Die Braut des Piraten - Das Lied der Liebe: Band 3 - Valerie Sherwood - E-Book
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Die Braut des Piraten - Das Lied der Liebe: Band 3 E-Book

Valerie Sherwood

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Beschreibung

Eine Frau zwischen Liebe und Verrat: Der historische Liebesroman „Die Braut des Piraten“ von Valerie Sherwood jetzt als eBook bei dotbooks. Die schöne und kühne Carolina will nichts lieber, als das Vagabundenleben in der Karibik aufzugeben. Sie träumt davon, mit ihrem Mann, dem berühmt-berüchtigten Piratenkapitän Kells, dessen reiches Erbe in Essex anzutreten. Bevor dieser sich jedoch in das aufrechte Leben eines Edelmanns fügt, will er einen letzten großen Fang machen … Während Kells seinem Abenteuer entgegensegelt, erschüttert ein Erdbeben Jamaika. Port Royal versinkt im Meer – und nur durch Glück gelingt es Carolina in letzter Sekunde, sich nach Havanna zu retten. Ohne Geld oder Einfluss ist sie den Mächtigen der Stadt ausgeliefert und fällt bald in die Hände des geheimnisvollen Don Diego, der eine Leidenschaft in ihr weckt, wie es sonst nur ihr geliebter Kells vermag … Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Die Braut des Piraten“ von Valerie Sherwood – die perfekte Romanze für Fans von Patricia Grasso, Susan King und May McGoldrick. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 701

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Über dieses Buch:

Die schöne und kühne Carolina will nichts lieber, als das Vagabundenleben in der Karibik aufzugeben. Sie träumt davon, mit ihrem Mann, dem berühmt-berüchtigten Piratenkapitän Kells, dessen reiches Erbe in Essex anzutreten. Bevor dieser sich jedoch in das aufrechte Leben eines Edelmanns fügt, will er einen letzten großen Fang machen … Während Kells seinem Abenteuer entgegensegelt, erschüttert ein Erdbeben Jamaika. Port Royal versinkt im Meer – und nur durch Glück gelingt es Carolina in letzter Sekunde, sich nach Havanna zu retten. Ohne Geld oder Einfluss ist sie den Mächtigen der Stadt ausgeliefert und fällt bald in die Hände des geheimnisvollen Don Diego, der eine Leidenschaft in ihr weckt, wie es sonst nur ihr geliebter Kells vermag …

Über die Autorin:

Valerie Sherwood ist das Pseudonym, unter dem die US-amerikanische Autorin Jeanne Hines preisgekrönte historische Liebesromane veröffentlicht. Zuvor arbeitete sie als Journalistin und Illustratorin.

Bei dotbooks erscheinen auch:

Das Verlangen des Piraten

Das Herz des Piraten

***

eBook-Neuausgabe April 2018

Dieses Buch erschien bereits 1992 unter dem Titel Lied der Nacht bei Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München.

Copyright © der amerikanischen Originalausgabe 1986 Valerie Sherwood

Die amerikanische Originalausgabe erschien 1986 unter dem Titel Nightsong bei Pocket Books, New York.

Copyright © der deutschen Ausgabe 1992 Droemersche Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf., München

Copyright © der Neuausgabe 2018 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

This edition published by arrangement with the original publisher, Pocket Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., New York.

Titelbildgestaltung: HildenDesign, München, unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: F8 studio; Everett - Art

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (sh)

ISBN 9783961483631

***

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Valerie Sherwood

Die Braut des Piraten

Roman

Aus dem Amerikanischen von Georgia Sommerfeld

dotbooks.

Warnung

Es wird davon abgeraten, die in diesem Buch erwähnten Kosmetika, ungewöhnlichen Nahrungsmittel, Medikamente oder Behandlungsmethoden zu erproben, ohne vorher mit einem Arzt gesprochen und dessen Zustimmung eingeholt zu haben. Diese Dinge dienen lediglich zur Veranschaulichung der Atmosphäre des siebzehnten Jahrhunderts, sind jedoch auf keinen Fall zur Nachahmung empfohlen.

Widmung

Tarbaby, dem Sohn meiner ersten Katze, Princess – dem entzückenden Tarbaby mit dem schimmernden schwarzen Fell und den leuchtendgrünen Augen, dem quirligen Tarbaby, der unermüdlich in die Luft schnellte, um Schmetterlinge zu fangen, und es doch niemals schaffte, Tarbaby, der empört zu den Eichelhähern hinauf starrte, die ihn von den Bäumen herunter verspotteten, Tarbaby, der übermütig mit mir durch den Irrgarten tollte, den ich eines Winters in unserem tief verschneiten Garten angelegt hatte, Tarbaby, der zu mir immer zärtlich und sanft war, den jedoch alle Hunde aus der Nachbarschaft fürchteten – Tarbaby, dem fröhlichen Gefährten meiner Jugendjahre, widme ich in liebevoller Erinnerung dieses Buch.

Vorwort

In diesem Buch erzähle ich Ihnen von den aufregenden Abenteuern, die die wagemutige Carolina Lightfoot aus der Kolonie Virginia und ihr edler Freibeuter Kells im ausgehenden siebzehnten Jahrhundert bestehen müssen.

Die Geschichte ihrer Liebe und Verzweiflung spielt vor dem glanzvollen Hintergrund des damaligen kolonialen Handelszentrums Port Royal. Um diesen faszinierenden Schauplatz korrekt wiedererstehen lassen zu können, habe ich mit größter Gewissenhaftigkeit alte Berichte und Landkarten und die neuesten archäologischen Erkenntnisse studiert – gleichzeitig aber auch versucht, Ihnen die überschäumende Lebensfreude an diesem Ort des Überflusses zu vermitteln, den Pomp der Feste, die Eleganz der Mode – eben die ganze luxuriöse Lebensweise zur Blütezeit dieser Stadt auf der Insel Jamaika, in deren Hafen die Segel vieler Nationen flatterten, deren hübsche, mehrstöckige Ziegelhäuser und riesige Lagerschuppen von der Beute aus den Bäuchen spanischer Schatzschiffe überquollen und in deren Straßen übermütige Freibeuter lärmten. Ich denke, es ist die geeignete Fassung für das kostbarste Juwel der Karibik: Carolina Lightfoot, das berühmte »Silbermädchen«.

Obwohl alle Personen und Ereignisse – abgesehen von den hier gesondert erwähnten – meiner Phantasie entsprungen sind, habe ich mich ansonsten sehr eng an die historischen Gegebenheiten gehalten.

Die Beschreibung der Katze »Moonbeam«, die zum Vergnügen der Gäste in Essex mit an der Tafel speist, stützt sich auf das Vorbild einer englischen Katze, deren Besitzerin ihren Liebling dermaßen vergötterte, daß sie dem Tier »Tischmanieren« beibrachte und ihm gestattete, die Mahlzeiten gemeinsam mit der Familie einzunehmen.

Was John White betrifft, so war er seinerzeit tatsächlich Gouverneur von Jamaika, und laut dem Augenzeugenbericht eines Dr. Heath, des Vorstehers der »St. Paul's Church«, befand er sich wirklich an Bord der STORM MERCHANT, wo meine Heldin ihn aufsucht. Persönliche Details über ihn konnte ich nicht in Erfahrung bringen – außer daß er eine Vorliebe für Wermut hatte. Demzufolge ist alles, was Sie über ihn und seine Familie lesen werden, von mir erfunden. Ich hoffe nur, daß ich ihm gerecht geworden bin.

Sie werden auch eine wahrheitsgetreue Schilderung einer der großen Naturkatastrophen der westlichen Welt finden: Ich habe keine Mühen gescheut, um Ihnen anhand historischen und archäologischen Materials und anhand von Augenzeugenberichten das Ereignis in seinem ganzen Ausmaß nahezubringen. Wo ich keine Tatsachen erfahren konnte, mußte ich natürlich auf meine Phantasie zurückgreifen. So habe ich zum Beispiel feststellen können, wie das Wetter vor dem Unglück war – aber nicht danach.

Bezüglich der Figur des »Diego Vivar« ist zu sagen, daß der spanische Geheimdienst zur Zeit der Handlung ganz ausgezeichnet funktionierte und es sehr gut möglich gewesen wäre, daß Diego sein Ende an einem solchen Ort und auf eine solche Weise gefunden hätte.

Als die Freibeuter ihre Basis auf Jamaika verloren, wußten sie buchstäblich nicht, wohin. Tortuga war vergleichsweise reizlos, und außerdem unterstand es der französischen Krone (Frankreich und England führten damals einen Seekrieg), und so schlossen sich die wenigen, die nicht auf See waren, zusammen und segelten schließlich zu den »Shallows«, den heutigen Bahamas, und ließen sich in Charles Town nieder, dem Piratenstützpunkt auf Providence Island, der im Jahr 1690 in »Nassau« umbenannt wurde. Mit der Abwanderung der Freibeuter zu den Bahamas endete zwar die Morgan-Ära (der berühmteste Pirat aller Zeiten war vier Jahre zuvor gestorben), doch die Piraten von Nassau, das seinerzeit wohl die wüsteste Stadt der Welt war, machten auch weiterhin die Straits of Florida, die Windward-Passage und die Mona-Passage unsicher. Es gab mehrere Versuche, sie auszurotten, und ich berichte Ihnen von einer gemeinsamen Aktion der Franzosen und Spanier, die ich allerdings zugunsten des Spannungsverlaufs etwas vorverlegt habe.

Bei dem Angriff wurden die gefangenen Männer auf der Stelle getötet und die Frauen als Sklavinnen nach Havanna gebracht. Und so schildere ich auch das alte Havanna, dessen düstere Festung »El Morro«, die über den Hafen wacht, zur Zeit meines Romans gerade hundert Jahre alt war und auf dessen Plaza de Armas Piraten und Freibeuter gleichermaßen gnadenlos aufgeknüpft wurden.

Vielleicht hatten die Spanier in Wirklichkeit gar nicht die Absicht, Jamaika im Jahr 1692 zu überfallen, aber zu Morgans Zeiten herrschte die allgemeine Überzeugung, daß sie vorhätten, die Engländer aus dem Gebiet der Westindischen Inseln zu vertreiben. Es war Gouverneur Modyford, der aufgrund der Erkenntnis, daß er nicht mit der Unterstützung einer englischen Flotte rechnen konnte, Morgan überredete, mit den Freibeutern Porto Bello zu überfallen, um die Spanier dadurch von dem vermeintlichen Vorhaben eines Angriffs auf ihre Nachbarn abzulenken.

Auch den Zeitpunkt dieser Ereignisse habe ich etwas verändert, aber es könnte sich durchaus so zugetragen haben, wie ich es beschreibe. Ebenso wie heute wurden auch damals Spione eingesetzt, um die militärische Stärke des Gegners auszukundschaften, und warum sollte nicht einer dieser Spione ein gutaussehender Mann gewesen sein – und empfänglich für die Reize einer so schönen Frau wie Carolina Lightfoot? Mein besonderes Interesse an den Freibeutern – und anderen beherzten Patrioten, die in der fernen Vergangenheit auf unorthodoxe Weise für ihr Land kämpften – ist wohl durch meine Familiengeschichte zu erklären. Mein Mädchenname war McNeill. Ich bin die Urururenkelin von Captain Daniel McNeill, über den der junge George Washington in einem Brief (der gerahmt in der Bibliothek des Kongresses hängt) aus Winchester, Virginia, schrieb, daß er – Captain Daniel McNeill – ihm für den Dunmore-Krieg von der anderen Seite des Berges mit dreihundert Mann aushelfen könne.

Während meiner Jahre im Pentagon las ich in der Armeebibliothek voller Begeisterung die Berichte über einen späteren Daniel McNeill, der mit seinem Kaperschiff nach Nordafrika segelte, um im Dienste seines Landes die Berberpiraten zu bekämpfen. Und ich war entzückt, als ich in Washington D.C. feststellte, daß nur ein paar Blocks von meinem Quartier »Dragon's Lair« entfernt Stephen Decator, einer der Helden unseres Landes, gelebt hatte, der als junger Offizier unter dem Kommando ebendieses Kapitäns Daniel McNeill zur See gefahren war. Irgendwie brachte mir das die Geschichte nahe – und die Freibeuter noch näher. Kapitän Dan'l, wie er im Familienkreis traditionsgemäß genannt wird, wäre ganz sicher ein Freibeuter gewesen, wenn er in jener Zeit gelebt hätte. Was nun die Freibeuter angeht – diese Unzahl Unglücklicher, die politisches Asyl suchten und von denen viele (wie auch der Held meiner Geschichte) die spanische Schreckensherrschaft und die Greuel der Inquisition kennenlernten –, wie müssen sie ihre Überfälle auf die Schiffe des verhaßten Landes genossen haben, dessen Regime sie von einer Insel zur anderen getrieben und versucht hatte, sie vom Antlitz der Meere zu tilgen! Es waren die Freibeuter, die die Westindischen Inseln vor der spanischen Invasion bewahrten und verhinderten, daß diese Kolonien der Engländer, Franzosen und Holländer zu weiteren Gliedern in der Kette der Macht wurden, die die westliche Halbkugel umschloß.

Und denken Sie einmal darüber nach: Damals war die Ostküste Nordamerikas erst äußerst spärlich besiedelt, und hätten die Spanier es geschafft, die Karibik zu »säubern« – was wäre dann aus unserer Heimat geworden?

Ich bin der Ansicht, daß wir den Freibeutern einiges schulden. Wir können diese Schuld natürlich nicht mehr begleichen, aber wir können zumindest ihr Andenken in Ehren halten. Und so lade ich Sie ein, mit mir eine Reise in eine faszinierende Vergangenheit zu machen, ihre Geheimnisse zu ergründen und sich von den Abenteuern fesseln zu lassen.

Sprecht ihr von Freibeutern Dann erinnert euch ihrer mit Tränen. Wir, die Engländer, Franzosen und Holländer, Die wir diese Männer zwischen Ebbe und Flut aufgeknüpft, Geschmäht und entehrt haben, Schulden ihnen viel, Denn sie retteten die Westindischen Inseln. Obwohl sie Gesetzlose waren, Wird man immer von ihnen erzählen, solange die Passatwinde wehen Und wo immer freie Männer zusammenkommen. Und ihre Seelen segeln auf ewig im Schein des Sonnenuntergangs ...

Valerie Sherwood

PROLOG

Port Royal, Jamaika Frühling 1692

Im blassen Schein des Mondes Halten sie sich eng umschlungen, Überzeugt, daß keine Macht der Erde Ihrer Liebe jemals etwas anhaben kann.

Wie ein Säbel schnitt die schmale, gebogene Landzunge in die nachtblaue See. Auf der weißen Sandfläche, die vom Festland durch einen tückisch glitzernden Mangrovensumpf getrennt war, lag die übelstbeleumdete Stadt der westlichen Welt: Port Royal, Basishafen der Freibeuter an der Südküste Jamaikas. In der Queen's Street, nicht weit vom Strand entfernt, an dem die Sea Lane entlangführte, wehte der Passat sanft durch die offenen Fenster des ersten Stocks eines hübschen Ziegelhauses und kühlte die erhitzten Leiber des dunkelhaarigen Mannes und der blonden Frau, die in leidenschaftlicher Umarmung auf das große, geschnitzte Bett gesunken waren.

Der Mann, als »die beste Klinge der Karibik« bekannt, war der berühmt-berüchtigte Kells, dessen Name wie der Klang eines mächtigen Gongs über die Meere hallte und die Kapitäne spanischer Schatzschiffe je nach Veranlagung erbleichen oder zornrot werden ließ. Das Mondlicht verlieh seinem muskulösen Körper mit dem breiten Rücken, den schmalen Hüften und den langen Beinen einen goldenen Schimmer. Die junge Frau, die er in den Armen hielt, bedeutete ihm mehr als sein Leben.

Sie erbebte, ein leises Stöhnen kam über ihre Lippen, und die harten Züge seines Adlergesichts wurden weich, als er sie sanft auf die glühenden Wangen küßte. Er war schon lange nicht mehr religiös, aber jetzt schickte er dennoch ein stummes Stoßgebet gen Himmel, daß Gott sie in dieser wilden Stadt beschützen möge, während er fort wäre. Denn sie stand im Mittelpunkt des Interesses: Ihre atemberaubende Schönheit und ihre stürmische Liebesbeziehung zu dem gefährlichsten Seeräuber dieser Stadt, die von gefährlichen Seeräubern nur so wimmelte, waren die Lieblingsthemen der Männer.

Manche sagten, Kells habe sie geheiratet, andere meinten, er habe es nicht getan. Wieder andere behaupteten, daß er sie, um sie auf ewig an sich zu binden, sicherheitshalber gleich mehrmals geheiratet habe: auf Tortuga, in Virginia, in Essex, in London – und sogar auf den Azoren. Und einige dieser Geschichten stimmten tatsächlich.

Ganz Port Royal beneidete ihn um diese Frau. Die Freibeuter, die sich aus aller Herren Länder hier zusammengefunden hatten, nannten sie liebevoll »Silbermädchen« – und wenn, wie jetzt, das Licht des Mondes auf die Flut ihrer blonden Haare fiel, die ausgebreitet auf dem Kissen lag, wurde offenbar, daß es keinen passenderen Namen für sie hätte geben können.

Obwohl es bereits Mitternacht geschlagen hatte, ging es in den Tavernen noch hoch her, wo die Männer das Gold, das sie unter Einsatz ihres Lebens erbeutet hatten, leichtfertig verspielten oder sich damit die Gunst eines Mädchens erkauften.

Aber das ausgelassene Gegröle und Singen, das Knallen der Trinkkrüge auf den blankgescheuerten Tischen und das Klappern der Entermesser, das Gejohle und das dröhnende Gelächter drangen nur sehr schwach bis zu dem Haus in der Queen's Street herauf, und das Paar auf dem Bett hörte von alldem nichts: Für die beiden existierte nichts als ihre verzehrende Leidenschaft, die sie zu einem erdbebengleichen Höhepunkt führte, dem eine wohlige Erschöpfung folgte.

»Kells?« sagte sie leise, ihn bei seinem Freibeuternamen nennend. In Wahrheit hieß er Rye Evistock, und unter diesem Namen hatte er sie auch vor der Küste der Azoren auf einem Schiff geheiratet. »Eigentlich willst du mich doch gar nicht verlassen, oder?«

Es klang ängstlich, und ihr Mann, der ausgestreckt neben ihr lag, richtete sich halb auf und zog sie an seine Brust, als wolle er sie gegen die ganze Welt beschützen.

»Das weißt du doch, Christabel.« Auch er gebrauchte den Namen, unter dem die Freibeuter sie kannten: Für sie war sie Christabel Willing, das »Silbermädchen« der Karibik, das schon auf Tortuga stets Aufsehen mit ihren Kapricen erregt hatte und die Gefährtin des schon zu Lebzeiten legendären Freibeuters war. In Wirklichkeit hieß sie Carolina Lightfoot und stammte aus Tidewater, wo ihre Mutter mit königlicher Würde über »Level Green« herrschte, dem schönsten und größten Besitz der Kolonie Virginia.

»Aber ... du gehst trotzdem, nicht wahr?« Sie rückte ein wenig von ihm ab.

»Ich muß«, seufzte er.

»Ich weiß, daß du das glaubst – aber ich bitte dich dennoch, nicht zu gehen.« Der Finger, mit dem sie sanft über seinen flachen Bauch abwärts fuhr, hinterließ eine brennende Spur. »Fahr nicht! Bleib bei mir!«

Ihre Stimme umschmeichelte ihn wie Sirenengesang und weckte erneut sein Begehren. Er nahm sie mit einer Heftigkeit, die ihr fast die Sinne raubte und sie schließlich ermattet zurücksinken ließ.

Aber sie hatte nichts erreicht. In einer der folgenden Nächte machte sie erneut einen Versuch.

»Wie kannst du mich nur an einem so schrecklichen Ort allein lassen?« fragte sie anklagend, nachdem sie sich leidenschaftlich geliebt hatten.

»Schrecklich, sagst du?« fragte er amüsiert. »Es gibt in der ganzen Stadt kein schöneres Haus. Es ist sicher wie eine Festung und nach deinem Geschmack eingerichtet. Du hast Dienstboten, die neuesten Pariser Modellkleider, Schmuck, und die Stadt liegt dir zu Füßen. Möchtest du das alles etwa gegen das karge Leben auf See eintauschen, wo der Wind in der Takelage heult, das Brot feucht und schimmlig und das Wasser in den Behältern grün ist, ganz abgesehen von der ständigen Gefahr, plötzlich der gesamten spanischen Schatzflotte zu begegnen – oder dem Vera-Cruz-Flottengeschwader – und in die Luft gesprengt zu werden?«

»Allerdings!« antwortete sie mit Entschiedenheit.

»Ich hätte dich für vernünftiger gehalten«, lächelte er zärtlich, drehte sich um und schlief augenblicklich ein.

Die Standuhr in der Halle schlug: Es war zwei Uhr morgens. Carolina lag neben ihrem geliebten Freibeuter und dachte nach. Ihre Bitten hatten keinen Eindruck auf ihn gemacht – und auch die heiße Liebesnacht, die hinter ihnen lag, hatte ihn nicht umstimmen können.

Als sie erkannte, daß sie nicht würde einschlafen können, stand sie auf und warf sich einen hauchdünnen Schal um, der mit den Madagaskarpiraten nach Port Royal gelangt war. Er war goldfarben und reich mit Rosen aus weißer Seide bestickt. Die langen Fransen umspielten ihre schlanken Beine, als sie zum Fenster ging, wo sie sich niederließ und auf die mondbeschienene Stadt hinunterschaute.

Rund achttausend Menschen lebten dort – in zweitausend Häusern. Kells war mit Carolina von Tortuga hierhergesegelt, als der Krieg zwischen England und Frankreich bewirkt hatte, was den Spaniern nicht gelungen war: die »Bruderschaft der Küste« zu zerschlagen. Denn Tortuga wurde von einem französischen Gouverneur regiert, und Freibeuter standen in unverbrüchlicher Treue zu ihrem jeweiligen Land. Also waren die französischen auf Tortuga geblieben, und die englischen hatten eine neue Basis in Port Royal gefunden, wo es Wein und Geld im Überfluß gab. Und doch – das mußte sie sich eingestehen – war sie auf Tortuga glücklicher gewesen. Ihr großes weißes Haus dort war wie eine Schutzburg gewesen, aber in dieser kosmopolitischen Stadt wurde sie immer wieder schmerzlich daran erinnert, daß sie niemals in Essex würden leben können – bei Ryes Familie. Nicht Rye – Kells: Er war dazu verdammt, für immer der irische Freibeuter zu sein, von dem niemand angenommen hätte, daß er in Wahrheit der vornehme Engländer Rye Evistock war. Jedenfalls nicht, bis ich auftauchte, dachte sie bitter. Es war wirklich alles allein ihre Schuld. Ohne sie hätte er sein Geheimnis wahren können. Sie hatte sein Leben zerstört.

Ihre Selbstvorwürfe wurden unterbrochen, als sie eine schattenhafte Gestalt aus dem Haus treten und dann die Straße hinunterhasten sah. Carolina runzelte die Stirn. Das Mädchen hatte sich zwar zur Tarnung in einen großen Schal gehüllt, aber sie war sicher, daß es Gilly war. Sich Sorgen um die Jungfräulichkeit der Fünfzehnjährigen zu machen war müßig, die hatte sie schon vor langer Zeit auf New Providence verloren, das nördlich von hier lag – aber es bestand immer die Gefahr, daß einer der Hurenwirte sich Gilly schnappte, der nicht wußte, daß sie unter Carolinas und damit unter Kells persönlichem Schutz stand, und dann würde sie vielleicht in eines der zahlreichen Bordelle von Port Royal verschleppt.

Die Überlegung, was Gilly alles passieren konnte, brachte Carolina den Tag in Erinnerung, an dem sie das Mädchen zum erstenmal gesehen hatte – den Tag, an dem sie den Brief ihrer Schwester erhalten und danach eine Entscheidung getroffen hatte, die Kells jetzt dazu zwang, sein Freibeuterleben wiederaufzunehmen. Und dabei war sie noch vor kurzer Zeit sicher gewesen, daß dieses Kapitel endgültig hinter ihm läge!

Buch I Das »Silbermädchen«

Ich singe euch ein Lied Von Gefahr und irregeleiteter Liebe Und vielen Sünden Und führe euch durch einen duftenden Hain Auf einem goldenen Pfad in eine Liebeshölle.

TEIL I Die schönste Frau von Port Royal

Laßt euch noch einmal von mir in die Karibik entführen Und euch die Geschichte einer großen Liebe erzählen Von Galeonen und Freibeutern – und einer Braut, Die mit tränenverschleierten Augen Das Meer nach einem Schiff absucht, Das ihr den Liebsten zurückbringt.

Port Royal, Jamaika Februar 1692

1. Kapitel

Es war ein heißer Tag in Port Royal. Das Mädchen, das früher einmal Carolina Lightfoot aus einem vornehmen Haus in Tidewater, Virginia, gewesen war, suchte sich vorsichtig einen Weg zwischen zerbrochenen Weinflaschen und Trinkkrügen und anderem Abfall, mit dem die Straßen am Morgen stets übersät waren. Einmal mußte sie über ein Paar Stiefel hinwegsteigen, dessen Besitzer jetzt wahrscheinlich barfuß unterwegs war, und einmal über einen Damenschuh aus mandarinenfarbenem Satin, den sicher eines der Straßenmädchen verloren hatte – und zweimal mußte sie um Betrunkene herumgehen, die ausgestreckt mitten auf dem Weg lagen, im Arm einen Krug, der zweifellos Rum enthalten hatte, und das Entermesser fest in der Hand. Es war ein ganz normaler Morgen in Port Royal, aber meistens verließ Carolina das Haus erst, wenn die Glasscherben und menschlichen Überbleibsel der Nacht bereits entfernt waren – brutal aus dem Weg geräumt von Preßpatrouillen aus dem Gefängnis, auf Befehl des Gouverneurs.

Sie erregte beträchtliches Aufsehen. Blutunterlaufene Augen, denen in der Nacht keine Ruhe gegönnt worden war, blinzelten bewundernd hinter der schlanken Gestalt her, die in einem Traum aus butterblumengelbem Voile, vergnügt einen gelben Sonnenschirm drehend, in zartgelben Schuhen mit graziösen Schritten die Straße hinunterging – wie immer begleitet und beschützt von dem großen, schweigsamen Freibeuter Hawks.

»Wir hätten warten sollen, bis die Straßen sauber sind«, brummte er. »Sie werden sich mit Ihren dünnen Schuhen noch an den Scherben schneiden.« Er packte sie am Arm, um sie um eine zerbrochene Weinflasche herumzudirigieren.

»Ja, das hätten wir vielleicht«, stimmte Carolina zu und warf den Kopf zurück, um ihre üppige lichtblonde Mähne von ihrem Nacken zu lösen: Durch die Hitze klebten die Haare an ihrer Haut, was sie als äußerst lästig empfand. »Aber später ist es noch heißer, und außerdem ist es jetzt auf dem Markt noch nicht so voll.«

Sie sagte ihm nicht, was sie auf dem Markt kaufen wollte, und Hawks fragte sie auch nicht. Es stand ihm nicht zu, mit der extravaganten Gefährtin des Kapitäns darüber zu sprechen, ob sie eine Modepuppe aus Paris, Tee und Gewürze aus China, italienische Seide oder französische Spitze besorgen wollte. All das gab es auf dem Markt – und sogar Schrumpfköpfe aus Südamerika und der beste Bordeaux (und das, obwohl England mit Frankreich im Krieg lag) fanden früher oder später den Weg in den Hafen von Port Royal. Waren aus aller Welt wurden hier gehandelt. Hawks hoffte nur, daß Carolina ihn nicht so beladen würde, daß er im Notfall Schwierigkeiten hätte, sein Entermesser zu ziehen: In den Straßen wimmelte es wie immer von dubiosen Gestalten, und die Blicke, mit denen manche der Männer seinen Schützling musterten, gefielen ihm ganz und gar nicht.

Sie waren von der Queen's Street durch eine schmale Gasse heruntergekommen, die zwischen den hohen Ziegelhäusern hindurchführte, aus denen diese auf Sand gebaute Stadt bestand, und sie traten jetzt auf die High Street hinaus.

Von einem offenen Parterrefenster eines hohen Ziegelhauses aus musterten zwei Männer die Vorübergehenden. Der jüngere und größere der beiden hatte etwas von einem Abenteurer an sich. Er war drahtig und gut gewachsen, und die geschmeidige Grazie seines Körpers hatte schon viele Frauen bezaubert. Das Gesicht mit dem samtigen olivfarbenen Teint, der hohen Stirn, der Adlernase, den schwarzen, geschwungenen Brauen und dem Grübchenkinn, das starke Entschlossenheit ausdrückte, wurde von goldbraunen Augen beherrscht. Seine schwarzen Haare fielen wie schimmernde Seide auf die Schultern seines dunkelolivfarbenen Rockes. Er saß bequem auf dem Fensterbrett, lehnte sich mit dem Rücken an den grüngestrichenen Rahmen und ließ ein Bein hinausbaumeln – doch seine lässige Haltung stand in krassem Gegensatz zu seinem wachsamen Blick. Manchmal murmelte er eine schnelle Frage nach hinten, wo der zweite Mann stand und ihm mit leiser Stimme antwortete.

Als Carolina, die Röcke ihres fließenden Voilekleides raffend, um über weitere Glasscherben zu steigen, in seinem Gesichtskreis erschien, straffte sich die Gestalt des Mannes in dem olivfarbenen Rock unwillkürlich.

»Madre de dios!« murmelte er – im Schutz des Straßenlärms ungehört – auf spanisch. »Daß es solche Schönheit hier gibt! Diese Freibeuter haben tatsächlich Geschmack – und sie wissen zu leben.«

»Du darfst nicht vergessen, englisch zu sprechen«, ermahnte sein untersetzter, massiger Freund ihn besorgt. »Sonst sind wir sehr schnell tot. Ich möchte dich daran erinnern, Ramon, daß ich das alles nur aus alter Freundschaft tue, und ...«

»Ich weiß, ich weiß«, grinste der Jüngere, ohne seinen bewundernden Blick von Carolina zu lösen. »Und ich möchte dich daran erinnern, daß du mich ›Raymond‹ nennen sollst und nicht ›Ramon‹, John, denn wie du nicht vergessen solltest, bin ich zur Zeit Franzose – zwar ein Abtrünniger, aber doch immerhin Franzose.«

Er wollte John gerade fragen, wer das herrliche Geschöpf in dem leuchtendgelben Kleid sei, als plötzlich wütendes Geschrei aus der Lime Street herüberklang, das rasch näher kam. Und dann wurde ein Karren umgestoßen, der hoch mit Orangen beladen war, die Früchte ergossen sich auf die Straße und brachten mehrere Passanten zu Fall. Die Ursache für den ganzen Aufruhr – ein Mädchen von vielleicht fünfzehn Lenzen mit ingwerfarbenen Haaren – drängte sich zwischen den Leuten hindurch, prallte gegen Hawks und fiel mit einem erschreckten Aufschrei direkt vor Carolinas Füße. Im Fallen schlug der unscheinbare braune Kittel hoch und enthüllte überraschend einen hübschen roten Seidenunterrock und spitzenbesetzte weiße Unterwäsche, die in auffallendem Kontrast zu den schmutzigen nackten Füßen und den sonnengebräunten Beinen standen.

Unmittelbar hinter ihr kam eine zerzauste Frau in einem karminroten Satinkleid angekeucht, die sich stolpernd den Weg durch die Orangen bahnte – Carolina erkannte sie als die Bordellbesitzerin, deren Etablissement angeblich sogar der Gouverneur ab und zu mit seiner Anwesenheit beehrte –, dicht gefolgt von einer offensichtlich vor Wut kochenden Frau in einem fleckigen rosafarbenen Seidenkleid, die kreischte: »Hinterher, Sadie! Laß sie bloß nicht mit meiner Unterwäsche und meinem Unterrock abhauen!«

Carolina blickte verwundert auf das Mädchen hinunter: Aus dem verschmierten Gesicht mit den scharfen Zügen blickten verzweifelte Augen zu ihr auf.

»O Gott – beschützen Sie mich!« flehte das verängstigte Geschöpf und umklammerte Carolinas Fesseln. »Die schlagen mich tot!«

Carolina wäre umgefallen, wenn Hawks sie nicht gerade noch rechtzeitig am Arm gepackt und gestützt hätte. Er wollte das Mädchen mit einem Fußtritt wegscheuchen, aber sie hinderte ihn daran und wandte sich den beiden Verfolgerinnen zu.

»Bevor Sie Hand an dieses Mädchen legen, sagen Sie mir, was sie verbrochen hat«, forderte Carolina mit energischer Stimme.

Das junge Ding war wahrscheinlich erst vor kurzem angekommen – vielleicht hatte sie in einer Schiffsküche gearbeitet – und hatte sich Arbeit in einem der Bordelle gesucht. Da sie nicht hübsch genug war, um als Prostituierte Erfolg zu haben – die Konkurrenz auf diesem Gebiet war in Port Royal beträchtlich –, hatte sie wohl versucht, sich durch hübsche Wäsche etwas aufzuwerten, den Unterrock und die Wäsche gestohlen und war erwischt worden.

»Sie ist eine Diebin! Tilly ist meine Zeugin!« schrie die Frau in Karminrot und baute sich vor Carolina und ihrem stirnrunzelnden Leibwächter auf.

»Allerdings!« bestätigte die große Frau in Rosa lautstark, die Sadie in solchem Tempo gefolgt war, daß sie nicht mehr rechtzeitig bremsen konnte und sie beinahe von hinten umgestoßen hätte. »Laß sie nicht entwischen, Sadie!« rief sie. »Reiß du der Schlampe den Unterrock runter – ich kümmer' mich um die Wäsche!«

Carolina hatte die Frage nach dem Vergehen des Mädchens nur gestellt, um Zeit zum Überlegen zu gewinnen – und als sie jetzt wieder auf das schluchzende Häufchen Unglück hinunterschaute, das immer noch ihre Fußgelenke umklammerte, fällte sie spontan ihre Entscheidung. »Lassen Sie es nicht zu, daß sie mir mitten auf der Straße die Kleider vom Leib reißen, Mistreß!« jammerte sie. »O bitte!«

»Niemand wird dir die Kleider vom Leib reißen«, versicherte Carolina ihr und warf den beiden aufgebrachten Frauen, die mit den Händen in den Hüften vor ihr standen, einen warnenden Blick zu. »Sag mir, ob du die Sachen gestohlen hast!« befahl sie streng. »Und steh auf!«

Das Mädchen hörte unvermittelt auf zu weinen und rappelte sich auf. »Es war nur, weil sie mich geschlagen haben – alle beide! Mit einem Stock!« Sie schaute anklagend zu Carolina auf. »Ich wollte mich bloß rächen!«

Carolina, die stets streunende Hunde und Katzen fütterte und mehr Mitgefühl für menschliches Strandgut hatte als irgend jemand sonst auf der Insel, betrachtete sie mitleidig. Dieses arme Wesen hatte offenbar kein Zuhause, keine Familie und besaß nichts als die Kleider, die es am Leibe trug – und die sollten ihm jetzt heruntergerissen werden!

Sie wandte sich wieder den beiden Frauen zu. »Ich nehme das Mädchen mit nach Hause«, erklärte sie lapidar. »Die Kleidungsstücke werden Ihnen innerhalb einer Stunde zurückgebracht.«

»Nein – wir nehmen die Sachen jetzt mit!« kreischte die Frau in dem fleckigen rosafarbenen Seidenkleid und machte einen drohenden Schritt auf Carolina zu.

Hawks fühlte sich sichtlich unbehaglich. Sich in eine Auseinandersetzung zwischen Frauen einzumischen konnte für einen Mann nie gut ausgehen, aber andererseits mußte er seine Schutzbefohlene unter allen Umständen verteidigen.

»Wie es aussieht, muß ich einer Dame zu Hilfe kommen«, grinste der Mann, der auf dem Fensterbrett saß.

Sein Freund wollte ihn zurückhalten und sagte hastig: »Warte, Ramon – diese Frau ist ...«, doch es half nichts: Mit einem katzenhaften Sprung landete er auf der Straße, dicht bei den Streitenden.

Und dann hörten Hawks und Carolina hinter sich eine wohlklingende, männliche Stimme: »Niemandem werden auf offener Straße die Kleider vom Leib gerissen! Ich werde es verhindern.«

Carolina fuhr herum – begleitet vom enttäuschten Gemurmel der Umstehenden, die sich schon auf einen Damenringkampf gefreut hatten – und schaute in die goldbraunen Augen eines hochgewachsenen dunkelhaarigen Mannes, der locker einen Degen in der Hand hielt. Unter dem drohenden Blick von Hawks und angesichts dieses neu hinzugekommenen, zweifellos gefährlichen Gegners wichen die beiden Frauen leise schimpfend zurück.

»Die Sachen werden dir zurückgebracht, Sadie«, versprach Hawks zutiefst erleichtert. »Ich werde persönlich dafür sorgen.«

Carolinas Interesse konzentrierte sich derweil auf den unerwarteten Retter in der Not. Sie musterte ihn neugierig. Er war außergewöhnlich attraktiv und wirkte wie ein Spanier, doch seine Kleidung deutete auf einen Don hin, und sein Englisch war ohne Akzent.

»Ich kenne Sie zwar nicht, Sir«, sagte sie langsam, »aber ich bin Ihnen sehr dankbar.«

Der Mann verbeugte sich tief. »Raymond du Monde. Zu Ihren Diensten, Mademoiselle.«

Carolina beantwortete seinen Gruß mit einem graziösen Nicken und streckte ihm ihre schmale Hand hin. Der Fremde hob sie an die Lippen, hauchte einen dezenten Kuß darauf, während er Carolinas Blick mit einem Lachen in den Augen begegnete, und gab ihre Hand eine Spur später wieder frei, als es schicklich gewesen wäre.

Auch Hawks bemerkte es, und bevor Carolina ihren Namen sagen konnte, mischte er sich hastig ein: »Kapitän Kells wird Ihnen dankbar sein!« Er sprach mit hörbarer Erleichterung, denn er hätte wirklich nicht gewußt, wie er Carolina vor den beiden Furien hätte schützen sollen – schließlich konnte man auf Frauen nicht mit dem Messer losgehen! Und was hätte der Kapitän gesagt, wenn er ihm seine Frau zerkratzt und mit Abschürfungen und vielleicht auch noch mit ausgerissenen Haarsträhnen zurückgebracht hätte?

Der Fremde horchte auf, und seine Augen glitzerten.. »Kapitän Kells?« fragte er in leicht verändertem Ton.

Carolina war daran gewöhnt, daß die Erwähnung des Namens ihres Mannes eine Reaktion hervorrief, aber sie zuckte leicht zusammen, als eine Stimme in der Menge plötzlich sagte: »Mann, weiß der Kerl nicht, daß er mit dem ›Silbermädchen‹ spricht?«

Die goldbraunen Augen musterten sie aufmerksam. Sie bemerkte eine kleine, V-förmige Narbe in seinem Mundwinkel. »›Silbermädchen‹?« murmelte er. »Sie müssen mir verzeihen, Mademoiselle – ich bin neu auf Jamaika.«

»Ja – so nennt man mich«, entgegnete sie steif.

Er schien nachzudenken. »Ah – jetzt erinnere ich mich. Dann müssen Sie ...«

»Das ist die Frau von Kapitän Kells«, erklärte Hawks, bevor sie antworten konnte. Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen und wünschte, Carolina würde das junge Mädchen, das sich schutzsuchend an sie drängte, nehmen und von hier verschwinden.

Der hochgewachsene Fremde betrachtete Carolina mit einer Mischung aus Bewunderung und Neugier. Er hatte seinen Degen wieder in die Scheide geschoben und lächelte – und etwas in diesem dunklen Gesicht erinnerte Hawks an den schwarzen Panther aus Afrika, der auf einem Schiff aus seinem Käfig ausgebrochen war: Er hatte drei Männer getötet, bevor man ihn überwältigen konnte – ein wildes, gefährliches und unberechenbares Tier. »Wir sollten jetzt gehen, Mistreß«, sagte er.

Aber sie hörte ihm gar nicht zu. »Sie haben mich vor einer Auseinandersetzung bewahrt, die sicher sehr unangenehm geworden wäre, Monsieur du Monde«, erwiderte sie das Lächeln. »Mein Mann ist unterwegs, aber er kommt heute abend zurück, und ich weiß, daß er Ihnen gerne selbst danken möchte. Es wäre uns eine Ehre, Sie heute zum Abendessen zu empfangen.«

Hawks verschluckte sich. Der Kapitän war die ganze Woche oben am Cobre River gewesen und wurde tatsächlich heute abend zurückerwartet – aber was würde er davon halten, mit einer Straßenbekanntschaft seiner Frau bei seiner Rückkehr zu speisen?

Das Gesicht des Fremden wurde noch etwas dunkler, als er erfreut errötete. »Die Ehre ist ganz auf meiner Seite«, sagte er galant.

»Sehr gut«, nickte Carolina heiter. »Wir essen um sieben. Unser Haus liegt in der Queen's Street. Jeder in Port Royal kann Ihnen sagen, wie Sie hinkommen.«

Das stimmte allerdings: Die verschiedensten Leute hatten ihm das Haus des berühmten Freibeuters und seiner fast ebenso berühmten Frau schon gezeigt – sogar dieser Fremde, der erst gestern abend mit dem Schiff eingetroffen war! Seine Augen glitzerten. »Ich werde dasein, Madame.« Wieder verbeugte er sich tief.

»Wir wollten doch zum Markt«, drängte Hawks.

»Nein – wir bringen erst ... wie heißt du eigentlich?« fragte sie das Mädchen.

»Gilly«, antwortete sie. »Einen ordentlichen Nachnamen habe ich nicht«, fügte sie leise hinzu.

Nichts hätte Carolinas Mitgefühl stärker ansprechen können: Wenn Fielding Lightfoot sich nicht dazu überwunden hätte, den Fehltritt seiner Frau zu decken, hätte auch Carolina keinen »ordentlichen Namen« gehabt. Dank seiner Großzügigkeit galt sie als eheliches Kind. Ihr Vater, Sandy Randolph, war mit einer geistesgestörten Frau verheiratet und konnte sich aus Gründen des menschlichen Anstands nicht scheiden lassen. Und als Carolina die schmutzige, unterernährte Gilly ansah, kam ihr der Gedanke, daß sie selbst unter weniger günstigen Voraussetzungen hätte in einer ebensolchen Lage sein können.

»Das spielt keine Rolle«, sagte sie tröstend. »Hast du einen Platz, wo du bleiben kannst?«

»Nein«, murmelte Gilly.

»Nun – jetzt hast du einen«, entschied Carolina augenblicklich. »Wir gehen nach Hause. Der Marktbesuch kann warten.«

Sie wandte sich an Hawks, und dabei fiel ihr Blick auf die beiden wütenden Frauen, die sie um ihre Genugtuung gebracht hatte. »Schließlich müssen wir dafür sorgen, daß die ...« sie schob eine kleine, beleidigende Pause ein, »... Damen ihr Eigentum so schnell wie möglich wiederbekommen.«

Die Bordellbesitzerin schniefte empört, und ihre Begleiterin schnaubte, aber sie machten keinen Versuch, ihnen zu folgen, als Hawks sich, mühsam ein Grinsen verbergend, umdrehte, um Carolina den Weg zurückzubegleiten, den sie gekommen waren.

Raymond du Monde sah ihnen nach, bis sie um die Ecke bogen, dann legte er die Hände auf den grünen Fensterrahmen und stemmte sich mit einer kraftvollen Bewegung zu dem Zimmer hinauf, in dem sein Freund ihn erwartete. Federnd sprach Raymond in den Raum. »Du bist ja so blaß«, neckte er.

»Wie konntest du nur in einer solchen Weise die Aufmerksamkeit auf dich lenken, Ramon?« fragte John vorwurfsvoll und schloß eilends die Fensterläden.

»›Raymond‹ bitte«, verbesserte Ramon ihn automatisch, Er bürstete den Straßenstaub so sorgfältig von seinen Manschetten, als habe er sie verseucht.

»Ich wollte dir sagen, daß die Frau Kapitän Kells Ehefrau ist – aber da warst du schon draußen.«

»Das ›Silbermädchen‹? Ja – ich hätte wissen müssen, daß sie niemand anderes sein konnte.« Ramon seufzte tief. »Die Sachen, die ich anhabe, stehen mir nicht. Meinst du, wir können so kurzfristig etwas anderes für mich beschaffen?«

John starrte ihn entsetzt an. »Du hast doch nicht im Ernst vor, in sein Haus zu gehen, oder? Ich habe zwar gehört, daß du es gesagt hast, aber ich dachte, du hättest die Einladung nur aus Höflichkeit angenommen.«

Ramons Lachen hatte etwas Hinterhältiges. »Keine zehn Pferde könnten mich davon abhalten, mit dieser Lady zu speisen!«

»Aber du hast doch gehört, daß ihr Mann heute abend zurückerwartet wird. Kells höchstpersönlich! Er hat Porto Bello ausgekundschaftet, bevor er es überfiel ...«

»Genauso, wie ich jetzt Port Royal auskundschafte«, unterbrach Ramon ihn grinsend.

»Ich darf dich daran erinnern, daß auch du kurz vor dem Überfall dort warst«, fuhr John fort.

»Ich habe Porto Bello doch verlassen – weitsichtigerweise. Wäre ich nur einen Tag länger geblieben, hätte die Bekanntschaft mit dem berüchtigten Kapitän Kells unangenehm werden können – aber heute freue ich mich darauf, ihn kennenzulernen.«

»Deine Selbstsicherheit wird dir noch zum Verhängnis werden«, prophezeite John Daimler düster. »Auch wenn du ihn nicht gesehen hast, wäre es durchaus möglich, daß er dich gesehen hat – schließlich warst du vor dem Überfall Kommandant einer der Festungen.«

Ramon zuckte die Achseln. »Natürlich – das könnte sein.«

»Und wenn er dich heute beim Abendessen in seinem Haus erkennen sollte – hast du die Folgen bedacht?«

»Darüber werde ich mir Gedanken machen, wenn es soweit ist – falls es soweit kommt«, lautete die unbekümmerte Antwort. »Und dieses Risiko willst du auf dich nehmen, um die Gunst einer Frau zu erlangen – und noch dazu der Ehefrau dieses Freibeuters?« explodierte John Daimler.

Die geschwungenen Brauen seines Gegenübers vereinigten sich zu einer durchgehenden Linie, und der Unterkiefer wirkte plötzlich noch eckiger. »Wir haben zwar schon als Kinder in Toledo miteinander gespielt, John«, sagte er in sanftem Ton, »aber erwarte nicht zuviel von einer alten Freundschaft: Wenn es um Frauen geht, nehme ich von niemandem einen Rat an.«

»Madre de dios!« polterte John los. »Du bringst uns noch beide ins Grab.«

»Du sprichst ja schon wieder spanisch, Juan«, tadelte Ramon scherzhaft. Er hatte seine gute Laune wiedergewonnen. »Bitte erinnere dich daran – schließlich hast du mich seit meiner Ankunft gestern abend unentwegt darauf hingewiesen –, daß ich ab heute Franzose bin und du Engländer bist. Und da heute so ein herrlicher Tag ist, werde ich mir die Festungen ansehen. Ich kann es gar nicht erwarten, ihre Stärke zu prüfen und ...«, seine blendend weißen Zähne blitzten, als er breit grinste, »... ihre schwachen Stellen.« Er strahlte Daimler an. »Sei guten Mutes, John. Denk daran – wenn es mir gelingen sollte, diese verdammte Insel zu unterwerfen, werde ich vielleicht sogar Gouverneur von Jamaika. Und wenn ich es bin, dann mache ich dich zu meinem Stellvertreter!« Er klopfte seinem alten Freund auf die Schulter.

John Daimler schüttelte den Kopf mit den sandfarbenen Haaren und wischte sich über die Stirn, die nicht nur von der tropischen Hitze feucht war. Es stimmte – für den Fall, daß das Vorhaben glückte, waren ihm große Versprechungen gemacht worden, aber im Augenblick wünschte er von ganzem Herzen, daß er »seine spanischen Pläne«, wie Ramon sie nannte, nicht aus der Versenkung geholt hätte. Seine spanische Mutter war schon vor langer Zeit in Toledo gestorben, seine spanischen Verwandten hatten ihn nie wirklich akzeptiert, ihn nach ihrem Tod sogar mit Verachtung gestraft. Sie hatten ihn nur zu bereitwillig nach England abgeschoben, wo sein englischer Vater, der sich der Mutter schon lange entfremdet hatte, ihm nach seinem Tod in Bristol einen kleinen Laden hinterlassen hatte. Und John Daimler war zu den Westindischen Inseln gekommen, weil er glaubte, daß eine Ortsveränderung auch sein Leben verändern würde. In England hatte man ihn wegen seines starken spanischen Akzents (den er inzwischen verloren hatte) stets schief angesehen – aber in Port Royal war es ein leichtes für ihn gewesen, sich als Engländer auszugeben, was ihm einen Start in der Welt des Handels ermöglicht hatte.

Und dann hatte dieser Teufel aus Havanna, dieser Kinderfreund aus einer fast vergessenen Vergangenheit, ihn ausfindig gemacht: Ramon del Mundo, Sproß eines der vornehmsten Häuser Spaniens. Und John Daimler – mütterlicherseits der Enkel von Juan Mendoza, nach dem er genannt war – hatte sich bereit erklärt, mit ihm zusammenzuarbeiten. Doch inzwischen bereute er seine Zusage zutiefst und wünschte sich glühend, er hätte Ramon del Mundo zum Teufel geschickt: Einen spanischen Spion aus Havanna einzuschleusen konnte ihm einen Strick um den Hals einbringen.

»Hast du ihre Augen gesehen, John?« riß sein Freund ihn aus seinen morbiden Gedanken.

»Ja«, nickte John Daimler düster.

»Faszinierende Augen! Blitzen in der Sonne wie Silber. Hast du das bemerkt?«

»Nein«, knurrte John. »Aber ich glaube es dir. Hast du nicht eine Frau in Spanien sitzen?«

Ramons Gesicht wirkte auf einmal wie versteinert, und John fügte hinzu: »Jemanden, dem diese Narrheit Kummer machen würde, die dich das Leben kosten kann?«

Die Züge seines Gegenübers entspannten sich wieder. »Nein, da gibt es niemanden. Aber selbst wenn da jemand wäre ... hast du ihr Haar gesehen?«

Daimler nickte.

»Wie gesponnenes Silber. Hast du dir noch nie die Flut solchen Haares auf deinem Kopfkissen vorgestellt, John?« Sein Freund gestand widerstrebend, daß er sich das sehr wohl schon vorgestellt hatte, aber Ramon hörte es gar nicht: Er träumte immer noch laut vor sich hin.

»Und ihre Haut – wie Seide. Und ihr Gang – so leichtfüßig und stolz und unbekümmert. Die Frauen am spanischen Hof gehen ganz anders – sie trippeln, oder sie schweben. Das sieht zwar sehr gut aus – aber ich ziehe diese Art vor. Ist dir nicht auch aufgefallen, wie sie geht?«

»Ich denke, es ist Zeit, daß du dir die Festungen ansiehst«, meinte John unwirsch. »Es sind drei: Fort James, Fort Carlisle und Morgan's Line. Du tätest gut daran, ihre Verteidigungsmöglichkeiten unter die Lupe zu nehmen.«

Ramon seufzte. »Du hast recht. Und wenn ich das erledigt habe, werde ich einkaufen gehen: Ich brauche einen Anzug, damit ich heute abend vor der Lady bestehen kann.«

John Daimler verdrehte die Augen.

»Versprich mir eins, Ramon«, bat er. »Zieh dich nicht spanisch an – du siehst auch so schon spanisch genug aus.«

»Nur die Ruhe«, grinste Ramon und zwirbelte einen imaginären Schnurrbart (seinen hatte er vor Beginn ihres Vorhabens sicherheitshalber abrasiert), »ich werde schon etwas Unverfängliches finden.«

Währenddessen steuerte Carolina mit Gilly im Schlepptau auf ihr Haus in der Queen's Street zu.

Als Hawks neben ihr sagte: »Dem Kapitän wird es sicher nicht gefallen, daß Sie für seinen ersten Abend zu Hause einen wildfremden Franzmann zum Essen eingeladen haben!«, wandte sie sich ihm zu und strafte ihn mit einem vernichtenden Blick. »Und da kommt der andere Franzmann«, murmelte er.

Damit meinte er den Hugenotten Louis Deauville, der kürzlich in das Haus gezogen war, das ihrem gegenüberlag, und ihnen jetzt entgegenkam, wobei er unternehmungslustig seinen Ebenholzstock herumwirbelte.

Deauville war über die Stadt hereingebrochen wie eine Lawine, die die Bedenken und Grundsätze der meisten Damen von Port Royal unter sich begrub: Seine weltmännische Art und seine anzüglichen Blicke, mit denen er sie auszuziehen schien, hatten sie schlicht überwältigt. Die Herzen schlugen höher, wenn er einen Raum betrat, die Gesichter strahlten verzückt beim Anblick seiner hochgewachsenen Gestalt, leuchtende Augen hingen an seinen Lippen, wenn er seine gewählt formulierten Komplimente verteilte – jedes sorgfältig auf das jeweilige Objekt seines Interesses zugeschnitten. Und seine galanten Abenteuer, deren Schilderungen er in die Ohren der holden Weiblichkeiten flüsterte, waren so gewagt und hinreißend verderbt, daß sie hinter zitternden Fächern kichernd weitererzählt wurden – allerdings nur selten in Gegenwart der Ehemänner, die diesen Pikanterien bei weitem nicht soviel abgewinnen konnten.

Die Damen der Gesellschaft von Port Royal waren überzeugt davon, Monsieur Deauville sei ein Adliger, der inkognito reise (ein Gerücht, das er vielleicht sogar selbst ausgestreut hatte), ein Mann, der in Frankreich ein immenses Vermögen besitze (schließlich hatte er überall Kredit!), ein Beau der Pariser Oberschicht, der mit jeder begehrenswerten Frau in Paris geschlafen habe!

Und so stellte er eine echte Herausforderung dar.

Carolina allerdings hielt ihn eher für einen Tanz- oder Fechtlehrer – das würde auch seine Grazie und seine drahtige Gestalt erklären. Sie zweifelte nicht daran, daß er mit jeder hübschen Frau ins Bett gegangen war, die sich dazu bereit gefunden hatte – aber sie zweifelte durchaus daran, daß er, wie er behauptete, tatsächlich die Mätressen des französischen Königs oder die Hofdamen erobert hatte. Sie hielt ihn für einen charmanten Schürzenjäger und begegnete ihm mit Vorsicht.

Aber die Geschichte, die sie aus dritter Hand von der Frau eines reichen Kaufmanns in deren hübschem Haus in der Broad Street beim Tee gehört hatte, war höchst interessant gewesen. Anscheinend hatte Monsieur Deauville sich kurze Zeit in London aufgehalten und eines Tages in kühner Weise eingegriffen, als die Pferde einer Kutsche durchgingen. Nachdem er die Tiere zum Stehen gebracht hatte, wurde er von dem Fahrgast der Karosse stürmisch umarmt – einer zitternden, strahlend schönen Dame in einem pfauenblauen Kleid. Sie nahm ihn mit nach Hause und erzählte ihm auf dem Heimweg, daß sie, eine ehemalige Schulleiterin, ihr Institut in einen vornehmen Spielsalon umgewandelt habe.

An diesem Punkt hatte Carolina aufgehorcht. Jenny Chesterton! dachte sie voller Aufregung: Sie hatte seinerzeit Mistreß Chestertons Schule für höhere Töchter besucht und wußte, daß die junge Schulleiterin nach einem Skandal die Schule schließen mußte und eine Spielhölle daraus gemacht hatte. »Erzählen Sie weiter!« drängte Carolina die Gastgeberin.

»Viel gibt es da nicht mehr«, erwiderte diese mit einem Schulterzucken. »Außer daß er behauptete, mit einer früheren Schülerin, die bei der Lady wohnte, eine Affäre gehabt zu haben.« Sie verzog die Lippen. »Ich weiß nicht, ob ich das glauben soll, aber auf jeden Fall ist es eine hübsche Geschichte.«

Eine Affäre mit einer ehemaligen Schülerin! Carolina setzte ihre Tasse mit einem Ruck ab. Konnte das Reba gewesen sein – ihre frühere Zimmergenossin? Reba, die ihr seit damals so viel Ärger beschert hatte? Immerhin stimmte es, daß sie einige Zeit bei Jenny Chesterton gewohnt hatte!

Diese Unterhaltung hatte am vergangenen Donnerstag stattgefunden, und seitdem hatte Carolina darauf gebrannt, Louis Deauville nach weiteren Einzelheiten zu fragen. Als er jetzt mit wirbelndem Spazierstock auf sie zukam, musterte sie ihn nachdenklich. Sie würde ihn zu gerne fragen – aber jetzt, in Gillys Anwesenheit, war nicht der richtige Zeitpunkt.

»Vielleicht sollte ich Monsieur Deauville ebenfalls zum Abendessen einladen«, murmelte sie Hawks zu. »Je mehr Herren, um so unverfänglicher, nicht wahr?«

Hawks, der neben ihr herging, antwortete nicht und beobachtete mißbilligend, wie der Franzose Carolina überschwenglich begrüßte. Es war ihm nicht entgangen, daß dieser Stutzer, der heute morgen einen Ohrring und einen schreiend grünen Rock trug, es jedesmal so einrichtete, daß er »zufällig« mit Carolina zusammentraf. Er fragte sich, ob das in Frankreich wohl die Art war, wie man sich verheirateten Frauen näherte, und sein Gesicht verfinsterte sich noch mehr.

»Wie schön, Sie zu sehen«, sagte Carolina. »Aber ich bin überrascht, daß Sie noch hier sind. Sagten Sie nicht, Sie wollten nach Amerika?«

In Wahrheit war Monsieur Deauville erst vor kurzem aus Amerika geflohen, wo er nur mit Mühe einem wütenden Ehemann entkommen war, aber er hatte sich entschlossen zu behaupten, daß er gerade aus Marseille käme – seiner Geburtsstadt.

»Ich bin noch hier wegen ...« sein Blick wanderte zu ihren Brüsten, die sich aufgrund der Hitze schnell hoben und senkten, »... des Klimas. Es ist so angenehm ... warm.«

»Wir wollen Sie nicht aufhalten«, sagte Carolina hastig, als sie die Richtung seines Blickes erkannte. »Ich habe ein neues Hausmädchen hier, das ich noch in seine Arbeit einweisen muß.« Sie stieß Gilly an, die ganz versunken in den Anblick von Monsieur Deauvilles Geldbörse war. Es wäre eine Kleinigkeit, sie ihm zu entreißen und davonzurennen, dachte sie. So leicht wie ein Fingerschnippen.

»Komm, Gilly«, sagte Carolina, und das Mädchen gab seinen Plan mit einem tiefen Seufzer auf und trottete neben ihrer neuen Herrin her.

Hawks stieß hervor: »Es gefällt mir nicht, wie dieser Franzmann Sie ansieht!«

Carolina stimmte ihm zwar insgeheim zu – Monsieur Deauville hatte sie ja mit seinen Blicken geradezu ausgezogen –, aber sie gab es nicht zu, denn sie war immer noch ärgerlich über Hawks Kritik an ihrer Wahl des Dinnergastes.

»Ich bin sicher, Monsieur Deauville hat in Frankreich eine Frau und mindestens sechs Kinder«, erklärte sie leichthin. »Sie tun ihm unrecht, Hawks. Er ist harmlos.«

Ihr Leibwächter schnaubte verächtlich und beschränkte sich den Rest des Heimweges darauf, Gilly zuzuhören, die ihre erfundene Lebensgeschichte zum besten gab, nach der sie zu Hause schlecht behandelt, schließlich nur mit Lumpen bekleidet hinausgeworfen, ungerechtfertigterweise ins Gefängnis gesperrt worden war und ihren Liebhaber an den Galgen verloren hatte. Ihre Phantasie beflügelte sie zu immer neuen Schauermärchen, und als sie schließlich das Haus in der Queen's Street erreichten, war sie völlig außer Atem.

»Sie wird Ihnen den Stuhl unter dem Hintern wegstehlen«, prophezeite Hawks säuerlich, als er Carolina die Tür aufhielt. Gilly drehte sich um und schnitt ihm eine Grimasse.

»Ach, Unsinn«, widersprach Carolina in tadelndem Ton. »Das Mädchen hat bisher nur Pech gehabt. Sie wird froh sein, endlich ein Heim zu bekommen – nicht wahr, Gilly?«

»O ja, Herrin«, antwortete Gilly schnell – zu schnell für Hawks Geschmack. Und auch das Grinsen gefiel ihm nicht. Gilly las seine Gedanken in seinen Augen und streckte ihm verstohlen die Zunge heraus.

Sie traten in die kühle Eingangshalle. Carolina bemerkte nicht, wie Gillys Augen angesichts all der Pracht gierig aufblitzten. Sie hatte Strandgut aufgesammelt – und nicht zum erstenmal: Die meisten ihrer Dienstboten hatte sie aus der Gosse geholt. Und jetzt dieses arme, zerrupfte Kind. Als sie auf den ingwerroten Schopf des Mädchens hinunterschaute, hatte sie das erhebende Gefühl, das Richtige getan zu haben.

2. Kapitel

Carolina hatte die Halle kaum betreten, als Betts, eines der Dienstmädchen, auf sie zustürzte und ihr atemlos mitteilte, daß eine Nachricht vom »Master« eingetroffen sei: Kapitän Kells würde heute abend nicht zurückkommen – es könne sogar sein, daß er noch eine ganze Woche am Cobre River bleiben müsse.

Carolina war verärgert: Wenn sie das vorher gewußt hätte, wäre sie natürlich nicht auf den Gedanken gekommen, Monsieur du Monde für heute abend einzuladen.

Aber das bevorstehende Dinner war vergessen, als Betts – ein Kind der Londoner Docks, dessen Gesicht von ihrem schweren Leben gezeichnet war, ein Mädchen, das Carolina gerettet hatte und das sie dafür anbetete – ihr einen Brief gab und mit ernstem Gesicht sagte: »Kapitän Trollope von der HOPEMONT hat ihn gebracht, Mistreß. Er hat ihn, scheint's, von Kapitän Carleton von der BOMBAY bekommen, und der hat ihm gesagt, er wüßte nicht mehr, von wem er ihn hat.«

Carolina nahm ihr den Brief aus der Hand. »Ich kann mir schon vorstellen, wer ihn ihm gegeben hat.«

Ihre Schwester Virginia war der unrealistischen Überzeugung, daß die offiziellen Stellen in England keine Ahnung hätten, wo der berüchtigte Kapitän Kells sich derzeit aufhielt. Carolina seufzte. Wie konnte Virginia das nur denken?

Aber wie auch immer – der Brief war ein Gruß aus der Heimat. Doch sie mußte ihre Ungeduld noch ein wenig bezähmen, denn bevor sie sich ihm zuwenden konnte, mußte sie Betts Anweisungen bezüglich Gillys erteilen, die von dem Dienstmädchen mit gerunzelter Stirn gemustert wurde. »Zieh Gilly den Unterrock und die Wäsche aus, und gib die Sachen Hawks – er wird sie der Eigentümerin zurückgeben.«

Betts starrte ihre Herrin fassungslos an. »Wenn ich das mache – was soll sie denn dann anziehen?« platzte sie heraus. »Das Kleid auf der nackten Haut?«

»Sorg erst einmal dafür, daß sie ein Bad nimmt«, ordnete Carolina an, die es nicht erwarten konnte, den Brief zu lesen. »Und dann gib ihr einen Morgenrock. Ich finde schon etwas zum Anziehen für sie, sobald ich das hier gelesen habe.« Sie wedelte mit dem Brief. »Gilly – geh mit Betts. Sie wird sich um dich kümmern.«

Gilly fixierte Betts mit kriegerischem Blick. »Ich bin hungrig«, begehrte sie auf.

»Natürlich bist du das«, nickte Carolina. »Betts wird dir etwas zu essen geben. Geht jetzt, ihr beide.«

Mit einem trotzigen Hüftschwung folgte Gilly der mißtrauisch dreinschauenden Betts, und Carolina ging in das kühle Wohnzimmer mit der hohen Decke, um endlich den Brief zu lesen.

Da Virginia aus Angst, man könnte den Weg des Briefes verfolgen, nur sehr selten schrieb, war seine umwegreiche Ankunft aus Essex ein aufregendes Ereignis.

»Ich hätte dir schon viel früher schreiben sollen«, begann Virginia entschuldigend. »Aber ich war die ganze Zeit so mit Andrews literarischen Vorhaben beschäftigt: Er hat gerade mit einer Neuübersetzung von Vergil begonnen.«

Der fleißige Bücherwurm Andrew! Carolina lächelte. Wie gut er und ihre Schwester doch zusammenpaßten!

Doch die nächste Zeile beendete ihr Amüsement abrupt.

»Ich fürchte, ich habe eine schlimme Nachricht für Rye«, schrieb Virginia. »Sein älterer Bruder, Giles, ist letzte Woche gestorben. Er hat sich schließlich tatsächlich zu Tode getrunken, wie wir es vorausgesagt hatten. Sein Ende war entsetzlich – er schrie und sah alle möglichen Ungeheuer und verkroch sich verzweifelt unter der Bettdecke, um ihnen zu entkommen. Ich konnte es nicht ertragen und lief davon, obwohl ich wußte, daß ich ihn eigentlich hätte pflegen müssen – aber Andrew sagte, ich hätte richtig gehandelt, da ich schließlich für unseren Kleinen einen unbeschwerten Eindruck machen müsse. Und in Kürze wird wohl noch ein zweiter Todesfall ins Haus stehen: Ryes Vater lebt zwar noch, aber er bekommt kaum noch Luft – ich weiß gar nicht, wie er es schafft, noch immer am Leben zu sein.«

Carolina atmete tief aus. Sie ließ die Hand mit dem Brief in den Schoß sinken und schaute durch das Fenster zu dem dunkelblauen Himmel hinauf, der sich über Jamaika wölbte. Kells Bruder Giles war tot – und sein Vater würde es bald sein. Sie und Kells hatten vor einiger Zeit darüber gesprochen, wie es wohl in Essex ginge – und Carolina war nicht glücklich über seine Vermutung gewesen.

Rye Evistock war der dritte Sohn von Lord Gayle. Der älteste, Darvent, ein Tunichtgut, war letztes Jahr bei einer Auseinandersetzung in einer Taverne in Colchester erschossen worden. Sie wußten, daß Giles, der nächste Anwärter auf den Titel, sich allmählich zu Tode trank und vielleicht sogar noch vor seinem Vater zu Grabe getragen würde. Und wenn dieser Fall eintrat, dann wäre die Reihe an Rye – dem gefürchteten Kapitän Kells –, den Titel und den Familienbesitz in Essex zu erben.

Er würde zum Viscount aufsteigen und fortan »Lord Gayle« sein und nicht mehr einfach nur Rye Evistock. Ob sich das günstig auf die Gewährung der Amnestie auswirken würde, hatte ihn Carolina bang gefragt.

Der Mann, der sich Kells nannte, hatte ihr mit einem wehmütigen Blick zart über ihren lichtblonden Kopf gestrichen. »Mach dir keine Hoffnungen, Carolina: Sollte ich tatsächlich das Land und den Titel erben, so würde mir beides angesichts der derzeitigen Lage höchstwahrscheinlich von der Krone weggenommen. Ich habe sogar schon mit dem Gedanken gespielt, auf meinen Anspruch zu verzichten und alles Andrew zu übertragen.«

Virginias Ehemann! Ihr Schwager sollte Ryes rechtmäßigen Titel tragen – und ihre Schwester an ihrer Statt Lady Gayle werden! Und jetzt erfuhr sie durch diesen Brief, daß Giles sein Leben ausgehaucht hatte ...

Rye würde seinen Titel und den Besitz an Andrew abgeben, und dann gäbe es überhaupt keinen Weg mehr aus diesem Inselgefängnis! Carolina zerknüllte den Brief. Sie würde es ihm einfach verschweigen – wenigstens vorläufig. Er hatte ohnehin nie etwas von seinen beiden älteren Brüdern gehalten, weil er der Ansicht war, daß sie das Familienvermögen durchgebracht und dem Vater das Herz gebrochen hatten. Dennoch würde es ihn bekümmern, von Giles' Tod zu hören, und er würde mit steinernem Gesicht und energischem Kinn entscheiden, sein Erbe abzutreten.

Sie glättete das Pergament und las den Brief ein zweites Mal – und ein drittes und ein viertes Mal. Die gute Virginia! Sie hatte endlich doch noch ihr Glück gefunden – an der Seite von Ryes jüngerem Bruder, Andrew – und lebte mit ihrem Mann und Kind im Haus seines Vaters in Essex. Es war über ein Jahr her, daß sie etwas von ihr gehört hatte.

»Ich erwarte im Spätsommer mein zweites Kind«, vertraute Virginia ihr an. »Andrew hofft, daß es ein Mädchen wird, da wir ja schon einen Sohn haben – und noch dazu einen so prächtig geratenen. Mir ist es gleichgültig – ich hoffe nur, daß das neue Baby ebenso kräftig wird wie der kleine Andrew, der zu meinen Füßen spielt und an meinen Röcken zieht, während ich dies schreibe. Andrew will mit mir nach London fahren, wenn es diesmal ein Frostfest gibt. Und dann werden wir unsere Namen von einer der Druckerpressen, die auf der zugefrorenen Themse aufgestellt sind, auf eine Karte schreiben lassen – wie damals, weißt du noch?«

Bestürzung erfaßte Carolina, als sie weiterlas: »Seit du weg bist, war ich nur einmal in Tidewater. Die Dinge stehen sehr schlecht – finanziell gesehen. Die Tabakpreise sind sehr niedrig, niemand hat Geld – und ich fürchte, daß Vater ›Level Green‹ diesmal wirklich verlieren wird. Er hätte dieses Riesenhaus nie bauen sollen! Er hätte doch wissen müssen, daß er sich die Abzahlung der Kredite nie würde leisten können. Aber Mutter und er haben ihren aufwendigen Lebensstil dennoch nicht aufgegeben. Ihre Pferde und Kutschen sind nach wie vor vom Besten, und als ich ankam, empfing Mutter mich in einem Pariser Modell, das sie erst kürzlich bekommen hatte, und Vater war ebenso elegant gekleidet, in einen rosafarbenen, mit Goldlitze besetzten Satinrock, und er trug eine neue Perücke, die ein Vermögen gekostet haben muß. Ich wette, er hat bis heute nichts davon bezahlt! Aber in anderer Hinsicht kommen sie besser zurecht: In der ganzen Zeit, die ich dort war, hatten sie keinen einzigen Krach – und das ist ein absoluter Rekord, wenn man bedenkt, wie oft sie früher gestritten haben.«

Carolina mußte wieder lächeln: Die ständigen Szenen zwischen Letitia und Fielding Lightfoot hatten die ortsansässigen Klatschbasen seinerzeit dazu beflügelt, ihr erstes gemeinsames Heim mit dem Spitznamen »Tollhaus« zu belegen. Ihre Auseinandersetzungen waren Legende und ständig ein beliebtes Gesprächsthema zwischen Williamsburg und Yorktown. Doch als Virginia auf ihre älteste Schwester Pennsylvania zu sprechen kam, verschwand das Lächeln wieder:

»Bis heute hat niemand mehr etwas von Penny gehört – kein Wort, seit Emmett aus Philadelphia zurückkam. Zu Hause spricht niemand über sie. Alle sind sicher, daß sie tot ist – schließlich ist es jetzt schon zehn Jahre her, daß sie mit Emmett durchbrannte! Und wenn er gewußt hat, wo sie sich aufhielt, und es nur nicht sagen wollte, dann werden wir es nie erfahren, denn er ertrank letztes Jahr bei einem Angelausflug. Er trug zum Zeitpunkt des Unglücks schwere Stiefel und konnte sie nicht mehr rechtzeitig loswerden. Sie füllten sich mit Wasser und zogen ihn in die Tiefe. Als die Retter ihn herausholten, war er schon tot. Als ich davon hörte, hatte ich ein richtig schlechtes Gewissen, weil wir ihn immer so von oben herab behandelt hatten und der Meinung gewesen waren, er sei nicht gut genug für Penny–und jetzt, falls sie noch lebt, ist sie Witwe und weiß es gar nicht. Sogar Della und Flo haben es inzwischen aufgegeben, sich vorzustellen, daß Penny davongelaufen ist, um Schauspielerin zu werden. Sie sind schon recht erwachsen– ich fühlte mich richtig alt, als ich unsere beiden kleinen Schwestern über junge Männer und Verlobungen reden hörte. Einige ihrer älteren Freunde sind schon versprochen, hältst du das für möglich?«

Virginia hatte noch viele andere Neuigkeiten in den Brief hineingepackt, der sicherlich wieder für lange Zeit der letzte sein würde – aber dies waren die Passagen, die Carolina immer und immer wieder las. Sie sah ihre ältere Schwester vor sich – die hochgewachsene Penny mit ihrer roten Mähne, ihrer Ungeduld, ihrem verschmitzten Lächeln, der sinnlichen Stimme und dem übermütigen Lachen. Penny war Fieldings Liebling gewesen, erinnerte Carolina sich wehmütig. Penny war der Liebling aller gewesen – einschließlich ihrer selbst! Wohl zum tausendsten Mal fragte sie sich, was wohl aus ihr geworden sein mochte – und ihre Vorstellungen beinhalteten nichts Gutes.

Die Tatsache, daß »Level Green« vielleicht verlorenginge, beunruhigte sie tief. Sie legte den Brief beiseite, stand auf und begann ruhelos im Zimmer auf und ab zu gehen. Fielding hätte wirklich nicht das größte Haus in ganz Virginia haben müssen – aber er hatte es dennoch gebaut! Er hatte sein gesamtes Erbe, mit dem er bis zu seinem Tod hätte sorgenfrei leben können, in dieses eine herrliche, verrückte Projekt gesteckt – und ihre Mutter war so stolz darauf gewesen! Sie erinnerte sich noch, wie Letitia und Fielding sich bei ihrem Einzug darüber gestritten hatten, wo die mitgebrachten Möbelstücke stehen sollten – und dann Unsummen ausgaben, um die vielen Räume einzurichten. Es würde ihrer Mutter das Herz brechen, wenn sie das Haus verlöre – und Fielding würde es umbringen. Obwohl er nicht ihr richtiger Vater war und obwohl er sie nie wirklich gemocht hatte, fühlte sie doch Mitleid mit ihm – immerhin hatte er sie nicht einmal hinausgeworfen, als sie durch ihre Absicht, einen Freibeuter zu heiraten, ganz Tidewater in Aufruhr versetzte.

Plötzliches Kriegsgeschrei aus der Küche riß sie aus ihren Gedanken. Sie ließ den Brief fallen und eilte in Richtung des Tumults, der in einem schauerlichen Heulen gipfelte, als sie die Küchentür aufstieß.

Der Anblick, der sich ihr bot, war ausgesprochen komisch. Die Köchin stand mit verschränkten Armen vor ihrem Herd. In der Mitte des niedrigen Raumes versuchte Betts verzweifelt, Gillys mageren Körper in eine Eisenwanne zu tauchen. Gillys ingwerfarbene Haare standen regelrecht zu Berge, sie fauchte wie eine wütende Katze und protestierte kreischend. Und dann packte sie plötzlich den großen, nassen Schwamm und warf ihn Betts ins Gesicht, worauf diese im Zurückweichen gegen den massiven Holztisch stieß, auf dem neben einer großen, irdenen Teigschüssel mehrere Hummer lagen.

»Was um alles in der Welt ist hier los?« fragte Carolina energisch.

»Das Wasser ist zu kalt!« jammerte Gilly. »Das hält meine zarte Haut nicht aus! Wirklich!«

Carolina wollte ihr gerade erklären, daß sie alle lauwarm badeten, da das ständige Heißmachen von Wasser eine unerträgliche Hitze und Feuchtigkeit im Haus bewirkt hätte, als sie die große Schürfwunde entdeckte.