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Mörderischer Sommer in Cannes - Band 6 der erfolgreichen Krimi-Reihe um Kommissar Léon Duval In seinem sechsten Fall der erfolgreichen Krimiserie ermittelt Kommissar Duval im Herzen der Altstadt von Cannes, dem Suquet. Doch allzu leicht gibt diese scheinbare Idylle ihre Geheimnisse nicht preis, und Duval wird von seiner Vergangenheit eingeholt. Ein junger Fischer wird tot aufgefunden, vor sich einen Abschiedsbrief an seine Geliebte. Als Duval klar wird, dass es sich bei der Geliebten um Nicky, die Frau seines Dauerfeindes Louis Cosenza handelt, wird er misstrauisch. Was auf den ersten Blick wie Selbstmord aussieht, muss ja vielleicht gar keiner sein, wenn Cosenza seine Finger im Spiel hat. Duval nimmt die Ermittlungen auf, und schnell geraten immer mehr Leute in den Fokus der Polizei. Unter anderem Cosenzas Sohn, aber auch Patrick, ein ehemaliger Skipper aus dem Suquet. Auf unterschiedlichen Pfaden, die so verschlungen sind wie die Gassen des Suquet, nähert sich Duval der Lösung des Falles. Und auch für ihn persönlich gibt es noch Überraschungen: Er erfährt endlich das Geheimnis, das seinen Vater mit Cosenza verband.
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Seitenzahl: 382
Christine Cazon
Der sechste Fall für Kommissar Duval
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Inhaltsverzeichnis
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Hinweis zum Buch
Widmung
Motto
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
Epilog
Nachwort und Dank
Postface et Remerciements
Inhaltsverzeichnis
Die Handlung des vorliegenden Romans spielt in Cannes und an anderen Orten in Südfrankreich. Die Stadt, einige Dörfer und viele der darin erwähnten Örtlichkeiten sind real, die Geschichte aber ist fiktiv, ebenso wie die darin vorkommenden Personen. Ihre beruflichen wie privaten Konflikte und Handlungen sind frei erfunden. Jede Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.
Inhaltsverzeichnis
Aux pêcheurs de la rade et au large de Cannes
Inhaltsverzeichnis
C’est pas l’homme qui prend la mer
C’est la mer qui prend l’homme
RENAUD, Dès que le vent soufflera
Inhaltsverzeichnis
Selbst hier oben in Super Cannes war die Hitze drückend. So sehr, dass Louis Cosenza, obwohl seit je an den südfranzösischen Sommer gewöhnt, sie heute kaum ertrug. Trotz einer gewissen Erschöpfung hatte er während der sieste nicht geschlafen. Eine fette Fliege sirrte ununterbrochen durch das Zimmer und prallte wieder und wieder an die Fensterscheibe. In seinem Kopf sirrte es ebenso. Er fühlte sich wie erschlagen und schleppte sich von einem Zimmer ins andere.
Er stellte die Klimaanlage höher ein. Und riss dann doch die Schiebetüren der Terrasse weit auf. Es war ihm, als würde er ersticken. Luft. Er brauchte Luft. Aber die Luft draußen war klebrig und schwer. Schweißtropfen bildeten sich sofort auf seiner Stirn. Dennoch blieb er auf der Terrasse stehen und blickte auf die Bucht, die unter ihm lag. Das Mittelmeer lag ihm zu Füßen, das kräftige Blau erstreckte sich bis zum Horizont, und an klaren Tagen konnte man von hier bis nach Korsika sehen. Heute sah man nur bis zu den Iles de Lérins und zum Esterelgebirge. Weiße Yachten und Segelboote kreuzten in der Bucht vor Cannes und um die Inseln. Der Lärm der Stadt drang nicht bis hier hinauf. Hier oben war es ruhig. Viel zu ruhig, so schien es ihm plötzlich. Von einem Nachbargrundstück hörte man jauchzende und kreischende Kinder, die vermutlich in einen Pool sprangen. Der Pool. Gute Idee. Er würde ein paar Bahnen schwimmen. Es würde ihn erfrischen, und die Bewegung im Wasser tat ihm immer gut. Schnaufend wie ein Walross pflügte er durch den kleinen Pool, schon bald hatte er aufgehört, die Bahnen zu zählen, aber auch seine Anstrengungen, sich ganz auf die Kraulbewegungen und den richtigen Atem zu konzentrieren, wurden immer wieder unterbrochen vom Sirren in seinem Kopf. Wie die Fliege, die immer wieder an die Fensterscheibe prallte, kehrten seine Gedanken immer wieder an denselben Punkt zurück. Mittags war er zum Essen im Oasis verabredet gewesen, und die Aussicht auf ein ausgezeichnetes Sternemenü, zu dem ein Geschäftsfreund ihn einladen würde, ließ ihn leichten Sinnes vom Casino am Palm Beach losfahren. Er fuhr offen und genoss die Blicke, die ihm und seinem Bentley Cabrio galten, was selbst das Warten in der Hitze an den roten Ampeln entlang der Croisette angenehm machte. Die Ampelschaltung vor dem Rathaus allerdings ließ auf sich warten, wroammmm wroammmm, ein paarmal ließ er den Motor aufheulen, zwei junge Japanerinnen, oder waren es Chinesinnen, das wusste man ja heute nicht mehr so genau, schossen kichernd mehrere Selfies mit Peacezeichen und setzten sich beinahe auf die Kühlerhaube. Wroammmm, noch einmal ließ er das satte Motorgeräusch erklingen, setzte sein schönstes Wolfslächeln auf und trommelte mit seiner goldberingten Hand auf das Lenkrad. Er betrachtete wohlgefällig die langbeinige Blondine, die er hinter den Asiatinnen entdeckte. Sie schritt, handtaschenschlenkernd und auf ihr Smartphone starrend, Richtung Suquet. Na so was, dachte er. »Michou!«, rief er und hupte kurz, die Asiatinnen schrien erschrocken auf und liefen kichernd davon. Michou aber reagierte nicht. Vielleicht war sie zu weit weg, als dass sie es auf sich bezogen hätte. Vielleicht reagierte sie auch nie auf hupende Autofahrer. Viel zu vulgär. So etwas hatte sie nicht nötig. Er blickte ihr nach. Es war Michou. Wo ging sie hin? »He du Trottel, grüner wird’s nicht!« Erst das Hupen seiner Hintermänner, denen es sichtlich Spaß machte, einen Bentley-Fahrer anzumaulen, ließ ihn aus seiner Erstarrung erwachen, und er gab Gas. Vor dem Gebäude der Police Municipale stiegen gerade drei Flics auf ihre Motorräder, sodass er davon absah, einmal schnell sämtliche Spuren zu wechseln, um rechts abzubiegen, nur um ihr zu folgen. Er fuhr am alten Hafen entlang, ohne die Yachten und die alten Segler eines Blickes zu würdigen. Am nächsten Kreisverkehr drehte er um. Ruckelnd setzte sich genau vor ihm das Touristenbähnchen in Gang. Merde. Mit aufheulendem Motor überholte er das Bähnchen, die ihm entgegenkommenden Fahrer bremsten, hupten und verharrten in Schockstarre. Ein Bentley machte Eindruck, und immer ließ man ihm die Vorfahrt, sei sie auch noch so aggressiv erzwungen. An der Mairie bog er nun zügig links ab und donnerte die Avenue Georges Clemenceau hinauf, in die er Michou hatte verschwinden sehen. Was wollte sie hier in dieser düsteren Straße? Hier sah man nur die Hinterseite der schmucken mehrstöckigen Häuser, deren bunte Fassaden zum Hafen ausgerichtet waren. Die Rückseiten waren grau und schmutzig von den Abgasen und gespickt mit den hässlichen Kästen der Klimaanlagen. Dazwischen ein paar schäbige Nachtclubs, Kebapbuden und drittklassige Friseure. Und die Thermen! Natürlich. Sie hatte vor nicht allzu langer Zeit dort einen Job ergattert. Er sah sie gerade noch in der gläsernen Eingangshalle verschwinden. Sie war Kosmetikerin, saß aber überwiegend an der Rezeption des Wellnesstempels, lächelte rundliche Damen an und verkaufte ihnen irgendeine Anwendung. Beteuerte, dass man sich nach einer Thai-Massage oder einer Behandlung mit ayurvedischem Schlamm, heißen Steinen, erfrischenden Grünteemasken oder was auch immer gerade angesagt war, wie neugeboren fühlen würde. Frisch, entspannt und sexy. »Ich mache es regelmäßig«, beteuerte Michou und lächelte reizend. Es saßen nur die hübschesten Mädchen an der Rezeption. Er konnte diesem Wellness-Trend nicht folgen, es interessierte ihn auch nicht sonderlich. Ein paarmal hatte er Nicki Gutscheine für die Thermen geschenkt und sie anfangs dorthin begleitet. Die Mädchen am Empfang wussten vielleicht nicht, mit wem sie es zu tun hatten, aber seine Präsenz allein beeindruckte sie, und sie behandelten Nicki von da an mit unterwürfigem Dienstbotengehabe. Die junge Kapverdianerin, die ihm den Bademantel reichte, wusste hingegen genau, wen sie vor sich hatte, und machte ihm unverhohlen schöne Augen. Er nahm es mit unbewegtem Gesicht zur Kenntnis, man wusste ja nie, doch seit er mit Nicki zusammen war, war er beinahe monogam. Den braun gebrannten Bodytrainern, die bei der Aquagym in munterem Ton alternde Damen mit üppigen Cellulitisschenkeln und wogendem Busen durchs Wasser scheuchten und dabei mit Kennerblick die langbeinigen Schönheiten, die sich auf der Terrasse in den Liegestühlen rekelten, begutachteten, machte er mit seiner Anwesenheit unausgesprochen klar, dass es sich bei Nicki um eine Proprieté privée handelte. Privatbesitz. Anbaggern verboten. Auch wenn Nicki später alleine dorthin ging, war allen klar, dass man die neue Madame Cosenza respektvoll zu behandeln hatte und sie ansonsten besser in Ruhe ließ.
Cosenza sah auf die Uhr und tastete nach seinem Handy, aber dann ließ er es bleiben. Er bog an der nächsten Möglichkeit links ab, um am Park Fréderic Mistral wieder die ursprüngliche Route am Meer entlang aufzunehmen. Während des Essens, obgleich ein Augen- und Gaumenschmaus, und obwohl sie im schattigen Innenhof beinahe unter sich blieben, war er unruhig und unaufmerksam, und daran hatte sich bis eben nichts geändert.
Schnaufend hievte er sich aus dem Pool, rieb sich kurz mit dem Handtuch ab und genoss einen Moment die Frische seines nackten Körpers. Dann ging er ins Haus und zog sich an. Er wählte helle Shorts und eines der weißen Leinenhemden, die Nicki so an ihm liebte. Das Sirren im Kopf aber hörte nicht auf. Er brauchte eine Beschäftigung. Im Garten entrollte er den Schlauch, der auf einer der unteren Terrassen an der Mauer sorgsam aufgehängt war. Selbstverständlich hatte er einen Gärtner. Und natürlich hatten sie eine Bewässerungsanlage für das riesige terrassierte Hanggrundstück. Nachts ergoss sich ein zarter Sprühnebel über die Pflanzen und den Rasen, aber hin und wieder mochte er es, selbst etwas im Garten zu tun. Für Nicki hatte er, als sie endgültig ihre Koffer bei ihm abgestellt hatte, eigenhändig eine weiße gefüllte Damaszenerrose gepflanzt, die trotz all der Aufmerksamkeit, die er ihr zollte, nach einem anfänglichen Blütenrausch nur kärglich vor sich hin wuchs. Die schweren Blüten ließen an dem schwächelnden Strauch schnell die Köpfe hängen, und der Strauch wurde selbst dann nicht kräftiger, als er ihn eines Tages entschlossen zurückschnitt. Er verweigerte sich energisch dem in ihm aufsteigenden Aberglauben, dies als Omen für ihre Beziehung zu sehen. Es war nur eine Rose, Herrgott noch mal. Sie wollte nicht blühen, er hatte vielleicht einfach nicht den besten Standort gewählt. Vielleicht war sie überzüchtet. Zu empfindlich für das südfranzösische Klima. Weiß der Kuckuck. Vielleicht hätte er die Pflege ausschließlich dem Gärtner überlassen sollen, anstatt immer wieder selbst Hand anzulegen. Er besah den langen dünnen Trieb, der zusätzlich aus der Wurzel geschossen war und an dessen Ende sich ein paar Blätter und immerhin drei Blütenknospen entwickelt hatten, weshalb er es nicht übers Herz gebracht hatte, den Trieb, wie der Gärtner ihm geraten hatte, abzuschneiden. Er war eben doch ein Romantiker. Und er liebte Nicki. Schon als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, wusste er, dass er sein restliches Leben mit ihr verbringen wollte. Nie hätte er gedacht, dass es ihm einmal so gehen würde. Nicki. Schon war das Sirren im Kopf wieder da. Er versuchte sich ganz auf das Bewässern der dunkelroten Bougainvillea zu konzentrieren, als er das Motorgeräusch wahrnahm. Er zwang sich, nicht den Kopf zu drehen und nur den Geräuschen zu lauschen. Das Portail öffnete sich automatisch und beinahe lautlos und blieb dann mit einem kurzen klack stehen, das Auto fuhr an, er hörte das Knirschen der Räder auf dem Kies. Eine Tür knallte. Dann hörte er ihre Schritte. Nun hielt es ihn nicht mehr. Er drehte sich um und sah ihr entgegen, wie sie die kleine Allee entlangschritt in ihrem grünen, schmal geschnittenen Sommerkleid, vergnügt eine Basttasche mit bunten Pompons schlenkernd. »Coucou, ich bins!«, rief sie und winkte. Da er keine Anstalten machte, ihr entgegenzugehen, lief sie auf ihn zu, schob die Sonnenbrille in die Haare und küsste ihn. »Bonsoir, Cheri!« Er küsste sie zurück und forschte in ihrem Blick. Sie wirkte so frisch und spontan und entwaffnend ehrlich, dass ihm alle seine Befürchtungen albern erschienen und in der Hitze zusammenschmolzen. Trotzdem fragte er streng.
»Hast du den Schlüssel abgezogen?«
»Soll das deine Begrüßung sein?«, schmollte sie.
»Bonsoir, Chérie«, sagte er entschuldigend und küsste sie noch einmal.
Sie lächelte süß.
»Und hast du?«, wiederholte er.
Sie verdrehte die Augen. »Ich geh ja schon«, stöhnte sie dann und lief den Weg zum Auto zurück. »Und das bei dieser drückenden Hitze!«, brummelte sie, sodass er es hören konnte.
»Wenn du deine Gedanken ein bisschen zusammennehmen würdest, müsstest du nicht immer zweimal gehen!«, konnte er nicht umhin, ihr hinterherzurufen. Ohne sich umzudrehen, machte sie eine abwehrende Geste mit der Hand.
Sie war flatterhaft und gedankenlos. Sorglos wie ein Kind. Es war dieser Charme, der ihn fasziniert hatte. Ihm das Gefühl gab, sie brauche ihn. Einen starken Mann, der sie beschützte, der Entscheidungen für sie traf, ihr Ruhe und Geborgenheit gab. Und finanzielle Sicherheit. Das vor allem. Er fragte sich, wie sie es vorher geschafft hatte, mit dem wenigen Geld, das sie hatte, zurechtzukommen, denn sein Geld gab sie mit beiden Händen aus. Sorglos und geradezu naiv. »Ich kann sehr gut ohne Geld leben«, behauptete sie, wenn er sie gelegentlich darauf hinwies, dass sie vielleicht etwas übertrieb, »aber wenn ich welches habe, dann gebe ich es auch aus. Wozu hat man es denn?«, fragte sie mit großen unschuldigen Augen, und er schmolz augenblicklich dahin. Alles Geld der Welt würde er in solchen Augenblicken für sie geben.
»Voilà«, sie klimperte demonstrativ mit dem Autoschlüssel. »Serviert man mir jetzt vielleicht etwas zu trinken in diesem Haus?«
»Sicher«, er strich ihr zärtlich eine Haarsträhne aus der Stirn, dann legte er schwer den Arm über ihre Schultern und führte sie ins Haus. »Was möchtest du?«
»Einen Kir bitte, mit viel Eis.«
»Und, wie war dein Tag?«, rief er aus der Küche, als er ihr den Cassislikör mit kühlem Weißwein auffüllte und sich selbst einen Fingerbreit Campari in ein schweres Longdrinkglas goss.
»Ganz o.k.«, sie warf sich in einen Sessel und schüttelte die flachen Sandalen lässig von den Füßen.
Aus dem Eiswürfelspender des Kühlschranks ließ er ein paar Eiswürfel in eine Glasschale fallen. Er warf je drei in die beiden Gläser, schwenkte sie leicht und reichte Nicki den Blanc Cassis, wie er den Kir nannte. »Was hast du gemacht? Warst du am Strand?«
»Bist du verrückt?«, fragte sie zurück. »Am Strand! Bei der Hitze und mit all den Touris im August? Nie im Leben!«
Er amüsierte sich. Vor drei Jahren war sie selbst als »Touri« nach Cannes gekommen. Eine snobistische Pariserin. Schlimmer konnte es kaum kommen.
»Ich habe den Nachmittag mit Michou verbracht, hast du es vergessen? Ich habe es dir mindestens zweimal gesagt«, ahmte sie den Ton nach, in dem er ihr gewöhnlich ihre Nachlässigkeiten vorwarf. »Wenn du deine Gedanken etwas zusammennähmst …«, setzte sie spöttisch hinzu.
»Mit Michou.« Er sah sie prüfend an. »Und was habt ihr gemacht?«
»Wir sind mit dem Heli nach Monaco zum Shoppen gedüst.«
Überrascht sah er sie an. »Ernsthaft?«
Sie verdrehte die Augen und machte ein Clownsgesicht. »Nein. Natürlich nicht. Wir waren brav bei Michou zu Hause. Sie hat ihre Terrasse so nett hergerichtet, es ist jetzt total süß bei ihr. Wir haben gegessen, und später hat sie mir die Nägel gemacht«, sie streckte ihm ihre Füße mit den rot lackierten Fußnägeln entgegen, »und wir haben lange geredet. Frauenthemen«, setzte sie hinzu.
»Soso.« Er warf einen prüfenden Blick auf ihre Füße und biss derart die Zähne zusammen, dass ihm der Kiefer schmerzte. Blut schoss ihm in den Kopf. Er war kurz davor, sich auf sie zu stürzen, ihr ins Gesicht zu schlagen, sie an den Haaren nach draußen zu schleifen und unter Tritten und Schlägen ein Geständnis zu erzwingen. »Wo warst du? Was hast du gemacht, salope?! Ich weiß, dass du nicht bei Michou warst, ich weiß es! Bei wem warst du? Bei einem Kerl? Hast du einen Liebhaber?«
Er erschrak vor seiner eigenen Wut. Und bekam Angst vor dem, was Nicki ihm gestehen würde. Dann gäbe es keinen Weg mehr zurück. Und er fände sich allein in dieser Villa. Allein. Ohne sie. Ein Leben ohne Nicki erschien ihm plötzlich sinnlos. Und nur die Vorstellung genügte schon, dass er sich zusammennahm. In einem neutralen Ton hörte er sich fragen »Wie geht’s ihr?«.
»Bestens. Sie hat einen neuen Freund.«
Er verschluckte sich kurz an seinem Campari, hustete, und das Glas in seiner Hand zitterte derart, dass etwas von dem giftroten Aperitif auf sein weißes Hemd spritzte. »Ah merde!«, fluchte er heftiger als nötig.
»Chéri!«, sagte sie mahnend. »Zieh besser gleich das Hemd aus, dieses rote Zeug macht total eklige Flecken«, riet sie dann. »Gib her, ich sprühe etwas von dem Fleckenzeug drauf.« Sie machte Anstalten aufzustehen.
»Lass«, winkte er ab. »Ich mach’s schon.«
Mit großen Schritten lief er ins Badezimmer. Dort riss er sich das Hemd vom Körper. Er war vollkommen nass geschwitzt. Er hielt den Nacken unter den Wasserhahn und ließ lauwarmes Wasser über seinen Hals und die Schultern laufen. Dann rieb er sich mit einem Handtuch trocken.
»Sie lässt dich übrigens schön grüßen!«, hörte er Nicki rufen.
Er war wieder ruhiger. Und was, wenn er sich geirrt hätte? Vielleicht hatte er gar nicht Michou gesehen? Er hängte das Handtuch nachlässig über die Duschstange. Auf einem der Badezimmerschränkchen lag etwas von Nickis Schmuck. Zwischen zwei modischen Halsketten aus großen bunten Klunkern lagen lange silberne Ohrringe, und, wie es ihm schien, geradezu achtlos, der Ring, den er Nicki zum letzten Hochzeitstag geschenkt hatte. Ein Goldring mit Diamanten von Cartier aus der aktuellen Cactus-Serie. Sie hatte einen originellen Ring gewollt, edel, aber nichts Spießiges. Und sie hatte gelacht über seine Wahl. Superbe fand sie ihn. Es traf ihn, dass sie ihn dann dennoch nicht trug, sondern hier achtlos zwischen buntem Modeschmuck herumliegen ließ.
»Alles in Ordnung, Chéri?«, rief Nicki.
»Jaja, ich komme schon.«
Er steckte den Ring in seine Hosentasche und ging zurück ins Wohnzimmer. Er war ruhiger, aber dennoch angespannt und schnippte ein paarmal mit dem Feuerzeug, bis er sich eine Zigarette angezündet hatte.
»Oh«, machte sie in einem spöttischen Ton, »die wievielte ist es heute? Mir war so, als wolltest du aufhören?«
Ärgerlich wehrte er mit der Hand ab und inhalierte tief. »Wo hast du deinen Ring gelassen?«, fragte er wie nebenbei und blies den Rauch nach oben.
»Welchen Ring?« Sie sah betroffen auf ihre Hände.
»Nicki! Der kleine Kaktus von Cartier.«
»Ah.« Sie überlegte kurz. »Er wird bei meinem Schmuck liegen«, sagte sie nachlässig.
Es war dieser sorglos-nachlässige Ton, der ihm bitter aufstieß. »Du hast ihn getragen, als du weggefahren bist«, sagte er streng.
»Ah bon?« Sie schien betroffen.
»Hör mal Nicki, ich will nicht kleinlich sein, aber dieser Ring hat ein kleines Vermögen gekostet, es täte mir weh, wenn du ihn schon verloren hättest.«
»Aber wieso soll ich ihn denn verloren haben?«
Er zuckte mit den Schultern.
Sie sprang auf und lief ins Schlafzimmer. Er hörte, wie sie in einer Schublade herumwühlte. »Das gibt’s doch gar nicht«, schimpfte sie vor sich hin. Sie war nun im Badezimmer und öffnete Schubladen, Kisten und Körbchen und suchte immer nervöser werdend in allen Behältnissen, in denen sie ihren Schmuck abzulegen pflegte. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie, als sie wieder in den Salon kam.
»Ich sage dir, du hast ihn getragen, als du aus dem Haus gegangen bist. Vielleicht ist er in deiner Tasche?«, fragte er und machte einen Schritt darauf zu.
»Ach was!« Sie war schneller als er und begann unruhig in ihrer Basttasche zu suchen.
»Und?«
»Und! Und!«, gab sie gereizt zurück.
»Hast du den Ring?« Seine Stimme bekam etwas Inquisitorisches.
Sie antwortete nicht. »Gib her!« Wütend riss er ihr die Tasche aus der Hand und leerte sie unsanft auf dem gläsernen Couchtisch aus. Sie schrie auf. Es klirrte und klimperte, Geldstücke, Steinchen und Muscheln fielen auf den Tisch, und manches kullerte auf den Steinboden. »Du zerkratzt den Tisch!«, schimpfte sie empört und sammelte ein paar Münzen auf. »Und meine Halskette!« Sie griff nach einer grünen mehrreihigen Glasperlenkette, die ebenfalls auf den Boden gefallen war. Sie prüfte, ob die Perlen gesprungen waren.
»Ach, um dieses billige Ding machst du dir Sorgen.« Er konnte sich eine gewisse Bitterkeit nicht verkneifen und betrachtete das Sammelsurium auf dem Tisch.
»Was hast du alles für Zeug dabei für einen Nachmittag bei einer Freundin«, schüttelte er verständnislos den Kopf und besah, was auf dem Tisch lag: ihre Schlüssel, eine Bürste, Lippenstift, eine Puderdose, ein Eau de Toilette, ein Wasserspray, ihr Portemonnaie, das beinahe so groß war wie eine Handtasche, Papiertaschentücher, Parkhaustickets, Geldstücke, Kugelschreiber, ein kleines Notizheft, Kaugummi, Zuckertütchen und ihr Handy. Sie griff danach und legte es neben sich auf den Sessel. Er zeigte auf die Parkhaustickets und sah sie streng an. »Warst du noch woanders? In der Stadt? Hast du etwas gekauft?«
»Ich war nirgendwo«, sagte sie aggressiv und riss die Tickets in kleine Fetzen. »Die sind von irgendwann, was weiß ich. Ich räume nicht immer alles aus.« Er öffnete ihr Portemonnaie und blätterte durch das Notizheftchen. »Jetzt übertreibst du aber.« Sie klang genervt.
»Hör zu, Nicki, der Ring war wirklich teuer, es tut mir leid, das wiederholen zu müssen, aber wenn du ihn verloren hast oder wenn er dir gestohlen wurde, dann sollten wir zur Polizei gehen. Je eher, desto besser. Wenn du in der Stadt warst oder am Strand oder sonst wo, dann solltest du es mir jetzt sagen, verstehst du?«
»Ich war bei Michou!«, erklärte sie trotzig, nahm ihm das Notizheft aus der Hand und begann ihre Sachen wieder in die Tasche zu räumen. »Vermutlich habe ich ihn bei ihr vergessen. Das Blöde mit solchen Ringen ist, dass man sie zum Händewaschen immer ausziehen muss«, rechtfertigte sie sich. »Ich habe ihn wohl bei ihr im Badezimmer ausgezogen, und da liegt er jetzt noch.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Dann rufen wir sie an, damit wir sicher sind.« Er stand auf und näherte sich dem Telefon. »Hast du ihre Nummer?«
Sie nahm ihr Mobiltelefon. »Ich schicke ihr eine SMS«, sagte sie in leicht gequältem Ton.
»SMS, Mails, das geht mir auf die Nerven, euer ewiges Herumgetippe auf diesen Dingern«, polterte er. »Ruf sie an!« Es war ein Befehl.
Sie schnaufte genervt und scrollte ihre Kontakte durch. Sie klickte eine Nummer an und lauschte dann in das Telefon. Er sah sie ungeduldig an. »Und?«
»Anrufbeantworter.«
»Anrufbeantworter! Noch schöner! Immer und überall erreichbar sein wollen und dann das Mobiltelefon ausschalten! Wo immer ich heutzutage anrufe, stoße ich auf Anrufbeantworter«, ereiferte er sich. »Ich verstehe das nicht. Entweder ich habe ein Handy, dann bin ich erreichbar verdammt noch mal, oder ich habe keins.«
Sie stöhnte auf und verdrehte die Augen.
»Ja, stöhn du nur! Was machen wir jetzt?« Er war aggressiv.
»Was weiß ich«, sagte sie ausweichend. »Ich rufe später noch mal an. Oder morgen.«
»Morgen!«, polterte er los. »Du bist wirklich ein Herzchen. Und wenn man dir den Ring gestohlen hat? Dann gehst du auch erst morgen gemütlich zur Polizei oder was?«
»Chéri bitte! Ich bin sicher, er wurde mir nicht gestohlen. Ich habe den Ring bestimmt bei Michou vergessen.«
»Dann fahr hin! Und hol ihn. Damit wir das Thema beenden können. Ach was, ich fahre hin!«, entschied er. »Dich scheint es ja nicht besonders zu interessieren.«
»Doch! Nein!«, rief sie und sprang auf. »Natürlich interessiert es mich.« Sie ergriff ihre Tasche. »Du hast vollkommen recht. Ich fahre noch mal hin. Jetzt gleich«, lenkte sie ein. Sie schien erleichtert, seiner Aggression einen Moment entgehen zu können.
»Na gut«, knurrte er und lief ruhelos auf und ab. »Los, los!«, herrschte er sie an, als sie zögerte. »Was stehst du noch herum?! Soll ich vielleicht mitkommen?«
»Nein!«, schrie sie. Erschrocken über ihre eigene, heftige Reaktion fügte sie ruhiger hinzu: »Bitte, bleib hier. Es nervt mich, wenn du so aggressiv bist. Wir werden uns nur streiten unterwegs, das muss nicht sein. Ich fahre zu Michou, suche diesen bescheuerten Ring und komme umgehend wieder, o.k.?«
»Bescheuert ist er, ja? Danke schön auch, weißt du, was er gekostet hat, dieser bescheuerte Ring, den du so unbedingt haben wolltest?«
»Oh nein, entschuldige, ich meine das nicht so. Ich meine nur, weil wir uns deswegen so streiten …«, beschwichtigte sie und änderte die Taktik. »Chéri! Das ist es nicht wert, oder?« Sie umschmeichelte ihn, legte die Arme um seinen Hals und gab ihm viele kleine Küsschen.
Er löste ihre Arme und schubste sie von sich. »Jaja. Es ist ja nicht dein Geld«, schimpfte er. »Los jetzt!«, sagte er grob. »Geh schon!«
»Bin schon weg. Bis gleich!« Sie schlüpfte in ihre Sandalen. »Ich beeile mich! Und versuche dich zu beruhigen, bitte!«, rief sie noch über die Schulter zurück. Geradezu erleichtert wirkte sie, als sie zum Auto eilte. Oder bildete er sich das nur ein? Er beobachtete sie von der Terrasse aus. Der Motor des kleinen Coupés jaulte kurz auf, und es spritzte Steinchen, als sie auf dem Kies ungeschickt wendete. Vor und zurück, vor und zurück. Er schüttelte den Kopf. Glücklicherweise saß er nicht mit im Wagen. Autofahren konnte sie nicht. Er wartete, bis das große Tor wieder geschlossen war, dann trat er mit dem Fuß gegen den Liegestuhl und stieß bei jedem Tritt einen Fluch aus. »Salope! Miststück! Schlampe! Putain parisienne!« Warum hatte er auch ausgerechnet auf eine dieser Pariserinnen hereinfallen müssen? Alle hatten ihn gewarnt. »Sie ist zu jung! Sie ist nicht von hier!«, hatte seine Mutter sich ereifert, die, wenn überhaupt, lieber eine italienische Schwiegertochter gehabt hätte. »Warum musst du überhaupt noch einmal heiraten?«, fragte sie verständnislos. »Reicht dir deine Familie nicht? Deine Kinder? Wir sind doch alle da für dich! Ich bin da!« Und als er sie nur belächelte, kam sie ihm mit seiner ersten Frau. »Und Elisabetta, Gott hab sie selig, dreht sich im Grab herum, wenn sie dich sieht mit dieser kleinen …«, sie ließ das böse Wort aus, »die ihren Platz eingenommen hat! Willst du, dass sie im Himmel weint? Was sollen deine Kinder denken, wenn du ihre Mutter durch dieses junge Ding ersetzt? Sie ist kaum älter als Giorgio!« »Maman! Hör auf!«, blaffte er. Was sollte er seiner Mutter von Liebe und Leidenschaft erzählen, die beides vermutlich nicht kennengelernt hatte? Liebe! Man hatte sie mit einem entfernten Cousin verheiratet, als sie gerade sechzehn war. Ob sie den gewollt hatte, ob sie vielleicht etwas ganz anderes gewollt hätte in ihrem Leben, das hatte man sie nicht gefragt. Er hatte Elisabetta auch nicht wirklich geliebt, das wusste er heute. Aber was wusste man schon mit zwanzig Jahren? Elisabetta war hübsch, sie stammte wie er aus einer ursprünglich italienischen Familie, und es gab keinen Grund, sie nicht zu heiraten. Sie war eine gute und willige Ehefrau gewesen, eine hingebungsvolle Mutter für ihre beiden ersten Kinder, dass sie kurz nach der Geburt ihres Nachzüglers an einer Infektion verstorben war, hatte er lange nicht verwunden. Aber das, was er für Nicki empfand, hatte damit nicht das Geringste zu tun. Es war, als sei er mit Nicki überhaupt erst lebendig geworden. Sie sprach etwas in ihm an, von dem er bis dahin nicht gewusst hatte, dass es existierte. »Sie hat mich geweckt, aufgeweckt, erweckt«, versuchte er hin und wieder zu erklären. Pathetisch sei er, sagte man ihm achselzuckend. »Deswegen musst du sie aber doch nicht heiraten!«, rieten ihm auch seine Freunde. »Leb dein erwecktes Leben, amüsier’ dich mit ihr. Dagegen hat ja niemand etwas. Aber warum heiraten?!«
Er konnte ihnen nicht verständlich machen, weshalb er aus Nicki unbedingt Madame Cosenza machen wollte. Er wollte Nicki behalten, er wollte nicht nur eine Sommeraffäre mit ihr haben, er wollte sie für immer an seiner Seite. Basta. Drei Jahre war das nun her. Drei Jahre. War er glücklich mit ihr? Im Augenblick spürte er nur Wut und Schmerz.
Er nahm den Hörer des Festnetztelefons ab und rief seinen Freund Alain an.
»Hallo?«, meldete sich eine Stimme.
»Wer ist am Apparat?«, rief Cosenza.
»Das frage ich Sie!«, knurrte die Stimme.
»Oh! Alain, bist du es? Hier ist Louis. Verzeih, ich habe mich wohl mit der Nummer vertan, ich habe deine Stimme nicht erkannt.«
»Ah Louis, wie geht’s?«
Kurz plauderten die beiden Freunde über dies und das und versprachen sich gegenseitig, sich bald mal wieder zum Essen einzuladen. Nach den Grüßen, die man der jeweiligen Gattin zukommen ließ, legte Alain auf. Cosenza aber unterbrach die Verbindung nicht, sondern legte das Telefon neben das Netzteil. Er stellte sein Smartphone stumm, warf es lässig auf einen Sessel und verließ das Haus durch die Garage, wo er im Vorübergehen ein paar Einweghandschuhe und einen Cutter einsteckte. Dann fuhr er den unauffälligen kleinen Lancia aus der Garage und machte sich ohne Hast ebenfalls auf den Weg Richtung Innenstadt. Nicki fuhr einen sportlichen offenen Mini-Roadster, nahm die enge kurvenreiche Strecke aber immer langsam, viel zu langsam für seinen Geschmack, sie erschrak und bremste bei jedem Auto, das ihr entgegenkam. Von oben sah er den kleinen weißen Wagen, wie er vor einer Kurve verlangsamte und beinahe zum Stehen kam, um einen Kleinbus passieren zu lassen. Er beschleunigte, und bald sah er sie vor sich fahren. Mit einer Hand hielt er das Lenkrad, mit der anderen öffnete er das Handschuhfach und tastete darin herum. Zunächst stieß er auf ein Paket Zigaretten, das er herauszog und auf den Beifahrersitz warf, dann suchte er erneut mit der rechten Hand und fand sogleich die Waffe, die er »für alle Fälle«, wie er sagte, immer dabeihatte. Man wusste ja nie, was einen so erwartete. Und im Zweifelsfall musste man sich verteidigen können. Louis Cosenza war Geschäftsmann. Das war klar. Welcher Art seine Geschäfte waren, war weniger klar. Er interessierte sich für alles. Alles, was Geld und Renommee einbrachte zumindest. Schnelle Autos, Immobilien, schöne Frauen. Schon zu Schulzeiten hatte er ein kleines Business mit Mädchen und Waffen aufgezogen und war, nachdem er seine Schullaufbahn abgebrochen hatte, alsbald Besitzer eines maroden Spielclubs geworden, den er in kürzester Zeit auf Vordermann gebracht und zu einem angesagten Ort in Pokerkreisen gemacht hatte. Aus dieser Zeit besaß er auch noch immer einen Boxclub in einer der letzten proletarischen Ecken von Cannes. Heute gehörten ihm jedoch zusätzlich der schickste Nachtclub der Stadt und das Spielcasino am Palm Beach mit einem Gourmetrestaurant, dessen erstklassiger Koch im vergangenen Jahr einen Stern vom Gastronomiehimmel gekocht hatte. Alle Gastronomieführer schwärmten in höchsten Tönen von Luigi Ribieni, dem italienischen Starkoch in Cannes, der neben all den feinen Gaumenkitzeleien auch die beste Bouillabaisse an der Côte d’Azur machte. Eine Bouillabaisse ist ja nicht irgendeine Fischsuppe. Eine Bouillabaisse ist eine Bouillabaisse. Cosenza seufzte wohlig, als er sich an das letzte große Essen erinnerte, zu dem Luigi einen Kessel Bouillabaisse angesetzt hatte. Was war das für ein Gelage gewesen! Eine Bouillabaisse musste man mit guten Freunden essen. Mindestens acht, besser zwölf oder auch zwanzig. Sie hatten gegessen und getrunken, gesungen und gelacht bis in den Morgen. Es ging nichts über gute Freunde. Manche Dinge aber musste man alleine regeln. Cosenza warf einen Blick auf die Waffe in seiner Hand. Es war eine Beretta, die er von einem italienischen Kleinganoven übernommen hatte, nachdem dieser bei einem bedauerlichen Zwischenfall ums Leben gekommen war. Italiener oder nicht, man sollte nicht glauben, dass Cosenza sich von jedem hergelaufenen Itaker oder Rital, wie man sie hier nannte, ans Bein pissen ließ. Manchmal musste man durchgreifen, um zu zeigen, wer der Herr im Haus ist. Die Beretta hatte er jedenfalls behalten. Warum auch nicht. Das Geld aus dem Spielcasino und dem Nachtclub lockte allerhand Gesindel an. Er tastete weiter und stieß auf den kleinen Karton. Munition hatte er auch. Beruhigt schloss er das Fach und jonglierte eine Zigarette aus der Packung, zündete sie mit dem billigen Feuerzeug, das ebenfalls in der Packung steckte, an und zog intensiv daran. Es war wohl nicht der richtige Moment, das Rauchen aufzugeben.
Er folgte Nicki über den kurvigen Boulevard Beausoleil und blieb bis zum Boulevard Montfleury diskret hinter ihr. Später konnte er sich unbemerkt nähern. Die Stadt war im August voller Menschen und Autos. Einmal hatte er sie bei einer Ampelschaltung verloren. Er sah sie links abbiegen und fluchte. Warum war sie hier nicht geradeaus gefahren? Wieso der Schlenker nach links? Aber kurz darauf sah er sie auf der Schnellstraße wieder vor sich. Noch könnte sie an der nächsten Ampel nach rechts abbiegen, um zu Michou zu gelangen, die am oberen Boulevard Carnot in einem Apartmenthaus wohnte. Cosenza war angespannt. Nicki fuhr auf einer der mittleren Spuren. Der Stau vor der Ampel war lang. Zwei, wenn man Pech hatte standen sie sogar drei Ampelphasen hier herum. Er hasste es. Normalerweise würde er sich über alle Lücken bis nach vorne drängen, doch heute blieb er diskret, aber mit zusammengebissenen Zähnen ein paar Autolängen hinter dem kleinen weißen Coupé stehen. Was machte sie? Sie drehte den Kopf, machte den anderen Autos ein Handzeichen und fuhr bei der nächsten Gelegenheit auf eine der zwei rechten Spuren. Er seufzte vor Erleichterung und ließ sich entspannt in den Sitz fallen. Nicki würde nach rechts abbiegen. Gut so. In Gedanken leistete er schon Abbitte. Er würde sie zum Essen ausführen. An den Strand. Er mochte es nicht, im Sommer am Strand zu essen. Außerdem fand er, dass das Restaurant in seinem eigenen Casino weitaus die beste Küche in Cannes zu bieten hatte, aber Nicki mochte es, wenn die Restaurants die Tische auf den Strand platziert hatten und sie während des Essens die nackten Füße in den Sand wühlen konnte. Hin und wieder sprang sie auf, lief wie ein übermütiges Kind zum Meer und ließ sich die Wellen über die Füße plätschern. Eine Woge von Zärtlichkeit durchflutete ihn, als er daran dachte. Ach Nicki. Er überlegte kurz, war heute nicht sogar eines der Feuerwerke, das sie im Sommer jede Woche in die Luft böllerten? Mist, dann würden Krethi und Plethi unterwegs sein. Aber, na gut. Hin und wieder konnte er seine Frau ja auch mal so ausführen, wie sie es mochte. Die Ampel schaltete auf Grün, und Cosenza, der schon den rechten Blinker gesetzt hatte, gab Gas, um bei der Ampelschaltung mitzukommen. Aber was machte sie? Sie fuhr geradeaus. Porco Dio! Cosenza fluchte und setzte ihr nach. »Quelle Salope!«
Nicki fuhr geradeaus weiter und blinkte an der nächsten Kreuzung erneut rechts, dann links und fuhr wieder geradeaus. »Madonna!«, fluchte Cosenza. Machte sie das absichtlich? Wie eine Pariserin fuhr sie, dachte Cosenza wütend. Außerdem glaubte er zu erkennen, dass sie telefonierte. Das erklärte vielleicht ihre sinnlose Blinkerei. Am Ende der Schnellstraße bog Nicki nach links ab, und er beschleunigte noch einmal, um sie nicht zu verlieren. Sie blinkte immer noch links. Er ließ sich davon nicht mehr irritieren, aber dann war sie tatsächlich sofort wieder abgebogen und fuhr zügig das kleine hügelige Sträßchen hinauf und hinab. Auf den wenigen, für Anwohner reservierten Parkplätzen vor der Moulin Forville parkte sie mehr schlecht als recht in eine enge Lücke ein. Cosenza sah ihr Manöver von weitem und schnaufte. Glücklicherweise fuhr in dem Moment ein Lieferwagen von einem Anlieferparkplatz, und Cosenza stellte seinen Wagen ab. Er blieb im Auto sitzen. Als er Nicki in die schmale Straße Richtung Suquet verschwinden sah, stieg er eilig aus und näherte sich ihrem offenen Wagen: Er beugte sich tief hinein und zog an der Verriegelung für die Motorhaube. Klack. Er öffnete die Motorhaube und schnitt rasch mit dem Cutter den Benzinschlauch an. Zweimal musste er mit der Klinge darüberfahren, bis der harte Plastikschlauch zu etwa zwei Dritteln eingeschnitten war. Er ließ die Motorhaube wieder vorsichtig zufallen. Eine Sache von Sekunden. Dann folgte er Nicki. Klipp-klapp machten ihre Sandalen auf dem Straßenpflaster, und er sah sie gerade noch leichtfüßig rechts die Stufen zum Suquet hinauflaufen. Er legte einen Schritt zu, nahm zwei Stufen auf einmal und geriet am Ende der Treppe mitten in eine ausgelassene und laute amerikanische Touristengruppe. »Merde«, fluchte er. Grob und ohne ein Wort der Entschuldigung schob er die Amerikaner auseinander. Für Höflichkeiten hatte Louis Cosenza keine Zeit und keinen Sinn. Wo war Nicki? Menschen kamen von oben das steile Sträßchen herabgelaufen, andere stiegen schnaufend von unten hinauf, dazwischen standen die rabatteurs, die Anwerber, die einen in die Restaurants quatschen wollten, und die Kellner auf den winzigen Restaurantterrassen. Alle umwarben wortreich und lächelnd die potenziellen Gäste. Nicki aber war verschwunden. Vergeblich suchte er ihr grünes Kleid zwischen den Touristen und lief, einer Eingebung folgend, die schräg gegenüberliegenden Stufen hinauf. Im Suquet war er zu Hause. Er kannte jede Stufe, jeden Stein. Seine Eltern hatten sich, als sie in den sechziger Jahren nach Cannes gekommen waren, hier angesiedelt. Die Franzosen, die es sich leisten konnten, waren aus den engen, dunklen Sträßchen und den mitunter feuchten Häusern in andere, hellere und luftigere Viertel von Cannes abgewandert und ließen den schäbigen Altstadthügel den Italienern, die damals scharenweise aus dem Piemont einwanderten. Mit seinen Freunden hatten sie die Altstadt unsicher gemacht. Les Ritals, wie man sie abfällig nannte, die Bande der Italiener, war der Schrecken des Suquets gewesen. Keine Katze, keine Taube und kein dösender Hund waren von ihnen sicher. In diesem Gässchen hatte Mademoiselle Mimi gewohnt. Mit Steinschleudern hatten sie nicht nur die Tauben von ihrem Dach vertrieben, sondern auch regelmäßig ihre Unterwäsche von der Leine vor dem Fenster geschossen, die diese, zur Empörung aller Frauen, dort aufgehängt hatte. Sie steckten ihre Nasen in die gelblichen Spitzen der Slips und Büstenhalter und atmeten den Duft des Waschmittels und ihres penetranten Parfüms ein. Später klingelten sie an der Tür von Mademoiselle Mimi, die ihnen stets rauchend und im leicht klaffenden Morgenmantel öffnete, und sie überreichten ihr in einer Mischung aus verlegenem und dreistem Grinsen die Unterwäsche. »Ist runtergefallen«, behaupteten sie mit aufgerissenen Augen, und je nach Laune verjagte sie die Jungs schimpfend oder verharrte einen Moment in der offenen Tür. Feixend und erregt drängten sich die Jungs im Treppenhaus, um so lange wie möglich den Blick auf den rundlichen Frauenkörper auszukosten. Abends im Bett und leise stöhnend löste sich die Anspannung. All die Bilder stiegen aus seinem Gedächtnis auf, als er die vielen Stufen der Rue Panisse hinaufeilte, die auf das kleine Plätzchen am Ende der Rue Coste Corail führte. Und hier entdeckte er auch Nicki wieder. Er atmete auf. In dem engen Sträßchen wartete sie vor einem der schmalen hohen Häuser. Es summte, die Tür öffnete sich mit einem klack, und Nicki verschwand dahinter. Mit zwei Sätzen war er an der langsam zuschwingenden Tür und beeilte sich, sie aufzuhalten. Sein Herz klopfte stark. Er wartete einen Moment. Vorsichtig schob er die Tür auf, schlüpfte hinein und lehnte sich schwer atmend und verschwitzt im kühlen dunklen Eingangsbereich gegen die Briefkästen. Dort lauschte er dem Klipp-Klapp der Sandalen auf den Steinstufen. Drei Stockwerke hatte das Haus. Nach seiner Schätzung lief sie bis zum obersten Stock. Eine Klingel schrillte durch das Treppenhaus. Eine Tür öffnete sich, er hörte Nicki und eine Männerstimme, konnte aber nicht verstehen, was sie sprachen. Die Tür schloss sich, und es war wieder still im Treppenhaus. Langsam und leise schnaufend stieg er die Stufen hinauf. Er erinnerte sich, hier hatte zu seiner Zeit die Familie Tommassini gewohnt, zu fünft in zwei Zimmern, darüber, wie hießen sie noch, Signore Cordi mit seiner Frau und der kleinen Lina. Und im Erdgeschoss die Witwe Brun, die nicht aufhörte, sich über den Lärm, den die Italiener machten, zu beschweren. Damals war der Verputz des Treppenhauses grau und fleckig gewesen, teilweise abgeblättert, und es hatte immer ein wenig eigentümlich gerochen. Heute sah es hier neu und edel aus, und es roch nach gar nichts, weder nach Essen noch nach Wäsche. Im Treppenhaus hatte man die einfachen, sechseckigen roten Tomettes gegen die wieder schick gewordenen gemusterten Zementkacheln getauscht, um einen traditionellen französischen Stil zu erhalten. In jedem Stockwerk gab es nur einen Eingang. Es war still hinter den dunklen Holztüren. Nur im dritten Stock hörte er Stimmen. Kurz blieb er stehen und lauschte. Das Treppenhaus führte noch eine Etage höher, er glitt die letzten Stufen hinauf und fand sich vor einer alten grauen Metalltür wieder. Der Dachboden befand sich dahinter, und von dort konnte man mit etwas Geschick aus einem Fenster aufs Dach steigen, wie er sich erinnerte. Vorsichtig drückte er die Türklinke herunter. Verschlossen. Natürlich. Heute ließen sie einen nicht mehr so einfach auf die Dächer steigen. Er schüttelte die alten Erinnerungen ab und überlegte angestrengt, was er nun tun sollte. Er wusste, was er anderen in einer vergleichbaren Situation raten würde. Er wusste, was die Männer in seiner Familie ihm raten würden. Es gab nur eine Antwort. Deine Frau betrügt dich? Töte sie! Oder du tötest den Liebhaber! Am besten tötest du beide! Es gab keine Alternative. Die Vorstellung, dass Nicki in ihrem Blut auf dem Boden lag und es sie nicht mehr geben sollte, war ihm so unerträglich, dass sich sein Herz zusammenkrampfte. War er feige, wenn er Nicki nicht töten wollte? Sein Leben ohne sie zu verbringen, schien ihm unvorstellbar. Sinnlos gar. Lieber hätte er Nicki, die einmal untreu gewesen war, als keine Nicki. Er würde sie schon zur Vernunft bringen. Sie sollten ein Kind zusammen bekommen! Der Gedanke schoss ihm durch den Kopf und setzte sich fest. Einen Sohn. Oder eine Tochter? Ein Mädchen, genauso liebreizend wie Nicki! Ihm wurde ganz warm ums Herz. Sie sollten ein Kind machen. Er war sicher, dass es genau das war, was Nicki fehlte, in ihrem bislang nur auf Luxus und Geldausgeben fixierten Leben. Ein Kind. Genau. Dem Leben Sinn geben. Er hörte, wie sich die Tür unten öffnete, und drückte sich gegen die Metalltür. Er tastete nach der Beretta. Jetzt wäre der Moment. Er müsste nur einen Schritt machen, dann könnte er sie beide …
»Ich verstehe das nicht«, hörte er Nicki sagen. Ihre Stimme klang aufgeregt und nervös.
»Ich habe dir gesagt, dass er nicht hier ist«, sagte die Männerstimme.
»Aber vorhin hatte ich ihn doch noch«, quengelte sie.
»Hm«, machte er. »Kann mich nicht erinnern. Vielleicht hast du dich getäuscht, und er liegt bei dir zu Hause. Hast du da überhaupt gesucht?«
»Ja, schon …«, sie schien zu überlegen. »Louis war plötzlich so unangenehm, dass ich nur schnell wegwollte, und dass ich den Ring bei dir vergessen habe, schien mir plötzlich die logischste Erklärung.«
Louis Cosenzas Herz krampfte sich zusammen.
»Meinst du, er ahnt etwas?«
Allerdings, dachte Cosenza grimmig.
»Was weiß ich«, sagte hingegen Nicki. »Vielleicht sollten wir uns ein paar Tage nicht sehen. Ich rufe dich an, wenn ich ihn habe.«
»Schick mir besser eine Nachricht.«
»Du hast recht. Bisou«, flötete sie.
»Bisou, ma belle«, sagte die Männerstimme rau.
Dieser Wichser, dachte Cosenza wütend und umklammerte die Beretta.
Die Tür wurde geschlossen, und Nicki klapperte mit ihren Sandalen durch das Treppenhaus nach unten. Er wartete, bis die Haustür ins Schloss gefallen war. Dann stieg er die Stufen zur dritten Etage hinunter, atmete vor der Tür einmal tief durch und drückte entschieden auf den Klingelknopf. Ein schriller Ton erklang.
»Noch was vergessen?« Der Mann riss die Tür auf. »Oh«, stieß er dann aus. In seinen Augen waren Schreck und Überraschung zu lesen. Cosenza musterte ihn. Er war jung, braun gebrannt, muskulös und bärtig. Alle waren heute bärtig, dachte Cosenza missmutig. Was für eine dämliche Mode. Der Mann trug eine Jeans und ein weißes Poloshirt. Seine blonden Haare waren nass oder gegelt, auf jeden Fall sah er im Unterschied zu Cosenza, der den Schweiß an sich herunterlaufen fühlte, frisch aus und jung. Entsetzlich jung. Was wollte sie mit so einem Kind?
»Bonjour, Louis Cosenza«, stellte sich Cosenza vor.
»Sehr erfreut«, antwortete der junge Mann in ironischem Ton. »Raphaël Picot.«
»Sie wissen, wer ich bin?«, forschte Cosenza.
»Sicher doch.« Der junge Mann grinste leicht. Er schien kein bisschen eingeschüchtert.
»Dann wissen Sie auch, weshalb ich gekommen bin?«
»Ich habe eine gewisse Vermutung.« Er grinste immer noch.
Cosenza, der dem jungen Mann gerne sofort eins in die Fresse gehauen hätte, damit ihm dieser ironische Ton und das Grinsen vergingen, riss sich zusammen. »Lassen Sie uns einen Moment in Ruhe unterhalten«, sagte er bemüht höflich. »Darf ich?« Er machte einen so entschiedenen Schritt, dass der junge Mann ihm die Tür freigab. »Bitte schön«, sagte er.
Cosenza sah sich um. Er stand in einem Wohnzimmer, es war hell und größer als er erwartet hatte, modern eingerichtet, wirkte jedoch ein bisschen leer und unpersönlich. Der Raum ging nach Osten und hatte eine große Fensterfront, davor einen Balkon mit Blick auf das Meer, die Stadt und den Hafen. Die Schiebetür zum Balkon stand offen. Von unten drangen die Geräusche der sommerlichen Stadt hinauf.
»Sie sind der Liebhaber meiner Frau!« War es eine Frage oder eine Feststellung, der junge Mann zumindest reagierte nur mit einem kurzen Zucken der Augenbraue.
»Ich werde Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn Sie erlauben.«
»Nur zu.« Die Coolness des jungen Mannes, der sich lässig an einen Schreibtisch lehnte, regte ihn auf. Er fühlte sich alt und schwerfällig in seinem Körper. »Warum fragen Sie nicht Nicki?«, setzte Raphaël Picot ein bisschen aufsässig hinzu.
Es versetzte Cosenza einen Stich, dass dieser Schnösel den Namen seiner Frau in den Mund nahm.
»Das werde ich. Keine Sorge. Wie lange kennen Sie sich?«, fragte er und fühlte sich im gleichen Augenblick entsetzlich altmodisch und lächerlich.
»Knapp drei Monate«, antwortete der junge Mann aber ohne Umschweife. »Ich habe sie am Strand kennengelernt. Ende Mai.«
»Am Strand Ende Mai«, wiederholte Cosenza dumm. So lange schon. Und er hatte nichts bemerkt.
»Ja, ich dachte, sie mache hier Ferien, und habe sie auf einen Cocktail eingeladen.«
In Cosenzas Kopf ballten sich die Gedanken zu dunklen Wolken. Sie ließ sich einfach so ansprechen und einladen.
»Sie schien sich zu langweilen.«
Das war eine Unverschämtheit. Als würde er sich nicht ausreichend um sie kümmern.
»Und wie stellen Sie sich das weiterhin mit ihr vor?« Lächerlich machte er sich. Lächerlich.
Der junge Mann lachte auf. »Sehen wir mal.«
»Lieben Sie sie?«
»Liebe!« Der junge Mann lachte erneut. »Große Worte.« Er strich sich durch seine feuchten oder gegelten Haare. »Ja«, sagte er dann plötzlich ernsthaft. »Wenn Sie es wirklich wissen wollen, ja, ich liebe sie. Erst war es nur ein Flirt, eine Sommeraffäre, dachte ich, aber unsere Beziehung hat sich verändert. Ich denke, wenn sie sich von Ihnen getrennt hat, werden wir zusammenziehen.«
Cosenza glaubte, nicht richtig zu hören.
»Wie kommen Sie darauf, dass Nicki sich von mir trennen könnte?«
»Fragen Sie sie.«
Cosenza schnappte nach Luft. »Was machen Sie beruflich?«, setzte er seine Befragung bemüht ruhig fort.
»Was tut das zur Sache?« Raphaël Picot sah ihn beinahe provokant an. »Ich bin Fischer«, sagte er dann mit einem gewissen Stolz.
»Fischer?« Cosenza blieb der Mund offen stehen. »Sie meinen, richtig Fischer? Sie fangen Fische?«
Nun wirkte der junge Mann verletzt. »Ja«, sagte er ruppig. »Was dagegen? Ich verdiene mein Geld mit meiner Hände Arbeit. Ehrliche Arbeit«, fügte er hinzu. »Ich bin selbständig. Mir gehört eines der Boote im Hafen.« Er machte einen Schritt zum Balkon und deutete Richtung Hafenbecken.
»Ein Fischer«, wiederholte Cosenza noch einmal. Dann lachte er spöttisch. »Und mit dem Erlös von drei Sardinen glauben Sie, dass Sie eine Frau wie Nicki halten können?«