Das Verlangen des Piraten - Das Lied der Liebe: Band 1 - Valerie Sherwood - E-Book
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Das Verlangen des Piraten - Das Lied der Liebe: Band 1 E-Book

Valerie Sherwood

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Beschreibung

Diese Lady mag es stürmisch: Der historische Liebesroman „Das Verlangen des Piraten“ von Valerie Sherwood jetzt als eBook bei dotbooks. Virginia, 1688. Die junge Carolina weiß genau, was sie sich im Leben wünscht: Sir Thomas, ihren heimlichen Verlobten, der in England auf sie wartet. Ihre Eltern haben jedoch eine ganz andere Partie für sie im Sinn, und so muss Carolina, als Dienstmädchen verkleidet, heimlich nach Europa fliehen. Die Überfahrt hält jedoch mehr als eine Überraschung für die eigensinnige Lady bereit und plötzlich findet sie sich als Geisel des berühmt-berüchtigten Piratenkapitäns Kells wieder. Der raue, attraktive Mann weckt ein Feuer in Carolina, von dem sie nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Aber da ist auch noch Sir Thomas … Hin und her gerissen zwischen zwei Männern, trifft Carolina eine waghalsige Entscheidung. Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Das Verlangen des Piraten“ von Valerie Sherwood – die perfekte Romanze für Fans von Patricia Grasso, Susan King und May McGoldrick. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 647

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Über dieses Buch:

Virginia, 1688. Die junge Carolina weiß genau, was sie sich im Leben wünscht: Sir Thomas, ihren heimlichen Verlobten, der in England auf sie wartet. Ihre Eltern haben jedoch eine ganz andere Partie für sie im Sinn, und so muss Carolina, als Dienstmädchen verkleidet, heimlich nach Europa fliehen. Die Überfahrt hält jedoch mehr als eine Überraschung für die eigensinnige Lady bereit und plötzlich findet sie sich als Geisel des berühmt-berüchtigten Piratenkapitäns Kells wieder. Der raue, attraktive Mann weckt ein Feuer in Carolina, von dem sie nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Aber da ist auch noch Sir Thomas … Hin und her gerissen zwischen zwei Männern, trifft Carolina eine waghalsige Entscheidung.

Über die Autorin:

Valerie Sherwood ist das Pseudonym, unter dem die US-amerikanische Autorin Jeanne Hines preisgekrönte historische Liebesromane veröffentlicht. Zuvor arbeitete sie als Journalistin und Illustratorin.

Bei dotbooks erscheinen auch:

Das Herz des Piraten

Die Braut des Piraten

***

eBook-Neuausgabe März 2018

Dieses Buch erschien bereits 1988 unter dem Titel Liebeslied bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1985 by Valerie Sherwood

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1985 unter dem Titel Lovesong bei Pocket Books.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1988 by Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a Division of Simon & Shcuster, Inc., New York.

Titelbildgestaltung: HildenDesign, München, unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: anetta; Susanitah

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 9783961483617

***

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Valerie Sherwood

Das Verlangen des Piraten

Roman

Aus dem Amerikanischen von Astrid Werner

dotbooks.

Diese Geschichte ist frei erfunden. Namen, Personen, Orte und Ereignisse sind Produkte schriftstellerischer Phantasie oder gebräuchliche Fiktionen. Jede Ähnlichkeit mit tatsächlichen Gegebenheiten oder Plätzen bzw. mit noch lebenden oder verstorbenen Personen ist rein zufällig.

Als Erinnerung an den wundervollen Fuzzy, unseren schönen englischen Langhaar-Tigerkater, der eines Tages über den steinernen Steg von Mutters Vorkriegswohnsitz »Sunset View« zu uns gekommen war und beschlossen hatte zu bleiben. Unvergessener Fuzzy, wie er gemächlich unsere große Treppe am Dragon's Lair mit erhobenem Schwanz herunterstolzierte oder dieselben großen Steinstufen hinaufstolperte, weil seine kuschelhaarigen Fellbeine mit den großen Pfoten viel zu kurz waren für bequemes Treppensteigen! Fuzzy, Philosoph und wunderbarer Reisebegleiter! Fuzzy, der nach einer Reise von mehreren hundert Meilen fest neben uns schlief und genau zwei Häuserblocks von zu Hause entfernt aufwachte und sich streckte! Für den charmanten Fuzzy, der sich mit dem Stadthaus und gar dem mauerumfriedeten Garten begnügte, obwohl er vielleicht auf den weiten Rasenflächen von Thorn Hill bei Charles Town am glücklichsten war. Fuzzy, dem Kavalier, der dem Tod so wacker ins Auge blickte, dem lieben unvergessenen Fuzzy, dem geliebten Kameraden vergangener Tage, soll dieses Buch von ganzem Herzen gewidmet sein.

Anmerkungen der Autorin

Obwohl diese Geschichte der unbeugsamen Carolina Lightfoot an der gefeierten Ostküste Virginias, ihr stürmisches Liebesabenteuer mit ihrem Seeräuber – und selbstverständlich auch alle Personen und Ereignisse des gesamten Romans, ausgenommen diese Zeilen hier – gänzlich meiner Phantasie entspringen, so habe ich doch versucht, ein genaues Bild der Epoche wiederzugeben, in der die junge Miss Lightfoot lebte – des ruhmreichen und aufregenden 17. Jahrhunderts.

Es sei, wie es sei, gewisse reizvolle Gegebenheiten entsprechen den Tatsachen:

Matelotage – eine Frau »auf Seemannsart« nehmen – war wirklich bei den Seeräubern Sitte.

Auch gab es die Hochzeitsbäume an der Grenze zwischen Virginia und Maryland tatsächlich – und liebestolle Ausreißerpärchen schlugen sich bis zur Grenze durch, geradewegs in die Hände der Geistlichen, die schon unter den Bäumen warteten. Ebenso galt ein Jahrhundert später durchgebrannten Liebenden in Schottland Gretna Green als Zufluchtsort.

Und die beachtenswerte Szene, in der Fielding Lightfoot und seine starrköpfige Frau Letty bei einer Ausfahrt mit der Kutsche heftig aneinandergeraten, hat sich nach Ostküstenmanier in der Tat so ereignet – doch war es in Wirklichkeit der vierte John Custis aus dem berühmten Hause Arlington, der die Kutsche lenkte.

Als erstes Zuhause für den stürmischen Lightfoot-Clan habe ich deshalb, meiner Geschichte angemessen, den historischen Wohnsitz der Alten Bucht der ersten Plantagen ausgewählt, ihn aber in Farview umbenannt.

Das schöne Level Green, das Fielding Lightfoot als »neues« Heim für seine Familie anschließend erbaute, werden Liebhaber alter Tidewater-Häuser bestimmt als das berühmte Rosewell, den Familiensitz jener Edelleute, wiedererkannt haben – das größte (und vielleicht auch das feinste) Haus in den ersten Tagen der Besiedlung Virginias.

Für das benachbarte Fairfield, später wieder Carter's Creek genannt, behielt ich in Zusammenhang mit dem Stadtort diesen Namen bei. Es war der Sitz der Burwells, die ebenso wie die Herren von Rosewell als Gouverneure und Vizegouverneure die Interessen Virginias vertraten.

Obwohl beide Landsitze, Rosewell und Fairfield, erst später als zu Zeiten meiner Geschichte entstanden sein mögen, so ergänzen sie doch meine Story auf bemerkenswerte Weise. Doch wählte ich sie noch aus einem anderen Grund – zu Ehren meines leiblichen Vetters, dem Edlen Nelson Welton, dem ich sehr zugetan war. Denn er ist ein direkter Abkömmling ebenjener Edlen von Rosewell und Burwell – sowie der Nelsons von Nelson House in Yorktown.

Sonderbarerweise konnte ich dann auch nicht widerstehen, Rosewell in Level Green umzubenennen, zum Andenken an jenes so liebenswerte Level Green in Hardy County (Nordvirginia), die Heimat meines Großvaters mütterlicherseits.

Auch Rosegill, der Ort, an dem meine Heldin ihre Flucht plant, ist authentisch. Das Landgut wurde 1650 errichtet. Ebenso wie Fairfield wird das Haus in meinem Roman von seinen tatsächlichen Eigentümern bewohnt, in diesem Fall von Ralph Wormeley; in seiner berühmten Bibliothek diskutieren meine Heldin und ihre Schwester über die Nachteile einer allgemein anerkannten Schönheit.

Vielleicht interessiert es manche Leser zu erfahren, daß Virginias Puppe, Nan White, derentwegen Carolina Seelenqualen aussteht, ein getreues Abbild von Letitia Penn II darstellt, einer Puppe, die man als »die älteste und berühmteste Puppe Amerikas« bezeichnet hat. (William Penn hatte sie seiner Tochter Letitia gekauft.)

Und jene zarte, kleine, zwanzig Zentimeter große Puppe mit Porzellanhänden und –füßen, bemaltem Kopf und schwarzen Haaren, die Tante Pet Carolina schenkte, ist eine naturgetreue Nachbildung jener damals »ältesten bekannten Puppe in Virginia«. Wenn auch vielleicht etwas weit hergeholt, so dachte ich doch, daß in dieser kleinen Puppe soviel Erinnerungen an jene Zeit stecken und sie darum für meine Geschichte geeignet schien.

Ich möchte noch auf die berühmten Verse verweisen, die Generationen englischer Schulkinder aufsagten, beginnend mit den Worten »oranges and lemons«, St. Clemens verkündend, denn beide Gotteshäuser, St. Clement Danes und St. Mary-le-Bow in Cheapside, sind sehr alt – lange vor Carolinas Zeit erbaut –, doch St. Martin und auch einige der ebenfalls erwähnten Kirchen sind möglicherweise späterer Herkunft. Wie dem auch sei, ich habe die Verse mit einbezogen, da ich sie für verlockend und passend hielt.

Was Carolinas Liebhaber, den Seeräuber, betrifft, so möchte ich bemerken, daß England heute seine westindischen Besitzungen der Unterstützung durch die Seeräuber verdankt. Sie bezahlten dafür mit ihrem Leben in den langen Kriegen mit Spanien um Schiffahrtsrechte in den westlichen Weltmeeren und Kolonisationsrechte in Amerika. Diese Männer hätten zu Recht den Namen Freibeuter verdient, denn Freibeuter waren sie – viele mit Genehmigung ihrer Regierungen, die meisten anderen ohne Zustimmung, doch nicht minder erfolgreich. Erbarmungslos hat man sie als politisches Werkzeug benutzt und ohne Gnade gehängt, nur um Spaniens Macht zu demonstrieren – doch handelte es sich auch um furchterregende Gestalten bei diesen Abtrünnigen aus so vielen Ländern.

Und just über einen solchen englischen Seeräuber und seine feurige Braut berichte ich hier. Und eins steht fest, wo immer ich historische Tatsachen über die Seeräuber finden konnte, bin ich den Hinweisen genau nachgegangen (und man weiß einiges über die Verträge, die sie vor ihren »Unternehmungen« schlossen, über ihre Großzügigkeit in der Versorgung invalider Kameraden, was sie zu Vorläufern und Vorbildern unserer heutigen Sozialversicherung machte, und über ihre Ritterlichkeit in bezug auf Frauen – die Damen ihrer spanischen Feinde eingeschlossen). Lückenhafte Ereignisse in der Geschichtsschreibung habe ich, notgedrungen, mit Hilfe meiner Phantasie ergänzt.

Meiner Ansicht nach darf man diese immer wieder verleumdeten Seeräuber, die ihre Festungen Tortuga und Port Royal mit großen Anstrengungen unterhielten, nicht mit Piraten verwechseln, die jedes vorübersegelnde schwächere Schiff kaperten. Diese Männer kämpften ohne offiziellen Rückhalt und ohne die Unterstützung durch Gewehre von Regierungsseite gegen die größte feindliche Macht jener Zeit – Spanien – und warfen sie zurück. Ich meine, ihnen gebührt Ehre.

Vielleicht gelingt es mir, in jenen Versen meine Empfindungen für die Seeräuber auszudrücken:

Wo versunkene Schätze langsam versanden, wo goldene Galeonen letzte Ruhe fanden, Hört man aus bleicher Düne und Korallen, der Möwe Schrei zum Monde hallen, Ob sie nun in seinem Schein die Segel hissen, die Nacht durchfahrn, wer kann das wissen? Laßt uns noch einmal die Gläser auf sie erheben, bevor wir unsere Zeche, ihre Schuld zusammenlegen, Ihre Fehler austreiben, ihre Sünden aufschreiben. Sie, die schon aussichtslos trotzdem den Kampf gewagt, haben sie jemals nach dem Preis gefragt? Glichen sie nicht ein Darniederliegen anschließend aus mit Siegen? Sind es denn zuviel der Ehrenriten, für all die Holländer, Franzosen, Briten, All die wilden Mannen, die sich anschickten, Spaniens Macht zu bannen? Nein, sage ich, drum fahrn wir fort und hier, nun an diesem Ort. Laßt die Geschichte weitergehn, die Rebellen und ihre Frauen wieder auferstehn!

Valerie Sherwood

VORWORT

Sommer 1688, die Insel Tortuga

Ab und an jagten dunkle Schatten über den Mond. Die Nachtluft der Karibik war voller Zauber. Der hagere Seeräuber trat auf sie zu.

»Kells«, warnte sie ihn, »gehen Sie zurück!«

Er hielt inne, und der blaßgoldene Mondschein, der durch das Schlafzimmerfenster fiel, zeichnete seine harten Gesichtszüge und seine auf sie gerichteten, schmalen grauen Augen nach. Er hatte eine stattliche Figur, schlank und dunkel, und trug ein bis zur Taille offenes weißes Hemd mit wallenden Ärmeln. Das Entermesser baumelte lässig an seinem Gürtel und schlug gegen seine hageren Schenkel, die in einer schwarzen, engen Hose steckten. Doch seine melancholische, von der Tropensonne tief gebräunte Erscheinung konnte sie nicht wieder beruhigen. »Und warum sollte ich nicht auch meinen Anteil bekommen, da Sie doch anderen Männern so ungehemmt Versprechungen machen?«

Sich an der Rückenlehne des Stuhls festklammernd, blickte sie ihn verwirrt an. »Wovon reden Sie? Ich habe nichts versprochen.«

»Was für Geschäfte machen Sie mit O'Rourke und Skull? Die haben eine Münze um Sie geworfen.«

Bei seinen Worten errötete sie heftig und antwortete hitzig: »Die haben die Münze nur geworfen, um herauszufinden, wer mich an den Ort bringt, an den ich will. Da Sie es offensichtlich nicht tun!« fügte sie bitter hinzu.

Er hatte noch einen Schritt auf sie zugemacht; sie hielt den Atem an. Auf seinem Gesicht lag Schatten, trotzdem konnte sie das Blitzen seiner kräftigen, weißen Zähne sehen, die er bei einem spöttischen Lächeln zeigte.

»Kells, Sie können mir nichts vorwerfen!« rief sie in plötzlicher Panik. »Die versprachen, mich an jeden Ort zu bringen, wohin auch immer ich wollte.«

»Versprachen, Sie an jeden Ort zu bringen ...«, murmelte er. »Und Sie haben ihnen geglaubt?«

Ihr Herz klopfte immer stärker in ihrer Brust. Nicht nur seine alles beherrschende Anwesenheit, sondern auch ein gefährlicher Unterton in seiner Stimme machte ihr angst.

»Sollte ich das nicht?« fragte sie trotzig.

»Sie waren mit einer matelotage einverstanden!« platzte er heraus. »Wissen Sie denn nicht, was das bedeutet?«

Die Wahrheit war, sie wußte es tatsächlich nicht, doch würde sie das niemals zugeben. »Natürlich weiß ich es.« Sie warf ihren blonden Lockenkopf zurück, und das Mondlicht verwandelte ihn in einen Wasserfall aus gesponnenem weißen Gold. »Es ist – oh, irgendein spanisches Wort, das ›Metall teilen‹ oder so ähnlich heißt. Ich hatte ihnen Gold versprochen –«

»Wessen Gold?« fiel er ein.

»Warum, Doña Hernandas natürlich!«

Sein Gesicht nahm einen ungläubigen Ausdruck an.

»Sie wird es noch nicht haben, doch kann sie es bekommen!« antwortete das Mädchen hastig, und ihr liebenswürdiges Gesicht blickte ihn widerspenstig an. »Und da mir beide helfen wollten, wollten sie wohl auch das Gold teilen – das Metall teilen, so nahm ich an«, fügte sie vorsichtig hinzu.

»Metall teilen ...«, murmelte er, und einen Moment lang dachte sie, er blicke amüsiert drein.

»Was ... also?« Ein Angstgefühl beschlich sie.

»Matelotage ist ein französisches Wort, Christabel, kein spanisches«, informierte er sie grimmig. »Matelotage ist ein alter Brauch unter Freibeutern, die lange auf eine Frau hatten verzichten müssen. Es bedeutet, eine Frau nach Art der Seefahrer zu nehmen. Zwei Freibeuter werfen eine Münze; einer wird die Frau heiraten, und der Verlierer darf sie nach der Zeremonie auch haben.«

Nun klingelte es in ihrem Kopf. O'Rourkes triumphierendes »Ich habe gewonnen!« fiel ihr wieder ein – und wie seine feurigen grünen Augen über ihren Körper geglitten waren.

Sie sah Kells benommen an. Großer Gott, und diese Freibeuter dachten nun, sie hätte einem von ihnen die Ehe versprochen? »Ich sehe, Sie haben es noch nicht ganz verstanden, Christabel«, fuhr er ziemlich kühl fort. »Wenn zwei Freibeuter dieselbe Frau begehren und diese Frau in die matelotage einwilligt – so wie Sie eingewilligt haben –, wird einer sie heiraten und bei ihr bleiben, solange der andere auf See ist. Dann kommt der andere Freibeuter zurück und nimmt den Platz des Ehemannes ein, so als wären sie nun Mann und Frau – bis der Ehemann wieder zurückkommt. Derjenige, mit dem sie nicht verheiratet ist, wird matelot genannt.«

Als ihr die volle Bedeutung dessen, in was sie sich verstrickt hatte, zu Bewußtsein kam, begannen ihre Knie weich zu werden. Sie hielt sich am Stuhl fest und starrte ihn entsetzt an. »O nein, das hatte ich nicht vor – oh, ich verstand doch nicht, ich –«

»Sie waren ganz versessen darauf, mit O'Rourke und Skull zu fliehen – und die haben nun vor, Sie zu teilen!«

Ihr Atem kam stoßweise. Ihre Finger krallten sich in die Stuhllehne. Sie hatte ihre Stimme kaum noch unter Kontrolle. »Und Sie, Kells, Sie können die beiden nicht daran hindern?«

Ein Muskel arbeitete oberhalb seiner harten Kinnlade einen Moment lang, als seine stahlgrauen Augen sie eingehend betrachteten. Sie meinte, ein klein wenig Weichheit im harten Glanz seiner Pupillen zu sehen, doch ahnte sie nichts von seiner inneren Aufgewühltheit. Als er endlich zu reden begann, wirkten seine Worte kühl. Sie empfand sie wie eine Ohrfeige.

»Sie werden sagen, daß Sie mir gehören?« Sein harter Blick musterte sie.

»Nein – nein, natürlich nicht!« Plötzlich wurde sie sich ihrer Nacktheit ganz schrecklich bewußt. »Ich –« Sie schluckte nervös. »Sie könnten behaupten, es wäre so!«

»Ich werde das nicht behaupten.« Seine Worte klangen, als schlüge Metall auf Stein. »Wenn ich Ihnen helfe, dann will ich absolut sicher sein, daß Sie mein Bett dem der beiden anderen vorziehen. Treffen Sie Ihre Wahl, Christabel. Die beiden oder ich.«

Sie taumelte. Er würde also zulassen, daß diese schreckliche Sache, diese matelotage, stattfinden sollte, wenn sie sich nicht einverstanden erklärte – er würde es zulassen! Sie fühlte blindes Entsetzen in sich hochsteigen.

»Ich werde tun, was Sie verlangen«, sagte sie ohnmächtig. Um sie herum herrschte plötzlich eisiges Schweigen. Selbst der Mond, alt und weise in Liebesangelegenheiten, zog sich sogleich mit Taktgefühl hinter eine Wolke zurück und ließ sie allein in der üppigen Dunkelheit an diesem wildesten aller Orte – auf Tortuga, der Festung der Verbündeten der Küste, der Freibeuter. Lieber Gott, fragte sie sich voll heimlicher Verwunderung, wie konnte ich nur so etwas sagen? Nach allem, was geschehen war? Und einen kurzen, intensiven Augenblick lang – der hagere Freibeuterkapitän steckte gerade seine Hand aus und berührte sachte ihre zurückschreckende nackte Schulter – leuchtete ihr zurückliegendes Leben noch einmal so lebendig vor ihr auf, als ob sie es gerade jetzt erleben würde – und mit einem Male war sie wieder Carolina Lightfoot, vierzehn Jahre alt, wie sie sicher und sorgenfrei in den amerikanischen Kolonien an Virginias Ostküste lebte.

BUCH I Die amerikanische Schönheit und der englische Lord

TEIL 1 Die Göre aus den Kolonien

Landgut Farview Bucht der ersten Siedler, Ostküste Virginias 1685

Kapitel 1

Carolina Lightfoot half gerade dem Dienstpersonal, die Wäsche vor dem herannahenden Sturm von der Leine zu holen. Sie unterbrach die Tätigkeit und ließ einen fragenden Blick verräterisch nach Norden schweifen, zu den Hochzeitsbäumen. Sie wußte es, irgendwo dort hinten, hinter den flachen Wiesen und windgepeitschten blaugrünen Kiefern, hinter dem Horizont, von wo aus die grauen Federwolken jetzt angesaust kamen, da stand jener Gürtel alter knorriger Eichen, die Grenze zwischen Virginia und Maryland. Unter den mächtigen Baumkronen saßen schon auf der anderen Seite Geistliche und Richter des Staates Maryland und warteten auf Ausreißerpaare aus Virginia, die eine Flucht nach Norden über die Grenze geplant hatten, uni endlich heiraten zu können.

Jetzt, gerade in diesem Augenblick, ritt Carolinas ältere Schwester Penny eben auf diese Grenze zu – auf dem besten Pferd aus Vaters Ställen, und der schlaksige junge Bursche an ihrer Seite würde Mühe haben mitzuhalten! Sehnsüchtig stellte sich Carolina Penny vor, wie sie schon vor Tagesanbruch in ihrem besten Kleid aus gelber Seide in den Stall geschlichen war, nichts weiter bei sich als ein dünnes Halstuch und einen Proviantkorb. »Emmett und ich werden uns kaufen, was wir brauchen«, hatte sie heiter verkündet. Tatsächlich hatten alle Lightfoot-Schwestern für dieses Vorhaben ihr Taschengeld geopfert und den ganzen Tag über versucht, Pennys Verschwinden zu decken, doch schließlich waren ihre Abwesenheit aufgefallen, Haus und Grundstück voller Sorge durchsucht und das Schlimmste vermutet worden. Und in diesem Augenblick jagten gerade Carolinas wütender Vater, Fielding Lightfoot, und alle Männer der Siedlung Farview auf schweißnassen Pferden hinter den Ausreißern her, über die schmale Halbinsel, die die Chesapeake Bay vom Atlantik trennt.

Carolina hoffte inständig, daß Penny und ihr Emmett die Hochzeitsbäume erreichten, ihre Gelübde herauskeuchen und irgendwo in der Wildnis Marylands untertauchen könnten, bevor Vater sie erreichte. Am Ende würde er Emmett noch auspeitschen, denn sein Temperament war berüchtigt, und die rothaarige Penny war die älteste und – seine Lieblingstochter.

Einen treulosen Augenblick lang wünschte sie sich, anstelle von Penny den Hochzeitsbäumen entgegenzupreschen. Denn auch Carolina wurde älter und allmählich flügge. Manchmal abends, wenn der Mond die Ostküste in silbriges Licht tauchte, schien ihr Herz etwas von der nächtlichen Schönheit einzufangen, die diese vertraute Umgebung so verzauberte. Obwohl sie sich dessen noch kaum bewußt war, erwachten in ihr die süßen weiblichen Empfindungen, die seit Menschengedenken die Frauen betörten wie Sirenengesang.

Wie an jenem heißen Nachmittag vor zwei Wochen, als sie in der Hängematte eingeschlafen war. Dieser heiße Tag war dahingedämmert, die Geräusche der Siedlung verstummten, und Carolina, das feuchte blonde Haar über ihren Arm ausgebreitet, war fest eingeschlafen.

Dabei hatte sie geträumt. Nicht einen jener aufregenden Träume, die sie manchmal überfielen, nein, dieser Traum war anders. Sie träumte, allein und nackt in einem warmen tiefblauen Meer zu schwimmen. Sie stieg aus dem Wasser, um sich an einem weißen, mit rosa Muscheln übersäten Strand zu trocknen. Ihr Kleid war fortgeweht worden, aber das schien sie nicht zu kümmern. Während die Sonne ihre nasse Blöße trocknete, schlüpfte sie in ein fast durchsichtiges Hemd. Sie setzte sich auf und vergrub ihre Zehen im heißen Sand. In der Ferne winkten Palmen von roten Klippen, und am Himmel flog eine Schar brauner Pelikane. Nicht weit von ihr entfernt kam ein Einsiedlerkrebs dahergelaufen. Aber nicht den Meeres- und Strandbewohnern galt ihre Aufmerksamkeit.

Denn im Traum war gerade ein Mann an dieser Küste gelandet, und sie hatte nur noch Augen für ihn. Er sah völlig anders aus als ihr Vater – nicht zu groß und ziemlich gut gebaut –, er sprang aus einem Boot, zog es den Strand hinauf und ging wie selbstverständlich auf sie zu. Seine blonden Haare glänzten in der Sonne und umrahmten sein Gesicht mit einem goldglühenden Schein, seine Augen schauten sie mit heiterem, brennendem Blau an. Er wirkte elegant, war in bronzenen Satin gehüllt, in einen golddurchwirkten Mantel, und ein einzelner Perlenohrring baumelte an einem seiner wohlgeformten Ohren. Über seine elegante Erscheinung war sie indes ebensowenig erstaunt wie über ihre Unbekümmertheit, fast nackt nur in diesem dünnen Hemdchen dazusitzen. Denn in Träumen wirken alle Dinge natürlich und richtig.

Während er auf sie zukam, erhob sie sich und stand einen Moment lang geblendet vor ihm. Die heiße Sonne liebkoste ihren Rücken, und seine leuchtenden blauen Augen glitten glühend über ihren weiblichen Körper.

»Ich wußte, daß ich dich hier finden würde«, sagte er rauh; ihr fehlten die Worte, obwohl ihr fast das Herz zersprang.

Schweigend breitete sie nur ihre Arme aus.

Und ganz selbstverständlich ließ er sich, so als hätte er das Recht dazu, von ihr umfangen. Seine Arme umschlangen sie, sein Mund glitt über den ihren, dann über den Hals herab; seine Lippen suchten ihre festen jungen Brüste. Seine ungeduldigen Hände lösten das Band an ihrem Hemd. Sie erschauerte, als sie fühlte, wie der leichte Stoff von ihren Schultern schlüpfte und ein sanfter Tropenwind das dünne Gewebe ihr zwischen die Schenkel wehte, um jetzt unbeachtet ihre Füße zu umkränzen.

»Ich habe auf dich gewartet«, hörte sie sich hauchen, und mit einer Bestimmtheit, eindringlich wie Trompetenschall, wußte sie, daß dieser Mann ihr zum Liebhaber bestimmt war und daß sie mit einem brennenden, sie bis in ihre letzten Winkel ausfüllenden Sehnen nur eines suchte, Liebe.

»Carol!« Virginias Ruf sickerte durch ihren Traum. »Carol, wo bist du? Es gibt bald Abendessen.«

Wie durch einen schimmernden Nebel hindurch kam Carolina zu sich. Sie wollte die Hängematte noch nicht verlassen, denn sie stand noch ganz unter dem Einfluß des wunderlichen Traumes.

Eine ganze Weile hatte sie dort gelegen und nachgedacht. Über das Leben. Über die Liebe. Über das, was ihr die Zukunft bringen würde, und über jenen Mann, der über das Meer gekommen war, um sie hier zu finden.

Ein vollkommener Mann, der, und dessen war sie sich plötzlich sicher, irgendwo dort draußen auf sie wartete, sie suchte – und der sie eines Tages finden und ihr Leben erfüllen würde. Jedesmal, wenn sie an diesen Traummann dachte – und sie würde noch lange an ihn denken und auf ihn warten müssen –, nannte sie ihn ›Den Goldenen Fremden‹.

Letzte Woche – die Erinnerung an den lebhaften Traum war noch ganz frisch – glaubte sie einen Augenblick lang, sie hätte ›Den Goldenen Fremden‹ gesehen, auf Radcliffes' Ball in Yorktown.

Die ganze Familie war dort gewesen. Carolinas bezaubernde Mutter fuhr jedesmal mit funkelnden Augen und steifem Rückgrat nach Yorktown, denn dort lebte die Familie ihres Gatten – hatte dort gewohnt, vor dem Tode seiner Eltern. Von Fielding Lightfoots Familie war die junge wilde Letitia nie richtig akzeptiert worden, und diese hatte ihrerseits beschlossen, stets Abstand von ihrer Schwiegerverwandtschaft zu halten. Großvater Lightfoot hatte den ganzen Besitz seinem jüngeren Sohn Darren überschrieben und seinen älteren Sohn Fielding mit ein paar Groschen abgespeist. Die Fehde zwischen Carolinas Mutter und Fieldings jüngerem Bruder Darren war allgemein bekannt und häufig Gesprächsstoff. Denn selbst bei großen Gesellschaften behandelte die energische Letitia Darren wie Luft, in einer Woge aus Taft und Spitze schritt sie erhobenen Hauptes an ihm vorüber, so als existierte er gar nicht.

In solch einem Moment, im Kielwasser ihrer eleganten Mutter, glaubte Carolina, ›Den Goldenen Fremden‹ gesehen zu haben. Durch eine Lücke zwischen den dichtgedrängten satingekleideten Gästen hatte sie einen goldenen Schopf gesehen, und plötzlich schien alles Licht im Raum auf ihn zu fallen, so daß sein Haar im Kerzenlicht erstrahlte.

Es war ein überwältigender Augenblick, und Carolina hatte den Atem angehalten. Doch dann drehte er sich um – es war nur der schlaksige Jimmy Radcliffe, der über seine eigenen Füße stolperte und dem es in Gegenwart von Frauen die Sprache verschlug. Carolina hatte tief geseufzt und sich rasch nach einem Glas Apfelwein oder Früchtepunsch umgesehen, jedenfalls nach einer Erfrischung an diesem lauen Abend, nach einer solch herben Enttäuschung.

Während sie den Apfelwein trank, wurde sie plötzlich sehr traurig. Eines Tages, so hatte sie sich voller Schwermut selbst getröstet. Eines Tages ...

Zum wiederholten Male war Carolinas Mutter mit dem entfernten Vetter Sandy Randolph, ihrer alten Flamme, durch den Raum getanzt, und Carolinas Vater hatte es bemerkt, trank zuviel und starrte die beiden pausenlos an. Direkt neben ihm war Penny durch die offene Tür in den Garten geschlüpft, um sich auf irgendeinem dunklen Weg mit Emmett zu treffen und letzte Fluchtpläne zu schmieden. Und Virginia konnte man mit einer Platte voll kleiner Kuchen die Halle hinunterschleichen sehen, trotz der strengen Ermahnung ihrer Mutter, sie würde nun bald vor Fett aus allen Nähten platzen.

All das war an Carolina – ganz in Gedanken bei ›Dem Goldenen Fremden‹ – vorbeigezogen.

Er beherrschte immer noch ihre Gedanken, als sie am nächsten Tag – sie hatten bei den Radcliffes übernachtet – ihrer Mutter beim Frisieren ihres dunkel schimmernden honigfarbenen Haares zusah.

»Habe ich da nicht gerade den Türklopfer gehört?« Letitia hob ihren eleganten Kopf und lauschte. »Ja, ich bin sicher.« Sie gestikulierte mit der Haarbürste. »Würdest du bitte hinunterlaufen und nachsehen, wer es ist, Carolina? Es scheint niemand an die Tür zu gehen, und Sandy Randolph versprach, hier kurz anzuhalten und mich auf eine Ausfahrt mitzunehmen. Ist das nicht nett von ihm?« Die Worte kamen ihr recht sorglos über die Lippen. »Ich hab' ihm nämlich erzählt, wie selten ich ausgehen kann.« Carolina war die Treppe hinuntergelaufen und hatte dem charmant lächelnden Sandy Randolph mitgeteilt, daß ihre Mutter sofort fertig wäre. Kaum hatte sie den Satz zu Ende gesprochen, als auch schon ihre Mutter, in schimmerndgrüne Seide gehüllt, die Treppe herabgeweht kam und ihn herzlich begrüßte.

Einmal, in Williamsburg, als sie noch ziemlich klein war, hatte Carolina mitgehört, wie Tante Pet einem Besucher hinter ihrem Fächer zuflüsterte, Letitias Familie hätte es niemals zulassen dürfen, daß sie mit Fielding Lightfoot in die Ehe geschlittert sei. Durch den lauten Unmut der Eltern und den Versuch, Letitia ebendiesen alten Witwer aufzuzwingen, hätte sich ihre naive Schulmädchenleidenschaft für den schillernden Vetter Sandy Randolph in offene Rebellion verkehrt – und alle müßten das büßen. Doch wen auch immer sie geheiratet hätte, sicher sei, daß Letitia Fielding diesem Bramway-Mädchen hätte überlassen sollen, die so verrückt nach ihm war. Die starrköpfige Letty wäre für so manchen Siedler die richtige Ehefrau gewesen, doch nicht für Fielding – der habe immer nur eine Klette gewollt, die zu allem ja und amen sage, und nicht eine geistreiche Frau wie die Letty, die, wenn sie mit etwas nicht einverstanden war, darauf bestand, darüber zu reden. Ein Fehlgriff, das sei es gewesen – zwei starke Willenskräfte, die sich bekämpften. Es sei kein Wunder, daß sie nicht zurechtkämen. Ein jeder mit so einem Führungsanspruch!

An jenem Tag in Williamsburg hatte sich Carolinas jugendlicher Blick gedankenvoll nach Sandy Randolph umgewandt, als er am Fenster vorbeiritt. Er war erhaben und kerzengerade im Sattel gesessen, mit der lässigen Grazie eines Fechters.

Sie sah, wie er zum Haus herüberschaute und dann vor jemandem außerhalb ihres Blickfeldes den Hut zog – vielleicht vor ihrer Großmutter, die in den Garten geschlendert war, um im Duft der Morgenblumen spazierenzugehen. Wäre ihre Mutter mit Sandy glücklicher geworden? fragte sie sich. Sicherlich ließ Letitia Lightfoot immer dann eine unterdrückte Aufregung erkennen, wenn sie mit ihm in einem Raum war. Dann funkelten ihre dunkelblauen Augen, ihr schlanker Körper vibrierte in lebhafter Spannung, und sie trug ihren honigblonden Kopf neckischer als sonst.

In Carolinas kindlicher Vorstellung hatte die Gattenwahl ihrer Mutter irgendwie etwas mit dessen Haarfarbe zu tun. Wenn ihre blonde Mutter sich einen blonden Mann gesucht hätte, wäre alles in Ordnung gewesen. Wenn der dunkelhaarige Fielding die auffallend brünette Amanda Bramway geheiratet hätte, wäre alles besser gewesen. Keiner dieser Tumulte zwischen ihren Eltern wäre jemals entstanden.

Fielding Lightfoot kam gerade zur rechten Zeit, um die warmherzige Begrüßung in Radcliffes Haus noch mitzuerleben und um zornig zu beobachten, wie seine Frau an ihm vorbeistürmte und mit unbefangenem Schwung und ihrem netten Vetter in einer zweisitzigen Kutsche davonfuhr.

Die Lightfoots hatten sich wegen dieser Ausfahrt gestritten, nachdem Letitia, rotwangig und lachend, zurückgekommen und Sandy davongefahren war.

»Du wirst allmählich ein Skandal, Letty!« hatte Fielding ihr zugegrollt, als er hinaufging. Und Carolina war er roh entgegengetreten, als sie gerade die Treppe herunterkam. Ja, er hatte sich abrupt von dem jungen Mädchen abgewandt, so als könnte er ihren Anblick nicht ertragen, und Carolina war erschrocken zurückgewichen. Verletzt suchte sie mit ihren Augen den Blick der rothaarigen Penny, die unten an der Wohnzimmertür stand und stirnrunzelnd heraufsah. So hatte er Penny nicht angesehen, als er an ihr vorbeiging, und sie war es doch, die ausreißen wollte! Also eine weitere unverdiente Zurückweisung durch ihren Vater, den sie so sehr zu lieben versucht hatte. Ihr weicher Mund zitterte, als sie hinter Fielding herstarrte und ihn brüllen hörte: »In der Raleigh-Taverne verstummte heute die Unterhaltung, als ich eintrat – und ich bin sicher, sie redeten über den Ausflug, den du und Sandy gemeinsam in die Stadt unternommen habt!«

Letitias Wangen waren purpurrot geworden. Das war die reine Wahrheit – und sie konnte nichts weiter als zudem feststellen, daß der Williamsburger Klatsch für gewöhnlich mit den wilden Lightfoots beschäftigt war, während draußen in der Welt bedeutende Ereignisse stattfanden.

»Du wirst mir sicherlich nicht anlasten wollen, daß ich am hellichten Tag mit meinem Vetter spazierenfahre!« schrie sie mit ihrer herrischen Stimme.

»Es war wohl mehr als das«, gab er grimmig über die Schulter zurück, »als ich das Pech hatte, dir zu begegnen!«

»Pech!« Ihre aufgebrachte Stimme folgte ihm die Treppe hinauf. »Wahrscheinlich gilt das Gerede mehr dir und der Art, wie du das Roland-Mädchen umschmeichelt hast!«

»Das junge Fräulein Roland hat auch ohne meinen Namen auf ihrer Liste schon genug Verehrer!« röhrte ihr Mann vom Treppenabsatz her. »Du versuchst nur meine Aufmerksamkeit von deinem Benehmen abzulenken, Letty!«

Carolina hatte inzwischen das Erdgeschoß erreicht. Sie und ihre ältere Schwester beobachteten von der Wohnzimmertür aus fasziniert, wie Letitia ihre Röcke raffte und an ihnen vorbeistürzte. Sie rannte die Stufen hinab und begann die Brust ihres Mannes mit den Fäusten zu bearbeiten. »Ich möchte nicht, daß du so mit mir sprichst!« hatte sie fast schluchzend geschrien. »Ich habe mit dir die schlimmsten Zeiten durchgestanden! Ich bin dir eine gute Ehefrau gewesen – bei Gott!« Er hatte sie ins Schlafzimmer gezerrt, aus dem nun stoßweise zornige Stimmen hervorbrachen – und Fielding beendete das Ganze damit, daß er alle einen Tag früher als geplant in die Siedlung Farview zurückbrachte.

»Ich bin froh, wenn ich endlich aus alldem raus bin«, hatte Penny, kurz vor ihrer verrückten Flucht mit Emmett zu den Hochzeitsbäumen, gebrummelt und dabei ihre rote Mähne zurückgeworfen. »Dieses ständige Gezänk, all der Haß, ich bin so froh, all das hinter mir zu lassen!«

Es ist wohl nicht so sehr der Haß, dachte Carolina, eher Zorn. Zorn in erster Linie darüber, aneinander gefesselt zu sein, obwohl es ja eine Ausreißerehe war. Letitia hatte sich mit ihrer großen Liebe, Sandy Randolph, verkracht. Sandy war weggefahren, und ihre Eltern hatten seine Abwesenheit dazu benutzen wollen, die widerspenstige Letitia mit einem alten, tatterigen Gentleman zu verloben – doch statt dessen war sie mit Fielding Lightfoot durchgebrannt.

Und es war nicht gutgegangen. Dem stimmte jeder zu. Beide waren leicht reizbar und hatten scharfe Zungen.

»Und du mußt auch gehen, Carol.« Penny hatte ihrer jüngeren Schwester einen besorgten Blick zugeworfen. »Bitte, versprich mir, daß du es auch tust – sobald sich eine Gelegenheit für dich bietet! Du darfst nicht länger als unbedingt nötig bleiben.« Carolina war von der Heftigkeit der Aussage ihrer älteren Schwester überrascht. »Aber – aber ich habe doch niemanden, mit dem ich weglaufen könnte«, hatte sie eingewendet.

»Du wirst jemanden finden«, seufzte Penny. »Und wenn es soweit ist, dann zögere keine Minute – lauf Du kannst hier niemals glücklich werden. Siehst du nicht, daß Vater –« Sie unterbrach sich.

»Nein, ich sehe nichts«, sagte Carolina trotzig, denn irgend etwas im Tonfall ihrer Schwester beunruhigte sie.

»Also, ich meine –« Penny warf ihr einen vieldeutigen Blick zu, der plötzlich ihre Jugend, ihre Unschuld ergriff. »Ich meine dies alles – diesen Streit zwischen ihnen. Wir scheinen ihn noch zu schüren, findest du nicht?«

»Du nicht, Penny«, sagte Carolina aufrichtig. »Aber ich sicherlich.« Und sie versank in Schweigen, als ihre Schwester »Arme kleine Carol« murmelte und sie plötzlich heftig in die Arme nahm.

Sie hatten nicht weiter darüber gesprochen. Alle waren sie nach Farview zurückgekehrt – die Mädchen voll neuer Pläne. Gewöhnlich quälten Carolina das Gezänk und das lange Schweigen ihrer Eltern – so als sei sie in irgendeiner Weise schuld daran. Doch diesmal nicht. Diesmal war sie viel zu aufgeregt wegen Pennys bevorstehender Flucht.

Jetzt, in diesem Augenblick, vor ihrem erröteten Gesicht ein nasses Laken, das sie festhielt, damit es ihr der Wind nicht fortriß, seufzte Carolina tief und herzergreifend. Wenn doch nur sie heute zu den Hochzeitsbäumen reiten könnte – nicht mit jemand so blödem wie Emmett, sicher nicht, sondern mit ›Dem Goldenen Fremden‹ aus ihrem Traum!

»Nun komm schon, Carol!« Virginias ungeduldige Stimme unterbrach Carolinas Träumereien, obwohl der Wind auch diese Töne fast völlig verschluckte. »Das ist übrigens das letzte Laken, an dem du da rumzerrst. Nimm es schnell weg, und steh nicht so da, nach Norden starrend – Mutter wird dich sehen und böse werden. Sie hat sowieso schon das halbe Geschirr zerschlagen, weil Penny fort ist!«

Durch die plötzliche Erwähnung der Mutter, die alle fünf Lightfoot-Töchter insgeheim fürchteten, aufgeschreckt, schnappte sich Carolina erneut das Laken, das ihr gerade entglitten war, und stöhnte heftig, als ihr eine Windbö unerwartet das blaue Haarband wegblies, ihr wallendes blondes Haar ergriff, es fliegen ließ und ihren himmelblauen Leinenrock mitsamt dem schneeweißen Petticoat über die Knie hochwirbelte. Gerade als sie ihre Röcke zu bändigen suchte – denn Mutter beobachtete sie möglicherweise vom Eßzimmerfenster aus –, schlug ihr dieses verdammte letzte Laken der windgepeitschten Wäsche wieder ins Gesicht.

Penny hatte sich wirklich ein schreckliches Wetter zum Weglaufen ausgesucht, dachte Carolina. Doch war natürlich alles lange vorher geplant – ja Wochen vorher von den drei älteren Lightfoot-Töchtern genauestens ausgetüftelt worden. Der Tag der großen Wäsche, die es in Haushalten wie dem der Lightfoots alle zwei Monate gab, war einstimmig deshalb gewählt worden, weil man in all der Hektik die flüchtende Penny am wenigsten vermissen würde. Nun war das Wetter so stürmisch geworden wie Pennys junges Herz. An der gesamten Küste Virginias herrschte an diesem Tag ein wüster Wind. Die Ausläufer eines Sturmtiefs über der Karibik wirkten sich nun auch an den Kaps von Carolina aus. Von Hatteras bis Nag's Head brandeten schwere Wellen gegen die grüne Dünenlandschaft.

Die langgestreckte Halbinsel mit dem Ort Carolina – bei den Indianern hieß sie Accomack, »Land auf der anderen Seite«, bei den Einwanderern in Virginia aber schlicht »Ostküste« – bekam allmählich die ganze Wucht des herannahenden Sturmes zu spüren. Das altersschwache hölzerne Siedlerhaus an der Alten Bucht der ersten Siedler war gefährlich nahe am Wasser erbaut und zudem schlecht instand gehalten worden. Doch hatte man bereits die enorme Wäsche, die das Personal gestern erst spät zum Trocknen aufgehängt hatte, schon fast vollständig wieder heruntergeholt – mitsamt den Wäscheleinen, die noch nicht davongeflattert waren.

Carolina, in Gedanken bei Penny und ihrem Schicksal, hielt noch immer das dumme Bettuch in Händen und machte sich als letzte auf den Weg zum großen Dachboden, wo sie das Tuch zu den anderen hängen würde, fein säuberlich in die Reihe, denn so konnten sie am wenigsten schimmeln. Auf dem Weg dorthin begegnete sie dem Dienstpersonal und schließlich Virgie, die im Dämmerlicht zwischen den Holzbalken auf sie gewartet hatte. »Ist Pennys Flucht nicht aufregend?« kicherte Virgie. Sie war exakt fünf Zentimeter kleiner als Carolina, doch auffallend pummelig; ihre Haarfarbe lag zwischen Pennys Rot und Carolinas schimmerndem blaßsilbrigen Gold. Sie hatte dieselbe rotblonde Mähne wie Mutter mit denselben dunkelblauen Augen, doch fehlte ihr deren Temperament – in ihrer netten, unauffälligen Art erinnerte sie eher an Tante Pet – und glich mehr einer älteren Frau als einem jungen Mädchen. Virgie seufzte tief und sehnsuchtsvoll. »Ich wünschte, ich würde gerade zu den Hochzeitsbäumen laufen!«

»Aber du hast dir doch noch gar niemanden dafür ausgesucht!« bemerkte Carolina und sah ihre ältere Schwester erstaunt an. Sie hatte zu Virgie und Penny immer eine engere Beziehung gehabt als zu den beiden anderen Lightfoot-Töchtern, die Jahre jünger waren.

»Ich weiß. Trotzdem, ich würde auf der Stelle von hier weggehen! Hast du gehört, wie das Geschirr zu Bruch ging?« Der Wind heulte schaurig ums Dach, auf der Suche nach einer Lücke, durch die er hereinkonnte. Virgie reckte den Kopf und lauschte. »Vielleicht machen diese Windstöße auch den Pferden zu schaffen, so daß Vater Penny und Emmett nicht mehr erreicht!«

»Penny und Emmett kämpfen aber gegen denselben Sturm«, erklärte Carolina.

Virgie zuckte die Achseln. »Ja, aber Penny und Emmett sind früher aufgebrochen, und da war es noch nicht so schlimm.« Sie trat einen Schritt zur Seite und half Carolina, das letzte verdammte Laken auf die Leine zu hängen. »Es ist unmöglich, daß Vater noch heute abend zurückkommt, es sei denn, er gibt die Jagd auf – und du kennst Vater, das würde er niemals tun!« Durch diese Gedanken irgendwie ernüchtert, rafften beide Mädchen ihre üppigen Röcke zusammen und eilten hinunter.

Sie hatten fast die untere Halle erreicht, als die gebieterische Stimme ihrer Mutter nach ihnen rief. »Carolina, Virginia, kommt sofort her.« Beide Mädchen gingen ins Eßzimmer. Da standen die beiden jüngeren Schwestern, Klein Della und Flo, bereits in ehrfürchtigem Schweigen vor der vertäfelten Kiefernwand und starrten abwechselnd ihre Mutter und dann wieder das am Boden verstreute, zerbrochene Geschirr an.

Letitia Lightfoot, groß, schlank und gutaussehend in ihrem schicken, paillettenbestickten Kattunkleid, musterte die Neuankömmlinge mit kritischem Blick. Ihr dichtes honigfarbenes Haar schimmerte wie das von Carolina, war nur eine Nuance dunkler, doch ihre grimmigen blauen Augen hatten keinerlei Ähnlichkeit mit Carolinas ruhigem silbergrauen Blick, der mattsilbern wirkte, wenn sie einmal zornig war. Carolina begegnete dem forschenden Blick ihrer Mutter ganz offen.

Was habe ich bloß falsch gemacht? fragte sich Letitia Lightfoot, während sie da betrachtete, was sie geboren hatte. Warum läuft meine Tochter so einfach davon? Dazu noch mit einem völlig unpassenden Jungen!

Doch vielleicht konnte die Situation ja noch gerettet werden. Vielleicht wußten die Mädchen etwas. Selbst wenn Fielding nicht mehr rechtzeitig hinkäme, um die Hochzeit zu verhindern, so gab es doch noch eine Art Ungültigkeitserklärung, sollte er vor der Vollziehung des Eheschlusses zu ihnen stoßen. Und vielleicht hatte ja Pennsylvania – Letitia nannte ihre Töchter niemals bei den Spitznamen, die sie untereinander gebrauchten – vor, nur jenseits der Grenze zu heiraten, um dann nach Williamsburg zurückzukehren, wo Emmett als Verkäufer arbeitete. »Virginia«, wandte sie sich an ihre Zweitälteste, »ich möchte, daß du und Carolina mir alles erzählt, was ihr über die Flucht eurer Schwester Pennsylvania wißt. Dellaware und Florida« – sie machte eine Kopfbewegung in Richtung der beiden schweigsamen Knirpse an der Wand – »haben mir bereits alles gesagt, was sie wissen.«

»Ich weiß wirklich nichts, Mutter«, sagte Virgie nervös. »Unsinn, natürlich weißt du etwas!«

»Wir wissen, daß Penny und Emmett nach Norden fortgeritten sind«, fügte Carolina gelassen hinzu.

Das Gesicht ihrer Mutter verhärtete sich. »Ihr wußtet also, daß sie ausreißen wollten!« argwöhnte sie mit bemerkenswerter Ruhe.

»Weshalb, Mutter, woher sollten wir?« gab Virgie, die nicht Carolinas Widerstandskraft besaß, zitternd zurück.

Carolina sah ihre ältere Schwester verächtlich an. Unter Druck kippte Virgie immer um. »Ich wußte, daß sie ausreißen wollten«, verkündete Carolina mit einer Ruhe, die die ihrer Mutter in den Schatten stellte. Virgie gab darauf einen ängstlichen Quieklaut von sich.

»Und du hattest nicht vor, mich zu informieren?« Die wilden, stechenden blauen Augen konzentrierten sich nun auf Carolina, und das Mädchen fühlte, wie ein Hauch von Furcht sie durchdrang.

»Du warst sehr beschäftigt«, sagte Carolina wie durch eine Eingebung.

»Beschäftigt?« Letitia Lightfoot klang amüsiert. »Du dachtest, ich wäre zu beschäftigt, um zu erfahren, daß meine Tochter ausreißen will?«

»Du hattest dich mit Vater gestritten«, fügte Carolina schwerfällig hinzu.

»Unsinn, ich streite mich ständig mit deinem Vater«, erwiderte ihre Mutter mit leiserer Stimme. »Seine Art führt selbst einen Heiligen in Versuchung! Sag mir, warum hast du den Streit nicht unterbrochen, bei einer so wichtigen Angelegenheit?«

»Aber, Mutter, wir konnten euch doch bis zu den Ställen hören«, warf Virgie ein, in der Hoffnung auf einen Ausweg. »Wir hatten einfach Angst, euch zu stören.«

»Carolina hatte wohl keine Angst«, unterbrach sie die Mutter, und ihre Augen ließen nicht von Carolinas Gesicht ab. »Carolina ist wie ich – sie hat vor nichts Angst.«

Carolina beobachtete sie aufmerksam. Sie fragte sich, was es diesmal geben würde – Stockschläge, Ohrfeigen?

»Also Carolina, erzähl mir, was hatten sie vor?«

»Nichts Bestimmtes, glaube ich«, sagte Carolina unbeholfen, aber wahrheitsgemäß. Die Pläne des jungen Paares erstreckten sich bis zu den Hochzeitsbäumen, um nur endlich verheiratet zu werden. Danach würden sie in Maryland untertauchen und sich eher umbringen, als sich vom wütenden Fielding Lightfoot wieder einfangen zu lassen.

Ihre Mutter runzelte die Stirn und wandte sich plötzlich wieder an Virginia, die zurückschreckte. »Und du, Virginia? Was wußtest du von diesen Plänen?«

»Nichts!« Virginia klang weinerlich. »Das ist die Wahrheit!« Sie schluchzte beinahe.

Letitia sah ihre beiden Töchter eine Zeitlang forschend an. »Ich glaube euch«, sagte sie dann in milderem Ton. »Ihr bleibt im Haus – draußen ist es zu gefährlich. Ich habe gerade erst einen Ast vorbeifliegen sehen. Außerdem, Carolina und Virginia, geht ihr heute ohne Essen ins Bett. Und betet auf euren Knien, daß Pennsylvania gefunden wird, und zwar rechtzeitig.«

Carolina senkte ihren silbergrauen Blick auf die unterschiedlich breiten Eichendielen, damit ihre Mutter nicht das rebellische Leuchten in ihren Augen sehen konnte. Wenn sie überhaupt betete, dann dafür, daß Penny und Emmett für immer Fielding Lightfoot entkommen würden!

Kapitel 2

Die vier Mädchen und die Hausangestellte marschierten hinaus, und Letitia Lightfoot schaute aus dem Fenster, an dem gerade ein Stück Wäscheleine vorbeiflog. Von allen, sagte sie zu sich selbst, war nur Carolina wirklich wie sie. Nicht im Aussehen, sondern in der Art, wie sie dem Leben begegnete – stets erhobenen Hauptes und unnachgiebig. Sie seufzte. Das wird ihr freilich nichts als Ärger einbringen.

Es war sehr schwer für sie, nur Töchter zu haben. Sie erinnerte sich an Tante Pets klagenden Kommentar, als sie ihr letztes Kind geboren hatte: »Es ist zu schade,daß du keinen Jungen hast – Fielding hätte sich so darüber gefreut. Ich glaube wirklich, das ist der Grund, warum ihr nicht zurechtkommt.«

Letitia, die damals im großen Federbett lag und ihre neugeborene Tochter stillte, hatte ihrer Tante einen schiefen Blick zugeworfen. Sie allein wußte, warum sie nicht zurechtkamen, doch hatte sie nicht die Absicht, darüber zu sprechen – weder mit Tante Pet noch mit irgend jemandem sonst.

»Na ja«, hatte Tante Pet bei diesem Gesichtsausdruck geseufzt. »Vielleicht bekommst du ja doch noch einen Jungen!«

Letitia bezweifelte das.

Ihre ersten beiden Töchter waren, knapp ein Jahr auseinander, in einer Zeit geboren, als sie und Fielding sich noch verstanden; in diesen ersten Jahren, nach der irrwitzigen Ausreißer-Hochzeit, hatte sie verzweifelt versucht, ihn zu lieben. Rückblickend wurde ihr Ausdruck nachdenklich. Der Bursche aus York und das Mädchen aus Jamestown hätten niemals heiraten sollen. In Wahrheit hatte sie sich ihm nur aus Verzweiflung hingegeben, weil sie sich mit Sandy gestritten und er sie im Zorn verlassen hatte und mit dem Schiff weiß Gott wohin gefahren war.

Die Eltern von Fielding Lightfoot wollten ihn mit der dunkelhaarigen, hübschen Amanda Bramway verheiraten, der Erbin des benachbarten Landgutes. Es gab böses Blut zwischen den Lightfoots und Letitia Randolphs Eltern – eine Lappalie aufgrund eines Pferderennens hatte erst lange geschwelt und war schließlich unnötig hochgespielt worden –, so daß jede Verbindung zwischen einem Lightfoot und einer Randolph nur Mißbilligung zur Folge gehabt hätte. Verzweifelt bei dem Gedanken, einem älteren, gichtgeplagten Mann versprochen zu sein, richtete sich der feurige, dunkelblaue Blick der jungen Letitia auf den ansehnlichsten der heiratsfähigen jungen Burschen – auf Fielding Lightfoot.

Sie hatten sich heimlich getroffen, heimlich verlobt, doch hatte sich alles zu einem unnachgiebigen Strudel entwickelt – trotz sorgfältiger Planung –: Besuch im Haus eines Freundes an der Ostküste, dann eine wilde Flucht zu den Hochzeitsbäumen, wo schließlich ein beschwipster Friedensrichter die Zeremonie vollzog, die sie für immer aneinanderkettete.

Sie waren noch glücklich gewesen, in den ersten Jahren in Philadelphia, deshalb hatte Letitia auch ihre erste Tochter aus Freude über dieses Glück Pennsylvania getauft und die zweite Virginia, da sie ihre Heimat vermißte. Doch dann begannen die Schwierigkeiten. Fieldings Handelsvorstöße waren Mißerfolge, denn im Innersten seines Herzens war er Farmer und nicht Kaufmann. Zu stolz, um seiner jungen Frau einzugestehen, daß sie kurz vor dem Ruin standen, wurde er schließlich immer gereizter und kritisierte alles – ihre Freunde, ihren Haushalt, selbst ihre Kleidung. Die energische Letitia setzte sich zur Wehr, und ihre Streitigkeiten zogen sich über Tage hin. Schließlich wurde es ihr zuviel. Sie packte die Koffer und verließ ihn – ging mit ihren beiden Kindern ins Elternhaus nach Virginia zurück. Doch mit der Zeit wurde sie, wie Tante Pet es nannte, »wieder vernünftig« und kehrte nach Philadelphia zurück.

Ob sie nun wieder vernünftig geworden war oder nicht, Fieldings müde Worte »Wir sind ruiniert«, die sie bei ihrer Ankunft hörte, gaben der tatkräftigen Letitia plötzlich neuen Schwung. Dank ihrer unermüdlichen Kraft gelang der Umzug der kleinen Familie zurück ins Tidewater-Land – der Heimat von Fieldings Familie. Hier brachen die Familienstreitigkeiten erneut auf, aufgrund von Letitias Unverblümtheit und Fieldings Grobheit – Vermittlung wäre nötig gewesen und ließ sich nirgendwo finden. Als schließlich ihre dritte Tochter geboren wurde, hatte Letitia von der Verwandtschaft ihres Mannes ein für allemal die Nase voll. Einmal hatte sie Tante Pet aufgeregt erzählt, daß sie ihr drittes Kind aus dem brennenden Verlangen, nach Süden zu fliehen, Carolina genannt hatte.

Damit begannen die schlimmsten Jahre. Fielding, der in ihrem Elternhaus nicht länger geduldet wurde, ließ sich nun in einem heruntergekommenen Siedlerhaus an der Alten Bucht der ersten Siedler nieder. Letitia nannte es wegen der herrlichen Aussicht »Farview«, doch die Witzbolde in Williamsburg sprachen nur von »Bedlam« und erzählten von den wilden Sachen, die sich dort abspielten.

Enttäuscht und zornig über diesen Quasirückschritt auf ihrem Lebensweg, begegneten sich die beiden heißblütigen Lightfoots von da an nur noch mit verletzender Verachtung. Fielding stürzte gelegentlich aus dem Haus und jagte vor Raserei davon, während eine wutentbrannte Letitia eines ihrer Lieblingsballkleider zerfetzte oder Porzellan zerschlug.

Daß sie noch zwei weitere Kinder bekamen, schien ein Wunder zu sein. Doch bei näherer Betrachtung konnte man es verstehen. Sie liebten sich auf ihre Art, die jungen Lightfoots. Ihre Liebe hatte scharfe Kanten, und im Zorn benutzten beide sie wie ein Schwert. Sie konnte ihm nicht verzeihen, daß er sie an diese kahle Küste gebracht hatte, wo sie nur selten jemanden traf; er konnte ihr nicht verzeihen, daß sie seinen Vater mit ihrer scharfen Zunge so weit getrieben hatte, seinem jüngeren Bruder alles zu übergeben und ihn, den ältesten und ehemaligen Lieblingssohn, leer ausgehen zu lassen. So sahen die Fronten aus in diesem unterschwelligen Streit; es war eine Wunde, die niemals richtig heilen würde, etwas, das nie offen zur Sprache kam ...

Sie wurden plötzlich wütend aufeinander, sprachen dann tagelang, ja wochenlang nicht mehr miteinander, sondern führten die Unterhaltung nur noch über das Personal oder über eine ihrer Töchter. Und irgendwann brach der Zorn wegen einer Nichtigkeit wieder auf, und immer machte einer von ihnen etwas Verrücktes.

Diese Ehe der Lightfoots war wirklich ein Skandal. Über die Taten des stattlichen Field und seiner schönen, unbeherrschten Letty wurde in der Raleigh-Taverne, ja in der gesamten Aristokratie von Tidewater überschwenglich gesprochen und schallend gelacht. »Was ist auf Bedlam wieder los?« war ein üblicher Gruß und wurde stets von großem Gelächter begleitet, denn die beiden eleganten Lightfoots machten kein Hehl aus ihrer Affäre. Sie benahmen sich wie ein Paar eitler, radschlagender Pfauen. Tidewater hätte sie ehrlich vermißt, wären sie damals gegangen. Nichts von alledem war für Letitia Lightfoot in diesem Moment von Bedeutung, als sie so dastand und stirnrunzelnd auf den windgepeitschten Rasen blickte. Schuldbewußt mußte sie zugeben, sich in den letzten Jahren so intensiv mit dem endlosen Ehekrieg beschäftigt und ihren Töchtern, die in diesem Durcheinander aufwuchsen, deshalb zuwenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben.

Und nun war Penny fort.

Das ging, so nahm sie erschöpft an, wohl zu ihren Lasten. Weil sie Fielding geheiratet hatte – einen Mann, mit dem sie niemals zurechtkommen würde. Er war auch so unerträglich eifersüchtig auf Sandy! Warum würde er nie begreifen, daß Sandy Vergangenheit war und er ihre Gegenwart und Zukunft?

Einen Moment lang ließ sie ihre Schultern hängen und tat sich selbst sehr leid. Dann hob sie mit der ihr eigenen Energie den Kopf, spannte ihren Rücken und ging hinaus, um dem Personal Anweisungen zu geben. Es galt, einen Sturm durchzustehen – und an dieser tiefliegenden Küste konnte das tückisch werden. Dazu käme noch das Drama mit einer aufrührerischen Tochter, falls Fielding sie rechtzeitig erreicht hatte.

Kurz, es gab eine Menge zu tun.

Die Tatsache völlig außer acht lassend, daß ihre Töchter sie jetzt brauchten, jung waren, sich vor dem Sturm fürchteten und sich verlassen fühlten, wandten sich Letitia Lightfoots Gedanken nun ganz ihrer Haushaltshilfe zu und – wie immer – dem, was sie Fielding sagen würde, wenn er zurückkehrte. Pennys Fehltritt war ganz allein seine Schuld! Er hätte wissen müssen, was es bedeuten würde, einen so gut aussehenden Gehilfen wie den jungen Emmett einzustellen – wenigstens diesmal!

Oh, sie würde ein Wörtchen mit ihm zu reden haben, ganz sicher!

Der Tag verging, der Wind hatte an Stärke zugenommen, und der Himmel wurde immer dunkler. Fielding kam nicht nach Hause. Am Abend saßen ihre beiden Töchter Carolina und Virginia hungrig und störrisch in ihren Nachthemden da und ärgerten sich darüber, daß die jüngeren Geschwister so ruhig in ihrem Rollbett schlafen konnten, während es draußen dröhnte, das Haus leicht schwankte und der Sturm immer schlimmer wurde.

»Meinst du, es wird so schlimm wie beim Großen Sturm?« Virginia verdrehte angstvoll die Augen.

Mit ungutem Gefühl horchte Carolina auf das Heulen des Windes. Der Große Sturm war zwar schon lange vorbei, aber noch nicht vergessen. Er hatte beinahe das Haus niedergerissen, und sie wohnten anschließend monatelang während der Reparaturarbeiten bei Tante Pet in Williamsburg. Damals waren sich Emmett, der kurz in Farview angestellt war und dann als Verkäufer in einer Apotheke arbeitete, und Penny nähergekommen. Als Älteste war Penny ab und an in die Apotheke geschickt worden, um für Tante Pet verschiedene Geheimarzneien zu besorgen, und so kam eins zum anderen. In gewisser Weise konnte Pennys Ausreißen dem Großen Sturm zugeschrieben werden.

Carolina fragte sich, welche Veränderungen dieser Sturm zur Folge haben würde.

Ein weiterer Windstoß rüttelte heftig am Haus und an den Fenstern.

»Oh, hör nur!« Virginia zuckte zusammen, und beide Mädchen schreckten hoch, als das Haus von einem abgerissenen Ast getroffen wurde.

Sie hatten sich noch nicht wieder beruhigt, als ihre Mutter plötzlich mit erstaunlich heiterem Gesichtsausdruck erschien – Letitia kam in schwierigen Situationen meist in Hochform.

»Zieht euch an, kommt herunter und eßt euer Abendbrot«, sagte sie gütig zu ihren erstaunten Töchtern. »Ich werde rasch die Kleinen anziehen. Geht schnell runter und eßt, was auf dem Tisch steht.« Zur Erklärung fügte sie noch hinzu: »Mir gefällt dieser Wind nicht. Er rüttelt so am Haus, daß ich befürchte, das Dach könnte davonfliegen. Ich habe den Reparaturen eures Vaters nach dem Großen Sturm nie recht getraut, deshalb möchte ich euch lieber im Erdgeschoß wissen. Wenn ihr erst mal unten seid, dürft ihr nicht wieder in den Südflügel zurück. Die Balken sind alt und werden vielleicht umgerissen.«

Virginia stand auf und begann sich mit zitternden Händen anzuziehen. Ihr Zimmer befand sich nämlich im Südflügel! Doch Carolina schnellte mit strahlenden Augen hoch. »Kann ich helfen?« fragte sie, völlig fasziniert bei der dramatischen Vorstellung, am Morgen vielleicht kein Dach mehr über dem Kopf zu haben.

»Ja, indem du tust, was man dir sagt«, antwortete ihre Mutter trocken und ging mit demselben schnellen, leichten Schritt, den auch Carolina beherrschte, zu ihren Jüngsten, um sie zu wecken und anzuziehen.

Etwas von der Glut wich aus Carolinas silbernen Augen. Ihre Mutter war tapfer und schön, und als junges Mädchen war sie zweifellos immer erfolgreich gewesen. Doch fiel es ihr schwer, sie zu lieben.

Kaum hatten die Mädchen den aufgetischten Maismehlpudding, das übriggebliebene Stew und die gewürzten Holzäpfel gegessen, da wurden sie auch schon in die Küche geschickt, um voller Staunen festzustellen, daß das Feuer im großen Ziegelkamin nicht mehr brannte, ja sogar die eiserne Innenausstattung herausgenommen und das Ganze sauber gefegt worden war. Das Dienstpersonal, durch den heulenden Wind und das Getöse des prasselnden Regens sowieso schon verängstigt, ärgerte sich obendrein auch noch darüber, daß das Feuer gelöscht werden mußte. Denn in allen Siedler-Häusern brannten Tag und Nacht die Feuer, Winter wie Sommer, denn es war äußerst mühsam, eine neue Glut zu entfachen.

»Mädchen, stellt euch in den Kamin«, verkündete die Mutter schroff.

Vier junge Augenpaare schauten sie vorwurfsvoll an.

»Ich meine es ernst.« Sie sprach ruhig. »Dieser Kamin ist die stabilste Stelle des Hauses. Er wird uns ein Bollwerk sein gegen den kommenden Wind. Für den Fall, daß das Haus weggefegt wird, können wir es hier vielleicht überstehen.«

Bei dem Gedanken, das Haus könnte einfach weggefegt werden, wurde Virginia ganz blaß, und alle vier Mädchen kletterten eilig in den Kamin, in dem sie bequem Platz fanden. Sie krochen enger zusammen, peinlich bemüht, nicht die schwarzen Ziegel zu berühren.

»Bringt mir jetzt noch den Tisch aus dem Eßzimmer, damit wir ihn und den Küchentisch vor den Kamin schieben und ihr alle darunterkriechen könnt – das wird uns vor herabfallenden Balken schützen.«

Das furchtsame Personal gehorchte, und schon bald waren die schweren Tische an die erkalteten Ziegelsteine gerückt. Die dicke Köchin ächzte vor Anstrengung, als sie bei den flinkeren Dienstmädchen unterkroch.

»Wo Penny wohl ist?« flüsterte Virginia.

Und Carolina dachte: Vielleicht erreichen Penny und Emmett die Hochzeitsbäume nie. Vielleicht ist ein Ast abgebrochen, gerade als sie unten vorbeiritten, und hat sie eingeklemmt.

»In Sicherheit, hoffe ich«, sagte sie schnell und kümmerte sich dann um Klein Flo, die vor Angst quietschte, als etwas Schweres – vermutlich von einem Baum – herabstürzte und gegen das Dach krachte.

Diese Nacht war für jeden eine Nervenprüfung. Der Regen schlug wie Kies gegen das Haus. Der Wind brüllte herausfordernd im Schornstein und ums Dach. Hinter und über dem durchdringenden Kreischen und Klappern war das bedrohliche Röhren eines zornigen, vom Sturm in Wut gepeitschten Ozeans zu hören.

Zweimal lösten sich Fensterläden, und Letitia kroch mit zwei Leuten vom Personal unter dem Tisch hervor, um sie zu sichern. Ihre Töchter saßen zusammengekauert und kämpften mit Asche und Ruß, die durch die geschlossene Zugklappe rieselten, sich in ihrem Haar setzten und Gesicht und Kleider verschmierten. Gerade als alle wieder ihre Plätze eingenommen hatten, erschütterte ein schreckliches Heulen das Haus, das in einem Stöhnen umhergezerrter, abgerissener Balken gipfelte.

»Das wird das Dach des Südflügels gewesen sein«, sagte Letitia ruhig, und Carolina, die spürte, daß sich die Finger der verschreckten Virginia in ihre Haut bohrten, mußte den kühlen Mut ihrer Mutter bewundern. Das Schlafzimmer, das Carolina sich mit Virginia und den kleineren Kindern teilte, befand sich im Südflügel, und sie stellte sich vor, wie der Regen nun durch das aufgerissene Dach plätscherte und eimerweise in das große Federbett floß, in dem sie und Virginia gerade jetzt liegen würden, wenn ihre Mutter die Gefahr nicht vorausgesehen und sie nach unten geschickt hätte.

Das Wüten des Sturmes nahm zu. Irgendwelche Dinge wurden berstend gegen das Haus geschmettert, ein Schlag dröhnte nach dem anderen. Selbst die Fundamente schienen zu beben und zu wanken. Und mitten in diesem Tosen, die zitternden und weinenden jüngeren Schwestern tröstend, während Virginia neben ihr bei jedem neuerlichen Angriff zusammenzuckte und sich duckte, dachte Carolina an die anderen da draußen im Sturm. Ihr Vater und die anderen Siedler kämmten verbissen die ganze Halbinsel durch, während Penny und Emmett möglicherweise schon verloren waren, irgendwo, geschlagen von Wind und Regen – oder vielleicht befanden sie sich schon zwischen den Hochzeitsbäumen, und große Äste krachten um sie herum nieder. Vielleicht suchten sie gerade einen Pfarrer, doch der hatte sich in solch einer wilden Nacht bestimmt hinter seinen Fensterläden verschanzt.

Ein schriller Schrei Virginias und ein erneuter Tränenausbruch der beiden Kleinen holte sie in die Wirklichkeit zurück, gerade in dem Augenblick, als ein entsetzliches Geräusch vom Südflügel herüberdrang. Gleich darauf folgte ein mächtiges, markerschütterndes Krachen, das selbst Carolinas furchtloses Herz erbeben ließ.

»Die Wände des Südflügels sind zusammengebrochen«, rief ihre Mutter, deren Stimme durch den reißenden Wind kaum zu Carolina vordrang. »Es ist alles in Ordnung, Mädchen, das Haus wird halten.« Und dann fügte sie mit einer Sicherheit, die niemand außer ihr empfand, inmitten weiterer Geräusche hinzu: »Ich denke, das Schlimmste ist überstanden.«

So war es auch. Stunden später krochen alle, steif vor Erschöpfung, heraus, um sich die Verwüstung anzusehen. Das Dach des Südflügels war in der Tat davongeflogen und der gesamte Trakt daraufhin zusammengebrochen; übriggeblieben waren nur ein nasser Haufen Schutt und zersplittertes Gebälk, zerbrochene Möbel und zerstörtes Bettzeug. Eine Ecke des Haupthausdaches war ebenfalls fortgerissen worden, so daß der Regen die darunterliegenden Schränke durchfeuchtet hatte.

Der Morgen graute bereits, die wilden Wolken jagten dahin, und die See schäumte noch immer, doch Letitia ergriff sofort wieder das Kommando. Neue Wäscheleinen mußten gespannt und das gesamte Bettzeug sowie die Kleidung zum Trocknen aufgehängt werden.

Plötzlich richtete sie sich auf, und einen Moment lang huschte ein Ausdruck freudiger Überraschung über ihr schönes Gesicht. »Da kommt euer Vater«, stammelte sie. »Er kann doch noch gar nicht zurück sein!« Sie rannte zur Tür und auf die schlammige Zufahrt hinaus, wo Fielding Lightfoot, an der Spitze des Trupps, gerade aus dem Sattel stieg.

»Was ist passiert?« schrie sie, die Mädchen beobachteten die Szene vom Eingang aus. »Warum bist du schon wieder zurück, Field?«

Fielding Lightfoot atmete erleichtert auf, als er seine Frau sah. Bei dem schrecklichen Sturm letzte Nacht, so hatte er gedacht, wäre das Haus fortgeblasen worden – mitsamt den Mädchen und Letty. Und auf dem ganzen Ritt über die Halbinsel hatte ihn der Gedanke gequält, seine Frau vielleicht nie wiederzusehen. Jetzt, da sie vor ihm stand, erholte er sich rasch. »Ich bin umgekehrt, als ich merkte, daß der Sturm so schlimm wurde.«

»Du bist umgekehrt?«Schmerz lag in ihrer Stimme. Einmal unterwegs mit so einem Vorhaben, wäre Letitia durch die Hölle geritten. »Aber was ist mit unserer Tochter? Wo ist sie?«

»In Sicherheit, hoffe ich, irgendwo hinter der Grenze in Maryland.«

»Sie hat es geschafft«, hauchte Carolina. »Penny hat es geschafft!« Fielding hörte die Worte, und sein Kopf fuhr herum. Sein harter Blick traf Carolina, die da müde und zerzaust im Morgengrauen stand, und alle möglichen Gesten durchzogen sein Gesicht – Enttäuschung, Ärger, Wut. Dieser Gefühlswallung jedoch folgte sofort kühle Gleichgültigkeit, mit der er sich wieder seiner Frau zuwandte; doch Carolina fühlte sich durch seinen Gesichtsausdruck vernichtet. Dieser Blick hatte nur ihr gegolten, nicht Virginia, die dicht neben ihr stand und genauso erleichtert über Pennys Flucht war wie sie. Auf wen auch immer Fielding Lightfoot sich gefreut hatte bei seiner Rückkehr, bestimmt nicht auf sie. Sie fühlte sich plötzlich schrecklich einsam, eine Art Selbstmitleid überkam sie, jene Tochter, die ihr Vater anscheinend nicht lieben konnte.

Benommen vernahm sie Letitias grelle verächtliche Stimme. »Sicher! Sicher nennst du das, Field? Deine Tochter hat sich davongemacht, um einen Burschen ohne Geld und Zukunftsaussichten zu heiraten, und du nennst das Sicherheit? Sie wird noch in einer Wäscherei landen!«

Fielding Lightfoot, noch vor kurzem heilfroh, seine Frau wiederzusehen, warf ihr jetzt einen verächtlichen Blick zu. »Ich habe Hunger«, vermeldete er. »Und die Pferde müssen versorgt werden. Gibt es etwas heiße Suppe für die Männer?« Da seine Frau nicht antwortete, ließ er sie einfach stehen. Die Mädchen wichen zurück, als er in Richtung Küche strebte. »Warum, was soll das?« fragte er belustigt. »Das Feuer ist aus!« Da fiel ihm plötzlich auf, wie schmutzig seine Töchter waren, wie sie dastanden mit rußverschmierten Gesichtern und Kleidern. »Seid ihr alle dreckig!« schrie er und drehte sich nach seiner Frau um, die gerade zur Tür hereinkam. »Was hast du dir dabei gedacht, Letty, das Feuer einfach ausgehen zu lassen? Und wie deine Kinder herumlaufen?«

»Ich dachte daran, dein Haus zu retten«, schoß sie zurück. »Und die Mädchen verbrachten die Nacht geschützt im Küchenkamin – während du erfolglos über die Halbinsel galoppiert bist!«

Fielding, der sich im Laufe ihrer Erläuterungen beruhigt hatte, bekam wieder diesen verhärteten Gesichtsausdruck bei der letzten Bemerkung seiner Frau.

»Kaltes Essen reicht«, sagte er barsch und wandte sich dem Personal zu. »Beeilt euch. Meine Leute fallen vor Erschöpfung fast von den Pferden.«