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Als Shawn nach vielen Jahren in seine Heimatstadt zurückkehrt, rechnet er nicht damit, gleich zu Anfang ausgerechnet Wesley über den Weg zu laufen. Denn Wesley ist der jüngere Bruder seiner verstorbenen, ersten großen Liebe Cale. Die Begegnung wirft Shawn völlig aus der Bahn, weil Wesley Cale nicht nur sehr ähnlich sieht, sondern auch Gefühle in Shawn weckt, die er nie wieder zu empfinden geglaubt hätte. Aber sieht er in Wesley nur den toten Cale oder hat ihre Liebe eine echte Zukunft? Diese Geschichte basiert auf einer Kurzgeschichte der Autorin, die bereits in einer Anthologie veröffentlicht wurde.
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Seitenzahl: 398
Deutsche Erstausgabe (ePub) August 2018
© 2018 by Caitlin Daray
Verlagsrechte © 2018 by Cursed Verlag
Inh. Julia Schwenk, Taufkirchen
Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung,
des öffentlichen Vortrags, sowie der Übertragung
durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile,
Nachdruck, auch auszugsweise, nur mit
Genehmigung des Verlages.
Bildrechte Umschlagillustration
vermittelt durch Shutterstock LLC; iStock
Satz & Layout: Cursed Verlag
Covergestaltung: Hannelore Nistor
Druckerei: CPI Deutschland
ISBN-13: 978-3-95823-708-7
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Klappentext:
Als Shawn nach vielen Jahren in seine Heimatstadt zurückkehrt, rechnet er nicht damit, gleich zu Anfang ausgerechnet Wesley über den Weg zu laufen. Denn Wesley ist der jüngere Bruder seiner verstorbenen, ersten großen Liebe Cale. Die Begegnung wirft Shawn völlig aus der Bahn, weil Wesley Cale nicht nur sehr ähnlich sieht, sondern auch Gefühle in Shawn weckt, die er nie wieder zu empfinden geglaubt hätte. Aber sieht er in Wesley nur den toten Cale oder hat ihre Liebe eine echte Zukunft?
Für meine Mama und die coolsten Onkel
und Tanten dieser Welt, die meine
Bücher in ihren Regalen stehen haben!
Manchmal wünsche ich mich in meine Kindheit zurück. In die Zeit, in der dieser Ernst des Lebens noch nicht existiert hat und mein einziges Problem meine Mutter war, die mich um Punkt 18 Uhr zum Essen erwartete. Ich möchte zurück und wieder als Kind durch die Straßen ziehen, Ball spielen, die Jungs von zu Hause abholen und sinnlos mit ihnen in der Gegend abhängen, ohne mir dabei blöd vorzukommen. Die Welt wieder mit den Augen eines Kindes zu sehen, das wäre mein sehnlichster Wunsch.
Müde schleppe ich mich aus der U-Bahn-Station nach oben, jeder Schritt fällt mir schwer. Ich glaube, es gibt keinen Knochen, der mir nicht wehtut. Meine Hände, Füße und meinen Rücken hat es am schlimmsten erwischt. Man sollte meinen, dass ich die harte Arbeit auf dem Bau gewohnt bin, aber ich kann seit einer Weile nicht mehr schlafen, bin ständig erschöpft und auf den Baustellen unkonzentriert. Solche Phasen habe ich immer zwischendurch, meistens dann, wenn ich es nicht mehr schaffe, meine Gedanken und Erinnerungen vor der Vergangenheit zu verschließen. Ich arbeite wie ein Irrer, damit ich nicht darüber nachdenken muss, aber wenn es mich überkommt, ist das normalerweise der Zeitpunkt, an dem ich meine Sachen packe und weiterziehe.
Am liebsten würde ich mich irgendwo in einer dunklen Ecke auf einem Karton ausruhen und nur noch schlafen, aber das wäre sogar für mich ziemlich dumm. Das ist nicht der geeignete Ort für ein Nickerchen, es sei denn, man will ausgeraubt, erstochen oder vergewaltigt werden. Nicht besonders verlockend. Der Gedanke reicht schon aus, um mich weiter voranzutreiben, obwohl ich nicht mehr kann.
Die Gegend hinter dem U-Bahnhof gehört nicht gerade zu den sichersten, aber leider muss ich hier durch, wenn ich nach Hause will. Wobei der Block, in dem ich wohne, auch nicht besser ist.
Die Gefahr, dass ich in meiner eigenen Wohnung abgestochen oder ausgeraubt werde, ist fast genauso hoch wie auf der Straße. Dieser Teil der Stadt ist die reinste Brutstelle für den Abschaum, der für ein paar Kröten alles tun würde. Ich hab schon einiges gesehen, angefangen von Prostituierten und Drogendealern bis hin zum Auftragskiller. Tür an Tür mit solchen Gestalten zu wohnen, ist für manche bestimmt unvorstellbar, aber hier fühle ich mich ironischerweise sicher. Nicht etwa wegen meiner dubiosen Nachbarn, sondern weil sie mir alleine mit ihrer Anwesenheit bestimmte Leute vom Hals halten. Und solange man sich aus dem Weg geht, funktioniert es irgendwie. Da ich Menschen ohnehin meide, weil sie nur Ärger bedeuten, kann ich ganz gut damit leben.
Als ich an der nächsten Kreuzung nach links abbiege, taucht unweit vor mir eine Gruppe auf. Einige Gesichter sind mir nicht unbekannt. Sie gehören zu einer Gang, die hier in der Umgebung das sagen hat. Ich weiß, dass sie mich ständig im Auge haben, aber solange ich keine falsche Bewegung mache, lassen sie mich in Ruhe. Meine äußere Erscheinung trägt außerdem ihren Teil dazu bei. Auf manche wirke ich ziemlich abschreckend. Es gab auch schon Leute, die mich gefragt haben, ob ich für sie jemanden beseitigen könnte. Wenn die wüssten! Ich gucke vielleicht wie ein Serienkiller, aber in Wahrheit bin ich total feige, aber das versuche ich so gut wie möglich zu vertuschen. Das Gesetz zu brechen, käme mir nicht einmal ansatzweise in den Sinn.
Als Kinder haben meine Freunde oft Süßigkeiten geklaut, aber ich hab mich nie aktiv beteiligt. Bis auf das eine Mal, da sollte ich den Lockvogel spielen, aber der Ladenbesitzer hat mich sofort erwischt, da bin ich vor ihm jämmerlich in Tränen ausgebrochen. Meine eigene Strafe fiel milde aus, aber die der anderen weniger. Danach haben sie mich vermöbelt und ich durfte immer nur abseits stehen und warten.
Langsam gehe ich auf die Gruppe zu, ein paar Gangmitglieder drehen ihre Köpfe in meine Richtung und starren mich misstrauisch an, andere ignorieren mich.
Wichtig ist, ruhig zu bleiben. Auch wenn ich nervös werde, versuche ich, es so gut wie möglich zu verbergen. Ich will niemandem einen Grund geben, mir die Kehle durchzuschneiden, also nicke ich ihnen gelassen – hoffentlich wirkt es nicht zu steif – zu und schlendere weiter.
Keine Ahnung, ob jemand zurücknickt, denn ich sehe keinen von denen an. Als ich mit ihnen auf einer Höhe bin, löst sich eine Gestalt aus der Gruppe und jagt mir damit einen tierischen Schreck ein. Ich spanne mich an und presse die Zähne zusammen. Einfach weitergehen, nicht umdrehen und keine hastigen Bewegungen! Wäre ich doch bloß mit dem Auto gefahren, wieso tue ich mir das alles nur jeden verdammten Tag an?
»Hey.«
Mein Herz bleibt für ein paar Sekunden stehen, aber als mir klar wird, dass ich die Stimme kenne, beruhigt es sich wieder. Oh Gott, es ist nur Felipe! Hoffentlich sieht niemand, wie ich aufatme.
»Ich begleite dich.« Er gehört auch zur Gang und ist vermutlich der Einzige auf der ganzen Welt, der keine Angst hat, sich mir zu nähern und normal mit mir zu sprechen. Es scheint ihn auch nicht zu stören, dass ich kaum ein Wort rede. Felipe quatscht, als wäre nichts, und führt nur Monologe, nachdem er mir eine Kippe angeboten hat.
Die Zigarette glimmt in seinem Mundwinkel auf und erhellt für einen kurzen Augenblick sein Gesicht. Er ist nicht viel älter als ich, schätze ich. Vielleicht Anfang dreißig? Trotzdem sind seine Gesichtszüge hart und lassen ihn älter erscheinen.
»Yo! Mister Stummfisch!«, ruft jemand hinter uns, vermutlich aus der Gruppe.
Oh Mann, können die mich nicht einfach in Ruhe lassen?
Ich werfe einen kurzen Schulterblick zurück und sehe einen jungen Burschen auf uns zukommen. Keine Ahnung, wer das ist, aber ich sehe ihn oft mit den Jugendlichen herumlungern. Vielleicht ist er gerade mal aus der Highschool raus, er ist jedenfalls jünger als die Männer, mit denen er da abhängt.
»Redest du mit mir?« Ich weiß genau, wie ich meine Stimme einsetzen muss, um Menschen einzuschüchtern. Er bleibt abrupt stehen, geht sogar einen halben Schritt zurück, sodass die Typen bei ihm lachen. Er zögert, bevor er mit der Sprache herausrückt. »Da… da war heute jemand… hat nach dir gefragt.«
Ich drehe mich ganz zu ihm um und gehe meinerseits einen Schritt auf ihn zu. »Wer?«, bohre ich nach und muss glaubwürdig rüberkommen, wenn meine Fassade nicht bröckeln soll. Ich weiß schon gar nicht mehr, wie es ist, nett zu jemandem zu sein.
»Irgendeine alte Lady, Mann! Bleib bloß weg von mir!« Er versteckt sich hinter seinen Leuten. »Ich wollte es dir nur sagen, weil du meinem Bruder gestern geholfen hast, klar? Die hatte ein Foto, auf dem du jünger bist… sahst da noch nicht so aus wie jetzt… ohne den Bart und so… Hab dich auch nur an den Augen erkannt!«, plappert er und erschlägt mich fast mit seinem Wortschwall. »Hab dichtgehalten, damit du's weißt! Jetzt sind wir quitt!«
Ich starre den Gnom an, aber mein Blick wandert ins Leere. Eine alte Lady? Wer könnte das sein?
In Gedanken versunken drehe ich mich wieder zu Felipe um, der noch dasteht und auf mich wartet.
Ob sie mich wieder gefunden haben…? Aber genau deswegen verstecke ich mich doch in solchen Gegenden.
Ich verdiene gut genug, um mir eine einfache Wohnung in einer besseren Umgebung leisten zu können, aber da würde man mich wohl sofort aufspüren. In der miesesten Ecke der Stadt hingegen schauen die Vermieter nicht so genau hin, wenn man einen falschen Namen angibt, solange die Miete pünktlich überwiesen wird.
»Alles klar?«, fragt Felipe, als ich wieder an seiner Seite bin. Ich ignoriere seine Frage. Mein Herz schlägt unglaublich schnell und meine Hände fangen an zu schwitzen.
»Hey! Hey, weißt du was?«, ruft mir der Knirps aus der Gruppe zu. »Du bist zwar immer so still, Mister Stummfisch, aber ich wette, du hast mehr Dreck am Stecken als wir alle hier! Würde mich nicht wundern, wenn die Alte ein Cop war. Was hast du gemacht, jemanden umgebracht?«
Seine Worte treffen mich so hart, dass ich einen Augenblick lang die Luft anhalte und die Hände zu Fäusten balle.
»Halt die Schnauze, Enrico!«, blafft Felipe zurück.
»Was denn? Ist doch wahr! Woher weißt du denn, dass er kein Mörder ist? Er sagt nie was, keiner kennt ihn und bestimmt versteckt er sich deshalb hier!«
Er ist nur ein kleiner Junge… Er hat das nur so dahergesagt und weiß nicht, wovon er spricht… Er hat nur geraten, niemand weiß, was ich getan habe.
Aber egal, wie oft ich mir das sage, ich kann nicht mehr! Mein Herz rast so schnell und meine Hände fangen an zu zittern. Kalter Schweiß steht auf meiner Stirn und das Atmen fällt mir schwer.
»Ignorier den Idioten!«, brummt Felipe. »Die gehörte auf keinen Fall zur Polizei. Hab von den Jungs gehört, dass sie in einem fetten, auffälligen Geländewagen hier auf und ab gefahren ist. Das macht niemand, der weiß, wo er sich hier hineinbegibt.«
Das macht alles nur noch schlimmer… Ich glaube, ich weiß wer die Frau war… So unauffällig wie möglich versuche ich, meine Hände an meiner Hose trocken zu wischen, aber es hilft nichts. Die Müdigkeit ist vergessen, stattdessen wird mir richtig schlecht. Verdammt… was soll ich tun? Wie haben sie mich so schnell hier aufgespürt? Ich dachte, dass ich dieses Mal alles richtig gemacht hätte. Wie kommt sie bloß auf die Idee, ausgerechnet hier nach mir zu suchen?
Ich bin froh, dass Felipe nichts mehr sagt, und versuche, meine Gedanken zu ordnen. Dabei dränge ich die Worte des Jungen zurück und versuche, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich muss jetzt einen kühlen Kopf bewahren.
Schweigend gehen wir weiter. Meine Schritte sind mittlerweile wieder etwas langsamer geworden, im Gegensatz zu meinem Herzschlag. Der Gedanke, schon wieder umziehen zu müssen, lässt mich noch unruhiger werden.
»Das war sehr anständig von dir«, sagt Felipe irgendwann und bringt damit meine Gedanken ins Stolpern.
»Was?« Ich kann ihm nicht ganz folgen.
»Du hast Enricos Bruder gestern gedeckt, als die Bullen hinter ihm her waren.«
Ach, das… Das war nicht einmal Absicht, ich wusste auch gar nicht, dass der Kerl sein Bruder ist. Ich war nur zufällig da, als ihn die Polizisten aufgegriffen haben. Angeblich hätte er jemanden beklaut und eigentlich wäre es mir egal gewesen. Aber ich sehe ihn öfter, wenn er abseits von den ganzen anderen Typen sitzt und die Nase in seinen Büchern vergräbt, da konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass er etwas verbrochen haben soll. Also hab ich ihn in Schutz genommen und behauptet, dass er die ganze Zeit über bei mir gewesen wäre, auch wenn das so gar nicht meine Art ist.
»Hmpf.« Ich zucke mit den Schultern. Der Bruder dieses Idioten ist mir gerade egal, ich habe andere Sorgen.
Wir gehen noch eine Weile still nebeneinander her, bis wir meinen Wohnblock erreichen. Wieder hält er mir eine Zigarette hin, aber ich reagiere nicht, also steckt er das Paket wieder weg, ohne etwas dazu zu sagen. Vielleicht sollte ich ihm irgendwann mal erklären, dass ich nicht rauche.
Vor der Tür angekommen, schnippst er den Rest seiner Zigarette weg und dreht sich zu mir um. »Brauchst du Hilfe? Sollen wir die Augen offen halten wegen der Alten?«
Die Frage kommt überraschend. Es gibt für ihn keinen Grund, mir seine Hilfe anzubieten. »Warum solltest du mir helfen?«
»Du hast Enricos Bruder mächtig den Arsch gerettet, das wissen alle. Er ist 'n guter Junge. Büffelt gerade für die Schule, weil er seinen Abschluss machen will.«
Ich finde es trotzdem seltsam, dass er mir helfen will. Er ist nicht einmal mit den Jungs verwandt, also hat es doch nicht direkt mit ihm zu tun.
»Das bedeutet, dass du für uns alle ein bisschen vertrauenswürdiger geworden bist.«
Ich weiß gar nicht, ob ich das überhaupt will. Enrico hat außerdem gesagt, wir seien quitt. Die Sache hat bestimmt einen Haken. Den gibt es immer.
»Also? Brauchst du nun Hilfe?«
Seit vierzehn Jahren lebe ich auf mich gestellt, ohne dass mir jemals jemand unter die Arme gegriffen hätte. Ich habe noch nie um Hilfe gebeten und das werde ich auch jetzt nicht tun.
»Nein.«
Dass ausgerechnet hier nach mir gefragt wurde, heißt, dass ich hier nicht mehr sicher bin, also sollte ich mir so schnell wie möglich eine neue Bleibe suchen. Nur bin ich in den letzten Jahren so oft umgezogen, dass ich nicht mehr weiß, wohin mit mir.
Vielleicht sollte ich wieder zurück in meine alte Heimatstadt. Die Baustelle, auf der ich gerade arbeite, kotzt mich ohnehin allmählich an, denn meine Kollegen sind Arschlöcher und dem Chef ist das egal. Das ist allerdings nicht der einzige Grund.
Seit meiner letzten Phase überlege ich wirklich, zurückzuziehen und mich meiner Vergangenheit zu stellen, weil ich diese Hetzjagd nicht mehr ertrage und gerne wieder länger als nur sechs Monate irgendwo arbeiten und wohnen würde. Jedes Mal, wenn ich aufgespürt werde, stellt es mein Leben komplett auf den Kopf und ich komme nicht zur Ruhe. Meistens jagen mich Albträume und es dauert immer sehr lange, bis ich wieder einigermaßen klar im Kopf bin. Aber ich will und kann das nicht mehr. Mein Körper macht irgendwann nicht mehr mit. Einmal war es so schlimm, dass ich mir auf einer Baustelle fast das Bein abgesägt hätte. Manchmal spiele ich sogar mit dem Gedanken, mich irgendwo von einer Brücke zu stürzen, damit ich endlich Frieden finde.
Ich weiß nicht, wie lange ich so noch weiterleben kann. Der Gedanke, mich umzubringen und damit von all dem Schmerz zu befreien, den ich auch anderen verursacht habe, wird wieder verlockender. Keine Albträume mehr, keine Schuld und keine Last. Aber es gibt Menschen, denen ich eine Antwort schuldig bin, und ich weiß nicht, ob ich in Frieden gehen kann, ohne vorher mit ihnen gesprochen zu haben.
»Und was hast du jetzt vor?«
Tief in mir drin kenne ich bereits die Antwort, auch wenn es mir Angst macht, aber es ist nur eine dämliche Stadt wie jede andere. Ich darf nicht wieder den Schwanz einziehen, dieses Mal muss ich es tun. Wer weiß, vielleicht fühle ich mich danach frei genug, um mich von dieser Welt zu verabschieden. »Ich verschwinde.«
Felipe nickt. »Okay. Brauchst du einen Sprinter, um dein Zeug zu transportieren?«
Er fragt nicht einmal nach dem Grund? Der Kerl ist echt nicht normal...
»Hab nicht viel, das passt schon.« Tatsächlich nehme ich nur meine Matratze und ein paar Klamotten mit, mehr brauche ich nicht und mehr hab ich auch gar nicht. Das sollte also alles in meinen alten Pick-up passen.
»Hm… brauchst du eine Wohnung?«
Warum zum Teufel ist der so hartnäckig? Früher wollte mir auch niemand helfen, warum also jetzt?
»Bevor du jetzt wieder Nein sagst: Erstens hast du dem Jungen den Arsch gerettet und zweitens sollte man ruhig ab und zu Hilfe annehmen, verstanden? Das bringt dich nicht um. Jetzt sag mir, wo du hinwillst und wir arrangieren eine Bude für dich.«
Verdammt, Menschen sind echt lästig. Besonders Felipe, der Mistkerl, lässt wirklich nicht locker.
In den nächsten zwei Wochen terrorisiert er mich regelrecht mit seinen Anrufen. Ständig fragt er mich, wie groß die Wohnung sein soll, wie viel sie kosten darf, in welcher Ecke ich wohnen möchte, ob ich bestimmte Vorlieben habe. Ich hab ihn ja für verrückt gehalten und bin oft nicht ans Telefon gegangen, aber der komische Vogel hat es tatsächlich geschafft, innerhalb kürzester Zeit eine Wohnung für mich zu finden. Eine Woche drauf stehen wir auch schon in der Bude, was absolut unglaublich ist. Alleine hätte ich auf jeden Fall länger gebraucht.
»Und? Was sagst du?« Felipe läuft durch die Wohnung und grinst mich an. Sie ist hell und angenehmer als meine letzte Bude, die hatte nicht einmal ein Fenster im Bad. Es wundert mich, dass er sie so schnell gefunden hat und ich direkt einziehen konnte. Zwei Wochen nachdem wir das Thema angeschnitten haben, stehen wir jetzt hier.
Die Sonne scheint herein, was sehr einladend wirkt und mich für den Bruchteil einer Sekunde hoffen lässt, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe.
Wohnzimmer und Küche gehen ineinander über. Okay, Küche ist vielleicht zu viel gesagt. Es handelt sich um eine einfache, schmale Kochnische in der Ecke des Raumes. Das Schlafzimmer befindet sich direkt nebenan, gleich daran grenzt das winzige Bad, das dringend eine Grundreinigung nötig hätte. Ob ich den Gestank je rausbekomme? Vielleicht bin ich nicht Meister Proper, aber sogar ich schaffe es, ein Mindestmaß an Sauberkeit einzuhalten.
»Gemütlich.« Ich trete ans Fenster und werfe einen Blick hinaus. Mein Herz zieht sich sofort zusammen, Erinnerungen werden wach. Ich kenne diese Straße...
Ein Stich durchjagt mich, mir ist, als würden alte Bilder neu belebt werden. Ich sehe mich selbst, wie ich als Kind mit meinen Freunden über die Straße renne, um schräg gegenüber in den Drugstore zu laufen.
»In dem Laden arbeitet ein Freund. Wenn du keinen Job findest, geh zu ihm. Er weiß Bescheid und wird dir helfen.« Felipe ist lautlos an meiner Seite aufgetaucht und drückt sich fast die Nase an dem Fenster platt, um dorthin zu zeigen.
Es wundert mich immer noch, dass er mir so sehr hilft. Scheinbar ist er mir mit Enricos Bruder wirklich so dankbar und hat das nicht nur dahergesagt.
Mehr als ein Nicken bekommt er von mir nicht, ganz offensichtlich macht er das ja auch nur, weil er das Gefühl hat, mir etwas schuldig zu sein. Also nehme ich es wortlos an, aber ich werde bestimmt nicht in den Drugstore laufen oder irgendwen um Hilfe bitten. Das hier war die absolute Ausnahme.
In weniger als einer halben Stunde steht alles in der Wohnung. Meine alte Matratze, zwei Kartons und eine Lampe.
»Ich frag mal meinen Kumpel, bestimmt kann er dir noch ein paar Sachen besorgen. Ein Sofa oder so.«
Wofür er garantiert eine Gegenleistung will, daher sage ich: »Brauch ich nicht.«
Felipe ignoriert mich und drückt mir den Kaktus in die Hand, den er eben mit nach oben gebracht hat. »Hier, mein Einzugsgeschenk! Der geht wenigstens nicht ein. Ich melde mich dann wegen des Sofas.«
Ich will ihm gerade sagen, dass das total unnötig ist, da zieht er bereits die Tür hinter sich zu und ruft noch laut: »Bis dann.«
Mit einem Seufzen stelle ich meinen neuen, stacheligen Mitbewohner auf die Fensterbank und sehe wieder auf die Straße hinunter. So lange bin ich weg gewesen und am Ende hat es mich an meine Ausgangsposition zurückbefördert.
Es ist schon seltsam, dass mich alleine der Anblick der Straße bewegt, Erinnerungen kommen hoch. In dieser Stadt habe ich einen großen Teil meiner Kindheit verbracht und das Bruchstück meines Herzens gefunden. Und wieder verloren. Er war ein Teil meiner Seele, ohne den ich heute wie ein ruheloser Seefahrer umherirre und nicht weiß, welchen Hafen ich ansteuern soll. Ich habe keinen Anker.
***
Der Regen trommelt gegen das Fenster, begleitet von leisen Akkorden aus dem Radiowecker.
Mit noch geschlossenen Augen will ich diesen wundervollen Moment nicht trüben. Mein Körper fühlt sich schwer an und will nicht akzeptieren, dass es bereits Morgen ist. Eigentlich müsste ich aufstehen und in meinen Schlafsack auf dem Boden kriechen, denn jeden Moment kann irgendwer die Tür aufreißen und reinplatzen.
Leise seufzend schmiege ich mich unter der schweren Patchworkdecke enger an den Körper neben mir. Diese Wärme ist mir so vertraut... Nur einen kurzen Augenblick noch, dann werde ich aufstehen. Ganz bestimmt.
Cale schläft nie besonders tief und reagiert sofort, als ich mich bewege. Er streckt den Arm aus, schiebt ihn sachte unter meinen Kopf und zieht mich an seine Brust.
Ich lasse mich nicht zweimal bitten und kuschle mich enger an meinen Freund.
»Wir sollten langsam aufstehen«, brummt Cale mir ins Ohr. Obwohl er das sagt, begibt sich seine freie Hand in der Hitze unter der Decke auf Wanderschaft. Sie legt sich auf meinen Oberarm, streichelt über die nackte Haut und gleitet tiefer. »Oder einer von uns sollte zumindest in den verdammten Schlafsack.«
Ich beiße mir auf die Unterlippe und schüttle mich. Der Gedanke daran, das warme Bett zu verlassen und in diese kalte Raupe da unten zu kriechen, passt mir gerade überhaupt nicht!
Draußen im Flur ertönt wildes Getrampel. Wir zucken beide zusammen, als die Person offenbar vor Cales Zimmer stehen bleibt.
»Wes!«, hören wir Cales Mutter aus der Küche brüllen. »Lass die Jungs schlafen!«
»Aber Mom! Ich brauche nur ein paar Blätter zum Malen!«, röhrt Wesley, Cales elfjähriger Bruder, zurück.
»Hör auf, so zu schreien, du weckst sie noch auf!« Wesley denkt offenbar nicht im Traum daran, auf seine Mutter zu hören, und drückt bereits die Klinke runter.
Cale reißt sich im Bruchteil einer Sekunde von mir los, rollt sich wie ein Stuntman vom Bett und landet mit einem Hechtsprung und einem unschön klingenden Aufprall auf dem Schlafsack.
Es geschieht so schnell, dass ich wie ein Idiot auf den leeren Platz neben mir glotze. Als aber ein kalter Luftzug meine nackten Beine streift, reiße ich mir hastig die Decke über den Kopf. Gerade noch rechtzeitig, denn schon öffnet sich die Tür knarrend.
Hat er eben noch vor der Tür gebrüllt, bewegte sich Wes nun lautlos durchs Zimmer und schnappt sich seine Beute vom Schreibtisch.
Er gibt sich richtig Mühe, keine Geräusche zu machen, knallt dann aber die Tür mit Wucht zu. In der nächsten Sekunde tobt seine Mutter auch schon wieder los, was der Krawall denn soll.
Vorsichtig luge ich unter der Decke hervor, um sicherzugehen, dass Wesley auch wirklich weg ist. Dann robbe ich an den Rand des Bettes und werfe einen vorsichtigen Blick auf den Boden.
Cale liegt mit dem Gesicht auf dem Schlafsack, Arme und Beine von sich gestreckt. Der Anblick ist so komisch, dass ich anfange zu lachen.
»Ja, ja, lach du nur«, brummt er und richtet sich auf. Sein sonst so stylisher, halb rausgewachsener Irokese sieht aus wie ein platt gefahrener Igel.
Er streckt die Hand nach mir aus und küsst mich auf die Lippen, aber wir fahren erneut auseinander, bevor ich es genießen kann. Wesley.
Wieder reißt er die Tür auf und trampelt durch den Raum. »Du miese, kleine Dreckskröte!« Diesmal springt Cale auf, im selben Moment fängt Wesley an zu kreischen und stürmt polternd aus dem Zimmer. Sein siebzehnjähriger Bruder, der eigentlich erwachsener reagieren sollte, stürmt ihm nach.
Ich lache, bis mir die Tränen kommen, aber im Gegensatz zu Cale traue ich mich noch nicht aus dem Zimmer. Auch wenn der Kuss noch so kurz gewesen ist, er hat meiner Morgenlatte einen kräftigen Schub gegeben. So schnell werde ich die bestimmt nicht los und wenn ich ins Badezimmer will, muss ich auf jeden Fall auf den Flur raus. Also entscheide ich mich dazu, mich noch einmal hinzulegen und in die Decke zu kuscheln. Ich schließe die Augen und atme Cales Duft tief ein. Dabei verschwinden die Hintergrundgeräusche, das Trampeln, das Schreien. Das hier ist der schönste Ort auf der Welt. Und ich würde am liebsten nie wieder aufstehen.
Der Krach stört mich nicht, er passt zur Familie. Außerdem mag ich es lieber, wenn es laut ist. Mit Stille kann ich nichts anfangen und davon hab ich zu Hause weiß Gott genug. Ich brauche die familiäre Atmosphäre und ich brauche Cale.
»Shawn?«
Cales Stimme reißt mich aus dem Schlaf, aber als ich aufwache, ist niemand da. Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in meinem Bauch aus und in meiner Kehle wird es eng. Leise stöhnend richte ich mich auf. Die Sonne scheint mir direkt ins Gesicht und blendet mich. Für einen Augenblick bin ich orientierungslos. Ich hocke da und versuche, meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Erst nachdem ich ein paar Mal geblinzelt habe, schaffe ich es, mich unter Kontrolle zu bekommen und meine Emotionen zurückzudrängen, damit sie mich nicht überrumpeln.
Es ist schon lange her, seit ich seine Stimme das letzte Mal gehört habe. So unglaublich lang... und dann ist sie wieder da, die unbeschreibliche Sehnsucht nach Cale.
Seine Stimme, sein Lächeln... die Art, wie er mich ansieht... So lange habe ich sein Gesicht verdrängt und jetzt kocht alles wieder hoch und droht, mich zu überwältigen.
Schnell schlage ich die Decke zurück und erhebe mich von meiner Matratze. Ob die Idee, hierher zurückzukehren, gut oder schlecht war, kann ich noch nicht sagen, im Moment tendiert alles Richtung schlecht, dabei hab ich meinen Plan nicht einmal in die Tat umgesetzt.
Mit einem tiefen Atemzug fahre ich meine Barrikaden hoch und versuche, an nichts mehr zu denken außer an den Tag und meinen neuen Job. Zum Glück muss ich nicht in den Drugstore, vermutlich hätten die mich bei meinem Erscheinungsbild ohnehin nicht angenommen. Das ist keine Arbeit für mich. Ich muss hart anpacken und alles um mich herum vergessen.
Vor ein paar Tagen habe ich Arbeit bei einem Estrichleger gefunden, der bereit war, mich einzustellen. Die Baustelle, auf der wir gerade beschäftigt sind, ist ziemlich groß. Wir bauen eine neue Mensa für eine Schule im nahe gelegenen Stadtteil. Falls ich mich nicht blöd anstelle, bin ich bis zur Fertigstellung des Gebäudes dabei. Was danach kommt, werden wir sehen.
Im Moment ist alles in Ordnung. Die Kollegen halten sich von mir fern und lassen mich in Ruhe, was dem Chef recht ist, solange ich gute Arbeit leiste und keinen Ärger mache.
Leider arbeiten wir nur in der Woche und gerade weiß ich nicht, was ich mit meiner freien Zeit anfangen soll.
Ich konnte nicht einmal ausschlafen, selbst ohne Wecker bin ich um halb sieben wach, sogar an einem Samstag. Für gewöhnlich habe ich mir an meinen anderen Wohnorten immer einen zusätzlichen Teilzeitjob gesucht, um nicht zu Hause bleiben und nachdenken zu müssen. Die Arbeit hat mich immer abgelenkt, sodass ich nur zum Schlafen zu Hause war.
Nur bin ich hier, um mich zu stellen, also will ich versuchen, mir die Wochenenden freizuhalten. Es gibt Menschen, die ich besuchen will… Orte, an die ich gehen muss, das habe ich mir fest vorgenommen.
Eigentlich wollte ich früh losziehen, um Cales Familie zu besuchen, bewege mich aber im Faultier-Tempo. Mit dem Duschen lasse ich mir übertrieben viel Zeit, genau wie mit dem Kaffee, der bereits eiskalt ist. Natürlich bemerke ich, dass ich Zeit schinde, aber ich komme nicht dagegen an. Ich bin schon so lange auf Flucht programmiert, dass ich davor zurückschrecke, zum Angriff überzugehen.
»Sei kein Weichei!«, knurre ich und stelle die Tasse in die Spüle, nachdem ich ausgetrunken habe. Ich muss mich zusammenreißen. Auf der Straße wird mich nach all der Zeit ohnehin keiner registrieren. Den süßen sechzehnjährigen Shawn wird wohl niemand mehr in mir erkennen, denn der hat sich vor Jahren verabschiedet. Stattdessen starrt mir das fürchterlich grimmige Gesicht eines verbitterten, dreißig Jahre alten Mannes entgegen, wenn ich in den Spiegel schaue.
Langsam setze ich mich in Bewegung, aber wenn ich darüber nachdenke, zu Cale nach Hause zu gehen, fängt mein Herz an zu rasen. Ich habe mir zwar vorgenommen, mit seinen Eltern zu sprechen, aber mit jedem Schritt schnürt es mir die Luft ab. Besonders, als ich in die Straße biegen will, in der Cale gewohnt hat. Vor einer Stunde war ich mir noch sicher, dass ich das Richtige tue, woher kommt dann diese Angst? Shit, ich bin kurz davor, wieder abzuhauen! Schweiß bricht mir aus allen Poren, meine Schritte werden schneller und ich biege an der Kreuzung links ab statt rechts.
Aber jetzt bin ich nun mal hergezogen, dann muss ich das auch durchziehen. Wie lange will ich noch wie ein Nomade umherziehen? Vielleicht bin ich auch nur nervös? Ich sollte etwas essen, bevor ich es noch einmal versuche. Frühstück... genau, ein Frühstück wäre jetzt nicht schlecht.
Sieht bestimmt bescheuert aus, wie so ein großer Kerl wie ich einen Schweißausbruch bekommt und Panik schiebt. Ich bin selbst überrascht, mit so einer heftigen Reaktion hab ich nicht gerechnet. Himmel, so viele Jahre sind vergangen und trotzdem fühle ich mich hilflos wie damals.
Ich will keine Schwäche zeigen und brauche lediglich einen zweiten Anlauf! Also setze ich mein mürrisches Gesicht auf, balle die Hände zu Fäusten und marschiere los. Um die Läden, in denen ich mich früher herumgetrieben habe, mache ich dabei einen Bogen.
Fünf Minuten später betrete ich ein Café, in dem ich mir Pancakes bestelle. Zu meinem Glück ist es recht günstig und Kaffee wird kostenlos nachgeschenkt. Nicht, dass ich pleite wäre, ich gebe nicht gerne unnötig Geld aus.
Mein Herz beruhigt sich allmählich, während ich am Fenster sitze und nach draußen starre. Mein rechtes Bein fängt an zu zucken, doch ich hab mich zum Glück bald wieder im Griff.
Als die Kellnerin mir endlich meine Pancakes und den Kaffee bringt, verschränke ich die Arme vor der Brust und meide jeden Augenkontakt. Ich sehe vielleicht nicht so aus, aber ich bin ein furchtbarer Feigling, der einfach nur in Ruhe gelassen werden will.
»Verzeihung?«
Ich merke erst, dass ich gemeint bin, als sich jemand neben mir räuspert. Die Kellnerin ist schon wieder weg, stattdessen steht da jemand anderes.
»Was?«, knurre ich abweisend und drehe mich zu ihm um. Spätestens jetzt gehen die meisten Menschen auf Abstand, aber der Typ, der neben mir an meinem Tisch aufgetaucht ist, scheint bedauerlicherweise nicht zu der Sorte zu gehören.
Kaum habe ich jedoch den Blick gehoben und sehe ihn an, trifft mich der Schlag. Es passiert mir seit Jahren schon, dass ich irgendwo einen Menschen treffe und Cale in ihm sehe. Manchmal auf der Straße, in einem Supermarkt… oder in der Bahn. Mal ist es der Gang oder die Frisur, die Statur oder eine Stimme. In diesen Sekunden vergesse ich, dass er nicht mehr da ist, und glaube wirklich, ihn zu sehen. In dem Augenblick, in dem ich seinen Namen rufen will, bemerke ich erst den grausamen Streich, den mir mein Hirn spielt.
Aber der Typ hier sieht ihm so lächerlich ähnlich, dass es richtig wehtut. Die Augen... seine Nase... das Gesicht... Himmel, sogar die Augenbrauen! Vor Schreck springe ich auf, stoße meinen Kaffee um und verschütte ihn quer über den Tisch.
Chaos bricht in mir aus. Meine Hände zittern stark und es zerreißt mir das Herz.
Wer ist der Kerl? Verdammt, ganz ruhig! Das ist er nicht! Er ist nicht Cale, unmöglich! Dafür ist er viel zu jung, Cale wäre jetzt einunddreißig... Und der Typ hier ist definitiv jünger!
Krieg dich wieder in den Griff, du Volltrottel! Der starrt immer noch, verfluchter Dreck!
»Was ist?«, fahre ich ihn so laut an, dass sich die wenigen Gäste im Café zu uns umdrehen.
»Sorry, ich wollte Sie nicht erschrecken«, entschuldigt er sich und hebt abwehrend die Hände. Seine Stimme klingt anders als die von Cale, tiefer.
Die Kellnerin kommt angeschaukelt, starrt mich böse an und wischt die Sauerei weg.
Nicht erschrecken? Wie kommt er denn darauf, dass er mich erschreckt hat? Ich bin nur verwirrt, entsetzt und völlig außer mir!
»Shawn?«, fragt er plötzlich und ich halte die Luft an.
Ich habe eindeutig den Verstand verloren, anders kann ich mir die Situation nicht erklären. Oder irgendwas war in dem Kaffee. Ich hab mir eine Lebensmittelvergiftung geholt und liege im Delirium, genau!
»Oh mein Gott, du bist es wirklich?«
Das ist zu viel für mich. Das kann unmöglich Cale sein. Die Luft in dem Laden wird schrecklich dünn, ich kann nicht mehr atmen, also setze ich mich ruckartig in Bewegung. Das Geld werfe ich vorher noch auf den Tisch, ehe ich mit schnellen Schritten das Lokal verlasse.
»Shawn!«, ruft er mir nach und ich zucke wieder zusammen.
Ich werde verrückt! Warum hält er nicht einfach die Klappe?
»Shawn, warte!«
Oh, Fuck! Nein... nein!
»Verpiss dich!«, brülle ich zurück und gehe noch schneller, aber er hat mich eingeholt und packt mich am Unterarm.
»Jetzt bleib doch mal stehen!« Sein Griff ist fest, als er mich zu sich umdreht. Also kein Geist, sondern ein echter Mensch. Oh großer Gott, nein... Ich will ihm nicht noch mal ins Gesicht sehen, aber ich tue es trotzdem. Und wieder sehen mich Cales Augen an...
»Ich hab gesagt, verpiss dich!« Meine Emotionen explodieren, genau wie meine Stimme. Ich brülle so laut, dass mir der Hals wehtut, und reiße mich los.
Er zuckt etwas zurück, verschwindet aber nicht. »Beruhig dich, okay?«
Ich muss wieder wegsehen, weil ich ihm nicht zu lange ins Gesicht schauen kann. Wieder packt er mich am Arm. »Ich bin's, Wesley.« Als er das sagt, klingt seine Stimme so sanft, dass es fast wehtut.
Verblüfft drehe ich den Kopf und starre ihn an. Jetzt, da ich es weiß und darauf achte, fallen mir allmählich die Unterschiede zwischen ihm und Cale auf. Natürlich… Wesley! Cales Bruder.
Ein Lächeln breitet sich vorsichtig auf seinen Lippen aus. »Hast du mich jetzt endlich erkannt?«, fragt er und der Druck seiner Hand wird etwas schwächer, bis er mich loslässt.
»Wes...«
Das Lächeln wird mutiger. »Genau.«
Ich bin viel zu überrascht, um wieder wegzurennen. Einen Augenblick lang droht die Vergangenheit, mich zu überwältigen,
»Wo warst du all die Jahre?«, fragt er. »Im Krankenhaus konnten wir dich nicht besuchen und als deine Eltern plötzlich weggezogen sind, hieß es, du wärst abgehauen. Niemand wusste, wo du bist.«
Kaum erwähnt er die Vergangenheit und meine Eltern, beginnt es in meinem Kopf stark zu hämmern. »Ich will nicht darüber reden«, blaffe ich ihn an. Eigentlich will ich nicht so zu ihm sein, mir tut es auch ein bisschen leid, dass ich ihn so anfahre, aber ich kann nicht anders.
Auch wenn ich vorhatte, mich meiner Vergangenheit zu stellen, geht mir das gerade alles viel zu schnell. Ich komme nicht mehr hinterher.
»Entschuldige. Ich war nur überrascht. Ich meine, du bist der letzte Mensch, mit dem ich heute noch gerechnet hätte.« Er lacht und wirkt nicht einmal im Ansatz eingeschüchtert. Der warme, weiche Klang beruhigt mein wild klopfendes Herz ein bisschen.
»Was machst du hier? Bleibst du länger in der Stadt? Hey, wollen wir vielleicht wieder reingehen und –«
»Nein«, antworte ich knapp, denn ich kann mich jetzt nicht länger mit ihm unterhalten. Er kann sich bestimmt nicht einmal ansatzweise vorstellen, was er mir mit seiner Anwesenheit antut. »Ein andermal.«
Aber Wesley lässt nicht locker. »Verstehe. Okay, dann gib mir doch deine Nummer oder sag mir, wo du wohnst, damit ich mich melden kann.«
»Hab kein Telefon.« Das ist die Wahrheit. Ich besitze weder ein Haustelefon noch ein Handy. Will ich auch nicht. Ich will keinen Kontakt zu Menschen, ich brauche niemanden!
Wesley schweigt einen Moment und ich hoffe, dass er mich jetzt endlich in Ruhe lässt. Ich wollte zwar seine Familie besuchen, aber mit seinem plötzlichen Auftauchen hat er mich eiskalt erwischt. Ihn zu sehen, trifft mich härter, als ich erwartet habe.
»Dann können wir uns doch wieder hier treffen?« Er deutet auf das Café, das wir ein Stück hinter uns gelassen haben. »Morgen um dieselbe Uhrzeit?«
Es tut mir für ihn leid, aber ich kann das einfach nicht. »Okay.« Anders werde ich ihn scheinbar nicht los. Demnächst muss ich diese Gegend und das Café einfach meiden. Ich glaube, ich brauche doch noch ein bisschen Zeit; der Gedanke, seine Familie aufzusuchen, versetzt mich noch heftiger in Panik.
Eigentlich hätte ich gedacht, nach vierzehn Jahren mit dem Schmerz zurechtkommen zu können, aber das alles ist scheinbar doch nicht so leicht. Ich dachte wirklich, dass es mir nach so langer Zeit etwas leichter fallen würde, mit der Vergangenheit umzugehen.
Wesley lächelt so süß, dass ich mir wie ein Arschloch vorkomme. Bestimmt wird er morgen herkommen und warten.
»Okay... ich freue mich. Dann bis morgen.«
Ich hätte nicht gedacht, dass mich auf dieser Welt noch etwas überraschen könnte. Und dann sitzt da plötzlich Shawn Primes, der Freund meines Bruders Cale.
Das letzte Mal habe ich ihn gesehen, als ich elf Jahre alt war, kurz vor dem Unfall, den er und Cale hatten. Im Krankenhaus haben uns seine Eltern nicht zu ihm gelassen, danach war er wie vom Erdboden verschluckt. Bis zum Umzug seiner Familie bin ich immer um deren Haus herumgeschlichen, aber ich habe ihn nie wiedergesehen und wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.
Wenn mich seine smaragdgrünen Augen nicht schon als Kind fasziniert hätten, hätte ich ihn bestimmt nicht erkannt. Shawn sah richtig mitgenommen und völlig zerzaust aus, mit dem Bart und seinem langen Haar. Aber es war nicht nur sein Aussehen, alles an ihm wirkte anders. Natürlich wäre es idiotisch, den Teenager von damals zu erwarten, aber kann man sich so sehr verändern, dass sogar die Ausstrahlung darunter leidet? Mir war, als hätte dort ein ganz anderer Mensch gesessen.
Vielleicht war es nicht richtig, ihm hinterherzulaufen, denn scheinbar habe ich ihm einen riesigen Schrecken eingejagt, aber mein Körper war schneller als mein Verstand. Verflucht, in dem Augenblick hatte ich das Gefühl, als wäre mit seinem Auftauchen auch ein Teil meines Bruders wieder da, sodass ich gar nicht anders konnte. Ich habe die beiden das letzte Mal zusammen gesehen, danach waren die wichtigsten Menschen in meinem Leben einfach verschwunden.
Irgendwie bezweifle ich, dass er noch einmal ins Café kommen wird, so abweisend, wie er war, und trotzdem sitze ich am nächsten Tag hier und warte. Seit geschlagenen zwei Stunden hocke ich auf dem Stuhl und nippe an meiner vierten Tasse Kaffee. Die dunkle Brühe ist mittlerweile eiskalt und ungenießbar.
Seufzend lehne ich mich zurück und streiche mir das Haar nach hinten, ein paar kürzere Strähnen fallen mir wieder zurück in die Stirn.
»Ach, verfluchter Scheißdreck!«, brumme ich genervt. Ein Teil von mir will, dass ich ihn in Ruhe lasse, ein anderer Teil will nichts sehnlicher, als ihn zu sehen und mit ihm zu sprechen. Niemand weiß genau, was wirklich passiert ist oder wie es zu dem Unfall gekommen ist. Niemand außer Shawn. Wenn ich ehrlich bin, wüsste ich auch gerne, wo er in all den Jahren gewesen ist und was er getrieben hat.
»Was ist los, Wes? Musst du heute nicht arbeiten?« Camilla, eine der Kellnerinnen und meine ehemalige Klassenkameradin, steht mit der Kaffeekanne neben mir und hält sie fragend hoch.
Ich versuche zu lächeln und zucke mit den Schultern. »Ich bin heute nicht im Wohnheim, hab nachher nur ein paar Hausbesuche.« Das auch noch. Ich hab mir extra ein paar Stunden freigenommen und nun lungere ich hier so früh am Morgen sinnlos herum.
»Sag mal, Camilla, der Typ, den ich hier gestern getroffen habe...«, setze ich an und bereue es sofort. Ihr Blick verdunkelt sich und ich befürchte für einen Moment, dass sie mir die Kanne über den Schädel zieht.
»Erinnere mich nicht an den! So einen unfreundlichen Kerl hab ich noch nie erlebt! Jedes Mal, wenn er hier ist und ich ihn frage, ob er noch Kaffee oder etwas anderes haben möchte, reagiert er überhaupt nicht. Er sieht einem nicht mal ins Gesicht und wenn er es tut, schaut er mich an, als wäre ich sein Erzfeind! Außerdem bedankt er sich nie! Ich bin vielleicht nur eine Kellnerin, aber ein bisschen freundlicher zu sein, bringt ihn doch nicht um, oder?«
Ich werde hellhörig. »Jedes Mal? Also war er schon öfter hier?«
Sie zuckt mit den Schultern und stemmt eine Hand in die Hüfte. »Bisher hab ich ihn immer während meiner Frühschicht gesehen. Morgens, ich glaube kurz vor der Arbeit, kommt er her und stopft sich mit Pancakes voll. Willst du jetzt noch was oder nicht?«, fragt sie und hebt eine Augenbraue. Ich schüttle den Kopf und denke daran, mich artig zu bedanken.
Gut, jetzt habe ich wenigstens eine Spur. Aber ich kann es mir leider nicht leisten, jeden Morgen hier herumzusitzen und auf ihn zu warten.
»Kannst du mir einen Gefallen tun?« Als sich Misstrauen in ihrem Blick zeigt, spreche ich sofort weiter, ziehe eine Serviette an mich heran und krame in meiner Tasche nach einem Stift. »Könntest du mir Bescheid sagen, sobald du ihn siehst? Mir würde auch reichen, wenn du mir die Tage und die Uhrzeit nennst, in denen er hier ist.«
Camilla lacht verblüfft. »Ich soll für dich Protokoll führen? Was ist los, hast du Interesse an dem oder was? Ich dachte, du stehst nicht auf Arschlöcher.«
Nun, das ist wohl der Nachteil daran, wenn man in einer kleinen Gegend lebt, in der jeder jeden kennt. Die Leute bekommen irgendwann alles mit, sogar dass man schwul ist. Vielleicht entpuppt sich dieser Nachteil bei der Suche nach Shawn auch als Vorteil? Nur will ich seinen Namen noch nicht herausgeben, weil die Menschen hier kein gutes Bild von ihm haben. Seine Familie hat damals bei uns im Viertel gewohnt, aber nachdem sie plötzlich jede Menge Geld geerbt haben, sind sie in einen besseren Stadtteil gezogen und haben sogar meiner Familie den Rücken gekehrt. Shawns und meine Eltern sind einmal sehr gute Freunde gewesen. Ich weiß noch, wie wir immer Zeit zusammen verbracht haben. Doch kaum haben sie Geld auf dem Konto gehabt, haben sie ihre alten Freunde vergessen und sich neue gesucht – Shawn auch. Dabei war er als Kind sehr oft bei uns, hat viel Zeit mit meinem Bruder verbracht und bei uns übernachtet. Irgendwann sind seine Besuche jedoch immer seltener und kürzer geworden und übernachtet hat er gar nicht mehr bei uns. Wie kann sich jemand so schnell abwenden? Und wie ist es dann zu dem Unfall gekommen?
Es gibt so viele Fragen, die ich ihm gerne stellen würde. Mehr als die Lästereien auf der Straße habe ich nicht mitbekommen.
»Du musst es nicht umsonst machen. Ich gebe dir jedes Mal, wenn ich herkomme, ein saftiges Trinkgeld, okay?«, versuche ich, Camilla zu ködern und schreibe meine Handynummer auf, bevor ich ihr die Serviette reiche.
Camilla nimmt sie entgegen und sieht mich belustigt an, die Wut in ihren Augen löst sich auf. »Bestechung auch noch? Gut, ich mach's, auch wenn mir nicht gefällt, dass du es ausgerechnet auf diesen Idioten abgesehen hast. Aber du Streber wirst schon wissen, was du tust.« Grinsend steckt sie die Serviette ein und zwinkert mir zu, ehe sie mit ihrer Kanne zum nächsten Tisch verschwindet.
Keine Ahnung, ob das jetzt klug von mir war oder nicht, aber mir bleibt nichts anderes übrig, wenn ich ihn wiedersehen will.
Ob ich meinen Eltern von ihm erzählen soll? Könnte zu früh sein, vielleicht ist er schon längst wieder abgehauen. Aber was hat er überhaupt hier gemacht? Und wo war er all die Jahre? Seinem vernachlässigten Aussehen nach hat er im Wald in einer alten Hütte gehaust.
Wieder sehe ich auf die Uhr und brumme leise vor mich hin. Inzwischen bin ich mir sicher, dass er nicht mehr kommt. Warum sollte er auch? Er sah nicht gerade aus, als wäre er glücklich darüber, mich zu sehen. Vielleicht ist an den Gerüchten doch etwas dran und letztendlich war es seine Schuld, dass mein Bruder gestorben ist.
Ich trommle mit den Fingern auf den Tisch und überlege, noch ein bisschen zu warten, aber meine Arbeit ruft. Ich kann nicht noch länger hier herumsitzen und muss darauf vertrauen, dass mich Camilla kontaktiert, sobald sie ihn sieht. Oder zumindest notiert, wann er da war. Ich zahle meine Rechnung, bevor ich den Laden verlasse, und seufze schwermütig.
Vielleicht hat Camilla unsere Abmachung morgen schon wieder vergessen. Es gehen so viele Menschen in dem Café ein und aus, dass es möglich ist, dass sie nicht mehr daran denkt. Daher versuche ich, in meiner freien Zeit zusätzlich, die Straßen abzuklappern, laufe Shawn aber nicht mehr über den Weg. Vielleicht ist er auch längst weitergezogen und gar nicht mehr hier. Verdammt, ich kann nicht ewig nach ihm Ausschau halten, also muss ich mich gedulden und auf Camilla vertrauen, auch wenn es mir extrem schwerfällt.
Eine Stimme tief in mir sagt mir, dass er Hilfe braucht. Und dieser Stimme will ich nachgehen.
Die Tage vergehen ohne ein Lebenszeichen von ihm. Nach fast zwei Wochen habe ich die Hoffnung bereits aufgegeben, als eines Morgens unverhofft mein Handy vibriert. Ich bin gerade fertig mit Duschen, als ich danach greife.
Im ersten Augenblick denke ich gar nicht an Camilla, da mir die Nummer auf dem Display fremd ist, aber kaum habe ich die Nachricht gelesen, wäre mein Herz fast explodiert!
Er ist hier!
Vor Überraschung wäre mir beinahe das Handy aus der Hand geflogen, ich kann es gerade noch auffangen. »Scheiße!«, rufe ich und poltere nackt und klatschnass aus dem Bad, rutsche im Flur aus und trete auf den flauschigen Schwanz meines fetten Persers, der mich anfaucht und seine Krallen in meine Wade schlägt. »Verfluchter Scheißdreck, Charlie!«, brülle ich und versuche, das Brennen zu ignorieren, während ich ins Schlafzimmer stürme. Hastig schlüpfe ich in meine Jeans, ziehe mir ein Shirt über den Kopf und renne los. Die Tür knallt hinter mir ins Schloss. Ich hab nicht mal aufgepasst, ob Charlie entwischen konnte, aber der war vermutlich so geknickt und wütend auf mich, dass er sich verkrochen hat.
Ich nehme mehrere Stufen auf einmal, hetze hinaus auf die Straße und renne los. Mein Herz schlägt wie verrückt, aber den Teufel werde ich tun und Shawn entkommen lassen! Es ist mir egal, dass es draußen arschkalt ist und meine Haare nass sind. Alles, woran ich denke, ist Shawn. Ich will nicht, dass er mir noch einmal entwischt und diesmal werde ich alles aus ihm rausholen! So nicht, Freundchen!
Wenige Minuten später reiße ich atemlos die Tür des Cafés auf. Die Leute starren mich an, aber ich ignoriere sie. Mein Blick trifft den von Camilla, die mich anstarrt und schallend loslacht. Sie deutet in die Ecke, in der Shawn auch beim letzten Mal gesessen hat. Ich sehe seinen breiten Rücken, sein zerzaustes Haar und die Aufregung in meinem Bauch wächst.
Langsam gehe ich auf ihn zu. Jetzt merke ich erst, dass ich zittere, auch wenn mir von der Rennerei noch ziemlich heiß ist. Wasser tropft mir aus meinem Haar ins Gesicht und auf den Boden.
»Du bist ganz schön spät dran«, sage ich, als ich direkt neben seinem Tisch stehe.
Seine Augen weiten sich vor Überraschung. Ich kann mir ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Mit mir hat er wohl nicht gerechnet, hä?
Ich verschränke die Arme vor der Brust und sehe vorwurfsvoll zu ihm runter, während das Wasser aus meinem Haar jetzt auf seinen Tisch tropft. So cool ich mich auch geben will, ich zittere immer heftiger, komme mir vor wie ein begossener Pudel und sehe bestimmt genauso jämmerlich aus.
»Diesmal kommst du mir nicht so leicht davon.« Ich lasse mich ungefragt ihm gegenüber auf den Stuhl fallen. Verdammt, die Hose klebt an meiner Wade... Bestimmt hat Charlie mir eine kleine Wunde gerissen und jetzt ist das Blut eingetrocknet, fühlt sich jedenfalls echt abartig an.
Ich lege die Arme auf den Tisch und beuge mich zu ihm rüber. »Was denkst du dir eigentlich dabei, mich zu verarschen und stundenlang hier warten zu lassen?« Meine Stimme bleibt ruhig. Jeder andere wäre vermutlich ausgeflippt, aber ich beherrsche mich. »Weißt du, dass ich seit fast einem Monat darauf warte, dass du dich wieder zeigst?« Oh Gott, ich hatte schon befürchtet, dass er die Stadt wieder verlassen haben könnte!