Das Recht auf Unterstützung - Harald Ansen - E-Book

Das Recht auf Unterstützung E-Book

Harald Ansen

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Beschreibung

Unterstützung erzeuge Abhängigkeit und lähme den Selbsthilfewillen der Betroffenen - so ein weit verbreitetes Vorurteil. Das Buch setzt sich mit diesen Vorwürfen auseinander. Ausgehend vom Ist-Zustand der sozialen Sicherungssysteme bereitet es die verschiedenen Theorien zur Unterstützung in der Sozialen Arbeit auf. Dabei wird auf die Infragestellungen des Rechts auf Unterstützung eingegangen: auf Empowerment in neoliberaler Vereinnahmung, auf eine falsch verstandene Inklusion, die Förderung einsparen will, auf die ökonomische Verwertungslogik, der auch die Soziale Arbeit aufsitzt. Vor diesem Hintergrund wird schließlich das Recht auf Unterstützung begründet. Das Buch verteidigt so den fundamentalen Anspruch der Sozialen Arbeit: die Bereitstellung von Unterstützung für Menschen, die ohne diese Unterstützung kein würdiges Leben führen können.

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Soziale Arbeit in der Gesellschaft

Die Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft« macht es sich zur Aufgabe, die gesellschaftlichen Themen aufzubereiten, die eine besondere Bedeutung für die Soziale Arbeit haben – vom Recht auf Unterstützung über Teilhabe bis hin zu sozialen Problemlagen wie Armut. Die einzelnen Bände liefern das Grund- und Orientierungswissen, das Studierende und Sozialarbeiter:innen benötigen, um eine professionelle Haltung zu entwickeln und ihren Adressat:innen auf Augenhöhe zu begegnen.

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

 https://shop.kohlhammer.de/soziale-arbeit-in-der-gesellschaft.html

Der Autor

Prof. Dr. Harald Ansen ist Diplom-Sozialpädagoge und Hochschullehrer für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Er lehrt und forscht in den Bereichen Armut und soziale Teilhabe sowie Beratung in der Sozialen Arbeit.

Harald Ansen

Das Recht auf Unterstützung

Sozialanwaltschaft als Auftrag der Sozialen Arbeit

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2022

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-036700-5

E-Book-Formate:

pdf:           ISBN 978-3-17-036701-2

epub:        ISBN 978-3-17-036702-9

Zur Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«

 

 

Unsere Gesellschaft wird immer mehr von inneren Spannungen geprägt: Armut, eingeschränkte Teilhabe, soziale Ungleichheit oder auch Rassismus und Gewalt sind nur einige Themen, die immer wieder hitzig diskutiert werden. In diesem Debattenklima ist es schwierig zu einer faktenbasierten Bewertung dieser Problemlagen zu kommen, die einer sorgfältigen und nachprüfbaren theoretischen Begründung nicht entbehren. Gerade Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sind auf solche wissenschaftliche Analysen angewiesen – schließlich sind sie es, die täglich in ihrer Arbeitspraxis mit diesen Problemen und Debatten konfrontiert werden.

Solche Analysen bietet die Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«. In klarer, verständlicher Sprache beantworten die einzelnen Bände für die Soziale Arbeit grundlegende Fragen: Welche Bedeutung haben die Problemlagen für die Gesellschaft und welche Herausforderungen sind damit für die Soziale Arbeit verbunden? In welchen Arbeitsfeldern der Sozialen Arbeit spielen sie eine Rolle? Welche Kompetenzen benötigen Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter und wie können sie diese entwickeln? Und: Wie kann die Soziale Arbeit unterstützen, welche gesellschaftlichen Ziele verfolgt sie dabei und welche Handlungsansätze haben sich dafür bewährt oder müssen noch erarbeitet werden?

Die einzelnen Bände basieren auf einem breiten sozialwissenschaftlichen Fundament. Sie wollen dazu beitragen, Studierende und Fachkräfte der Sozialen Arbeit zu einer kritischen Auseinandersetzung mit einschlägigen Handlungsfeldern und Arbeitsansätzen einschließlich ihrer professionellen Haltung anzuregen.

Vorwort

 

 

Angetrieben, ein Buch über »Das Recht auf Unterstützung« zu schreiben, haben mich u. a. Gespräche mit Prakter:innen der Sozialen Arbeit. Sie berichten von Adressat:innen, die nicht nur nicht auf Ressourcen zurückgreifen können, sondern Probleme haben, bei deren Lösung sie auf teilweise umfängliche Unterstützung angewiesen sind. Sie auf ihre Eigenverantwortung, auf ihre Eigenzuständigkeit, auf ihre Aktivierungspotenziale zu verweisen kann auch zynisch sein. Das Recht auf Unterstützung, so lassen sich die Eindrücke zusammenfassen, darf nicht gegen eine überzogene Ressourcenvorstellung aufseiten der Adressat:innen ausgespielt werden.

Menschen darin zu unterstützen, ihre Rechte auf Dienst-, Sach- und Geldleistungen im Sozialstaat wahrzunehmen ist eine vornehme Aufgabe der Sozialen Arbeit, die im gegenwärtigen Theorie- und Methodendiskurs eher zu kurz kommt. Formale Ansprüche spiegeln längst noch nicht die Wirklichkeit. Gerade von Armut und Ausgrenzung betroffene Gruppen stoßen auf vielfältige Barrieren auf dem Weg zu ihrem Recht auf Unterstützung, ihnen fehlen nicht selten Erfahrungen, Kenntnisse, Kompetenzen, Ermutigungen im persönlichen Umfeld und vor allem Macht, eigene Interessen zu vertreten (vgl. Wrase et al. 2021, 48f.). In der Unterstützung der Adressat:innen, ihr Rechte wahrzunehmen, kommt, vielleicht altmodisch anmutend, konkrete Solidarität zum Ausdruck, die der Sozialen Arbeit gut zu Gesicht steht.

Die Auseinandersetzung mit dem Recht auf Unterstützung führen zu methodischen Vorstellungen über Sozialanwaltschaft. Adressat:innen, die sich zuweilen wie der Mann vom Lande in der Erzählung »Vor dem Gesetz« von Franz Kafka fühlen, der sein Leben lang an der ersten Schwelle zum Gesetz verharrt und auf Einlass hofft, brauchen Unterstützung. Die Androhung des untersten Türstehers in der Erzählung, dass der Mann bei dem Versuch, seinen Weg durch das Gesetz zu finden, auf weitere Türsteher treffen würde, deren Anblick man nicht ertragen könne, schrecken ab. Die Soziale Arbeit steht im Recht auf Unterstützung an der Seite der Adressat:innen, sie macht keine gemeinsame Sache mit den Türstehern, sondern weist diese in ihre Grenzen und nimmt dem Gesetz seinen Schrecken.

 

Hamburg, im Oktober 2021Harald Ansen

Inhalt

 

 

Zur Reihe »Soziale Arbeit in der Gesellschaft«

Vorwort

1   Einleitung

2   Zum sozialstaatlichen Verständnis von Unterstützung in wirtschaftlich und sozial prekären Lebenslagen

2.1   Grundverständnis von Armut

2.2   Armut und soziale Teilhabe in einer mehrdimensionalen Perspektive

2.3   Sozialstaatliches Unterstützungsverständnis

2.4   Unterstützungsspielräume im Sozialstaat

3   Infragestellung des Rechts auf Unterstützung im aktivierenden Sozialstaat

3.1   Das Recht auf Unterstützung im aktivierenden Sozialstaat

3.2   Instrumentalisierung der Empowermentidee

3.3   Ambivalente Facetten von Hilfe

4   Gegenstand der Unterstützung aus sozialarbeitstheoretischer Perspektive

4.1   Internationale Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.2   Emanzipatorische Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.3   Subjekt- und ortstheoretische Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.4   Lebenswelttheoretische Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.5   Lebensbewältigungstheoretische Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.6   Sozialökologische Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.7   Systemisch-prozessuale Perspektive auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.8   Perspektive der daseinsmächtigen Lebensführung auf den Gegenstand der Sozialen Arbeit

4.9   Konturen der Unterstützung in der Sozialen Arbeit

5   Sozialanwaltliche Dimensionen der Sozialen Arbeit

5.1   Grundverständnis von Sozialanwaltschaft

5.2   Handeln im Auftrag der Adressat:innen

5.3   Sozialanwaltliches Handeln und das Risiko des Paternalismus

5.4   Methodische Aspekte der sozialanwaltlichen Praxis auf der Fallebene

5.5   Methodische Aspekte der sozialanwaltlichen Praxis auf der strukturellen Ebene

6   Ausblick

Literatur

1          Einleitung

 

 

In der aktuellen Sozialstaatsdiskussion wird die Auseinandersetzung über Unterstützungsleistungen überwiegend auf fiskalische Aspekte reduziert, beispielsweise wird über die Höhe der Grundsicherungsleistungen seit Jahren gestritten. In dieser Engführung wird verkannt, dass es in einer erweiterten Sichtweise um sozialrechtlich geregelte Dienst-, Sach- und Geldleistungen geht, die je nach den konkreten Lebensumständen der Leistungsberechtigten zu kombinieren sind. Die Soziale Arbeit ist in diesem Rahmen insbesondere dann gefordert, wenn Probleme nicht mit standardisierten Programmen gelöst werden können. Die kooperative Gestaltung der Sozialleistungen gemeinsam mit den Adressat:innen stößt immer häufiger an Finanzierungsgrenzen, die das Recht auf Unterstützung in Bezug auf den erforderlichen Umfang und die gebotene Qualität gerade für Menschen in armutsgeprägten Lebensumständen problematisch werden lassen.

Die Analyse der Rahmenbedingungen des Rechts auf Unterstützung aus der Perspektive der Sozialen Arbeit setzt an den sozialstaatlichen Grundlagen an, die nicht in ihrer bestehenden Form affirmativ nachvollzogen, sondern als Gestaltungsaufgabe wahrgenommen werden. Im Mittelpunkt stehen Unterstützungsrechte in armutsgeprägten Lebenslagen, die in vielen sozialarbeiterischen Arbeitsfeldern eine zentrale Rolle spielen. Gerade im Armutbereich fällt auf, dass die Interventionsschwellen für unterstützende Maßnahmen immer höher gelegt worden sind. Menschen werden zuweilen über Gebühr auf Eigenkräfte verwiesen, über die sie gar nicht verfügen. Dies impliziert weitreichende Risiken bis hin zu vermeidbaren Erkrankungen und einer Verfestigung prekärer Lebensumstände. Gerade Menschen in Notsituationen sind jedoch wegen ihrer vielfach verringerten Handlungsmöglichkeiten auf aktive und leicht erreichbare Unterstützungsleistungen angewiesen, ihnen fällt es besonders schwer, Zugangsbarrieren zu überwinden. In den folgenden Überlegungen werden Gründe für diese Entwicklung analysiert und daraus Konsequenzen für die Soziale Arbeit abgeleitet.

Im zweiten Kapitel wird das sozialstaatliche Unterstützungsverständnis in wirtschaftlich und sozial prekären Lebenslagen erörtert und damit der Rahmen für unterstützende Angebote der Sozialen Arbeit abgesteckt. Die Analyse von Armut und zentralen Konsequenzen für die Betroffenen in ihrem Alltag verweist bereits auf sozialanwaltliche Herausforderungen für die Soziale Arbeit in Bezug auf das Recht auf Unterstützung. Hierbei geht es insbesondere um die kritische Auseinandersetzung mit sozialpolitischen Armutsgrenzen, Modellen der Erfassung von Armut und sozialstaatlichen Interventionsschwellen, auf die im Interesse fairer sozialer Teilhabechancen Einfluss ausgeübt werden sollte. Das sozialstaatliche Gefüge, ausgehend vom aktuellen Unterstützungsverständnis in Gestalt von Dienst-, Sach- und Geldleistungen, liefert dafür eine breite Grundlage. Ethische Erwägungen der Leistungserbringung werden in diesem Kapitel mit empirischen Befunden über den Sozialstaat handlungsorientiert verknüpft (Kap. 2).

Das Spektrum des sozialstaatlichen Unterstützungsverständnisses wird besonders im Armutbereich zunehmend infrage gestellt. Um die Hintergründe dieser Entwicklung geht es im dritten Kapitel. Die negativen Implikationen des sogenannten aktivierenden Sozialstaats für das Recht auf Unterstützung resultieren aus seiner immer rigideren Erwerbsorientierung, die in der systematischen Architektur nicht zwingend angelegt ist. Eigenverantwortung und ein verengtes Verständnis von Subsidiarität, die Ausblendung struktureller Faktoren für Armut und Erwerbslosigkeit und eine zunehmend moralische Argumentation im Umgang mit auf Unterstützung angewiesenen Menschen prägen das Bild. Für die Infragestellung des Rechts auf Unterstützung wird auch die Empowermentidee vereinnahmt. In einer (neo-)liberal verkürzten Lesart unter Vernachlässigung der politischen Hintergründe des Ansatzes werden Eigenkräfte, Ressourcen und Kompetenzen betont, während Probleme und Beeinträchtigungen nicht mehr benannt werden. Dass aber die Benennung von Problemen für den Zugang zu einer Reihe von Unterstützungsleistungen ausschlaggebend ist, bleibt in dieser Argumentation auf der Strecke. Wenn Empowerment primär subjektbezogen verstanden wird, bleiben überdies die für Ermächtigungsprozesse wichtigen strukturellen Faktoren in der Betrachtung außen vor. Von der Instrumentalisierung der Empowermentidee ist der Weg nicht weit, Hilfen infrage zu stellen. Für die politische Ablehnung professioneller Unterstützung werden u. a. romantisierende Vorstellungen privater Hilfequellen, die Stärkung der Selbsthilfe und die Vermeidung der Kolonisierung von Lebenswelten herangezogen (Kap. 3).

Die im Sozialstaat angelegten Spielräume für die Soziale Arbeit, die insbesondere gefordert ist, wenn generalisierte Regelungen nicht mehr ausreichen, um Menschen in individuellen Notlagen angemessen zu unterstützen, erfordern es, ein sozialarbeiterisches Unterstützungsverständnis zu entwickeln. Dies erfolgt im vierten Kapitel auf der Grundlage aktueller Theorien der Sozialen Arbeit, die Auskunft geben über ein zeitgemäßes Gegenstandsverständnis, auf dessen Grundlage Herausforderungen für unterstützende Angebote abgeleitet werden. Nach Hinweisen auf das globale Verständnis Sozialer Arbeit werden für die Konkretisierung emanzipatorische, orts- und subjekttheoretische, lebenswelttheoretische, lebensbewältigungstheoretische, sozialökologische, systemisch-prozessuale und auf den Capabilities Approach bezogene Positionen aufgegriffen und am Ende des Kapitels zu einem sozialarbeiterischen Unterstützungsverständnis zusammengeführt (Kap. 4).

Die Umsetzung des entwickelten Unterstützungsverständnisses im Sozialstaat erfordert vor dem Hintergrund der identifizierten Widerstände eine sozialanwaltliche Praxis, die bereits bestehende Varianten professionellen Handelns nicht ersetzt, sondern ergänzt. Nach der Erläuterung des Begriffs Sozialanwaltschaft werden im fünften Kapitel damit einhergehende Risiken im Zusammenhang mit dem freien Willen und der Beauftragung der Sozialen Arbeit erörtert. Hierbei stellt sich auch die Frage des Paternalismus in der praktischen Umsetzung sozialanwaltlicher Varianten der Interessenvertretung. Beide Risiken können nicht aufgelöst, wohl aber durch eine reflektiert-analytische Vorgehensweise verringert werden. Die Bewältigung der Gratwanderung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, vor der die Soziale Arbeit schon immer steht, bleibt eine permanente Aufgabe. Sie wird in Bezug auf die fallbezogene und die strukturelle Ebene der sozialanwaltlichen Praxis methodisch umrissen (Kap. 5).

Der Ansatz der Sozialanwaltschaft zieht sich durch sämtliche Kapitel dieses Buches. Im zweiten Kapitel wird der Handlungsrahmen mit dem Ziel analysiert, Lücken und Probleme aufzudecken, für die Veränderungsvorschläge aus der Perspektive der Sozialen Arbeit eingebracht werden. Die Auseinandersetzung mit sozialstaatlichen und sozialpolitischen Argumenten gegen angemessene professionelle Unterstützungsangebote fordert die Soziale Arbeit dazu heraus, ihre Angebote zu legitimieren und Infragestellungen als eine Form der Hilfeverweigerung zu entlarven. Zugleich steht sie vor der Aufgabe, ihre Unterstützungsideen zu begründen, ein Versuch dafür liegt mit dem vierten Kapitel vor. Schließlich mündet die Vorstellung einer sozialanwaltlich orientierten Sozialen Arbeit in dem Anspruch, Vorschläge für die Umsetzung in der Praxis zu entwickeln, wie sie exemplarisch im fünften Kapitel angeregt werden.

2          Zum sozialstaatlichen Verständnis von Unterstützung in wirtschaftlich und sozial prekären Lebenslagen

 

 

Unterstützung kann vielerlei bedeuten. Gängige Synonyme sind u. a. Beistand, Betreuung, Hilfestellung, Kooperation oder Förderung. Gemeinsam ist diesen Variationen des Unterstützungsverständnisses, dass Menschen Hilfe benötigen bei der Bewältigung von Aufgaben und Herausforderungen in ihrer Lebensführung. Diese noch sehr allgemeinen Annäherungen drücken bereits aus, dass es bei der Unterstützung nicht damit getan sein kann, Menschen in ganz unterschiedlichen Problemsituationen ausschließlich auf ihre Eigenkräfte zu verweisen. Angesichts der thematischen Offenheit, die der Unterstützungsbegriff aufweist, ist es für seine Verwendung in der Sozialen Arbeit allerdings erforderlich, ihn inhaltlich zu füllen. Im vorliegenden Zusammenhang geht es um die Frage des Rechts auf Unterstützung in wirtschaftlich und sozial prekären Lebensumständen.

Kapitelüberblick

Zunächst werden grundlegende Informationen über Armut (Kap. 2.1) und anschließend Auswirkungen auf die sozialen Teilhabechancen der betroffenen Menschen erörtert (Kap. 2.2). Darauf aufbauend wird das Unterstützungsverständnis aus sozialstaatlicher Sicht erläutert, das den Rahmen für die Soziale Arbeit setzt (Kap. 2.3). Im weiteren Gang der Argumentation geht es um die Frage, ob im System der sozialen (Grund-)Sicherung Spielräume für die Umsetzung eines mehrdimensionalen Unterstützungsverständnisses angelegt sind (Kap. 2.4).

2.1       Grundverständnis von Armut

Armut ist ein facettenreiches Phänomen, das sich einer eindeutigen Definition entzieht. Wirtschaftswissenschaftliche, soziologische, politikwissenschaftliche, rechtswissenschaftliche und ethische Zugänge sind in Detailanalysen vor allem zu unterscheiden (vgl. Hauser 2018, 150). Letztlich ist es ein normatives Konstrukt, in dem materielle und immaterielle Verteilungsergebnisse bewertet werden, die bei gesellschaftlich als nicht hinnehmbar angesehenen Ungleichheiten günstigenfalls zu sozialpolitischen Korrekturen führen (vgl. Best, Boeck & Huster 2018, 28f.). Grundlegend und disziplinübergreifend ist in der Armutsforschung zunächst die Unterscheidung von absoluter und relativer Armut.

Absolute Armut

Von absoluter Armut ist die Rede, wenn elementare Mittel für die Existenzsicherung nicht verfügbar oder zugänglich sind. Hierzu zählen Obdach, Heizung, Nahrung, Kleidung und elementare medizinische Versorgung (vgl. Hauser 2018, 152).

Diese extreme Form der Armut existiert auch in Deutschland. Wohnungslose Menschen, die auf der Straße oder in menschenunwürdigen Behelfs- und Notunterkünften leben, zählen ebenso zu den Betroffenen wie Menschen ohne gültige Aufenthaltsdokumente, die von Regelleistungen des Sozialstaats ausgeschlossen sind, oder Menschen mit schweren Erkrankungen und Beeinträchtigungen, die es nicht mehr schaffen, Hilfestellen aufzusuchen und/oder sich auf anspruchsvolle Unterstützungsprozesse einzulassen. Mit Menschen, die diesen Gruppen angehören, ist die Soziale Arbeit befasst. Sie stellen die Fachkräfte vor ganz besondere Herausforderungen, geht es doch vielfach zunächst um Überlebenshilfen und die elementare Sicherung der Existenzgrundlagen. Formale Rechte auf Unterstützung wie eine Notübernachtung, Rückkehrhilfe in das Herkunftsland oder eine Drogenbehandlung mögen bestehen, ob sie für die Betroffenen eine tatsächliche Unterstützung darstellen, muss im Einzelfall geklärt werden.

Relative Armut

Die relative Armut wird am Lebensstandard der jeweiligen Bezugsgesellschaft gemessen. In diesem Fall reicht die vorhandene Ausstattung nicht mehr aus, eine als gerade noch ausreichend angesehene soziokulturelle Teilhabe zu realisieren (vgl. ebd., 152). An diese Sichtweise schließt die europäische Sozialberichterstattung an. Dort geht man von einer relativen Armut aus, wenn Menschen über so geringe soziale, materielle und kulturelle Mittel verfügen, dass sie von einer gerade noch akzeptablen Lebensweise ihrer Bezugsgesellschaft ausgeschlossen sind (vgl. Datenreport 2021, 224). Relative Armut wird in der Marktgesellschaft am verfügbaren Haushaltsnettoeinkommen gemessen. Liegt ein Haushalt unter 60 Prozent des nach Haushaltsgrößen gewichteten Medianeinkommens, gilt er als relativ arm. Von strenger Armut ist die Rede, wenn das Einkommen unter 50 Prozent des Medianeinkommens liegt.

Bezogen auf die jüngsten vorliegenden Daten lag das Medianeinkommen pro Kopf im Jahr 2018 monatlich bei rund 1.892 EUR (vgl. ebd., 223). Die 60-Prozent-Armutsgrenze liegt demnach bei 1.135 EUR, die 50-Prozent-Armutsgrenze bei 946 EUR. Die in der Armutsforschung breit rezipierte relative Armutsgrenze ist allerdings problematisch. Es wird beispielsweise nicht berücksichtigt, dass Menschen lebenslagebedingt und in Bezug auf gesundheitliche Beeinträchtigungen unterschiedliche Bedürfnisse haben (vgl. Hauser 2018, 156). Hinzu kommt, dass Schuldentilgungen, die in armutsgeprägten Lebenslagen häufiger vorkommen, in der Berechnung der Armutsgrenze nicht berücksichtigt werden. Auch wer wenige Prozentpunkte über der Armutsgrenze liegt, lebt nicht im Wohlstand, sondern allenfalls in prekären Verhältnissen. Unterstellt wird schließlich, dass das Haushaltseinkommen proportional verteilt wird, was keineswegs sichergestellt ist.

Auch wenn absolute Armut in Deutschland quantitativ eine periphere Rolle spielt und relative Armut dominiert, muss die Soziale Arbeit mit beiden Formen in ihrem Arbeitsalltag umgehen, zumal teilweise fließende Übergänge bestehen. Neben der Sicherung der Existenzgrundlagen geht es in der Unterstützung für Menschen in armutsgeprägten Lebensumständen insbesondere um die Förderung ihrer Teilhabe an den Errungenschaften der Gesellschaft. Für die Soziale Arbeit im Umgang mit Armut, die in vielen Bereichen wie der Suchtkrankenhilfe, der Sozialpsychiatrie, dem Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) oder der Migrationssozialarbeit anzutreffen ist, sind Kenntnisse über Grundsicherungs- und Sozialhilfeleistungen unabdingbar, die im SGB II und SGB XII sowie in angrenzenden Sozialleistungsgesetzen geregelt sind. Im System der sozialen Sicherung repräsentieren diese Leistungen ein soziokulturelles Minimum, das gewissermaßen die absolute und die relative Armut vereint. Wer nicht über eigene Mittel, ausreichende Eigenkräfte und/oder einen anderweitigen Anspruch auf Unterstützung, sei es durch Unterhaltsansprüche oder vorrangige Sozialleistungen, verfügt, hat nach dem gegenwärtigen Stand einen Rechtsanspruch auf subsidiär angelegte bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherungs- und Sozialhilfeleistungen. Diese dienen dazu, allen Betroffenen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, das über die reine Existenzerhaltung hinausgeht und in dem mit den Leistungen ein Mindestmaß an gesellschaftlicher, kultureller und politischer Teilhabe sichergestellt werden soll (vgl. Bieritz-Harder 2019, 104).

Der Grundsicherungsanspruch

Während die absolute Armutsgrenze der physischen Lebenserhaltung dient und die relative Armutsgrenze die soziokulturelle Armutsgrenze abbildet, die an einem statistisch festgelegten Normwert gemessen wird, handelt es sich beim Grundsicherungsanspruch um eine politische Armutsgrenze, die in Bezug auf das Recht auf Unterstützung ganz besonders zu beachten ist. Regelbedarfe werden nach dem »Gesetz zur Ermittlung der Regelbedarfe nach § 28 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz)« auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe sogenannter einkommensschwacher Haushalte ermittelt. Für Einpersonenhaushalte werden die unteren 15 Prozent, für Familienhaushalte die unteren 20 Prozent der Haushalte ohne die Bezieher:innen von Sozialhilfe- und Grundsicherungsleistungen herangezogen. Eine Begründung für die unterschiedliche Größe der Referenzhaushalte ist dem Gesetz nicht zu entnehmen, sie verzerrt die Ergebnisse der Regelbedarfsberechnung für Einpersonenhaushalte zu deren Lasten.

Von den ermittelten Ausgaben der Referenzhaushalte werden je nach politischer Auffassung noch Posten abgezogen, die für verzichtbar gehalten werden. Auch an dieser Stelle kommt der normative Charakter der Armut zum Ausdruck. Kategorial betrachtet umfasst das soziokulturelle Existenzminimum die Mittel für die physische Lebenssicherung, für die Befriedigung der Bedürfnisse des täglichen Lebens einschließlich Kosten der Unterkunft und Heizung, für Mobilitäts-, Bildungs-, Informations- und Kommunikationsbedarfe, für die Unterhaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und für die Nutzung von kulturellen und Freizeitangeboten (vgl. Becker 2017, 273). Betrachtet man die aktuell regelbedarfsrelevanten Verbrauchsausgaben beispielsweise für einen Einpersonenhaushalt, so stehen für Bekleidung und Schuhe monatlich 34,60 EUR oder für Bildung 1,01 EUR zur Verfügung. Für Kinder bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres liegt der Anteil für Bekleidung und Schuhe bei 36,25 EUR und für Bildung bei 0,68 EUR, vom siebten bis zum vollendeten 14. Lebensjahr liegt der Anteil für Bekleidung und Schuhe bei 41,83 EUR und für Bildung bei 0,50 EUR. Diese Einblicke unterstreichen einmal mehr, dass lebensweltnahe empirische Studien fehlen, die unter Berücksichtigung besonderer Bedarfe in den jeweiligen Fallkonstellationen Auskunft über eine ausreichende Grundsicherung geben. In Bezug auf das Recht auf Unterstützung ist an dieser Stelle auf den politischen Auftrag der Sozialen Arbeit in der Auseinandersetzung, um eine angemessene Grundsicherung aufmerksam zu machen.

Zieht man die Zahl der Bezieher:innen von Grundsicherungs- und Sozialhilfeleistungen heran, um das Ausmaß von Armut darzustellen, sind etwa acht Millionen Menschen betroffen (vgl. Aust 2019, 101). Gemessen an der 60-Prozent-Armutsgrenze leben derzeit 15,8 Prozent der Bevölkerung an der Armutsgrenze (vgl. Datenreport 2021, 233). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Armutsquote vor dem Bezug von Sozialleistungen bei über 23 Prozent liegt; die Einkommensarmut in Deutschland wird durch Leistungen des Sozialstaats also verringert, aber nicht überwunden (vgl. Bäcker 2019, 302f.). Für die Soziale Arbeit interessant ist die Frage, welche Bevölkerungsgruppen vor allem von Armut betroffen sind, denn diese Daten geben Aufschluss über strukturelle Benachteiligungen. Auf der Grundlage der 60-Prozent-Armutsgrenze sind nach den jüngsten Erhebungen für das Jahr 2018 u. a. junge Menschen mit 20,6 Prozent, Alleinerziehende mit 33,8 Prozent, Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss mit 30,5 Prozent und Erwerbslose mit 69,4 Prozent überdurchschnittlich von Armut betroffen (vgl. Datenreport 2021, 225).

Aus den ersten Annäherungen an das Armutsverständnis können bereits Herausforderungen für die Soziale Arbeit mit Blick auf das Recht auf Unterstützung abgeleitet werden. Bereitgestellte Hilfen im Bereich der absoluten Armut wie beispielsweise die Unterbringung Wohnungsloser in Mehrbettzimmern oder eine Rückfahrkarte in das Herkunftsland für mittellos in Deutschland lebende Menschen sind dahingehend zu prüfen, ob sie von den Betroffenen als Unterstützung empfunden und wahrgenommen werden. Ist dies aus nachvollziehbaren Gründen nicht der Fall, bleibt die Verelendung faktisch bestehen. Auch wenn selbstverständlich nicht allen Wünschen entsprochen werden kann, ist es legitim, die Qualität der angebotenen Unterstützung hinsichtlich ihrer Angemessenheit in den Blick zu nehmen. Die statistische Armutsgrenze von 60 Prozent relativer bzw. 50 Prozent strenger Armut sagt

•  erstens nichts über die faktischen Teilhabemöglichkeiten aus,

•  zweitens werden unterschiedliche Bedarfe, wie sie beispielsweise mit Krankheit oder Behinderung einhergehen, nicht gewürdigt,

•  drittens kann man nicht ernsthaft davon ausgehen, dass Haushalte, die knapp über der Armutsgrenze liegen, nicht mehr unter Armutsfolgen leiden.

Diese Zusammenhänge verdeutlichen, wie wichtig es für die Soziale Arbeit ist, statistische Messverfahren mit konkreten Lebensumständen zu korrelieren, um Lücken aufzuzeigen und einen Beitrag für eine realistischere Vorstellung von Armut zu entwickeln. Hinzu kommt eine notwendige kritische Auseinandersetzung mit der soziokulturell angelegten Grundsicherung, für die weiterhin breite empirische Grundlagen für die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe fehlen. Die Forderung vieler Fachverbände, die Leistungen zu erhöhen, um dem gesetzlichen Ziel der Teilhabeförderung näherzukommen, erfordert entsprechende Forschungen, die der Durchsetzung des Rechts auf angemessene Unterstützung in diesem elementaren Bereich dienlich wären. Für die Soziale Arbeit ist im Umgang mit dem Recht auf Unterstützung weiterhin entscheidend, was sich hinter den Zahlen für die betroffenen Menschen verbirgt und welche Herausforderungen daraus resultieren.

Die statistisch-systematische Erfassung von Armut ist disziplinübergreifend angelegt. Aus der Sicht der Sozialen Arbeit sind daneben insbesondere die Auswirkungen auf die alltäglichen Lebensbedingungen der Betroffenen mit Blick auf ihre sozialen Teilhabechancen relevant. Zwar wird das Teilhabethema bereits in der Definition der relativen Armut und in der politischen Armutsauffassung, wie sie in der Grundsicherung und der Sozialhilfe zum Ausdruck kommt, aufgegriffen, doch bleiben die Ausführungen überwiegend pauschal. Für die Ausbuchstabierung des Rechts auf Unterstützung in wirtschaftlich und sozial prekären Lebenslagen sind vertiefende Überlegungen geboten.

Armut als soziales Problem

Für die Soziale Arbeit ist Armut ein soziales Problem. Zu sozialen Problemen zählen u. a. Kriminalität, Drogenabhängigkeit, Sexarbeit oder eben Armut. Ihnen ist gemeinsam, dass sie gesellschaftlich als Störungen der sozialen Ordnung interpretiert werden, die sowohl Kontroll- und Sanktionsmaßnahmen als auch unterstützende Leistungen zur Folge haben können.

Entscheidend für die gesellschaftliche Reaktion ist das Ursachenverständnis der identifizierten sozialen Probleme. Werden die Auffälligkeiten als Krankheit gedeutet, kommen medizinisch-therapeutische Maßnahmen in Betracht. Geht man hingegen davon aus, dass die sozialen Probleme Ausdruck eines individuell vorwerfbaren Fehlverhaltens sind, stehen Sanktionen und die Überweisung an das Strafsystem als Reaktionen im Raum. Soweit soziale Bedingungen für die Erklärung sozialer Probleme herangezogen werden, kommen sozial unterstützende Angebote zur Linderung oder Überwindung infrage (vgl. Groenemeyer 2018, 1492f.).

Armut als soziales Problem verstößt gegen gesellschaftlich akzeptierte Wertvorstellungen in Bezug auf soziale Gerechtigkeit und Sicherheit. Vor diesem Hintergrund werden umverteilende Sozialleistungen bereitgestellt. Entscheidend für den Zugang zu Leistungen ist, dass eine gesellschaftlich festgelegte Bedarfsschwelle unterschritten wird. Insofern sind Armutsgrenzen viel mehr als wissenschaftliche Erfassungsversuche, sie beeinflussen unmittelbar das Recht auf Unterstützung. Für die Soziale Arbeit ist mit Blick auf ihre Bemühungen, das Recht auf Unterstützung zu fördern, insofern bedeutsam, auf die Höhe und inhaltliche Ausgestaltung von Armutsgrenzen Einfluss zu nehmen. Eine zweite Ableitung ist hervorzuheben: Für das Recht auf Unterstützung in wirtschaftlich und sozial prekären Lebenslagen ist es ausschlaggebend, dass der Unterstützungsbedarf auch anerkannt wird. Erfolgt eine Pathologisierung oder eine Kriminalisierung sozialer Probleme oder werden diese einfach verleugnet, besteht die Aufgabe der Sozialen Arbeit darin, die sozialen Ursachen und Folgen von Problemen aufzuzeigen, um das Recht auf Unterstützung sicherzustellen oder neu in Gang zu setzen.

2.2       Armut und soziale Teilhabe in einer mehrdimensionalen Perspektive

Die handlungswissenschaftliche Ausrichtung der Sozialen Arbeit erfordert neben den analytischen Beiträgen zur Erfassung von Armut, die bereits praktische Konsequenzen nach sich ziehen, eine Auseinandersetzung mit den möglichen Zielen unterstützender Maßnahmen, die für die Inhalte des Rechts auf Unterstützung stehen. Im Anschluss an Armut in Verbindung mit sozialen Ausgrenzungsrisiken und der Unterminierung sozialer Teilhabechancen geht es sozialarbeiterisch darum, Dimensionen der sozialen Teilhabe zu konkretisieren. Im Mittelpunkt stehen Fragen der sozialen Existenzsicherung, der sozialen Unterstützung und der sozialen Bildung.

Das mehrdimensionale Verständnis sozialer Teilhabe

Die soziale Existenzsicherung steht für die materielle Lebensbasis in Gestalt eines ausreichenden Einkommens durch Erwerbsarbeit und/oder Sozialleistungen sowie eine menschenwürdige Wohnsituation. Soziale Unterstützung umfasst den Zugang zu formellen Dienstleistungen des Sozial-, Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Bildungssystems, allgemeiner formuliert eine angemessene Infrastruktur im Sozialraum sowie die Förderung des persönlichen sozialen Netzwerks mit seinen verzweigten Unterstützungspotenzialen. Gegenstand der sozialen Bildung sind persönliche und soziale Kompetenzen, die der Nutzung von sozialen Teilhabeangeboten dienen. Hierzu zählen u. a. Bildung und Ausbildung, Normenwissen, Teilhabemotivation, soziale Kompetenzen und persönliche Eigenschaften wie Belastbarkeit oder die Fähigkeit zur Informationsverarbeitung (vgl. Ansen 2018b, 154f.).

In diesem mehrdimensionalen Verständnis sozialer Teilhabe wird ganz unterschiedlichen Themen und Belastungen Rechnung getragen, die mit Armut vielfach verbunden sind.