Das Vermächtnis der Anderen - Michael Exner - E-Book

Das Vermächtnis der Anderen E-Book

Michael Exner

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Beschreibung

Seit Jahrhunderten sucht die Menschheit nach erdähnlichen Planeten, weil die Erde hoffnungslos überbevölkert und zersiedelt ist. Dann scheint ein jüngerer Schwesterplanet unserer Heimat gefunden zu sein. 148 Wissenschaftler fliegen zu diesem Planeten, um ihn zu erforschen. Schnell wird klar, dass sich die Tiere auf Nayola seltsam verhalten. Zudem scheint sich ihre Nähe auf die Psyche der Menschen auszuwirken. Kurze Zeit später verschwinden die Mitglieder der ersten bemannten Expedition spurlos. 600 Jahre später startet eine weitere Mission, um herauszufinden, was damals passiert ist. Am Anfang läuft alles reibungslos - bis die ersten Angriffe kommen … Ein Teil der Tiere auf Nayola scheint nur ein Ziel zu kennen: Die Menschen von ihrem Planeten zu vertreiben. Und sie haben Möglichkeiten, die den hochentwickelten Waffen der Menschen überlegen sind. Und dann gibt es die anderen Tiere - die, die den Kontakt suchen. Schnell kommt der Verdacht auf, dass man es hier mit einer Intelligenz zu tun haben könnte, die niemand versteht.

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Michael Exner

Das Vermächtnis der Anderen

Die Kinder der dritten Mission

Science-Fiction

© 2024 Michael Exner

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Dorfaue 6, Michael Exner, 03099 Kolkwitz, Germany.

Erstes Buch

Pangäa, Gondwana

Vierter Planet des Nayola-Systems Gondwana, Südwestküste

Tarla gähnte, was unter der Maske gar nicht so einfach war. Dann setzte sie sich demonstrativ auf eine der Wurzeln, die hier in jeder denkbaren Größe wucherten. Sie hatte entschieden, das Gestolpere durch die Büsche zu beenden. Es war die dritte oder vierte kleine Lichtung, die sie durchquert hatten. Typisch für alte große Wälder, in denen ab und zu ein Baumriese umfiel und Platz machte für seine Nachkommen und die der Nachbarn. Anders als in Äquatornähe wurden die Bäume hier nur gute hundert Meter hoch. In den Sümpfen im Inneren des Kontinents gab es Exemplare, die deutlich über zweihundert Meter schafften, bevor sie dem Alter und den Stürmen erlagen. Die Wurzeln des Baumes, der diese Lichtung geschaffen hatte, ragten jetzt fünfzehn Meter vor ihnen auf. Sie hatten erst angefangen, zu verfaulen. Die Büsche und kleinen Bäumchen reckten ihre Äste dem Himmel und Licht entgegen im Wettkampf mit den anderen Pflanzen. Die Blätter hatten die hier vorherrschende hellolive Farbe. Aon hatte ihr erklärt, dass diese Färbung von der Substanz kam, die die Funktion des Chlorophylls auf der Erde hatte.

Tarla lehnte sich zurück und machte klar, dass sie keinen Sinn mehr darin sah, weiterzugehen. Aon wusste, was sie ihm sagen wollte, trotzdem fragte er.

»Was ist?«

»Das reicht, denke ich. Wir sind jetzt fast eine Stunde unterwegs und können nur bestätigen, was die automatischen Systeme gemeldet haben. Dschungel und Tiere, Tiere und Dschungel und das Ganze bei ständigem Wind und ab und zu Nieselregen.«

Die Pilotin zeigte mit einer vagen Geste nach oben und in die Runde. Wie zur Bestätigung rauschte eine Bö durch die Wipfel und schüttelte ein paar Tropfen auf sie herunter.

»Du hast recht, obwohl wir erst seit 35 Minuten auf dem Planeten sind. Trotzdem sollten wir uns hier eine Weile hinsetzen, vielleicht trauen sich ein paar der Bewohner etwas näher heran.«

Da Tarla schon saß, sagte sie nichts.

Einige der Tiere kamen etwas näher, zeigten aber sonst keine Verhaltensänderung. Die Geflügelten schnatterten etwas leiser. Mäßiges Interesse, keine Aggressionen.

Nach einer Weile fragte Aon: »Fällt dir etwas auf?«

»Was meinst du?«, nuschelte Tarla, die es irgendwie geschafft hatte, einen Kaugummi unter die Maske zu schieben. Sie wirkte völlig entspannt. Aon war nicht sicher, ob das echt war. Sie kannten sich noch nicht lange genug.

»Die Tiere verhalten sich ungewöhnlich. Irgendwie seltsam.«

»Wie willst du wissen, was hier gewöhnlich oder ungewöhnlich ist?«, fragte sie erstaunt. »Wir sind die Ersten, die gelandet sind und du kannst schon erkennen, dass sich die Tiere nicht normal verhalten? Du bist hier zwar der Biologe, aber dass du Hellsehen kannst …«

Aon war froh, ein Thema gefunden zu haben, mit dem man die Wartezeit überbrücken konnte. Bis heute hatte noch nichts die automatischen Landeeinheiten angegriffen, trotzdem hatte er ein mulmiges Gefühl. Hier gingen Dinge vor, für die es bis jetzt keine rationale Erklärung gab.

»Sieh dich um.« Er machte eine weite Bewegung. »Dieser Planet ist der erdähnlichste, den wir je gefunden haben. Man könnte meinen, so oder ähnlich hat es vor einigen Dutzend oder hundert Millionen Jahren bei uns auf der Erde ausgesehen. Diese Unmenge von Tieren verschiedenster Arten. Ein fast undurchdringlicher Dschungel. Auch wenn es so aussieht, dass die Ressourcen hier praktisch unendlich sind - es muss Konkurrenzverhalten geben, Konkurrenz um Nahrung, Lebensraum, Geschlechtspartner. Abgesehen davon, dass die Zahl der Pflanzenfresser durch Raubtiere reguliert werden muss. Trotzdem zeigen die Tiere keine Furcht oder Angriffslust, weder uns gegenüber noch untereinander.«

»Stimmt«, kaute Tarla. »Allerdings sind hier nur die kleinen. Die großen, die wir auf der Satellitenüberwachung gesehen haben, sind vielleicht die Räuber.«

»Es muss auch kleine Raubtiere geben.« Aon schüttelte den Kopf. »Und wenn die richtig großen Viecher die Fleischfresser sind, bekommen wir noch massive Probleme.«

»Wir sind jetzt lange genug hier. Lass uns gehen.«

»Es sind zwei Stunden ausgemacht. Solange bleiben wir auch.« Aon ließ sich nicht erweichen.

»Dann erkläre einer dummen Soldatin mal, was ihr erwartet. Ich meine, ich weiß ja, dass hier hundertfünfzig Leute verschwunden sind, aber das ist sechshundert Jahre her. Wir haben Waffen und Technik, die alles Bisherige in den Schatten stellen. Was soll also passieren?«

Aon lächelte. Natürlich war Tarla alles andere als dumm oder eine einfache Soldatin, aber manchmal gefiel sie sich in der Rolle als Scout und Personenschützer. Ganz nebenbei war sie aber noch eine ausgezeichnete Pilotin und Elektronik-Expertin und in erster Linie hergekommen, um herauszufinden, warum hier sensible Technik nie länger als ein paar Monate funktionierte.

»Wir wissen es nicht.« Der Biologe wollte wohl nicht darüber sprechen.

»Nee, jetzt kneife mal nicht. Ich kenne natürlich die Fakten. Aber es ist ein Unterschied, ob man etwas aus langweiligen Missionsberichten vermittelt bekommt, oder ob man auch mal Hintergründe und Vermutungen hört.«

Aon Belter nickte. Sie hatte recht. Außerdem hatten sie noch eine Stunde Zeit, in der ihre Aufgabe nur darin bestand, sich hier aufzuhalten und unbeschadet zurückzukehren. Nicht einmal Proben brauchten sie nehmen, denn das hatten die Sonden und automatischen Landemodule schon zur Genüge getan.

Er sah sie an, um zu einer Erklärung anzusetzen. Tarla hatte aufgehört zu kauen. Ihr Mund war halb offen, mitten in der Bewegung stehengeblieben. Sie hatte ihre Körperhaltung nicht verändert, trotzdem spürte man eine gewisse Anspannung, selbst durch den Schutzanzug. Er folgte ihrem Blick, konnte aber nichts erkennen.

»Was ist los, Tarla?«

»Da ist was Größeres, nichts Riesiges, aber deutlich größer als die anderen Viecher.« Inzwischen kaute sie wieder.

Aon sah es jetzt auch. Etwa fünfundzwanzig Meter entfernt lag unter einem Busch ein Tier und starrte herüber. In dem ständigen Zwielicht hatten sie es übersehen oder es hatte sich gerade angeschlichen. Anders als die anderen Tiere, die sie bisher gesehen hatten, war es etwa so groß wie ein kräftiger Hund. Dank der großen Zähne, die es deutlich zeigte, schien es ein gefährlicher Gegner zu sein. Dazu kam das Unbehagen, das jeden befiel, wenn man einem hiesigen Lebewesen in die Augen sah. Das lag wohl zum einen daran, dass die Augen der Tiere hier anders aufgebaut waren als die irdischer Lebewesen. Zum anderen haben die Tiere hier fast alle ein drittes Auge mitten auf der Stirn, das einem ›bis in die Eingeweide starrt‹, wie es Tarla mal formuliert hatte. Dieses Gefühl hatte man schon, wenn man die verschwommenen Fotos anschaute, die die Landemodule mitgebracht hatten. Jetzt waren sie als Erste dieser Expedition den einheimischen Wesen außerhalb der Landefähre nahegekommen und diese Begegnung löste eine irrationale Angst in ihnen aus.

»Da hätten wir wohl einen Räuber.« Aon schüttelte das Unbehagen ab. »Wenn das kein Raubtiergebiss ist, dann gebe ich meinen Doktortitel zurück. Übrigens, siehst du dieses zusammengerollte Etwas drei Meter neben ihm? Sieht fast wie eine Schlange aus.«

Tarla hatte jetzt doch ihre Körperhaltung verändert und ihre Hand lag dicht neben der Waffe an ihrem Oberschenkel. Sie starrte immer noch das Raubtier an. »Wir sollten ihn Säbelzahn nennen. Eine gewisse Ähnlichkeit ist wohl nicht zu verkennen.«

»Der Kopf mit den überlangen Reißzähnen erinnert tatsächlich an einen prähistorischen Säbelzahntiger. Sein mittleres Beinpaar ist weit nach hinten verschoben. Er scheint ein Sprinter zu sein.« Aon nahm die Kamera herunter. »Wieder ein neuer Eintrag im Katalog der auf Nayola-4 lebenden Tiere. Hier werden noch Generationen von Biologen Arbeit haben.«

»Falls wir es jemals schaffen, uns länger als ein paar Wochen hier aufzuhalten.«

»Deshalb beginnen wir ja auch in den gemäßigten Breiten in der Nähe der Pole. In Äquatornähe hat es noch keine automatische Sonde geschafft, länger als zwei Stunden zu funktionieren.«

»Wobei wir wieder da sind, wo du mir mal erklären wolltest, was du darüber denkst.«

Tarla erinnerte sich an die undeutlichen Bilder aus den Urwäldern vom Pangäa-Kontinent. Die Landemodule waren in den riesigen Senken im Landesinneren innerhalb kürzester Zeit angegriffen und zerstört worden.

Nachdem man in den Sümpfen ein paar Module eingebüßt hatte, wollte man es jetzt hier in der Nähe des Südpols versuchen. Bis heute war es gut gegangen. Noch war keines der automatischen Landemodule zerstört worden. Deshalb hatte die Missionsleitung beschlossen, einige Menschen auf die Oberfläche zu schicken. Aon und Tarla gehörten zur ersten Gruppe. Wenn alles gut läuft und danach sah es aus, sollten andere folgen.

Selbst der Säbelzahn hatte seinen Kopf auf die Vorderpfoten gelegt und alle Augen halb zugeschoben.

»Sieh mal!« Tarla deutete nach oben. Ein Schwarm vogelähnlicher Geschöpfe kreiste in großer Höhe über ihnen.

»Es sieht aus, als hätten die vier Flügel. Das hintere Paar ist nur wenig kleiner als das vordere.«

»Wie groß sind die?«, fragte Aon.

Tarla hatte als Pilotin mehr Erfahrung im Abschätzen von Entfernungen.

»Die fliegen ungefähr sieben-, achthundert Meter hoch. Ich schätze, die haben mindestens fünfzehn Meter Spannweite.«

Der Biologe nickte. »Schau mal, wie langsam sie die Flügel bewegen. Fünfzehn Meter könnte stimmen.«

»Dann sind es nicht die ganz Großen. Außerdem sind bei denen hier alle vier Flügel fast gleich groß. Bei den Riesen, die wir auf den Satellitenfotos gesehen haben, war das zweite Flügelpaar winzig im Vergleich zum ersten.«

Aon hatte noch eine technische Frage: »Jetzt musst du mir mal was erklären. Wieso haben wir keine besseren Bilder aus dem Orbit von der Planetenoberfläche und damit von den Bewohnern hier?«

»Da kommt ein ganzes Bündel von Ursachen zusammen. Die Satelliten mussten wir auf extrem hohen Umlaufbahnen parken, weil das Magnetfeld des Planeten um ein Mehrfaches stärker als das irdische ist. Deshalb und durch die ausgeprägten Sonnenwinde, die hier herrschen, wird die Aufnahmetechnik gestört. Die große Entfernung tut ein Übriges. Dazu kommt, dass die Atmosphäre hier ein paar Beimischungen hat, die die Bildqualität bei größerem Abstand beeinträchtigen. Das sind in erster Linie einige gasförmige Siliziumverbindungen, die Silane. Sie sind dafür verantwortlich, dass die Luft hier so abartig stinkt. Aber auch die große Luftfeuchtigkeit, die sich in der großen Wolkendichte und Nebelschwaden zeigt, beeinflusst die Beobachtung auf diesem Planeten.«

Aon gab einen kurzen Zwischenbericht an die Basis ab. Dann wandte er sich Tarla zu. »Also, was wolltest du wissen?«

»Einen Moment.« Tarla wirkte abgelenkt. »Das musst du dir ansehen.« Sie betrachtete interessiert ihren Schuh. »Was ist das?« Ein zehn Zentimeter langes Tier kroch gerade von ihrem Schuh auf die Hose.

Aon schaute nur flüchtig hin. »Eine Raupe, ein Egel, ein Wurm oder etwas Vergleichbares. Wird es hier zu Tausenden geben.«

»Glaube ich dir.« Tarla hatte sich wieder zurückgelehnt. »Aber ist es normal, dass irgendwelche Würmer oder Egel schon drei voll ausgebildete Augen haben?«

Jetzt war Aon interessiert und schaute genauer hin. »Tatsächlich, das ist ungewöhnlich, ein sehr einfach gebautes Tier mit so komplexen Augen! Du verstehst ja doch was von Biologie!«

Tarla grinste.

Aon fuhr fort. »Es ist weder Egel noch Wurm. Wahrscheinlich doch so etwas wie eine Raupe. Man kann nicht alles mit der Erde vergleichen. Vielleicht ist es auch eine Tiergruppe, die es auf der Erde nicht gibt.«

»Du wolltest mir noch etwas erklären.«

Der Biologe nickte. »Dann frag mal!«

»Also jetzt ein wenig konkreter: Ich weiß, dass dieser Planet etwas absolut Einmaliges ist. Er ist anders als alles, was man bisher gefunden hat. Man müsste erwarten, dass wir jeden möglichen Aufwand betreiben, um ihn zu erforschen. Trotzdem hat man ihn fast neunhundert Jahre ignoriert. Wir haben seit über sechshundert Jahren die Raumfahrt soweit perfektioniert, dass es nicht mehr planetarer Anstrengungen bedarf, um eine Expedition hierher zu schicken. Man hat eine Mannschaft geschickt, die verschollen ist. Die Erde hätte eine Rettungsmission starten müssen. Wieso hat man es unterlassen? Und jetzt, da man sich endlich entschlossen hat, es zu tun, schickt man gleich eine Flotte von drei Schiffen. Eins ist sogar so bewaffnet, dass man nicht nur diesen Planeten, sondern das halbe System plattmachen könnte. Warum fängt man bei der Erforschung nicht erst klein an?«

»Gut, du unbedarfte Soldatin, die Zeit reicht jetzt nicht, um alles zu erklären, aber vielleicht ist es ja gut, mal darüber zu sprechen.

Dieses ›klein anfangen‹ bei der Erforschung von Nayola-4, von dem du geredet hast, haben wir versucht. Vor neunhundert Jahren wurden erstmalig die physikalischen und technischen Grundlagen erforscht, die es ermöglichen, einen Raumflug von 283 Lichtjahren durchzuführen. Wir schickten eine unbemannte Expedition, bei der zwei Satelliten in Umlaufbahnen installiert wurden. Die funktionierten nur ein paar Wochen und fielen dann durch die hier herrschenden gewaltigen Sonnenstürme und das planetare Magnetfeld aus. Die gewonnenen Daten machten aber klar, dass es hier höheres Leben gibt. Bemannte Raumfahrt war zu dieser Zeit noch nicht über diese Entfernungen möglich. Also schickten wir ein weiteres unbemanntes Raumschiff. Die wenigen Landemodule, die es bis zur Oberfläche schafften, konnten nur ein paar Umweltdaten und verschwommene Bilder übermitteln, dann gaben sie ihren Geist auf.

Jede Expedition war eine riesige Investition. Deshalb war es nach den ersten Fehlschlägen nicht möglich, noch eine dritte Mission durchzudrücken. Das gelang erst vor etwa sechshundert Jahren, als man Menschen über diese Distanzen transportieren konnte. Die Erde schickte zwei Schiffe mit 148 Mann Besatzung hierher. Immerhin konnte man einiges mehr an Erkenntnissen gewinnen, weil die Gleiter hier in Polnähe länger durchhielten und man auch ein paar Proben gründlicher untersuchen konnte. Diese Analysen ergaben ein sensationelles Detail. Das gesamte Leben auf diesem Planeten beruht auf einer Mischung aus kohlenstoff- und siliziumorganischer Biochemie. Das ist absolut einzigartig. Fast alle Lebensformen, die wir bisher gefunden haben, haben als Basis die verschiedensten Kohlenstoffverbindungen. Nur auf zwei Planeten und einem Mond konnte man primitives Leben nachweisen, das komplett von Siliziumverbindungen abhängig ist. Aber das war ausschließlich ›grüner Schleim‹, wie wir einfachstes, kaum differenziertes Leben nennen. Dass beides zusammen ein funktionierendes System bilden könnte, haben wir bis dahin nicht für möglich gehalten.«

»Ich weiß, aber wieso ist das Leben auf diesem Planeten dem irdischen so ähnlich. Man muss zweimal hinschauen, um Unterschiede im Aussehen zu entdecken.«

»Du hast natürlich Recht. Die äußeren Unterschiede sind nicht sehr auffällig. Das dritte Paar Extremitäten bei den meisten Wirbeltieren hätte sich auch auf der Erde durchsetzen können. Es gibt allerdings auch ein paar Unterschiede in den Tiergruppen, die sich auf Nayola-4 durchgesetzt haben. So scheinen hier Primaten und deren Verwandte völlig zu fehlen. Das Stirnauge, das die meisten Tiere dieses Planeten haben, gibt es auch bei einigen Erdbewohnern, bei verschiedenen Reptilien und Fischen sowieso, aber rudimentär auch bei einigen Säugetieren. Es hat sich bei den meisten Wirbeltieren zur Zirbeldrüse umgebildet, deren Funktion immer noch nicht umfassend geklärt ist. Bei den Tieren auf der Erde dient dieses dritte Auge nur der Unterscheidung von Hell und Dunkel, hier scheint es fast wichtiger als die beiden äußeren Augen zu sein. Das dritte Sehorgan ist auch bei uns Menschen genetisch angelegt, wird aber nicht als funktionsfähiges Körperteil ausgebildet, sondern als Zirbeldrüse. Jedenfalls ist es eine unserer vordringlichsten Aufgaben herauszubekommen, wozu es auf Nayola dient.

Aber die Erdähnlichkeit der Pflanze und Tiere hier ist vielleicht gar nicht so schwer zu erklären. Sie lässt sich einfach auf viele gemeinsame Umweltbedingungen auf beiden Planeten zurückführen.«

Tarla war sichtlich interessiert, also fuhr er fort.

»Zunächst mal sind beide Planeten in der habitablen Zone ihres Zentralgestirns, gemäßigte Temperaturen, reichlich flüssiges Wasser. Beide Sonnen gehören der Spektralklasse ´G2´ und der Leuchtkraftklasse ´V´ an. Dieser Planet hier, Nayola-4, hat nur die halbe Gravitation der Erde. Das hat zur Folge, dass der Atmosphärendruck geringer ist. Er entspricht etwa dem der Erde in fünf- bis sechstausend Metern Höhe. Daran haben wir uns schon gewöhnt, weil während des gesamten Fluges der Druck in den Raumschiffen langsam abgesenkt wurde. Wie du siehst, hat niemand ein Problem damit, es sind ja auch nur gesunde Menschen mitgekommen.

Es gibt drei kleine Monde. Ein Tag dauert hier etwas mehr als 21 Erdenstunden. Das ist unter anderem ein Hinweis auf ein starkes Magnetfeld. Was wir hier vorgefunden haben, lässt sich damit allerdings nicht erklären. Der Sauerstoffgehalt der Luft ist deutlich höher, nahe 30 Prozent, aber das gab es in der Erdgeschichte auch schon. Stickstoff ist hier wie auf der Erde Hauptbestandteil der Atmosphäre. Er gibt ein paar Zusätze in anderen Konzentrationen wie Kohlendioxid, Methan, wenige Edelgase und einige Geruchsbeimischungen wie gasförmige Silane und Schwefelwasserstoff in Spuren. Insgesamt ist diese Luft für uns atembar, wenn es auch furchtbar stinken würde, wenn wir uns das ohne Atemmaske antun würden. Aber das hatten wir schon erwähnt.

Es gibt allerdings einen großen Unterschied bei der Tier- und Pflanzenwelt, den man aber nicht sieht. Das ist die Biochemie. Die ist nicht kompatibel mit der unseren. Das hat den Riesenvorteil, dass wir füreinander keine Gefahr darstellen. Kein Organismus aus unserer Biosphäre könnte der hiesigen gefährlich werden und umgekehrt.«

»Warum tragen wir dann spezielle Anzüge und Masken?«

»Reine Vorsicht. Bis wir wissen, was unsere Technik zerstört und vielleicht unsere Psyche beeinflusst, müssen wir uns daranhalten.«

»Das sind die Fakten, die man nachlesen kann. Ich weiß immer noch nicht, warum man so lange gewartet hat, bis …«

Tarla war blitzschnell aufgesprungen und hatte ihre Waffe im Anschlag. Aon brauchte eine halbe Sekunde länger, aber auch er war auf das Höchste alarmiert. Beide hatten die ganze Zeit den Säbelzahn beobachtet, der zwar völlig entspannt dalag, aber schon aufgrund seiner Größe eine latente Gefahr darstellte. Das Tier stand plötzlich da und starrte hinter sich in die Büsche. Die Bewegung war für die beiden Menschen nicht erkennbar gewesen. Es war, als hätte jemand in einem Moment das Bild ausgetauscht. Der Säbelzahn, der eben noch dalag, stand plötzlich mit gespannten Muskeln da. Diese Situation hatte etwas absolut Bedrohliches an sich.

Jetzt schob sich der Säbelzahn langsam rückwärts und verschwand dann im Gebüsch.

»Was war denn das?«

»Keine Ahnung, wie sich etwas so schnell bewegen kann!«

»Stell dir vor, der hätte uns mit dieser Geschwindigkeit angegriffen!«

Dann huschte ein Schatten über die Lichtung. Beide schauten nach oben.

»Verdammt, wie kommen die so schnell hierher?«

Die Vierflügler waren plötzlich nur noch fünfzig Meter über ihnen und kreisten um die Bäume. Aon wollte instinktiv in den Wald flüchten.

»Nein«, sagte Tarla ruhig. »nicht in den Wald. Dort ist irgendetwas, das den Säbelzahn verscheucht hat. Komm an den Stamm des Baumes. Die Krone schützt uns. Und wenn sie trotzdem angreifen, haben wir noch das.« Sie klopfte an ihre Waffe, die wieder im Halfter steckte.

»Das kleine Ding?«

»Du hast keine Ahnung, was das kleine Ding kann.«

Die Vierflügler kamen nicht näher. Sie flogen noch ein paar Schleifen über der Lichtung. Dann waren sie verschwunden. Aon hatte fleißig gefilmt.

»Die schlechte Nachricht ist, dass es tatsächlich Raubtiere sind. Hast du die Schnauze und das Gebiss gesehen?«

»Und die Krallen an den Füßen!«

»Es sind jedenfalls keine Vögel. Eher mit unseren Flughunden zu vergleichen.«

»Sie haben längeres Fell an Brust und Hals. Der Rest ist nur kurz behaart. Und sie sind bunt. Viel rot, orange und braun.«

Ein paar Minuten vergingen. Bevor das Gespräch wieder in Gang kam, bewegte sich das, was Aon für eine Schlange gehalten hatte. Sie näherte sich mit den typischen schlängelnden Bewegungen. Sie war nicht besonders groß, etwa zwei Meter lang, allerdings deutlich dicker als irdische Schlangen vergleichbarer Größe. Der Kopf war so groß wie eine Faust. Sie kam bis auf etwa vier Meter heran, rollte sich zusammen, richtete den vorderen Teil auf und fixierte die beiden abwechselnd.

»Schau, sie bewegt das dritte Auge unabhängig von den anderen beiden.«

»Wieder was gelernt«, entgegnete Tarla flapsig und ging langsam auf die Schlange zu.

»Sei vorsichtig.«

»Keine Angst, durch den Anzug kommt kein Schlangenzahn. Schau mal, sie richtet eine Art Kamm auf. Warnt sie mich oder will sie …«

Die Schlange spie eine Flüssigkeit in Tarlas Gesicht, die gelb und zäh von der Maske tropfte.

»Ähgs, was ist denn das?«

»Sie hat dir gezeigt, was sie von unserem Besuch hält. Ich nehme eine Probe, dann bringen wir doch noch etwas von unserem Ausflug mit. Die Zeit ist sowieso fast vorbei und bis zum Gleiter sind es noch ein paar Meter.

Halt mal still. So, ich habe die Probe, kannst abwischen.«

Inhaltsverzeichnis

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

Erstes Buch

Pangäa, Gondwana

Vierter Planet des Nayola-Systems Gondwana, Südwestküste

Orbit Nayola-4 Missionskommando

Nayola-4, Nayola-Ries Pangäa

Nayola-4 Gondwana, Südwestküste

Nayola-4, Nayola-Ries Pangäa

Orbit Nayola-4 Missionskommando

Nayola-4 Nayola-Ries, Pangäa

Nayola-4 Gondwana, Südpol

Amstodas Gondwana

Nayola-4, Bodenstation Gondwana

Amstodas Gondwana

Orbit Nayola-4 Missionskommando

Amstodas Gondwana

Orbit Nayola-4 Missionskommando

Nayola-Ries Pangäa

Orbit Nayola-4 Missionskommando

Nayola-Ries Pangäa

Orbit Nayola-4 Missionskommando

Nayola-Ries Pangäa

Fendora, Amstodas Gondwana

Nayola-Ries Pangäa

Zweites Buch

Laurasia

Balea-Halbinsel Gondwana, Nordostküste

Lipari Tethys-Meer

Vor 604 Jahren

Dritte Mission Führungsschiff

Laurasia Südküste

604 Jahre später

Vor 604 Jahren

Gondwana Zentrales Sumpfgebiet

604 Jahre später

Nayola-Ries Pangäa

Amstodas Gondwana

Vor 604 Jahren

Pangäa, Südosten Kocha - Höhle

604 Jahre später

Nayola-4 Laurasia

Nayola-Ries Pangäa

Vor 604 Jahren

Pangäa, Südosten Kocha - Höhle

604 Jahre später

Arlimo Nord-Tethys

Vor 604 Jahren

Pangäa, Südosten Kocha-Höhle

603 Jahre später

Nayola-Ries Pangäa

Biblis, Orsley-Inseln Nord-Tethys

Pangäa, Südosten Kocha-Höhle

Pangäa Nayola-Ries

Laurasia Kech-Halbinsel

Pangäa Nayola-Ries

Halbinsel Kech Laurasia

Nayola-Ries Pangäa

Vor 603 Jahren

Pangäa, Südosten Kocha-Höhle

Nayola-Ries Pangäa

Biblis, Orsley-Inseln Nord-Tethys

Nayola-Ries Pangäa

Drittes Buch

Vierter Planet des Nayola-Systems Pangäa, Südostküste

Laurasia Südküste

Nayola-4, Nayola-Ries Pangäa

Nayola-4 Laurasia

Nayola-4 Pangäa, Nayola-Ries

Nayola-4, Nayola-Ries Drei Wochen später

Namen und Personen

Das Vermächtnis der Anderen

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Urheberrechte

Pangäa, Gondwana

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Das Vermächtnis der Anderen

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Orbit Nayola-4 Missionskommando

»Zusammenfassend können wir also sagen, dass das Ziel erreicht wurde. Ihr habt euch etwa 2 Stunden auf dem Planeten aufgehalten. Und das Wichtigste ist, dass sich die Tiere euch gegenüber friedlich verhalten haben.

Es gab also nichts weiter, was euch seltsam vorkam? Bis auf das Verhalten einiger Tiere?«, fragte die Missionschefin.

Tarla und Aon sahen sich an, dann zuckten beide mit den Schultern.

»Diese Vierflügler – war das ein versuchter Angriff?«

»Eher Neugier, sie hätten eine Chance gehabt, uns zu erwischen, wir waren durch den Säbelzahn abgelenkt.«

»Na schön«, beendete Carina Medrup die Besprechung, indem sie aufstand. »Selbst dafür haben wir Spezialisten. Nehmt eure Termine bei den Psychologen wahr und macht die Tagebuchvideos. Und bleibt in ständigem Kontakt miteinander. Wir müssen vermeiden, was der dritten Mission widerfahren ist. Das gilt für alle.«

Beim Rausgehen zupfte Tarla Aon am Ärmel.

»Du schuldest mir noch ein paar Erklärungen.«

»So? Tue ich das?« Er gab sich keine große Mühe, Ahnungslosigkeit vorzutäuschen. Er grinste sie an. Tarla musste lachen.

»Ja, das tust du. Heute Abend?«

»Ich hole dich ab. Wohin gehen wir?«

»Es gibt nur ein Café hier an Bord.«

»Soso, das muss mir wohl entgangen sein.«

Es wurde nichts mit ihrem Abend zu zweit. Stattdessen saßen sie in dem Café in Begleitung ihrer beiden Psychologen. Dazu kam noch Carina Medrup, die Missionschefin. Sie erklärte auch sofort, weshalb sie an dem Treffen teilnehmen wollte.

»Ich muss eine Entscheidung treffen. Ab morgen wird das Programm auf dem Planeten fortgesetzt und ich will wissen, ob ihr dazu in der Lage seid. Wir müssen unbedingt vermeiden, dass wir in dieselben Verhaltensmuster verfallen wie die dritte Expedition. Außerdem finde ich die Idee, die bekannten Fakten aus persönlicher Sicht zu betrachten, zumindest interessant.«

Tarla gefiel die Situation überhaupt nicht. Aber was sollte sie machen. Deshalb spielte sie mit.

»Ich habe mich schon gewundert, dass man mich für den ersten Flug als Pilotin ausgewählt hat. Und jetzt dieses Treffen. Klärt mich mal jemand auf?«

Sie schaute von einem zum anderen.

Dr. Walter antwortete: »Du hattest dich freiwillig gemeldet, Tarla.«

»Richtig, genau wie alle anderen Spezialisten. Und ich bin erst seit ein paar Wochen hier, während die Piloten des ersten Raumschiffs schon seit zwei Monaten auf ihren Einsatz warten.«

»Das hat einen einfachen Grund.« Jetzt übernahm die Missionschefin. »Du bist von allen die Geeignetste.«

»Wofür?«

»Für eine der Gruppen, die die Ersterkundungen auf dem Planeten übernehmen. Wir brauchen Leute, die die Besten auf ihren Spezialgebieten sind und trotzdem querdenken können. Und außerdem teamfähig sind. Deshalb dieser kleine Ausflug, bei dem es nicht viel zu tun gab. Wir wollten zweierlei: Zum einen müssen wir natürlich sehen, wie die einheimische Tierwelt auf uns Menschen reagiert. Wir kannten nur die Aggression der Tiere in den Sümpfen am Äquator und die scheinbare Gleichgültigkeit hier gegenüber unseren Modulen. Zum anderen wollten wir beobachten, wie du und Aon in dieser Situation zusammenarbeiten.

Und dann müssen wir natürlich sehr vorsichtig in die Erkundung des Planeten von der Oberfläche aus einsteigen. Schließlich hat irgendetwas hier die Leute der letzten Mission so beeinflusst, dass wir den Kontakt verloren haben, ohne zu wissen, was eigentlich passiert ist.«

»Und habe ich bestanden?«

»Offensichtlich, genau wie Aon, sonst wären wir nicht hier«, lächelte Carina.

»Die gesamte Gruppe 1 wird aus sechs Leuten bestehen. Die anderen sind zurzeit in Zweiergruppen auf dem Planeten mit derselben Mission wie ihr. Zwei Stunden Zeit verbringen ohne eine konkrete Aufgabe außer dem Beobachten der Tiere. Wenn alle ohne Blessuren zurück sind, gibt es jede Menge Einsatzbesprechungen. Bei allem werden die Psychologen allgegenwärtig sein. In eurer Gruppe ist auch einer dabei.«

Tarla setzte ihr Glas ab.

»Ich nehme an, so will man herausfinden, was mit der dritten Mission geschehen ist. Oder gibt es konkrete Vermutungen?«

»Jede Menge, vage und konkrete. Die Psychologen haben versucht, es zu analysieren, sind aber grandios gescheitert.«

Carina schaute entschuldigend zu den beiden Seelendoktoren, die aber deutlich machten, dass sie sich nicht einmischen wollten.

»Gibt es Dinge, die man von der dritten Mission weiß und nicht publiziert hat?«

»Ja, man hat einige der Schlussfolgerungen nicht veröffentlicht. Die internen Deutungen der Missionsprotokolle könnt ihr in den nächsten Tagen einsehen. Aber eine kleine Zusammenfassung kann ich jetzt schon geben:

Die beiden Raumschiffe der dritten Expedition wurden in der Umlaufbahn von Nayola-4 geparkt und das Missionsprogramm wie geplant gestartet. Schon bei der Untersuchung der ersten Proben, die vom Planeten geholt wurden, konnte zweierlei festgestellt werden.

Erstens: Das Leben auf diesem Planeten basiert nicht allein auf Kohlenstoff, sondern auch auf Silizium und seinen Verbindungen. Das war zwar schon bekannt, konnte aber noch einmal bestätigt werden. Und zweitens gelang es nicht, Organismen vom Planeten zum Raumschiff lebend zu transportieren. Ab einer gewissen Entfernung zum Planeten stellten sie jeden Stoffwechsel einfach ein und starben ohne äußere Einwirkung.«

»Wie hat man das erklärt?«

»Gar nicht, selbst wenn man alle Umweltbedingungen aufrechterhielt, konnte man nicht einmal Mikroorganismen am Leben erhalten.«

Tarla hatte inzwischen ihr Unbehagen vergessen.

»Ist der Grund dafür ein physikalischer, vielleicht eine bestimmte Strahlung, ein Feld, eine Kombination aus verschiedenen Faktoren?«

»Genau das müssen wir herausfinden, sonst endet diese Expedition wie die vorangegangene.«

»Die Teilnehmer der dritten Mission haben offensichtlich irrational gehandelt. Was genau ist passiert?«

»Anfangs haben sich die Wissenschaftler exakt an die Pläne gehalten. Zunächst widmete man sich der Erforschung des Kontinents Laurasia. Den hatte man so benannt, weil er der nördlichste der drei Kontinente war. Die Missionsleitung hatte dieses Festland ausgewählt, weil er auf den Karten, die die Sonden der ersten beiden Expeditionen übermittelt hatten, als wenig bewachsen eingeschätzt wurde. Der Kontinent wurde dann tatsächlich als Wüstenkontinent vorgefunden. Außer im Norden und einigen Küstengebieten gab es kaum Pflanzen und wenige tierische Bewohner auf diesem Erdteil. Deshalb widmete man sich dem westlichen Kontinent, den man Pangäa genannt hatte. Die Verantwortlichen hatten beschlossen, im östlichen Küstenbereich zu bleiben, da das Landesinnere von schier undurchdringlichen Dschungeln und Tiefebenen geprägt ist.

Es gab mehrere unbemannte, später auch bemannte Einsätze. Sie konnten ohne Probleme absolviert werden. Als man die nächste Stufe in Angriff nahm, gab es die ersten größeren Widrigkeiten. Der Aufbau einer Station auf dem Boden scheiterte an der Tatsache, dass die hochempfindlichen elektronischen Systeme nach einigen Monaten Schwächen zeigten, immer öfter repariert werden mussten und irgendwann versagten. Zunächst handelten die Verantwortlichen logisch und richtig, indem sie das Projekt Bodenstation aufgaben und die Aktivitäten auf dem Planetenboden auf ein Minimum reduzierten. Die eigentliche Arbeit wurde auf die Raumschiffe verlegt. Nach einigen Monaten wurde klar, dass die Elektronik sogar im Orbit in Mitleidenschaft gezogen wurde, wenn auch langsamer. Das war der Zeitpunkt, an dem die Aktionen der Entscheider mehr und mehr unlogischer wurden.«

»Was passierte?«

»Als klar wurde, dass immer mehr, immer wichtigere Technik versagen würde, hätte man die Mission sofort abbrechen müssen. Stattdessen setzte man den Auftrag fort, verstärkte sogar die Arbeit auf dem Planeten und errichtete Bodenstationen. Die einzelnen Probleme wurden korrekt erörtert und bearbeitet, aber das grundsätzliche Dilemma schien man nicht mehr zu erkennen. Oder man hat es erkannt, wollte es aber nicht weitermelden. Das würde heißen, dass man sich bewusst einer großen Gefahr ausgesetzt hat.«

»Man hat diese Gefährdungen vielleicht verschwiegen, um zu vermeiden, dass man den Rückkehrbefehl von der Erde bekam. Dann war das sogenannte Fehlverhalten gar keines, jedenfalls im psychologischen Sinn.«

»Und wenn beide Erscheinungen dieselbe Ursache hatten?«, fragte Tarla.

»Du meinst, das Versagen der Technik und die psychischen Veränderungen bei den Besatzungen? Das ist praktisch unmöglich. Wir haben alle Möglichkeiten abgeklopft.« Dr. Walter schüttelte den Kopf.

»Nein, Frau Doktor, so läuft das nicht. Wir wollen nichts von vornherein ausschließen«, mischte sich sofort die Missionschefin ein. »Woran denkst du, Tarla?«

»Ich weiß nicht recht. Ich habe mir die Protokolle der Systemausfälle, die man zur Erde übermittelt hat, sehr genau angesehen. Das ist schließlich mein Spezialgebiet. Wenn komplexe elektronische Systeme an ihre zeitlichen Nutzungsgrenzen stoßen, sieht das ähnlich aus. Je nachdem, welche Komponenten zuerst ausfallen, versagt das System als Ganzes oder nur teilweise, was dann weitere Störungen nach sich zieht, bis wieder zum Komplettausfall.«

»Du denkst an vorzeitige Alterung? Das würde äußere Einflüsse voraussetzen, und die wären messbar!«

»Ich weiß nicht, ob man es so nennen kann, aber es fühlt sich so an. Ich denke, dass es eine messbare Ursache für den Ausfall der hochempfindlichen elektronischen Systeme gibt. Wenn wir die gefunden haben, wissen wir auch, ob es die psychischen Probleme erklärt. Wie reagierten eigentlich einfache elektrische oder mechanische Geräte?«

»Soweit wir das einschätzen können, hat es bis zum Abbruch der Verbindung zur dritten Mission damit keine Probleme gegeben. Das kann aber heißen, dass es bei diesen Systemen einfach nur länger dauert, bis sie ausfallen. Ihr seht also, hier gibt es jede Menge Unwägbarkeiten.«

Dann sagte eine Weile niemand etwas.

Aon sprach als Erster wieder. »Wie wollen wir eigentlich verhindern, dass die Teilnehmer unserer Expedition genauso versagen wie die der dritten?«

»Da haben sich die Planungsexperten für unsere Mission eine Menge einfallen lassen. Zunächst einmal wird jeder Teilnehmer permanent überwacht. Ein System von Einzel- und Gruppengesprächen ist installiert. Aber das kennt ihr, genau wie die allabendlichen Tagebuchlogs, die jeder führen muss. Außerdem wird jedes Wort, jede Aktivität permanent an die Erde übermittelt. Aber die Idee, auf die alle am meisten stolz sind, ist folgende:

Von den drei Raumschiffen unserer Mission ist eines nicht zum Planeten geflogen. Es parkt in einer Umlaufbahn um die Sonne des Nayolasystems. Weit draußen, jenseits der äußeren Planeten, etwa 200 Lichttage entfernt. Die Abstand entspricht fast der halben Strecke bis zur Oortschen Wolke, die es auch hier gibt. Wir nennen es spaßeshalber das Mutterschiff. Dort hat man eine komplette zweite Missionsleitung stationiert. Bereit, jederzeit und unmittelbar das Kommando zu übernehmen, wenn irgendetwas Unvorhergesehenes passiert. Diese Situation soll beibehalten werden, bis zweifelsfrei geklärt ist, was mit der dritten Expedition geschehen ist.«

Nach einer Weile hatte Tarla doch noch eine Frage. »In keinem Missionsprotokoll und den Interpretationen ist ein Hinweis auf den Verbleib der Mannschaft der dritten Expedition enthalten. Gibt es irgendwelche begründeten Vermutungen, was dort geschehen sein könnte?«

»Leider nein. Als der Kontakt ohne Vorankündigung abbrach, gab es noch über Monate die automatischen Standardmeldungen der Systeme beider Raumschiffe. Die hörten dann einfach auf und die Schiffe sind wohl irgendwann in der Atmosphäre verglüht, weil der Orbit nicht mehr korrigiert wurde, was natürlich ab und zu nötig ist.«

Nayola-4, Nayola-Ries Pangäa

»Das Gebrüll der Morai ist ja nicht mehr auszuhalten!« Cars'san schaute hilfesuchend zu seiner Mutter. »Kannst du nicht mal mit Shil'lana reden?«

Kira Lhu beobachtete Milanas Welpen. Zwei hatten sich ineinander verbissen. Die anderen kullerten herum. »Was meinst du, soll ich alle behalten?«

»Mutter, ich habe dich etwas gefragt!«

»Ja, du weißt, dass die Morai-Mädels nicht dazwischen gehen, wenn die Jungs um die Führerschaft bei den Männern kämpfen.«

»Aber es ist ihr Sohn, der den Streit vom Zaun gebrochen hat. Und das zum dritten Mal!«

Kira Lhu verzog das Gesicht. »Ja, und es ist Shil'lanas Gefährte und der Vater von Ka, dessen Vorherrschaft in Gefahr ist. Du hast meine Frage auch noch nicht beantwortet!«

»Nimm die beiden, die gerade versuchen, sich gegenseitig umzubringen. Oder den, der übrig bleibt.«

»Du weißt, dass sich Welpen in dem Alter nicht umbringen. Ich werde also tatsächlich beide nehmen müssen.«

»Hörst du mir eigentlich zu, Mutter?« Cars'san wurde langsam ärgerlich. »Bist du dir wirklich sicher, dass Nori und Ka Vater und Sohn sind? Ka ist noch nicht mal 28 Jahre alt, hüpft noch herum wie ein Halbwüchsiger und spuckt seinem Vater schon fast auf den Kopf.«

»Du weißt, wie hoch die Mutationsrate hier auf Nayola-4 ist. Warum sollte ein Zweiflügler nicht mal ein gutes Stück größer als sein Vater werden. Wir werden ja auch mit jeder Generation einige Zentimeter größer.«

»Wir wissen beide, dass es völlig unterschiedliche Ursachen hat.«

»Natürlich, Cars'san, ich wollte dich nur von dem Gebrüll ablenken.«

»Übrigens wächst Ka noch ein bis zwei Jahrzehnte. Er wird auch noch seine Mutter übertreffen. Vielleicht ist ja an den Gerüchten etwas dran, dass er ein Mischling ist. Warum machst du nicht einfach mal einen Vaterschaftstest?«

»Wir müssten Kas Körper und den seines Vaters vermessen, um sie vergleichen zu können. Versuch das mal. Wahrscheinlich würdest Du dir einen Schlag ihrer zwölf Meter großen Flügel einhandeln. Dann tippst du nach fünfzig Metern das erste Mal auf«, lachte Kira. »Außerdem hat es mir Shil'lana verboten!«

Cars'san schluckte. Er hatte immer ein ungutes Gefühl, wenn seine Mutter von ihrer riesigen Gefährtin sprach, als sei sie ein Mensch. Alle Flugreiter hatten eine fast mystische Verbindung zu ihren Tieren, aber Kira und Shil'lana schienen auf einer übergeordneten Ebene miteinander verbunden zu sein. Während die anderen Reiter und ihre Zweiflügler nur Gefühle und einfache Sachverhalte übertragen konnten, verständigten sich die beiden Führerinnen der Flügler und Menschen offensichtlich auch über kompliziertere Themen. Oder Kira Lhu interpretierte Dinge in diese Verbindung, die nicht da waren.

»Warum sollte Shil'lana nicht wissen wollen, wer der Vater von Ka ist?«

»Weil sie es vielleicht längst weiß? Und nicht will, dass die gesamte Hierarchie in Gefahr ist, wenn herauskommt, dass ein Kal-chi sie geschwängert hat?«

Cars'san schwieg. Er bezweifelte zwar, dass die Flügler zu so komplizierten Überlegungen fähig waren. Aber er wusste auch, worauf seine Mutter anspielte. Zwei Jahre vor Kas Geburt hatte es einen Überfall einer Gruppe halbstarker Kal-chi auf die Kolonie der Morai-Zweiflügler gegeben. Der Kampf hatte zwei Tage gedauert. Am Ende waren zwei Kal-chi und sechs Morai tot. Unter den vielen Verletzten war auch Shil'lana. Ihre rechte Doppelschulter war auf einer Länge von zwei Metern aufgeschlitzt. Einige Sehnen und Bänder waren gerissen. Die Menschen-Ärzte hatten in mehreren Operationen getan, was sie konnten und heute erinnerten nur noch eine leichte Schieflage beim Fliegen und eine Reihe von verkrüppelten Schuppen an die Verletzungen. Während der Genesung war Kira Lhu ununterbrochen bei Shil'lana, sie schlief sogar unter ihrem Flügel. Die Verbindung zwischen Kira und ihrer Morai-Freundin wurde zu der tiefsten aller Zweiflügler und Menschen.

»Aber Ka wurde erst 2 Jahre nach dem Überfall geboren und die normale Tragezeit sind einundzwanzig Monate.«

»Ich bin der Meinung, dass die Flügler-Weibchen eine Art Keimruhe für den Embryo einlegen können, wenn es nötig ist. Und Shil'lana brauchte all ihre Kraft für die Genesung.«

»Wie lange wird der Machtkampf wohl diesmal dauern?« Jetzt wechselte Cars'san das Thema.

»Wenn niemand gewinnt, wohl wieder bis zur völligen Erschöpfung der beiden, also bis morgen oder auch länger.«

»Also noch eine Nacht bei diesem Krawall.«

»Dabei ist der Morai-Talkessel zwei Kilometer entfernt. Hoffen wir lieber, dass es beim rituellen Kampf, den Scheinangriffen und Drohungen bleibt. Dann haben wir in einer Woche wieder ein funktionierendes Sozialgefüge bei den Morai.«

»Aber nur, wenn Nori gewinnt. Wenn sein Sohn ihn besiegt, müssen alle Positionen in der Männerhierarchie neu ausgekämpft werden. Dann ist noch für Wochen keine Ruhe abzusehen.«

»Ja«, seufzte Kira Lhu. »wir müssen bald unsere Aufklärungsflüge entlang der tiefen Ebene wieder aufnehmen. Wir sind für die nächsten zwei Jahre damit dran.«

»Genau«, freute sich Cars'san. »und diesmal bin ich dabei. Ich bin 16 und meine Saru ist so weit.«

»Ich will, dass ihr erst im nächsten Zyklus Patrouille fliegt. Saru ist 32 Jahre alt und groß und kräftig für ihr Alter, aber sie hat wie du keine Kampferfahrung und wenn ihr von den Kal-chi oder Morla-to angegriffen werdet, ist sie keine große Hilfe.«

»Mutter, der nächste Zyklus ist in vier Jahren. Wenn ich dann erst bei den Patrouillenfliegern einsteige, wird man mir mit Verachtung begegnen. Und du weißt, dass schon andere vor mir mit 16 auf Erkundung geflogen sind. Dazu kommt, dass der Krieg zwischen den Morla-to und den Kal-chi seit zwei Jahrzehnten andauert. Die haben mit sich selbst zu tun. Außerdem haben wir seit dem Überfall vor dreißig Jahren neue Waffen entwickelt, mit denen wir auch die ganz großen Zweiflügler bekämpfen können.«

»Wenn wir die bloß damals schon gehabt hätten. Dann hätten wir unserer Morai-Kolonie helfen können.

Du weißt aber auch, dass es da noch die wilden Morai gibt, die unsere zahmen sofort attackieren, wenn sie aufeinandertreffen.«

»Aber nur, wenn die wilden in der Überzahl sind.«

»Oder wenn paarungsbereite Weibchen in unserer Formation fliegen.«

»Oder, oder, oder … Du denkst dir immer neue Gefahren aus, Mutter. Dabei wissen wir doch, was dir wirklich Sorgen macht.«

»Ja, Cars'san, deine Schwester Lyana lässt mich kaum noch schlafen. Das Schlimmste ist nicht, dass sie auch mit auf Erkundung fliegen will. Sondern dass sie sich diesen Heißsporn Ka als Reittier ausgesucht hat. Im Kessel sind mindestens zwanzig junge Morai, die noch keinen festen Reiter haben und sie sucht sich Ka aus, der natürlich mit Freuden darauf eingeht, weil beide zusammenpassen wie Topf und Deckel. Einer hat mehr Blödsinn im Kopf als der andere.«

»Sie wird es sicherlich überleben, genau wie ich.« Cars'san wollte seine Mutter beruhigen.

»Ich weiß nur nicht, ob ich das überlebe.« Kira stützte den Kopf in die Hände. »Ich habe Ka und Lyana beobachtet, wie sie sich mit einer Gruppe Vierflügler angelegt haben. Und das ohne Grund. Einfach nur so, weil gerade nichts anderes in der Nähe war, um den Unfug im Kopf auszuleben. Ein halbes dutzend Mal ist Ka fast abgestürzt oder Lyana aus dem Sattel gefallen.«

Cars'san lachte. Er hatte den Kampf auch gesehen. Lyana hatte tatsächlich einen Schwarm Vierflügler angegriffen, der am Übungsgelände vorbeiflog. Normalerweise achten die deutlich kleineren Flügler darauf, den Morai nicht zu nahe zu kommen. Aber in dem Fall stand es fünfzehn zu eins, weil Lyana den anderen Zeichen gegeben hatte, sie nicht zu begleiten. Der Übermut schien mal wieder mit ihr durch zu gehen. Die anderen waren froh, dass es endlich Abwechslung von den endlosen Übungen im Formationsflug gab. Die Vierflügler, gerade halb so groß wie Ka, nahmen die Herausforderung sofort an und schwärmten aus, um den Großen von allen Seiten zugleich zu attackieren. Sie hatten auch kaum etwas zu befürchten, denn was Wendigkeit und Beschleunigung anging, machte ihnen niemand etwas vor. Ihr mittleres Beinpaar hatte sich wie das vordere komplett zu Schwingen umgebildet. Dazu kam, dass sie ihre Flügel unabhängig voneinander bewegen konnten, was ihnen fast jedes Flugmanöver erlaubte. Ka hatte nur sein vorderes Flügelpaar zur Verfügung, weil er seine vier Beine zur Bewegung auf dem Boden benötigte. Sein Körper war zu massig, um auf zwei Beinen zu laufen. Das mittlere Beinpaar der Morai hatte auch ein paar Quadratmeter befiederter Lederhaut, die sie abspreizen konnten. Das ergab aber nur zwei kleine Flügel, die sie ausschließlich zum Steuern nutzen konnten.

Lyana und Ka lieferten einen Luftkampf, wie ihn noch keiner der jungen Kämpfer gesehen hatte. Cars'sans Schwester konnte ihr Tier nur mit ihren Gedanken steuern. Es gab keine körperliche Verbindung. Ka konnte Lyana auf seinem Schuppenpanzer nicht spüren. Viel wichtiger war, beide Willen zu koordinieren. Niemand konnte einen Morai beherrschen, nicht einmal kontrollieren, wenn er es nicht wollte. Es ging nur über eine komplette Verschmelzung des Geistes. Bei diesem Kampf hatten Mensch und Tier die perfekte Übereinstimmung. Die beiden hatten nur eine Chance gegen den Schwarm. Sie mussten die kleinen Gruppen immer wieder auseinandertreiben und die Vierflügler so daran hindern, im Verbund anzugreifen. Aus dem anfänglichen Spiel wurde schnell ein wilder Kampf mit höchstem Risiko. Alle Beobachter wurden mitgerissen. Die Reiter konnten ihre Tiere kaum noch zurückhalten. Menschen und Morai brüllten durcheinander. Jede Ordnung hatte sich aufgelöst.

Kira Lhu konnte nicht verstehen, warum die Ausbilder nicht eingriffen. Sie schaute zu ihnen, um sie aufzufordern, den Einsatzbefehl für die anderen zu geben.

Marno’na kam zu ihr. Der alte Lehrer sah sie an.

»Du brauchst keine Angst um deine Tochter zu haben, die beiden können das.«

»Niemand kann das wirklich! Lyana geht ein zu hohes Risiko ein. Und Ka ist wie ein Chama-Fohlen. Nichts ist verrückt genug!«

»Die beiden haben sich erst vor kurzem füreinander entschieden, aber sie verstehen sich schon fast wie du und Shil'lana.«

Dann sah Kira, warum sich die Ausbilder nicht einmischten. Für sie war es die perfekte Situation, um ihre Schützlinge in dieser Extremsituation einzuschätzen. Wer konnte sich selbst disziplinieren und nicht einfach losfliegen, um der Gefährtin beizustehen? Welcher Reiter harmonierte wie gut mit seinem Tier?

Kira erkannte auch, dass dieser Alleingang ihrer Tochter wohl nicht der erste war. Sie war mehr zufällig hier, um die jungen Flieger zu beobachten. Die Ausbilder mussten wissen, dass Lyana und Ka nicht wirklich in Gefahr waren, ansonsten hätten sie dieses Schauspiel unterbunden.

Nach endlosen Minuten gaben die Ausbilder das Signal, den Kampf zu beenden. Alle Morai stoben los, um Ka und Lyana beizustehen. Die Vierflügler flüchteten sofort und verschwanden am Horizont.

Die gesamte Gruppe der Flugreiter begleitete Lyana und Ka in wilder Unordnung zurück. Die beiden wurden gefeiert, als hätten sie einen großen Sieg errungen. Die junge Reiterin zog sich aber mit ihrem abgekämpften Tier zurück, um dieses Erlebnis mit Ka zu besprechen. Jeder Reiter wusste, dass es wichtig war, solche Erfahrungen sofort und zusammen zu verarbeiten. Der Tadel der Ausbilder interessierte Lyana nicht wirklich. Sie wusste, dass es nicht wirklich ernst gemeint war.

Dann spürte Kira den Blick ihrer großen Freundin Shil'lana.

Diese hatte sich wie die anderen älteren Morai nicht an der Aufregung beteiligt und lag völlig entspannt an der Seite. Jetzt hatte sie ihr drittes Auge halb geöffnet, was Morai ziemlich selten tun. Sie sah Kira an, die eine tiefe Welle der Zuneigung durchströmte. Auch Kira öffnete ihren Augenfleck. Ihre Familie gehörte zu den ersten, die das konnten.

»Du willst mir sagen, dass wir keine Angst um unsere Kinder haben brauchen«, dachte sie. »Du sagt, wir können loslassen. Wenn du mein Chama-Hengst wärst, würde ich jetzt zu dir laufen und dich umarmen. Aber wie liebkost man ein sieben Meter großen Morai mit fünfundzwanzig Metern Flügelspannweite?« Kira Lhu ging trotzdem zu Shil'lana und legte sich auf ihr Gesicht. Sie drückte ihre Stirn auf die ihrer Freundin. Beide schlossen ihre Stirnaugen und blieben einige Minuten liegen.

Die Ausbilder waren zufrieden. Die jungen Reiter würden noch tagelang jedes Manöver Lyanas diskutieren und versuchen, es nachzufliegen. Das Ergebnis würden ein paar Abstürze und Verletzungen sein, aber das gehört dazu.

Nayola-4 Gondwana, Südwestküste

Dann kam die Katastrophe. Die dritte Gruppe hatte den Auftrag, einige hundert Kilometer nördlich auf Erkundung zu gehen. Sie landeten am Rand einer Tiefebene, um vorsichtig die Umgebung zu untersuchen. Man glaubte sich gut beschützt durch ein Dutzend schwer bewaffnete Sicherheitskräfte. Trotzdem wurde die gesamte Gruppe binnen Sekunden aufgerieben. Der Angriff kam so schnell und wurde mit so viel Wut und Grausamkeit geführt, dass sowohl Beteiligte als auch Beobachter komplett überfahren wurden. Es gab Tote und Verletzte.

Nachdem man sich erst einmal komplett zurückgezogen hatte, beschloss die Missionsleitung, das Erkundungsprogramm vier Tage später erneut aufzunehmen.

»Jetzt sitzen wir wieder hier.« Tarla hockte auf derselben Wurzel wie vor einem Monat.

Auch Aon hatte seinen Platz wieder eingenommen.

»Sucht euch was«, meinte er und zeigte in die Runde.

Die anderen der Gruppe setzten sich. Tarla saß neben einem Gebüsch, an dem kleine blaugrüne und orange Früchte hingen. Sie pflückte eine und drehte sie in der Hand. »Sieht lecker aus. Wären die essbar, Aon?«

Der Biologe schaute nur kurz hin. »Ja, die orangefarbenen sind reif, enthalten sehr viel Zucker. Ob das gesund ist, weiß ich nicht, aber unser Körper würde damit klarkommen. Mit den Siliziumverbindungen kann er nichts anfangen, die würde er als Ballaststoffe ausscheiden. Wir haben viele von den Pflanzen hier untersucht, die meisten sind okay. Einige sind ungenießbar, enthalten Bitterstoffe oder stinken nach Aas. Andere sind einfach giftig für uns. Alles, was es auch auf der Erde gibt. Nennt sich Konvergenz. Weil die Bedingungen auf beiden Planeten fast gleich sind, bilden sich bei den Lebewesen vergleichbare Funktionen aus. Das ergibt wieder eine ähnliche Morphologie.«

»Stimmt.« Kern hatte auch eine Frucht gepflückt. »Deshalb taufe ich dich ›Aprikose‹. Hatte mein Opa im Garten«, fügte er entschuldigend hinzu, weil alle ihn anschauten. Dann biss er genüsslich in die Frucht, um sofort das Gesicht zu verziehen. »Mann, da fallen einem ja die Zähne aus.«

»Ich habe euch gewarnt – der pure Zucker«, lachte Aon.

Hano, einer der bewaffneten Begleiter, hatte wohl kein Verständnis für Small Talk. »Gibt es irgendjemanden, der diese Maßnahme versteht?« Er war offensichtlich immer noch sauer. Schon bei der Einsatzbesprechung hatte er seinen Unmut kundgetan. »Wir sollten einfach besser geschützt in den Norden gehen, anstatt die Uhr zurückzudrehen und dieselben Fehler noch mal zu machen.«

»Nein. Es ist richtig, wieder bei null anzufangen, wenn man nicht weiß, welchen Fehler man gemacht hat.«

»Ist schon klar, dass du als Psychologe so etwas unterstützt, Kern, aber ich halte das für vertane Zeit. Weil wir nämlich genau wissen, welchen Fehler wir gemacht haben, es will nur niemand zugeben. Wir sind ziemlich naiv daran gegangen, uns Richtung Norden zu bewegen. Statt mit dem Gleiter 400 Kilometer nördlich runter zu gehen, hätten wir uns einfach mit gepanzerten Fahrzeugen dorthin bewegen sollen. So einfach ist das. Dann würden Karol und Jas jetzt nicht tot sein und drei andere auf der Intensivstation liegen. Die Angriffe von diesen Viechern waren vorherzusehen. Wir haben die Bilder der automatischen Sonden gesehen. Und das, was von ihnen übriggeblieben ist. An der einen, die wir gefunden haben, waren Zerstörungen, die wir nicht einmal erklären können.

Da wir sowieso nichts machen können, lasst uns anfangen, und zwar - mit nichts.«

»Der Anfang wäre, einfach mal ein paar Minuten friedlich zu bleiben, damit sich die Tiere wieder beruhigen, die wir aufgescheucht haben.«

»Gut.« Hano zeigte ein wenig Schuldbewusstsein und hielt den Mund.

Maria sagte: »Ich spreche leise. Wo war das mit dem Säbelzahn?«

»Dort drüben unter dem Gebüsch.«

»Vielleicht taucht er ja wieder auf.«

»Wenn diese Tiere ein Revierverhalten haben, könnte es sein, dass er noch hier ist und wir erneut sein Interesse wecken. Die komischen Schnattervögel sind jedenfalls wieder da. Sogar dieser rotbraune mit den großen Augen, erkennst du ihn, Tarla?« Aon zeigte auf einen kleinen Baum.

»Nee, aber die da erkenne ich!« Die Pilotin wies auf die Schlange, die gerade um einen Stein herum auf sie zu kroch.

»Und sie ist nicht allein.«

Eine zweite Schlange folgte, ein wenig dunkler, ansonsten ein Abbild der ersten.

Beide ringelten sich mitten auf der kleinen Lichtung zusammen, richteten sich auf und fixierten abwechselnd die Menschen.

»Du musst jetzt hingehen und dich wieder anspucken lassen, Tarla«, grinste Maria. »Alles wie beim ersten Mal.«

»Nicht nötig, wir haben die Brühe untersucht, eine Mischung aus verschiedenen organischen Säuren, dazu Toxine und Enzyme. Würde auf der Erde auch ganz gut als Insekten- oder Schlangengift durchgehen. Nicht tödlich, aber ohne Gesichtsmaske wäre das deinen Augen nicht gut bekommen.«

Aon hielt Tarla am Arm zurück, die tatsächlich aufstehen wollte. Alle folgten fasziniert dem Spiel der Tieraugen, die von einem zum anderen sprangen, das mittlere unabhängig von den äußeren.

»Der Ausdruck des dritten Auges ist ein völlig anderer als der der beiden anderen. Wie geht das?« Maria hatte ihre Schnoddrigkeit völlig vergessen. Sie sah zum ersten Mal aus dieser geringen Entfernung ein größeres Lebewesen auf dem Planeten.

»An den Anblick der Tiere und Pflanzen hier kann man sich schnell gewöhnen, aber wenn du in diese Stirnaugen schaust, weißt du erst, dass wir fast 300 Lichtjahre von zu Hause weg sind.« Maria schüttelte sich. »Das ist einfach nur beängstigend und faszinierend!«

»Sieh woanders hin!« Tarla machte sich langsam Sorgen. »Das sind nur Schlangen!«

»Und nicht einmal das.« Aon wollte mit Sachlichkeit die Situation entspannen. »Es sind keine Wirbeltiere, sie haben eine Art Exoskelett. Also sind das hier eher Tausendfüßer ohne Füße.«

Maria starrte doch schon wieder einer Schlange in das Stirnauge. Die hatte ihr drittes Organ weit aufgerissen und starrte zurück. Maria fasste sich an die Schläfen. Tarla, die Maria beobachtet hatte, wiederholte:

»Schnell, schau weg! Hast du Schmerzen?« Dann, als Maria nicht antwortete, schüttelte sie ihren Arm.

»Nein, lass, es ist alles gut, es war nur so ein komisches Gefühl.« Maria riss sich los, schaute ein wenig verwirrt und murmelte nur: »Das sollte man wohl nicht zu oft machen.«

Kern, der Psychologe, meinte: »Darüber müssen wir gleich nach der Rückkehr reden.«

»Ja, gut, war wohl doch nicht so sinnlos, der Ausflug.«

»Wir haben noch eine halbe Stunde. Bist du wirklich in Ordnung?«

»Ja, wirklich. War es bei euch nicht auch so beim ersten Mal, als ihr einem Tier aus nächster Nähe in die Augen gesehen habt?« Maria hatte sich wieder gefangen.

»Ja schon, aber du hast ziemlich extrem reagiert.«

»Jetzt ist aber wieder alles in Ordnung. Aber seht, die ›Tausendfüßer ohne Füße‹ verziehen sich.«

Tatsächlich hatte der, der Maria angestarrt hatte, jetzt sein drittes Auge halb geschlossen, was bei ihnen der Normalzustand zu sein schien und beide verschwanden im Wald.

Der Rest der vereinbarten Zeit verging in einhelligem Schweigen. Kurz vor dem Aufbruch wurde nur kurz der Gedanke diskutiert, ob es Sinn machen würde, den Aufenthalt zu verlängern. Außer Maria, die es vorgeschlagen hatte, sah aber niemand einen Sinn darin und so ging man zum Gleiter.

Auf dem Rückweg machte Tarla Kern Zeichen, zurückzubleiben. Sie nickte auch Aon kurz zu.

»Wir müssen reden. Mir ist vorhin ein Gedanke gekommen und wir sollen doch immer alles so schnell wie möglich formulieren.«

»Richtig, aber warum sollen das die anderen nicht hören?«

»Nur Maria nicht, um sie geht es.«

»In Ordnung, gleich?«

»Im Orbit reicht.«

Nach der Rückkehr saßen die drei im Café.

»Also los, Tarla, was hast du?«

Tarla war es jetzt schon fast peinlich, aber sie überwand sich. »Vorhin, als sich die Schlangen oder Tausendfüßer vor uns aufbauten, habe ich Maria beobachtet. Ihr habt alle zu den Tieren geschaut. Das eine hatte sein Stirnauge ganz weit offen und starrte nur Maria an, während das andere uns abwechselnd ansah. Sein drittes Auge war nur halb geöffnet. In Marias Gesicht war allerhöchste Anspannung, ein paar Gesichtsmuskeln zuckten. Dann legte sie ihre Fingerspitzen an ihre Schläfen. Deshalb dachte ich erst, sie hätte Kopfschmerzen. Aber das machen doch auch Menschen unbewusst, wenn sie sich mit schwierigsten Problemen beschäftigen.«

Kern nickte heftig: »Weiter!«

»Könnte es sein, dass diese Schlange, die keine ist, versucht hat, Maria zu hypnotisieren?«

Die beiden Männer starrten sie an. Sie konnte ihren Gesichtsausdruck nicht deuten, aber sie waren auf das Höchste angespannt.

»Du meinst wie die Schlange das Kaninchen?«, versuchte Aon, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen.

»War das – blöd?«, fragte sie.

»Nein, blöd bestimmt nicht, aber vielleicht total daneben. Oder genial. Auf jeden Fall würde es einiges erklären.«

Kern nickte. »Es würde sogar eine ganze Menge erklären. Der instinktive Wunsch nach Kontakt, aus Neugier, als Warnung, Vorbereitung zum Angriff und einiges mehr kennen wir von vielen höheren Tieren. Aber das würde hier auf einer Ebene stattfinden, die wir offensichtlich nicht verstehen.«

»Nein.« Aon schüttelte den Kopf. »Jetzt verrennst du dich. Dass die Schlangen Kontakt suchten, ist wahrscheinlich. Sie kamen aus der Deckung, näherten sich bis auf wenige Meter, um uns zu beobachten. Das machen viele Tiere, die etwas Neues sehen, das sie nicht einordnen können. Wenn sie das Ungewohnte nicht als Gefahr wahrnehmen, sind sie neugierig. Maria war nur so beeindruckt, weil sie mit dem dritten Schiff erst vor wenigen Wochen angekommen ist und das erste Mal in ein Stirnauge geschaut hat.«

»Wahrscheinlich hast du recht«, kam wenig überzeugt von Tarla. Auch Kern schien skeptisch.

Eine Weile sagte niemand etwas. Dann fragte Tarla: »Wir gehen morgen wieder runter, richtig?«

»Ja, warum fragst du?«

»Weil ich wissen wollte, ob Maria mitkommt. Sie war heute ziemlich durch den Wind.«

»Sie ist zurzeit bei ihrer Nachbesprechung. Dann werden die Psychologen entscheiden. Glaubst du, dass sie Schaden genommen hat?«

»Nein, aber beeindruckt war sie schon.«

»Ich denke, sie wird dabei sein. Wir werden wie geplant bei derselben Lichtung runtergehen. Diesmal gehen wir ein paar Meter in den Wald, es sei denn, unser Säbelzahn hat was dagegen.«

»Oder das, was ihn beim ersten Mal vertrieben hat.«

»Hoffentlich ist es nicht das, was die dritte Gruppe angegriffen hat.«

»Das war 400 Kilometer nördlich, Tarla.«

Kern wiegte den Kopf. »Es gibt morgen früh noch eine Besprechung. Die Techniker wollen uns informieren, was sie herausgefunden haben. Vielleicht wissen sie, was unsere Technik zerstört. Vielleicht wissen sie auch, wie man das verhindert.«

Am nächsten Morgen gab es dann die faustdicke Überraschung. Die Techniker hatten tatsächlich etwas gefunden. Das Magnetfeld des Planeten, das so ungleich stärker war, als das der Erde hatte eine Besonderheit, die man noch in keinem anderen Sonnensystem messen konnte. Es pulsierte, besser flimmerte mit einer dermaßen hohen Frequenz,