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Das Versorgungs- und Wassernetz von Berlin wurde in relativ kurzer Zeit geschaffen und gehörte Ende des 19. Jahrhunderts zu den modernsten der Welt. Der Journalist Hanns von Spielberg besuchte 1884 diese Stadt unter der Stadt.
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Herausgegeben von Ronald Hoppeedition.epilog.de
Für diese Ausgabe wurden die Originaltexte in die aktuelle Rechtschreibung umgesetzt und behutsam redigiert. Längenangaben und andere Maße wurden gegebenenfalls in das metrische System umgerechnet.
Von Hanns von Spielberg
Zu dem Werdeprozess jeder modernen Großstadt gehört unbedingt die ›Buddelei‹. Es ist ein recht unschönes Wort, mit welchem ich da meinen Artikel eröffne, aber es ist wie überhaupt die größte Zahl der von Berlinern für Berliner (und solche, die es werden wollen) geschaffenen Ausdrücke gerade für die Verhältnisse unserer Reichshauptstadt äußerst charakteristisch. Wenn man von dem unterirdischen Rom oder selbst Paris spricht, so verbindet sich damit zunächst die Vorstellung von altersgrauen, ehrwürdigen Katakomben – bei dem unterirdischen Berlin liegen die Verhältnisse ganz anders: hier ist alles modern, mit den Mitteln der neuesten Technik hergestellt, aus kleinen ausnahmslos noch in unserem Jahrhundert liegenden Anfängen überraschend schnell zum großartigen Ganzen zusammengewachsen. Unvermeidlich war es, dass gerade das rapide Entstehen der Berliner Unterwelt sehr häufig mit den augenblicklichen und nicht selten etwas kurzsichtig beurteilten Interessen der Bevölkerung und ihres Verkehrs zusammenstieß; die Vergrößerung der Stadt ist besonders in den letzten zwei Jahrzehnten so unvorhergesehen mächtig gewesen, dass die Mehrzahl der Neuanlagen ursprünglich in zu kleinem Maßstab entworfen war. Das überraschende Anschwellen der Einwohnerzahl, die erhöhten Ansprüche des Verkehrslebens, die erst in unserer Zeit voll gewürdigten Forderungen der Hygiene bedingten dann nicht nur eine enorme Belastung des städtischen Budgets, sie griffen in ihren unvermeidlichen Folgerungen auch häufig empfindlich in die Bequemlichkeit des täglichen Lebens ein. Es liegt daher in dem Ausdruck ›Buddelei‹ ein gut Teil freilich nicht bösartig, sondern mehr humoristisch gemeinter Entrüstung. Wer es mit durchgemacht hat, wie die Straßen Berlins fortwährend durchwühlt wurden, wie bald die Telegrafie, bald die Kanalisation, die Rohrpost, die Wasserleitungen, die Gasanlagen – von den ewig wechselnden Pflasterarbeiten und der Pferdebahn ganz zu schweigen – immer aufs neue Spaten und Hacke ansetzten, wie ganze Straßenzüge wochenlang gesperrt werden mussten, der wird die leisen Seufzer des Spreeatheners verstehen, mit dem er dies Werden seiner geliebten Metropole verfolgte.
In der Tat ist aber in verhältnismäßig kurzer Zeit Großes geschaffen worden, das unterirdische Berlin stellt sich dem oberirdischen würdig zur Seite. Ist auch im einzelnen noch vieles unvollendet und manches verbesserungsfähig, und welches Werk von Menschenhand wäre dies nicht, so hat sich das Ganze doch allmählich in einen fest geordneten Plan einfügen lassen, der den mannigfachen Bedürfnissen einer Millionenstadt entspricht und der dabei noch Raum für deren weitere Entwickelung bietet. Wir sind im allgemeinen geneigt, die Leistungen des im Schoss der Erde verborgenen komplizierten Mechanismus als etwas Selbstverständliches hinzunehmen und machen uns nur selten eine Vorstellung von der Summe von Arbeit und Erfindungsgeist, die in seiner Herstellung entwickelt wurde, die seine Unterhaltung noch täglich erheischt – vielleicht gelingt es meinem kleinen Artikel wenigstens umrissweise ein richtigeres Bild von ihm zu geben, und seine Beziehungen zu dem täglichen Leben klarzustellen.
Der beigegebene Querschnitt einer Straße ist absichtlich so gewählt, dass die einzelnen Kanäle und Röhren, Brunnen und Leitungen möglichst übersichtlich zur Darstellung kommen, er soll ein klares, allgemeinverständliches Bild geben. Derartige relativ einfache Verhältnisse finden sich jedoch keineswegs überall,·die verwickelten Kreuzungen, die zahllosen Abzweigungen, die Über- und Unterführungen, wie sie besonders an den Straßenecken zur Erscheinung kommen, würden sich ohne umfangreiche technische Details aber kaum bildlich darstellen lassen, ja man begreift oft kaum, wie alle die einzelnen Elemente, ohne zu kollidieren überhaupt in dem engen Raum von Hauswand zu Hauswand Platz finden konnten.
Querschnitt einer Straße des unterirdischen Berlins. • A. Gemauerter Entwässerungskanal mit Einsteigebrunnen. | A’. Straßenentwässerungs-Tonrohrleitung. | A’’. Straßengully. | a. Hausentwässerungsleitung mit Hausinspektionskasten. | a’. Regenrohrleitung von einem Schieferdach. | a’’. Verbindungsleitung. | B. Straßenwasserleitung. | B’. Straßenhydrant. | b. Zweigleitungen für den Wasserzufluss in die Häuser mit Hauptabsperrhahn und Wassermesser. | C. Straßengasrohrleitung mit Zweigleitung für die Häuser und die Straßenkandelaber. | c. Hausgasrohrleitung mit Hauptabsperrhahn und Gasmesser. | D. Rohrpostleitung. | E. Unterirdische Telegrafenleitung mit Einsteigebrunnen. | F. Straßenröhrenbrunnen. | G. Granitpflaster mit Steinschlagunterbettung. | H. Asphaltpflaster mit Betonunterbettung. | J. Kellerausgussbecken mit Wasserleitung und Anschluss an die Kanalisation.
Im Wesentlichen lassen sich zwei Kategorien von Leitungen unterscheiden: diejenigen, welche dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind und fast ausschließlich unter der Aufsicht der Post und Telegrafie stehen, und diejenigen, welche dem Wohlbefinden und der Bequemlichkeit der Bevölkerung im engeren Sinne dienen und meist städtisches Eigentum sind. Zu den Ersteren zählen die zahlreichen Telegrafenkabel und die Rohrpost, zu den Letzteren die Anlagen für Gas- und Wasserversorgung, sowie für die Kanalisation wo irgend möglich, sind nur die Kanäle für diese unter dem eigentlichen Straßenpflaster angeordnet, während die Gas- und Wasserröhren und meist auch die Kabel sich unterhalb der Trottoirs, also in möglichster Nähe der Häuser selbst entlang ziehen.