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Weil sie Passagen aus Blogs in ihr Buch einbaute, löste Helene Hegemann eine Kontroverse aus. Als Danger Mouse ein Album veröffentlichte, auf dem er Songs der Beatles mit denen Jay Z’s vermischte (engl. to mash), wurde er als Kämpfer gegen die Kreativindustrie gefeiert. Die Debatten um das Urheberrecht und neue Formen wie Mashups sind äußerst unübersichtlich. Fest steht: Das Kopieren hat im Online-Zeitalter seine Unschuld verloren. In dieser Kulturgeschichte der Kopie bringt Dirk von Gehlen Ordnung in die Diskussion und Varianten zur sich verflüssigenden Unterscheidung von Original und Kopie ins Spiel.
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Seitenzahl: 340
Dirk von Gehlen
Mashup
Lob der Kopie
Suhrkamp
eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2011
edition suhrkamp 2621
Erste Auflage 2011
© Suhrkamp Verlag Berlin 2011
Originalausgabe
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung, des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.
Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
eISBN 978-3-518-76790-0
www.suhrkamp.de
5»Was da ist, das ist mein! hätte er sagen sollen, und ob ich es aus dem Leben oder aus dem Buche genommen, das ist gleich viel, es kam bloß darauf an, daß ich es recht gebrauchte! Walter Scott brauchte eine Szene meines Egmonts und er hatte ein Recht dazu, und weil es mit Verstand geschah, so ist er zu loben.«
Johann Wolfgang von Goethe
»Nothing is original.«
Jim Jarmusch
»Wir wollen eine Mücke töten und versprühen DDT – mit Konsequenzen für die freie Kultur, die sehr viel verheerender sind als der Verlust dieser Mücke.«
Lawrence Lessig
»Imitationen von dirVerbünden sich mit mir.«
Tocotronic, »Imitationen«
Der Ruhm des Lionel Andrés Messi beruht auf seinem außergewöhnlichen Können im Umgang mit dem Fußball. In den Jahren 2009 und 2010 wurde der Argentinier in Diensten des FC Barcelona zum Weltfußballer des Jahres gewählt. Doch zu den ganz Großen zählt der 1,69 Meter kleine Messi, den seine Fans »La Pulga« (der Floh) rufen, seit er im Frühling 2007 einen Beitrag zu einem der wichtigsten Themen des 21. Jahrhunderts geleistet hat, der Diskussion um das sogenannte geistige Eigentum. Messi tat damals einmal mehr, wofür seine Fans ihn lieben: Er erzielte ein Tor, ein außergewöhnliches, eines, dessen Eigentumsrechte, wären diese vom Weltfußballverband bereits geregelt, vermutlich ein anderer geltend machen würde. Messi hat – zumindest indirekt – die Frage aufgeworfen, wie geistige Leistungen bzw. immaterielle Güter (wie ein Tor) gemessen und bewertet werden können. Und diese Fragen – so prophezeit Mark Getty, Sohn des Öl-Milliardärs Paul Getty und Gründer der Bildagentur Getty Images – werden im digitalen 21. Jahrhundert so bedeutend sein wie es die Verteilung des Rohstoffs Öl im 20. Jahrhundert war.
Den Feuilletonisten und hauptberuflichen Nachdenkern war all dies zunächst entgangen. Doch die fast 100 000 Zuschauer, die am 18. April 2007 in das Stadion Camp Nou in Barcelona gekommen waren, um ihre Mannschaft im spanischen Pokalhalbfinale gegen den FC Getafe zu sehen, bemerkten es sofort: In der 29. Spielminute erlebten sie eine Vorführung, die später als historisch bezeichnet werden sollte. Der damals 19-jährige 10Messi erzielte den Treffer zum 2:0 für Barcelona (Endstand: 5:2). Das ist das reine Ergebnis, in Wahrheit ist dieses Tor aber viel mehr, es ist eine Demonstration der Schönheit der Kopie: Der Spieler mit der Rückennummer 10 führt den Ball fast sechzig Meter über den Platz, umkurvt dabei elegant und in hohem Tempo zwei angreifende Gegenspieler und dringt schließlich von der rechten Angriffsseite in den Strafraum des FC Getafe ein. Dort umspielt er zwei weitere Verteidiger sowie Torhüter Luis García und schiebt den Ball aus spitzem Winkel mit seinem rechten Fuß ins leere Tor.
Dieser Spielzug hatte sich bereits zuvor ins kollektive Gedächtnis der Fußballfans in aller Welt eingegraben. Im Sommer 1986 erzielte in Mexiko ein anderer Argentinier mit der Rückennummer 10 auf nahezu identische Art und Weise einen Treffer im WM-Viertelfinale gegen England. Es war ebenfalls ein 2 : 0 und wurde anschließend zum »Tor des Jahrhunderts« gewählt. Aus der Perspektive der Haupttribüne spielte Argentinien von rechts nach links, so wie Barcelona gegen Getafe. England verlor den Ball im Mittelfeld, so wie Getafe den Ball in der Hälfte des FC Barcelona an Messi verlor. In beiden Fällen wurde der Spielzug über die rechte Angriffsseite vorgetragen, es wurden insgesamt vier Verteidiger ausgespielt und der Treffer aus spitzem Winkel ins leere Tor erzielt. Der Spielzug aus dem Sommer 1986 gleicht jenem aus dem Frühjahr 2007 bis ins Detail. Argentinien besiegte England im Viertelfinale und wurde später gegen Deutschland Weltmeister – angeführt vom Spielmacher und Torschützen mit der Rückennummer 10: Diego Armando Maradona.
Nach seinem Abschied aus dem aktiven Fußball Mitte der neunziger Jahre begann für den heute 50-Jährigen, der bei der WM 2010 mit geringem Erfolg die argentinische Nationalmannschaft trainierte und danach seinen Posten verlor, ein wechselvoller Lebensabschnitt. Im Fernsehen wurde der übergewichtige Fußballrentner häufiger in Entzugskliniken als auf dem Fußballplatz gezeigt – bis zu jenem 18. April 2007. An diesem 11Tag, Maradona befand sich gerade in Buenos Aires in stationärer Behandlung, rief ein junger Spieler des FC Barcelona der Welt in Erinnerung, was für ein großartiger Fußballer Diego Armando Maradona gewesen war. Und dem jungen Spieler gelang dies mithilfe einer vermeintlich minderwertigen Tätigkeit. Lionel Messi kopierte. Damit nicht genug: Messi imitierte den bekanntesten argentinischen Fußballer des 20. Jahrhunderts in einem seiner berühmtesten Werke: Maradona hatte ein scheinbar einzigartiges Jahrhunderttor erzielt. Könnte man diesen Superlativ steigern, Messi hätte die grammatikalische Unmöglichkeit verdient: Er konnte das Einzigartige wiederholen.
Anschließend gibt er sich bescheiden und widmet das Tor dem bettlägerigen Maradona. »Ich will nur, dass er wieder auf die Beine kommt. Ganz Argentinien braucht ihn«, lässt Messi wissen. Und wie reagiert der Kopierte? Er erklärt Messi zu seinem legitimen Nachfolger. »Ich habe einen Erben«, wird der Weltmeister von 1986 zitiert.
Man kann den Zauber dieses Moments aus dem Camp Nou in zahlreichen Filmen im Internet per Knopfdruck nacherleben, er ist dort langfristig (in Kopie) archiviert.1 Es dauert nur wenige Augenblicke, bis die spanischen Reporter den Namen »Maradona« rufen. Messi hat bei seinem Jubellauf nicht mal die Eckfahne erreicht, da haben die Berichterstatter bereits den historischen Kontext hergestellt, in dem dieser Treffer zu bewerten ist. Doch Messi wird nicht als Plagiator gescholten, die spanischen Reporter (und nicht nur die) feiern »La Pulga« als großen Helden des Weltfußballs. Das liegt zunächst natürlich daran, dass Messi eine sportliche Leistung vollbracht hat, die herausragt. Doch durch die Referenz, die in seinem Sturmlauf liegt, bekommt das Tor eine zweite Ebene: Die Szene geht um die Welt, Fußballfans schneiden den Ablauf von Maradonas Jahrhunderttor zusammen mit Messis Sturmlauf, 12spanische Zeitungen adeln den Offensivspieler mit den Wortneuschöpfungen »Messi-as« (Sport), »Messidona« (Marca) und »Diego Armando Messi« (El Periódico).
Diese Neologismen sind Beispiele für sogenannte Mashups. Dieser Begriff, der auf das englische to mash (deutsch: vermischen) zurückgeht, beschreibt, wie durch die (Re-)Kombination von Bestehendem Neues geschaffen wird, etwa aus den Namen Messi und Maradona der Titel »Messidona«.2 Man kennt Mashups in der Musik, in der Malerei, in der Literatur und vor allem auch im Internet. Und dank Lionel Messi und Diego Maradona kennt man sie jetzt auch im Fußball. All diese Phänomene stehen für eine grundlegende Kulturtechnik, die durch die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung einerseits an Verbreitung und andererseits an Bedeutung gewonnen hat. Sie stehen für die Kopie! Deshalb beginne ich dieses Buch mit einem Besuch im Fußballstadion – wohl wissend, dass es bei Messis Pokaltreffer gegen Getafe zunächst um eine rein körperliche Leistung geht, die ihren sportlichen Wert aus dem Tempo, der Ballführung und dem erfolgreichen Abschluss gewinnt. Doch die Tatsache, dass dieses eine Tor aus dem Frühjahr 2007 aus der großen Anzahl herausragender Messi-Treffer heraussticht, liegt an der Referenz an Maradona, an der für ein Fußballstadion ungewöhnlichen Kopie. Kopien begegnen uns allerdings häufig an Orten, an denen wir sie zunächst nicht erwarten, sie sind notwendiger und präsenter, als ihr schlechtes Image vermuten lässt, sie sind eine Grundlage 13der Kreativität, und ja, sie sind überlebensnotwendig für unsere Kultur.
Dabei entspricht das Bild, das Nachahmer in der öffentlichen Wahrnehmung genießen, keineswegs dem Stellenwert dieser Kulturleistung. Die Adjektive, die der Kopie gewöhnlich beigefügt werden, stammen aus dem abwertenden und geringschätzenden Spektrum: Kopien gelten als »billig« oder »plump« und verblassen vor dem hohen Wert, der einem Original beigemessen wird. Auf den Punkt brachte der Börsenverein des deutschen Buchhandels dieses negative Image im Frühjahr 2007 in seiner Kampagne »Kopieren ist keine Kunst«, mit der er vor Piraterie warnen wollte. Vor dem Hintergrund der massenhaften Vervielfältigung durch die »Kopiermaschine Internet«,3 als die der Wired-Mitgründer Kevin Kelly das World Wide Web einmal bezeichnet hat, wird das Kopieren zudem mittels sogenannten Digital Rights Managements technisch blockiert und in Kampagnen wie »Raubkopierer sind Verbrecher« kriminalisiert. Weil darüber der schöpferische Wert des Kopierens aus dem Blick gerät, habe ich dieses Buch begonnen. Es versammelt Beobachtungen und Notizen, die ich in den vergangenen Jahren gemacht habe, und stellt diese – auch mittels einiger Interviews – in einen neuen Kontext. Damit möchte ich keineswegs Urheberrechtsverletzungen rechtfertigen, mir geht es vielmehr darum, einen Schritt aus der oftmals hektischen und ideologisch aufgeladenen Aktualität zurückzutreten, um einzuordnen, welchen Wandel die Digitalisierung angestoßen hat und welchen Stellenwert das Kopieren als kulturelle Errungenschaft darin einnimmt.
Als Redaktionsleiter von jetzt.de, dem jungen Magazin der Süddeutschen Zeitung, war ich früh mit neuen Formen der digitalen Kopie und ihren Folgen konfrontiert. »Darf man Musik aus dem Netz laden und für seine Freunde kopieren?«, ist 14zu einer zentralen Frage in der Lebenswelt nicht nur junger Menschen geworden. Die digitale Kopie fordert auch bestehende Vertriebswege für kulturelle Produkte heraus, sie stellt, wie Gerfried Stocker (der Leiter des Linzer Kulturfestivals Ars Electronica) im Gespräch in diesem Buch erklärt, die bisherigen Geschäftsmodelle auf den Kopf. Denn die kulturelle Praxis des digitalen Kopierens ist für viele (nicht nur junge) Menschen längst Alltag geworden. So selbstverständlich wie die Generation zuvor Songs aus dem Radio aufnahm und auf Mixtapes kopierte, wird heute aus dem Internet geladen, gebrannt und neu zusammengestellt.4 Doch anders als die sogenannten Kassettenjungs und Kassettenmädchen der neunziger Jahre können die jungen Kopierer des neuen Jahrtausends nicht mit einer musealen Verklärung ihrer Mischkultur rechnen. Dabei tun sie kaum etwas anderes als die Generationen zuvor – allerdings mit einer besseren technischen Ausstattung.5 Die Frage, wie man diese Alltagspraxis bewerten soll, spaltet die Gesellschaft. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die das Herunterladen und Kopieren von Musik aus dem Netz verdammen; auf der anderen Seite – nicht selten im Kinderzimmer der gleichen Wohnungen und Häuser – befinden sich diejenigen, die es ganz selbstverständlich tagtäglich tun. Welche Folgen dieser digitale Graben, den das Internet gerissen hat, für die Bewertung der Kopie aber auch für die Gesellschaft insgesamt haben kann, untersuchte der Schweizer Jurist Urs Gasser unter anderem in seinem Buch Generation Internet.6 Im 15Gespräch im vorliegenden Band erklärt er, wie man ihn wieder schließen kann. Denn die digitalisierte Musik steht nur am Anfang einer Entwicklung, die von der digitalen Kopie als zentraler Innovation angestoßen wurde.7 Die digitale Kopie als Vervielfältigungsform verwischt die Grenze zwischen Vorlage und Nachahmung, Original und Kopie sind nicht mehr zu unterscheiden. Dateien, Songs und auch Filme können ohne Qualitätsverlust dupliziert und verbreitet werden – wenn sie einmal, das ist die zweite entscheidende Innovation, von ihrem analogen Datenträger (Vinyl, Papier, Film) gelöst und digitalisiert worden sind. Die digitale Kopie und die Befreiung der Information vom Datenträger bilden die beiden grundlegenden Herausforderungen des Zeitalters, das als Ära der Digitalisierung beschrieben wird – auch für das Urheberrecht. Mir geht es nicht darum, dem Bruch des Urheberrechts das Wort zu reden. Ich bin allerdings mittlerweile davon überzeugt, dass man diese Herausforderungen nur wird meistern können, wenn man sie annimmt und positiv zu gestalten versucht, anstatt sie zu bekämpfen. Deshalb möchte ich die Perspektive auf die digitale Kopie und ihre Folgen ausweiten: Über die bestehende Strategie der technischen und juristischen Erschwerung und Verhinderung des Kopierens hinaus will ich einerseits die Chancen des technologischen Fortschritts aufzeigen und vor allem die Gefahren benennen, die die bisherige Kriminalisierungsstrategie mit sich bringt. Wer die Kopie einseitig verdammt, greift damit die Grundlagen unserer Kultur an. Darüber hinaus, so die Kritik des Kunsthistorikers Wolfgang Ullrich in seiner lesenswerten Hommage an die Reproduktionskultur, führe die »schädliche Fixierung des Kunstinteresses 16auf Originale«8 zu einer künstlerischen Verengung des Blicks: »Es wäre schon viel erreicht«, schreibt Ullrich in Raffinierte Kunst, »wenn man im Original künftig nicht mehr nur das Unmittelbare und Ursprüngliche suchte, sondern darin zugleich das Anfängliche, noch Unfertige und Unvollkommene sähe.«9
Ich habe mich auf eine Spurensuche begeben, die aufzeigt, wo und wie menschliches Leben und unsere Vorstellung von Kultur von der Kopie abhängen. Diese ist bedroht, wenn – zum Beispiel mittels politisch aufgeladener Begriffe – der Vorgang der Nachahmung, Imitation und Kopie und die damit verbundene Referenzkultur verdammt werden. Die Erfindung des Begriffs der »Raubkopie« steht dabei beispielhaft für die bisherige repressive Praxis, mit der ich mich im Folgenden ebenfalls auseinandersetzen werde. Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine juristische Kategorie, das Wort »Raubkopie« findet man in keinem Gesetz, und dennoch ist der »Raubkopierer« allgegenwärtig. Eine massive Marketing- und Lobbymacht hat dafür gesorgt, dass das Wort sich im Alltag verbreitet hat, um gegen die digitale Kopie und ihre Folgen vorzugehen. Die Kampagnen tragen Titel wie »Nur Original ist legal« oder »Kopien brauchen Originale«, und ihre Macher argumentieren einseitig gegen die Kopie. Die Gründe für dieses Vorgehen wirken nachvollziehbar, die Folgen, die man dabei billigend in Kauf nimmt, erscheinen mir hingegen als bisher vernachlässigte Bedrohung: Unter dem Vorwand, einen Teilbereich des Kopierens bekämpfen zu wollen (die Tauschbörsennutzung, die nun einmal herkömmliche Vertriebs- und Geschäftsmodelle gefährdet), wird die Zukunft der freien Kultur infrage gestellt. Der Jurist James Boyle hat dieses Problem in seinem Buch The Public Domain aufgegriffen. Dort spricht er von der Notwendigkeit, nach dem Vorbild der Ökologiebewegung der 17siebziger und achtziger Jahre eine Art digitalen Umweltschutz (»environmentalism for information«)10 zu entwerfen, der sich für den Erhalt der Umwelt und damit auch für die kreativen Potenziale der Kopie einsetzen soll.
In diesem Sinne verstehe ich das Lob der Kopie auch als Streitschrift für einen digitalen Umweltschutz. Denn ähnlich wie im Umgang mit den endlichen Ressourcen der Natur geht es auch bei der Debatte um die Kopie am Ende um die Frage, welche gesellschaftliche Zukunft uns vorschwebt und was wir dafür tun wollen. Diese Herausforderung bei allen berechtigten wirtschaftlichen Interessen nicht aus dem Blick zu verlieren, ist ein Anliegen dieses Buches. Im Mittelpunkt steht dabei eine Spurensuche, mit deren Hilfe ich nachzuvollziehen versuche, welche Schäden die freie Kultur bereits nimmt (und noch nehmen wird), wenn die Kopie mit unverhältnismäßigen Mitteln bekämpft wird. Ergänzt werden diese Überlegungen durch sieben Expertengespräche, die zwischen die einzelnen Kapitel geschaltet sind und die neue Perspektiven auf das Thema werfen sollen. Im umfangreichen Glossar am Ende des Bandes erläutere ich wichtige Fachbegriffe.
»Man spricht immer von Originalität, allein was will das sagen! So wie wir geboren werden, fängt die Welt an, auf uns zu wirken, und das geht so fort bis ans Ende. Wenn ich sagen könnte, was ich alles großen Vorgängern und Mitlebenden schuldig geworden bin, so bliebe nicht viel übrig.«
Johann Wolfgang von Goethe
Kann man das machen: eine übel beleumundete Tätigkeit wie das Kopieren loben, als existenziell für unsere Kultur darstellen und gleichzeitig ein ganzes Kapitel lang eine Definition des Begriffs schuldig bleiben? Da Sie noch weiterlesen, nehme ich an: man kann. Mir geht es hier keineswegs um die ebenfalls als Kopie beschriebene Tätigkeit der bewussten Täuschung, des Betrugs, des durch Karl-Theodor zu Guttenberg medial sehr präsenten Plagiats, der Fälschung oder gar der Lüge,1 mir geht es um einen klar definierten Vorgang. Ich habe dessen Definition jedoch bewusst so lange offengelassen, weil es mir auch darum geht, unsere Wahrnehmung in Bezug auf das zu hinterfragen, was wir als Original (und damit gut) und als Kopie (und damit minderwertig) ansehen.
An der auf das lateinische copia2 (»Vorrat« oder »Überfluss«) zurückgehenden 19Kopie muss man in diesem Zusammenhang zwei Aspekte unterscheiden: Zum einen das reine Vervielfältigen, ein Bereich, der angesichts der Digitalisierung vor grundlegenden Veränderungen steht und in dem Umbrüche notwendig sein werden. Mit den Schwierigkeiten (und auch Kämpfen), die dieser Aspekt des Kopierens mit sich bringt, befasse ich mich unten ab Kapitel IV, beginnen möchte ich jedoch mit dem zweiten Aspekt der Kopie, den ich als kreative Referenzkultur beschreibe. Dabei handelt es sich um eine Technik der Bezugnahme, des Zitats und der Adaption, die schon immer Grundlage unseres Kulturverständnisses war, die jedoch – ebenso wie die Vervielfältigung – durch die Digitalisierung einem Veränderungsprozess unterworfen ist, der ihre Bedeutung noch verstärkt. In beiden Fällen rückt die Kopie in den Mittelpunkt, weil sie einfach von sehr viel mehr Menschen genutzt werden kann. Einerseits im Sinne der Vervielfältigung durch beispielsweise das Duplizieren einer Datei, andererseits aber auch durch die vereinfachten Formen der Bezugnahme. Wo Inhalte digital vorliegen, können sie leichter adaptiert, parodiert und geremixt werden als zu rein analogen Zeiten.
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