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Maggies Leben gerät aus allen Fugen, als ihre Eltern sterben. Sie kommt zu ihrer einzigen Verwandten, einer Tante. Was sie nicht weiß: diese Tante, Agatha Grimston, hat buchstäblich Leichen im Keller. Das Leben von Maggie beginnt mit lauter Intrigen, Entbehrungen und Mord. Ein Wettlauf mit der Zeit beginnt. Kann Maggie der Tante entkommen? Kann sie das Rätsel von Grimston lösen?
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Seitenzahl: 627
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Das Leben der kleinen Maggie ändert sich schlagartig nach dem Tod ihrer Eltern. Sie selber ist ein außergewöhnliches Mädchen mit Begabungen, die ihr nicht immer gut gesonnen sind. Maggie hat Vorahnungen! Ausgerechnet damit kommt sie zu ihrer Tante aufs Land. Diese macht keinen Hehl daraus, sie nicht zu mögen. Erst hier in Grimston lernt Maggie das wahre Gesicht der Agatha Grimston kennen. Doch sie ahnt welches unheimliches Schicksal noch hinter den Mauern lauert. Hat Agatha buchstäblich Leichen im Keller und kann Maggie dem entkommen, oder werden ihre Visionen ihr Untergang sein? Das Abenteuer ihres Lebens hat begonnen.....
Ich danke allen, die es mir ermöglicht haben, diesen Roman zu schreiben. Schon immer habe ich Geschichten geliebt, sei es Mittelaltergeschichten, Science- Fiction, Mystik oder einfach nur Liebesgeschichten und auch etwas zum Schmunzeln. Meine Geschichten sind teils erfunden und teils versuche ich reale Orte einzubeziehen, welche ich aber nicht direkt preisgebe. Der Ort Grimston ist auch nur ein erfundener Ort. Alle Personen sind frei erfunden. Dennoch wünsche ich allen Lesern und Leserinnen, viel Spaß!!!
Maggie stand reglos vor den Trümmern ihres bisher zehnjährigen Lebens. Noch vor ein paar Stunden fuhr sie fröhlich, singend auf dem Rücksitz des alten Ford Mustang ihrer Eltern in Richtung Urlaub. Es sollte ihr unvergessen bleiben, sagte damals ihr Vater und zeigte stolz die Route, die sie nehmen wollten. Ja, unvergesslich war, was ihr in Erinnerung blieb. Nur kurze Momente harrten in ihrem Kopf, dann der Knall und sie sah nur noch die Trümmer aus Blech. Nur dumpf hallten die Worte des Polizisten wieder, die wie in einem Nebelschleier durch sie drangen.
„Das arme Kind! Schrecklich so seine Eltern zu verlieren. Vielleicht können sie ihre Mutter noch retten, doch viel Hoffnung besteht nicht. Sie muss erst einmal in eine Spezialklinik geflogen werden“, dann wandte er sich leicht von Maggie ab und flüsterte mit vorgehaltener Hand zu seinem Kollegen weiter.
„Muss aber auch schrecklich sein, seinen Vater so verkohlt zu sehen. Da ist ja kaum was übrig geblieben. Ein Wunder, dass das Kind den Unfall nur leicht verletzt überlebt hat. Ich weiß nur, dass es ein Tanklaster war. Der Fahrer fuhr übermüdet und schlief hinterm Steuer ein. Ich sag’s ja immer: diese Lastwagenfahrer viel zu viel Zeitdruck und können so ihre Ruhepausen gar nicht einhalten.“
Wie in Trance führten sie das Mädchen zum Ambulanzwagen, dort wurde sie in Decken gehüllt und sie merkte nur noch, wie etwas Kleines sie pikte, dann war es still.
Nach etlichen Stunden wie es schien, erwachte Maggie in einem weißen Baumwolllaken und sie fror. Langsam schaute sie zur Decke und zwei grelle Lichtstrahler blendeten sie. Sie hielt sich die Hand vor Augen und merkte gleich dass, diese verbunden waren, doch sie spürte keine Schmerzen. Das Mädchen drehte sich zur Seite und blickte auf zwei gelbliche Vorhänge, die halb zugezogen waren. Zweifelsohne war es Tag, kein schöner, aber ein Tag. Auf der anderen Seite schauten ihre grünen Augen in zwei andere braune Augen, die sie unvermindert ansahen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und eine stämmige Schwester mit Spritzen kam herein, gefolgt von einer Schar Weißkittel, die alle gewichtig Aktenordner vor sich hertrugen. Strebsam hielten sie Kurs auf Maggie. Jeder murmelte vor sich hin und schrieb hin und wieder etwas auf. Ein glatzköpfiger Mann beugte sich über Maggie und schaute mit einer Lampe in ihre Augen und Mund, dann schüttelte er den Kopf und tätschelte sie leicht.
„Ist schon gut Kleines! Ich weiß, wie dir zumute ist, ich habe meine Eltern auch bei einem Autounfall verloren, aber du kommst darüber weg“, sagte er zu Maggie und wandte sich einer der Schwestern zu. „Schwester Inge hat sich schon jemand gemeldet wegen der Fürsorge?“, die stämmige Frau guckte in ihre Unterlagen und verneinte, daraufhin wandte der Mann sich ab.
„Also gut, wenn in zwei Tagen niemand auftaucht, übergeben wir das Mädchen dem Waisenhaus.“ Darauf verließen sie das Zimmer und es wurde still. Nur ein Leises schnauben ließ sie aufhorchen. Die braunen Augen von nebenan starrten sie unvermindert an.
„Bist wohl abgehauen was? Oder sind deine Alten abgehauen? Heimkinder, pah, wenn das mein Vater wüsste, der wäre begeistert. Mann, ausrasten wird der. Vielleicht haste ja auch noch Flöhe oder sonst ' ne Krankheit. Sag mal, kannst du nicht sprechen oder haben sie dir die Zunge raus geschnitten? Pah, bist eben nur ein olles Heimkind. Damit das klar ist, komm mir bloß nicht zu nah.“ Das andere Mädchen drehte sich mit aller Wucht um, dass das Bett nur so quietschte. Maggie drehte sich wieder zum Fenster und schaute nach draußen. Wie schnell es doch Dunkel wurde! Der Regen peitschte nun unaufhörlich gegen die Scheibe und ein eisiger Wind fegte durch die leichten Ritzen der Fenster. Es war, als würde der Wind sie rufen. Sie fror immer mehr und kroch unter die harte Baumwolldecke. Ihre Gedanken überschlugen sich; was war geschehen? Wo war sie? Was war passiert? Wo waren ihre Eltern? Ein Blitz unterbrach ihre Gedankengänge und ein donnerndes Poltern krachte in unmittelbarer Nähe ein. Auch in Maggies Kopf explodierten Blitze und sie sah ihre Mutter und ihren Vater fröhlich singend im Auto. Dann hörte sie noch den durchdringenden Schrei ihrer Mutter und alles spielte sich wie in einem Film ab.
„Richard! Pass auf! Sag mal, spinnt denn der. Der fährt ja völlig außer Kontrolle. RICHARD!!“ Dann explodierte etwas und Qualm stieg auf. Maggie sah noch ihre Mutter, die sie auf den Armen hatte und sie vorsichtig auf die Straße legte. Überall roch es nach verbranntem Fleisch und Blut floss an ihr herunter, dann hörte sie auch schon die Sirenen. Seitdem sprach Maggie kaum noch. Schock nannten sie es. Jetzt erst wurde ihr klar, dass ihre Eltern tot waren. Heimlich schluchzte sie in ihr Kissen und gab sich ihrer Trauer auf ihre Art hin. Erst am nächsten Morgen erwachte sie. Ihre halblangen, braunen Locken lagen wirr und verklebt auf dem nassen Kissen und ihre Tränen waren noch nicht getrocknet. Das andere Mädchen zog es vor nicht im selben Zimmer mit ihr zu frühstücken und war schon in den frühen Morgenstunden rausgegangen. Nach dem kargen Frühstück, eine Scheibe Brot mit Butter und Bierwurst, die sie nicht herunterbrachte, bullerte die stämmige Schwester herein, mit ein paar Sachen im Arm und machte sich daran die Betten zu machen und ihr die Kleidung auf den Stuhl zu werfen.
„Es wird Zeit das du dich fertig machst. Das sind ein paar Sachen die wir von der Kleiderkammer besorgt haben. Deine sind schließlich verbrannt. So, nun zieh dich an und dann raus mit dir, wir sind schließlich kein Hotel. Unten wartet eine Frau, die dich ins Waisenhaus bringt“, damit schob sie Maggie zur Seite und zog schon ihr Bett ab. Die Kleider, die sie ausgesucht hatte, bestanden aus einer weißen Unterhose, die ein kleines Loch aufwies, einem grauen Pullover, dessen Ärmel viel zu lang waren und einer Jeans, die mit Flicken übersät war, dazu ein paar Turnschuhe, die schon bessere Zeiten überstanden hatten und vorher wohl einmal die Farbe weiß trugen. Ängstlich trat Maggie durch die Tür und sah sich im Korridor um. Dort standen nur das Mädchen und ein paar andere, die kicherten und auf sie zeigten, als sie durch die Tür trat. Maggie wollte am liebsten gleich wieder rein gehen, doch Schwester Inge schob sie weiter.
„Da hinten musst du hin und dann die Treppe runter“, sie zeigte mit ihren dicken Fingern den Flur entlang und schob sie weiter. Noch immer kicherten die Kinder, aber Maggie stieg die Treppe hinab. Unten angelangt stand eine Frau mittleren Alters in einem blauen Kostüm. Sie hatte eine große Aktentasche bei sich und schaute ungeduldig auf die Uhr. Hinter ihrer schwarz umrandeten Brille erspähte sie das Mädchen und trabte auf sie zu. Sie schlug ihre Mappe auf und setzte nun ein leichtes Lächeln auf. Das Erste, dass Maggie heute wahrnahm.
„Du bist sicher Maggie. Ich bin deine Sachbearbeiterin, Frau Dost, und soll dich sicher in das Waisenhaus bringen. Ach Gott, es ist ja alles so schrecklich. Du Arme! Nun gut, es ist nicht zu ändern. Deine Eltern sind tot und niemand hat auch nur einen entfernten Verwandten gefunden, zu dem du gehen könntest. Tja, da wir erst mal nachforschen müssen, ob es noch irgendjemanden gibt der dich aufnimmt, musst du erst mal zu uns. Das ist nun mal das Gesetz. Vorher holen wir dir aber noch ein paar Kleider aus eurem Haus“, auch die Frau schob Maggie vor sich her wie ein Gepäckstück bis zu einem Opel Corsa, in den sie einstieg.
Eine Weile fuhren sie, bis das Haus ihrer Eltern auftauchte. Es war ein kleines rotes Backsteinhaus mit grünen Fensterläden. Der Vorgarten wucherte vor sich hin, als sei das Haus schon Monate verlassen. Maggie bekam eine Gänsehaut und musste ihre Tränen herunter schlucken. Sie schnallte sich ab und wollte die Tür öffnen, als die Frau in blau sie zu hielt.
„Oh nein mein Kind, das darf ich nicht zu lassen. Du verstehst schon Gesetz und so. Ich werde dir ein paar hübsche Sachen einpacken und dann sehen wir weiter“, damit knallte sie die Tür zu und ging ins Haus. Nicht lange, da kam sie mit einer Reisetasche heraus und packte sie ins Auto. Daraufhin ging es weiter.
Das Waisenhaus lag am Rande der Stadt. Es war schon ein imposantes Gebäude. Früher, so erzählte die Frau in blau, wurden hier psychisch Kranke unter gebracht. Es war ein weißer, großer Komplex mit einem riesigen weißen Metalltor.
Etwas Furcht einflößend war es schon und Maggie rutschte weiter in ihrem Sitz zurück. Ein kleines Licht ging am Eingang an und eine ältere Frau öffnete die Tür. Die Frau in blau überreichte ihr die Reisetasche und ein paar Aktenordner, dann schob sie Maggie durch die Tür und war auch schon verschwunden. Wieder wurde Maggie durch Räume geschoben und fest an der Hand geführt, die keinen Widerspruch duldete. Treppen rauf und Flure entlang. Keine Stimmen, die auf Kinder hindeuteten, waren zu hören. Vor einer großen Tür blieben sie stehen. Unter schweren Ächzen knarrte sie auf. Überall wo sie hinblickte standen Betten mit einer kleinen Kommode. Um das Bett herum hingen Vorhänge die man, wie in einem Krankenhaus, zuziehen konnte, sodass jedes Bett einen Bereich für sich abtrennte. An jedem Bett stand eine Zahl oder Symbol für die Kleinsten, die noch nicht schreiben konnten. Am Ende neben einer Tür, die zum Bad führte, stand ein riesiger Schrank, in den Maggie ihre Kleider ablegte. Ausgerechnet die Zahl dreizehn bekam sie. Nicht dass sie Abergläubisch war, aber in dieser Gegend konnte man es durchaus werden. Das Bad eröffnete sich als riesiges Gemeinschaftsbad. In der Mitte stand eine Art Trog, über dem zig Wasserhähne hingen, dahinter eine riesige Spiegelwand.
Wenn man um die Wand ging, gelangte man schon auf die Toilette. Alles in allem vermittelte das Waisenhaus eine Art Jugendherberge mit Klosterfeeling. Nun war sie wieder allein und saß bekümmert auf ihrem Bett. Immerhin hatte die Frau in blau eine Tasche erwischt, die noch ein paar Fotos beinhaltete auf denen ihre Mutter mit einem Strohhut im Garten arbeitete und ihre über alles geliebten Rosen schnitt. Zweifellos Maggies Lieblingsfoto. Dahinter war ein Foto mit ihrem Vater der gerade dabei war sein Auto zu waschen. Auch Maggie war auf einem der Fotos, wie sie im Sandkasten spielte.
Natürlich waren die Fotos schon älter, doch irgendwie schien es als seien sie absichtlich dort platziert. Maggie schüttelte den Kopf. So ein Unsinn dachte sie und verstaute die Fotos unter ihrem Kissen. Durch die Flure klangen unheimlich die Stimmen der Kinder, die kurz darauf ins Zimmer stürmten. Mädchen und Jungen lachten und redeten doch kaum einer bemerkte den Neuankömmling. Ein Kissen flog direkt auf ihr Bett und der Vorhang wurde beiseite geschoben.
Ein roter Schopf mit lustigen Sommersprossen lugte vorbei, um sich das Kissen zu holen und blieb verdutzt stehen.
„Oh entschuldige, wusste nicht das noch jemand gekommen ist“, damit drehte sie sich um und verschwand. Eine halbe Sekunde später lugten dann die frechen Augen wieder hervor.
„Du bist neu! Hi, ich bin Reni. Eigentlich Verena, kannst aber Reni sagen. Und warum haben sie dich eingebuchtet?“, sie knuffte Maggie in die Seite und lachte. „Oh verstehe, du bist ein Frischling und sprichst noch nicht, Trauma, oder so. Habe ich auch hinter mir. Habe mich tagelang nicht vom Fleck gerührt, aber glaub mir irgendwann hast du so einen Hunger oder musst aufs Klo, da gibst du freiwillig auf. Was soll’s, deine Eltern sind gestorben?“, Maggie nickte nur und guckte traurig drein. Reni setzte sich neben sie und zog den Vorhang halb zu.
„Meine auch. Die waren auf ner Auslandsreise und wurden dort krank. Kamen nie wieder. Mein Bruder war auch dabei. Fast alle die hier sind haben ihre Eltern verloren. Naja, welche wurden auch ausgesetzt. Schlimm sag ich dir, aber hier ist es gar nicht so schlimm. Die alte Frau Schuster ist die Rektorin, hat zwar manchmal nicht alle zusammen, aber die musst du ja nicht immer sehen. Ist meistens in ihrem Büro. Du lernst noch alle kennen. So, wenn du irgendetwas brauchst, ich liege ein Bett weiter. Zieh dich lieber aus und leg dich erst mal hin, Frau Schuster schaut abends rein. Bis morgen!“ Reni verschwand mit einem zwinkern im Auge und schlagartig wurde es still. Die Lichter gingen nach einem Gong aus und eine Frau schaute einmal nach dem Rechten.
Maggie wälzte sich hin und her und es plagten sie fortwährend die gleichen Träume. Immer wieder sah sie Blitze, das Lachen und den Geruch nach Verbranntem. Der Rauch biss so sehr in ihre Augen, dass sie tränten. Selbst als sie aufwachte, waren die Augen nass, bis sie merkte, dass sie leise schluchzte.
Auch die nächsten Tage waren nicht sehr erfreulich. Alles spielte sich wie in einem Film ab. Unterricht, Essen, Hausaufgaben, Küchendienst, Schuldienst oder Hofdienst, was die einzige Abwechslung war, in der Natur zu arbeiten. Unkraut jäten oder Hof fegen. Selbst wenn das Wetter schlecht war, so hielt es sie von ihren Gedanken ab. Auch hier im Waisenhaus sprach sie so gut wie nie.
Sehr zum Leidwesen der Lehrer, doch die Kinder mochten es irgendwie. Jeder hatte bisher seine Erfahrungen gemacht, auf die eine oder andere Art. So nahmen sie es als ihre Art hin. Immerhin konnte sie bei manchen Spielen nicht zickig werden oder wenn sie den Abwasch machen musste, nicht nörgeln. Eigentlich war Maggie ganz umgänglich und Reni war mittlerweile ihre beste Freundin.
Nach einigen Monaten kannte sie das Gebäude in- und auswendig und jeden Charakter der Lehrer. Selbst geheime Verstecke blieben ihr nicht verborgen. Alles in allem fühlte sie sich irgendwie ein wenig zu Hause, wenn da nicht ihre ständigen Albträume wären. „Glaub mir die Träume, werden immer da sein, dann weißt du aber wenigstens, dass du sie nicht vergessen hast und das ist doch auch irgendwie gut, oder?“, fragte Reni sie eines Tages. Da war was dran, dachte Maggie und versuchte sich darauf einzustellen, wenn die Träume das nächste Mal wieder kamen.
Draußen war es kalt geworden und ein eisiger Wind pfiff durch die Stadt. Selbst für eine Stadt wie diese war es schon anormal, wenn sich so wenige Leute auf die Straße trauten. Wie sagte man doch so schön: Da jagt man doch keinen Hund vor die Tür. Das sollte wohl auch so sein. Die Blätter fielen herab, als wenn jemand einen Staubsauger daran halten würde. Pfützen stürzten wie Bäche die Straße herab und Winde fegten durch die Gassen, als seien sie auf ständiger Suche nach irgendetwas Verlorenem. Die Welt verschwand in einem Tristen grau in grau. Die Besucher blieben aus, sogar die Marktfrau, die sonst frisches Obst brachte, blieb dem Gebäude fern. Hin und wieder kam ein Klempner, der wieder einmal die Rohre durchpusten musste, um wenigstens fließend Wasser zu bekommen. Sicher, von außen schien das Waisenhaus noch in Ordnung zu sein, doch beim genaueren hingucken fielen einem die Mängel buchstäblich ins Auge. Es war kein Geheimnis, dass die Rektorin hoch verschuldet war und sie an allen Enden sparen musste.
Manchmal auch auf Kosten der Kinder. Kaum ein Winter verging, ohne dass eines der Sprösslinge eine Lungenentzündung davon trug. Vor Jahren war es einmal so schlimm, dass ein kleiner Junge daran starb und die Rektorin kam darüber nie hinweg, deshalb war sie so merkwürdig. Seither wurden auch die Zimmer so zusammengestellt. Man munkelt, dass sie es so anstellte, um die Verantwortung von sich zu schieben.
Der Herbst hatte nun erbarmungslos Einzug gehalten, fast schon so, als wenn Winter wäre. Der längste Winter überhaupt, dachte Maggie. Ihre ach-so-geliebte Naturarbeit draußen vermisste sie. Es gab nichts zu tun. Keine Beete, deren Unkraut gezogen werden musste und kein Beet, das versorgt wurde. Draußen, wie auch drinnen, stöhnte triste Einöde. Um Strom zu sparen, mussten die Kinder mit Petroleumlampen herumlaufen und das heiße Bad wurde auch eingespart. Der einzige Trost bestand darin, zu wissen, dass einige von den Waisen, natürlich die Jüngsten und hübschesten, für ein paar Wochen zu Gastfamilien kamen, in der Hoffnung adoptiert zu werden.Für einige standen die Chancen sehr gut. Insgesamt trieben sich um die zwanzig Kinder hier herum. Darunter auch Reni und Maggie. Heute war wieder so ein Besuchstag, doch keiner glaubte daran, dass sich bei diesem Wetter überhaupt jemand hierher verirrte. Die beiden Mädchen drückten gerade ihre Nasen am Fenster platt, um mit ihrem Atem an der Nebelschleierwand der Scheibe einige kreative Gebilde zu zeichnen. Gerade malte Maggie eine Schnecke nach, als sie Reni antippte und auf die Auffahrt des Hauses zeigte, damit sie darauf aufmerksam wurde. Ein Lichtpaar fuhr langsam hoch und hielt vor der großen Metalltür. Es war ein riesiges dunkles Auto mit getönten Scheiben. Reni rümpfte die Nase.
„Wow was für ein Schlitten. Ganz schön groß. Sieht fast so aus wie ein Leichenwagen. Oh ´tschuldigung. Möchte wissen, was die wollen? Meinst du die wollen sich hier ein Kind aussuchen?“, doch Maggie zuckte nur die Achseln und beide Mädchen rannten zum Flur. Ihre Ohren klebten an der riesigen Tür und tatsächlich sie vernahmen Schritte im Flur und dann einige Stimmen. Eine Tür fiel ins Schloss, dann war Ruhe. Reni und Maggie versuchten kaum zu atmen, als die Tür unten sich wieder öffnete und die Schritte nach oben kamen. Flugs rannten die beiden zu ihren Betten und taten so als spielten sie mit ihren Stoffpuppen. Die Klinke wurde runter gedrückt und die schwere Eichentür ächzte in ihrer Verankerung.
Maggie dachte immer, dass sie sich anhörte wie die alten Segel eines Piratenschiffes. Im schwachen Schein der Öllampe sahen sie nur dunkle Gestalten. Es waren zweifelsohne eine Frau und ein Mann.
Sie sahen sehr wohlhabend aus. Langsam gingen sie durch die Gänge und hielten jedem eine Lampe vor die Augen um sie sich genauer anzusehen. Manchen würdigten sie keines Blickes. Es war mehr so, als wenn sie auf der Suche nach etwas Bestimmten waren.
Auch Maggie und Reni wurden begutachtet. Die Frau blickte mit großen Augen auf die beiden, dann wandte sie sich um und flüsterte aufgeregt mit ihrem Mann. Dieser hielt auch die Lampe hin und staunte. Abrupt kehrte er um und diskutierte wild mit der Rektorin vor der Tür. Währenddessen blieb die Frau bei Maggie und Reni, setzte sich neben sie und sah dabei Reni unentwegt an. Ihre Stimme klang zierlich und ihre dünnen Handschuhe ließen verletzliche Hände zum Vorschein kommen.
„Ich weiß, es ist nicht so einfach euch zu erklären, warum ich dich so ansehen. Der Grund besteht eigentlich nur darin, dass du meiner Tochter so unheimlich ähnlich siehst“, sie schluckte kurz und tupfte mit einem Taschentuch eine Träne aus ihrem Auge.
„Ach es ist so ein Wunder, aber sieh her, du siehst genauso aus wie meine Sybill.“
Vorsichtig kramte sie ein Foto aus der Tasche, das sie Reni zeigte. Auch diese schluckte leicht. Das Bild zeigte ein Mädchen mit frechen Sommersprossen und kurzem, lockigen, roten Haar. Nur war sie hier in einem hübschen Sommerkleid gekleidet und nicht ganz so dürr wie Reni. Auch ihre Augen waren blau und ein verschmitztes Lächeln zeigte sich. Das Mädchen auf dem Foto war zweifelsohne drei Jahre älter. Doch Reni verstand nicht ganz.
„Sieh mal Kleines, meine Sybill ertrank bei einem tragischen Badeunfall, seitdem suchte ich in sämtlichen Waisenhäusern nach einem Mädchen, dass ihr irgendwie ähnlich sieht. Natürlich gibt es kein Kind, das sie ersetzen könnte aber als ich dich sah, war ich mir sicher, dass du es bist. Sieh mal, ich werde dir alles geben, was du dir wünschst. Wir haben ein großes Haus mit Garten und sogar einen Hund. Es wird dir an nichts fehlen. Was meinst du?“, fragend blickte sie Reni an, doch diese blickte zu Maggie und sah ganz traurig aus, auch das hatte die Frau gesehen und reagierte sofort.
„Ach ich verstehe, du hast hier deine Freundin und möchtest nicht ohne sie. Hmm, das ist natürlich verständlich. Sieh mal, wie wäre es, wenn du erst mal zu uns kommst und dir alles ansiehst. Wenn es dir dann gefällt, kann deine Freundin dich so oft besuchen, wie sie möchte. Was hältst du davon?“, sie sah Reni erwartungsvoll an.
Diese ruckelte verlegen auf ihrem Sitz hin und her, auch Maggie wurde sich schmerzlich bewusst, dass wieder ein Abschied eines geliebten Menschen bevorstand, aber es war nicht ihr Schicksal. Sie drückte Reni kurz und versuchte zu lächeln, dabei schimmerte eine kleine Träne in ihrem Auge, die sie sogleich fortwischte. Die Frau drückte Maggie dankbar an sich und nahm Reni an die Hand. Stolz marschierten sie den Gang entlang. Die Tür fiel ins Schloss und die restlichen Kinder drückten ihre Nasen an die Scheiben.
Ein greller Blitz durchzog den Hof und ließ die gesamte Limousine erschauern. Auch Maggie rannte zum Fenster und sah noch, wie die Köpfe unter dem Regenschirm ins Auto stiegen. Wieder durchbrach ein Blitz die Schwärze des Himmels und plötzlich durchzuckte Maggie ein Gefühl, dass sie seit Langem nicht mehr so intensiv wahr genommen hatte. Die Angst kroch wieder heraus und ein gellender Schrei unterstützte das Donnern des Gewitters. Alle starrten Maggie an, die mit weit geöffneten Mund da stand und schrie.
„Reni, lass mich nicht allein. Mom, Dad kommt zurück!“, dann erschlaffte der kleine Körper und sank in sich zusammen. Für alle war es ein Schock, da niemand wusste was passiert war, aber für Maggie war es ein Glück gewesen, wie die Ärztin bemerkte, die kurz darauf eintraf. Selbst die Rektorin saß blass da und schlug die Hände zusammen.
„Beruhigen sie sich!“, bat die Ärztin sie und gab ihr ein Beruhigungsmittel.
„Es ist ganz normal, dass ein traumatisiertes Kind einen Schock erleidet und nun, durch eine erneute Trennung eine Art Rückfall hat. Sie hat Blockaden aufgebaut und mit diesem Zusammenbruch hat sich der Knoten gelöst. Ich habe gehört, dass sie auch seit dem Unfall nicht mehr gesprochen hat. Nun, ich hoffe, dass sich dies nun auch aufgelöst hat und sich alles zum Guten wendet. Auch für sie. Ich sehe in den nächsten Tagen noch einmal nach der Kleinen und Ihnen. Einen schönen Abend noch.“ Die Ärztin ging und ließ eine schlafende Maggie und eine halb schlafende Rektorin zurück.
Das Wetter hatte sich einigermaßen gelegt und die Ruhe kehrte wieder ein. An einem nebeligen Morgen läuteten die Türglocken und eine junge Frau kam ins Haus. Sie stellte sich als neue Betreuerin vor, obwohl Frau Schuster immer gleich annahm, die Behörden würden ihr Spione schicken. Nun ja ganz abwegig war dies nicht. Sie war im Auftrag der Stadt und der Ärztin hier. Sie sollte sich um die Gesundheit und Förderung der Kinder kümmern. Was natürlich schwer war. Kaum inspizierte sie das Gebäude, läutete es abermals und ein Bote stand davor mit einem Paket. Die alte Frau, die Maggie am Anfang in den Saal gebracht hatte, Frau Woulstet, nahm es entgegen und stand etwas unschlüssig im Flur. Frau Amkroft, die Neue, ging zielstrebig auf sie zu.
„Ist etwas nicht in Ordnung? Stimmt etwas mit dem Paket nicht?“, sie schnippte Frau Woulstet an und sah auf das Paket. „Oh ich glaube das gehört der kleinen Maggie, die krank war. Ich nehme es gleich mit, ich muss sowieso nach ihr sehen“, flugs packte sie das Paket und ging zur Treppe. Im Hintergrund hörte sie noch Frau Woulstet etwas Unverständliches murmeln.
„Aber wir haben doch noch nie Pakete bekommen, geschweige denn abgegeben“, damit schlurfte sie mit ihren Filzpantoffeln wieder in die Küche, während Frau Amkroft zu Maggie ging. Es war schon einige Tage her, dass das Mädchen diesen Zusammenbruch hatte. Durch die mangelnde Ernährung erholte sie sich nicht ganz so schnell. An diesem Tag ging es ihr aber schon deutlich besser.
„Hallo Maggie ich bin Beatrice Amkroft. Du hast noch geschlafen als ich ankam. Ich bin jetzt hier um ein bisschen Ordnung zu schaffen. Du kannst mich Bea nennen, wenn, du willst. Deine Ärztin hat mir deine Medizin aufgeschrieben, die ich dir geben soll“, sie griff in ihre Schürze und holte eine Flasche mit rotem Saft hervor. Maggie nahm ihn widerstandslos und sah Beatrice an. Sie war eine junge hübsche Frau mit mittlerem blondem Haar und graue Augen. Sie trug einen schwarzen Rock mit weißer Bluse und einer Schürze. Lächelnd sah sie Maggie an.
„Und wie geht es dir heute? Habe gehört du hast einiges durchgemacht? Na lass mal gut sein, wenn du noch nicht mit jemanden reden möchtest, kann ich das verstehen. Wir haben Zeit. Ruh dich erst mal aus! Ach herrje, das hätte ich ja glatt vergessen, da wurde ein Paket für dich abgegeben“, sie eilte zur Tür und holte einen großen Karton, um ihn auf Maggies Seite abzustellen.
„Ach ich bin so herrlich neugierig. Willst du es nicht öffnen?“, sie fingerte verstohlen an dem Klebeband herum und lachte leise, als sie Maggies Gesicht sah.
„Entschuldige, aber ich konnte nicht anders. Meine Finger kribbeln immer wie tausend Ameisen, wenn ich neugierig bin. Ist fast wie Weihnachten.“ Wie Recht sie doch hatte, zeigte sich schnell. Das Mädchen öffnete es und lugte vorsichtig hinein. Drei große Netze mit Orangen lagen darin, zwei Tüten mit saftigen Äpfeln, drei Packungen Kuchen und jede Menge Süßigkeiten. Ganz unten lag ein Brief, adressiert an Maggie. An dem Brief hing eine kleine selbst gebastelte Stoffpuppe und Maggie hing eine kleine Träne im Auge. Frau Amkroft beugte sich zu ihr.
„Ist alles in Ordnung?“, und sah auf den Brief, leise flüsterte Maggie den Namen ihrer Freundin Reni. Es war ein Brief von ihr und sie bat Beatrice, ihn ihr vorzulesen. Diese setzte sich neben Maggie und las vor:
Liebe Maggie,
ich hoffe es geht dir gut. Ich muss sagen, hier ist ganz schön was los. Alle sorgen sich um einen. Das solltest du mal sehen. Nicht einmal Niesen kann man hier, ohne dass dir gleich ein Diener ein Taschentuch unter die Nase reibt. Und das Zimmer solltest du mal sehen. Ich sag dir, ein Palast und jede Menge Spielsachen, natürlich nur das Feinste. Kleider, so viel du willst und Essen satt, zudem ist es hier kuschelig warm. Die haben in jedem Zimmer einen Kamin und der brennt immer. Nebenan haben die Ställe und so viele Pferde. Eins gehört sogar mir. Na, ob ich je reiten werde, abwarten! Sogar die Hunde haben ein eigenes Zimmer. Ziemlich durchgeknallt, aber echt cool. Tja leider komme ich hier auch nicht viel raus, aber die geben sich echt viel Mühe. Neulich haben sie sogar eine Willkommensparty veranstaltet, mit Clown, Zirkusartisten und jede Menge Kinder. Eins ist aus der Nachbarschaft, das regelmäßig kommt. Ist eigentlich ganz in Ordnung, eben noch gewöhnungsbedürftig. Ich habe dir ein Paket geschickt und hoffe Frau Schuster behält es nicht. Na ja, wie du siehst geht es mir gut und ich denke ich habe ein gutes Gefühl bei der Familie. Sie wollen dich bald einladen, aber vorher haben wir noch eine Überraschung für euch. Ich hoffe sie gelingt. So, schreib mir bald zurück und lass dich nicht unterkriegen.
Reni
„Puuh, diese Reni scheint das große Los gezogen zu haben. Ich habe schon einmal von den Baltons gehört. Eine sehr wohlhabende Familie mit Schlossbesitz. Nicht schlecht. Was sie wohl meinte mit der Überraschung?“, auch Maggie wunderte sich, doch sie konnten nur abwarten. Unterdessen teilten sie das Obst und die Süßigkeiten unter den Kindern auf und erstaunlich schnell ging es Maggie von Tag zu Tag besser.
Die Tage vergingen und Maggie verstand sich immer besser mit Frau Amkroft, sie wurde sogar eine ihrer Vertrauten. Seit dem Brief von Reni waren nun schon drei Wochen vergangen, doch von der angeblichen Überraschung war noch nichts zu sehen. Bis eines Tages die Glocke läutete und ein Mann mit einem blauen Overall vor der Tür stand. Frau Woulstet rannte natürlich sofort zu Frau Schuster und diese vermutete schon das Schlimmste. Händeringend stapfte sie durch den Raum und zog vorsichtshalber alle Vorhänge zu.
„Spione!“, murmelte sie und schloss sämtliche Schränke zu. Frau Amkroft kam gerade dazu und nahm die Sache in die Hand. Der Mann stellte sich als Handwerker vor und reichte ihr einen Brief. „Oh, sehen Sie doch, es ist ein Brief von den Baltons. Sie schreiben uns, dass sie so glücklich über die Adoption von Reni sind und dass sie uns was Gutes gönnen wollen. Sie schicken uns einen Handwerker, der die Rohre repariert, damit wir wieder warmes Wasser haben und eine funktionierende Heizung. In einer Woche sollen auch noch Architekten kommen, um die Schwachstellen des Hauses zu überprüfen und einen neuen Spielplatz zu bauen. Dass es so etwas noch gibt, hätte ich nie für möglich gehalten. Was meinen Sie?“, fragend sah Beatrice Frau Schuster an. Diese saß allmählich wieder entspannt auf ihrem Stuhl und schüttelte ungläubig den Kopf.
Frau Woulstet dagegen wurde ganz blass und glaubte an ein Wunder. Die Wochen danach wurden ziemlich turbulent. Überall wo die Kinder hingingen, waren Handwerker und alles staubte und polterte.
Die Herbstmonate gingen dahin und ein eisiger Wind war wieder zu spüren. Nicht lange und die Landschaft verwandelte sich in eine weiße Pracht. Gerade rechtzeitig wurden die Rohre fertig und es wurde behaglich warm im Haus. Alles war in Winterweihnachtsstimmung. Es wurde gebastelt, gesungen und gebacken. Noch bevor Frau Amkroft da war, wurde diese Tradition selten ausgeübt. Zuviel Kitsch und unnötige Kosten fand Frau Schuster, doch diesmal, mit den Geschenken von den Baltons, verwandelte selbst sie sich in eine Art Hilfsengel. Sie war kaum wiederzuerkennen. Auch in Maggie ging eine seltsame Wandlung vor. Erst dachte sie es läge nur an diesen dunklen Tagen, doch sie wusste auch früher waren die Tage dunkel und kalt. Frau Amkroft kam eines Tages zu ihr und sprach sie an.
„Maggie, geht es dir nicht gut? Ich merke schon lange, dass irgendetwas nicht mit dir stimmt. Fehlt dir etwas? Wenn es etwas gibt, was dich bedrückt, kannst du jederzeit zu mir kommen.“ Doch Maggie schüttelte den Kopf. Nach etwa drei Tagen, es war schon dunkel und alle schliefen, da klopfte es an Frau Amkrofts Tür. Ein kleiner schweißgebadeter Kopf lugte durch die Tür.
„Du meine Güte Maggie, ist dir nicht gut? Komm rein und setz dich. Was ist den passiert?“ Beatrice hüllte Maggie in eine Decke und gab ihr ein Glas Wasser. Etwas zittrig trank das Mädchen und fing langsam an zu erzählen.
„Ich weiß nicht recht, wo ich anfangen soll. Also irgendwie fing es ja damit an, als Reni wegging. Ich weiß es hat bestimmt damit zu tun, aber in letzter Zeit wurde es immer schlimmer.“
Das Mädchen rutschte immer tiefer in den Sessel und umhüllte ihre Schultern mit der Decke. Beatrice konnte sich keinen Reim darauf machen und setzte sich neben sie.
„Also, Maggie was ist den so schlimm geworden? Du kannst es mir ruhig sagen, ich will versuchen dir zu helfen.“ Maggie saß nun ruhiger da und sah Beatrice nur aus den Augenwinkeln an. Sicher dachte sie, was ein kleines Mädchen schon für Probleme haben konnte, aber sie nahm trotzdem ihren Mut zusammen.
„Also gut, wie gesagt es fing damit an als Reni wegging. Ich lag abends in meinem Bett und plötzlich traten immer Bilder vor meinem Auge auf. Sie wissen schon, wie in einem Kino das zu schnell läuft. Erst habe ich mir dabei nichts gedacht, doch ein paar Tage später fing es wieder an und es kam immer wieder. Ich konnte die Bilder nie einordnen. Alles war so wirr. Erst dachte ich ja auch es wären die ganzen Ereignisse, die sich jetzt in meinem Kopf freimachten, doch irgendwann wurden die Bilder sichtbarer. Immer wieder sah ich Reni und die schwarze Limousine, dann Schnee und plötzlich...“, sie stockte und atmete einmal tief durch, bevor sie weitersprach.
„Viel Blut. Sie war tot. Ich habe ihre Leiche gesehen, wie sie da in der Böschung lag. Ich weiß es sollte eigentlich nur ein Traum sein, aber es war so real. Bin ich verrückt?“, sie schaute Beatrice ängstlich an und diese nahm sie in den Arm.
„Oh Kind, sicher sind diese Bilder grausam, aber das Einzige, wie ich mir das erklären kann, ist, dass du deine verdrängten Ereignisse erst jetzt anfängst zu verarbeiten. Schau mal, das mit deinen Eltern war sehr traumatisch, für dich und du hast es lange Zeit verdrängt und jetzt als Reni ging, bekommt dein Unterbewusstsein wieder, na ja sagen wir mal einen klaren Kopf, und will sich reinwaschen. Du wirst sehen, in ein paar Tagen ist alles nur ein böser Traum gewesen. Hier, ich gebe dir ein paar Tropfen davon, das sind nur pflanzliche Arzneien, aber die werden dir helfen darüber weg zu kommen. So, nun leg dich schlafen und du wirst sehen alles wird gut.“
Niedergeschlagen beugte sich Maggie der Betreuerin und trottete in ihr Bett. Beatrice dagegen lief unruhig in ihrem Zimmer auf und ab.
Sie machte sich schon Sorgen um das Mädchen. Kurz entschlossen wollte sie sich die Akten von ihr geben lassen, womit sie bei Frau Schuster auf taube Ohren stieß. Beatrice wusste aber sich durchzusetzen. Gleich morgen früh wollte sie sich die Unterlagen holen. Die Nacht war allerdings schon spät und so musste sie die Dinge bis zum nächsten Tag ruhen lassen.
Seltsame Enthüllungen
Rätselhaftes Schicksal
Eiskalter Hauch
Erkundungen
Schwere Stunden
Spuren
Rätselhafte Vergangenheit
Entdeckt
Das geheime Zimmer
In der Falle
Böses Erwachen
Licht im Dunkeln
Der Plan
Die Höhle der Löwin
Auf der Flucht
Grimston
Alex
Vergeltung
Abschied
Über die Autorin
Die Welt im Kristall
Anfang
Ereignisse
Auszug aus ; Vermächtnis der Rache. Ein Mittelalterroman im 16.Jahrhundert. Mord, Intrige und natürlich Liebe.
Timmy Tapse Ein heiterer Roman für die ganze Familie
Über das Buch
Die Abenteuer des kleinen Gregory
Dracos Ausflug
Maggie erwachte wie gerädert. Wirres Zeug umlagerte ihre Gedanken und ihr Kopf schmerzte. So richtig schienen die Tropfen von Frau Amkroft nicht gewirkt zu haben. Sicher, sie hatte nicht mehr so intensiv geträumt, aber einmal, mitten in der Nacht, hatte sie lauthals eine Sirene heulen gehört und gemeint sie käme direkt von nebenan, doch da war nichts. Richtig flau war ihr im Magen und sie konnte sich nicht erklären warum. Auch eine innere tiefe Traurigkeit überkam sie. Vielleicht hatte Beatrice doch recht und alles führte zu dem Unfall zurück.
Während alle schon am Tisch saßen, nahm sich Maggie nur einen Tee und verschwand wieder auf ihr Zimmer. Der Schnee glitzerte in tausend schönen Farben. Auf seine Weise verwandelte er die Landschaft in etwas Magisches von unvollendeter Schönheit, aber auch gefährlich. In der Nacht hatte es leicht angefangen zu nieseln und alles gefror in Blitzeis. Sämtliche Eiskristalle spiegelten sich am Fenster. Maggie fror leicht bei dem Anblick und wunderte sich, dass der Postbote den Weg auch heute machte. Vielleicht ist ein Brief von Reni dabei, dachte Maggie und bekam sofort eine Gänsehaut. Sie musste sogar leicht würgen als sie noch ein Schluck Tee nahm und stellte ihn gleich weg. Sie beschloss sich langsam anzuziehen und sich einen Zwieback zu holen.
Auch Beatrice war auf dem Weg nach unten. Sie wollte sich die Unterlagen von Maggie holen, als sie den Postboten stapfen hörte. Die schwere Tür ging auf und eine eisige Böe fegte ins Haus.
Maggie war gerade auf der Treppe als Beatrice den Brief entgegen nahm. Sie schaute zu ihr und merkte, wie blass Maggie plötzlich wurde. Sie fasste sich an die Brust und stöhnte laut, dann knickten ihre Beine weg und sie setzte sich auf die Treppe, sie zeigte auf den Brief und lautlose Tränen rannen ihr Gesicht herab. Gerade wollte Beatrice ihr entgegen eilen, als ihr Blick auf die Zeilen des Briefes fiel. Es war nicht so die Schrift, die sie aufmerksam machte, es war eher das Zeichen darauf. Ein großes schwarzes Kreuz zierte den Umschlag und der Name der Baltons stand darauf. Beatrice Finger zitterte, als sie den Brief öffnete und sie noch die letzten Zeilen las.
„... müssen wir Ihnen mit Bedauern mitteilen, dass Verena Balton, bei einem tragischen Unfall ums Leben kam.“ Frau Amkroft stockte der Atem und auch sie musste sich festhalten. Das konnte doch nicht sein, sie schaute zu Maggie und ging langsam auf sie zu.
„Wie, ... du konntest doch nicht ahnen. Um Himmelswillen Maggie was ist passiert?“, sie setzte sich neben das Mädchen und schüttelte nur den Kopf.
Die ganze Schule war schockiert von Renis Tod zu erfahren, aber niemand wusste von Maggies Visionen. Auch diese Tage vergingen in stiller Trauer. Niemand wagte ein Wort darüber zu verlieren, bis Frau Amkroft eines Tages die Zeitung liest und darin einen Artikel findet indem steht wie sich der Unfall ereignete. Darin hieß es das eine schwarze Limousine, die der Baltons, auf den Weg zu einem Waisenhaus gewesen sei, mit einem ehemaligen Waisenkind, Verena, die ihre Freundin überraschen wollte. Bei dem plötzlichen Blitzeis, kam der Wagen ins Schleudern und schlitterte direkt in eine Böschung. Das Mädchen starb noch an der Unfallstelle, während der Fahrer im Krankenhaus starb. Verblüfft lässt Beatrice die Zeitung fallen und beschließt sich jetzt erst recht die Akten zu holen, die Maggie betrafen. Natürlich war Frau Schuster nicht einverstanden.
„Sie haben doch gar kein Recht auf die Akten. Sie sind doch nur für die Betreuung zuständig und die Akten der Kinder gehen Sie gar nichts an“, empörte sie sich und stellt sich demonstrativ vor den Schrank. Frau Amkroft kommt ganz nahe auf sie zu und beugt sich zu ihr rüber. Im scharfen, aber leisen Ton sagt sie: „Wenn Sie keinen Ärger mit der Behörde haben wollen, rate ich Ihnen mir die Unterlagen zu geben, ansonsten wäre ich gezwungen einiges über dieses ehrenwerte Haus an die Presse zu geben. Und glauben Sie mir, was da ans Tageslicht kommt, wird Ihnen nicht gefallen. Also, wenn ich bitten dürfte“, sie hielt ihr die Hand hin und sah noch leichte Schweißperlen auf der Stirn der Rektorin. Die Drohung hatte wohl gewirkt. Zitternd schloss sie auf und gab ihr die Unterlagen von Maggie. Beatrice nahm sie mit auf ihr Zimmer. Sie wusste, dass es eventuell Konsequenzen haben würde, aber das war es ihr wert.
Es dauerte nicht lange, bis sie die Akten durchblätterte, doch bei jedem Blatt wurde sie stutziger. Sie blätterte und blätterte, ganz so als würde sie noch ein Blatt suchen. Forschen Schrittes ging sie zu Frau Woulstet. Diese stand gerade in der Küche und schälte Kartoffeln. Beatrice wusste, wenn irgendetwas hier vorging, dann wusste Margret Woulstet es als erste. Sicher, sie war etwas verschwiegen, aber mit Pralinen erreichte man bei ihr fast alles. Also beschloss Beatrice sie ein wenig auszuhorchen. Als Vorwand gab sie an, dass sie noch etwas Kaffee bräuchte, damit ihr diese köstlichen Pralinen auch besser schmeckten.
„Sie haben doch sicher nichts dagegen, wenn ich den Kaffee hier trinke. Es ist immer so öde alleine zu trinken“, dabei schob sie wie zufällig die Schachtel zu Margret. Diese lugte ganz verstohlen auf die süße Verführung.
„Oh Entschuldigung, wo sind nur meine Manieren? Möchten Sie auch welche, braucht ja niemand wissen“, sie zwinkerte Margret zu und diese wischte sich flugs die Finger an der Schürze ab, dann setzte sie sich verlegen an den Küchentisch und genoss es die Schokolade schmelzen zu lassen. Das Feuer am Herd brodelte vor sich hin und die angefangenen Kartoffeln lagen auf dem Tisch. Leise klackerte die Uhr über dem Waschtisch und ein leises Schmatzen unterstrich die Ruhe. Jetzt oder nie, dachte Beatrice.
„Mmmh, sag mal Margret kannst du dir vorstellen, dass Helena manchmal Akten vernichtet? Ich meine von den Kindern, oder sie versteckt?“, Margret kaute genüsslich auf einer Karamellpraline und schnalzte mit der Zunge um die Karamelle aus den Zähnen zu bekommen.
„Helena nein, die würde niemals etwas weg tun. Dafür hat sie viel zu viel Angst. Nein, alles wird akribisch geordnet. Würde jemals etwas weg kommen, wäre hier die Hölle los. Isst du die Braune mit dem Trüffel noch?“, Beatrice schüttelte den Kopf. Also wurde bei der Behörde ein Fehler begangen, oder wollte jemand etwas vertuschen? Eine richtige Hilfe war Margret zwar nicht aber immerhin konnte sie Frau Schuster nun ausschließen. Sie musste zu der Behörde. Beatrice ließ Margret mit einem Lächeln zurück und schnappte sich gleich ihren Mantel.
Der Schnee hatte angefangen zu tauen und alles war matschig und rutschig, doch Beatrice fuhr ihrem Ziel entgegen. Wo sollte sie anfangen? In der Behördenstelle würde man ihr keinen Aktenbeweis vorlegen dürfen, also musste sie zum Anfang. Das Krankenhaus! In dieser Stadt gab es nur zwei Krankenhäuser. Eines lag direkt neben der Bücherei und das andere lag ziemlich weit draußen vor der Stadt. Sie hoffte, dass es die in der Stadt sei, denn im Anbetracht des Wetters fuhr sie nicht so gerne weite Strecken.
Am Krankenhaus angekommen gab sie sich als Frau Schuster aus und wollte den behandelten Arzt sprechen, der damals Maggie behandelte. Prompt kam dieser und war natürlich wieder in Eile.
„Sie wollen wissen, was das Kind hatte? Nun, nur kleine Abschürfungen, nichts Besonderes. Warum fragen Sie?“, doch Beatrice wollte von ihm wissen, wo sich ihre Eltern damals befanden, da diese nirgendwo ausfindig zu machen sind, doch der Arzt meinte nur knapp, dass sie schon am Anfang ein Waisenkind gewesen sei und deshalb auch kein Platz für sie da war.
Niedergeschlagen verließ Beatrice die Klinik. Irgendetwas musste es doch von ihren Eltern geben. Natürlich fiel es ihr ein, der Friedhof. Was genau sie da heraus finden wollte, wusste sie auch nicht, aber es war ein Anhaltspunkt. Auch für diese Fahrt brauchte sie etwas länger. Der Friedhof lag kurz vor Ende der Stadt. Er war nicht recht groß und es gab nur eine kleine Kapelle, aber für eine Stadt wie diese reichte es. Es war menschenleer hier. Es wunderte Beatrice nicht, schließlich brauchten die Gräber keine Pflege im Winter. Sie schlenderte die Wege entlang und prägte sich jeden Namen ein an dem sie vorüberkam. Viele Gräber waren zahlreich verziert und dekoriert mit großen Grabsteinen. In der hintersten Reihe lagen die Gräber mit weniger pompösen Steinen. Hier zählten nur schlichte, einfache Gräber. Es waren nur sechs. Am vorletzten blieb sie stehen und las den Namen laut vor.
„Hanson. Du meine Güte, das sind sie“, und kniete sich davor. Das also sind Maggies Eltern. Es war ein so kleines Grab, fand sie, aber sicherlich lag es daran, dass sie bei dem Unfall verbrannt wurden.
„Ein schlimmes Schicksal“, eine Stimme hinter ihr ließ sie zusammenzucken.
„Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich bin der Pfarrer und sehe manchmal nach dem Rechten. Sie interessieren sich für die Hansons? Furchtbar so eine Tragödie.“ Beatrice nickte.
„Ja nicht wahr. Dabei war ihre Tochter noch nicht einmal bei der Beerdigung. Naja, ist ja auch nicht so einfach ihr zu erklären, dass ihre Eltern nur noch ein Haufen Asche sind. Es war sehr anständig zu warten, bis die Frau von dem Krankenhaus freigegeben wurde. Ich habe gehört sie starb erst dort.“ Der Pfarrer sah sie erstaunt an.
„Tochter? Die Hansons hatten keine Tochter und die Frau ist an Ort und Stelle verbrannt. Der Unfall war so groß, dass die beiden dort verbrannten. Hier ist nur ein Gedenkstein, keine Toten. Ich fürchte Sie haben das falsche Grab“, er tätschelte sie und ging schmunzelnd weg. Jetzt war auch Beatrice völlig daneben. Was hatte das alles zu bedeuten? Wie konnte eine so kleine Person so viele Fragen aufwerfen? Es wurde immer merkwürdiger. In einem Gespräch, das sie vor einiger Zeit mit Maggie hatte, erinnerte sie sich, wie Maggie ihr einmal die Straße nannte, wo sie einst gelebt hat. Mit ein wenig Hoffnung machte sie sich erneut auf den Weg. Das alles ergab doch keinen Sinn, dachte sie. Noch während sie nachdachte, stand sie auch schon in der vermeintlichen Straße, doch eines fehlte, das Haus.
Überall türmten sich kleine Häuser auf und plötzlich, mitten drin klaffte ein Loch. Keine Mauern oder Ähnliches deuteten darauf hin, dass dort einst ein Haus stand. Beatrice schaute ungläubig. Die Dinge wurden immer mysteriöser. Zwei Häuser weiter kam gerade eine alte Frau heim. Beatrice lief ihr entgegen.
„Entschuldigen Sie, können Sie mir vielleicht sagen, was mit dem Haus passiert ist, welches hier stand?“, etwas erschrocken, über den plötzlichen Überfall schüttelte die Frau nur den Kopf.
„Ein Haus? Junge Frau, ich bin siebenundachtzig Jahre alt und wohne seit fünfzig Jahren in diesem Haus, aber hier hat seit, pööh, zwanzig Jahren schon kein Haus mehr gestanden. Hier gab es vor zwanzig Jahren nur einen kleinen Tante Emma Laden und der brannte damals ab. Wieso wollen Sie das wissen? Haben Sie Interesse an dem Grundstück?“, Beatrice aber schüttelte nur den Kopf. Das konnte doch unmöglich sein. Ein Kind ohne Herkunft.
Irgendetwas Merkwürdiges ging hier vor. Als sie in ihr Auto stieg, sah sie gerade noch, wie sich eine Gardine in dem Haus der alten Dame bewegte und ein Mann verschwand schnell, zu schnell, wie Beatrice meinte, hinter dem Fenster. Sollte sie damit Maggie behelligen? Sie wusste es nicht. Momentan glaubte sie nicht daran, dass die Elfjährige es verkraften würde, oder aber sie wusste vielleicht doch mehr als sie zugab. Beatrice sah auf die Uhr und erschrak wie lange sie doch schon unterwegs war. Es wurde höchste Zeit zurückzufahren. Allmählich begann die Dämmerung und von Weitem sah sie schon die Lichter des großen Gebäudes. Sie fuhr in die Einfahrt und stellte erstaunt fest, dass sie Besuch hatten. Heute war doch aber kein Besuchstag mehr, dachte sie und beeilte sich um ins Haus zu kommen. Kaum im Flur drin kam ihr auch schon schluchzend Frau Woulstet entgegen und auf die Frage, was den passiert sei, brach sie erneut in Tränen aus. Aus dem Arbeitszimmer von Frau Schuster vernahm sie zwei männliche Stimmen. Die schwere Tür ging auf und Frau Schuster bat sie herein.
„Beatrice Amkroft, dies sind Herren von der Aufsichtsbehörde. Ihnen ist zu Ohren gekommen, weiß der Himmel von wem, dass sie ihre Kompetenzen überschritten haben. Die Herren werden Sie begleiten und Sie seien so gut und geben alles zu Protokoll. Sie werden sicher verstehen, dass ich so ein Verhalten hier nicht dulden kann. Der gute Ruf des Hauses steht auf dem Spiel. Sie verstehen?“, dabei lachte sie verlegen und flüsterte ihr kaum merklich ins Ohr.
„Sie sehen, Ihre Drohungen haben den Falschen erwischt.
Bekanntlich geht der Schuss ja nach hinten los“, dann sprach sie etwas lauter.
„Ich wünsche Ihnen trotzdem alles Gute. Packen Sie bitte Ihre Sachen und verlassen Sie umgehend mein Haus. Guten Tag!“, damit verschwand Frau Schuster in ihr Zimmer. Völlig verblüfft sah Beatrice die Männer an, die ziemlich ungeduldig waren und sie drängten, sich zu beeilen. In ihrem Zimmer packte Beatrice ihre Sachen. Sie musste noch einmal mit Maggie reden. Sie konnte doch nicht so heimlich verschwinden, ohne ihr Lebewohl zu sagen. Sicher würden die Männer es ihr nicht erlauben. Es musste einen anderen Weg geben. Ihr Blick fiel auf eine Schachtel Pralinen, Margret! Das war es, sie schrieb in aller Eile einen Brief und steckte ihn zwischen die Schachtel. Dann klopfte es auch schon.
„Sind Sie endlich fertig? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit“, grunzte einer der Männer, doch Beatrice stand schon parat. Von oben sah sie Margret stehen und schaute die Männer an.
„Dürfte ich mich wohl von meiner Kollegin verabschieden? Bitte, es dauert nur eine Sekunde“, unschuldig mit charmanten Lächeln blickte sie die beiden an. Diese nickten nur und Beatrice ging zitternd zu der schniefenden Margret hin.
„Ach Margret seien Sie nicht traurig, es wird schon gut gehen. Tun Sie mir einen Gefallen! Kümmern Sie sich etwas um Maggie, sie wird ziemlich bedrückt sein. Hier ist noch eine Schachtel meiner Lieblingssorte. Geben Sie vor allem Maggie eine davon ab. Bitte!“, dabei sah sie Margret flehend an. Ob sie den Wink verstanden hatte? Verdutzt sah die ältere Frau sie an und nahm ihre Schachtel mit in die Küche.
Draußen am Wagen sah Beatrice noch nach oben zu den Fenstern.
Nein, Maggie stand nicht dort. Vielleicht hatte sie ja nur Vorahnungen, was den Tod betraf, vielleicht war alles auch nur ein dummer Zufall. Auf jedem Fall wollte sie die Sache weiter verfolgen, wenn dies hier zu Ende war. Noch einmal sah sie zum Fenster, war da nicht ein leichtes Klopfen gewesen, ja richtig, da stand Maggie und winkte mit Tränen in den Augen und doch lächelte sie etwas. Sie würde Mut brauchen, das wusste Beatrice und sie flüsterte leise zu ihr hoch.
„Ich werde dich nicht vergessen. Niemals!“, dann fuhr der Wagen los. Nur noch die roten Lichter des Autos verirrten sich in der Dunkelheit.
Mittlerweile in der Küche schnäuzte Margret in ihr Taschentuch und verfluchte sich bei jedem Schritt.
„Verdammt, wie konnte ich das nur tun. Hätte ich Helena doch nichts von dem Gespräch erzählt. Verdammt sei ich und verdammt sei meine Pralinensucht!“, ihr Blick richtete sich auf die Schachtel von Beatrice. Sie war so wütend, dass sie diese nahm und wütend ins Feuer schleuderte. Erst jetzt bemerkte sie den Zettel, der aus der Packung fiel, doch es war zu spät. Sie konnte nur noch den Namen Maggie entziffern, bevor alles von den lodernden Flammen verschlungen wurde.
Die Tage vergingen wie im Flug. Der Winter hatte seine raue Seite hinter sich gelassen und einen Mix aus Sonne, Regen und Matsch freigegeben. Der Wind fegte noch immer eisig um die Häuser, doch manche Gestalt traute sich schon wieder auf die Straße. Weiter vorne, am Anfang der Stadt wanderte in einem kleinen Appartement eine Person wütend hin und her.
„Das kann doch einfach nicht sein. Jede Behörde stellt sich auf stur und hat angeblich Befehl von ganz oben erhalten mir keine Auskunft zu erteilen. Das ist doch zum verrückt werden.“ Beatrice Amkroft stapfte wütend mit dem Fuß gegen den Tisch und eine andere Person, ihr Verlobter George, rekelte sich auf dem Sofa.
„Ach Liebes, meinst du nicht, dass sie ihre Gründe haben? Du hast doch gesehen, überall eckst du an und bekommst keine Auskunft.
Gib sie endlich auf. Dem Mädchen geht es sicher gut. Vielleicht lässt du erst mal Gras über die Sache wachsen. Wie wäre es mit ein bisschen Tapetenwechsel, soll bekanntlich ja helfen“, er blickte sie mit treuen Hundeblick an und irgendwie, dass wusste sie, hatte er ja recht. Auch wenn Beatrice nicht ganz überzeugt war, so war es sicherlich besser, als wenn sie gegen Windmühlen kämpfte. Es war schließlich nur eine kleine Stadt und jeder, kannte jeden, so wusste auch jeder was der andere machte. Das hieß, wenn es in der Zwischenzeit noch eine Adoption gab, so wussten alle davon und Beatrice würde es auf jedem Fall mitbekommen. Einmal, als sie beim Metzger war, hörte sie die Leute reden.
„Hast du es auch gehört, das Erbe der Baltons soll ja an ein Mädchen aus dem Waisenhaus gegangen sein. Wie hieß sie noch gleich … Oh, guten Tag Frau Amkroft.“ Die Frau drehte sich abrupt weg und nahm ihr Fleisch ehe Beatrice nachfragen konnte. Irgendwie benahmen sich alle ziemlich merkwürdig, fand sie. George hatte recht, es war besser einmal abzuschalten danach hatte sich vielleicht alles beruhigt und dann konnte sie weiterforschen. Zum Glück war George unabhängig was seinen Job betraf und so konnten sie sich eine kleine Auszeit gönnen. Mit etwas Ersparten planten sie eine lange Reise quer durch die Welt, was natürlich auch im Sinne von George war. Er war Fotograf und immer auf der Suche nach dem geeigneten Motiv. Mit dieser Reise hatte er alles verbunden.
Es war eine lange Reise und Beatrice vergaß allmählich das Waisenhaus und die ganze Situation. Sie fuhren quer durch die Welt und sahen wunderbare Dinge. Am Anfang ihrer Reise schrieb Beatrice fast jede Woche einen Brief an Maggie und schickte Fotos aus aller Welt mit, doch nach kurzer Zeit ließen die Briefe nach und schließlich schrieb sie gar nicht mehr. Die Faszination der neuen Dinge war zu groß und sie wusste Maggie hätte bestimmt Verständnis dafür. Wer weiß, vielleicht hatte sie ja schon eine liebe Familie gefunden.
Es dauerte drei Monate ehe Beatrice und George wiederkamen. Der Winter packte sie mit einem herzlichen, aber eisigen Empfang wieder. Überall wurde schon das Weihnachtsgeschäft eingeläutet, was auch einer der Gründe war, warum Beatrice wieder nach Hause wollte. Weihnachten zu Hause feiern war etwas Besonderes, fand sie. Auch George war wieder froh. Der Fotograf sah ziemlich geschafft aus und sein Bartwuchs ließ zu wünschen übrig. Die braunen, kurzen Haare hingen ihm wirr im Gesicht herum und er beschloss erst einmal eine Dusche und eine gründliche Rasur vorzunehmen. Gesagt, getan. Beatrice schleuderte indes ihre Schuhe in die Ecke und zog sich bequeme Kleidung an. Kaum saß sie im Sessel, als es an der Tür klingelte.
„Entschuldigen Sie die Störung, aber ich sah Sie von Weitem in das Haus gehen. Frau Amkroft nehme ich an?“, und Beatrice nickte stumm.“ Es tut mir leid, dass ich Sie überfalle, aber ich habe gerade meine letzte Tour hinter mir und wollte Ihnen die hier schon lange zustellen, ich dachte Sie seien Ihnen wichtig“, damit drückte er Beatrice einen Packen Briefe in die Hand und von hinten sah sie, dass es der Postbote war, der Feierabend machte. Völlig perplex sah sie sich die Briefe an. Es waren Dutzende und auch George staunte nicht schlecht, als er aus der Dusche kam.
„Donnerwetter hätte nie gedacht, dass wir so viel Fanpost haben. Wir hatten doch eigentlich jedem Bescheid gesagt“, und George packte sich einen Stapel.
„Maggie Hanson, Maggie Hanson, Maggie Hanson, uups“, unschuldig schaute er Beatrice an und diese bekam eine blasse Gesichtsfarbe. Sie schleuderte die Briefe gegen den Kamin und Tränen kullerten herunter. Sie ballte die Fäuste.
„Ja Himmeldonnerwetter, was hat das zu bedeuten? Die Briefe sind nie angekommen, oder jemand hat sie ihr verweigert. Also ist alles beim Alten geblieben. Es tut mir Leid George, aber du musst verstehen, dass ich das nicht auf mir sitzen lassen kann.“ Noch bevor George Einwände erheben konnte, knallte die Tür auch schon ins Schloss und er hörte zwei quietschende Reifen davon brausen.
Beatrice war so wütend, dass sie gar nicht bemerkte, wie leer die Straßen waren und ein Schneesturm um sie herum tobte. Erst eine heftige Schneeböe, die sie fast von der Straße abbrachte, ließ sie aufhorchen und sie zitterte am ganzen Laib. Fröstelnd drehte sie die Heizung auf und musste die Scheiben frei wischen. Es war stockduster und sie fuhr und fuhr.
„Verdammt!“, fluchte Beatrice und knallte mit der Hand aufs Lenkrad.
„Hier muss doch das Haus sein. Nicht einmal Licht kann man bei diesem Schneetreiben sehen“, murmelte sie vor sich hin. Nach etlichen Kurven blieb Beatrice stehen und kurbelte das Fenster runter. Der Eisregen klatschte ihr mit voller Wucht entgegen, dass es ihr den Atem nahm, doch sie gab sich nicht geschlagen. Sie schnappte sich ihre Jacke und stieg aus. Ein Kläffen ließ sie rückwärts taumeln und ein Mann mit einem tief heruntergezogenen Hut schlurfte mit seinem Hund an ihr vorbei. Er murmelte leise etwas wie ´tschuldigung, als Beatrice sich entsann, was sie eigentlich hier wollte.
„Hallo. Entschuldigen Sie, aber können Sie mir vielleicht helfen. Ich bin auf der Suche nach einem Waisenhaus, das hier einmal war?“, verwirrt und vor Kälte bibbernd blieb der Mann stehen und grinste sie leicht an, als sei sie Irre.
„Junge Frau, können Sie denn nicht gucken? Sie stehen genau davor.
Da hinten, hinter dem Eichenbaum ist der Eingang. Bruno komm!“, damit war der Fremde auch schon verschwunden. Beatrice blinzelte zwischen den verschneiten Augen und sah eine riesige Eiche. So schnell sie konnte ging sie darauf zu. Komisch, dachte sie, keine Lichter waren an, sogar das Tor stand offen. Sicher war Frau Schuster wieder zu geizig und sparte Licht und das Tor konnte sie wohl auch nicht mehr bezahlen, das war typisch für sie, dachte Bea.
Sie hatte ja nichts Gutes erwartet und das Frau Schuster knapp bei Kasse war, wusste sie, aber was sie hier sah, sprengte all ihre Vorstellungskraft. Der Bodenbelag erinnerte nicht einmal mehr an eine Auffahrt und die Tore waren teilweise aus ihrer Verankerung gerissen. Je näher sie dem Gebäude kam, desto mehr schnürte es ihr die Kehle zu. Als sie Treppe zum Gebäude betrat, konnte sie das ganze Desaster sehen. Eingeschlagene Fenster, rissige Wände und halb verfallendes Gemäuer. Entsetzen brachte sie zum Weinen und sie schluchzte hemmungslos vor sich hin. Was war passiert? Wo waren all die Kinder hin? Wo war Maggie? Langsam machte sich die Wut wieder breit. Sicherlich war Frau Schuster so pleite gewesen, dass sie alle in ein anderes Haus bringen musste. Oh diese Person, dachte sie und stapfte wieder in Richtung Auto. Plötzlich ließ ein lautes Klirren sie erschaudern. Waren da Ratten, oder sogar Diebe? Vorsichtig versuchte sie in die Richtung zu blicken. Sie kniff die Augen zusammen, konnte aber nichts sehen. Ein leises Hüsteln erschreckte sie und sie sah eine verwahrloste Gestalt in einem zerschlissenen Mantel und Hut herumwerkeln. Ein Obdachloser hatte hier sein Quartier gefunden. Erleichtert atmete sie auf und sie wollte gerade weitergehen, als der Mann sie anhielt.
„Ach Madam, hamse nicht ein paar Geldstücke für mich? Ist verdammt kalt“, er hielt ihr die Hand hin, die mit Schmutz übersät war und seine verfaulten Zähne blitzten ihr entgegen. Eigentlich sollte man solchen Kreaturen ja kein Geld geben, aber vor lauter Erleichterung packte sie in ihre Tasche und zog ein paar Geldstücke heraus. Sie gab sie ihm in die Hand, als dieser sie packte.
„Gehen Sie zum alten Pfarrer der Gemeinde. Pfarrer Noolen, ist nicht mehr der Jüngste, aber er weiß Bescheid“, dabei drehte er vorsichtig den Kopf in Richtung des Hauses und ließ die völlig verängstigte Beatrice los. Ehe sie sich wieder fassen konnte, war der Mann verschwunden und sie machte, dass sie zum Auto kam. Trotz der Kälte schwitzte sie so sehr, dass sie sich ihre Jacke auszog. Beim Anlassen des Motors zitterten ihre Finger und sie fragte sich, was der Mann damit sagen wollte. Es ergab keinen Sinn. Sie fuhr direkt nach Hause und erzählte George davon.
„Himmel Bea, was hast du dir dabei gedacht. Dir hätte sonst was passieren können!“, regte er sich auf, dann eilte er in die Küche und machte ihr erst einmal einen Tee. Nachdem sie etwas aufgewärmt war, wurde auch George ruhiger und er überlegte.
„Noolen? Hmm, irgendwie kommt mir der Name bekannt vor. Wart mal!“, er zog in sein Arbeitszimmer und kramte in alten Kisten. Es klapperte und polterte, dann kam ein `Ha, wusste ich’s doch´, und ein triumphierender George kam zurück mit einem Stapel alter Fotos.
„Hier, die habe ich noch aus den alten Unterlagen der Bücherei.
Mein Lehrer meinte damals, ich solle mir alte Porträtfotos ansehen und daraus lernen. Du weißt schon, Mimik, Ausdruck und so. Er erzählte mir was ein Gesicht aus einem macht, wenn man Jahrelang Psychopfarrer war. Hier, das ist Pfarrer Noolen. Ich habe gehört, er hat ein kleines Häuschen am Rande der Stadt und macht jetzt auf Rentner. Aber was der mit dem Haus zu tun haben soll, weiß ich auch nicht.“
Beatrice schaute sich das Foto an. Es zeigte einen alten Mann auf einer Veranda, mit einem hellen Hut und einer hellen Kutte. Er sah müde aus, doch er lächelte zufrieden. Beatrice überlegte, was ein Pfarrer wohl dazu, zu sagen hatte. Sie beschloss gleich am nächsten Tag, zu ihm, zu fahren. George stand ihr zur Seite. Sicher fielen dabei auch ein paar interessante Fotos ab und der Vorwand war perfekt.
Erstaunlicherweise stand der Tag unter einem guten Stern, zumindest was das Wetter betraf. Die Sonne lugte heimlich hinter einer Nebelschleierwand hervor und versuchte sich kräftig durchzusetzen.