition ein, die bei den Erfindern des amerikanischen Pragmatismus im 19. Jahrhundert begann und bis zum kritischen Rationalismus des Philosophen Karl Popper reicht. Der eröffnete im Jahr 1985 einen Vortrag mit der Vorbemerkung an sein Publikum, die auch vor die Lektüre dieses Buchs passt: »Glauben Sie mir, bitte, kein Wort! Ich weiß, das ist zu viel verlangt, denn ich will ja nur die Wahrheit sagen, so gut ich sie kenne. Aber ich warne Sie: Ich weiß nichts; oder fast nichts. Wir alle wissen nichts oder fast nichts. Das ist, wie ich vermute, eine Grundtatsache unseres Lebens. Wir wissen nichts, wir können nur vermuten: Wir raten.«
Da ich noch recht jung bin – das Internet und die digitale Vernetzung sind, wie gesagt, meine Eltern –, mag ich diese Frische in Poppers Denken, und ich freue mich über die Würdigung auf dem Buchumschlag. Das ist noch nicht oft vorgekommen, dass ich so prominent vorgestellt wurde. Es soll im Gegenteil sogar noch Menschen geben, die mich gar nicht kennen. Das könnte sich jetzt ändern – und das freut mich. Gerade diese Menschen möchte ich motivieren, sich gelassen(er) dem Neuen zuzuwenden. Denn ich finde stimmig, was die Hirnforscher Ernst Pöppel und Beatrice Wagner in ihrem Buch Traut euch zu denken über unser Verhältnis zum Unbekannten geschrieben haben: »Prinzipiell haben wir zwei Möglichkeiten, auf etwas Neues zu reagieren. Einmal können wir uns zu einem geschlossenen System machen, nichts nach außen kommunizieren und nichts in uns hineinlassen. Das allerdings gelingt in der Perfektion nur in der Theorie, etwa im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, ein physikalisch interessantes Konstrukt.« Das mir persönlich aber unpraktikabel erscheint, weshalb ich die Alternative mag: »Die zweite Möglichkeit besteht darin, auf das nicht Verstandene, das Unbekannte hinzuschauen und daraus etwas Neues entstehen zu lassen.« Diese Variante erscheint mir sympathischer. Denn: »Lebensprozesse sind auf offene Systeme angelegt, der beste Beweis ist die Evolution, ein beständiges Weiterentwickeln und Anpassen an neue Lebensumstände.«
Deshalb glaube ich auch nicht, dass der Weg in eine vermeintlich bessere Vergangenheit sinnvoll sein kann. Das mag damit zusammenhängen, dass ich noch so jung bin, aber ich lasse mich nicht irremachen von denen, die Panik verbreiten, weil die Welt angeblich so kompliziert geworden ist. Sie wollen damit nicht selten das Gefühl eines Ausnahmezustands erzeugen, den sie mit einfachen Antworten (zu ihren Gunsten) beenden wollen.
Selbst wenn die Welt, in der wir jetzt leben (und als Kind des Internets kenne ich, ehrlich gesagt, gar keine andere), unübersichtlicher ist als jemals zuvor: Ich glaube nicht, dass dies nur ein Problem ist – und schon gar kein Ausnahmezustand. Ich nehme es ganz pragmatisch hin, dass es nahezu unmöglich geworden ist, sich sehr sicher zu sein. In diesem Buch wird das »das Ende der einfachen Antworten« genannt. Für die passende Haltung dazu wird der Begriff Kulturpragmatismus eingeführt. Dieser Kulturpragmatismus basiert auf dem philosophischen Pragmatismus und stellt einen Gegenentwurf zum grassierenden Kulturpessimismus dar. Der Kulturpragmatismus zeichnet sich dagegen dadurch aus, dass er zunächst versucht, Entwicklung zu verstehen (auch wenn man sich dabei nicht sicher ist), und erst danach anfängt, sie zu bewerten. Das finde ich recht stimmig. Denn für Hypes, aber auch für Hektik habe ich persönlich meist nur ein distanziertes Schulterzucken übrig. Und all diejenigen, die mit einfachen Antworten Stimmung machen, sind mir suspekt. Ich traue ihnen nicht.
Dabei stehe ich den Menschen grundsätzlich freundlich gegenüber. Ich wünsche mir, dass sie sich von dem Druck befreien können, ständig eine Lösung finden zu müssen oder – noch schlimmer – zu wollen. Ich glaube, sie sollten sich häufiger erlauben, keine Antwort zu haben. Denn unter uns: Ahnungslosigkeit ist gar nicht schlimm. Vielleicht ist sie sogar die Voraussetzung, um Antworten für etwas wirklich Neues zu finden. Daran glaube ich nämlich insgeheim: dass es den Menschen gelingt, etwas Neues und auch Gutes hervorzubringen. Ich glaube daran, dass die Zukunft – gerade wegen der Unsicherheit – zum Guten gestaltbar ist. Deshalb habe ich auch nichts dagegen, dem Pragmatismus-Prinzip ein Gesicht zu geben.
Zwischen den klaren Prognosen der Fortschritts-Euphoriker (alles wird gut) und der Kulturpessimisten (früher war alles besser) stehen die Vertreter des Pragmatismus-Prinzips für eine Haltung, die Hoffnung auf eine gestaltbare Zukunft zum Ausdruck bringt. Kinder und junge Menschen teilen diese Haltung. Auch deshalb traue ich ihnen zu, Herausforderungen zu meistern, die für weniger hoffnungsfrohe und manchmal ältere Menschen in erster Linie unlösbare Probleme darstellen – und manchmal sogar den Nachweis für den Niedergang der Kultur. Aber selbst wenn man einen solchen angstvollen Blick auf die Zukunft hat, bietet das Pragmatismus-Prinzip einen Zugang: über ein Zitat des Philosophen Karl Popper, der als 92-jähriger in seinem Buch Alles Leben ist Problemlösen die Aufgabe formulierte: »Wir müssen dafür leben, dass es unseren Enkeln womöglich noch besser geht als uns – und nicht bloß wirtschaftlich.«
Aber das Pragmatismus-Prinzip bewegt sich nicht nur in großen weltpolitischen Fragen und philosophischen Traditionen, sondern auch im täglichen Miteinander. Meine fröhliche Gelassenheit findet sich auch in Konzepten wie der Gewaltfreien Kommunikation (GFK). Auch sie setzt auf den Mechanismus »Beobachten ohne zu bewerten«, der meinem Schulterzucken zugrunde liegt. Dabei geht es darum, die Beweggründe und Bedürfnisse des anderen zu erkennen. Wie kommt sie oder er darauf, eine Sache so oder so zu sehen? Wer sich diese Frage stellt, ist auf dem Weg zu einem empathischeren und damit pragmatischeren Blick auf sein direktes Umfeld, aber auch auf die Welt. Ich glaube, dass ein solcher Blick nicht schadet – übrigens auch nicht in Bezug auf dieses Buch.
Dieses Buch findet Spuren von mir in ganz unterschiedlichen Lebensbereichen, es zeigt, wie ich in der Arbeitswelt an Bedeutung gewinne und sogar in der Politik. Und ich glaube, der Autor tut dies, weil er sich einen empathischeren und auch freundlicheren Blick auf die Welt wünscht. Dabei ist er so sehr in der digitalisierten Gegenwart verwurzelt, dass er die ironischen Brechungen und Paradoxien nicht nur beschreibt, sondern schon im Vorwort in die Tat umsetzt, indem er mich zu Wort kommen lässt – und mir am Kapitelende jeweils Zusammenfassungen zugesteht. Zusammen mit mir will er ein fröhlicheres Gegenbild zu den düsteren Zukunftsszenarien zeichnen, die seiner Einschätzung nach aufgrund der permanenten Veränderungen in allen Lebensbereichen an Macht gewinnen. Der Autor und Journalist Christoph Kucklick nennt die Fähigkeit, die man dafür benötigt, Überforderungsbewältigungskompetenz. Ein schönes Wort, auch wenn es 35 Zeichen hat, ich habe nur 11 – und meine das Gleiche.
Dieses Buch versteht sich als Trainingsanleitung für den Möglichkeitssinn des Menschen. Der Begriff stammt von Robert Musil, er begegnet uns in seinem Roman Der Mann ohne Eigenschaften. Und Möglichkeitssinn beschreibt am besten, was ich den Leser*innen am dringlichsten wünsche: eine Offenheit für das, was möglich sein kann. Einen geweiteten Blick, eine neue Perspektive auf all das, was man schon zu wissen glaubt. In Umkehrung des Déjà-vu, das eine neue Situation beschreibt, die sehr bekannt wirkt, kann man diesen neuen Blick als Vujà-dé beschreiben: Als neuen Blick auf das, was bekannt ist. Um diesen Möglichkeitssinn zu trainieren, braucht es die Fähigkeit zum Schulterzucken und Andersdenken. Diese Fähigkeit versuche ich in der ständigen Frage »Und wenn das Gegenteil richtig wäre?« zum Ausdruck zu bringen.
Darin manifestiert sich – so argumentiert das Buch – eine durch und durch pluralistische Grundhaltung zum Leben. Denn der Möglichkeitssinn lässt einen auch erspüren, dass es mehr gibt als die eigene Meinung. Er lässt uns die andere Meinung aushalten – und bewahrt uns davor, einzig mit dem eigenen Rechthaben zufrieden zu sein. In diesem Sinn kann das berühmte Zitat von Rosa Luxemburg erweitert werden: »Freiheit ist immer die Freiheit des Andersdenkenden.« Das bleibt richtig, es lässt sich aber als Übung für den eigenen Möglichkeitssinn modifizieren: »Freiheit ist immer die Freiheit zum Andersdenken.« Um das Andersdenken zu üben, will dieses Buch den Blick verändern – und seine Leserinnen und Leser ermutigen, andere Perspektiven einzunehmen. Warum sieht mein politischer Gegenpart die Welt so, wie er es tut? Wie kommt meine Partnerin darauf, eine Situation so einzuschätzen? Und: Was sind die Argumente, die gegen meine Sicht sprechen?
Wer in der Lage ist, diese Fragen zu stellen, und damit zur Selbstreflexion, lebt eine pluralistische Grundhaltung, die mir sehr sympathisch ist – und ein Abwehrmechanismus gegen einfache Antworten.
Dieses Buch will der Hoffnung auf eine menschliche Zukunft ein Gesicht geben – und zwar meins. Dafür sammelt es zehn Gründe, warum wir alle zusammen gelassen nach vorne blicken können. Obwohl der Autor in der Innovationsabteilung der Süddeutschen Zeitung arbeitet, geht es ihm beim Neuen nicht nur um technische Erfindungen wie das Smartphone, das vielen als permanenter Störenfried missfällt – und das sie deshalb zum Symbol negativer gesellschaftlicher Entwicklungen schlechthin erhoben haben. Es geht ihm auch um den Umgang mit anderen Kulturen, mit fremden Sichtweisen und Lebensweisen sowie um irritierende Perspektiven. Und am Ende behauptet er sogar, dass Ratlosigkeit nicht nur unproblematisch, sondern gar erstrebenswert ist.
Das finde ich gut – gerade weil es so schön ironisch ist, Planlosigkeit zu planen. Das erinnert mich an das Paradox, das der Autor Paul Arden (Egal, was du denkst, denk das Gegenteil) einmal mit einem Schild illustriert hat, auf dem in Blindenschrift steht: »Bitte nicht berühren.« Dass dort etwas steht, merkt man allerdings erst, wenn man den Braille-Schriftzug berührt – und selbst dann können es Sehende meist immer noch nicht lesen.
Das passt zu mir. Deshalb verstehe ich dieses Buch mit mir auf dem Titel in genau diesem Sinn als Ratgeber zur Ratlosigkeit!
In meinem Leben habe ich
unvorstellbar viele Katastrophen erlitten.
Die meisten davon sind nie eingetreten.
Mark Twain
Der junge Mann, der später die Geschichte vom Weltuntergang erzählen wird, liegt an diesem Tag im Jahr 1971 ziemlich ratlos in Österreich auf einer Wiese. Er trampt gerade durch Europa, ist auf dem Weg nach Istanbul und hat in Innsbruck einen recht ausgiebigen Frühschoppen genossen. Es geht ihm nicht gut.
Betrunken legt er sich nieder und schaut in den Himmel, als ihm eine Idee kommt, die ihn später nicht nur sehr berühmt, sondern auch sehr reich machen soll. Es ist nicht überliefert, ob er jammerte oder sich beklagte. Sicher ist nur: Er nimmt seine Situation sehr pragmatisch an und verbindet – ein wenig zufällig – zwei Dinge, die eigentlich wenig bis nichts miteinander zu tun haben, die er in seiner ratlosen Situation aber vorfindet. Aus den Sternen, die er am Himmel sieht, und dem Reiseführer, der neben ihm liegt (»Per Anhalter durch Europa«), formt er einen Buchtitel und (vermutlich später) eine zugehörige Geschichte: Per Anhalter durch die Galaxis wird einige Jahre später erst als Hörspiel, dann als Buch und als Fernsehserie und noch später als Film zu einem Weltbestseller. In seinem ersten Band erzählt das Buch, wie die Erde zerstört wird, weil sie einer intergalaktischen Hyperraumstraße im Weg ist. Gerade noch rechtzeitig wird die Hauptfigur Arthur Dent vom Planeten Erde gerettet – von einem Außerirdischen namens Ford Prefect, der die Aufgabe hat, einen Reiseführer fürs Weltall zu verfassen.
Dessen wichtigster Ratschlag ist groß auf den Titel gedruckt und lautet: »Keine Panik!«
Der Mann, der sich diesen Ratschlag ausgedacht hat und der im Jahr 1971 betrunken auf einer Wiese in Innsbruck liegt, heißt Douglas Adams. Unter den zahllosen Gründen, ein Buch über den Wert von Ratlosigkeit und den Umgang mit dem Neuen mit Douglas Adams zu beginnen, ist die mit ihm verbundene Anti-Panik-Aufforderung nur der offensichtlichste. Zu der rät nämlich auch der Shruggie – und als »Keine Panik!« kann man auch Adams’ Haltung zur Zukunft außerhalb seines Science-Fiction-Werks auf den Punkt bringen. Schon in den 1990er-Jahren beschäftigte er sich mit der Frage, wie das Internet das Leben der Menschen verändern wird. Dabei wählte er eine Perspektive, die ich als kulturpragmatisch bezeichnen würde. Adams hielt sich nicht damit auf, Gefahren aufzuzeigen oder das Neue zu bekämpfen. Er verfiel auch nicht in Jubelarien, die naiv das Neue feierten. Er nahm die Situation an und machte sich daran, die Zukunft mit dem Internet zu gestalten. Wohl auch deshalb bat ihn die Redaktion der Sunday Times, im Sommer 1999 über dieses damals noch relativ neue Medium »Internet« zu schreiben. Adams verfasste einen Text, dem er den Titel gab: How to stop worrying and learn to love the internet (was eine Anspielung auf den Stanley-Kubrick-Film Dr. Strangelove or: How I Learned to Stop Worrying and Love the Bomb ist). Auch 30 Jahre später zählt dieser Text noch immer zum Besten, was man über die Digitalisierung im Besonderen und menschliche Reaktionen auf Veränderung im Allgemeinen lesen kann.
In der humorvollen Anti-Sorgen-Anleitung widmet sich Douglas Adams den Befürchtungen und Bedenken seiner Zeitgenossen, die sich pessimistisch zum Internet äußern: »Ich nehme an«, schreibt er, »dass frühere Generationen ein ähnliches Schnaufen und Keuchen über sich ergehen lassen mussten – in Bezug auf Erfindungen wie das Fernsehen, das Telefon, Kino, Radio, das Auto, das Fahrrad, den Buchdruck, das Rad und so weiter.« All diesen Neuerungen sei die Skepsis derjenigen Generation gemein, die sie als erste nutzen konnte. In all diesen Fällen habe die Menschheit die Erfindungen in Form eines Dreischritts adaptiert, den Adams wie folgt zusammenfasst:
1.»Alles, was bereits existiert, wenn man geboren wird, nimmt man als selbstverständlich und normal hin.
2.Alles, was bis zum 30. Geburtstag erfunden wird, ist unglaublich spannend und kreativ, und mit ein wenig Glück bildet es die Grundlage für eine berufliche Karriere.
3.Alles, was nach dem 30. Geburtstag erfunden wird, widerspricht der natürlichen Ordnung der Dinge und ist ein Zeichen für den nahenden Untergang der Zivilisation, wie wir sie kennen. Das geht so, bis es etwa zehn Jahre im Markt ist. Dann stellt es sich als annehmbar heraus.«
Adams schließt diese Aufzählung mit der Aufforderung: »Wenden Sie diese Liste in Bezug auf Filme, Rockmusik, Textverarbeitung oder Mobiltelefone an, um herauszufinden, wie alt Sie sind.«
Es gibt meiner Meinung nach zwei Wege, das eigene Alter auf Basis dieses Dreischritts zu ermitteln: Man kann sich einerseits fragen, welche Haltung man selber zu aktuellen Erfindungen einnimmt, und sich anschließend entsprechend einordnen. Man kann aber andererseits auch eine menschheitsgeschichtliche Einordnung vornehmen und feststellen, dass man als im Jahr 2018 lebender Mensch ganz und gar nicht am Anfang einer Entwicklung steht. Man ist vielmehr eingebunden in eine Geschichte, in deren Verlauf auch Generationen zuvor Menschen immer wieder mit dem Neuen, dem Verstörenden, dem Fremden konfrontiert waren. Schon Shakespeare ließ seinen Hamlet feststellen: »Die Zeit ist aus den Fugen.« Und dennoch hatten seitdem Generationen von Menschen das Gefühl, es sei eigentlich doch alles in Ordnung – gewesen. Trotzdem klagten sie immer wieder auch über den Niedergang, lobten das Alte und warnten vor dem Neuen. Wer sich dieser immer wieder angestimmten Klage ausführlich widmen möchte und zum Beispiel eine Antwort auf die Frage sucht, wann denn »die gute alte Zeit« eigentlich gewesen sein soll, wird in dem wunderbaren Buch Menetekel von Gerhard Henschel fündig. Darin zeichnet der Autor mit einer bewundernswerten Ruhe »3000 Jahre Untergang des Abendlandes« nach und zeigt anhand von zahlreichen historischen Beispielen aus allen Jahrhunderten, wie die Verklärung der Vergangenheit seit jeher zur Menschheitsgeschichte gehört.