Das Reichsgold Geheimnis - Octavius Zelma - E-Book

Das Reichsgold Geheimnis E-Book

Octavius Zelma

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Beschreibung

Morgen soll Mark Zarnack von der Kanzlerin das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen: für seinen außerordentlichen Einsatz um die deutsch-französische Aussöhnung. Hochgestimmt trifft der frühere Agent am Abend vor der Verleihung in Berlin ein — und muss erfahren, dass seine verloren geglaubte Tochter Mia gerade den deutschen Auslandsgoldschatz aus Pariser Tresoren gestohlen hat! Für morgen hat sich der französische Staatspräsident angesagt. Es jährt sich zum fünfzigsten Mal das historische letzte Treffen zwischen den Staatsmännern Adenauer und de Gaulle. Deswegen wollen die Kanzlerin und der französische Staatspräsident im Reichstag bei einer großen Feier deutsche und französische Orden verleihen und die Rückgabe des bisher in Frankreich lagernden deutschen Auslandsgoldschatzes bekanntgeben. Es bleiben 24 Stunden, das verschwundene Gold wieder herbeizuschaffen. Der Bundesnachrichtendienst hat dafür bereits seinen besten Agenten beauftragt: Sleym. Er soll Mia, der Tochter von Mark Zarnack, das Gold abjagen und es bis morgen nach Berlin bringen. Dafür ist er vom Bundesnachrichtendienst mit allen Vollmachten ausgestattet, auch der Zusicherung von Straffreiheit, sollte Mia etwas zustoßen … Der mit dem Bundesnachrichtendienst konkurrierende Kölner Verfassungsschutz reaktiviert Zarnack für die Jagd auf das Gold. Denn niemand dürfte motivierter sein, als ein Vater, der um das Leben seiner Tochter bangt - so das Kalkül des Verfassungsschützer. Was die Schlapphüte aus Köln nicht ahnen: Zarnack hat sich mit seiner Tochter schon vor zehn Jahren verkracht. Er weiß nichts über ihr Leben, ihre Verstecke, ihre Freunde. Sleym dagegen ist Mia längst auf der Spur. Er gehört zu einer neuen Generation von Agenten: dreißig Jahre jünger als Zarnack, hundert Prozent weniger Skrupel. Dem hat Zarnack nur eins entgegenzusetzen: Den verzweifelten Willen, das Leben seiner Tochter zu retten und sie endlich auf den richtigen Lebensweg zu bringen. Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt, an dessen Ziellinie eine überraschende Erkenntnis wartet — und der Tod.

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Das Reichsgold-Geheimnis

Ein Plan. Zwei Dienste. Drei Tonnen Gold

Agententhriller

Von Octavius Zelma

FS-Verlag Edition Störtebeker ISBN 978-3-932733-11-6

Besuche die Webseite des Autors: octavius-zelma.net

1. Kapitel - WERTLOS

17 Uhr, Samstag, 30.11.2013 | Noch 17 Stunden | 615 km bis zum Reichstag

"Sie können mich schon hier rauslassen."

"Könnte ich. Aber sollte ich?"

War das Berliner Schnauze? Dummheit? Oder Frechheit?

Nicht darüber nachdenken. Zarnack wollte sich nicht aufregen. Sein Arzt riet davon ab. Positiv sehen. Die Taxifahrerin mit dem Teint einer Mokkatorte konnte Deutsch, das war doch was.

Ups. Durfte man so was denken?

Zarnack patschte sich dafür auf die Finger. In Gedanken natürlich. Er war ausländerfeindlich. Aber keiner hatte es hören können.

Dummes Zeug denken war möglich, ohne dass jemand mithörte: Das hatten sie noch nicht geschafft, auch in der neuen Zeit nicht, in der Zarnack ansonsten Schwierigkeiten hatte, sich zurechtzufinden.

Er reichte der Taxifahrerin den Fahrpreis nach vorn und dazu ein gutes Trinkgeld, denn sie hatte zwar nicht die Hautfarbe, aber ungefähr das Alter seiner verlorenen Tochter. Er stieg also am Stelenfeld aus, und sogleich fand der Novemberwind den Weg unter die Knopfleiste seines Mantels.

Die Straßenbeleuchtung reichte nur bis knapp an den Rand des Stelenfeldes, das sich dunkel vor ihm ausbreitete. Als saugten die Stelen das Licht auf.

"Ich fahr Sie auch bis vor den Reichstag. Ist eine zugige Ecke hier", meldete sich die Mokkatorte durchs Seitenfenster.

"Das Stück schaffe ich zu Fuß."

"Sind schon Menschen umgekommen auf dem Weg."

Das bezweifelte Zarnack und zog den Mantel fester. Der Novemberwind ließ ihn frösteln. Das DreieckStelenfeld, amerikanische Botschaft, Reichstagdürfte der am besten bewachte Quadratkilometer Berlins, wenn nicht sogar Deutschlands, sein.

Der Eigensinn der Taxifahrerin erinnerte ihn an Mia, seine Tochter.

Entschlossen trat Zarnack hinein in die Dunkelheit und lächelte wehmütig. Es war Quatsch, was die Leute sagten, wenn sie gefragt wurden, ob sie alles wieder genauso machen würden. Er würde einiges anders machen. Aber der Gedanke daran, was er hätte besser machen können, dieser Gedanke war müßig; das Leben gab keine zweite Chance, es ging nur voran und in seinem Fall direkt aufs Ende zu — meinte zumindest sein Arzt.

Das Taxi, das Zarnack vom Bahnhof Zoo sicher durch das Straßen- und Autogewirr ins Herz der Hauptstadt gebracht hatte, quetschte sich auf die Hannah-Arendt-Straße. Der Audi dahinter stieg in die Bremsen, um eine Kollision zu vermeiden, aber er hupte nicht. Die Berliner kannten ihre Taxifahrer.

Zarnack atmete tief ein. Er wollte die Berliner Luft schmecken, dazu ein Stück deutsche Geschichte durchschreiten. Lange war er aus dem Geschäft. Seinen letzten Einsatz hatte er gehabt, als Bonn noch Hauptstadt gewesen war. Seitdem war viel Zeit vergangen; er hatte vergessen, wie es war, gebraucht zu werden.

Mit unsicheren Schritten streifte Zarnack durch das steinerne Feld, steuerte tiefer hinein. Ein Betonquader rechts, ein Quader links und scheinbar endlose Reihen davon vor ihm. Einige der Quader gingen ihm bis zu den Knien, viele reichten bis auf Kopfhöhe oder ragten darüber hinaus.

Seine Beine waren wie eingerostet. Ihnen tat die Bewegung gut. Die meiste Zeit hatte Zarnack in den letzten Jahren im Wohnzimmer zwischen Gelsenkirchener Barock gesessen. Nachmittags servierte Vera, seine zweite Frau, selbstgemachten Apfelkuchen. Ab und zu haderte Zarnack mit seinem Dasein als Ruheständler. Seit er aus dem Dienst war, fehlte ihm eine Aufgabe. "Aber ich brauche dich. Das ist deine Aufgabe", sagte Vera, schaute mit reizender Hilflosigkeit - die natürlich gespielt war - durch ihre Gläser und reichte ihm ein Stück gedeckten Apfelkuchen, den sie unnachahmlich backte.

Zwischen den einzelnen Quadern war nur so viel Platz, dass ein Mann gerade so hindurchgehen konnte. Zarnack fühlte sich beklommen, bedrängt von den Steinen, die stumm waren und dennoch erzählten.

Vielleicht sollte man sich so fühlen, wenn man die dunklen Seiten der deutschen Geschichte erkundete. Die Orientierung verlor Zarnack deswegen nicht. Zwischen den düsteren Stelen blitzte in der Ferne wie ein Wegweiser die beleuchtete Kuppel des Reichstags auf. In dreißig Minuten war Stellprobe im Foyer.

Zarnack sollte zusammen mit anderen Pensionären morgen das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen: im Rahmen einer Feierstunde aus Anlass der letzten Begegnung zwischen Adenauer und de Gaulle vor fünfzig Jahren.

Die wiedergewählte Kanzlerin würde zuerst aus der Hand des französischen Präsidenten das Otto Dix-Gemälde "Die Freundschaft" entgegennehmen. Französische Soldaten hatten das Bild des großen deutschen Malers bei Kriegsende aus dem Magazin des Landesmuseums Koblenz entwendet. Übermorgen sollte es feierlich zurückgegeben werden. Danach verliehen Kanzlerin und französischer Präsident Orden an verdiente deutsche und französische Staatsbürger.

Deswegen war Zarnack in Berlin: das erste Mal seit Jahren für zwei Tage getrennt von Vera. Morgen käme Vera nach, um von der Tribüne des Reichstags der Zeremonie zuzusehen.

Zarnack streckte die Hand aus und strich über den kalten Beton. Wie erstaunlich scharf die Kante der Stele war. Das passte zu den Deutschen. Sie waren Meister der Schärfe. Ihre Urteile waren scharf und ebenso ihr Handeln, wenn sie sich endlich entschlossen hatten.

Der Schlag traf ihn von hinten in die Kniekehlen.

"So ist es richtig. In die Knie gehen."

"Was … wie …."

"Du sollst beten."

"Was?"

"Dass du es überlebst."

"Tu ich das?"

"Zu deinem Gott sollst du beten!"

"Wenn es einen gibt."

"Oder zum goldenen Kalb oder was auch immer. An was glaubst du?"

"Würde es mir helfen zu glauben?"

Der Unbekannte hievte ihn hoch. Der Kerl hatte eine hohe Stirn und einen kurzgeschnittenen Bart; damit sah er intelligenter aus, als sein Gerede vermuten ließ. Er sagte: "Vielleicht nützt es nicht. Denen hier hat alles Beten nichts genützt."

Der Bärtige meinte wahrscheinlich die Juden. Zarnack waren nicht nur die Beine eingerostet, sondern auch das Hirn. Veras dauernde Volksmusikbeschallung aus der Telefunken-Musiktruhe forderte ihren Tribut.

Besser wäre gewesen, sich doch bis vor den Reichstag bringen zu lassen. Zarnacks untrainierten Beine zitterten. Er dachte an die letzten Worte der Taxifahrerin und hoffte, den Überfall des Verrückten zu überleben.

"Fünf Millionen. Vergast, verscharrt, vergessen." Der Bärtige ließ sich weiter über das Thema aus, statt die Sache zu Ende zu bringen, die er begonnen hatte. Anfängerfehler, dachte Zarnack und erinnerte sich an Leitsätze seines Ausbilders Kock, der letztes Jahr nach einer geschmackvollen Trauerfeier auf dem Bonner Burgfriedhof seine letzte Ruhe gefunden hatte. Zarnack holte aus zum Kock-Gedenkschlag und ließ seinen Dampfhammer gegen die plappernde Bartöffnung krachen.

Prompt versiegte der Redefluss, und Zarnacks Häscher schüttelte sich.

Zarnack hielt sich die Faust. Das hatte weh getan. Er war aus der Übung, streckte die Finger seines Dampfhammers.

Der Hieb, den sein Magen in dem Moment empfing, ließ Zarnack den Schmerz in den Handknöcheln vergessen. Zarnack verlor das Gleichgewicht und wäre mit dem Kopf gegen die Kante der Stele geknallt, und die hätte ihm den Schädel gespalten. — Doch der Bärtige fing den pensionierten Agenten auf.

"Vorsicht, Zarnack …"

Der Mann kannte seinen Namen?! Zarnack wollte fragen, doch die Stimmbänder gehorchten nicht, machten ungefragt Platz für Currywurst und Fritten, die Zarnack sich am Bahnhof Zoo bei der Ankunft gegönnt hatte.

"… sonst krieg ich Ärger, wenn du dir was tust."

"Ä-Ä-Ärger?" Zarnack klang wie eine meckernde Ziege und hatte einen ekelhaften Geschmack im Mund. Er gab eine fürwahr jämmerliche Figur ab. Sein Kamelhaarmantel war verschmutzt. Vera hatte ihm den Mantel für den Berlinbesuch gekauft, ebenso die edlen Wildlederslipper. "Ist bloß eine Stellprobe", hatte er protestiert. "Wunderbar", hatte sie gesagt, "kannst du alles bei der Verleihung noch mal verwenden. Zieh es jetzt an. In deiner Strickweste lasse ich dich nicht nach Berlin." So war Vera. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann ließ sie sich davon nicht abbringen. Er schaute nach den Slippern. Zum Glück waren sie unbeschädigt.

Der Bärtige sagte: "Lass deinen Mantel. Ist Goll egal. Komm endlich."

"Goll?" Eine Erinnerung wollte aufsteigen, verklemmte sich aber unter mehreren Lagen Volksmusik.

"Wirst ihn kennenlernen." Der Bärtige zog Zarnack fort. "Und keine Dummheiten mehr."

Zwischen den Stelen hindurch konnte Zarnack für Augenblicke bis zum Bürgersteig sehen. Er glaubte, zwei uniformierte Beamte auf Streife zu erkennen.

"Hilfe!" wollte Zarnack rufen. Doch zu schnell riss der Bärtige ihn tiefer hinein in die Dunkelheit des Stelenfelds. Hinter der höchsten Stele am Ende des Steinmeeres wurde eine Baubude sichtbar. Wahrscheinlich war sie vergessen worden von einer Baukolonne. Oder stehengelassen als Lagerschuppen für die dauernden Reparaturarbeiten, von denen man hörte. Die Stelen, angeblich für Jahrunderte betoniert, litten unter Rissbildung bei Frost.

Zarnack wurde von seinem Kidnapper im Polizeigriff gehalten. Mit der anderen Hand öffnete der Mann die knarrende Budentür. Weniger kalte Luft strömte ihnen aus der Bude entgegen, Zarnack blinzelte. Er wurde in das schwarze Loch geschoben, und hinter ihnen schloss sich die Tür.

"Vorwärts."

"Aber …" Zarnack sah nur Schwärze. Gleich liefe er gegen Schubkarre oder Zementsäcke … Der Bärtige knipste einen Schalter, eine altertümliche Glühbirne spendete schmales Licht. Vor Zarnack führte eine Treppe steil in den Untergrund: dreizehn Stufen, die vor einer verrosteten Bunkertür endeten. Mit einem langen Schlüssel entsperrte der Bärtige die verrottete Tür. Sie schwang überraschend geräuschlos auf und der warme Luftzug wurde stärker.

"Hier ist er", rief der Bärtige und seine Stimme hallte von entfernten Wänden wieder. Er schob Zarnack voran in eine unterirdische Halle.

Das rußende Feuer zweier Fackeln kämpfte mit bescheidenem Erfolg gegen die Dunkelheit des Gewölbes, in dem viele leere Regale standen.

"Sie müssen entschuldeggen, Zarnack. Der Strom ist hier unten seit 1945 abgedreht."

"Sie sind das?", entfuhr es Zarnack. "Sie haben mich hierher bringen lassen?"

Zarnack wusste sofort, dass es Goll war, den er hörte. Der Dialekt war unverkennbar und löste Zarnacks blockierte Erinnerung. Goll hatte ihn einmal angerufen, damals als Zarnack noch im aktiven Dienst stand, und Zarnack hatte sich gleich lustig gemacht über Golls Aussprache. Das war ein Fehler gewesen.

Im flackernden Fackellicht stand Goll ihm nun zum ersten Mal leibhaftig gegenüber, und Goll sah genauso aus, wie ihn damals jüngere Kollegen geschildert hatten. Goll war klein und hatte die Proportionen einer Birne; um die Schultern herum war er schmal, in den Hüften füllig und weich. Er hatte Geheimratsecken und trug einen dreiteiligen Anzug mit geblümtem Einstecktuch. Nur die Zigarre fehlte; es hieß, er rauche vierMontecristoam Tag.

Goll galt als skrupellos. Er war schlauer als ein großer Teil des politischen Personals der Hauptstadt, und längst wäre er in die Politik gegangen. Parteifreunde verhinderten es. Er sei nicht präsentabel, sagte man. Und meinte seinen Dialekt, der in einer Talkshow-Demokratie Mehrheiten gefährden konnte.

"Treten sie neher, Zarnack!"

"Es ist eine Entführung!"

"Was für ein hessliches Wort."

Früher mochte Goll sächsisch gesprochen haben. Seitdem ein Dutzend Sprechtrainer versucht hatten, Golls Dialekt ins Hochdeutsche umzubiegen, redete Goll in einem ganz eigenen Dialekt.

"Ich kenne meinen Ruf. Ich were ein Rüpel, ein Roué. Kommen Sie neher."

"Warum der Aufwand? Sie hätten mich anrufen können. Ich bin das Wochenende über sowieso in Berlin, wir hätten uns treffen —"

"Sie hetten mich nicht sehen wollen, stimmt's?"

Das konnte sein. Goll war es gewesen, der Zarnack aus dem Dienst gedrängt hatte. Zarnack hatte nur Stunden nach dem verhängnisvollen Telefonat seine Entlassungspapiere von einem Boten in die Kantine gebracht bekommen, und seinen Schlüssel hatte er abgeben müssen, ohne das Büro überhaupt noch einmal betreten, ohne sich von den Kollegen verabschiedet haben zu dürfen. Und ohne Goll überhaupt gesehen zu haben, der damals gerade an die Spitze des Amts berufen worden war.

Alles das war mehr als zwanzig Jahre her. Zarnack war milde geworden.

"Ech bin Goll. Eberrascht sie das?" Er verzerrte die Vokale immer mehr.

"Ich dachte es mir fast", sagte Zarnack.

"Sehr scheen. Ech arbeite gern mit Menschen, die denken kennen." Goll schlug die Jacke zurück und steckte die Daumen in die weit geschnittenen Armlöcher der Weste. "Sie glauben, ech hette sie damals abgesägt." Mit zwei schnellen Schritte war er bei Zarnack und schaute den Ex-Agenten von unten herauf scharf an. "Habe ech damals Ihnen gegenüber die Entlassung ausgesprochen?"

"N-Nein."

"Die kam nemlich noch von meinem Vorgänger. Haben Sie mich jemals zu Gesicht bekommen?"

"Ich habe Sie nie gesehen." Was der Wahrheit entsprach, denn der Geheimdienstchef hatte - nachdem ihm eine Karriere in der Politik verwehrt geblieben war - aus der Not eine Tugend gemacht.

"Sehen Sie. Alles Gerüchte. Geben Sie nichts drauf. War mein Vorgenger gewesen, der Ihnen das angetan hat."

Goll hatte sich auf sein Amt konzentriert und aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Seit zwei Jahrzehnten gab es keine offiziellen Auftritte und keine Fotos von ihm. Pressekonferenzen wurden von Sprechern abgehalten. Der Ruf des unsichtbaren Goll wuchs mit den Jahren ins Legendäre, kam schließlich gleich dem des geheimnisumwitterten Spionagechefs der DDR, Markus Wolf. Alle möglichen und unmöglichen Geheimoperationen wurden Goll zugetraut; er war der Strippenzieher der Exekutive, die dunkle Macht.

"Jetzt sehen Sie mich leibhaftich und jetzt mache ech Ihnen ein Angebot, und Sie werden erleben, dass es fair ist. Sehr feer."

Er hakte die Daumen aus der Weste, breitete die Arme aus. "Was ist das, Zarnack? Was sehen Sie?"

Zarnack schaute sich um. Die Regale waren leer. Sie bestanden aus Holz, es waren dickere Regalbretter als üblich, gemacht für Zentnerlasten.

"Hier lagerten fünfhundert Tonnen", sagte Goll. "Reines Gold. Jenau. Barren zu ein und zu fünfundzwanzig Kilogramm. Seit Jahrzehnten die übleche Barrenjröße für Notenbankengold."

"Es hat sich schon jemand gründlich bedient", sagte Zarnack.

"Keineswegs. Alles ordnungsjemäß abgelaufen. Die SS hat den Schatz unter anderem ins Salzbergwerk nach Merkers transportiert. Das liegt in der östlichen Rhön, späteres Staatsgebiet der DDR. Das alles passierte Stunden, bevor die Russen kamen."

"Sie meinen oben brannte Berlin …"

"… und hier verpackten SS-Mannschaften Barren in Kiefernholzkisten. Wenn die Deutschen etwas beherrschen, dann ist es, Anweisungen auszufehren. Auch wenn sie von Verbrechern kommen."

"Das ist lange her", meinte Zarnack

"Jenau. Achtundsechzig Jahre. Und jetzt hat mein Verfassungsschutz die Aufgabe bekommen, das Gold zurückzuholen." Er machte ein Handzeichen und aus der Dunkelheit trat der Bärtige mit der hohen Stirn, um Goll eine Mappe mit der Aufschrift "Verfassungsschutz - VS-VERTRAULICH" zu geben. Goll klappte die Mappe auf. "Dringende Dienstanweisung … Die Bundesbank will die Barren zurückholen. Auf Druck der Öffentlichkeit."

"Es ist Nazigold … Raubgold", meinte Zarnack.

"Unsinn. Es trägt den Prägestempel der staatlechen preussischen Münze von 1938. Die KoKo der DDR holte es 1986 aus den Bergwerken und übergab es Paris als Pfand für einen Millijonenkredit. Ohne den Kredit wäre die DDR damals zusammengebrochen. Was sie dann ja erst drei Jahre später tat. Die Franzosen hatten enormes Interesse daran, dass es zwei kleine deutsche Staaten gab, statt eines vereinegten Deutschlands. Also gaben sie der DDR 1986 die Millijonen und nahmen das Gold als Sicherheit. Nach der Wiedervereinegung beglich Bonn die Schulden der DDR, und das Gold ging in Deutschlands Besitz über, verblieb aber in den Tresoren derBanque de France. Da es nun in der deutsche Öffentlechkeet Diskussionen gibt, ob das Gold überhaupt noch da ist, will die Bundesbank es zurückholen. Was Unsinn ist. Es ist alles da, und wir hätten es gar nicht so gern hier."

"Weil es doch Raubgold ist. Oder …" Zarnack zögerte, es auszusprechen. "… oder es ist von den Juden."

Goll ging nicht darauf ein. "Aber besser es ist hier, als dass es noch mehr Aufmerksamkeit erregt. Jetzt ergebt sich eine prima Jelegenheit, es zurückzuholen. Die Kanzlerin begründet es gegenüber den Franzosen mit dem Druck der Öffentlichkeit, und wir transportieren es unauffälleg zurück in einem gesecherten Gemäldetransport, den die Franzosen sowieso von Paris aus auf die Reise schecken. Irgendsoein wertvoller Ölschinken, den die Franzosen restetueren wollen."

"Was habe ich damit zu tun?"

"Mehr als Sie denken, lieber Zarnack."

"Alles sehr interessant. Mir läuft aber die Zeit davon", sagte Zarnack. Hatte der Bärtige vorhin die Bunkertür abgeschlossen, oder konnte er ungehindert hinaus? "Ich muss in zwanzig Minuten bei der Stellprobe im Reichstag sein und danach meine Frau Vera —"

"Vera?"

"Meine Frau."

"Sie heißt Moni." Goll blätterte in seiner Akte. Offensichtlich ein Dossier über Zarnack.

"Moni war meine erste Frau, sie ist —"

"Mutter Ihrer Tochter Mia."

"Woher wissen Sie von Mia?"

"Ist mein Beruf."

"Meiner war es", sagte Zarnack und bemerkte bei sich einen Anflug von Wehmut, obwohl seine Agentenzeit lange zurücklag.

"Sie glauben, sie können Ihren Beruf an den Nagel hengen? Wie einen Mantel an der Garderobe? Glauben Sie das wirklech?"

Zarnack wusste nicht recht. "Nun …"

"Einmal Agent, immer Agent. Ihre Tochter ist übrigens in Ihre Fußstapfen jetreten."

"Sie ist Bäckereifachverkäuferin."

"Sie backt jreeßere Breetchen, als Ihr Vater denkt", meinte Goll. "Sehr viel jreeßere Breetchen." Goll klappte die Mappe zu. "Aber vielleicht verschluckt sie sich daran."

"Das glaube ich kaum." Zarnack hatte zwar seit zehn Jahren nichts mehr von Mia gehört: Seitdem sie sich mit diesem Alexander eingelassen hatte, ihn gegen den väterlichen Rat geheiratet hatte. Aber Zarnack mochte es nicht, wenn jemand schlecht über seine Tochter sprach. Auch nicht, wenn es ein leibhaftiger Präsident des Verfassungsschutzes war.

"Das wird sich zeigen", sagte Goll. "Sie hatte den Auftrag, das Gold von derBanque de Francenach Berlin zurückzuholen."

"Den Auftrag? Was für ein Auftrag? Von wem?" Zarnack guckte ungläubig. Mia hatte davon geträumt, als Wissenschaftlerin die Polarregionen zu erforschen. Sie war beim Alfred-Wegener-Institut beschäftigt gewesen, hatte Nautik-Kurse besucht, sogar mehrere Seminare absolviert, die sie befähigten, ein Forschungs-U-Boot zu steuern. Aber in die Nähe des Polarkreises war sie nach all den Vorbereitungen nie gekommen. Schuld daran war eine Männerclique von Vorgesetzten, hatte Mia ihrem Vater geklagt. Wütend hatte sie hingeschmissen. Heute jobbte Mia als Verkäuferin einer Bäckereikette. Geschieden, Geringverdienerin, kein Mann, keine Kinder — es war ein Trauerspiel.

"In meinem Auftrag. Jenau", sagte Goll.

"Das glaube ich nicht." Seine Mia eine Agentin? Das war lachhaft. "Sie hätte es mir erzählt."

"Dann wäre sie durch uns schlecht ausjebeldet worden. Natürlich hat sie niemandem etwas davon erzählt. Bäckereifacherkäuferen ist iene perfekte Tarnung."

"Aber ihrem Vater hätte sie etwas gesagt. Ich bitte Sie, Herr Goll."

"Was wäre jewonnen gewesen? Sie wollte eine gute Agentin sein."

"Sie wollte? Mit anderen Worten, sie ist es nicht?" Das wäre typisch Mia. Vermasselte eine Chance, die man ihr bot. Und wenn man ihr das auf den Kopf zusagte, war sie beleidigt.

"Nein, sie ist es nicht mehr. Um jenau zu sein, sie ist in erheblechen Schwierigkeiten."

Eben deswegen hatten Zarnack und Mia seit zehn Jahren keinen Kontakt mehr. Mia nutzte ihre Talente nicht, sie hörte nicht auf väterliche Ratschläge, glaubte stattdessen, es besser zu wissen und zog Schwierigkeiten magisch an.

Goll legte die Mappe ins Regal. "Wollen Sie auch einen Schluck, Zarnack?"

Zarnack winkte ab. "Schwierigkeiten?"

Der Geheimdienstchef schenkte sich aus einer Flasche Sprudelwasser ein und nahm einen Schluck. Dann sagte er: "Ihre Tochter Mia ist eine Diebin."

Das auch noch.

"Macht sie es wenigstens gut?", sagte Zarnack.

"Bitte?" Goll verschluckte sich fast.

"Ist sie eine gute Diebin? Ich meine, bisher hat sie so ziemlich jeden Job, den sie angepackt hat, in den Sand gesetzt."

Goll stellte das halbvolle Glas zurück ins Regal. "Habe ich Sie falsch einjeschätzt? Sind Sie moralisch unjefestigt? Ihre Tochter hat den deutschen Goldschatz gestohlen. Der Schatz, der hier hinein gehört. Und Sie fragen mich, ob Ehre Tochter es jut jemacht hat?"

"Bitte?" Zarnack hüstelte. Das war eine Überraschung. Hätte er Mia nicht zugetraut.

Aber das durfte er nicht denken. Genausowenig wie dieses ausländerfeindliche Zeug. Immerhin war er Staatsdiener gewesen. Hatte Deutschland aus kitzligen Situationen gerettet. Bekam das Bundesverdienstkreuz. Und doch … dieser Coup … seine Mia. — Zarnack war durcheinander. Er griff zu Golls Glas.

"Aber das ist … das ist meins", protestierte Goll.

Zarnack trank.

"Liegt wohl in der Famelje?"

"Bitte?"

"Sie nehmen es nicht so jenau mit meins und deins."

Zarnack stellte das Glas zurück. "Und Sie nehmen es nicht so genau mit der Freiheit eines Bürgers. Berufskrankheit, oder?" Er wandte sich zum Gehen.

"Verjessen Sie meine unbedachte Äußerung. Zarnack! Warten Sie … bitte."

Kein Vater ging, wenn seine Tochter in Schwierigkeiten war. Zarnack blieb stehen; wenigstens anhören würde er Goll. In einer Geste der Unentschlossenheit wischte Zarnack über einen der Regalböden. Zu Staub gewordene Zeit. Eine dunkle, schmierige Zeit.

Goll reichte sein geblümtes Taschentuch.

Zarnack wischte sich den Staub von den Fingern ab. Staub, der sich in fast siebzig Jahren seit Kriegsende angesammelt hatte. Womöglich auch schon zuvor. In den zwölf Jahren vor 1945 mochten die Reichsbanker die Regale bereits leergeräumt haben, um mit dem Edelmetall die Kriegsmaschinerie des Dritten Reiches zu finanzieren. Anschließend waren die Regale aufgefüllt worden mit Raubgold, dass die Wehrmacht im Osten zusammengerafft hatte. In den letzten Tagen vor der Eroberung Berlins durch die Rote Armee war das geraubte Gold in aller Hektik verpackt und aus der Stadt gebracht worden: zu großen Teilen versteckt worden in einem Stollen in Merkers. Die DDR hatte es dann an Frankreich verpfändet und das Gold nach Paris transportieren lassen. Das wiedervereinigte Deutschland hatte das Pfand ausgelöst, den Schatz aber in Paris gelassen.

Es war das tonnenschwere, geheime Fundament der deutsch-französischen Freundschaft nach der Wiedervereinigung der beiden Teile Deutschlands 1990. Jetzt sollte das Gold zurückgeholt werden, ein neues Fundament hatte es abgelöst: der Euro. Und beim Rücktransport war Deutschland des Goldes, das seit Jahrzehnten versteckt gelagert worden war, doch noch verlustig gegangen.

Mia Zarnack hatte es jetzt.

Mark Zarnack konnte sich ein Schmunzeln kaum verkneifen. Goll, mit der Heimholung der Barren beauftragt, hatte ein echtes Problem. Deutschland hatte ein Problem. Mia war gar keine Bäckereifachverkäuferin. Und Zarnack hatte gedacht, Mia hätte zu wenig aus ihren Talenten gemacht.

Die Gedankengänge Zarnacks waren wenig korrekt, sie waren subversiv. Aber die Gedanken waren frei. Zarnack fühlte sich ein bisschen wie ein Revoluzzer.

"Sie müssen das Gold zurückbrengen."

"Warum sollte ich?"

"Wegen Sleym", sagte Goll.

"Sleym?"

"Sie kennen ihn."

"Ich habe von ihm gehört." Das war eine Untertreibung.

"Er ist jetzt Zeckendorfs bester Mann."

"Ich dachte, Sleym arbeitet für Sie?"

"Schon lange nicht mehr. Zeckendorf hat ihn abjeworben."

Zeckendorf war Chef des BND. Verfassungsschutz und BND konkurrierten. Um Ansehen, Aufträge, Fortbestand.

"Wir als Verfassungsschutz sind zuständig. Wir haben das Gold zurückzuholen. Jedoch seit der BND auf dem Sprung nach Berlin ist, hockt Zeckendorf jeden zweiten Morgen auf dem Schoß des Innenministers und hat sich dessen Einwilligung jeholt. Der Innenminister traut Zeckendorf eher zu als mir, das Gold zu retten. Aber ich bin Deutschlands erfolgreichster Geheimdienstchef, wir sind zustendig. Das verschwundene Gold muss bis morgen hier im Reichstag sein. Morgen empfängt die Kanzlerin den französischen Präsidenten. Er wird den Ölschinken und das Gold überjeben. Und Sie bekommen Ihren Blechstern. Jans jroße offizielle Feierstunde im Reichstag. Zeckendorf will mich ausstechen und hat deswegen Sleym, seinen besten Mann, hinter Ihrer Mia hergeschickt."

Das war raffiniert. Setze zwei miteinander konkurrierende Geheimdienste ein, wenn du schnell und sicher einen Erfolg benötigst. Zarnack dachte an Sleym. Der war noch ein Anfänger im Schlapphutgewerbe gewesen, als Zarnack ihm begegnet war. Zarnack hatte ein Fortbildungsseminar geleitet, zu dem Sleym kommandiert worden war. Sleym hatte sich benommen, als wäre er Klaus Kinski, ein damals populärer Schauspieler: exaltiert und erratisch. Dazu zeigte Sleym eine merkwürdige Begeisterung für Schusswaffen. Zarnack hatte seine Bedenken dem Abteilungsleiter in einem Memo aufgeschrieben: Hier bildete der Dienst einen Mann an Pistolen aus, der Spaß am Töten hatte. Kampfmaschinen wollte der Verfassungsschutz eigentlich nicht. Aber es war die irrationale Spätphase des Kalten Krieges gewesen. Über Bedenken wurde hinweggesehen.

Zarnack sagte: "Tatsächlich Sleym? Zeckendorf hat Sleym beauftragt?"

Goll nahm das Taschentuch, faltete es an der Bügelkante und steckte es zurück in die Brusttasche. "Sleym wird alles tun, um das Gold bis morgen herbeizuschaffen. Er wird Mia töten, wenn sie sich entgegenstellt. Ich möchte, dass Sie das Gold vorher für mich finden und herbringen. Und ihre Tochter natürlich ebenso. Sie ist ein schönes Mädchen, so heißt es."

Zarnack sagte: "Ich habe keinen blassen Schimmer, wo sie ist."

Zarnack sagte auch: "Ich habe seit zehn Jahren nicht mit ihr gesprochen."

Und: "Ich habe sie aus dem Haus geschmissen. Ihr hinterher gerufen, ich wolle sie nie mehr sehen."

Zarnack fand viele Ausreden.

Keine von ihnen stach. Das wusste er. Denn ihn ließ die Erinnerung an Sleym nicht los. Sleyms Anzug mit den damals modernen, breit gepolsterten Schultern. Sleyms Lächeln, das schwankte zwischen Sadismus und Wahnsinn. Seine Augen, die nicht mitlächelten.

Zarnack sagte: "Ich mache es."

Er musste Mia finden, bevor sie in die Fänge von Sleym geriet.