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Zwei furchtbare Niederlagen verbreiten in Rom 104 v. Chr. Angst und Schrecken. Die großen Germanenstämme, Teutonen, Ambronen, und Kimbern, scheinen nicht mehr aufzuhalten zu sein. Steht Rom vor seiner endgültigen Vernichtung? Der Senat bittet Gaius Marius, den berühmten Feldherrn und früheren Konsul, um Hilfe. Wird er Rom beistehen? Oder verfolgt er andere Ziele? Die unsterbliche Priesterin Abbala spürt: Die römische Republik wird untergehen.
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Seitenzahl: 482
Veröffentlichungsjahr: 2023
Richard F. Conrad
DAS SCHWERT
ROMS
Zeitenwenden
Turn of Eras
Band 6
Inhalt
Titel
Leitgedanken
Personenverzeichnis
Verzeichnis wichtiger Orte
Wichtige Orte
Prolog
1. Gaius Marius
2. Gallia
3. Lucius Cornelius Sulla mit Rigaia
4. Gaius Marius
5. Gallia
6. Aufstieg und Fall des Adaios
7. Vor der Hochzeit I: König Mithridates, am späten Nachmittag
8. Vor der Hochzeit II: Prinzessin Berenike, am späten Nachmittag
9. Vor der Hochzeit III: Gaius Marius, am späten Nachmittag
10. Vor der Hochzeit IV: Königin Laodike in ihrem Umkleideraum
11. Gallia
12. Antonius Orator
13. Gaius Marius
14. Gallia
15. Quintus Mucius Scaevola
16. Gaius Marius
17. König Teutobod
18. Quintus Mucius Scaevola
19. Gaius Marius
20. König Teutobod
21. Quintus Mucius Scaevola
22. Noch ein Versuch: Hochzeit
23. Erste Niederlage: Die Schlacht bei Noreia
24. Prinzessin Berenike
25. Zweite Niederlage: Die Schlacht bei Agen
26. Quintus Mucius Scaevola
27. Gaius Marius
28. Dritte Niederlage: Die Schlacht bei Arausio
29. Quintus Mucius Scaevola
30. Häuptling Boiorix
31. Gaius Marius
32. Häuptling Boiorix
33. Rigaia
34. Julia
35. Gaius Marius
36. Der Empfang des Senats von Rom
37. Lucius Cornelius Sulla
38. Häuptling Boiorix
39. Abbala
40. Sulla
41. Julia
42. Rom, in der Villa von Rigaia
43. Arcadius
44. Julia
45. Häuptling Boiorix
Nachwort
Über den Autor
Vorschau
Impressum
Denn ein vernunftbegabter Mann sollte bedenken, dass Fortuna wankelmütig ist und sich das Rad des Schicksals stets weiterdreht.
Gerald von Wales, Expugnatio Hibernica
Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.
Mark Twain
Die Römer, ihre Feinde und Verbündeten
Gaius Marius
Bauernsohn; als Homo novus absolvierte er eine atemberaubende militärische und politische Karriere, wurde 107 v. Chr. sogar zum römischen Konsul gewählt, natürlich kein Freund der römischen Nobilität, aber als genialer Feldherr sehr anerkannt, sucht aber eigentlich nach etwas (oder jemand) ganz anderem
Flora Caecilia
älteste Schwester von Gaius Marius, kennt ihren weitaus jüngeren Bruder gut
Sixtus Selentius
wie sein Freund aus Kindertagen, Gaius Marius, aus Cereatae nahe Arpinum stammend, skeptischer (oder realistischer?) Adjutant, seit dreißig Jahren eigentlich viel lieber zu Hause, sehr guter Bogenschütze
König Jugurtha
stammte aus einem Seitensprung eines numidischen Königs, arbeitete sich zum numidischen König hoch, von Rom anerkannt, auch durch Bestechungen der halben römischen Nobilität, forderte dann sogar Rom heraus, von Gaius Marius besiegt
Hilarius Vipsanius
ebenfalls aus Arpinum stammend, früher als Centurio Vorgesetzter von Gaius Marius, inzwischen Legat der vierten Legion Latium, übrigens Großvater von Marcus Vipsanius Agrippa, dem späteren Mitkaiser von Kaiser Augustus
Publius Rutilius Rufus
diente bereits unter Scipio als Militärtribun im Kampf um Numantia, später unter Gaius Marius als Legat der zweiten Legion Tarraconensis im Krieg gegen den numidischen König Jugurtha, 105 v. Chr. römischer Konsul, amtsmüde
Hippalos
legendärer Kapitän römischer Trieren, eigentlich aus Rhodos stammend, in Diensten von Publius Rutilius Rufus
Quintus Servilius Caepio
Angehöriger der römischen Nobilität, 106 v. Chr. Konsul, verursachte als Prokonsul die schwere römische Niederlage bei Arausio (heute Orange) gegen die Germanen, gab seinem Sohn seinen Namen, nicht immer ein gutes Zeichen
Gnaeus Mallius Maximus
römischer Konsul im Jahr 105 v. Chr., wie Gaius Marius ein Homo novus, also nicht aus einer Aristokratenfamilie stammend, von anderen Befehlshabern deswegen geringgeschätzt, verlor die Schlacht bei Arausio und dabei seine beiden Söhne
Lucius Cornelius Sulla
zwar Angehöriger des inzwischen weitverzweigten patrizischen Geschlechts der Cornelier, aber verarmt, durch die Beziehung zur großen Bordellbesitzerin Rigaia vermögend (und verschlagen) geworden, unter Gaius Marius im jugurthinischen Krieg erfolgreich, römischer Senator, außerordentlich ehrgeizig
Servius Cornelius Sulla
Bruder von Lucius Cornelius Sulla, deutlich weniger ehrgeizig und verschlagen, Jurist, ein Cornelier von der ehrlichen Sorte
Rigaia
aus Kreta stammende Hetäre, die in Rom eine beachtliche Karriere gemacht hat, neben dem Umgang mit Männern und Frauen besonders erfolgreich als Managerin verschiedener Unternehmen in Rom, nicht ganz von dieser Welt
Gnaeus Pompeius Strabo
aus der Gegend von Asculum stammender Sohn von Sextus Pompeius, der als römischer Statthalter von Makedonien zu Reichtum gekommen war, durch welche Machenschaften auch immer, Vater von Gnaeus Pompeius Magnus, dem späteren Gegenspieler Caesars
Publius Licinius Crassus
wie bereits die alte Familie der Licinier zur Nobilität gehörender Senator, mit großem Interesse an lohnenswerten Investitionen, weniger interessiert an der Rechtmäßigkeit des Erwerbs, Vater von Marcus Licinius Crassus, der später als reichster Römer galt
Gaius Julius Caesar
aus dem Patriziergeschlecht der Julier stammend, durch die Freundschaft mit Gaius Marius zu Vermögen gekommen; seine deutlich ältere Schwester und Vestalin Julia gilt als tot, Vater eines heute noch bekannten gleichnamigen Sohnes
Aurelia Caesar
Ehefrau von Gaius Caesar, tugendhafte Römerin mit dem Sinn für das geschäftliche Wohlergehen der Familie
Antonius Orator
römischer Jurist und Politiker, Großvater von Marcus Antonius, dem späteren Triumvirn, oft vor römischen Gerichtshöfen als Verteidiger oder Ankläger auftretend, noch von Cicero für seinen Ruf als hoch eloquenter Redner gelobt
Publius Crispus
Partner von Antonius Orator in der gemeinsamen Anwaltskanzlei, angesehener Jurist, aber privat ein Dummkopf
Callista
zunächst keusche Ehefrau des Publius Crispus, später ihre Scheu überwindend
Harpagos
Anführer der Amici noctis, der Freunde der Nacht, die Crassus bei dem betrügerischen Erwerb von Immobilien in Rom halfen, verlor seinen Bruder auf tragische Weise
Lucius Verres
Richter am römischen Gerichtshof, nicht völlig neutral, außerordentlich beleibt, immer wieder neu abwägend wie alle Juristen
Quintus Mucius Scaevola
römischer Politiker und in seiner Zeit führender Jurist, Sohn des Konsuls Publius Mucius Scaevola, gehörte zu den Lehrern von Cicero
Gnaeus Papirius Carbo
römischer Konsul 113 v. Chr., sehr von sich überzeugt, aber nicht ganz so erfolgreich
Gnaeus Maximus Mallius
römischer Konsul 105 v. Chr., nahm als römischer Befehlshaber an der Schlacht bei Arausio teil, wurde aber als Homo novus von seinem Mitbefehlshaber Caepio missachtet, eine für Rom unglückliche Kombination
Quintus Servilius Carbo
Sohn des gleichnamigen Konsuls von 140 v. Chr., alte römische Familie, der Nobilität zugehörig, arrogant, verursachte die schwere militärische Niederlage Roms in der Schlacht bei Arausio
Arcadius
römischer Gladiator, mit bewegter Vergangenheit, führt einen Auftrag durch, der ihm wichtig ist
Abbala
ursprünglich eine karthagische Priesterin der Göttin Tar, 229 v. Chr. mit Unsterblichkeit beschenkt worden, was sie größtenteils genießt, kann mit Geistern sprechen und dient dem Licht
Die Germanen
Häuptling Boiorix
Anführer der Kimbern, eines großen nördlichen Germanenstammes, der sich wie alle Deutschen bis heute gern im Mittelmeerraum ansiedeln wollte, stark, kräftig, kampferfahren, nicht immer schlau, besiegte mehrfach römische Legionen
König Teutobod
etwas älterer und erfahrener Anführer der Teutonen, ebenfalls ein nördlicher germanischer Stamm auf dem Weg nach Süden, kluger Heerführer, eng mit dem unerfahreneren Häuptling Boiorix der Kimbern zusammenarbeitend
Agni
Tochter von König Teutobod, zur Bekräftigung des sehr engen Bündnisses der Kimbern und Teutonen mit Häuptling Boiorix verheiratet worden, was selten eine glückliche Ehe verheißt
Ninno
Stammesführer der Kimbern, Freund von Häuptling Boiorix, begleitet ihn in vielen Schlachten und vielen Saufgelagen
Herzog Tambren
ehemals Führer der nördlichen Stämme der Kimbern
Veleda
Schwester von Agni, anerkannte Seherin im teutonischen Stamm, kräuterkundig, weissagend, scharfzüngig, wie sich oftmals Frauen in dieser Branche so entwickeln
Sindri
Häuptling des südlichsten Stammes der Svaer, die anders als ihre schwedischen Stammesgenossen ihren Sitz im nördlichsten Zipfel Germaniens hatten; groß und stark, manchmal etwas zu leidenschaftlich, was für ihn unglückliche Folgen hat
Gallia
nunmehr Gefährtin von Sindri, ursprünglich kimbrische Ehefrau und Mutter
Erkmar
Oberhaupt einer mächtigen Familie innerhalb des südlichsten Stammes der Svaer; groß gewachsen wie fast alle Svaer, mit langen blonden Haaren, stark, kampferfahren, sprunghaft
Dagwin
Einzelgänger, dem immer schon die eigenen Interessen über die Interessen seiner Familie gegangen waren; schmächtig, gerissen, guter Bogenschütze
Margard
unglückliche Tochter eines Schmieds der Svaer
Riguna
erstaunlich vielfältige biologische Fähigkeiten, erstaunliche (aber gewollte) Ähnlichkeit mit der griechischen Hetäre Rigaia, da fast identisches Wesen, so wie diese nicht ganz von der Welt stammend
Kunna
oberste Kämpferin für das Licht, wie die Ambronen ihre beiden jeweils für ein Jahr gewählten Anführerinnen und Anführer nannten; entschlossen, klug, leider vor ähnlichen Problemen stehend wie Häuptling Boiorix und König Teutobod
Fürst Voccio
Anführer der Noricer, guter Diplomat wie alle Österreicher in späteren Jahren
Ceitith
ältere, gut aussehende keltische Heilerin, über viele Kenntnisse und Erfahrungen verfügend, was ihr nicht immer hilft
Griechen, Bithynier und Pontier
König Nikomedes III.
Sohn von Nikomedes II., seit 127 v. Chr. bereits König von Bithynien, einem wunderschönen am Schwarzen Meer gelegenen Königreich, das unter König Prusias schon vor vielen Jahren dem Karthager Hannibal Barkas als Zufluchtsort diente; etwas in die Jahre gekommen
Mithridates IV.
aus der persischen Familie der Mithridaten stammend, nach der Ermordung des Vaters bereits früh König von Pontus geworden, aber zunächst durch viele Familienkonflikte (herrschsüchtige Mutter, dreizehn (!) Schwestern) abgelenkt; für Sigmund Freud sicher ein hochinteressanter Lebenslauf
Diodorus Rafelios
Kanzler des Königreichs Pontus, stammt aus Sizilien, sprachkundig und geheimnisvoll wie so viele Politiker und Diplomaten
Panaitios von Rhodos
180 v. Chr. auf Rhodos geboren, leitete längere Zeit die stoische Schule in Athen, enger Freund von Gaius Laelius und Scipio, philosophiert wie alle Philosophen gern
Archelaos
Söldnerführer, schwarzer Modellathlet, ursprünglich aus dem südlichen Königreich Aksum stammend, kämpfte bereits für Nubier, Ägypter und Römer, mit guten Kontakten zu kretischen Bogenschützen, spartanischen Hopliten, indischen Elefantenführern und skythischen Panzerreitern
Nyssa
jüngste Tochter von Nikomedes III. und dessen Lieblingsfrau, leicht verzogen, wie das bei jüngsten Töchtern gelegentlich passiert, sollte von der Priesterin Abbala besser erzogen werden, bisher mit zweifelhaftem Erfolg
Onnophrios
oberster, leicht bornierter pontischer Hofbeamter, zugleich Panetarius, d. h. Brotmeister; für die Organisation des Hofs zuständig, eine Funktion, die später im Mittelalter nur noch für einen kleinen Teil, die Brotmeisterei, nötig war, was ihm sicher nicht gefallen hätte
Mediolanum
Mailand, Metropole in der norditalienischen Lombardei, schon in der Antike ein Zentrum der Finanzindustrie, Ausgangspunkt des römischen Lösegelds für die gefangen genommenen Konsuln
Arausio
Orange, Stadt in Südfrankreich, ursprünglich nach einem ligurisch-keltischen Wassergott benannt, durch die sprachliche Assoziation zur Frucht später umbenannt, Ergebnis einer Homophonie
Nikomedia
Hauptstadt des Königreichs Bithynien, heute Izmit in der türkischen Provinz Kocaeli, 264 v. Chr. von Nikomedes I. als Hauptstadt seines Reichs Bithynien begründet
Sinope
schon in der Bronzezeit besiedelt bedeutendes Kultur- und Handelszentrum am Schwarzen Meer, im 7. Jahrhundert v. Chr. eine griechische Schwarzmeerkolonie der griechischen Stadt Milet, seit 183 v. Chr. Hauptstadt des Königreichs Pontus, heute Sinop in der gleichnamigen türkischen Provinz
Nikaia
um 350 v. Chr. gegründet, der Siegesgöttin Nike gewidmet, seit 154 v. Chr. zum römischen Reich gehörend, heute Nizza, eine französische Großstadt am Mittelmeer
Noricum
keltisches Königreich, auf einem Großteil des Gebiets des heutigen Österreichs liegend, unter Kaiser Augustus endgültig römische Provinz, davor etwa zweihundert Jahre unter Führung der Noricer autonom
Noreia
Hauptstadt des Königreichs Noricum, Ort der ersten Auseinandersetzung eingefallener germanischer Stämme mit Rom, wahrscheinlich in Kärnten gelegen
Gallia Narbonensis
von 125 bis 27 v. Chr. als Gallia transalpina (jenseits der Alpen) errichtete römische Provinz, dann nach ihrer damaligen Hauptstadt Narbo (Narbonne) umbenannt, im heutigen Südfrankreich liegend; die Bezeichnung Provinz findet sich noch heute darin wieder, dass ein Teil der Landschaft Provence genannt wird
Narbo
118 v. Chr. gegründet, Hauptstadt der später nach ihr benannten römischen Provinz Gallia Narbonensis
Tolosa
vormals bedeutende gallische Stadt (Tolose), ab 106 v. Chr. in das römische Reich integriert, heute Toulouse, eine französische Großstadt an der Garonne
Ekehoe
erstmals als Ekeho im 12. Jahrhundert erwähnt, norddeutsche Siedlung, um 1000 n. Chr. wird eine Burg Echeho erwähnt, heute Itzehoe, Stadt im Norden Deutschlands
Lugdunum
vormals keltische Siedlung, unter dem keltischen Namen Lugdunum (Festung des Lug) 43 v. Chr. als Verwaltungszentrum Galliens gegründet, heute Lyon, eine französische Großstadt im Südosten
Arelate
keltischer Name (sumpfiger Ort), seit Ende des 2. Jahrhunderts v. Chr. zum römischen Reich gehörend, heute die französische Stadt Arles
Oleastrum
heute Cambrils, südlich Tarragona in Spanien, an der Costa Daurada; damals wie heute mit einem bedeutenden Fischereihafen, vielen Olivenbäumen, einem wunderschönen Küstenstreifen und hervorragendem Klima gesegnet
Salauris
ursprünglich von Griechen gegründete Siedlung in Iberien, die die Siedlung Salanrio nannten; die Römer folgten etwa 150 v. Chr. mit der Umbenennung in Salauris und der Nutzung des sehr gut geeigneten Naturhafens, heute Salou südlich Tarragona an der Costa Daurada
Amper
Fluss im bayerischen Alpenvorland, zusammen mit der Ammer ein zusammenhängendes Flusssystem bildend
Aquileia
italienische Stadt am Golf von Triest, 186 v. Chr. gegründet, mit 3000 römischen Veteranen und ihren Familien, um die Romanisierung des Gebiets voranzutreiben, u. a. auch für die transalpine Verbindung zur Donau
Das Landgut der Familie Obispo in der Extremadura, Sonntag, 12. November 2045
Es ist eine anstrengende Fahrt. Nach dem Weltkrieg hat sich die ehemals trockene Landschaft der Extremadura in eine Schlammwüste verwandelt. Wolken, Kälte und Regen scheinen erstaunlicherweise den uralten Olivenbäumen weniger auszumachen als den Korkeichen, die inzwischen abgestorben sind. Selbst den radioaktiven Regen vor einigen Jahren konnten die meisten Olivenbäume anscheinend überleben. Trotzdem sieht Javier viele verdorrte, kahle Äste und gelbliche Blätter.
Der Stolz seiner Familie ist vergänglich, wie alles andere auch.
Seine Eltern werden es nie zugeben, aber das Landgut wird es mindestens so schwer haben zu überleben wie die ganze Menschheit, die übrig geblieben ist. Die Cornicabra-Olive, besonders pikant, fleischig und schmackhaft, hat viele Generationen von Obispo-Familien wohlhabend gemacht. Ist das jetzt noch von Bedeutung?
Seine Mutter wird in der Kirche sein. Seinen Vater hat Javier um diesen Termin gebeten. Es ist ihm nicht leichtgefallen, darum zu bitten. Genauso wenig, wie es seinem allradgetriebenen Wagen leichtfällt, die verwahrlosten Straßen hinauf zu dem elterlichen Landgut zurückzulegen. Javier fährt langsam, aus Vorsicht, aber auch, um sich noch einmal sammeln zu können.
Es gab Zeiten, da hatte er sich auf zu Hause gefreut.
Endlich taucht das alte Bauernhaus auf. Zweistöckig, große graue Steinplatten an den Außenwänden, mit einem weinroten Ziegeldach ragt es weiter trotzig und ihm so vertraut in den grauen Himmel auf. Es ist schön, etwas so Vertrautes in der verwüsteten Landschaft zu sehen. Jetzt empfindet Javier doch so etwas wie Vorfreude.
Sein Vater sitzt in seinem dicken dunkelgrauen Mantel auf der überdachten Veranda mit dem schweren Holztisch und den neun Stühlen, wie immer am Ende des Tischs. Von dort hat er einen guten Blick über die weiträumigen Ländereien der Familie Obispo. Die Familie stellt Saft aus den Olivenblättern her, mit einem bitteren Geschmack, der durch frisches Brunnenwasser verdünnt wird. Javier sieht zwei Gläser auf dem Tisch. Er wird erwartet.
Die Umarmung fällt kurz aus. Wie immer. Javier ist fast einen Kopf größer als sein Vater und sein Vater mag keine Umarmungen, anders als seine Mutter. Schon gar nicht lange Umarmungen mit seinem hochgewachsenen Sohn. Javier hat zwei ältere Schwestern, er ist ein Nachzügler, sein Vater ist bereits über sechzig Jahre alt. Lange, gewellte weiße Haare, zerfurchtes, wettergegerbtes Gesicht, hager. Lebenslange harte Arbeit, früher in der Sonne und jetzt in der Kälte, haben seine Haut ledrig werden lassen.
„Da bist du ja.“ Obwohl sie sich fast ein Jahr nicht gesehen haben, keine ausgesprochen herzliche Begrüßung. Sein Vater ist wortkarg, war es schon immer. Es liegt eine gewisse Spannung in der Luft.
„Danke, dass du Zeit für mich hast.“
„Ich habe immer Zeit für dich.“
„Danke.“
„Ich wollte, es wäre auch andersherum so.“ Vorwurfsvoller Blick.
Es hat sich nichts geändert.
„Verzeih mir, das Maschinenbau-Studium …“
Eine abwehrende Handbewegung. „Ich weiß. Setzen wir uns.“
Javier bleibt lieber stehen. „Ich habe meine Promotion beendet. Und ich werde nach Barcelona gehen. Zu Verplancke. Elektrotechnik, du kennst das Unternehmen.“ Führend in der Elektrotechnik in Iberien, im Eigentum seines Schwagers, des Ehemanns von Corazon, seiner Schwester.
Jetzt ist es heraus.
„Nein.“
Es wird ein kurzes Gespräch. „Ich weiß, dass du damit nicht einverstanden bist, ich sollte jetzt das Landgut übernehmen, aber …“
„Ich meinte, ich kenne das Unternehmen nicht.“
Kurze Pause. „Ach so.“ Javier setzt sich nun auch hin.
Schweigen.
Gespräche mit seinem Vater sind Javier immer schwergefallen. Die Einsilbigkeit, die Distanz, die häufige Abwesenheit seines schwer auf dem Landgut arbeitenden Vaters ließen keine enge Beziehung zu.
Sein Vater nimmt etwas von dem Olivensaft, ohne Javier anzusehen. Er schaut stattdessen mit zusammengekniffenen Augen in die weite Entfernung. „Als ich hier geboren wurde, hat niemand vermutet, dass es einen derartigen Krieg geben könnte. Es war eine ruhige Zeit damals. Die Olivenbäume wuchsen, Olivenöl von der Cornicabra-Olive war beliebt, wir hatten keine Sorgen. Mein Vater hat sogar einen großen See angelegt, um die Wasserversorgung zu verbessern.“ Er lacht kurz und heiser. „Wenn er das hier sehen würde. Nein, es ist besser so, dass er es nicht mehr sieht. Auch wenn es bestimmt nicht besser war, im Krieg sein Leben zu verlieren.“
Seinen Großvater hat Javier nie kennengelernt. Die Stille kann auch bedrückend sein. Javiers Vater schweigt. So viel hat er schon lange nicht mit seinem Sohn gesprochen. Es scheint ihn etwas zu bewegen.
Dann fährt sein Vater leise fort: „Die Kinder aus meiner Klasse kamen von benachbarten Bauernhöfen und aus dem Dorf. Jede Familie besaß drei oder vier oder noch mehr Kinder. Typische Familien eben. Damals. Katholisch. Traditionell. Meine Familie war die Ausnahme. Wie es der Zufall wollte oder meine Eltern geplant hatten. Ich war ein Einzelkind. Ich weiß nicht, warum. Aber ich hatte immer das Gefühl, mir fehlt etwas. Ich bin nicht normal. Alle anderen erzählten wie selbstverständlich von ihren Geschwistern. Teilweise trafen sie ihre Brüder oder Schwestern in der Pause oder wurden von ihnen nach der Schule abgeholt. Ich nicht. Es war, als wäre ich kein vollständiger Mensch. Ein Einzelkind – verwöhnt, eigensinnig, andersartig. So wurden Einzelkinder eingeschätzt. Ich konnte es nicht ausstehen, gefragt zu werden, wer meine Geschwister seien. Sobald jemand herausgefunden hatte, dass ich keine hatte, wusste ich, was er dachte. Verwöhnt. Eigensinnig. Andersartig. Es ärgerte mich, es entmutigte mich, es frustrierte mich. Ich konnte nichts dafür und es auch nicht ändern. Noch schlimmer war, dass ich wusste: Die Vorurteile stimmten. Ich war verwöhnt, eigensinnig, andersartig.“
Sein Vater nahm noch einen Schluck von dem Olivensaft.
„In meinen acht Jahren auf der Grundschule gab es zunächst niemand in meiner Klasse, der Einzelkind war. Erst in der dritten Klasse war eine neue Mitschülerin hinzugekommen. Ihre Eltern waren von Sevilla geflohen und hatten bei Verwandten auf einem benachbarten Bauernhof ein neues Zuhause gefunden. Esperanza war ruhig, besonnen, diszipliniert. Sie bekam immer gute Noten. Ich hielt sie für arrogant, unnahbar, eingebildet. Sie nahm jeden Tag den Bus, den auch ich nahm, stieg aber viel früher aus, ohne einen Gruß, ohne ein Wort. Manchmal sah sie mich wenigstens an und ich lächelte, dann sah sie sofort wieder weg. Selbst unsere Lehrer schienen im Umgang mit ihr leicht verunsichert zu sein. Der ernste Blick, die nachdenkliche Stirn, der hohe Wuchs, ich weiß es nicht, was die Reaktion ausmachte. Sie behandelten sie mit großem Respekt, mit erstaunlicher Aufmerksamkeit. Esperanza war größer als alle anderen in der Klasse und dünner als alle anderen in der Klasse. Ich dachte, dass sie vielleicht Hunger hatte. So wie ich, ich hatte immer Hunger in dieser Zeit, es gab nicht viel. Deshalb sparte ich mein Frühstücksbrot auf, setzte mich im Bus neben sie und bot es ihr an. Ihr Blick hätte einen Ölbaum absterben lassen. Das „Nein, danke“ schien mühsam viel Wut zu verbergen, sodass ich mein Brot schnell wieder einpackte und nur noch starr nach vorn blickte, während Esperanza unentwegt aus dem Fenster des Busses sah. Ich hatte es falsch angefangen. Völlig falsch.“
Mit einem kleinen Lächeln in den Mundwinkeln sieht sein Vater Javier an.
Javier nickt ihm zu.
„Zwei Tage später hatte ich mehr Erfolg. Im Musikunterricht nahmen wir Bach durch, ich weiß nicht mehr, welches Stück. Wir sollten es nachspielen, zumindest die, die Klavier spielen konnten. Esperanza setzte sich an das Klavier in der Schule und spielte es perfekt. Die Lehrerin war erst konsterniert, dann begeistert. Esperanza verzog keine Miene, sondern verbeugte sich nur leicht. Ob sie zu Hause viel üben würde, wurde sie gefragt. Nein, nicht mehr, nach dem Umzug aus Sevilla besaß ihre Familie keinen Flügel mehr. Das war meine große Stunde. Nicht, dass ich irgendetwas für Klavier übrighatte. Aber die Lehrerin erinnerte sich, dass meine Mutter einen Flügel mit in die Ehe gebracht hatte und sich für Franz Liszt begeisterte. ‚Du könntest doch Esperanza einmal mitnehmen?‘ Klar konnte ich. Diesmal lehnte Esperanza nicht ab. Meine Mutter und ich sahen ihr zu, wie sie mit allergrößter Vorsicht den Klavierdeckel unseres Flügels öffnete. Es war, als wenn sie ein Heiligtum enthüllte. Den Heiligen Gral oder so etwas. Sie starrte lange auf die Tasten. Ich weiß nicht mehr, was sie spielte, aber ich hörte meine Mutter leise schluchzen. Von da an war Esperanza zweimal in der Woche unser Gast. Ich sehe sie noch vor mir, mit geschlossenen Augen, leicht vorgebeugt, fast ohne zu atmen. Erst wenn das Stück beendet war, öffnete sie ihre Augen und schenkte uns ein kleines Lächeln. Meine Mutter musste sich dann häufig schnäuzen. Jedes Mal durchzuckte mich der Gedanke, Esperanza spielte nicht Klavier, sie berührte ganz sanft unsere Seele mit ihren kleinen Händen.“
Die Pause wird so lang, dass Javier schon denkt, die seltsame Geschichte sei vorbei.
„Nach und nach gelang es mir, mit Esperanza zu sprechen. Vielleicht war das ihr Dank dafür, dass sie bei uns am Flügel sitzen durfte. Wer kann das wissen? Jedenfalls fand ich heraus, sie war auch ein Einzelkind. Das schien sie entspannter zu machen. Zwei Einzelkinder auf einer Schule, die sonst nur von Geschwisterkindern besucht wurde. Wir redeten über Bücher, die ich mochte, und über Musik, die sie mochte, daran erinnere ich mich noch. Wie wäre es, einen Bruder oder eine Schwester zu haben? Jemand, den man ganz ins Vertrauen ziehen könnte. Der alles versteht. Dem man alles erzählen kann. Davon hatte ich oft geträumt. Esperanza nicht. Sie träumte nie von Geschwistern. Ihre Erklärung war einfach. Dann wäre sie ja nicht mehr die Esperanza, die sie nun ist. Sie wäre jemand anderes. Sie würde so gar nicht mehr existieren. Wer wäre sie dann? Insofern wäre es völlig überflüssig, sich diese Fragen zu stellen, die ich mir so oft stellte. Ich verstand, was sie meinte, und war wieder einmal beeindruckt. Ihr gegenüber kam ich mir oft so kindlich, so unreif, so dumm vor. Immerhin besaßen wir den Flügel. Das tröstete mich, aber es war kein wirklicher Trost. Vielleicht war ich körperlich stärker, ich war besser als sie im Sportunterricht. Aber auch das half mir nicht. Sie dominierte – und ich folgte. Das fiel mir schwer. Und doch so leicht. Wenn sie – sehr selten – lächelte, war alles wieder gut.“
Er hatte seinen Vater noch nie so lange sprechen hören. Javiers Vater gestattete sich noch ein kleines Zucken um den Mundwinkel.
„Ich brachte sie vom Bus zu uns und von uns zum Bus. Das war meine Zeit mit Esperanza. Im Bus, wenn ich mich neben sie setzte, war sie immer sehr einsilbig. Vielleicht dachte sie, andere hörten zu. Ich weiß es nicht. Aber in der halben Stunde, die wir zum Bus oder zurück brauchten, konnte ich mit ihr reden. Manchmal setzte sie sich sogar auf eine Bank, etwas außer Atem. Wahrscheinlich ging es ihr damals schon nicht so gut, aber ich merkte nichts. Im Gegenteil, es verlängerte meine Zeit mit ihr und ich war glücklich. Worüber wir sprachen, weiß ich nicht mehr. Musik, Bücher, Schule, Mitschüler, Eltern, wahrscheinlich von allem etwas. Einmal fragte sie mich, ob sich meine Eltern gut verstehen würden. Ich verstand die Frage nicht, aber sie war erstaunt, dass mein Vater nie im Haus anwesend war. Ich erklärte ihr, dass er vom iberischen Militär eingezogen worden war, und fragte, ob ihr Vater nicht auch weg sei. Nein, ihr Vater nicht, war die knappe Antwort. Mehr nicht. Später erfuhr ich, dass ihr Vater auch diese Krankheit hatte und zu schwach war, um in der Armee zu kämpfen. Aber das wusste ich damals nicht und ich interessierte mich auch nicht dafür.“
Ein leichtes Kopfschütteln. Dann räusperte sich Javiers Vater und fuhr fort.
„Am liebsten spielte sie die Goldberg-Variationen von Bach. Ich muss es hundertmal oder mehr gehört haben. Daran erinnere ich mich gut, Note für Note. Wenn Esperanzas Finger die Tasten berührten, dann schien das nur mit allergrößter Behutsamkeit zu geschehen. Ihre Augen geschlossen, sie schien nicht zu atmen, nur Arme und Finger bewegten sich. Die Zeit schien stillzustehen. Selbst die Tiere auf dem Hof gaben keinen Laut mehr von sich, so empfand ich das damals. Nur meine Mutter, die immer neben mir saß, musste sich gelegentlich die Nase putzen. Nach dem Klavierspielen reichte meine Mutter uns Tee und Gebäck, aber Esperanza nahm kaum etwas zu sich. In der Weihnachtszeit bat meine Mutter einmal Esperanza, Weihnachtslieder zu spielen, was sie tat, aber die Lieder hörten sich bei ihr anders an. Bei meiner Mutter klang es fröhlich, festlich, getragen. Bei Esperanza klang es dunkel, schwer, melancholisch. Meine Mutter forderte Esperanza nie wieder auf, Weihnachtslieder zu spielen. Als ich sie danach zum Bus brachte und wir auf ihn warteten, fragte ich sie, ob sie Weihnachten nicht mochte. Sie sah mich an, mit ihrem typischen ernsten Blick. Doch diesmal ging der Blick tiefer, durch meine Augen hindurch. Ob sie dort etwas fand? Ein Licht? Zuneigung? Ich weiß es nicht. Jedenfalls meinte sie, sie wolle sich nicht an Weihnachten gewöhnen und ich sollte mich nicht an sie gewöhnen. Ich habe sie nicht verstanden. Der Bus kam und sie war weg. Und ich verstand sie nicht.“
Javiers Vater sieht sein Glas mit Olivensaft an, trinkt aber nicht davon, hält es nur in der Hand. Die Hand zittert nicht.
„Dann kam der Frühling. Ich spielte in der Fußballmannschaft unserer Schule, aber an den beiden Tagen, Dienstag und Donnerstag, wenn Esperanza bei uns spielte, hatte ich für Fußball keine Zeit. So helle war ich dann doch. Ich fühlte mich zu ihr hingezogen, aber wie soll ein elfjähriger Junge mit einem derartigen Gefühl umgehen. Esperanza war ein Jahr älter, schien mich auch zu mögen. Doch, davon bin ich überzeugt. Aber sie war anders. Reifer. Erwachsener. Einmal hatte sie mich gefragt, wie viele Kinder ich später haben wolle. Kinder? Ich stotterte wieder irgendeine Antwort dahin. Was sollte ich mir Gedanken über Kinder machen? Nur eins, meinte sie. Sie wolle nur ein Kind. Mehr könne sie sich nicht vorstellen. Ein Einzelkind wäre es, so, wie wir es sind. Das würde sie gern erleben. Oder hatte sie damals schon gesagt, dass sie das gern erlebt ‚hätte‘? Manchmal war sie so weit entfernt, obwohl sie neben mir ging und ich ihr mit aller Aufmerksamkeit, über die ich damals verfügte, zuhörte. Aber ich war ein Junge, abgelenkt von Tausenden anderen Gedanken. Vielleicht hätte ich besser zuhören sollen. Aber so war es eben.“
Die raue Stimme seines Vaters war leiser geworden, aber Javier konnte ihn immer noch gut hören.
„Bevor ich sie nicht mehr sah, hatte ich zwei- oder dreimal ihre Hand gehalten. Vor der Bank, an der wir inzwischen immer ausruhten, war sie leicht gestolpert. Es waren keine langen Berührungen, aber es war auch nicht nur die kurze Zeit, um sie zu halten. Ich hatte ihre Hand instinktiv gegriffen, um sie vor dem Fallen zu bewahren, aber ich hielt sie danach länger fest oder sie hielt sich an mir fest, das weiß ich nicht mehr. Mein Körper reagierte, aber ich wusste nicht, warum. Es gab eine Zeit, bevor ich ihre Hand hielt, und eine Zeit danach, so kurz sie auch war. Elektrizität war es natürlich nicht, aber ich sah mir zu Hause noch lange meine Hand an. Ich atmete anders, ich hörte anders, ich sah anders. Farbiger, klarer. Eben anders. Ich war wie betrunken, euphorisiert, glücklich. Aber ich wusste nicht, warum. Ich hatte Esperanza berührt. Das wäre mir sonst nie in den Sinn gekommen. Ich war ratlos, selig und traurig, im gleichen Moment verwirrt, voller Sehnsucht und mit einem Kloß im Hals. Aber eines war mir klar: Ich wollte nochmals ihre Hand spüren. Das war jetzt so wichtig wie nichts anderes auf der Welt. Zugleich hatte ich furchtbare Angst, sie nochmals zu berühren. Was wäre, wenn sie das überhaupt nicht mochte? Oder sich durch mich verletzt oder besudelt fühlen würde? Ob sie jemals wieder stolperte? Und wenn nicht, wie sollte ich es sonst anfangen? Mir schnürte es die Kehle zu, wenn ich daran dachte, sie nicht mehr berühren zu können. Aber es kam alles anders.“
Mit einem Seufzen nimmt Javiers Vater einen weiteren Schluck von dem verdünnten Olivensaft.
Javier wagt nicht, etwas zu sagen oder sich zu bewegen.
„Half ich ihr zweimal oder dreimal? Hielt ich ihre Hand jemals länger als zehn Sekunden? Ich weiß es nicht mehr. Mochte sie es, wenn ich ihre Hand hielt? Oder brauchte Esperanza nur eine Unterstützung, damit sie nicht fiel? Ich glaube, sie mochte es auch. Ich meine sogar, sie hätte mich kurz angelächelt. Ihre Hand war warm, klein und zart. Aber damals war sie alles für mich. Bis Esperanza kurze Zeit später nicht mehr zur Schule kam. Sie sei krank, hieß es. Damals war das nichts Besonderes. Viele waren krank. Schnupfen oder Grippe hieß es, ich machte mir nicht viele Gedanken. Erst als meine Mutter fragte, warum Esperanza nicht zum Klavierspielen komme, und ich den Blick meiner Mutter sah, fragte ich mich, ob es sich um etwas Schlimmeres handeln konnte. Aber dann verdrängte ich den Gedanken wieder. Das konnte ja nicht sein. Nicht bei Esperanza. Bis meine Mutter einige Tage später sagte, wir sollten nun gemeinsam zum Krankenhaus fahren. Um Abschied zu nehmen. Esperanza hätte es sich so gewünscht. Ich verstand nichts, sagte nichts, aber ich fuhr mit. Abschied nehmen? Wovon? Ich hatte überhaupt keine Ahnung. Sie lag im Zimmer 9, das weiß ich noch. An der Wand hingen Bilder, die sie wohl gemalt hatte. Ich wusste nicht, dass sie malte. Aber ich kannte diese Gerüche. Desinfektionsmittel, angebliche Lufterfrischer und tödliche Krankheit. Verwandte von uns waren schon hier gestorben. Es war Tradition, dass die ganze Familie Abschied nahm. Da lag Esperanza. War es überhaupt noch Esperanza? Bis auf das Skelett abgemagert, mit offenem Mund, den sie sonst immer geschlossen gehalten hatte, in ihre Hände hatte man einen Rosenkranz gelegt. Die langen Haare waren noch dunkel, aber ihre Haut war weiß und durchscheinend. Die schmale Brust hob und senkte sich mühsam und langsam. Ihre Mutter meinte, wir kämen leider zu spät, seit gestern Nacht hätte Esperanza ihr Bewusstsein verloren. Ich war in der Tür stehen geblieben. Unbeachtet. Die beiden Frauen lagen sich schluchzend im Arm, ich starrte auf Esperanza. Und verstand nichts. Die Geburt ist ein Wunder. Aber der Tod eben auch.“
Langsam steht Javiers Vater auf. Javier muss sich die Tränen aus den Augen blinzeln und erhebt sich ebenfalls. Sein Vater weint nicht.
„Damals glich ich einem Bauernhaus, das sein Fundament verloren hatte. Es hat lange gedauert. Ich wünsche dir, dass du dein Fundament findest. Wo auch immer. Und dass du es nie verlierst. Es ist schlimm, alles zu verlieren.“
Javier umarmt nochmals seinen Vater, immer fester, und weiß nicht, was er sagen soll. Er, der sprachgewandte Akademiker.
Diesmal wird die Umarmung erwidert.
Im Königspalast von Pontus, Anfang März 104 v. Chr., in der Mittagszeit
Angespannte Mienen umgaben Gaius Marius. Das war nichts Neues für ihn. Nervosität und Aufregung herrschten oft bei den Menschen in seiner Nähe. Vor dem Beginn von Schlachten, vor entscheidenden Strategiebesprechungen in seinem Stab oder vor seinen Reden im römischen Senat, die selten auf die Zustimmung seiner Senatskollegen stießen.
Doch diesmal ging es um etwas ganz anderes.
Die Vorbereitungen seiner Hochzeit hatte sich Gaius Marius so nicht vorgestellt. Eigentlich hatte er sich eine Hochzeit überhaupt nicht mehr vorstellen können. Er hatte nicht mehr damit gerechnet, in seinem ihm verbleibenden Leben noch zu heiraten.
Vielleicht spiegelten die Gesichtsausdrücke der Diener um ihn herum auch nur seinen eigenen Gemütszustand wider.
Onnophrios, der Panetarius und oberste Beamte am Hof von König Mithridates in Pontus, zuständig für die Organisation aller königlicher Zeremonien, betrachtete Gaius Marius besonders kritisch. Immer wieder gab er Anweisungen an seine Diener, die Länge der Ärmel der goldbestickten schwarzen Tunika zu verändern, den weißen Kragen höher zu ziehen, die perlenbesetzten Sandalen noch mehr glänzen zu lassen, auch noch das letzte Staubkorn von dem purpurnen Mantel zu entfernen. Dann schüttelte er seinen fast kahlen Kopf, nur ein weißer Haarkranz war ihm übrig geblieben. „Nein, so wird es nicht gehen. Nicht so schnell. Nicht heute Abend. Morgen oder möglicherweise übermorgen. Wir brauchen mehr Zeit, Herr, um …“
„Morgen früh, bei Sonnenaufgang, werde ich in See stechen. Dann ist es sicher zu spät für eine weitere Anprobe.“ Gaius Marius versuchte gelassen zu bleiben.
„Und wirklich nicht diese wunderschöne Krone? Seht die Diamanten und Rubine an, die Zeichen der königlichen Würde, die Ihr damit bei Eurer Hochzeit zum Ausdruck …“
„Keine Krone.“ In Rom würden sie mich sofort verbannen. Oder umbringen. Die Gesetzeslage der römischen Republik war auf diesem Gebiet etwas ungenau. Weil es schon sehr lange her war, sogar mehrere Jahrhunderte, dass überhaupt ein Römer nach einer Krone strebte.
„Oder auch nur ein kleines Diadem, mit einfachen Perlen besetzt, und …“
„Auch kein Diadem. Nichts. Mein Kopf bleibt frei.“ Hoffentlich gilt das auch für die Gedanken darin.
„Aber, Herr, Ihr werdet gegenüber unserem großen König Mithridates wie ein Bittsteller, wie ein verarmter persischer Adliger aussehen.“
„Ich will ja auch nicht König Mithridates heiraten.“
„Aber seine Schwester!“, widersprach Onnophrios. „Sie wird gekleidet sein wie eine Königin. Das lange Kleid aus weißer Seide, ein Jungfrauenmantel aus türkisblauem Samt, die Schuhe von …“
„Sollte das nicht eine Überraschung sein?“
Onnophrios verstummte, griff sich an die wenigen Haare seines Kopfes und rief verzweifelt: „Natürlich, Herr, Ihr habt recht, ich bin so durcheinander, verzeiht, ich habe in der Aufregung völlig vergessen, dass …“
„Kein Problem, mein Freund, aber jetzt lasst es uns beenden. Ich denke, König Mithridates wird bereits im Thronsaal auf uns warten.“
„Nein, Herr, wir werden ein Zeichen für den Beginn der Hochzeit erhalten. Die pontische Fanfare zu Beginn jedes Hochfestes. Aber vorher noch: Hier, das königliche Schwert, das Euren Gürtel veredeln wird! Ein Geschenk Eures Bruders, König Mithridates.“
Ich hatte nie einen Bruder. Ich werde mich umgewöhnen müssen.
„Ein Schwert? Ich dachte, kein Gast im Thronsaal des Königreichs Pontus darf bewaffnet sein?“
Onnophrios lächelte. „Aber Ihr seid doch kein Gast, Herr. Ihr werdet nun der Bruder des Königs sein.“
Aus der Perspektive hatte Gaius Marius seine neue gesellschaftliche Position noch gar nicht betrachtet. Er hatte stattdessen bisher nur eines im Sinn gehabt: Julia. Darum drehten sich nun alle seine Gedanken: Julia. Die Liebe seines Lebens. In der Schlacht um Numantia vor über zwanzig Jahren gestorben. Jetzt hier wiedergefunden. Julia, die er sofort in Prinzessin Berenike, eine der zwölf Schwestern des Königs Mithridates, wiedererkannt hatte. Ein Wunder? Ein Geschenk der Götter? Ein Zufall? Das wusste er nicht. Doch eines wusste Gaius Marius. Er wollte Prinzessin Berenike für sich gewinnen – und wenn es das letzte Vorhaben in seinem Leben sein sollte. Und dafür musste er sich jetzt konzentrieren. „Wie lange wird die Hochzeitsfeier dauern?“
Onnophrios verneigte sich leicht. „Nun, Herr, gewöhnlich drei Tage, aber König Mithridates hat ja schon Zugeständnisse aufgrund Eurer Eilbedürftigkeit gemacht. Wir bereiten jedenfalls einen Raum vor, Herr, damit Ihr noch vor Eurer Abreise die Ehe vollziehen könnt und die Götter Euch und Eurer Braut ihren Segen spenden können.“
Dagegen hatte Gaius Marius nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil. Doch ob seine künftige Ehefrau damit einverstanden war? Er hatte sie ein einziges Mal geküsst, sie hatte den Kuss erwidert, erst zurückhaltend, dann drängender und feuriger, aber ob sie heute Nacht auch so positiv reagieren würde? Er erinnerte sich an Julia, eine fordernde, selbstbewusste Liebhaberin, die genau gewusst hatte, was und wann sie es wollte. Galt das auch für Prinzessin Berenike? „Nein, ich meinte, wie lange die Hochzeitszeremonie selbst dauern wird. Die Priester, die Gesten, die Rituale?“
„Nun, Herr, nach den zeremoniellen Worten unserer Priester und den Befragungen des Brautpaars ist es nur noch der Chaghoo, der rituelle Tanz aller Hochzeitsgäste, der etwas länger dauert und dann, wenn die Musik verstummt, mit dem Anlegen der Hochzeitshalskette durch den Bräutigam um den Hals der Braut endet.“ Er verstummte einen Augenblick. „Der längste Teil der ersten Nacht ist dann eigentlich für den Vollzug der Ehe bestimmt. Bei unseren Königen wird das erste Mal die Ehe öffentlich geschlossen, danach haben die jungen Brautpaare Zeit für sich.“ Er lachte. „König Mithridates und Königin Laodike ließen die Öffentlichkeit sogar die ganze Nacht lang an ihrem Glück teilhaben. Fünf Mal! Man erzählt sich, sie hätten das schon vorher geübt. Es war für uns alle … erhebend.“
„Bestimmt. Aber ich bin kein König“, brummte Gaius Marius.
„Natürlich, Herr. Ihr sagtet es schon. In diesem Fall … wird die Ehe privat vollzogen, die Hochzeitsgäste werden den Raum verlassen. Nur ein Priester wird eine Zeit lang vor dem geschlossenen Vorhang warten.“
„Worauf?“
„Nun, äh, ob die Götter das Brautpaar segnen.“
„Wie will er das feststellen?“
„Es liegt an der Geräuschkulisse, Herr. Es wird erwartet, dass sich Braut und Bräutigam beim ersten Mal geräuschvoll verhalten.“
„Hm. Ob Prinzessin Berenike mit diesen rituellen Gewohnheiten vertraut ist?“
„Ja, Herr. Sie wird von Königin Laodike selbst vorbereitet.“
„Oh.“ Nach den bisherigen Verhaltensweisen der beiden Frauen scheinen Feuer und Wasser besser als die beiden Schwestern zusammenzupassen.
„Ja, Herr.“
„Wo bekomme ich hier eine Hochzeitshalskette?“
„Keine Sorge, Herr, König Mithridates wird Euch als ältester Bruder von Prinzessin Berenike die Kette überreichen. Sonst würde es dem Vater der Braut obliegen, doch im Todesfall übernimmt …“
„Ich verstehe schon“, brummte Gaius Marius und unterbrach den obersten Hofbeamten.
Onnophrios missverstand die kurze Antwort von Gaius Marius. „Glaubt mir, Herr, es wird eine edle Kette sein, aus Gold und Edelsteinen, König Mithridates ist ein sehr freigiebiger Herrscher, der für seine Freunde …“
„Das glaube ich gern.“
„Ihr werdet ein wunderbares Paar abgeben, wenn Ihr vor die Priester tretet, seid versichert. Königin Laodike wird für ihre Schwester nur das Beste aussuchen. Ich bin sicher. Es ist ihre erste Schwester, die heiratet. Da wird unsere Königin Laodike sicher besonders aufmerksam sein.“ Onnophrios nickte zuversichtlich.
„Ah ja?“ Da war sich Gaius Marius weniger sicher. Aber wenn Prinzessin Berenike aus dem Königreich Pontus fliehen wollte, dann würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als sich ihrer Schwester, der Königin, unterzuordnen. Wenigstens für einen Tag. Das müsste ihr doch gelingen. Oder unterschätzte er das Temperament der beiden Frauen?
„Nachdem Ihr Eurer Braut die Hochzeitskette angelegt habt, werdet Ihr Eure Mäntel tauschen.“
„Wozu?“
„Als Zeichen, dass Prinzessin Berenike nun nicht mehr durch ihren Vater oder in diesem Fall ihren Bruder geschützt wird, sondern durch Euch. Ihr legt Euren Mantel um die Schulter Eurer Braut und nehmt ihren Mantel über Euren Arm.“
„Und dann?“
„Dann küsst Ihr die Braut, Herr, und die Priester werden Euch zu einem Fleisch mit einem Herz und einer Seele erklären.“
„Gut.“ In Rom waren die Zeremonien weitaus kürzer und formloser, aber Gaius Marius hatte das Gefühl, dass die östlichen Riten durchaus auch ihren Reiz besaßen. Zumindest gefallen sie hoffentlich Prinzessin Berenike, die hier aufgewachsen ist. „Was ist das für ein Lärm?“
Bisher hatte Onnophrios noch nichts wahrgenommen, doch nun hörte er auch den Tumult draußen. „Das ist eigenartig, Herr. Ich werde mich erkundigen.“ Mit einem Zeichen sandte er einen der Diener vor die Tür. „Normalerweise muss vor dem Hochzeitsfest absolute Ruhe herrschen, damit alle Gäste und natürlich auch Braut und Bräutigam sich auf das kommende Fest konzentrieren können. Es ist ja ein ganz besonderer Tag im Leben eines …“
Weiter kam Onnophrios nicht, denn der Diener öffnete hektisch die Tür und stürzte auf ihn zu, um ihm etwas zuzuflüstern.
„Oh“, machte Onnophrios und sah Gaius Marius betroffen an.
„Was ist?“, fragte Gaius Marius.
„Die Hochzeit muss verschoben werden, Herr.“
„Wie bitte?“
„Nur kurz, Herr. Keine Sorge.“
„Was ist denn passiert?“
„Zwei Schiffe greifen gerade den Hafen an. Kein Problem. Unsere Hauptstadt Sinope ist gut geschützt.“
„Woher wollt Ihr das wissen?“
„Mein Diener hat mir zuverlässig übermittelt …“
„Dass es kein Problem ist?“
„Ja.“
„Woher will er das wissen?“ Wenn es um überraschende Angriffe geht, scheint mir diese Gelassenheit kaum die richtige Reaktion zu sein. Unwillkürlich fasste Gaius Marius an das ihm gerade geschenkte Schwert an seinem Gürtel.
„Er hatte den Eindruck, es wären nur zwei Schiffe, die angreifen …“
„Wer greift denn das Königreich Pontus an?“
Onnophrios stutzte einen Augenblick und zuckte mit den Schultern. Dann winkte er nochmals seinen Diener zu sich. Nach dessen Antwort schüttelte Onnophrios energisch den Kopf und fragte nochmals. Dann sah er fragend zu Gaius Marius. „Es sollen römische Schiffe sein. Ich verstehe das nicht. Habt Ihr etwa …?“
„Ich muss König Mithridates sprechen.“
„Das geht jetzt nicht, Herr. König Mithridates befindet sich schon vor dem Palast und organisiert die Verteidigung mit diesem Söldnerführer Archelaos, den er dafür immer …“
Onnophrios konnte den Satz nicht beenden, da war Gaius Marius schon aus dem Zimmer gestürmt.
„Ach, diese Ausländer! Schrecklich! Alles Spinner!“, seufzte Onnophrios unglücklich und alle seine Diener stimmten ihm uneingeschränkt zu. Verrückte, unwissende Leute, diese Fremden aus dem Westen. Unzivilisiert, ungepflegt, ungehorsam. Immerhin schienen sie nicht im Land bleiben zu wollen. Mit solchen ungehobelten Raubeinen zusammenleben zu müssen – undenkbar. „Diese Leute kennen einfach kein Benehmen und sie haben keine Kultur. Römer. Europäer. Aus dem Westen. Keine vernünftige Erziehung. Keine Ordnung. Fremde komplizierte Sprachen. Keine Traditionen. Alles Neureiche. Grauenhaft.“
Allgemeines bejahendes Kopfnicken war die Antwort.
Im nördlichen Germanien, in Ekehoe, vor etwa zehn Jahren
Als sie wieder zu sich kam, auf dem kalten Lehmboden der großen Halle der Ratsversammlung der Stadt Ekehoe, sah sie nur Leichen um sich herum. Ihr Kopf war schwerer als sonst, der Blick verschwommen, was vielleicht auch an dem Zwielicht in der riesigen Halle liegen konnte, ihr Körper schmerzte überall.
Seit ihrer Verwandlung, vor etwa einem Jahr, hatte sie derartige Schmerzen nicht mehr erlebt. Früher schon, ja, als ihr Ehemann sie verprügelt hatte, wenn er betrunken war. Oder schlechte Laune hatte. Sie war dreizehn Jahre alt gewesen, als sie verheiratet wurde. Vier Kinder hatte sie ihrem verhassten kimbrischen Ehemann geboren. Dann war Sindri in das kleine, unbedeutende Dorf der Kimbern gekommen. Er hatte grausam gewütet unter den Männern, die sich wehren wollten. Sein Hunger musste damals beträchtlich gewesen sein. Frauen und Kinder waren von ihm nur leicht gebissen worden.
Die Infektion war rasend schnell fortgeschritten.
Zwei Frauen hatten die Verwandlung überlebt. Sonst niemand. Gallia gehörte zu den beiden Frauen. Sie hatte alles verloren – und ein neues Leben gewonnen. Stärker als jeder Wolf oder Bär, wenn sie sich verwandelte, ein deutlich verbesserter Hör- und Geruchssinn, ein körperliches Wohlgefühl, das sie bisher nie erlebt hatte. Starkes sexuelles Verlangen, großes Selbstbewusstsein, auch abgeleitet aus der neu gewonnenen physischen Stärke, mit der sie jedem Menschen weit überlegen war.
Aber ihr neues Leben bot nicht nur Vorteile. Leider fühlte sie nun auch ständigen Hunger. Nach frischem Fleisch … Menschenfleisch.
Sie war Sindris Gefährtin geworden, hatte sich aber auch mit den anderen verwandelten Frauen vergnügt. Die Verwandelten kamen gut miteinander aus. Ihre neue Göttin, Riguna, eine rothaarige, langbeinige Schönheit, führte sie an.
Es ging ihr gut seitdem. Besser als jemals vorher in diesem kleinen Dorf der Kimbern im hohen Norden Germaniens. Sie blinzelte, der Blick wurde klarer. In der Halle schien keiner mehr zu sein, der lebte. Dafür umso mehr Menschen, die nicht mehr lebten.
Mühsam setzte sie sich auf. Wie lange mochte sie hier gelegen haben? Gallia fühlte den Arm eines Mannes neben sich. Die Leiche war kalt, die Leichenstarre war schon eingetreten, also war sie wahrscheinlich längere Zeit ohnmächtig gewesen.
Noch etwas hatte sich verändert. Ihr war übel, sie hatte plötzlich nicht mehr diesen furchtbaren Hunger auf rotes frisches Fleisch, nach dem sie bisher so gegiert hatte wie eine Ertrinkende, die nach Luft lechzte. Sie atmete mehrere Male tief ein und versuchte dann langsam aufzustehen. Erst auf allen vieren, dann konnte sie sich ganz aufrichten. Ihr wurde jetzt schwarz vor Augen, sie taumelte leicht, dann fand sie Halt auf ihren zwei Beinen. Verwandeln konnte sie sich nicht.
Der Boden war übersät mit Toten. Keine Verwandelten, denn nach dem Tod hielt die Verwandlung nicht an. Aber sie erkannte einige aus ihrem Rudel wieder. Frauen wie sie, kimbrische Frauen, die sich verwandelt hatten, nachdem sie von einem Svaer gebissen worden waren, und die Verwandlung überlebt hatten. Um nun hier zu sterben. Teilweise steckten noch Speere in ihren Leichen, bei einigen war der Kopf nur noch eine blutige Masse.
Dann entdeckte sie Sindri, der mit geöffneten, gebrochenen Augen das hohe Dach der Ratsversammlung vorwurfsvoll zu betrachten schien. Sindri, Anführer ihres Rudels, immer so vorsichtig und so überlegt, so erfahren und so klug. Und nun war er vor ihr gestorben, trotz aller Besonnenheit, die ihn so ausgezeichnet und die sie als so anstrengend empfunden hatte. Aber er war ein guter Anführer gewesen, das musste sie zugeben, und ein guter Liebhaber. Einige verwandelte Frauen waren triebhafter geworden als vor ihrer Verwandlung – so wie sie selbst – und hatten den Kontakt mit Sindri gesucht, die meisten wollten sich allerdings überhaupt nicht mehr paaren.
Gallia hatte zunächst keine guten Erfahrungen mit Männern gemacht. Ohne jedwede Kenntnisse war sie verheiratet worden, nach der ersten Menstruation. Ihr Ehemann war unbeherrscht und wild gewesen. Selbst kaum älter als sie, hatte er sie häufig geschlagen und zu Dingen gezwungen, die sie nicht gewollt hatte, bevor sie von den Svaer überfallen wurden. Vor der Infektion hatte sie sich schwach und hilflos gefühlt. Ausgeliefert, rechtlos, ohne Aussicht auf Befreiung.
Danach war sie frei gewesen. Ein Gefühl, das sie bisher nie erlebt hatte.
Sie hatte sich auch nie vorstellen können, Lust zu haben, mit einem Mann zu schlafen. Doch nach ihrer Verwandlung hatte sich vieles verändert. Eigentlich alles. Sindri war ein guter Partner gewesen, obwohl sie sich ihn manchmal etwas temperamentvoller, etwas fantasievoller, etwas leidenschaftlicher gewünscht hätte.
Das war nun vorbei. Für immer.
Die letzten Samen eines Mannes zeugten Alraunen, so hieß es in ihrem Stamm. Kleine Pflanzenwesen, die sich in der Nacht der Jungfrauen bemächtigten und sich auf diese Weise fortpflanzen konnten. Vielleicht auch eine gute Erklärung dafür, dass nicht alle Frauen der Kimbern bei ihrer Heirat noch Jungfrauen waren.
Fast hätte Gallia geschmunzelt. Die letzten Samen. Das war nun Vergangenheit.
Dann wurde ihr langsam die schwierige Situation bewusst, in der sie sich befand. Sie würde schnell fliehen müssen, weg von dieser Halle, diesen Häusern und dieser Stadt. Sie war nicht mehr verwandelt und sie spürte auch nicht mehr die Kraft in sich, sich verwandeln zu können. Vorsichtig schlich sie sich zum offenen Tor der Ratsversammlung.
Dann hörte sie die Stimmen. „Bringt sie alle um, jeden, den ihr nicht kennt.“ Ein anderer Mann schrie: „Alles durchsuchen. Jedes Haus. Lasst nicht nach.“ Und dann noch: „Sobald sich einer ungewöhnlich benimmt, sofort töten.“
Kimbern. Krieger, die überlebt hatten. Ihre Feinde.
Natürlich. Sie wollten nicht, dass sich die Seuche hier in Ekehoe ausbreitete. Irgendwie hatte Gallia Verständnis für sie. Dieser Herzog Tambren war ein großer Anführer der Kimbern hier im Norden. Er würde sich nicht so leicht geschlagen geben, das hatte Sindri ihnen immer prophezeit. Doch der Kampf schien noch immer nicht beendet zu sein.
„Da kommen sie wieder.“
„Nehmt die Speere!“
„Angriff!“
Neue verzweifelte Rufe der kimbrischen Krieger. Anscheinend gab es immer noch Verwandelte, die sich in der Stadt aufhielten.
Schnee fiel auf die Stadt. Feiner Schnee, zart, dicht, in kleinen Körnchen. Nicht die dicken Schneeflocken der vergangenen Tage. Fast schon winzig und sanft sah er jetzt aus. Aber genauso erbarmungslos und unablässig. Wohin sollte Gallia fliehen? Ihr war jetzt schon kalt. Von einer Leiche löste sie einen Umhang und warf ihn sich über. Ihr langes blondes Haar verschwand darunter. Hier konnte sie nicht bleiben. Hier kannte sie niemand. Damit wäre ihr Schicksal hier besiegelt.
Sie wischte ihre langen Haare aus dem Gesicht. Zurück zum großen Stadttor, von dem sie gekommen waren. Nur weg hier. Weg von dieser Stadt und dem Todeszucken, das von ihr ausging. Vielleicht würde sie es bis zu den Feuern schaffen, die Sindri immer befohlen hatte anzuzünden. Wärme war zwar für die Verwandelten nicht notwendig, aber eine gewisse Ordnung wollte Sindri einfach aufrechterhalten. Jetzt brauchte sie diese Wärme. Dringend.
Sie rannte los. Aus der großen Halle und durch die kleinen Gassen. So schnell sie konnte.
Bis zum großen Tor der Stadt war sie schnell gekommen. Gallia war gelaufen so schnell sie nur konnte. Kein Krieger weit und breit in Sicht. Das Stadttor stand weit offen. Wie eine Einladung, nach draußen und in den Wald zu entkommen. Dahin, wohin ihr niemand folgen würde. Niemand, der in den letzten Tagen die Verwandelten erlebt hatte. Kein Jäger war zurückgekommen, auch kein Späher. Und kein Wild hatte sich mehr sehen lassen. Der Wald hatte den Verwandelten gehört.
Und dem hohen Schnee.
Doch es war eine trügerische Einladung. Drei Männer traten aus dem Wachhaus neben dem Stadttor.
„Da kommt wieder eine.“
„Achtung!“
„Macht sie nieder!“
Sie hätte es erkennen können. Einige Leichen, teilweise schneebedeckt, lagen hier vor dem Tor. Anscheinend hatte nicht nur Gallia zu fliehen versucht.
Die Männer kamen mit ihren Schwertern schnell näher. Gallia wollte sich umdrehen, doch sie war erstarrt in ihrer Todesangst. Was sollte ihr noch für ein Ausweg bleiben? Als Verwandelte hätte sie eine sehr gute Chance gegen die drei Männer gehabt, doch so?
Wofür hielten die Männer überhaupt ihre Schilde hoch?
Feiglinge.
Dann wurde der erste Angreifer von hinten umgerissen. Er konnte nicht einmal mehr schreien. Ein Verwandelter durchbiss seine Kehle, das Blut spritzte auf den weißen Schnee und bildete eine hellrote Lache um seinen Körper.
Die beiden anderen Krieger wandten sich erschrocken dem Angreifer zu.
Doch der Verwandelte hatte nicht vor abzuwarten, bis sie sich formierten. Mit einer unfassbar schnellen Bewegung warf er den nächsten Mann um und zerbiss dessen rechten Arm, sodass dessen Schwert einfach in den Schnee fiel. Dann wandte er sich dem dritten Kämpfer zu, der zurückgetaumelt war in Gallias Richtung und sich dann panisch zur Flucht umdrehte. Gallia konnte es ihm nicht verdenken. Schon in drei Sprüngen war der Verwandelte hinter ihm her und riss ihn ebenfalls zu Boden. Ein Biss in seinen Nacken beendete jegliche Abwehrreaktion.
Der Verwandelte stand auf und leckte das Blut von seinen Lefzen.
Ich sollte es ihm jetzt sagen. Ich bin einer von ihnen. Ich bin selbst auch … Oder ich war zumindest bisher …
Ganz gegen ihre sonstigen Gewohnheiten konnte Gallia keinen Ton herausbringen, sah den Verwandelten nur panisch an und schwieg.
„Ich bin Dagwin. Riguna hat mich geschickt. Sie braucht uns.“ Tiefe Stimme, fast schon zärtlich.
Der Schauer ging Gallia durch Mark und Bein. War es seine Stimme? Seine Nähe? Sein Atem? Das Blut an seinen Lippen? Sie fühlte ihre Kraft zurückkehren, die Kraft zur Verwandlung. Sie atmete die Kälte tief ein und veränderte ihre Gestalt. Das altbekannte Gefühl der Stärke und Überlegenheit kam zurück. Sie lachte jauchzend auf. Ein hoher Schrei. Hochgefühle erfassten sie.
Die Temperatur war weiter gefallen. Der kniehohe Schnee hatte ihre Beine schon fast zum Erfrieren gebracht. Jetzt war alles wieder gut. Gallia fühlte sich in diesem Moment so lebendig wie selten zuvor in ihrem Leben.
Wie hieß der Mann, der sie gerettet hatte? Dagwin? Sie wollte sich gern bei ihm bedanken. Sie lachte noch einmal, wohlig und laut. „Ich werde dir folgen, Dagwin. Du wirst es nicht bereuen.“ Sie leckte sich über ihre Lippen, küsste zart das Blut von ihm und wandte sich dann hungrig einem der getöteten Kimbern zu. „Nur noch einen kleinen Augenblick.“
Zehn Jahre später, in Rom
Antonius Orator zählte zu den bekanntesten Juristen und Rednern in Rom. Hochgewachsen, ein Baum von einem Mann, füllig im Gesicht, ein beachtlicher Bauchumfang, enorm dicke Arme, selbst seine Hände fleischige, gewaltige Pranken. Seine alteingesessene Familie bestand aus Weinhändlern, die vor langer Zeit aus Nikaia nach Rom eingewandert waren. Ehemalige Ligurer, die als Händler ihr Glück gemacht hatten und zu einem gewissen Vermögen gekommen waren, inzwischen zur römischen Nobilität gehörend.
Als Kind und Jugendlicher musste Antonius Orator oft seiner Familie bei dem Transport und der Auslieferung der Weinfässer helfen, wahrscheinlich eine Erklärung für seine beeindruckende Statur. Für Wein und schwere Arbeit interessierte er sich später nicht besonders, aber für Geld und Gold. Bei freigelassenen Griechen lernte er fleißig römisches Recht und griechische Rhetorik, gründete bald seine eigene Kanzlei, wurde durch seine Auftritte vor Gericht bekannt und konnte einige aufsehenerregende Erfolge erzielen. Geschworene waren schnell von ihm beeindruckt, Richter mochten seine schauspielerischen Fähigkeiten, die sie von ihrer trockenen Materie ablenkten.
Sein Auftreten vor Gericht war brillant. Laut, aggressiv, wild gestikulierend, nie klein beigebend. Er machte gegnerische Anwälte lächerlich, Richter nervös und überrumpelte die Geschworenen. Ein Naturschauspiel, das das Publikum anlockte. Römer, die sich vorher noch nie für ein Gerichtsverfahren interessiert hatten. Die Gerichtssäle, in denen er auftrat, waren plötzlich mit Zuschauern überfüllt. Trotz, vielleicht auch wegen seines kleinen gallischen, fremdländischen Dialekts waren seine Reden Waffen, die seine gegnerischen Anwälte reihenweise niederstreckten. Eine Showveranstaltung bisher nicht bekannten Ausmaßes.
Die Gerichtssäle waren zu Theaterbühnen geworden, wenn Antonius Orator auftrat.
Seine großen, hervorquellenden Augen und seine bohrenden Blicke ließen selbst alteingesessene gegnerische Anwälte kopflos agieren. Wenn sich Antonius Orator im Gerichtssaal auf und ab bewegte, schien es, als wenn Gottvater Jupiter selbst vor Gericht erschienen wäre und den Menschen grollen würde. Es machte ihm einfach Spaß, jedem im Saal eine Lektion zu erteilen, im Mittelpunkt zu stehen und die ungeteilte Aufmerksamkeit aller zu genießen. Seine Stimme konnte er zwischen leisestem Flüstern und gewaltigem Brüllen modulieren, seine eingeübte Gestik stellte jeden griechischen Schauspieler oder Tänzer in den Schatten, seine verletzenden Beleidigungen unterhielten die Zuschauer bestens. Die Richter waren amüsiert und freuten sich über ihre zunehmende Beachtung im römischen Gesellschaftsleben.
Je rauer und leidenschaftlicher Antonius Orator im Gericht auftrat, umso wählerischer wurde er anscheinend, wenn es darum ging, sich selbst Entspannung zu verschaffen. Verheiratet war er nie, Affären waren nicht bekannt.
Sulla seufzte leise. „Seidenstoffe? Von der Insel Kos? Sandalen aus Seide? Viel ausgefallener dürften seine Wünsche ja kaum noch werden. Und viel teurer auch nicht.“
Rigaia grinste unbefangen. Sie lagen beide in Seitenlage fast nackt auf ihren marmornen Liegen im privaten Caldarium von Riguna und unterhielten sich leise. Nur ein dünnes weißes Tuch war um den Unterleib Sullas und Rigaias gebunden. Auch in den Bordellen Rigaias waren diese feuchten und heißen Räume immer beliebter geworden. Früher von den Römern als unnütze Marotten der Ausländer abgelehnt, bekamen die Thermen nach und nach gesellschaftliche Anerkennung in Rom. Auch jetzt hatten die hohe Luftfeuchtigkeit und die gleichmäßige Wärmeverteilung Rigaia rasch zum Schwitzen gebracht. Die langen, gewellten roten Haare klebten bereits auf ihren Schultern und erste Schweißtropfen liefen an ihren Brüsten hinab, wie Sulla fasziniert beobachten konnte.
„Es ist doch nur Geld, mein Geliebter“, flüsterte sie. „Was glaubst du, was es gekostet hat, die Information zu beschaffen, wonach sich unser großer Antonius Orator sehnt?“
„Was hat es uns gekostet?“
„Es war nicht einfach.“ Rigaia wischte sich gelangweilt einige Tropfen von ihrer rechten Brust und fing Sullas gebannten Blick auf. Es war so einfach, diesen Mann zu beherrschen.
„Wie teuer?“, meinte er, etwas heiser klingend.
„Nun, du kennst doch diesen mürrischen, mickrigen Partner von Antonius Orator, diesen Publius Crispus, für den auch dein armer fleißiger Bruder so gern arbeitet.“
„Ich habe meinem Bruder schon häufig angeboten, seine Stellung dort in der Kanzlei aufzugeben und bei uns zu arbeiten. Buchführung, Schriftkram oder anderes, was ihn so fasziniert, das können wir ihm doch auch bieten. Aber er weigert sich.“
„Unser Gewerbe ist ihm fremd. Schade.“ Rigaia legte sich auf den Rücken und war sich ihrer aufreizenden üppigen Figur bewusst. Sie wollte Sullas Aufmerksamkeit und streckte sich genüsslich auf ihrer Liege aus, seufzte wohlig, zog dann ein Bein an und streifte sich ein paar Schweißtropfen ab. „Er weiß gar nicht, was er verpasst. Vielleicht sollte ich ihn einmal besuchen, nicht du.“
„Er würde vor Schreck erstarren.“
„Wenn sein wichtigstes Körperteil erstarren würde, hätte ich wahrscheinlich gute Chancen, ihn in eine andere Welt einzuführen.“ Rigaia grinste zuversichtlich.
„Das bezweifle ich. Bei ihm ist der ganze Körper schon so erschlafft, da gäbe es nichts einzuführen. Nichts, was dich interessieren würde.“
Rigaia lachte leise. „Jedenfalls habe ich zufällig Callista, die Ehefrau von Publius Crispus, kennengelernt.“
„Zufällig“, meinte Sulla ironisch und beobachtete Rigaia weiter. Er konnte sich nicht sattsehen.
„Wir kaufen bei den gleichen Schneidern. Sie gibt gern Geld aus. Sie kannte natürlich Antonius Orator, den Partner ihres Mannes, und bewunderte diesen leidenschaftlichen, groß gewachsenen, lustigen und ihr gegenüber so aufmerksamen Mann. Diese Callista ist eine ausnehmend hübsche Römerin, klein, aber mit tollen Brüsten, die Männer anziehen. Aber auch eine sehr vereinsamte Römerin. Eine von ihrem Mann sehr vernachlässigte Römerin.“
„Und sie konnte die Geheimnisse von Antonius Orator herausfinden?“
„Es hat mich zunächst einmal eine gewisse Zeit gekostet, nur ihr Vertrauen zu gewinnen. Callista ist eine sehr gut erzogene, scheue und sehr religiöse Römerin. Aus bester Familie. Sie opfert der Göttin Ceres jeden Tag das beste Fleisch, um von ihren schlimmen Begierden erlöst zu werden. Sie wollte so gern – und bekam keine Gelegenheit. Sie ist jung und für die körperliche Liebe wie geschaffen. Sie spart sich für ihn auf, bettelt nach Aufmerksamkeit und bekommt nichts. Ihr Ehemann ist ein Trottel.“
Es versetzte Sulla wieder einen leichten Stich, mit welchem Einsatz sich Rigaia um andere bemühte und ihn vernachlässigte. Er wusste, dass seine Gefühle dumm waren. Aber Gefühle waren eben nicht immer kontrollierbar. „Du hast sie … für dich gewinnen können?“
„Callista war sehr zurückhaltend. Aber nach und nach, ein vertrautes Gespräch, eine kleine Berührung, ein gemeinsames Lachen, ein sanftes Streicheln, ein erster Kuss … Du kennst das ja. Sie kam zu dem Schluss, mit einer anderen Frau eng befreundet zu sein, das würde ihren Prinzipien nicht widersprechen. Danach kam sie zu dem Schluss, mit einer anderen Frau zu schlafen widerspräche ihren Grundsätzen ebenso wenig. Im Gegenteil. Vielleicht, so meinte sie, könnte sie ihren Ehemann später mit ihren verbesserten Kenntnissen etwas … aufheitern.“
„Vielleicht hätte ich es auch einmal bei ihr versuchen sollen“, erbot sich Sulla.
„Oh, Männerbekanntschaften kamen lange Zeit für sie überhaupt nicht infrage. Gar nicht. Doch ich konnte ihre ganz geheimen Wünsche erfüllen. Berührungen, Streicheleinheiten, Liebkosungen. Wir steigerten uns langsam. Callista öffnete sich nach und nach. Ich konnte ihr die schönsten Freuden auf Erden vermitteln. Ihr nützliche Ratschläge geben. Verstehst du?“
„Ich glaube schon.“ Sulla grinste.