Das strömende Grab - Robert Galbraith - E-Book

Das strömende Grab E-Book

Robert Galbraith

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Beschreibung

Der spektakuläre siebte Kriminalroman von Top-2-SPIEGEL-Bestsellerautor Robert Galbraith, dem Pseudonym von J. K. Rowling, führt das Ermittlerduo Cormoran Strike und Robin Ellacott zu einer gefährlichen Sekte …

Cormoran Strike wird von einem besorgten Vater kontaktiert, dessen Sohn Will sich im ländlichen Norfolk einer undurchsichtigen Glaubensgemeinschaft angeschlossen hat.
Die Universal Humanitarian Church ist nach außen hin eine friedfertige Organisation, die sich für eine bessere Welt einsetzt. Doch Strike entdeckt bald, dass unter der harmlosen Oberfläche böse Machenschaften und unerklärte Todesfälle lauern.
Um Will zu retten, reist Strikes Geschäftspartnerin Robin Ellacott nach Norfolk, um sich der Sekte anzuschließen und inkognito unter den Mitgliedern zu leben. Doch sie ist nicht auf die Gefahren vorbereitet, die sie dort erwarten, geschweige denn auf den Preis, den sie wird zahlen müssen …

Lesen Sie auch die anderen Romane der packenden Cormoran-Strike-Reihe. Alle Bände sind unabhängig voneinander lesbar.

»Mit Cormoran Strike und Robin Ellacott hat Galbraith/Rowling ein ungemein schillerndes und vielschichtiges Ermittlerduo kreiert. Die Dialoge der beiden sind pointiert, ohne bemüht witzig zu sein, die Charaktere stimmig entwickelt.« Hamburger Abendblatt

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EPUB

Seitenzahl: 1520

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Buch

Cormoran Strike wird von einem besorgten Vater kontaktiert, dessen Sohn Will sich im ländlichen Norfolk einer undurchsichtigen Glaubensgemeinschaft angeschlossen hat.

Die Universal Humanitarian Church ist nach außen hin eine friedfertige Organisation, die sich für eine bessere Welt einsetzt. Doch Strike entdeckt bald, dass unter der harmlosen Oberfläche böse Machenschaften und unerklärte Todesfälle lauern.

Um Will zu retten, reist Strikes Geschäftspartnerin Robin Ellacott nach Norfolk, um sich der Sekte anzuschließen und inkognito unter den Mitgliedern zu leben. Doch sie ist nicht auf die Gefahren vorbereitet, die sie dort erwarten, geschweige denn auf den Preis, den sie wird zahlen müssen …

Autor

Robert Galbraith ist das Pseudonym von J. K. Rowling, Autorin der Harry-Potter-Reihe und des Romans »Ein plötzlicher Todesfall«. Die Cormoran-Strike-Romane erklommen die Spitzenplätze der internationalen Bestsellerlisten, eroberten die Top 10 der SPIEGEL-Bestsellerliste und wurden für BBC One als große TV-Serie verfilmt, produziert von Brontë Film and Television.

Von Robert Galbraith bereits erschienen:

Der Ruf des Kuckucks · Der Seidenspinner · Die Ernte des Bösen · Weißer Tod · Böses Blut · Das tiefschwarze Herz

Robert Galbraith

Das strömende Grab

Ein Fall für Cormoran Strike

Deutsch von Wulf Bergner, Christoph Göhler und Kristof Kurz

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel »The Running Grave« bei Sphere, an imprint of Little, Brown Book Group, London.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © J. K. Rowling 2023

The moral right of the author has been asserted.

All characters and events in this publication, other than those clearly in the public domain, are fictitious and any resemblance to real persons, living or dead, is purely coincidental.

Any connection between the music referenced in the story and cults is purely fictitious and the use of lyrics in the work is not intended to be associated with any cults or groups in real life.

All rights reserved.

No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means, without the prior permission in writing of the publisher, nor be otherwise circulated in any form of binding or cover other than that in which it is published and without a similar condition including this condition being imposed on the subsequent purchaser.

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2023 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

Redaktion: Tobias Schumacher-Hernández

Covergestaltung: www.buerosued.de nach einer Originalvorlage

Coverdesign: Duncan Spilling © Little, Brown Book Group Ltd 2023

Coverfotos: Figuren – Duncan Spilling; Szene und Texturen – © Shutterstock.com

JaB · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-31438-5V002

www.blanvalet.de

Für meine Göttinnen:

Lynne Corbett, Aine Kiely und Jill Prewett, Juno, Ceres und Astarte

Wenn die Zeit dich einholt wie ein strömendes Grab …

DYLAN THOMASWhen, Like a Running Grave

Dass es so weit gekommen ist, kam ganz allmählich.Es kam davon, dass man nicht früh genug abstellte, was man hätte abstellen sollen.

I GING. Das Buch der Wandlungen

PROLOG

Nicht jedermann hat in gleicher Weise die Fähigkeit, das Orakel zu fragen. Es bedarf dazu eines klaren und ruhigen Gemüts, das empfänglich ist für die kosmischen Einwirkungen, die in den unscheinbaren Orakelstängeln verborgen sind.

RICHARDWILHELMEinführung in das I Ging

Briefwechsel zwischen Sir Colin und Lady Sally Edensor und ihrem Sohn William

13. März 2012

Will,

mit Entsetzen haben wir gestern von deinem Tutor erfahren, dass du dein Studium abgebrochen und dich anscheinend einer Art religiöser Bewegung angeschlossen hast. Noch befremdlicher finden wir es, dass du dies nicht mit uns besprochen oder uns zumindest mitgeteilt hast, wo du hingehst.

Wenn die Frau, die in der Zentrale der Universal Humanitarian Church am Telefon sitzt, uns die Wahrheit gesagt hat, dann ist ein handgeschriebener Brief die einzige Möglichkeit, Kontakt mit den Mitgliedern der Kirche aufzunehmen. Sie hat mir ihr Wort gegeben, dass dieser Brief dich erreichen wird.

Deine Mutter und ich können weder nachvollziehen, was dich zu diesem Schritt bewogen hat, noch verstehen wir, warum du nicht mit uns darüber gesprochen hast oder weshalb du dein Studium und deine Freunde dafür aufgibst. Wir machen uns sehr große Sorgen um dich.

Bitte melde dich UNVERZÜGLICH bei uns.

Dad

16. April 2012

Mein liebster Will,

die Frau in der UHC-Zentrale behauptet zwar, dass du Dads Brief erhalten hättest, aber wir haben immer noch nichts von dir gehört und machen uns nach wie vor große Sorgen.

Wir vermuten, dass du dich auf der Chapman Farm in Norfolk aufhältst. Dein Vater und ich werden an diesem Samstag um dreizehn Uhr im New Inn in Roughton sein. Will, ich bitte dich, dorthin zu kommen, damit wir in Ruhe über alles reden können. Dad hat ein paar Nachforschungen über die Universal Humanitarian Church angestellt. Das scheint eine sehr interessante Organisation mit ehrenwerten Absichten zu sein, und wir können verstehen, weshalb du dich davon angesprochen fühlst.

Will, wir haben nicht die Absicht, über dein Leben zu bestimmen, wir wollen dich einfach nur wiedersehen und die Gewissheit haben, dass es dir gut geht.

In Liebe

Mum XXX

29. April 2012

Lieber Will,

gestern habe ich den UHC-Haupttempel in London aufgesucht. Die Frau dort behauptet steif und fest, dass du unsere Briefe erhalten hättest. Allerdings bist du weder am Samstag erschienen noch hast du uns anderweitig kontaktiert, sodass wir unmöglich wissen können, ob diese Behauptung der Wahrheit entspricht.

Aus diesem Grund scheint es mir unumgänglich – zu deinem Besten als auch zum Besten desjenigen, der womöglich illegalerweise deine Post öffnet –, darauf hinzuweisen, dass ich mit absoluter Sicherheit weiß, dass du dich auf der Chapman Farm befindest, dass du das Gelände niemals ohne Begleitung verlässt und dass du in nicht unerheblichem Maße an Gewicht verloren hast. Auch dass ausschließlich Mitglieder der UHC die Farm besuchen dürfen, ist mir bekannt.

Will, du bist ein hochintelligenter Mensch, doch dass du autistisch bist, lässt sich ebenso wenig leugnen wie die Tatsache, dass du schon einmal manipuliert wurdest. Wenn du dich nicht bis zum 5. Mai telefonisch oder mit einem Brief in deiner Handschrift bei mir meldest, werde ich die Polizei einschalten.

Ich habe Kontakt mit einem ehemaligen UHC-Mitglied aufgenommen, mit dem du dich unbedingt einmal unterhalten solltest. Wenn die UHC nichts zu verbergen hat und du dich freiwillig auf der Chapman Farm aufhältst, dann kann die Kirche auch nichts dagegen haben, dass du uns triffst oder mit besagter Person sprichst.

Noch einmal: Wenn ich bis zum 5. Mai nichts von dir höre, werde ich die Polizei benachrichtigen.

Dad

1. Mai 2012

Lieber Colin, liebe Sally,

vielen Dank für eure Briefe. Mir geht es gut, und ich bin in der UHC sehr glücklich. Ich verstehe jetzt vieles, was ich vorher nicht verstanden habe. Ich habe übrigens keine »Autismus-Spektrum-Störung«. Das ist nur eine Schublade, in die ihr mich gesteckt habt, um die Kontrolle zu rechtfertigen, die ihr mein ganzes Leben lang auf mich ausgeübt habt. Ich bin nicht euer Fleischobjekt, und im Gegensatz zu euch lasse ich mein Leben nicht von Geld oder anderen materialistischen Faktoren bestimmen.

Eurem letzten Brief nach zu schließen habt ihr die Chapman Farm überwachen lassen. Ich bin volljährig, und die Tatsache, dass ihr mich weiterhin wie ein Kind behandelt und mir sogar hinterherspioniert, beweist lediglich, wie wenig ich euch vertrauen kann.

Außerdem weiß ich genau, mit welchem »Ex-Mitglied« der UHC ich mich eurer Meinung nach unterhalten sollte. Es handelt sich um einen äußerst gefährlichen, heimtückischen Mann, der vielen unschuldigen Menschen Schaden zugefügt hat. Ich kann euch nur raten, den Kontakt zu ihm abzubrechen.

Die Ertrunkene Prophetin segnet alle, die zu ihr beten.

Will

2. Mai 2012

Liebster Will,

wir haben uns sehr über deinen Brief gefreut, allerdings hat er uns auch etwas Angst gemacht, da er so gar nicht nach dir klingt.

Will, bitte triff dich mit uns. Erst wenn wir dich mit eigenen Augen sehen, können wir sicher sein, dass es dir gut geht und dass du weißt, was du tust. Wir wollen nichts weiter als ein persönliches Treffen.

Liebster Will, ich will ganz ehrlich sein: Dad war so sehr in Sorge um dich, dass er tatsächlich jemanden damit beauftragt hat, die Chapman Farm zu beobachten, aber das ist jetzt vorbei. Versprochen. Dad hat den Auftrag widerrufen. Niemand spioniert dich aus, und niemand will über dein Leben bestimmen. Wir wollen dich nur mit eigenen Augen sehen und aus deinem eigenen Mund hören, dass es dir gut geht und dass du aus freien Stücken handelst.

Wir lieben dich, und ich versichere dir, dass wir nur das Beste für dich wollen.

Mum XXX

12. Mai 2012

Lieber Colin, liebe Sally,

ich werde euch am 23. Mai um 12 Uhr mittags im Haupttempel in Rupert Court in London treffen. Bitte kommt allein, insbesondere nicht in Begleitung ehemaliger Mitglieder der UHC, da es nur euch gestattet sein wird, den Tempel zu betreten.

Die Ertrunkene Prophetin segnet alle, die zu ihr beten.

Will

24. Mai 2012

Lieber Colin, liebe Sally,

ich hatte mich zu unserem gestrigen Treffen bereit erklärt, um euch zu beweisen, dass ich weder unter Zwang handle noch unglücklich mit meinem Leben bin. Ihr habt beide ein hohes Maß an Ego-Motivation an den Tag gelegt und sowohl mich als auch Menschen, die ich wertschätze und liebe, vor den Kopf gestoßen und beleidigt.

Wenn ihr die Polizei einschaltet oder mich noch einmal beobachten lasst, werde ich rechtliche Schritte gegen euch einleiten. Die UHC hat eine medizinische Begutachtung durch einen Arzt veranlasst, der mir attestieren wird, dass ich im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin und dass ihr diejenigen seid, die sich der unzulässigen Einflussnahme schuldig machen. Des Weiteren habe ich mit den Anwälten der UHC gesprochen. Großvater hat mir den Treuhandfonds vermacht und nicht euch, daher habt ihr kein Recht, mir zu verbieten, diese Erbschaft für eine gute Sache einzusetzen.

Die Ertrunkene Prophetin segnet alle, die zu ihr beten.

Will

16. März 2013

Mein geliebter Will,

auf die Gefahr hin, mich in jedem Brief zu wiederholen: Bitte, bitte melde dich. Wir verstehen und respektieren deinen Wunsch, bei der UHC zu bleiben, und wollen nichts weiter als die Gewissheit, dass du glücklich bist und es dir gut geht. Wir würden dich so gerne wiedersehen. Seit unserem letzten Treffen ist mehr als ein Jahr vergangen, und wir vermissen dich so sehr.

Ich habe dir ein Geburtstagsgeschenk auf die Chapman Farm geschickt. Hoffentlich hat es dich erreicht.

Will, bitte melde dich. Wir werden nicht versuchen, dich zum Austritt aus der UHC zu überreden. Wir wollen nur, dass du glücklich bist. Dein Vater bedauert zutiefst, was er bei unserem letzten Treffen gesagt hat. Wir sind nicht wütend auf dich, wir vermissen dich nur so sehr.

Dad wird dir noch eine eigene Nachricht beilegen. Ich möchte dir nur sagen, dass ich dich von ganzem Herzen liebe und einfach nur mit Sicherheit wissen will, dass du okay bist.

Mum XXXXXX

16. März 2013

Will,

ich entschuldige mich aufrichtig für das, was ich letztes Jahr über die Kirche gesagt habe. Ich hoffe, dass du mir vergeben kannst und dich bei uns meldest.

Deine Mutter vermisst dich sehr, und ich natürlich auch.

In Liebe

Dad X

Auszug aus einem Schreiben der Anwaltskanzlei Coolidge und Fairfax an Mr. Kevin Pirbright, ehemaliges Mitglied der Universal Humanitarian Church

18. März 2013

STRENGVERTRAULICHEANWALTLICHEKORRESPONDENZ

NICHTZURWEITERGABE, VERÖFFENTLICHUNGODERVERBREITUNGBESTIMMT

Sehr geehrter Mr. …

Anlass dieses Schreibens ist der Blog »Die Wahrheit über den UHC-Kult«, für den Sie unserer Kenntnis nach unter dem Pseudonym »Ex-UHC-Mitglied« verantwortlich zeichnen …

Blogeintrag vom April 2012: »Das Aylmerton-Erbe«

Am 2. April 2012 veröffentlichten Sie einen Blogeintrag mit dem Titel »Das Aylmerton-Erbe«, der mehrere falsche und in höchstem Maße diffamierende Behauptungen die UHC betreffend enthält. Die ersten Absätze lauten:

Die überwältigende Mehrheit der immer zahlreicher werdenden Mitglieder, die sich von der Botschaft der UHC – Gleichheit, Diversität und soziales Engagement – angesprochen fühlt, ahnt nicht, dass die Universal Humanitarian Church aus der berüchtigten Aylmerton-Kommune in Norfolk entstand, die bis zu ihrer Auflösung im Jahre 1986 als Deckmantel für die pädophilen Umtriebe der Familie Crowther diente.

Die meisten Mitglieder der Aylmerton-Kommune wurden zusammen mit den Crowthers verhaftet. Einige wenige hatten das Glück, einer Verurteilung zu entgehen, und blieben auf dem Gelände der Kommune, das sie in »Chapman Farm« umbenannten. Dieser harte Kern gründete schließlich die UHC.

Beim Leser muss hier der Eindruck entstehen, die UHC sei in Wahrheit eine Fortführung der Aylmerton-Kommune, die, insbesondere was pädophile Handlungen angeht, ähnliche Aktivitäten verfolge. Beide Behauptungen sind falsch und unseren Mandanten gegenüber in höchstem Maße diffamierend.

Des Weiteren suggerieren die Ausdrücke »hatten das Glück, einer Verurteilung zu entgehen« sowie »dieser harte Kern«, dass diejenigen, die auf dem Gelände der Kommune geblieben sind, ähnliche Straftaten wie jene begangen hätten, für die die Crowthers sowie mehrere andere Personen zu Haftstrafen verurteilt wurden. Beide Behauptungen sind falsch und unseren Mandanten gegenüber in höchstem Maße diffamierend.

Richtigstellung:

Tatsächlich gehörte nur ein einziges Mitglied der UHC der Aylmerton-Kommune an: Mrs. Mazu Wace, die mit Jonathan Wace, dem Gründer und derzeitigen Oberhaupt der UHC, verheiratet ist.

Als die Aylmerton-Kommune aufgelöst wurde, war Mazu Wace fünfzehn Jahre alt. Sie sagte bei der darauffolgenden Gerichtsverhandlung gegen die Crowther-Brüder aus, was sich anhand öffentlich einsehbarer Unterlagen sowie der den Prozess begleitenden Presseberichterstattung zweifelsfrei nachweisen lässt.

Mrs. Wace hat wiederholt offen und nicht zuletzt im Rahmen von kirchlichen Veranstaltungen, an denen auch Sie persönlich teilgenommen haben, über die traumatischen Erfahrungen gesprochen, die sie in der Aylmerton-Kommune machen musste. Da Mrs. Wace selbst ein Opfer der Crowthers war, kann von »Glück, einer Verurteilung zu entgehen« nicht die Rede sein. Ihr eine Beteiligung an den abscheulichen Verbrechen der Crowthers oder auch nur deren Duldung zu unterstellen, ist in höchstem Maße diffamierend und stellt für Mrs. Wace eine zutiefst verletzende Kränkung dar. Der gute Ruf von Mrs. Wace sowie der UHC hat durch diese Unterstellung erheblich gelitten und wird aller Voraussicht nach auch weiter leiden, wofür Sie in einem beträchtlichen Ausmaß haftbar gemacht werden können.

Blogeintrag vom 28. Januar 2013: »Der große Wohltätigkeitsschwindel«

Am 28. Januar 2013 veröffentlichten Sie einen Beitrag mit dem Titel »Der große Wohltätigkeitsschwindel«, in dem Sie folgende Behauptungen aufstellen:

In Wahrheit besteht die einzige Aufgabe der UHC darin, Geld zu scheffeln, und diese Aufgabe erfüllt sie außergewöhnlich gut. Während die prominenteren UHC-Mitglieder ihre Missionstätigkeit auf Medienauftritte beschränken, wird vom gewöhnlichen Mitglied erwartet, jeden Tag ungeachtet des Wetters oder seines Gesundheitszustandes so lange mit der Sammelbüchse auf der Straße zu stehen, bis es seine »Opfergabe« – die beim einfachen Fußvolk mindestens einhundert Pfund pro Tag beträgt – zusammenhat. Andernfalls riskiert es, sich den Zorn des unberechenbaren Taio Wace zuzuziehen. Der ältere der beiden Söhne von Jonathan und Mazu Wace wacht mit harter Hand darüber, dass die gewöhnlichen Mitglieder ihre Vorgaben auch erfüllen.

Durch Zuschreibungen wie »unberechenbar« oder »mit harter Hand« wird beim Leser der Eindruck erweckt, dass es sich bei Mr. Taio Wace um einen aggressiven, launischen, tyrannischen Menschen handelt. Dies ist in höchstem Maße diffamierend und, da Mr. Wace das Amt eines Kirchenvorstehers bekleidet, auch für die Kirche selbst außerordentlich rufschädigend.

Weiter heißt es in Ihrem Blog:

Was passiert mit dem vielen Geld? Gute Frage. Während die gewöhnlichen Mitglieder bei einem Aufenthalt auf der Chapman Farm – der von der Kirche als »Retreat« bezeichnet wird – die Sammelbüchsen dort gegen Feldhacken und von Pferden gezogene Pflüge eintauschen müssen, die Mühe und Plackerei vorindustrieller Arbeit »genießen« dürfen und in unbeheizten Schuppen schlafen, stehen den Kirchenvorstehern und prominenten Mitgliedern weitaus luxuriösere Unterkünfte zur Verfügung.

Das Haupthaus des Anwesens wurde generalsaniert und durch einen Anbau vergrößert und lässt heute keine Annehmlichkeit des 21. Jahrhunderts wie etwa Swimmingpool, Jacuzzi, Fitnessstudio, Sauna oder einen kleinen Kinosaal vermissen. Die Mehrheit der Kirchenvorsteher fährt teure, nagelneue Autos, außerdem besitzt Jonathan Wace, das Oberhaupt der UHC (der von den Mitgliedern auch »Papa J« genannt wird), bekanntermaßen Immobilien auf Antigua. Der Haupttempel in Rupert Court verfügt über eine opulente Ausstattung, von den goldbestickten Gewändern der Vorsteher ganz zu schweigen. »Einfachheit, Bescheidenheit und Menschlichkeit«? Doch wohl eher »Käuflichkeit, Scheinheiligkeit und Eitelkeit«.

Hier drängt sich dem Leser der Eindruck auf, dass die Ratsversammlung der Kirchenvorstehenden für wohltätige Zwecke gedachte Spenden auf unrechtmäßige Weise entweder in die eigene Tasche oder in luxuriöse Unterkünfte oder Kleidung steckt. Dies entspricht nicht der Wahrheit und ist der Ratsversammlung gegenüber in höchstem Maße diffamierend.

Richtigstellung

Es ist allgemein bekannt, dass Mrs. Margaret Cathcart-Bryce als langjähriges Mitglied der UHC dieser einen erheblichen Teil ihres nicht unbeträchtlichen Vermögens noch zu Lebzeiten zum Zwecke der Renovierung der Chapman Farm zur Verfügung stellte. Als sie 2004 verstarb, war – wie von ihr testamentarisch verfügt – die Ratsversammlung die alleinige Begünstigte. Diese Erbschaft ermöglichte der UHC den Erwerb von als Versammlungsort der Gemeindemitglieder dienenden Immobilien in London, Birmingham und Glasgow.

Ihr Blogeintrag enthält mehrere eindeutig unwahre Behauptungen. Auf der Chapman Farm gibt es weder einen Jacuzzi noch einen Swimmingpool. Weder besaß noch besitzt Mr. Jonathan Wace Immobilien auf Antigua. Ausnahmslos alle der den Kirchenvorstehern zur Verfügung stehenden Kraftfahrzeuge wurden aus dem jeweiligen Privatvermögen bezahlt. Auch Ihre Behauptung, dass die Mitglieder täglich einhundert Pfund an Spendengeldern einnehmen müssten, um dem »Zorn« von Mr. Taio Wace zu entgehen, ist ebenfalls völlig unzutreffend.

Die UHC pflegt, was ihre Finanzen angeht, ein Höchstmaß an Offenheit und Transparenz. Zu keinem Zeitpunkt wurden für wohltätige Zwecke gedachte Spendengelder zum Unterhalt oder der Renovierung der Chapman Farm beziehungsweise dem Erwerb oder der Aufwertung der UHC-Zentrale in London aufgewendet oder dienten auf irgendeine Weise der persönlichen Bereicherung der Kirchenvorsteher. Die Andeutung, dass die Kirche oder die Ratsversammlung der Kirchenvorstehenden »käuflich«, »scheinheilig« oder »eitel« seien, ist in höchstem Maße diffamierend. Von einer Rufschädigung der Kirche und der Ratsversammlung ist auszugehen, wofür Sie direkt haftbar gemacht werden können.

Blogeintrag vom 23. Februar 2013: »Die Ertrunkene Prophetin«

Der am 23. Februar 2013 von Ihnen veröffentlichte Blogbeitrag mit dem Titel »Die Ertrunkene Prophetin« enthält mehrere ehrenrührige Behauptungen Mrs. Daiyu Wace betreffend, der erstgeborenen Tochter von Mr. und Mrs. Wace, die 1995 ertrank und innerhalb der UHC als Prophetin angesehen wird.

Obwohl alle Prophetinnen und Propheten theoretisch gleichgestellt sind, ist sich jedes UHC-Mitglied der Tatsache bewusst, dass eine Prophetin sehr viel gleicher als die anderen ist. Die Ertrunkene Prophetin spielt innerhalb des UHC-Glaubenssystems eine zentrale Rolle, was sich in ihr gewidmeten Ritualen und Feierlichkeiten ausdrückt. Man kann wohl annehmen, dass Mazu Wace anfangs das Bedürfnis hatte, ihre verstorbene Tochter [Daiyu Wace] in gewissem Sinne »am Leben« zu erhalten, doch inzwischen lässt sie keine Gelegenheit aus, um aus der Ertrunkenen Prophetin Kapital zu schlagen. Nicht viele sind nach der UHC-Gehirnwäsche noch mutig genug, sich (wenigstens hinter vorgehaltener Hand) die Frage zu stellen, weshalb ausgerechnet eine ertrunkene Siebenjährige eine Prophetin sein soll. Noch geringer ist die Zahl derer, die es wagen, auf den merkwürdigen Zufall hinzuweisen, dass Jonathan Waces erste Frau (die systematisch aus der Geschichte der UHC getilgt wird) an genau derselben Stelle am Cromer Beach im Meer ertrank.

Beleidigendere, verletzendere und ehrenrührigere Anschuldigungen Mr. und Mrs. Wace sowie der UHC insgesamt gegenüber sind kaum vorstellbar.

Die Andeutung, Mrs. Wace würde aus dem tragischen Tod ihrer kleinen Tochter »Kapital schlagen«, ist eine üble Verleumdung und Mrs. Wace sowohl als Mutter als auch als Kirchenvorsteherin gegenüber in höchstem Maße bösartig und diffamierend.

Darüber hinaus wird der Leser aus der von Ihnen gewählten Formulierung »merkwürdiger Zufall« in Bezug auf den Unfalltod von Mrs. Jennifer Wace mit hoher Wahrscheinlichkeit den Schluss ziehen, dass es entweder dabei oder bei der Tatsache, dass Daiyu Wace unter ganz ähnlichen Umständen auf tragische Weise ums Leben kam, nicht mit rechten Dingen zuging.

Richtigstellung

Daiyu Wace ertrank am 29. Juli 1995 im Alter von sieben Jahren am Cromer Beach im Meer. Wie sich vermittels öffentlich einsehbarer Unterlagen und der Berichterstattung durch die Presse über die dem Ableben des Mädchens folgende gerichtliche Untersuchung feststellen lässt, nahm ein Kirchenmitglied Daiyu am frühen Morgen ohne Erlaubnis der Eltern mit zum Strand. Die Nachricht, dass ihre Tochter beim unbeaufsichtigten Schwimmen im Meer ertrunken war, traf Mr. und Mrs. Wace schwer.

Es gehört zum Glaubenssystem der UHC, gewisse Mitglieder nach ihrem Tod zu »Propheten« zu erklären. In England ist der Schutz der religiösen Überzeugung gesetzlich garantiert.

Die Umstände von Mrs. Jennifer Waces tragischem Tod können mithilfe von Gerichtsakten und der die Untersuchung der Todesursache begleitenden Presseberichterstattung wahrheitsgemäß rekonstruiert werden. Mrs. Jennifer Wace starb im Mai 1988. Sie war Epileptikerin, erlitt im Wasser einen tonisch-klonischen Anfall und ertrank trotz der verzweifelten Bemühungen der sich in der Nähe aufhaltenden Schwimmer. Im Rahmen der darauffolgenden gerichtlichen Untersuchung sagten zahlreiche Zeugen aus, dass sich Mr. Jonathan Wace zu dem Zeitpunkt, an dem Mrs. Wace ertrank, gar nicht im Wasser aufhielt. Er sprang erst ins Meer, als er den Ernst der Lage erkannte, kam aber zu spät, um seine Frau zu retten.

Mr. Wace war angesichts des unerwarteten Ablebens seiner ersten Frau am Boden zerstört. Anstatt sie jedoch wie behauptet aus seiner Biografie zu »tilgen«, hat er der Öffentlichkeit mitgeteilt, dass ihn diese Tragödie Trost im Glauben suchen ließ und so seine aufkeimende Religiosität weiter verstärkte. Jede anderweitige Behauptung ist falsch, infam und Mr. Jonathan Wace gegenüber in höchstem Maße diffamierend.

Darüber hinaus ist es in höchstem Maße diffamierend, die UHC als »Sekte« zu bezeichnen oder anzudeuten, ihre Mitglieder würden einer »Gehirnwäsche« unterzogen. Alle Mitglieder der UHC sind der Kirche freiwillig beigetreten und können sie jederzeit wieder verlassen.

Zusammenfassend kann gesagt werden […]

E-Mail-Korrespondenz zwischen dem ehemaligen UHC-Mitglied Mr. Kevin Pirbright und Sir Colin Edensor

Kevin Pirbright

20. März 2013

Betreff: Schreiben der UHC-Anwälte

An: Sir Colin Edensor

Lieber Colin,

heute Vormittag erhielt ich ein Schreiben von den Anwälten der UHC. Sie fordern mich auf, meinen Blog zu löschen, und drohen mir andernfalls mit Geldstrafen, Klagen etc. – also das übliche Vorgehen gegen Ex-Mitglieder. Gut so, sollen sie damit doch vor Gericht ziehen! Ich habe nur leider nicht das Geld für einen Anwalt, da man meines Wissens bei Verleumdungsklagen keine Prozesskostenhilfe erhält. Daher möchte ich Sie um Unterstützung bitten. Ich tue das für alle, die die UHC einer Gehirnwäsche unterzogen hat, Will eingeschlossen. Die üblen Machenschaften dieses Abschaums müssen endlich ans Licht kommen.

Mit dem Buch geht es gut voran, und nicht zuletzt ist alles, was sie jetzt gegen mich unternehmen, Stoff für weitere Kapitel!

Beste Grüße

Kevin

Sir Colin Edensor

20. März 2013

Betreff: Re: Schreiben der UHC-Anwälte

An: Kevin Pirbright

Lieber Kevin,

die Anwaltskosten übernehme ich gern. Darf ich Ihnen meinen eigenen Rechtsbeistand empfehlen? Bei Rentons, die uns auch bezüglich unseres Sohnes beraten haben, ist man bereits mit den skrupellosen Methoden der UHC vertraut. Bitte halten Sie mich über alle weiteren Entwicklungen auf dem Laufenden. Freut mich sehr, dass Sie gut mit dem Buch vorankommen. Es wird sicher für großes Aufsehen sorgen.

Herzliche Grüße

Colin

Auszug aus einem im Januar 2014 in der Zeitschrift Zeitgeist erschienenen Interview mit der Schauspielerin Noli Seymour

Seymour ist unübersehbar eine große Freundin der Körperkunst. Ich erkundige mich nach ihrem jüngsten Tattoo, zwei kleinen chinesischen Schriftzeichen, die sie sich direkt unter dem linken Ohr hat stechen lassen.

»Ja, das habe ich mir letzten Monat machen lassen. Die Zeichen bedeuten ›Jīnzi‹, was übersetzt ›Gold‹ heißt. Das ist eine Anspielung auf die Goldene Prophetin der Universal Humanitarian Church.«

Man hat mir im Voraus gesagt, dass Seymour keine Fragen zu ihrer Mitgliedschaft in der umstrittenen UHC beantworten wird, aber da sie selbst das Thema angesprochen hat, nutze ich die Gelegenheit und frage sie, was sie von den vielen negativen Gerüchten hält, die schon seit Längerem über die Kirche im Umlauf sind.

»Darüber möchte Noli lieber nicht sprechen«, sagt ihr PR-Agent.

Seine Klientin ist da anderer Meinung. »O bitte«, sagt sie und verdreht die bezaubernden babyblauen Augen. »Den Obdachlosen zu helfen und jungen Menschen, die Kranke pflegen, mal einen Urlaub zu gönnen ist ja wirklich total negativ, oder? Mal im Ernst: Haben die Leute nichts Besseres zu tun, als eine Organisation in den Dreck zu ziehen, die nur Gutes tut? Ganz ehrlich« – und dabei macht sie eine ernste Miene und beugt sich zum ersten Mal zu mir vor – »die UHC ist die fortschrittlichste Religion überhaupt. Wirklich universell, ganzheitlich. Genau das macht doch das Leben und die Menschheit aus: die Suche nach Einheit, nach dem großen Ganzen. Das ist einer der Gründe, warum ich die UHC so faszinierend finde. In jeder Religion findet man ein paar Fragmente der Wahrheit, aber solange wir diese Stücke nicht zusammensetzen, können wir das große Ganze nicht sehen. Deshalb ist die UHC so unglaublich divers. Wir studieren jedes heilige Buch, ohne Ausnahme. Du solltest unbedingt mal vorbeischauen. Eine Menge Leute kommen aus Neugier und bleiben dann dabei.«

Wenig überraschend zieht der PR-Agent an dieser Stelle die Reißleine und erinnert Noli daran, dass wir eigentlich über ihren neuesten Film sprechen wollten.

E-Mail-Korrespondenz zwischen Sir Colin Edensor und seinem Anwalt David Renton

Sir Colin Edensor

27. Mai 2014

Betreff: Treuhandfonds Will Edensor

An: David Renton

Lieber David,

bitte entschuldige, wenn mir bei unserem Telefonat heute Vormittag ein wenig die Pferde durchgegangen sind. Du kannst dir sicher vorstellen, dass es besonders im Hinblick auf Sallys Diagnose momentan nicht gerade leicht für mich ist.

Ich verstehe ja, dass Will volljährig ist und eine weitere psychiatrische Untersuchung verweigern kann, aber die ganze Situation ist doch wie die Frage nach der Henne und dem Ei. Das frustriert mich sehr. Du sagst, dass das Gericht keinen triftigen Grund hätte, Will für unzurechnungsfähig zu erklären. Er hat sich einer gefährlichen Sekte angeschlossen und jeglichen Kontakt mit seiner Familie und seinen Freunden abgebrochen. Allein das ist doch Beweis seiner Unzurechnungsfähigkeit und Grund genug für eine erneute psychologische Evaluation.

Es kann doch nicht sein, dass Dr. Andy Zhou Mitglieder der UHC behandeln oder begutachten darf, obwohl er selbst einer der Vorsteher ist. Auch wenn er weiterhin als Psychologe praktiziert, stellt es doch aufgrund seiner Mitgliedschaft bei der UHC bestenfalls einen eklatanten Interessenskonflikt dar, ihn die geistige Gesundheit leicht zu beeinflussender UHC-Mitglieder beurteilen zu lassen, die im Besitz großer Treuhandfonds sind.

Wie du weißt, wurde ich am Donnerstag bei der Treuhänderversammlung von Wills Fonds überstimmt. Die Mehrheit war der Ansicht, dass es keine rechtliche Grundlage gibt, ihm den Fonds vorzuenthalten. Damit beläuft sich die Summe, die Will dem Fonds entnommen hat, seit er bei der UHC ist, auf 95 000 Pfund. Ich glaube nicht, dass es Wills Absicht war, eine Anzahlung auf eine Immobilie zu leisten oder ein Auto zu kaufen, immerhin wohnt er nach wie vor auf der Chapman Farm, und es deutet auch nichts darauf hin, dass er Fahrstunden nimmt.

Wie ich dir schon am Telefon mitgeteilt habe, hat sich Kevin Pirbright damit einverstanden erklärt, vor Gericht zu bestätigen, dass vermögende Mitglieder wie Will Musterbriefe zur Anforderung von Fondsmitteln erhalten, die sie dann handschriftlich kopieren müssen. Niemand, der Will besser kennt, würde auch nur eine Sekunde lang glauben, dass seine letzten beiden Briefe an die Treuhänderversammlung von ihm selbst stammen. Wenn es ums Geld geht, erwähnt er diese Ertrunkene Prophetin übrigens mit keinem Wort.

Ich bin dir für jeden Ratschlag dankbar, wie sich die Pattsituation auflösen lässt, in der wir hier stecken. Ich glaube, dass Sallys Krankheit von den Belastungen der letzten beiden Jahre herrührt. Wir machen uns nach wie vor große Sorgen um unseren Sohn.

Viele Grüße

Colin

David Renton

27. Mai 2014

Betreff: Re: Treuhandfonds Will Edensor

An: Sir Colin Edensor

Lieber Colin,

vielen Dank für deine Nachricht. Ich verstehe natürlich, dass diese Situation ungemein belastend für dich und Sally sein muss. Du hast mein vollstes Mitgefühl, insbesondere angesichts der Diagnose, die Sally vor Kurzem erhalten hat.

So groß unser beider Bedenken und Vorbehalte bezüglich der Universal Humanitarian Church auch sein mögen: Fakt ist, dass es sich um eine rechtmäßig eingetragene Glaubensgemeinschaft handelt, der bisher noch keine Straftat nachzuweisen war.

Leider habe ich gewisse Bedenken, Kevin Pirbright in den Zeugenstand zu berufen. Er wurde bereits dazu gezwungen, mehrere unrichtige Angaben aus seinem Blog zu entfernen, außerdem sind unter anderem seine Schilderungen von der Manifestation der Propheten, die er nach wie vor übernatürlichen Ursachen zuschreibt, nicht dazu angetan, seine Glaubwürdigkeit zu erhöhen.

Unsere Erfolgschancen stünden um einiges besser, wenn noch weitere ehemalige UHC-Mitglieder bereit wären, über Nötigungen, Zwangsmaßnahmen, Musterbriefe und so weiter auszusagen. Mit Kevin als deinem einzigen Zeugen räume ich dir keine großen Erfolgschancen ein.

Bitte verzeih diese ernüchternde Prognose. Wenn es dir gelingt, andere ehemalige Mitglieder aufzutreiben, bin ich natürlich gerne bereit, die Sache noch einmal zu überdenken.

Viele Grüße

David

Auszug aus einem Interview mit dem Schriftsteller Giles Harmon, ClickLit Magazine, Februar 2015

CL: Viele Leser konnten in Ihrem jüngsten Roman einen tiefgreifenden Wandel Ihrer Einstellung zur Religion ausmachen.

GH: Von einem Wandel kann man eigentlich nicht sprechen, es ist vielmehr eine Entwicklung, eine Evolution. Ich bin einfach ein paar Schritte weiter auf einem Weg gegangen, den ich bereits beschritten hatte, und dabei auf eine einzigartige Möglichkeit gestoßen, die meiner Meinung nach universelle Sehnsucht nach dem Göttlichen zu befriedigen – und zwar ohne die üblen Begleiterscheinungen der traditionellen Religionen.

CL: Wollen Sie wirklich all Ihre Tantiemen für Eine heilige Dämmerung der Universal Humanitarian Church spenden?

GH: So ist es, ja. Der UHC ist es gelungen, das Leben sehr vieler benachteiligter Menschen zu verbessern. Das hat mich tief beeindruckt.

CL: Bei der ersten Lesung aus Ihrem neuen Buch musste ein ehemaliges Mitglied der UHC aus dem Saal entfernt werden. Möchten Sie das kommentieren?

GH: Der Polizei zufolge leidet der arme Mann an einer ernsthaften psychischen Erkrankung. Mehr weiß ich darüber nicht.

CL: Haben Sie mitbekommen, dass sich Sir Colin Edensor in der Öffentlichkeit über die UHC geäußert hat? Er hat sie explizit als Sekte bezeichnet.

GH: Das ist völliger Unsinn. Ich kann mir keine Organisation vorstellen, die weniger Ähnlichkeit mit einer Sekte hätte. Die Kirche ist Anziehungspunkt für Intellektuelle aller Couleur – Ärzte, Schriftsteller, Lehrer –, und sie hat sich die unvoreingenommene Beschäftigung mit allen Philosophien und Glaubenssystemen einschließlich des Atheismus auf die Fahne geschrieben. Ich möchte allen aufgeschlossenen, intelligenten Personen, die von den herkömmlichen Religionen enttäuscht sind, dazu raten, einmal bei der UHC vorbeizuschauen. Sie werden überrascht sein.

E-Mail-Korrespondenz zwischen Sir Colin Edensor und Kevin Pirbright

Sir Colin Edensor

2. März 2015

Betreff: Lesung Giles Harmon

An: Kevin Pirbright

Lieber Kevin,

Ihr Verhalten bei der Lesung von Giles Harmon hat mich enorm enttäuscht. Es ist mir schleierhaft, inwiefern es unserer Sache dienen soll, einen renommierten Schriftsteller in aller Öffentlichkeit zu beschimpfen. Da Harmon ebenfalls bei Roper Chard erscheint, würde es mich nicht wundern, wenn man Ihnen den Buchvertrag aufkündigt.

Colin

Kevin Pirbright

20. März 2015

Betreff: Re: Lesung Giles Harmon

An: Sir Colin Edensor

Wären Sie dabei gewesen, hätten Sie verstanden, weshalb ich aufgestanden bin und Harmon meine Meinung gesagt habe. Harmon, Noli Seymour und die anderen reichen Scheißpromis kriegen ja nicht mit, was wirklich auf der Chapman Farm vor sich geht. Die sind viel zu scheißdämlich und arrogant, um zu kapieren, dass sie für die UHC doch nur Rekrutierungsgehilfen sind.

Mit dem Buch komme ich nicht weiter, Roper Chard wird mich also früher oder später sowieso absägen. Momentan habe ich viel zu verarbeiten, was ich lange verdrängt hatte. Eines Abends zum Beispiel hat man uns Kindern etwas zu trinken gegeben, in dem – wie ich heute vermute – ein Betäubungsmittel war. Die Strafen, die sie uns auferlegt haben, bereiten mir heute noch Albträume. An lange Zeiträume fehlt mir jegliche Erinnerung.

Ich spüre die Anwesenheit der Ertrunkenen Prophetin um mich herum. Falls mir etwas zustoßen sollte, ist es ihr Werk.

Kevin

Briefe von Sir Colin und Lady Edensor an ihren Sohn William

14. Dezember 2015

Lieber Will,

die Ärzte geben deiner Mutter noch drei Monate. Ich flehe dich an, melde dich. Die Vorstellung, dich womöglich nicht noch einmal zu sehen, ist ihr unerträglich.

Dad

14. Dezember 2015

Mein geliebter Will,

ich liege im Sterben. Mein letzter Wunsch ist, dich noch einmal zu sehen. Ich bitte dich. Ich will diese Welt nicht verlassen, ohne dich wiedergesehen zu haben. Ich liebe dich so sehr und werde dich immer lieben. Wenn ich dich noch einmal in den Armen halten darf, werde ich als glückliche Frau sterben.

Mum XXXXXXXXX

2. Januar 2016

Lieber Will,

deine Mum ist gestern gestorben. Die Ärzte haben nicht damit gerechnet, dass es so schnell geht. Solltest du Interesse daran haben, zu ihrer Beerdigung zu kommen, dann lass es mich wissen.

Dad

TEIL EINS

Dsing – Der Brunnen

DERBRUNNEN. Man mag die Stadt wechseln, aber kann nicht den Brunnen wechseln.

I GING. Das Buch der Wandlungen

1

So hat der Edle acht auf seine Worte

und ist mäßig im Essen und Trinken.

I GING.Das Buch der Wandlungen

Februar 2016

Privatdetektiv Cormoran Strike stand mit einem schreienden Baby auf dem Arm in der Ecke eines kleinen, stickigen, überfüllten Festzelts. Die unregelmäßigen Trommelschläge der auf die Plane prasselnden Regentropfen waren über die Unterhaltungen der Gäste und selbst über die Schreie seines frisch getauften Patenkindes zu hören. Er konnte sich nicht von dem auf Hochtouren laufenden Heizgerät in seinem Rücken entfernen, da seine Bewegungsfreiheit durch drei blonde und mit Plastikflöten voll Champagner bewehrte Frauen um die vierzig erheblich eingeschränkt wurde. Sie hatten ihn in die Ecke gedrängt und bombardierten ihn nun der Reihe nach mit Fragen zu seinen aufsehenerregendsten Fällen. Strike hatte sich bereit erklärt, das Baby »einen Augenblick« lang zu halten, damit seine Mutter kurz auf die Toilette verschwinden konnte. Inzwischen kam ihm dieser Augenblick wie eine Stunde vor.

»Und wann«, fragte die größte Blondine mit erhobener Stimme, »haben Sie herausgefunden, dass es kein Selbstmord war?«

»Das hat eine Weile gedauert«, rief Strike zurück, verärgert darüber, dass sich keine der Frauen erbot, ihm das Baby abzunehmen. Sicherlich kannte doch eine von ihnen irgendeinen Geheimtrick, um den Kleinen zu beruhigen? Er versuchte es damit, das Kind sachte auf und ab zu wiegen, woraufhin es nur noch wütender kreischte.

Hinter den Blondinen stand eine Brünette in einem grellrosa Kleid. Sie war Strike schon in der Kirche aufgefallen. Unmittelbar vor dem Gottesdienst hatte sie auf ihrem Platz laut geredet und gekichert und, als das Weihwasser auf den Kopf des schlafenden Säuglings gegossen wurde, mit einem noch lauteren »Oooh« so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass sich die Hälfte der Anwesenden zu ihr umgedreht hatte, anstatt nach vorne zu schauen. Nun trafen sich ihre Blicke. Sie hatte langes braunes Haar und helle meerblaue Augen, die sich durch den fachmännischen Einsatz von Make-up wie Aquamarine von ihrer gebräunten Haut abhoben. Strike unterbrach den Blickkontakt. Genau wie der schief sitzende Fascinator und die langsamen Reaktionen der stolzen Großmutter Strike verrieten, dass sie bereits einen über den Durst getrunken hatte, verriet ihm dieser Blick, dass die Frau in Pink nichts Gutes verhieß.

»Und den Shacklewell Ripper?«, fragte eine der Frauen, »haben Sie den tatsächlich eigenhändig geschnappt?«

Nein, das ging alles telepathisch.

»Bitte entschuldigen Sie mich«, sagte Strike, als er Ilsa, die Mutter seines Patenkinds, durch die Doppeltür in die Küche gehen sah. »Ich bringe den Kleinen mal lieber zu seiner Mum zurück.«

Er ging an den enttäuschten Blondinen und der Frau in Pink vorbei aus dem Festzelt. Die anderen Gäste machten ihm so bereitwillig Platz, als wäre das Geschrei des Babys eine Sirene.

»Oje, Corm. Bitte entschuldige«, sagte Ilsa Herbert, die an der Wand lehnte und sich mit Strikes Geschäftspartnerin Robin Ellacott und deren Freund, Detective Chief Inspector Ryan Murphy, unterhielt. »Gib her, er wird Hunger haben. Komm mit, dann können wir uns weiter unterhalten«, fügte sie an Robin gewandt hinzu. »Wärst du bitte so nett und bringst mir ein Glas Wasser?«

Schöne Scheiße, dachte Strike und beobachtete Robin dabei, wie sie zum Spülbecken ging, ein Glas mit Wasser füllte und ihn mit Ryan Murphy allein ließ. Genau wie Strike war auch Ryan größer als der Durchschnitt, doch damit erschöpften sich die körperlichen Gemeinsamkeiten: Während Murphy mit seinen hohen Wangenknochen und dem hellbraunen gewellten Haar auf klassische Art gut aussah, ähnelte der Privatdetektiv eher einem plattnasigen Beethoven mit dunklen, krausen Locken und ewig verdrießlicher Miene.

Bevor einem der beiden ein Gesprächsthema einfiel, gesellte sich Strikes alter Freund Nick Herbert zu ihnen. Der Gastroenterologe war der stolze Vater des Kindes, das bis gerade eben noch Strikes Trommelfelle traktiert hatte. Nick hatte eine Halbglatze; sein strohblondes Haar hatte sich bereits in den Zwanzigern gelichtet.

»Na, wie fühlt es sich an, dem Teufel widersagt zu haben?«, fragte Nick den Detektiv.

»Der Abschied schmerzt«, sagte Strike. »Wir hatten eine schöne Zeit zusammen.«

Dies brachte nicht nur Murphy, sondern auch jemanden hinter Strike zum Lachen. Er drehte sich um: Die Frau in Pink war ihm aus dem Festzelt gefolgt. Ihr enges Wickelkleid zeigte so viel gebräuntes Bein, dass es Strikes vor nicht allzu langer Zeit verstorbene Tante Joan gewiss als höchst unangemessen für eine Taufe erachtet hätte.

»Gerade wollte ich Ihnen das Baby abnehmen. Ich bin ganz verrückt nach Babys«, sagte sie mit lauter, leicht rauer Stimme und lächelte zu Strike hinauf. Der bemerkte, wie Murphys Blick zum Ausschnitt der Frau und wieder zurück zu ihren Augen wanderte. »Aber dann waren Sie plötzlich weg.«

»Was passiert denn eigentlich mit der Tauftorte?«, fragte Nick mit Blick auf die große, noch unangetastete und von einem blauen Teddybären gekrönte glasierte Obsttorte auf der Kücheninsel.

»Wir essen sie?«, schlug der hungrige Strike vor. Er hatte nur ein paar Sandwiches ergattern können, bevor ihm Ilsa das Baby gegeben hatte. Während er im Festzelt festgesessen hatte, hatten die übrigen Gäste kurzen Prozess mit dem Büfett gemacht. Die Frau in Pink lachte wieder.

»Wenn ich mich nicht irre, werden vorher noch Fotos davon gemacht«, sagte Nick.

»Fotos, definitiv«, sagte die Frau in Pink.

»Dann warten wir noch.« Nick ließ die Augen hinter der Brille mit dem Drahtgestell über Strike schweifen. »Wie viel hast du jetzt abgenommen?«

»Fast zwanzig Kilo.«

»Nicht schlecht«, sagte Murphy, der einen seine schlanke, durchtrainierte Figur betonenden Einreiher trug.

Du kannst mich mal, du eingebildeter Lackaffe.

2

Sechs auf dem fünften Platz bedeutet …

Der Gefährte beißt sich durch die Hülle.

Wenn man hingeht zu ihm,

wäre das ein Fehler?

I GING. Das Buch der Wandlungen

Robin saß auf der Kante des Doppelbetts im ehelichen Schlafzimmer, das ganz in Blautönen gehalten und bis auf zwei offen stehende Schubladen unten im Kleiderschrank makellos aufgeräumt war. Robin kannte die Herberts inzwischen recht gut und nahm an, dass dies Nicks Werk war. Dass er nicht in der Lage zu sein schien, die Schubladen und Schranktüren, die er öffnete, auch wieder zu schließen, war seiner Gattin ein ständiges Ärgernis.

Ilsa saß in einem Schaukelstuhl in der Ecke. Das Baby saugte gierig an ihrer Brust. Robin war auf dem Land aufgewachsen und wunderte sich nicht über die schnaubenden Geräusche, die das Kind von sich gab und die Strike vermutlich leicht unanständig vorgekommen wären.

»Das macht einen verdammt durstig«, sagte die Anwältin, nachdem sie das Wasser ausgetrunken und Robin das leere Glas zurückgegeben hatte. »Ich glaube, meine Mum ist betrunken.«

»Allerdings. Aber dafür habe ich noch nie eine glücklichere Großmutter gesehen.«

»Auch wieder wahr«, seufzte Ilsa. »Diese verfluchte Bijou«, sagte sie plötzlich.

»Die verfluchte was?«

»Die laute Frau in Pink! Die ist dir bestimmt aufgefallen, ihre Titten hängen ja praktisch aus dem Kleid heraus. Eine grässliche Person«, sagte Ilsa mit Nachdruck. »Sie muss einfach immer im Mittelpunkt stehen, egal wo. Ich war zufällig in ihrem Büro, als ich zwei andere Leute zur Taufe eingeladen habe, und sie kam dazu und dachte, sie wäre ebenfalls gemeint. Da konnte ich diese mannstolle Nervensäge ja schlecht wieder ausladen.«

»Heißt sie wirklich so?«, fragte Robin verblüfft.

»Eigentlich heißt sie Belinda«, sagte Ilsa. »Aber alle nennen mich Bijou«, schob sie hinterher, die laute, sinnliche Stimme parodierend.

»Und wieso das?«

»Weil sie es so will«, sagte Ilsa böse, und Robin musste lachen. »Sie hat eine Affäre mit einem verheirateten Kronanwalt, und ich hoffe inständig, dass ich ihm in der nächsten Zeit nicht im Gerichtssaal begegne. Sie hat uns viel zu viel darüber erzählt, was sie im Bett so treiben. Sie macht auch kein Geheimnis daraus, dass sie versucht, von ihm schwanger zu werden, damit er seine Frau verlässt … ich klinge jetzt bestimmt verbittert … aber das bin ich ja auch. Momentan will ich keine Frauen mit Größe 34 um mich herum haben. Das hier ist 42«, sagte sie und blickte auf ihr marineblaues Kleid herab. »Ich war in meinem ganzen Leben noch nie so dick.«

»Du hast gerade ein Kind zur Welt gebracht und siehst bezaubernd aus«, versicherte ihr Robin. »Das sagen alle.«

»Ach Robin, das ist der Grund, weshalb ich dich so gut leiden kann.« Ihr Sohn saugte so heftig, dass sie leicht das Gesicht verzog. »Wie läuft’s mit Ryan?«

»Gut«, sagte Robin.

»Wie lange seid ihr jetzt zusammen? Sieben Monate?«

»Acht.«

»Hm«, sagte Ilsa und sah mit einem Lächeln auf ihr Kind herab.

»Was soll das denn heißen?«

»Corm passt das überhaupt nicht. Du hättest mal sein Gesicht sehen sollen, als du mit Ryan vor der Kirche Händchen gehalten hast. Übrigens ist mir aufgefallen, dass er ungefähr eine Tonne abgenommen hat.«

»Musste er ja auch«, sagte Robin. »Weil es mit seinem Bein letztes Jahr so schlimm war.«

»Wenn du meinst … Ryan trinkt überhaupt nicht?«

»Nein. Das habe ich dir doch schon erzählt: Er ist Alkoholiker und seit drei Jahren trocken.«

»Aha … na ja, jedenfalls macht er einen sehr netten Eindruck. Er will Kinder«, sagte Ilsa und beobachtete Robin dabei. »Hat er mir vorhin gesagt.«

»Ilsa, wir sind gerade mal acht Monate zusammen. Für ein Kind ist es noch ein bisschen früh, findest du nicht auch?«

»Corm will keine Kinder.«

Robin schwieg zu dieser Bemerkung. Sie wusste genau, dass Ilsa und Nick jahrelang darauf gehofft hatten, aus ihr und Strike würde mehr als Inhaber einer gemeinsamen Detektei und beste Freunde.

»Hast du Charlotte in der Mail gesehen?«, fragte Ilsa, als sie merkte, dass Robin keine Lust hatte, über Strikes möglicherweise nicht vorhandene Reproduktionswünsche zu spekulieren. »Mit diesem Dormer?«

»Hm«, sagte Robin.

»Ich würde ja sagen: ›der arme Kerl‹, aber er sieht so aus, als könnte er mit ihr fertigwerden … obwohl, das trifft ja auch auf Corm zu, und das hat sie nicht davon abgehalten, ihm das Leben zur Hölle zu machen.«

Charlotte Campbell war Strikes Ex-Verlobte, mit der er sechzehn Jahre lang eine On-off-Beziehung geführt hatte. Sie hatte sich vor nicht allzu langer Zeit von ihrem Ehemann scheiden lassen und war seitdem zusammen mit Landon Dormer – ein amerikanischer Hotelmilliardär, dreimal geschieden, markantes Kinn und Dauergast in den Klatschspalten. Auf den jüngsten Paparazzi-Bildern, die Charlotte in einem roten Slip Dress zeigten, war sie so wunderschön wie immer, doch Robin war auch ihr merkwürdig leerer und glasiger Blick aufgefallen.

Es klopfte an der Tür, dann betrat Ilsas Ehemann den Raum. »Es herrscht Einigkeit darüber«, teilte er seiner Gattin mit, »dass vor dem Anschneiden noch Fotos mit der Torte gemacht werden sollen.«

»Da müsst ihr euch noch einen Augenblick gedulden«, sagte Ilsa leicht genervt. »Benjy hat erst auf einer Seite getrunken.«

»Und übrigens wirft sich deine Freundin Bijou gerade an Corm ran«, fügte Nick grinsend hinzu.

»Sie ist nicht meine verdammte Freundin«, gab Ilsa zurück. »Und bevor es zu spät ist, solltest du ihm sagen, dass sie nicht alle Tassen im Schrank hat. Aua.« Sie bedachte ihren Sohn mit einem wütenden Blick.

Strike stand noch immer neben dem unversehrten Kuchen in der Küche. Er hatte Bijou Watkins gebeten, ihren Vornamen zu wiederholen, da er geglaubt hatte, sich beim ersten Mal verhört zu haben. Nun war er einem Trommelfeuer aus beruflichen Anekdoten und kicherndem Gelächter über die eigenen Scherze ausgesetzt, und das in einer Lautstärke, die Strike daran zweifeln ließ, dass sie irgendjemand in der Küche nicht hören konnte.

»… mit Harkness. Kennen Sie George Harkness? Den Kronanwalt?«

»Ja«, log Strike. Entweder hatte Bijou die irrige Vorstellung, dass Privatdetektive regelmäßig Gerichtsverhandlungen beiwohnten, oder sie gehörte zu jener Sorte Mensch, für die es unvorstellbar war, dass sich jemand nicht für ihre Kollegen oder die Feinheiten ihres Berufs interessieren könnte.

»… den Winterson-Fall übernommen. Daniel Winterson, der mit den Insidergeschäften?«

»Klar«, sagte Strike und sah sich in der Küche um. Ryan Murphy war nicht mehr zu sehen. Strike hoffte, dass er nach Hause gefahren war.

»… konnten wir uns natürlich keinen weiteren geplatzten Prozess leisten. Also sagt Gerry zu mir: ›Bijou, Richter Rawlins hat den Vorsitz, also zieh dir einen Push-up-BH an …‹«

Auf ihr meckerndes Lachen hin drehten sich mehrere Männer süffisant grinsend zu ihr um. Strike, der von der Richtung, die die Unterhaltung genommen hatte, etwas überrumpelt war, starrte unwillkürlich in ihren Ausschnitt. Sie hatte ganz zweifellos eine atemberaubende Figur – schmale Taille, lange Beine, große Brüste.

»… Richter Rawlins kennen Sie doch, oder? Piers Rawlins?«

»Ja«, log Strike abermals.

»Er ist jedenfalls sehr empfänglich für die Reize des anderen Geschlechts, daher bin ich so in den Gerichtssaal marschiert …« Sie presste ihre Brüste mit den Oberarmen zusammen und stieß ein weiteres raues Lachen aus. Nick, der soeben in die Küche gekommen war, bemerkte Strikes Blick und erwiderte ihn mit einem Grinsen.

»… also mit vollem Einsatz, und als das Urteil verkündet wurde, sagt Gerry zu mir: ›Na schön, nächstes Mal lässt du die Unterwäsche weg, wirfst deinen Stift auf den Boden und beugst dich vor, um ihn aufzuheben.‹«

Zum dritten Mal brach sie in Gelächter aus. Strike lächelte höflich und stellte sich vor, wie seine beiden Kolleginnen – Robin und die ehemalige Polizistin Midge Greenstreet – wohl reagieren würden, sollte er ähnliche Strategien vorschlagen, um Zeugen oder Verdächtigen Informationen zu entlocken.

In diesem Augenblick erschien Robin in der Küche – allein. Unter Strikes Blick zwängte sie sich durch die Menge zu Nick, um ihm etwas mitzuteilen. Sie trug das Haar nur selten hochgesteckt, obwohl ihr das sehr gut stand. Ihr hellblaues Kleid war weitaus weniger gewagt als Bijous, und es sah neu aus. Hatte sie es zu Ehren des kleinen Benjamin Herbert oder zur Freude Ryan Murphys gekauft? Robin drehte sich um, bemerkte ihn und lächelte ihm über die vielen Köpfe hinweg zu.

»Entschuldigung«, fiel er Bijou mitten in der Anekdote ins Wort, »ich muss dringend mit jemandem sprechen.«

Er nahm zwei der neben der Torte bereitstehenden Champagnerflöten und kämpfte sich durch die lachenden und trinkenden Freunde und Verwandten zu Robin durch.

»Hi«, sagte er. Obwohl sie in der Kirche Seite an Seite vor dem Taufbecken gestanden und dem Teufel widersagt hatten, war bisher noch keine Gelegenheit zu einem längeren Gespräch gewesen. »Möchtest du was trinken?«

»Danke«, sagte Robin und nahm die Flöte entgegen. »Ich dachte, du magst keinen Champagner?«

»Bier ist hier ja nirgendwo aufzutreiben. Hast du meine Mail bekommen?«

»Wegen Sir Colin Edensor?«, fragte sie und senkte die Stimme. Wie auf einen unausgesprochenen Befehl hin entfernten sie sich von der Menge und zogen sich in eine ruhigere Ecke zurück. »Ja. Lustigerweise habe ich erst vor Kurzem einen Artikel über die Universal Humanitarian Church gelesen. Wusstest du, dass die Zentrale der Kirche nur zehn Minuten von unserem Büro entfernt ist?«

»In Rupert Court, ja«, sagte Strike. »Als ich zum letzten Mal in der Gegend war, standen junge Frauen mit Sammelbüchsen in der Wardour Street. Ich habe mich für Dienstag mit Edensor verabredet. Willst du mitkommen?«

»Auf jeden Fall«, sagte Robin, die gehofft hatte, er würde fragen. »Wo triffst du ihn denn?«

»Im Reform Club. Er ist Mitglied. Ist Murphy schon weg?«

»Nein«, sagte Robin und sah sich um. »Wahrscheinlich ist er draußen irgendwo. Er musste dienstlich telefonieren.«

Robin ärgerte sich über die verklemmte Art, in der sie mit Strike über Murphy sprach. Sie sollte sich doch ganz selbstverständlich und unbefangen mit ihrem besten Freund über ihren Partner unterhalten können. Doch dem frostigen Empfang nach zu urteilen, den Strike Murphy jedes Mal bereitete, wenn dieser sie vom Büro abholte, bezweifelte sie, dass dies möglich war.

»Wie lief es gestern mit Littlejohn?«, fragte Strike.

»Ganz okay. Ich glaube nicht, dass ich schon mal einem so schweigsamen Menschen begegnet bin.«

»Nach Morris und Nutley ist das doch eine schöne Abwechslung, oder nicht?«

»Das schon«, sagte Robin vage. »Trotzdem ist es ziemlich merkwürdig, drei Stunden lang in völliger Stille neben einer anderen Person im Auto zu sitzen. Und wenn man ihn anspricht, kommt nur ein Grunzen oder eine einsilbige Antwort.«

Vor einem Monat war es Strike gelungen, einen neuen freien Mitarbeiter für die Detektei zu gewinnen. Clive Littlejohn war etwas älter als Strike und genau wie dieser bei der Special Investigation Branch gewesen, allerdings erst vor Kurzem aus der Armee ausgeschieden. Er war groß und grobschlächtig, hatte schwere Augenlider, die ihm einen Ausdruck ständiger Müdigkeit verliehen, und trug das ergrauende Haar militärisch kurz geschnitten. Beim Bewerbungsgespräch hatte er angegeben, dass er und seine Frau nach den vielen Ortsveränderungen und Abwesenheiten, die das Soldatenleben mit sich brachte, ihren Kindern im Teenageralter ein beständigeres Umfeld bieten wollten. Strikes Fazit nach vier Wochen lautete, dass Littlejohn einen gewissenhaften und zuverlässigen Eindruck machte, aber zugegebenermaßen auch extrem wortkarg war. Strike konnte sich auch nicht erinnern, ihn irgendwann einmal lächeln gesehen zu haben.

»Pat mag ihn nicht«, sagte Robin.

Pat war die unwahrscheinlich schwarzhaarige, kettenrauchende Büromanagerin der Detektei. Sie war achtundfünfzig und sah mindestens zehn Jahre älter aus.

»Pats Menschenkenntnis ist mit Vorsicht zu genießen«, sagte Strike.

Die Herzlichkeit, mit der Pat Ryan Murphy empfing, sooft er ins Büro kam, um Robin abzuholen, war Strike nicht entgangen. Und sie missfiel ihm, da er der irrationalen Vorstellung anhing, jeder Mitarbeiter der Detektei müsse dem CID-Beamten dasselbe Maß an Feindseligkeit entgegenbringen wie er selbst.

»Anscheinend hat Patterson den Edensor-Fall so richtig in den Sand gesetzt«, sagte Robin.

»Ja«, sagte Strike mit unverhohlener Genugtuung. Er und Mitch Patterson, der Chef der konkurrierenden Privatdetektei, waren einander in herzlicher Abneigung verbunden. »Die sind völlig blauäugig an die Sache rangegangen. Als Edensors Mail kam, habe ich mich ein wenig über die Kirche schlaugemacht. Meiner Ansicht nach ist es ein schwerer Fehler, sie zu unterschätzen. Wenn wir diesen Fall übernehmen, könnte es sein, dass jemand von uns verdeckt ermitteln muss. Ich scheide leider aus, das Bein ist viel zu auffällig. Midge vielleicht. Die ist nicht verheiratet.«

»Das bin ich auch nicht«, warf Robin sofort ein.

»Das ist eine ganz andere Nummer, als sich als Venetia Hall oder Jessica Robins auszugeben«, gab Strike unter Aufzählung der Decknamen zu bedenken, die Robin bei früheren Ermittlungen benutzt hatte. »So ein Einsatz beschränkt sich nicht auf normale Arbeitszeiten. Womöglich hättest du eine ganze Weile keinen Kontakt zur Außenwelt.«

»Na und?«, gab Robin zurück. »Damit komme ich schon zurecht.« Für ihre Ohren klang die Unterhaltung so langsam nach Vorstellungsgespräch.

»Noch haben wir den Auftrag nicht«, wiegelte Strike ab, der tatsächlich erfahren hatte, was er wissen wollte. »Wer sich am besten dafür eignet, entscheiden wir, wenn es so weit ist.«

In diesem Augenblick kehrte Ryan Murphy in die Küche zurück. Robin, die nahe bei Strike gestanden hatte, um sich nicht allzu laut über Vertrauliches mit ihm unterhalten zu müssen, trat unwillkürlich einen Schritt von ihm zurück.

»Was heckt ihr beiden denn da aus?«, fragte Murphy lächelnd, aber mit argwöhnischem Blick.

»Gar nichts«, sagte Robin. »Es ging nur um die Arbeit.«

Schließlich erschien auch Ilsa mit ihrem satten, schlafenden Sohn in den Armen in der Küche.

»Die Torte«, rief Nick. »Wenn sich die Paten und Großeltern bitte zum Foto versammeln würden.«

Robin trat näher an den Kuchen heran, während nun auch die Gäste aus dem Festzelt in die Küche drängten. Einige wenige Augenblicke lang hatte Robin erneut die Spannungen gespürt, unter der ihre Ehe gelitten hatte: Weder hatte ihr Murphys Frage gefallen noch die Hartnäckigkeit, mit der Strike sich hatte bestätigen lassen, dass sie zu ebenso viel Einsatzbereitschaft fähig war wie die alleinstehende Midge.

»Du hältst Benjy, und ich stelle mich hinter dich«, sagte Ilsa zu Robin. »Dann sehe ich nicht so dick aus.«

»Sei nicht albern, du siehst großartig aus«, murmelte Robin, nahm aber dennoch ihren schlafenden Patensohn entgegen und drehte sich in Richtung der Kamera, die Ilsas rotgesichtiger Onkel in die Höhe hielt. Hinter der Kücheninsel, auf der die Torte stand, kam es zu kurzem Drängeln und Plätzetauschen, dann wurden die Handys zum Foto erhoben. Ilsas angeheiterte Mutter trat auf Robins Fuß, dass es schmerzte, und entschuldigte sich bei Strike. Das schlafende Baby war überraschend schwer.

»Cheese!«, brüllte Ilsas Onkel.

»Steht dir gut«, rief Murphy und prostete Robin zu.

Aus dem Augenwinkel sah Robin grelles Pink: Bijou Watkins hatte sich an Strikes andere Seite gedrängt. Das Kind regte sich, schlief jedoch weiter, als mehrere Blitze ausgelöst wurden, um den Augenblick für die Nachwelt einzufangen: das benebelte Lächeln der stolzen Großmutter, Ilsas unentspannte Miene, das Licht, das sich in Nicks Brille spiegelte und ihm einen etwas unheimlichen Ausdruck verlieh, das leicht verkrampfte Lächeln der hinter dem blauen Zuckergussteddy Schulter an Schulter stehenden Pateneltern. Strike war in Gedanken bei der Bemerkung, die Murphy gerade eben Robin zugerufen hatte, während Robin beobachtete, wie sich Bijou in der festen Entschlossenheit, ebenfalls Teil des Bildes zu werden, ihrem Geschäftspartner immer weiter entgegenlehnte.

3

Besonnen sein und nicht die Rüstung vergessen, das ist der rechte Weg zur Sicherheit.

I GING. Das Buch der Wandlungen

Strike betrat an diesem Abend gegen acht Uhr mit dem blähenden Gefühl im Bauch, das er stets von Champagner bekam, seine Dachwohnung in der Denmark Street. Er hatte schlechte Laune: Normalerweise hätte er sich auf dem Heimweg etwas zu essen geholt, doch nach seinem dreiwöchigen Krankenhausaufenthalt im letzten Jahr hatten ihm die Ärzte dringend dazu geraten, abzunehmen, sich in Physiotherapie zu begeben und mit dem Rauchen aufzuhören. Und zum ersten Mal, seit er seinen Unterschenkel in Afghanistan verloren hatte, hatte er den ärztlichen Rat auch befolgt.

Ohne große Begeisterung befüllte er den neu erworbenen Dampfgarer mit Gemüse, nahm ein Lachsfilet aus dem Kühlschrank, maß etwas Vollkornreis ab und versuchte, dabei nicht an Robin Ellacott zu denken. Dies gelang ihm nur insofern, als dass ihm einmal mehr bewusst wurde, wie schwer es war, nicht an sie zu denken. Er hatte das Krankenhaus nicht nur mit vielen guten Vorsätzen, sondern auch mit einem Problem belastet verlassen, das sich nicht durch eine Veränderung der Lebensgewohnheiten lösen ließ: ein Problem, das ihn schon viel länger belastete, als er zuzugeben bereit war, und dem er sich erst gestellt hatte, als er vom Krankenbett aus Robin dabei zugesehen hatte, wie sie sich auf den Weg zu ihrem ersten Date mit Murphy machte.

Jahrelang hatte er sich eingeredet, dass es eine Liebesbeziehung mit seiner Geschäftspartnerin nicht wert war, dafür eine ihm so wichtige Freundschaft oder die Detektei, die sie zusammen aufgebaut hatten, aufs Spiel zu setzen. Die Unbequemlichkeiten und Entbehrungen, die mit seinem konsequent in der Einsamkeit seiner kleinen Dachwohnung über dem Büro zugebrachten Dasein einhergingen, waren für Strike ein Preis, den er für seine Unabhängigkeit und etwas Ruhe nach den endlosen Gefühlsstürmen und Herzensqualen seiner langen On-off-Beziehung mit Charlotte nur zu gerne zu zahlen bereit war. Dass sich Robin mit Ryan Murphy verabredet hatte, war ein großer Schock gewesen, hatte er doch nicht länger leugnen können, dass die Zuneigung, die er Robin gegenüber verspürt hatte, seit sie zum ersten Mal in seinem Büro den Mantel ausgezogen hatte, gegen seinen Willen eine andere Form angenommen hatte – eine Form, die er nun gezwungen war zu benennen. Er hatte die Gestalt, in der die Liebe gekommen war, nicht erkannt und war sich deshalb der Gefahr zu spät bewusst geworden, um ihr zu entgehen.

Zum ersten Mal, seit er Robin kannte, verspürte Strike nicht den Wunsch, sich durch Sex mit einer anderen Frau von den lästigen Gefühlen, die er seiner Kollegin entgegenbrachte, abzulenken und diese gleichzeitig zu idealisieren. Als er das letzte Mal Trost bei einer anderen schönen Frau gesucht hatte, waren die Resultate ein von einem Stilettoabsatz verursachtes Loch im Bein und das trostlose Gefühl der Sinnlosigkeit gewesen. Er war sich immer noch nicht sicher, ob er für den Fall, dass Robin und Murphy wieder getrennte Wege gingen – was er inständig hoffte –, zu einem Gespräch bereit war, das er früher vehement abgelehnt hätte, das ihm jedoch unter Umständen Klarheit über Robins wahre Gefühle verschaffen würde. Die Einwände gegen eine Liebesbeziehung mit Robin hatten nach wie vor ihre Berechtigung, andererseits (»Steht dir gut!«, hatte der beschissene Murphy gesagt, als er sie mit einem Baby in den Armen gesehen hatte) fürchtete er nun, dass ihre Geschäftsbeziehung so oder so zu einem Ende kommen würde, wenn sich Robin gegen eine Detektivlaufbahn und für Ehe und Kinder entscheiden sollte. Und jetzt stand Cormoran Strike – schlanker, fitter und mit saubererer Lunge – allein in seiner Dachwohnung, traktierte einen Brokkoli wütend mit dem Holzlöffel und versuchte, nicht an Robin Ellacott zu denken.

Das Klingeln des Handys war eine willkommene Ablenkung. Er nahm Lachs, Reis und Gemüse vom Herd und ging ran.

»Alles klar, Bunsen?«, fragte eine vertraute Stimme.

»Shanker«, sagte Strike. »Was gibt’s?«

Obwohl der Mann am anderen Ende der Leitung ein alter Freund von ihm war, wäre es Strike wahrscheinlich nicht gelungen, sich an seinen richtigen Namen zu erinnern. Strikes Mutter Leda hatte Shanker – mutterseelenallein und schon mit sechzehn Jahren unheilbar kriminell – von der Straße aufgelesen, wo sie ihn mit einer Stichwunde gefunden hatte, und mit zu sich in ihre Bruchbude genommen. In der Folge war Shanker gewissermaßen zu Strikes Stiefbruder geworden. Wahrscheinlich war er der einzige Mensch überhaupt, der in der hoffnungslos wankelmütigen und schnell gelangweilten Leda nur Gutes zu sehen vermocht hatte.

»Ich brauch deine Hilfe«, sagte Shanker.

»Wobei?«

»Du musst einen alten Sack für mich auftreiben.«

»Wozu?«, fragte Strike.

»Nee, nicht was du denkst«, sagte Shanker. »Ich will ihm nichts tun, ehrlich.«

»Na dann«, sagte Strike und nahm einen Zug von seinem Vape Pen, über den er sich weiterhin mit Nikotin versorgte. »Um wen geht es denn?«

»Um den Vater von Angel.«

»Um wessen Vater?«

»Angel«, sagte Shanker. »Meine Stieftochter.«

»Oha.« Strike war überrascht. »Hast du geheiratet?«

»Nee«, sagte Shanker ungeduldig. »Aber ich wohne mit ihrer Mum zusammen, das reicht ja wohl.«

»Geht’s um den Unterhalt?«

»Nee«, sagte Shanker. »Angel hat Leukämie.«

»Scheiße«, sagte Strike erschrocken. »Das tut mir leid.«

»Ja, und jetzt will sie ihren richtigen Vater sehen, und wir haben keine Ahnung, wo er steckt. Das ist ein Drecksack, aber keiner von der Sorte, die ich kennen würde.«

Shanker kannte sich in der Londoner Unterwelt aus wie kein Zweiter. Strike wusste, dass er einen Berufsverbrecher ohne Weiteres auch selbst ausfindig machen konnte.

»Also gut. Name und Geburtsdatum?«, fragte Strike und griff nach Stift und Notizbuch.

»Wie viel?«, fragte Shanker, nachdem er die verlangten Angaben gemacht hatte.

»Schon okay. Dafür hab ich einen gut bei dir.«

»Ernsthaft?«, fragte Shanker hörbar überrascht. »Okay, alles klar. Danke, Bunsen.«

Shanker, der am Telefon nur ungern auch nur ein Wort zu viel verlor, legte auf, und Strike wandte sich wieder Brokkoli und Lachs zu. Er hatte Mitleid mit dem kranken Kind, das seinen Vater sehen wollte, dessen ungeachtet konnte es aber auch nicht schaden, wenn ihm Shanker einen Gefallen schuldete. Der Preis für die Hinweise, die er von seinem alten Freund erhielt und die Strike bei seinen Polizeikontakten als nützliche Verhandlungsmasse einsetzen konnte, war mit dem wachsenden Erfolg seiner Detektei sprunghaft gestiegen.

Strike trug den Teller mit der fertigen Mahlzeit zum kleinen Küchentisch, doch bevor er sich setzen konnte, klingelte das Handy erneut. Diesmal war es ein vom Festnetzanschluss der Detektei weitergeleiteter Anruf. Strike zögerte, bevor er abhob, da er bereits ahnte, wessen Stimme er gleich hören würde.

»Strike.«

»Hey, Bluey«, sagte eine leicht lallende Stimme. Im Hintergrund waren Stimmen und Musik zu hören.

Das war Charlottes zweiter Anruf in einer Woche. Da sie seine aktuelle Handynummer nicht kannte, war der Büroanschluss ihre einzige Möglichkeit, ihn zu erreichen.

»Charlotte, ich bin beschäftigt«, sagte er kühl.

»Ich wusste, dass du das sagen würdest. Der Club hier ist fürchterlich. Würde dir nicht gefallen …«

»Ich bin beschäftigt«, wiederholte er, legte auf und wartete auf den nächsten Anruf, der auch prompt kam. Er ließ die Mailbox rangehen und zog sein Jackett aus. Dabei hörte er Papier rascheln, griff in die Innentasche und zog einen Zettel hervor. Er entfaltete ihn und las eine Handynummer und den Namen »Bijou Watkins«. Dass es ihr gelungen war, ihm den Zettel unbemerkt zuzustecken, ließ auf eine gewisse Fingerfertigkeit schließen. Er riss das Stück Papier in zwei Hälften, warf diese in den Mülleimer und setzte sich zum Abendessen.

4

Neun auf dem dritten Platz bedeutet:

Wenn es in der Sippe hitzig zugeht,