Soziale Schuldnerberatung - Harald Ansen - E-Book

Soziale Schuldnerberatung E-Book

Harald Ansen

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Beschreibung

Soziale Schuldnerberatung wird in diesem Buch als Handlungsfeld der Sozialen Arbeit mit Blick auf das soziale Problem Überschuldung einschließlich zentraler Schuldenarten und präventiver sowie schuldenregulierungsbezogener Handlungsansätze dargestellt. Ein weiterer Schwerpunkt sind beratungsmethodische Fragen in Bezug auf Erstgespräche, Wissensvermittlung, Ressourcenaktivierung, Konfliktlösungen und Krisenintervention im Beratungsprozess. Die Inhalte vermitteln sowohl Wissen für die spezialisierte Schuldner- und Insolvenzberatung als auch für integrierte Ansätze der Schuldnerberatung, beispielsweise in der Wohnungslosenberatung. Das Buch eignet sich für Studierende und für Fachkräfte, die ihr Wissen auffrischen wollen und neue Impulse für die tägliche Beratungsarbeit suchen.

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Der Autor

Prof. Dr. Harald Ansen ist Diplom-Sozialpädagoge und Hochschullehrer für Theorien und Methoden der Sozialen Arbeit an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg. Er lehrt und forscht in den Bereichen Armut und soziale Teilhabe sowie Beratung in der Sozialen Arbeit.

Harald Ansen

Soziale Schuldnerberatung

Prävention und Intervention

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2018

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-031711-6

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-031712-3

epub:     ISBN 978-3-17-031713-0

mobi:     ISBN 978-3-17-031714-7

Vorwort zur Reihe

 

 

 

Mit dem so genannten »Bologna-Prozess« galt es neu auszutarieren, welches Wissen Studierende der Sozialen Arbeit benötigen, um trotz erheblich verkürzter Ausbildungszeiten auch weiterhin »berufliche Handlungsfähigkeit« zu erlangen. Die Ergebnisse dieses nicht ganz schmerzfreien Abstimmungs- und Anpassungsprozesses lassen sich heute allerorten in volumigen Handbüchern nachlesen, in denen die neu entwickelten Module detailliert nach Lernzielen, Lehrinhalten, Lehrmethoden und Prüfungsformen beschrieben sind. Eine diskursive Selbstvergewisserung dieses Ausmaßes und dieser Präzision hat es vor Bologna allenfalls im Ausnahmefall gegeben.

Für Studierende bedeutet die Beschränkung der akademischen Grundausbildung auf sechs Semester, eine annähernd gleich große Stofffülle in deutlich verringerter Lernzeit bewältigen zu müssen. Die Erwartungen an das selbständige Lernen und Vertiefen des Stoffs in den eigenen vier Wänden sind deshalb deutlich gestiegen. Bologna hat das eigene Arbeitszimmer als Lernort gewissermaßen rekultiviert.

Die Idee zu der Reihe, in der das vorliegende Buch erscheint, ist vor dem Hintergrund dieser bildungspolitisch veränderten Rahmenbedingungen entstanden. Die nach und nach erscheinenden Bände sollen in kompakter Form nicht nur unabdingbares Grundwissen für das Studium der Sozialen Arbeit bereitstellen, sondern sich durch ihre Leserfreundlichkeit auch für das Selbststudium Studierender besonders eignen. Die Autor/innen der Reihe verpflichten sich diesem Ziel auf unterschiedliche Weise: durch die lernzielorientierte Begründung der ausgewählten Inhalte, durch die Begrenzung der Stoffmenge auf ein überschaubares Volumen, durch die Verständlichkeit ihrer Sprache, durch Anschaulichkeit und gezielte Theorie-Praxis-Verknüpfungen, nicht zuletzt aber auch durch lese(r)-freundliche Gestaltungselemente wie Schaubilder, Unterlegungen und andere Elemente.

 

Prof. Dr. Rudolf Bieker, Köln

Inhalt

 

 

 

Vorwort zur Reihe

1 Einleitung

2 Überschuldung privater Haushalte

2.1 Abgrenzung Ver- und Überschuldung natürlicher Personen

2.2 Ausmaß der Überschuldung

2.3 Ursachen und Folgen der Überschuldung

2.4 Herausforderungen für die Soziale Schuldnerberatung

3 Arbeitsfeld Soziale Schuldnerberatung

3.1 Entstehung und Entwicklung

3.2 Arbeitsansätze und Profile

3.3 Gesetzliche Rahmenbedingungen

3.4 Finanzielle Rahmenbedingungen

3.5 Aktuelle Diskussionen

4 Zentrale Schuldenvarianten in der Sozialen Schuldnerberatung

4.1 Schuldenvarianten

4.2 Konsequenzen der Schuldenvarianten für Ratsuchende und Beratungspraxis

4.3 Zwangsmaßnahmen der Gläubiger

4.4 Implikationen für die Soziale Schuldnerberatung

5 Prävention von Überschuldung

5.1 Prävention und Soziale Schuldnerberatung

5.2 Strukturbezogene Prävention

5.3 Personenbezogene Prävention

5.4 Herausforderungen für die Soziale Schuldnerberatung

6 Grundzüge der Schuldenregulierung in der Sozialen Schuldnerberatung

6.1 Soziale Diagnose und Hilfeplanung

6.2 Existenzsicherung und ökonomische Krisenintervention

6.3 Außergerichtliche Schuldenregulierung

6.4 Privatinsolvenzverfahren

6.5 Konsequenzen für die Soziale Schuldnerberatung

7 Gesprächsführung in der Sozialen Schuldnerberatung

7.1 Arbeitsbeziehung und Gesprächsführung

7.2 Gesprächsführung in Erstgesprächen

7.3 Motivationsförderung durch Gesprächsführung

7.4 Ressourcenorientierte Gesprächsführung

7.5 Wissensvermittlung in der Gesprächsführung

7.6 Konfliktdeeskalierende und verhandlungsorientierte Gesprächsführung

7.7 Krisenbewältigung und Gesprächsführung

7.8 Handlungsleitende Maximen in der Gesprächsführung

8 Ausblick

Literatur

1          Einleitung

 

 

 

Die Soziale Schuldnerberatung wird in diesem Buch insbesondere aus der Perspektive der Sozialen Arbeit erörtert. Sie wird in ihrer spezialisierten Variante als Schuldner- und Insolvenzberatung und in ihrer integrierten Form in so unterschiedlichen Arbeitsfeldern wie Suchtkrankenhilfe, Straffälligenhilfe, Wohnungslosenhilfe, Sozialpsychiatrie und Allgemeinem Sozialen Dienst dringend gebraucht. Rund sieben Millionen Menschen sind in Deutschland überschuldet, also zahlungsunfähig, viele weitere sind hoch und damit prekär verschuldet. In der Praxis der Sozialen Arbeit ist das Thema Schulden vielfach präsent. Kenntnisse in den Themenbereichen Überschuldung und Soziale Schuldnerberatung erweitern das Handlungsspektrum der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter sowie anderer Fachkräfte und Ehrenamtlicher in Diensten und Einrichtungen der Sozialen Arbeit.

In der Auseinandersetzung mit der Überschuldung privater Haushalte (Kap. 2) wird deutlich, dass es um weit mehr geht als um finanzielle Probleme. Überschuldung als soziales Problem strahlt auf viele Lebensbereiche der betroffenen Personen aus, wie die Erfassung der Ursachen, der Auslöser und der Konsequenzen unterstreicht. Familien und das soziale Umfeld werden in Mitleidenschaft gezogen, persönliche und gesundheitliche Belastungen treten auf, soziale Ausgrenzungen werden von den Betroffenen ebenso berichtet wie berufliche Nachteile. Wer sich auf die Soziale Schuldnerberatung einlässt, ist mit einer Fülle von Problemen und Themen konfrontiert, die mehr erfordern als unstreitig wichtiges juristisches und ökonomisches Handlungswissen.

Das Arbeitsfeld Soziale Schuldnerberatung (Kap. 3) hat eine lange Geschichte in der Sozialen Arbeit, wenn man sie in die Armenfürsorge einordnet, in der es schon immer auch um Schulden ging. Als eigenständiges Arbeitsfeld zeichnet sich die Soziale Schuldnerberatung in den 1970er Jahren ab. Seither hat sie sich als fester Bestandteil der sozialen Infrastruktur etabliert, ihre Arbeitsansätze immer weiter professionalisiert und ihre Wirksamkeit ausweislich diverser Evaluationen unter Beweis gestellt. Gleichwohl bleibt sie noch immer hinter ihren Möglichkeiten zurück angesichts weiterhin offener Fragen in Bezug auf die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen, die den Wirkungsradius der Sozialen Schuldnerberatung begrenzen.

Wer sich mit der Sozialen Schuldnerberatung befasst, muss bereit sein, mit juristischen und ökonomischen Themen umzugehen, anders können die Schuldenvarianten und ihre Implikationen für den Alltag der Ratsuchenden (Kap. 4) nicht angemessen nachvollzogen werden. Zu erkennen, welche Risiken beispielsweise von Miet- oder Energieschulden ausgehen oder welchen Zwangsmaßnahmen Ratsuchende bei Zahlungsunfähigkeit unterworfen sind, erfordert einen interdisziplinären Blick, der die Soziale Schuldnerberatung auszeichnet. Vielfach arbeiten in den Beratungsstellen multiprofessionelle Teams, wobei die Berufsgruppe der Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter dominiert.

Die anhaltend hohe und zunehmende Überschuldung lenkt den Blick auf die Frage, welche präventiven Möglichkeiten bestehen (Kap. 5). Die Soziale Schuldnerberatung setzt üblicherweise erst ein, wenn hohe Verschuldung oder Überschuldung vorliegen und betroffene Personen und Haushalte um Unterstützung nachsuchen. Daneben bestehen jedoch auch vorbeugende Handlungsmöglichkeiten auf der strukturellen und der persönlichen Ebene, die längst noch nicht ausgereizt werden. Politisch und ökonomisch wäre es rational, die Soziale Schuldnerberatung stärker als bisher präventiv auszurichten, das würde vielen Menschen die massiven mit einer Überschuldung verbundenen Probleme ersparen und die öffentlichen Haushalte spürbar entlasten.

Das breite Handlungsspektrum der Sozialen Schuldnerberatung ist Gegenstand des sechsten Kapitels. Hierzu zählen die Sicherung der existenziellen Lebensgrundlagen und unterschiedliche Vorgehensweisen in der Schuldenregulierung. Entscheidend für die Auswahl der Interventionsschritte ist die individuelle Fallkonstellation mit Blick auf die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten. Erwägungen zur Schuldenregulierung werden heute maßgeblich von den Regelungen der Privatinsolvenz beeinflusst, auch dann, wenn außergerichtliche Maßnahmen präferiert werden. Für die Schuldenregulierung ist daneben viel Verhandlungsgeschick im Umgang mit den Gläubigern erforderlich, denn ohne deren Kooperation kommt man in der Sozialen Schuldnerberatung nur schwer voran.

Für Verhandlungen mit den Gläubigern und vor allem für die Arbeit mit den Ratsuchenden sind umfängliche Kompetenzen der Gesprächsführung gefragt (Kap. 7). Sie umfassen Aspekte der Beziehungsgestaltung, der Exploration von Überschuldungsproblemen, der Förderung von Motivation und Ressourcenbewusstsein, der systematischen Vermittlung von Wissen, des Umgangs mit unweigerlich auftretenden Konflikten und der Begleitung von Ratsuchenden in Krisensituationen. Um einer rein technischen Handhabung der Gesprächsführungsansätze vorzubeugen, werden handlungsleitende Maximen vorgeschlagen, die einen reflektierten Umgang mit dem Problemkomplex nahelegen.

2          Überschuldung privater Haushalte

 

 

 

Was Sie in diesem Kapitel lernen können

Prekäre Verschuldung und vor allem Überschuldung sind Gegenstand der Sozialen Schuldnerberatung. Zunächst könnte man davon ausgehen, dass es in der Beratungspraxis vor allem um eine Finanzberatung mit dem Schwerpunkt Schuldenregulierung geht. Um diesen Trugschluss zu vermeiden, sind Hinweise auf das Grundverständnis, das Ausmaß sowie die Hintergründe und Folgen von Überschuldungsprozessen geboten. Am Ende dieses Kapitels werden zentrale Herausforderungen für die Soziale Schuldnerberatung aus der Analyse der Überschuldung abgeleitet.

2.1       Abgrenzung Ver- und Überschuldung natürlicher Personen

Bei einer Verschuldung gehen Menschen Zahlungsverpflichtungen beispielsweise gegenüber Banken und Kreditinstituten, Versand- und Autohäusern oder Rechtsanwälten in Verbindung mit einer Sach- oder Dienstleistung ein, die erst zu einem späteren Zeitpunkt beglichen werden müssen. Juristisch handelt es sich um Forderungen, die solange kein Problem darstellen, wie die fristgemäße Begleichung erfolgt. Die Verschuldung privater Haushalte gehört in einem kreditbasierten Wirtschaftssystem zum Alltag, der Konsumentenkredit ist mithin Teil gesellschaftlicher Normalität (vgl. Herzog 2015, S. 17f.). Seit Ende der 1960er Jahre nimmt der kreditfinanzierte Konsum deutlich zu, insgesamt steigt die Bereitschaft, Schulden zu machen. Die Gründe für den Ausbau des Konsumentenkredits aufseiten der Kreditwirtschaft werden darin gesehen, dass Banken aufgrund einer Ende der 1950er Jahre rückläufigen Kreditnachfrage der Wirtschaft, bedingt durch den allmählichen Abschluss der Wiederaufbauphase nach dem Zweiten Weltkrieg, einen Liquiditätsüberschuss hatten, für den ein Markt gesucht wurde. In Verbindung mit der Massenproduktion und in dieser Zeit als sicher geltenden Arbeitsverhältnissen wurde der Konsumentenkredit erfolgreich propagiert und dann auch breit in Anspruch genommen (vgl. Ebli 2015, S. 55). Die folgenden Faktoren haben diese Entwicklung wesentlich begünstigt:

•  1967 werden die gesetzlichen Werbebeschränkungen für Kredite aufgehoben, seit dieser Zeit wächst der Kreditmarkt in Deutschland, aggressive Vergabestrategien sind zu beobachten.

•  Seit Ende der 1960er Jahre werden Girokonten breit angeboten, damit entstehen die Grundlagen für den Dispositionskredit, der seinerseits die Kreditschwelle durch die leichte Inanspruchnahme weiter herabsetzt.

•  Hinzu kommt der Ausbau persönlicher Kleinkredite und weiterer Finanzdienstleistungsprodukte, die insbesondere durch die engere Zusammenarbeit zwischen Banken und Versicherungsunternehmen begünstigt werden (vgl. Praxishandbuch Schuldnerberatung, Kap. 1, Oktober 2008, S. 3f.).

Geraten Verbraucher in Zahlungsschwierigkeiten, kommt es zu einer drohenden oder manifesten Überschuldung, die im Mittelpunkt der weiteren Ausführungen steht. Überschuldung bedeutet für Privatpersonen bzw. Privathaushalte, dass ihre Zahlungsfähigkeit nicht mehr gegeben ist. Folgt man dem Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung (Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017), sind Privathaushalte dann überschuldet, wenn Anzeichen für eine verfestigte Schuldensituation vorliegen, die kaum noch zu bewältigen ist. Die Betroffenen sind demnach nicht mehr in der Lage, Zahlungsverpflichtungen dauerhaft zu erfüllen (vgl. ebd., S. 484). Hinweise auf eine Überschuldung bieten in der Regel Kreditkündigungen, Miet- und Energieschulden, Pfändungen, die Abgabe eines Vermögensverzeichnisses, unstreitige Inkassofälle und/oder die Eröffnung einer Privatinsolvenz. Während Schulden bzw. zu bedienende Forderungen zum Alltag in unserer Gesellschaft gehören, Schuldenmachen für die Wirtschaft geradezu unverzichtbar ist, um die Nachfrage nach Konsum- und Gebrauchsgütern sowie Immobilien aufrecht zu erhalten, stellt die Überschuldung eine Störung dar, die Unterstützung erfordert. Die Betroffenen können diese Situation vielfach nicht mehr allein bewältigen. Neben der Sozialen Schuldnerberatung kommt für sie bei nachgewiesener Zahlungsunfähigkeit auch ein Privatinsolvenzverfahren in Frage, dessen Details in Kapitel 6.4 erläutert werden. Der Eröffnungsgrund Zahlungsunfähigkeit ist in § 17 Abs. 2 Insolvenzordnung definiert: »Der Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Zahlungsunfähigkeit ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat.« In dieser formalen Annäherung an Überschuldung dominieren Zahlungsprobleme als ausschlaggebendes Kriterium. Für die Soziale Schuldnerberatung ist diese Engführung nicht ausreichend, um die Lage der Betroffenen angemessen zu erfassen.

Überschuldung bedeutet nicht nur, dass Zahlungsverpflichtungen nicht mehr fristgemäß und dauerhaft bedient werden können, den Betroffenen fehlt auch das Geld, neben der Schuldentilgung den eigenen Lebensunterhalt zu bestreiten (vgl. SchuldnerAtlas Deutschland 2017, S. 1). Überschuldung stellt eine ökonomische Krise mit weitreichenden Auswirkungen auf andere Lebensbereiche der Betroffenen dar. Die Hinweise auf die Lebenslage Überschuldung werden in der folgenden Definition komprimiert auf den Punkt gebracht:

»Überschuldung liegt bei einem Privathaushalt dann vor, wenn dauerhaft bzw. auf unabsehbare Zeit nach Abzug der fixen Lebenshaltungskosten (Beiträge für Dauerschuldverhältnisse wie Miete, Energie, Versicherung, Telekommunikation) zzgl. Ernährung und sonstigem notwendigen Lebensbedarf (Geld zum Leben) der verbleibende Rest des gesamten Haushaltseinkommens nicht ausreicht, um die laufenden Raten für eingegangene Verbindlichkeiten zu decken und somit Zahlungsunfähigkeit eintritt.« (Praxishandbuch Schuldnerberatung, Kap. 1, Oktober 2008, S. 8)

Ausgehend von diesem Grundverständnis der Überschuldung stellt sich die Frage nach dem empirischen Ausmaß. Wie die Analyse der Daten zeigt, steht die Soziale Schuldnerberatung vor einem auch im Umfang enormen Problem, das viel mehr Ressourcen erfordert, als gegenwärtig zur Verfügung stehen.

2.2       Ausmaß der Überschuldung

Überschuldung im Sinne der erläuterten Definition besteht in Deutschland seit vielen Jahren in beträchtlichem Umfang (Tab. 1). Die Profile der betroffenen Haushalte verweisen auf ein gesellschaftliches Problem, das in den meisten Fällen nicht auf privates Fehlverhalten im Umgang mit den eigenen Finanzen zurückgeführt werden kann.

Private Haushalte waren 2016 in der Summe mit 209 Mrd. EUR überschuldet, die durchschnittliche Schuldenhöhe lag bei rund 31.613 EUR mit Schwankungen je nach Haushaltsgröße. Der größte Teil der Schuldner (39,5 Prozent) hatte Schulden unter 10.000 EUR, gefolgt von 28,5 Prozent der Betroffenen mit Schulden zwischen 10.000 und 25.000 EUR, während 18,1 Prozent mit ihren Schulden zwischen 25.000 und 50.000 EUR lagen und 8,2 Prozent Schulden von 50.000 bis 100.000 EUR sowie 5,7 Prozent sogar Schulden über 100.000 EUR zu bewältigen hatten (vgl. Statistisches Bundesamt 2017, S. 5f.). Zur Beurteilung der Überschuldungssituation wurde der Indikator Überschuldungsintensität neu eingeführt. Er sagt aus, wie stark die Schuldenbelastungen im Verhältnis zum verfügbaren Einkommen sind, d. h., der Quotient aus Verbindlichkeiten und verfügbarem monatlichem Einkommen ergibt die Überschuldungsintensität. Liegen die Schulden beispielsweise bei 34.000 EUR und das monatliche Einkommen bei 1.000 EUR, beträgt die Überschuldungsintensität 34 (vgl. Joachimiak 2016, S. 32). Die durchschnittliche Überschuldungsintensität lag für die überschuldeten Personen im Jahr 2016 bei 30 (vgl. Statistisches Bundesamt 2017, S. 5).

Tab. 1: Durchschnittliche Schulden privater Personen 2016. Ergebnisse der Überschuldungsstatistik (Statistisches Bundesamt 2017)

Durchschnittliche Schulden bei/aus in EUR

Die exakte sozialstatistische Erfassung des Ausmaßes der Überschuldung bereitet wegen der lückenhaften gesetzlichen Grundlagen Schwierigkeiten. Nach dem am 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Überschuldungsstatistikgesetz ist die Teilnahme der Schuldnerberatungsstellen an der jährlichen Erhebung ihrer Daten freiwillig. Die Adressatinnen und Adressaten der rund 1.400 gegenwärtig bestehenden Beratungsstellen der Kommunen sowie der Verbraucher- und Wohlfahrtsverbände müssen der Datenweitergabe an das Statistische Bundesamt zustimmen. Bei der letzten Erhebung der »Statistik zur Überschuldung privater Personen 2016« vom Juni 2017 haben sich 461 Beratungsstellen beteiligt, die insgesamt rund 118.000 Ratsuchende repräsentieren (vgl. Statistisches Bundesamt 2017, S. 5). Nach den neuesten Daten waren im Jahr 2016 6,91 Mio. Personen in 3,41 Mio. Haushalten überschuldet, darunter 2,68 Mio. Frauen und 4,24 Mio. Männer (vgl. Creditreform Wirtschaftsforschung 2017, S. 5f.). Die Anzahl der Betroffenen ist trotz der günstiger gewordenen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und der Erholung auf dem Arbeitsmarkt im Vergleich zu den Vorjahren nach diesen Daten erneut gestiegen. Die Zahlen basieren teilweise auf Schätzungen, teilweise auf der Auswertung amtlicher Statistiken. Da bislang keine eindeutige Definition der Überschuldung entwickelt wurde, beispielsweise auch zwischen dauerhafter und temporärer Überschuldung zu unterscheiden wäre und der Übergang von der Ver- in die Überschuldung nicht immer trennscharf ist, werden Bedenken gegen die diskutierten Werte vorgebracht, die möglicherweise deutlich niedriger liegen (vgl. Mantseris 2017, S. 238f.). Die Ungenauigkeiten können hier nicht aufgelöst werden. Gleichwohl lassen sich die folgenden robusten Tendenzen ausmachen, die für die Soziale Schuldnerberatung bedeutsam sind:

•  Unterschieden wird zwischen einer hohen Überschuldungsintensität, bei der bereits juristische Sachverhalte wie eine Pfändung oder die Abgabe eines Vermögensverzeichnisses vorliegen (Quote von 4,22 Mio. Betroffenen), und Überschuldungsfällen mit geringer Intensität, die sich noch auf der Ebene von bereits nachhaltigen Zahlungsstörungen bewegen. Hier liegt die Zahl der Betroffenen bei rund 2,69 Mio. Personen (vgl. Creditreform Wirtschaftsforschung 2017, S. 3f.). Für die Soziale Schuldnerberatung ist diese Differenzierung des Intensitätsgrades insoweit bedeutsam, als es darauf ankommt, überschuldete Personen möglichst frühzeitig zu erreichen, um eine Schuldeneskalation und damit verbundene Kosten und Komplikationen möglichst zu vermeiden.

•  Betrachtet man die Erwerbssituation der überschuldeten Personen, ist festzuhalten, dass 46,3 Prozent der erfassten Ratsuchenden zum Zeitpunkt der Schuldnerberatung arbeitslos sind, wobei 43 Prozent Arbeitslosengeld II beziehen, also ganz überwiegend von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen sind. Daneben sind 29,1 Prozent erwerbstätig, 11,2 Prozent befinden sich bereits im Ruhestand (vgl. iff-Überschuldungsreport 2016, S. 29).

•  Für die Soziale Schuldnerberatung ist die finanzielle Situation der Adressatinnen und Adressaten bedeutsam. 45,7 Prozent liegen nach den statistischen Angaben mit ihrem Einkommen unter 900 EUR, 26,3 Prozent erreichen 900 bis 1.300 EUR, 9 Prozent liegen bei 1.300 bis 1.500 EUR, 12,7 Prozent zwischen 1.500 und 2.000 EUR, 4,7 Prozent zwischen 2.000 und 2.600 EUR und nur 1,4 Prozent zwischen 2.600 und 3.600 EUR (vgl. Statistisches Bundesamt 2017, S. 15). Diese Zahlen verdeutlichen, dass die Zielgruppe der Sozialen Schuldnerberatung mit ihrem Einkommen in Armut oder ganz überwiegend im armutsnahen Bereich liegt. Für die Soziale Schuldnerberatung hat dies grundlegende Implikationen, denn Menschen in Armut sind in vielen Fällen nicht nur ökonomisch benachteiligt, sie sind häufig mit zahlreichen weiteren Problemen wie alltäglichen Entbehrungen, schlechten Wohnverhältnissen, Ausgrenzung und Stigmatisierung, gesundheitlichen Einschränkungen und dem Verlust von attraktiven Lebensperspektiven konfrontiert (vgl. Ansen 2016, 267f.), Belastungen, die in der Sozialen Schuldnerberatung unbedingt beachtet werden müssen.

•  Hinsichtlich der Altersgruppen streuen die Adressatinnen und Adressaten breit, was für die Soziale Schuldnerberatung bedeutet, dass sie ihr Profil an Ratsuchenden sehr unterschiedlichen Alters mit unterschiedlichen Bedürfnissen und Verarbeitungsmöglichkeiten komplexer Beratungsinhalte auszurichten hat. Das durchschnittliche Alter liegt bei 41 Jahren, wobei 27,6 Prozent der Ratsuchenden zwischen 25 und 35 Jahre und 34,9 Prozent zwischen 35 und 50 Jahre alt sind (vgl. iff-Überschuldungsreport 2016, S. 25f.).

•  In Bezug auf die Haushaltsformen fällt auf, dass 55,8 Prozent der Ratsuchenden allein leben, 27,8 Prozent mit einem Partner mit oder ohne Kinder; 16,7 Prozent sind alleinerziehend mit steigender Tendenz, sie sind besonders gefährdet (vgl. iff-Überschuldungsreport 2016, S. 26).

•  Schließlich sind in der Beratungspraxis auch Hinweise über die Bildungsabschlüsse der Ratsuchenden zu berücksichtigen. 15,5 Prozent haben keinen Schulabschluss, 45,4 Prozent der überschuldeten Personen verfügen über einen Hauptschulabschluss, 32 Prozent über einen Realschulabschluss und 7,1 Prozent über Abitur oder Fachabitur. Interessant ist der Befund aus der Beratungsanalyse, dass bei Ratsuchenden mit Realschulabschluss oder Abitur bzw. Fachabitur überdurchschnittlich häufig außergerichtliche Teil- oder Gesamtregulierungen gelingen, während insbesondere Ratsuchende ohne Schulabschluss sehr häufig in ein Insolvenzverfahren begleitet werden (vgl. iff-Überschuldungsreport 2016, S. 34). Neben den Schulabschlüssen sind auch die Berufsabschlüsse beachtenswert. 54,5 Prozent haben eine Ausbildung bzw. ein Studium abgeschlossen, während 42,9 Prozent ohne Ausbildung und 2,6 Prozent noch in einer Ausbildung sind (vgl. Statistisches Bundesamt 2017, S. 6).

Überschuldung trifft seit Jahren rund zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland.

Die empirischen Daten zeichnen ein differenziertes Bild der betroffenen Bevölkerungsgruppen, das schon für sich genommen die Soziale Schuldnerberatung facettenreich fordert. Noch anspruchsvoller wird die Aufgabe, wenn man die Ursachen und die Folgen der Überschuldung einbezieht.

2.3       Ursachen und Folgen der Überschuldung

Die Entstehung der Überschuldung ist in der Regel die Folge eines langfristigen Prozesses. Ausschlaggebend sind auf der einen Seite strukturelle Faktoren wie Armut oder Arbeitslosigkeit, die mit geringen finanziellen Mitteln im Alltag verbunden sind, und auf der anderen Seite in der Person liegende Faktoren wie eine zu geringe Finanzkompetenz oder Konsummuster, die mit den vorhandenen finanziellen Handlungsspielräumen kollidieren (vgl. Mantseris 2012, S. 21). Ursachen und Auslöser werden dahingehend unterschieden, dass als Ursachen langfristige Faktoren wie beispielsweise Armut oder Langzeitarbeitslosigkeit gelten, während Auslöser Ereignisse sind, die wegen ihrer Auswirkungen auf das verfügbare Einkommen unmittelbar zu einer Überschuldung führen. Hierbei handelt es sich vor allem um kritische Lebensereignisse wie Trennung, eine schwere Erkrankung oder der Verlust des Arbeitsplatzes (vgl. Zier/Letzel/Münster 2015, S. 223f.). Die Unterscheidung zwischen Ursachen und Auslösern gelingt nicht immer trennscharf. So kann Arbeitslosigkeit einerseits als Auslöser, andererseits, vor allem bei einem langfristigen Verlauf, als Ursache einer Überschuldung angesehen werden. Im Folgenden ist von Ursachen der Überschuldung die Rede, die immer auch Auslöser sein können; die Zuordnung hängt von der individuellen Fallkonstellation ab.

Ursachen und Auslöser

Die sechs zentralen Ursachen eines Überschuldungsprozesses, die aus der Analyse von Beratungsstellendaten zusammengestellt worden sind, dokumentieren, dass vor allem strukturelle Einflüsse eine Rolle spielen. Der wichtigste Grund ist nach wie vor Arbeitslosigkeit, die in 27,5 Prozent der Fälle als Ursache angegeben wird. An zweiter Stelle steht die Einkommensarmut mit 10,4 Prozent, gefolgt von gescheiterter Selbstständigkeit, die in 9,1 Prozent der Fälle ausschlaggebend ist. Das sogenannte unwirtschaftliche Verhalten machen 8,9 Prozent für Überschuldung verantwortlich, während Krankheit mit steigender Tendenz in 8,6 Prozent der Fälle und Trennung und Scheidung in 8,1 Prozent ausschlaggebend für den Einstieg in den Überschuldungsprozess sind (vgl. iff-Überschuldungsreport 2016, S. 8f.). Daneben werden – allerdings mit nur sehr geringen Prozentwerten – u. a. Unfälle, Straffälligkeit oder die Nichtinanspruchnahme von Sozialleistungen angegeben. Im Einzelfall muss ohnehin immer geprüft werden, welche Konstellationen zur Überschuldung geführt haben; die zentralen sechs Faktoren treten gleichwohl gehäuft auf und werden deshalb hier aufgegriffen. Dabei ist immer zu berücksichtigen, dass vielfältige Überschneidungen wie beispielsweise von Arbeitslosigkeit und Krankheit oder Armut und Trennung zu beobachten sind, sodass die sechs Faktoren allenfalls eine Orientierung für den Fallzugang darstellen.

Die statistisch signifikante Ursachenhäufung in den genannten Bereichen ist gut nachvollziehbar. Der Verlust der Arbeit und damit des Erwerbseinkommens bedeutet für die Betroffenen, dass sie in der Regel für ein Jahr, abhängig von der familiären Situation, Arbeitslosengeld I in Höhe von 67 bzw. 63 Prozent ihres letzten Nettoeinkommens erhalten und danach Leistungen nach dem SGB II, die nicht mehr im Sinne des Äquivalenzprinzips nach dem früheren Einkommen berechnet werden, sondern nur noch das soziokulturelle Existenzminimum abdecken. Wer in der Erwerbsphase alltägliche finanzielle Verpflichtungen etwa für ein Auto oder für die Wohnungsausstattung eingegangen ist, ist nach dem Verlust der Arbeit vielfach schlagartig nicht mehr in der Lage, die Zahlungsfristen einzuhalten, soweit keine Rücklagen vorhanden sind, mit denen Zahlungsprobleme zumindest vorübergehend kompensiert werden können. Menschen in armutsgeprägten Lebenslagen – der zweithäufigste Auslöser von Überschuldung – kommen teilweise gar nicht umhin, ihren notwendigen Lebensunterhalt auch durch Schulden abzudecken, insbesondere bei unvorhergesehenen Ereignissen oder auch in Verbindung mit den steigenden Lebenshaltungskosten, die beispielsweise in der Miet- und Energiepreisentwicklung zum Ausdruck kommen. Schulden sind mitunter der einzige Weg, um Engpässe zumindest vorübergehend zu überbrücken. Bei gescheiterter Selbstständigkeit handelt es sich ganz überwiegend um ehemals Selbstständige, die häufig schon in dieser Zeit in prekären Umständen gelebt haben, selten Rücklagen bilden konnten und sukzessiv immer neue Schulden aufgenommen haben, um ihr Unternehmen oder kleines Gewerbe aufrecht zu erhalten.

Wie die soziodemografischen Daten im vorigen Abschnitt ausweisen, sind alleinerziehende Frauen überproportional von Überschuldung betroffen; die dahinterstehende Trennung bedeutet sehr häufig, dass erhebliche Einkommensanteile wegfallen, eine neue Wohnung bezogen werden muss etc. Schulden sind dabei nur selten zu vermeiden. Der überdies genannte Auslöser unwirtschaftliches Verhalten ist wegen seiner normativen Konnotation umstritten, denn diese Formulierung unterstellt überflüssigen oder irrationalen Konsum, während die Einkommensseite ausgeblendet wird (vgl. Zier/Letzel/Münster 2015, S. 226). Unter den sechs zentralen Auslösern wird auch Krankheit genannt. Dies überrascht angesichts der finanziellen Folgen nicht, da die Betroffenen nach der in der Regel sechswöchigen Lohn- und Gehaltsfortzahlung bei tarifvertraglicher Beschäftigung Krankengeld erhalten, das in der Regel 70 Prozent ihres Brutto-Arbeitsentgelts, maximal 90 Prozent des letzten Netto-Entgelts entspricht. Bei einer längerfristig verlaufenden Erkrankung geht bis zu einem Drittel des Einkommens verloren, das dann für die Bedienung von Schulden fehlt, häufig steigen auch bedingt durch Zuzahlungsregelungen die Ausgaben für Krankheit bzw. Gesundheit. Die kurzen Kommentare zu den sechs zentralen Auslösern vermitteln bereits einen Eindruck von den Belastungen, denen überschuldete Personen ausgeliefert sind und die sämtlich für den Beratungsprozess relevant und dort zu berücksichtigen sind, auch wenn es schwerpunktmäßig um die Schuldenregulierung geht.

Von den Ursachen kann nicht linear auf eine manifeste Überschuldung geschlossen werden. In den meisten Fällen steht dahinter ein längerer Prozess. Betroffene versuchen bei auftretenden Zahlungsschwierigkeiten häufig zunächst, die Probleme durch Einsparungen, die Verwertung von Vermögen, neue Kredite oder die Vereinbarung von Ratenzahlungen sowie Stundungen zu lösen. Gelingt dies nicht, eskaliert die Schuldenproblematik. Es kommt u. a. zu Kreditkündigungen, Mahnbescheiden, Inkassomaßnahmen oder juristischen Schritten der Gläubiger wie Pfändungen. Jetzt erst sucht ein – immer noch sehr geringer – Teil der Betroffenen eine Schuldnerberatungsstelle auf (vgl. iff-Überschuldungsreport 2016, S. 7). In der Verlaufsperspektive einer Überschuldung spielen komplexe Wechselwirkungen zwischen sozioökonomisch prekären Lebenslagen, institutionellen und gesetzlichen Rahmenbedingungen, belastenden Lebensereignissen und subjektiv unterschiedlichen Reaktionen ebenso eine Rolle wie die Frage nach den Wegen in und durch die Überschuldung sowie aus der Überschuldung hinaus (vgl. Schwarze 2011, S. 79).

Folgen der Überschuldung

Noch unübersichtlicher wird das Bild, wenn man die verbreiteten Folgen einer Überschuldung einbezieht, was für eine nachhaltige Beratung unerlässlich ist. Um die Folgen zu ermessen, ist es zunächst hilfreich, die vielfältigen Funktionen eines ausreichenden verfügbaren Einkommens, das im Fall einer Überschuldung nicht mehr vorliegt, für den Alltag und die soziale Teilhabe zu betrachten. Einkommen dient der Sicherung der existenziellen Lebensgrundlagen wie Wohnen, Güterversorgung und der Finanzierung gesundheitlicher Dienstleistungen. Es ermöglicht Konsum und Mobilität und unterstützt soziale Kontakte und Aktivitäten. Einkommen vermittelt ein Gefühl von Sicherheit, es trägt dazu bei, akute Belastungen zu bewältigen und begünstigt attraktive Lebensperspektiven. Hinzu kommt, dass Einkommen Bildungsinvestitionen sowohl für die Betroffenen als auch ihre Kinder ermöglicht und die Regeneration durch die Finanzierung von Erholungszeiten flankiert. Betrachtet man die in Evaluationen der Sozialen Schuldnerberatung zum Ausdruck kommenden zentralen Konsequenzen der Überschuldung, wird ersichtlich, dass die anhaltenden Zahlungsprobleme zu Funktionsverlusten auf der Einkommensseite führen, die ihre Spuren bei den Betroffenen hinterlassen. Zu den zentralen Folgen einer Überschuldung zählen die Gefährdung der Existenzgrundlagen insbesondere durch Miet- und Energieschulden, soziale Auswirkungen, die vor allem das Familienleben und das soziale Umfeld betreffen, seelische Belastungen wie Schlafstörungen oder Ängste und auch gesundheitliche Auswirkungen, die sich vor allem in Befindlichkeitsstörungen manifestieren (vgl. Ansen/Schwarting 2015, S. 183f.).

Überschuldung führt in der Zusammenschau von Ursachen und Folgen, die sich wechselseitig beeinflussen, bei den Betroffenen zu massiven Belastungen, die in soziale Erschöpfung münden und die Anfälligkeit für weitere Probleme vergrößern (vgl. Lutz 2014, S. 87f.). Überschuldung führt im Spiegel der Theorie der Ressourcenerhaltung durch den Verlust unterschiedlicher Ressourcen bei den Betroffenen zu einer Stresssituation, die ihre rationalen Handlungsmöglichkeiten verringert. Zu den objektiven Verlusten bei einer Überschuldung wie dem Verlust von Geld, Kontakten oder Gesundheit kommen subjektive Faktoren hinzu, also das Erleben der prekären Lebenssituation und die häufig pessimistische Einschätzung der Bewältigungsmöglichkeiten. In diesem Prozess der manifesten und der zusätzlich drohenden Ressourcenverluste kommt eine Verlustspirale mit hoher Eigendynamik in Gang, die zu einer weiteren Zuspitzung der Belastungen führt. Wenn überdies Ressourcengewinne ausbleiben, die Bemühungen um eine Problemlösung also wirkungslos bleiben, gelingt der eigenständige Ausstieg aus der Verlustspirale immer seltener (vgl. Hobfoll/Buchwald 2004, S. 1f.). Die Soziale Schuldnerberatung steht danach vor der Aufgabe, gemeinsam mit Ratsuchenden Wege eines Stopps der Verlustspirale zu finden und vor allem Ressourcengewinne zu ermöglichen.

Verdichtet man die Ursachen und Folgen der Überschuldung unter sozialarbeitstheoretischer Perspektive, handelt es sich nach dem prozessual-systemischen Zugang um ein soziales Problem, mit dem Ausstattungslücken, problematische Austauschbeziehungen, machtbedingte Unterlegenheit und eine negative Beurteilung auf der Basis von Wert- und Kriterienentscheidungen der Mehrheitsgesellschaft einhergehen (vgl. Staub-Bernasconi 2007, S. 180f.). Hinsichtlich der Ausstattungslücken fehlen nach diesem sozialarbeitstheoretischen Zugang sozioökonomische Mittel, um Bedürfnisse des täglichen Lebens und Bedürfnisse der sozialen Teilhabe befriedigen zu können. Die finanziellen Einschränkungen und die damit verbundenen Folgen schwächen die Betroffenen in ihren Austauschbeziehungen, sie sind anfälliger für Unterdrückung und Ausbeutung, ihnen fehlen gewissermaßen Tauschmedien für horizontale, auf Augenhöhe angelegte Beziehungen. In Bezug auf Machtfragen unterliegen die Betroffenen einer Behinderungsmacht. Gemeint ist damit, dass sie strukturell durch Benachteiligungen und belastende Regelungen beispielsweise im Pfändungsrecht oder im Katalog der Obliegenheiten im Verbraucherinsolvenzverfahren daran gehindert werden, ihre Interessen und Bedürfnisse erfolgreich zu vertreten. Mit Blick auf Kriterien und die Beurteilung ihrer überschuldungsbedingten Lebensumstände sind die Betroffenen anfällig für Stigmatisierungen, schließlich können sie in den Augen derer, die über sie urteilen, nicht mit Geld umgehen, sind leichtsinnig im Konsum und nicht bereit, ihren Lebensstandard den finanziellen Gegebenheiten anzupassen.

Die systematische Zusammenschau der Ursachen und Folgen einer Überschuldung leitet über zu den multiplen Herausforderungen, vor denen die Soziale Schuldnerberatung steht. Zuvor werden die Ursachen und Folgen einer Überschuldung an einem Fallbeispiel illustriert:

Fallbeispiel

Herr Müller, 43 Jahre alt, ist seit nunmehr eineinhalb Jahren nach einer betriebsbedingten Kündigung arbeitslos. Er war in seiner früheren Firma als Lagerarbeiter tätig, eine Berufsausbildung hat Herr Müller nicht abgeschlossen. Er ist verheiratet, Jan, der gemeinsame Sohn des Ehepaars, ist neun Jahre alt. Herr Müller war Alleinverdiener. Die Familie kam immer nur sehr knapp über die Runden, im Laufe der Jahre sind Schulden entstanden, u. a. für die Anschaffung eines PKW (Restschulden 4.500 EUR), einige Möbel (Restschulden bei einem Möbelhaus 2.300 EUR) und den letzten Familienurlaub (Restschuld des dafür aufgenommenen Bankkredits 900 EUR). Neben laufenden Krediten für diese Anschaffungen bzw. die Reise wurde auch der Dispositionskredit mit 1.000 EUR ausgeschöpft. Im sondierenden Beratungsgespräch werden auch Schulden bei den Eltern von Frau Müller in Höhe von 2.500 EUR angegeben. Bis zur für Herrn Müller völlig unerwarteten Kündigung (von den Problemen seines Betriebes wusste er nichts) war es mehr oder weniger gelungen, die einzelnen Zahlungsverpflichtungen einzuhalten. Seit dem Bezug von zunächst Arbeitslosgengeld I und mittlerweile von Grundsicherung und Sozialgeld nach SGB II schaffen es die Eheleute Müller nicht mehr, die Kreditraten fristgemäß zu tilgen.